Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Ob er was war? Wettrennen mit einem Wagen? Sextus bestieg noch nicht einmal wirklich gern eine Sänfte. Von einem Pferderücken ganz zu schweigen.
    Er lächelte leicht schief und hob in einer entschuldigenden Geste die Hände. “Ich glaube, dass dies eine Leidenschaft für junge Männer ist, sich in derartigem Wettkampf zu messen. Meine Jugend allerdings war von strengem Lernen und der Vorbereitung auf das Amt des Haruspex geprägt und ließ für derlei keine Zeit. Meine körperliche Ausbildung war vielmehr klassisch gehalten.
    Allerdings kann ich sehr wohl erkennen, dass dies eine sportliche Leistung sein ist.“
    Nun, eigentlich konnte er genau das nicht, aber wie sagte man das einem echten Rennliebhaber möglichst diplomatisch? “Nur eben eine, zu der mir der rechte Bezug nicht ohne persönliches Bedauern leider fehlt.“ Kurz zuckte er fast jungenhaft mit den Schultern.


    Und konzentrierte sich dann wieder auf das eher wesentliche. “Ich hoffe jedenfalls, insgesamt ein Rennfeld von fünf, idealerweise sechs Fahrern aufstellen zu können. Und hoffe ebenso, dies mit den jetzigen Factiones bewerkstelligen zu können, wobei ich wie gesagt dank deiner Zusage nun bei Russata, Veneta und Aurata schon zuversichtlich bin.


    Darüber hinaus werde ich auch Gladiatorenspiele anbieten. Denn was wären munera ohne sie? Immerhin haben diese hier ihren Ursprung. Ich hatte gehofft, einige Gladiatoren aus Massilia verpflichten zu können wie vor einigen Jahren mein Verwandter Aurelius Corvinus. Dessen Spiele waren ein großer Erfolg, an den ich anzuknüpfen gedenke.“

    Ruhig hörte sich Sextus die Erklärung an. Im Grunde klang es nach rein oberflächlicher und sachbezogener Bekanntschaft. Aber Sextus war dereinst auch jung gewesen, und obwohl er nie etwas wie Herzlichkeit besessen hatte, kannte er dieses Prinzip unter jungen Menschen, aus solchen Bekanntschaften nur allzu leichtfertig Freundschaften erwachsen zu lassen, und hier wollte und musste er seinen Klienten warnen, ehe dies der Fall wäre.


    “Meine Gedanken bezüglich Senator Duccius habe ich dir bereits mitgeteilt. Und auch an dieser Stelle fürchte ich, muss ich dich über einige Zusammenhänge aufklären.


    Einst waren die Decimi und die Aurelii einander... nun, nicht in Freundschaft verbunden, aber zumindest in wohlwollender Bekanntschaft zueinander. Senator Decimus Livianus war ja ein bekennender Gegner des späteren Usurpators. Nur haben seine Kinder und nächsten Verwandten dieses Erbe aufs schändlichste verraten und verdreht. Sein Adoptivsohn hat in seiner Rolle als Praefectus Praetorio nichts unterlassen, um die Ehre namhafter Familien zu demontieren, auch unter Zuhilfenahme seiner leiblichen Schwester und deren Stellung in der Acta. Ich nehme an, die Lügengeschichten sind dir wohl zeitnah damals zu Ohren gekommen, ebenso wie die Konsequenz der Hinrichtung Consular Vinicius' Lucianus.
    Was dir nicht zu Ohren gekommen sein wird, ist wohl die Hausdurchsuchung der Villa Aurelia, bei der unsere Sklaven gefoltert wurden und meine Cousine Prisca nicht – wie es ihrem Stand entsprochen hätte – einfach unter Hausarrest gestellt worden ist oder auch in der Castra Praetoria oder an einem vergleichbaren Ort als Geißel genommen worden wäre. Nein, als wäre der Verrat an den vorgegebenen Idealen seines Vaters nicht genug hat der Decimus entgegen jeden Anstandes meine Cousine verschleppt und mit auf den Feldzug geführt, trotz aller Gefahren einer einzelnen, wehrlosen Frau unter so vielen Männern. Es kam im Grunde einem Wunder gleich, dass ich sie nach der Schlacht gefunden habe und schlimmeres verhindern konnte. Denn, wie du dir vorstellen kannst, waren die Männer im Siegesrausch, und du kannst dir sicher ebenso ausmalen, was mit ihr passiert wäre, hätte ich sie nicht rechtzeitig gefunden und in meine persönliche Obhut nehmen können.“
    Vermutlich hätte dieser unfähige Soldat sie geschändet, nachdem er sie so abgefüllt hatte. Wahrscheinlich hätte er sie anschließend mit seiner gesamten Centurie geteilt, und wenn Prisca hieran nicht gestorben wäre, hätte einer der Soldaten es ihr vermutlich abgenommen, um später nicht durch eine unliebsame Zeugenaussage in Schwierigkeiten zu geraten.
    “Dieses Verhalten ist unentschuldbar, zeigt aber im Grunde nur den gesamten Abgrund auf, der sich bei dieser Gens auftut: Entweder, sie sind absolut zerstritten in Uneinigkeit – was dann bedeutet, dass sie unzuverlässige Partner sind und man nicht mit der Gens als solches Verbindungen eingehen kann, was sie nach allgemeinem Verständnis nicht besser macht als Barbaren vor den Toren.
    Oder aber ihre Loyalität ist derart wankelmütig, dass sie sich immer der scheinbar stärksten Fraktion verschreiben und ihre Treue mit dem Wind wechseln. In diesem Falle sind sie noch weniger vertrauenswürdig.


