Bei den Göttern, was war das denn? War das tatsächlich ein Streit darum, wer hier zuerst dem anderen das Schäufelchen im Sandkasten über den Kopf gezogen hatte und wem das mehr weh getan hatte? Sextus sah schon beinahe mitleidig bei dem versuch des Decimers zu, hier zu sprechen. Der gewählte Weg des Mannes war aber wohl der denkbar schlechteste, den dieser hätte gehen können.
“Aber Decimus, damit bekräftigst du doch nur, was zuvor gesagt wurde. Niemand bestreitet, dass du damals ein großer Kritiker warst. Eben das macht den Verrat deines Sohnes nur umso schlimmer, eben weil du so sehr gegen den Vescularius gepocht hast. Eben weil er besagten Prozess sogar gegen dich führte. Deine Familie hätte einen Vorbildcharakter gehabt. Aber sie hat ihn nicht erfüllt. Im Gegenteil, all das, was du soeben für dich als positiv in Anspruch genommen haben willst, all das hat sie aufs allerschändlichste verraten. All das hat sie in ihr Gegenteil verkehrt und dafür gesorgt, dass die Männer, die das getan haben, was du soeben gefordert hast, darunter auch ehrbare Männer der Gens Flavia, in Verbannung leben mussten, unter einem schwebenden Todesurteil standen und viele nur dadurch ihr Leben bewahren konnten, dass sie gingen. Nicht wie du, Rom den Rücken kehrend, alles vergessend, sondern vielmehr, um dieses Geschwür, das Rom befallen hatte, aus seinem Fleisch zu schneiden. Ja, es hat viel Blut gekostet, auch viel unschuldiges Blut. Ja, es war eine grausame Zeit, für alle. Aber die wenigsten haben diese Zeit im Luxus eines fernen Landgutes verbracht, auf eigene Entscheidung.
Was genau erwartest du also, Decimus? Mitleid?“ Sextus sprach das Wort aus, als wäre es Gift auf seiner Zunge. Mitleid war so ziemlich das letzte, was ein gestandener Mann haben wollen sollte.
“Du meintest vorhin, dass du auch deinen Sohn anhören würdest, wenn du über ihn richtest. Und versteh mich nicht falsch, das ist eine gute Einstellung. Jedes Gericht, sei es das väterliche oder ein öffentliches, sollte stets jede Seite anhören. Aber nach all dem, was du gerade soeben selbst beschrieben hast, was Vescularius dir getan hat, nach all dem, wie du gerade selbst deine Senatskollegen angegriffen hast, welche Rechtfertigung kann es da geben, dass deine nächste Familie sich vollständig von all dem abgewandt hat? Dass es genau deine nächsten Verwandten waren, die all das, was du hier anprangerst, durchgeführt haben? Die dafür gesorgt haben, dass die Männer, die sich gegen Vescularius stellten, verfolgt wurden und mit Lügen und Verleumdungen überschüttet?
Einst waren unsere beiden Gentes recht eng einander in Freundschaft verbunden. Deine schon besagte Nichte war Klientin meines Vetters. Und doch kam dein Sohn persönlich in mein Haus, folterte meine Sklaven und verschleppte meine Cousine, anstatt sie wie es einer Frau ihres Standes zustand unter Hausarrest und Bewachung zu stellen.“ Und genau das war auch der Punkt, den Sextus niemals verzeihen konnte, oder gar vergessen. Sextus war sicherlich kein Heiliger, und Sanftmut hatte ihm auch noch niemand vorgeworfen. Aber eine Frau von so dermaßen abwertend zu behandeln, wäre ihm niemals eingefallen. "Deinen früheren Freund Vinicius hat er, wie zuvor schon erwähnt, gefoltert und bei seiner Hinrichtung geholfen. Welche Freundschaft, die du geschlossen hast, hat er überhaupt bewahrt? Oder hat er sie alle zerschlagen und in Blut erstickt?" Es schien tatsächlich eher so, dass es gefährlich war, mit den Decimi