    Und solange, bis oben genannte Sachlage nicht ausgesühnt ist und klar wird, ob dies ein Fehlverhalten der Gens ist oder doch nur einem kranken Geist entsprungen ist, sehe ich keine Grundlage für ein vernünftiges Miteinander mit den Decimi und missbillige allzu enge Verflechtungen.“
    Auch wenn Sextus äußerlich gefasst und ruhig blieb, da ihm emotionale Ausbrüche nicht lagen, mochte man sehr wohl erahnen, dass er tiefen Groll wegen Priscas Entführung hegte.

    “Du hast mich falsch verstanden, Consular Vinicius. Mitnichten wollte ich dem jungen Decimus ein Amt anbieten. Wie du schon treffend festgestellt hast, steht mir dieses gar nicht zu.
    Ich wollte ihm lediglich meine Bedenken zu seinem Wunsch mitteilen und hören, wie er die Sachlage unter diesem Gesichtspunkt sieht, und inwieweit auch ein anderes Amt für ihn in Frage käme. Und nach seiner Antwort nun weiß ich es und habe keine weitere Fragen an den Kandidaten selbst.“

    Den Rüffel des Consulars nahm Sextus eher gelassen, als er sich setzte. Natürlich konnte er so etwas nicht allein bestimmen, sondern darüber entschied das Gremium der – nach dem Bürgerkrieg etwas dezimierten – Senatoren gemeinschaftlich. Aber durch seinen Einwurf hatte er den ein oder anderen vielleicht jetzt schon zum Nachdenken gebracht, wo man denn den Decimer hinstecken würde, wenn man ihn denn überhaupt wählte. Immerhin ging das eine mit dem anderen einher.

    Sextus folgte also diesem Hausutensil weiterhin schweigend durch die Villa, die er schon eine längere Zeit nicht mehr betreten hatte. Er war sich gerade nicht sicher, ob nach seiner Vermählung mit Nigrina noch die von seiner Cousine Prisca auch hier stattgefunden hatte, zumindest der zweite Teil, und welches der beiden Ereignisse zuerst gewesen war. Aber eine dieser Gelegenheiten musste wohl der letzte Besuch hier in der Villa gewesen sein.


    Das Triclinium war natürlich für ein abendliches Essen vorbereitet, und Sextus war fast schon gespannt, wen der Flavier hierzu noch alles geladen haben mochte und auf welchen Platz hierbei er ihn setzen würde. Immerhin umfasste das handelsübliche Triclinium Platz für neun Leute und jede Menge Möglichkeiten, einen Gast zu platzieren. Wobei Sextus fast ein wenig hoffte, möglichst wenig Gäste hierbei noch mit zu unterhalten, da das Thema doch recht privater Natur war. Immerhin ging es auch um einiges an Geld und anderen Vergünstigungen, was zwar nicht geheim war – wie auch? War der Hochzeitsvertrag doch verlesen worden bei der Hochzeit, wie es Brauch war - aber dennoch etwas, was man nicht zu öffentlich erörtern musste.


    Und so wartete Sextus also, bis zur Begrüßung durch den Hausherrn selbstverständlich stehen bleibend, seinen eigenen Schriftrollenträger ebenso unsichtbar im Hintergrund wie die Sklavin, die ihn hergebracht hatte.

    Sein eigener Klient präferierte ebenfalls die Tresviri capitales. Und da diese – wie der Name schon sagte – drei Männer waren und daher es auch nur drei mögliche Plätze gab, war dies natürlich ein Grund, dafür zu sorgen, dass die Konkurrenz dafür möglichst klein ausfiel. Einen Grund, diesen Decimer hier gänzlich vom Cursus auszuschließen, konnte ihm gerade nicht dringlich einfallen. Zumal er die Beziehungen zu Consular Purgitius nicht völlig zerstören wollte. Das hieß allerdings nicht, dass er nicht doch den ein oder anderen 'Verbesserungsvorschlag' für das Leben des jungen Burschen anbringen konnte.
    “Da du selbst auch die Vergangenheit erwähntest... auch dein verwandter hatte die Aufsicht über einige Gefangene, und hatte Mitverantwortung bei deren Verurteilung und Hinrichtung. Daher halte ich deine Wahl nicht unbedingt für diplomatisch, wenngleich das Amt eines Tresvirn nicht gleichzusetzen ist mit das des Praefectus Praetorio. Allerdings denke ich nicht, dass ein solch aktives Amt mit so vielen Parallelen dazu geeignet ist, Begangenes Unrecht vergessen zu machen. Vielmehr könnte so mancher an vergangene Taten erinnert werden.
    Daher schlage ich vor, dich einem anderen Kollegium, so du gewählt wirst, unterzubringen. Die tresvirn in urbe purgandis?“
    schlug er scherzend als erstes das wohl unbeliebteste der Ämter hierbei vor. Straßenreinigung in einer Stadt wie Rom war weder eine einfache, noch eine besonders prestigeträchtige Arbeit. Die allerwenigsten Aspiranten meldeten ihren Wunsch speziell hierfür an.
    Allerdings ließ Sextus es als Scherz erkennen, indem er – was seltenst vorkam – breit lächelte. “Nein, diese vielleicht nicht. Aber ich denke, bei den decemviri litibus iucandis könntest du weit mehr Unrecht wieder gut machen, wenn du denjenigen zu ihrem rechtmäßigen Erbe verhilfst, die in diesem langen und blutigen Krieg einen Angehörigen verloren haben.“

    “Du meinst den Princeps Factionis?“ fragte Sextus kurz noch einmal nach, um sich etwas Bedenkzeit zu verschaffen. Er hatte sicherlich den Namen schon einmal gehört, aber wie lautete er? Die Purpurea war auch eine der Vereinigungen, bei der sein Klient Tiberius Lepidus anfragen sollte, daher hatte er sich den Namen des ranghöchsten Ansprechpartners gar nicht erst explizit gemerkt. War das der Helvetier gewesen, von dem er sonst noch nichts gehört hatte? Oder doch jemand anderes? Nein, es war jemand anderes. Der Matinier? “Ich meine, Senator Matinius, aber ich bin mir nicht gänzlich sicher. Und zumindest bei dem letzten größeren Rennen hatte sie den dritten Platz hinter der Russata und Aurata, wenn ich es recht erinnere. Aber das weißt du vermutlich besser als ich. Wie bereits gesagt, sind meine Kenntnisse des Rennsports eher... theoretischer Natur. Wobei ich auch nur wenig mehr Begeisterung für Gladiatorenspiele an sich aufbringen kann. Doch zumindest ist mir hier der sportliche Anteil etwas... greifbarer.“ Bei Gladiatorenkämpfen gab es klare Regeln, es gab Schiedsrichter, es gab sowas wie erkennbares Können bei den Protagonisten. Bei Wagenrennen gab es Pferde, die im Kreis liefen. Wobei Sextus dies so dem Vorsitzenden einer Factio wohl nicht sagen würde.


    Sextus sah an sich herunter, wo gerade das Thema Sport aufkam. Während des vergangenen Jahres und des Feldzuges hatte er abgenommen. Sichtbar. Zwar sah man seinem Körper an, dass er auf ihn achtete und trainiert hatte, aber was Muskelmasse anging war dort einiges verloren, was früher mehr hervorgestochen war. Er musste mehr essen, und mehr trainieren. “Wobei ich persönlich im Anschluss an unser Gespräch und das Bad hier wohl auch etwas greifbarerer dem Sport nachgehen sollte“, fügte er daher im leichten Plauderton noch an, ehe er sich wieder gänzlich dem Thema an sich widmete.
    “Auch habe ich überlegt, eventuell mehrere Fahrer jeder Factio zum Start zuzulassen, dass ein Rennfeld von zumindest sechs Fahrern hoffentlich erreicht wird. Ein Duell mag zwar auch sienen Reiz haben, aber ich denke, es ist erbaulicher für die Zuschauer, wenn sie möglichst vielen Fahrern zujubeln können.“

    So langsam bekam Sextus den Wunsch, sich die Schläfen zu reiben. So kurzsichtig konnte der Mann vor ihm doch gar nicht sein, dass er nicht einmal sah, was man ihm hier noch relativ schonend beizubringen versuchte. Er verdrehte vollständig den Inhalt von sextus Aussage.
    Notgedrungen und mit deutlich resignierendem Gesichtsausdruck erhob sich Sextus und schenkte dem Mann vor ihm nun doch einen offenkundig mitleidigen Blick. Die Anschuldigungen gegen ihn, die konnte er schon gar nicht mehr ernst nehmen.
    “Nun, ich war es nicht, der militärische Leistungen bei anderen bestritten hat. Natürlich haben die Decimer einst militärisch Rom gedient. Nur nicht in den letzten Jahren. Natürlich haben sie für Rom viel geleistet. Nur nicht in den letzten Jahren. Natürlich hast auch du dereinst viel getan. Nur... nicht in den letzten Jahren. Daher mutet es etwas vermessen an, zu erbitten, dass eben jene letzten doch so prägenden Jahre vergessen werden sollen, während die Jahre, die schon lange zurückliegen, und die auch nicht unbedingt nur ruhmvoll waren“ immerhin starb bei besagtem Feldzug auch ein Kaiser “doch bitte geehrt werden sollen. Zumindest, wenn diese Bitte so eindeutig nur zu Gunsten deiner Gens ist und durch dich vorgetragen wird.


    Auch geht es nicht um Schuldzuweisungen, vielmehr um fehlende Erklärungen. Ja, deine Nichte ist allem Anschein nach eine Frau. Und dennoch warst du nicht in der Lage, einer Frau aus deiner nahen Verwandtschaft Einhalt zu gebieten, oder sie dazu zu bewegen, in deinem Sinne ebenfalls von diesem Amt zurückzutreten. Nein, für das bisschen Macht, wie du es beschreibst, verschwor sie sich lieber gänzlich entgegen deinem Beispiel dem Vescularius.
    Und was deinen Sohn angeht, solltest du dich vielleicht entscheiden, was du sagen willst. Ist es also deine Aussage, dass er seinen Befehlen gehorchte, im Gegensatz zu jenen, die sich gegen Vescularius erhoben? Eben noch hast du gefordert, man hätte sich mit dir gegen Vescularius erheben sollen. Wenn aber dein Sohn es nicht tut, folgt er seinem Eid? Womit du indirekt all jene des Eidbruchs bezichtigst, die gegen ihn standen? Ist dies deine Aussage, dass wir, die wir auf der Seite Cornelius Palmas, unseres rechtmäßigen Kaisers, standen, wortbrüchig sind?


    Es ist sehr einfach, Taten durch Befehle zu rechtfertigen. Doch hattest du vorhin noch attestiert, deine Kinder zu selbständig denkenden Menschen erzogen zu haben, die folglich den Unterschied zwischen Recht und Unrecht hätten erkennen sollen. Und obgleich jeden Eides gibt es ebenso die Tugenden der Freundschaft und der Treue, des Gehorsams und Respektes des Vaters gegenüber, wie sie uns schon Aeneas gelehrt hat, als er seinen Vater aus dem brennenden Troja rettete. Bist du tatsächlich der Meinung, dass ein Eid es rechtfertigt, alte Freunde zu überfallen, zu verhaften, zu erniedrigen, zu töten? Sie nicht zu warnen, zu schützen? Und dies, weil der Feind des Vaters es einem befiehlt?
    Jeder Rücktritt von einem Amt unter so einem Menschen wäre ehrenvoll gewesen. Auch hier aufgrund der eigenen Machtgier und des vorgeschobenen Grundes eines Eides aber mit all dem zu brechen, das ist gewiss nicht ehrenvoll.


    Bevor du mich erneut falsch verstehst: Den Soldaten, die für Rom in die Schlacht zogen, denen mache ich keinen Vorwurf. Diese sind nicht alle die Söhne von Männern, die sich offen gegen Vescularius gestellt hatten. Diese sind nicht alle Männer, die hätten wissen können, dass ihr Handeln falsch war. Diese sind nicht alle Männer, die ganze Armeen befehligten und die die Wahl gehabt hätten, zu gehen. Die eine starke und wohlhabende Familie im Rücken hatten, die ihnen solch einen Rückzug auch finanzieren konnte.
    Und auch geht es nicht primär um deinen Sohn, Decimus, und ob das, was er getan hat, richtig oder falsch war. Auch dies darfst du nicht falsch verstehen.


    Es geht einzig und allein um dich, Decimus, und ob du geeignet bist, den Staat als Vorbild zu führen. Wenn aber noch nicht einmal der Consul bereit ist, Unrecht zu sehen, auf dass es wieder gut gemacht werde, wer soll es dann sehen? Wenn einem Consul noch nicht einmal die eigenen Kinder folgen, wie soll es dann das römische Volk? Wenn du so sehr überzeugt bist, dass all dies, was dein Sohn getan hat, doch im Grunde richtig war und über jede Kritik erhaben ist, wie kannst du dann noch anmahnen, dass niemand etwas gegen Vescularius früher unternommen hat?“


    Besäße Sextus wirklich so etwas wie Mitleid, hätte der Decimer es wohl sogar erhalten. Den Mann in Grund und Boden zu argumentieren, war noch nicht einmal Sextus ursprüngliche Intuition gewesen. Aber wenn es die offizielle Haltung der Decimi wäre, dass alle ihre Taten in der Vergangenheit zum Wohle Roms gewesen seien, dann konnte Sextus beim besten Willen nicht auch nur ansatzweise versöhnlich sein. Nichts auf der Welt rechtfertigte in seinen Augen den Angriff auf die weiblichen Teile seiner Familie. Nicht in der Art, wie sie vollzogen worden waren.


    “Kehre erst den Scherbenberg vor deiner eigenen Türe, Decimus, ehe du den Staub vor den Türen anderer anmahnst. Und sei vorsichtig mit deinen Anschuldigungen.“

    Am besagten Tag der Einladung hielt auch eine Sänfte vor der flavischen Villa, aus welcher heraus ein fein zurechtgemachter Aurelier mit akkurat gefalteter Toga stieg. Ein Sklave eilte schon vor zur Porta, um dort anzuklopfen und den Senator anzumelden, damit die Türe schon geöffnet sein würde, wenn dieser den Weg zu eben jener zurückgelegt hätte. Ein weiterer Sklave folgte Sextus mit einer etwas größeren Schriftrolle, die sich bei näherer Betrachtungsweise als der damals geschlossene Ehevertrag entpuppen würde. Um über eben jenen zu reden, sollte selbiger im Zweifelsfall ja auch vorliegen, um nachgelesen werden zu können. Wenngleich Sextus eben jenes nicht als unbedingt notwendig im Vorfeld erachtete. Es bestand berechtigter Grund zu der Annahme, ein recht freundschaftliches Gespräch führen zu können ohne größere Komplikationen. Aber Vorsicht war besser als Nachsicht.


    “Der ehrwürdige Senator Aurelius auf Einladung des ehrwürdigen Senators Flavius Gracchus“, hörte Sextus den Sklaven an der Porta nach dem Klopfen verkünden, während er gesittet langsam den kurzen Weg von Sänfte zu Porta beschritt.

    Eigentlich hatte Sextus eher Punkte ansprechen wollen, aber sein Klient fuhr sogleich fort und brachte das Gespräch zunächst auf die Spiele. Da dies aber ohnehin einer der Punkte war, die er anzusprechen gedachte, zog er diesen folglich einfach vor. “Das ist erfreulich. Die Russata wird ebenfalls teilnehmen. Die weiteren Factiones sind in der Tat etwas... ruhiger. Vielleicht wird ein öffentlicher Aushang ein bis zwei Wochen vor den Spielen sie noch zu einer eigenen Anmeldung verleiten. Ansonsten wird es wohl ein überschaubares Rennen. Wobei ich, so die Factiones die nötigen Fahrer habe, im Falle eines kleinen Rennfeldes auch zwei Aurigae wohl pro Factio zulassen würde. Zumindest fiele mir kein Grund ein, es in dem Falle nicht zu tun.


    Bezüglich der Aurata im Speziellen aber erwähntest du noch andere Dinge, die ich gerne mit dir besprechen würde. Zunächst einmal die Frage bezüglich meines Vetters: Ich kann dir hierzu versichern, dass er stets im Sinne der Factio gehandelt hätte und daher sicher nicht Gram wäre, wenn jemand den Vorsitz der Factio übernähme, der dieses Amt aktiv ausfüllen kann. Zumal er ja auch neu gewählt werden kann, sollte er vorzeitig genesen, da dieses Amt ja nicht mit einer bestimmten Laufzeit fest verbunden ist.“ Dieses war der leichtere Teil.


    “Allerdings möchte ich noch eine andere Sache ansprechen. Du erwähntest einen Decimus in deinem Schreiben. Wie nahe stehst du ihm?“

    Wäre das Thema an sich nicht so ernst, wäre es ja beinahe lustig, dass hier die Senatoren untereinander mehr diskutierten, als der Decimer, der sich eigentlich bewarb. Stattdessen meinte der alte Aelier, der ja wie andernorts gesagt worden war bald verschwägert mit dem jungen Burschen sein würde (was sein exorbitantes Plädoyer auch erklärte), in die Bresche springen zu müssen und statt dem eigentlich zur Befragung stehenden zu antworten. Woraufhin sich auch sogleich ein wildes Wortgefecht entspann. Sextus schüttelte kurz den Kopf.


    Ich würde gerne den Kandidaten noch etwas fragen“, meldete er daher eher vorsichtig schon an, bevor die nächsten Senatoren noch in wilde Wortgefechte ausbrachen und dabei die eigentliche Sache vergaßen. “Und ich hoffe doch, dass dieser für sich allein sprechen kann“, fügte er eher halblaut hinzu, aber durchaus so, dass Consular Aelius es hören mochte – sofern seine Ohren nicht schon taub waren.


    Zum Thema 'Ehre schon in der Wiege' erntete Senator Decimus nur einen vielsagenden Blick, der keines weiteren Kommentars bedurfte. “In welchem Amt bei den Vigintiviren siehst du dich am ehesten und weswegen? Wie denkst du, dass du dort das Unrecht durch deine Familie wieder schmälern kannst?“

    Bei den Göttern, was war das denn? War das tatsächlich ein Streit darum, wer hier zuerst dem anderen das Schäufelchen im Sandkasten über den Kopf gezogen hatte und wem das mehr weh getan hatte? Sextus sah schon beinahe mitleidig bei dem versuch des Decimers zu, hier zu sprechen. Der gewählte Weg des Mannes war aber wohl der denkbar schlechteste, den dieser hätte gehen können.
    “Aber Decimus, damit bekräftigst du doch nur, was zuvor gesagt wurde. Niemand bestreitet, dass du damals ein großer Kritiker warst. Eben das macht den Verrat deines Sohnes nur umso schlimmer, eben weil du so sehr gegen den Vescularius gepocht hast. Eben weil er besagten Prozess sogar gegen dich führte. Deine Familie hätte einen Vorbildcharakter gehabt. Aber sie hat ihn nicht erfüllt. Im Gegenteil, all das, was du soeben für dich als positiv in Anspruch genommen haben willst, all das hat sie aufs allerschändlichste verraten. All das hat sie in ihr Gegenteil verkehrt und dafür gesorgt, dass die Männer, die das getan haben, was du soeben gefordert hast, darunter auch ehrbare Männer der Gens Flavia, in Verbannung leben mussten, unter einem schwebenden Todesurteil standen und viele nur dadurch ihr Leben bewahren konnten, dass sie gingen. Nicht wie du, Rom den Rücken kehrend, alles vergessend, sondern vielmehr, um dieses Geschwür, das Rom befallen hatte, aus seinem Fleisch zu schneiden. Ja, es hat viel Blut gekostet, auch viel unschuldiges Blut. Ja, es war eine grausame Zeit, für alle. Aber die wenigsten haben diese Zeit im Luxus eines fernen Landgutes verbracht, auf eigene Entscheidung.


    Was genau erwartest du also, Decimus? Mitleid?“ Sextus sprach das Wort aus, als wäre es Gift auf seiner Zunge. Mitleid war so ziemlich das letzte, was ein gestandener Mann haben wollen sollte.
    “Du meintest vorhin, dass du auch deinen Sohn anhören würdest, wenn du über ihn richtest. Und versteh mich nicht falsch, das ist eine gute Einstellung. Jedes Gericht, sei es das väterliche oder ein öffentliches, sollte stets jede Seite anhören. Aber nach all dem, was du gerade soeben selbst beschrieben hast, was Vescularius dir getan hat, nach all dem, wie du gerade selbst deine Senatskollegen angegriffen hast, welche Rechtfertigung kann es da geben, dass deine nächste Familie sich vollständig von all dem abgewandt hat? Dass es genau deine nächsten Verwandten waren, die all das, was du hier anprangerst, durchgeführt haben? Die dafür gesorgt haben, dass die Männer, die sich gegen Vescularius stellten, verfolgt wurden und mit Lügen und Verleumdungen überschüttet?
    Einst waren unsere beiden Gentes recht eng einander in Freundschaft verbunden. Deine schon besagte Nichte war Klientin meines Vetters. Und doch kam dein Sohn persönlich in mein Haus, folterte meine Sklaven und verschleppte meine Cousine, anstatt sie wie es einer Frau ihres Standes zustand unter Hausarrest und Bewachung zu stellen.“
    Und genau das war auch der Punkt, den Sextus niemals verzeihen konnte, oder gar vergessen. Sextus war sicherlich kein Heiliger, und Sanftmut hatte ihm auch noch niemand vorgeworfen. Aber eine Frau von so dermaßen abwertend zu behandeln, wäre ihm niemals eingefallen. "Deinen früheren Freund Vinicius hat er, wie zuvor schon erwähnt, gefoltert und bei seiner Hinrichtung geholfen. Welche Freundschaft, die du geschlossen hast, hat er überhaupt bewahrt? Oder hat er sie alle zerschlagen und in Blut erstickt?" Es schien tatsächlich eher so, dass es gefährlich war, mit den Decimi befreundet zu sein.


    “Und wenn wir schon dabei sind... wärst du die letzten Jahre in Rom gewesen, hätte ich mich dir wohl kaum vorstellen müssen. Wärst du während der Kriegszeit auch nur in Rom gewesen, gleichgültig auf welcher Seite, würdest du wissen, dass es meiner Gens wahrlich nicht an militärischer Erfahrung fehlt. Mein Vetter Aurelius Ursus hat lange Jahre die Legio Prima geführt, auch bei der Schlacht von Vicetia, wo er im Dienst für Rom, und um all das Übel mutig abzuschaffen, was du soeben beschrieben hast, aufs schwerste verletzt wurde. Ich selbst habe als Tribun die zweite Legion geführt, nachdem Senator Claudius auf dem Weg schwer erkrankt war, und wurde davor noch jüngst hoch ausgezeichnet. Vielleicht hat meine Gens keinen Triumphator vorzuweisen, aber willst du nach all dem, was du soeben noch bemängelt hast, wirklich bestreiten, dass wir militärisch Rom gedient haben?


    Und nein, natürlich benötigt man kein kultisches Amt, um zu opfern. Allerdings sollte ein Consul eine gewisse Vorbildfunktion im Reich einnehmen, auch im kultischen Bereich. Und selbstverständlich kann man da auch ein gewissen Engagement über das absolut Notwendige hinaus erwarten.


    So aber habe ich nun nur einen Mann vor mir, der noch nicht einmal seine eigene Familie im Griff hat, dafür aber die Familien, die tatsächlich etwas getan haben, um den Usurpator zu besiegen und sich nicht nur auf Landgüter ruhig zurückgezogen haben, Rom nach eigenen Angaben den Rücken kehrten, nein, die Angehörige verloren haben und ihr Blut verloren haben für Rom – so ein Mann also, der genau diese Familien nun angreift und ihnen vorwirft, es nicht früher getan zu haben, wobei er selbst eben dies auch nicht getan hat.“
    Sextus sprach es nicht wütend, sondern lediglich als reine Feststellung, als würde er eine Einkaufsliste verlesen. Und hernach setzte er sich auch wieder hin. Seiner Meinung nach hatte der Decimer sich soeben wortreich selbst demontiert. Im Setzen fügte er beinahe lapidar noch an. “Ich an deiner Stelle würde mir eher Gedanken darum machen, die Gräben um deine Gens herum zu schließen, und weniger darum, wie viel du auf deinem Landgut leiden musstest, Senator.“

    Woher auch immer der Decimer zu wissen meinte, dass Sextus nicht mehr unter der Patria Potestas seines Vaters stand, und was auch immer dies damit zu tun hatte, dass ein Sohn auch außerhalb eben jener die Wünsche des Vaters zu ehren und zu respektieren hatte.
    “Nun, sollte ich eines Tages gegen alles eintreten, was mein Vater wünscht, seine Ziele und Pläne verraten und seine Freunde foltern und einem Schlächter überantworten, auf dass er sie umbringe, nun, dann hoffe ich ganz aufrichtig, dass jemand auch ein paar Worte an meinen Vater findet, eben damit er über mich richtet, wie die Sitte unserer Vorväter es uns vorgegeben hat. Und ich hoffe, dass er in dem Fall deutlichere Worte findet und nicht…mir beisteht. Und vor allen Dingen hoffe ich, dass er im Sinne meiner Gens dann auch fällige Entschuldigungen auszusprechen imstande ist.“
    In Sextus’ Denken war kein Platz für väterlich-liebevollen Beistand. Erst recht nicht, wenn die Vaterschaft ja ohnehin durch Adoption im Erwachsenenalter zustande gekommen war. Er konnte ja noch nachvollziehen, dass einige Männer gefühlsduselig wurden, wenn sie ihr eigenes Kind als Säugling im Arm gehalten hatten und sich an diesen hilflosen Zustand desöfteren erinnerten, auch nach der Mannwerdung des Kindes. Er war immerhin auch Vater, auch wenn er nicht so übertrieben reagieren würde wie der Decimer. Oder er seinen Sohn aus seiner Gewalt entlassen würde aus irgendeinem angeblichen Grund der Selbständigkeit. Individualität, was für ein Novum! Was für eine egoistische Welt würde aus diesem Prinzip nur entspringen?
    “Und dein Sohn hat Glück, dass ich sehr wohl die Staatsraison verstehe. Ansonsten wäre ich schon lange den Weg gegangen, den du vorgeschlagen hast. Nur bin ich nicht der, der im Zentrum der Verleumdung deines Sohnes stand, daher steht mir hier Klage nicht zu. Und ich bin auch nicht der, dessen Verwandter getötet wurde.“ Nur ein kleiner Seitenblick erfolgte in Richtung Vinicius Hungaricus, aber genug, auf dass man ihn bemerke.


    “Aber gut, bleiben wir bei deiner Person. Als Consul hast du gesagt, möchtest du Staatsopfer erbringen. Sehr löblich. Aber welches Engagement im Religiösen hast du sonst zuletzt gezeigt? Bist du Mitglied in einem Kult oder einem Gremium?
    Oder eine viel profanere Frage: Bist du, wie die Sitten unserer Vorväter es von höheren Amtsträgern verlangen, denn auch verheiratet?“

    Noch ein wenig tropfend folgte Sextus dem Consular in Richtung Becken. Sein Handtuch warf er noch mit einer lässigen Bewegung dem Sklaven hinter ihm zu und ließ die Holzsandalen am Rand stehen, um sich am beheizten Fußboden nicht die Füße zu verbrennen. Langsam ließ er sich in das handwarme Wasser gleiten und erst einmal so einweichen. Bequem lehnte er sich dazu zurück an den Beckenrand und hörte Purgitius zu.
    “Da ist deine Erfahrung definitiv größer als meine. Ich muss gestehen, dass ich bislang eher weniger die Rennen besucht habe und selbst auch keiner Factio angehöre, obgleich mein Vetter Ursus ja seinerzeit der Princeps der Factio Aurata war. Allerdings hoffe ich, dass du recht hast, und so die übrigen Factiones ebenfalls für dieses Rennen gewonnen werden können. Bei der Aurata bin ich zuversichtlich, aber ich denke, ein Rennen nur aus Russata und Aurata wäre doch etwas langweilig für die Zuschauer. Zumindest bei der Veneta bin ich aber durchaus sehr zuversichtlich. Auch die Purpurea war zuletzt aktiver. Zumindest bei den letzten Rennen, soweit ich das richtig im Kopf habe.“

    Was aus Nigrina wurde? “Soweit ich erfahren habe, hatte sie eine kurze Ehe mit einem von Vescularius' Günstlingen. Ein Fürstensohn irgendwo aus dem Osten, der aber im Laufe des Bürgerkrieges verstarb. Was weiter aus ihr wurde, weiß ich nicht.“ Um der Wahrheit die Ehre zu geben, interessierte es Sextus noch nicht einmal wirklich. Die Ehe mit Nigrina war sicherlich sehr angenehm gewesen und sie hatten viele Gemeinsamkeiten gehabt. Allerdings war dies eine politische Ehe, wie auch seine nächste Ehe eine solche sein würde. Da gab es für ihn keinen Grund, um Nigria als Person zu trauern.
    “Im Moment stehe ich in Verhandlungen mit der ein oder anderen etruskischen Familie und strebe eine Ehe für die nächsten fünf bis zehn Jahre zunächst einmal an. Meine Bindungen dorthin zu stärken angesichts meiner Berufung zum Haruspex Primus erscheint mir ratsam. Allerdings stehe ich auch anderen Angeboten bislang noch offen gegenüber, bis es endgültig entschieden ist.“ Und bis er mit den Flaviern gesprochen hatte. Davor etwas gänzlich fest zu machen, könnte später zu ungewollten Verwicklungen führen.


    Bei der Ämterwahl konnte Sextus im Grunde nur Nicken. Tresvir Capitalis. Gefängnisse, Todesurteile... dafür hatte er sich nie so recht erwärmen können. Nicht, dass er Skrupel hatte. Aber warum sich selbst die Hände schmutzig machen, wenn man Leute dafür auch bezahlen konnte? So viel Eifer, sich selbst mit Dreck und Blut zu beschmieren, hatte Sextus nie gehabt. Das war ihm einfach zu... direkt.
    Wenn aber sein Klient sich damit anfreunden konnte, würde er ihm nicht im Wege stehen. “Deine Wahl ist sicherlich eine ehrenvolle. Und dein Stand ist sicher auch dafür angemessen, diese Aufgabe mit der nötigen Strenge auszufüllen. Ich selbst war bei den decemviri, so wie es damals auch meinem Wunsch entsprach. Doch natürlich unterstütze ich auch deinen Wunsch, zu den tresviri capitales berufen zu werden.“


    Soviel also zum Anliegen des Tiberiers bezüglich seiner Wahl. Nun also konnte Sextus auf den weiteren Inhalt des Schreibens eingehen. “Du erwähntest in deinem Schreiben noch einige andere Punkte, über die ich gerne mit dir sprechen möchte“, eröffnete er also die 'Rückrunde' ihres kleinen Gespräches.

    Sehr schön, sehr schön. Sextus hörte sich die Rede seines Klienten an und nickte dann und wann zu dem ein oder anderen Punkt. Natürlich hatte der Tiberius den ein oder anderen Punkt nicht angesprochen. Allerdings war die Rede auch hinlänglich umfangreich und alles in allem wohl strukturiert, so dass Sextus über das Nichtbeachten der ein oder anderen Anmerkung aus ihrem Gespräch nicht wirklich enttäuscht war.
    Nachdem Flavius Furianus also ebenfalls ein Lob aussprach, erhob sich auch Sextus als schon angesprochener Patron, um seinem Klienten seine Unterstützung auch verbal zu gewähren.
    “Senatoren! Als mein Klient Tiberius Lepidus zu mir kam, um mit mir über seine Kandidatur hier und heute zu sprechen, war ich hoch erfreut. Trotz seiner Jugend ist er ein zielstrebiger und gewissenhafter Mann, der mit großem Pflichteifer jeder Aufgabe bislang nachgekommen ist. Ich bin sicher, dass er ebenso großen Eifer auch in einem Vigintivirat zeigen wird und so das ehrenvolle Erbe anderer großer Männer mit dem Namen Tiberius antreten wird.
    Ich gebe ihm meine Stimme und ich bitte euch, dasselbe zu tun.“

    Und der nächste Decimus, der den Senat von sich überzeugen wollte. Sextus hatte im Grunde genommen noch nicht einmal was gegen diesen Decimer persönlich. Der Mann war, wie er zu recht sagte, einer der ersten gewesen, die sich gegen Salinator ausgesprochen hatten. Allerdings hatte Sextus noch eine ziemlich gewaltige Rechnung mit dessen Sohn offen. Und Sextus beglich immer seine Schulden.


    “Während du also in Hispania warst“ erhob sich nun Sextus, um das Wort zu ergreifen und die Vorlage, die ihm der Flavier vorgab, bei dem er vor Urzeiten sein tirocinium fori abgeleistet hatte, gleich zu nutzen. “... hast du deinen Kindern freien Lauf gelassen in ihrem Tun, ohne die väterliche Fürsorge und ohne deine Wünsche ihnen mitzuteilen? Oder wie erklärst du dir, dass dein eigener Sohn - denn nichts anderes war Decimus Serapio durch die Adoption – “nichts unversucht gelassen hat, um dein Vermächtnis mit Füßen zu treten? Als du gingst, warst du bekanntermaßen der größte Kritiker des Usurpators. Und kaum warst du fort, heiratet deine eigene Nichte einen seiner größten Günstlinge; dein Sohn steigt empor als Praefectus Praetorio und... ja? Was? Hilft deinem einstigen angeblichen Feind, noble Familien dieser Stadt auszulöschen und zu verleumden, vor allen Dingen mit Hilfe deiner Nichte, die bezeichnenderweise die Acta leitet. Verbreiten Lügen über diverse Consulare. Dein Sohn ließ selbst Consular Vinicius Lucianus foltern! Ich mag mich irren, aber war dieser nicht ein langjähriger Freund von dir?
    Also frage ich dich, Senator Decimus, wie also soll ich dir vertrauen, eben jenen Frieden und Ordnung zu bringen, von dem du sprachst, wenn du noch nicht einmal jenes in deiner Familie herstellen kannst? Wenn noch nicht einmal die dir Anbefohlenen deinen Willen respektieren? Wie kannst du darum bitten, dass die Wunden vergessen werden, die geschlagen wurden, wo es doch maßgeblich auch deine Familie war, die dabei geholfen hatte, sie zu schlagen?“

    Unter den vielen Reden kam dann doch eine, zu deren Inhalt sich Sextus doch bemüßigt fühlte, etwas zu sagen. Kurz hatte er noch überlegt, zu schweigen, um sein bislang recht gutes Verhältnis zu Consular Purgitius und die weitere Zusammenarbeit mit eben jenem nicht zu gefährden. Auf der anderen Seite überraschte es wohl auch den Consular nicht, wenn jemand einen Decimer nach der etwas jüngeren Vergangenheit etwas ausgiebiger und auch kritischer befragte. Immerhin hatten diese in eben jener eine nicht gerade unauffällige Rolle gespielt.


    Den Zuspruch von Consular Decimus ignorierte Sextus da schon geradezu. Immerhin waren die beide recht eng verwandt, da war es ja wohl selbstverständlich, dass der Consular seinen verwandten zu protegieren versuchte. Und nicht unbedingt ein besonderer Beweis irgendeiner Eignung.
    Sextus wartete die kleine Meldung also ab und erhob sich nun seinerseits aus der Riege seiner Vertrauten und Verbündeten, um das Wort zu ergreifen. “Verstehe ich dich also recht, junger Decimus, dass du die Verhaltensweise deiner Verwandten nicht nur rechtfertigst, sondern sogar befürwortest? Und damit meine ich nicht nur den Krieg und ihre Rolle in eben jenem traurigen Kapitel unserer Geschichte, sondern vielmehr die anderen Dinge. Wie die Verbreitung von infamen Lügen über ehrenwerte Mitglieder des Senats wie Consular Tiberius und nicht zuletzt unseren Kaiser? Die Gefangennahme und Verschleppung hochrangiger Frauen? Und über alles die Festnahme und Folter von dem ehrenwerten Consular Vinicius Lucianus, entgegen unserer Gesetze und den Sitten der Vorväter, nur noch übertroffen durch die ebenso widerrechtliche Hinrichtung desselben durch den Usurpator Vescularius, um dessen nun dem ganzen Volk bekannte Verbrechen zu verschleiern?
    Welche Opfer also hat deine Familie gebracht, verglichen mit diesen Verbrechen? Du wirst die Ehre, eine Tochter den Vestalinnen zu übergeben, nicht ernsthaft mit der Verbannung und Tod gleichsetzen wollen, wie sie viele Familien in jüngster Zeit erdulden mussten.“

    Ah, den Burschen kannte Sextus doch. Das war der Iulius, der damals so sehr auf seinen dummen Schiffszoll gepocht hatte und dabei ganz fürchterlich schlechte Recherchen geführt hatte, so dass er den Aureliern irgendwelche Dinge in Rechnung stellen wollte, die gar nicht zu ihnen gehörten. Schiffe, die teilweise schon vor Jahren gesunken waren! Und es war eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, dass damals er selbst den Sachverhalt hatte nachprüfen und so die ungerechtfertigten Forderungen zurückweisen müssen, anstatt dass der Iulier seine Arbeit vernünftig gemacht hatte.
    Allerdings war das lange her. Abgesehen davon hatte sich Sextus unlängst dafür revanchiert, indem er den Iulier ein paar Tage eine Gefängniszelle von innen hatte beschauen lassen. Sofern das dem Burschen eine angemessene Lehre war, hatte Sextus keinen weiteren Grund, gegen ihn vorzugehen. Also winkte er zu der Rede einfach nur ab, um sich die weiteren Reden anzuhören.


    Sextus Aurelius Lupus Senatori Flavio Graccho s.d.


    In letzter Vergangenheit kam ich leider nicht dazu, mit dir Kontakt aufzunehmen. Ich hoffe, du und die Deinen haben sich von den Schrecknissen der vergangenen Monate soweit wieder erholt und du hast die Zeit für ein Treffen mit mir.
    Es steht noch die Mitgift Flavia Nigrinas im Raum, über deren Rückabwicklung nach ihrer Scheidung von mir ich gerne mit dir in loco parentem sprechen würde. Dies erscheint mir einfacher als lange Reisen und Kontaktaufnahmen zu ihrem Vater, wo es so weit unbürokratischer wird abgewickelt werden können. Desweiteren möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich mit dir noch einmal auszutauschen und die guten und langjährigen Beziehungen unserer beider Gentes so erneut aufblühen zu lassen.
    Gerne würde ich dich hierzu zur Cena einladen, aufgrund des rechtlichen Charakters der Mitgiftfrage sehe ich es aber als statthafter, wenn ich hierfür die Villa Flavia besuche. Allerdings überlasse ich die Entscheidung hierüber gerne dir als erfahreneren Mann von uns beiden.


    Darüber hinaus habe ich noch eine persönlcihe, kleine Bitte. Einer meiner Klienten, Tiberius Lepidus, ein entfernter Verwandter unserer beider Freund Tiberius Durus, wird dich in den nächsten Tagen um einen Termin bitten, um sich dir kurz vorzustellen, Kontakt zu deiner Gens zu knüpfen und dich um dein Wohlwollen zu seiner Kandidatur zum Vigintivir zu bitten. Er ist ein tüchtiger, junger Mann voller Pietas und Pflichtgefühl, und ich bitte dich, empfange ihn und höre ihn an, damit du dich selbst von seiner Eignung überzeugen kannst.


    Vale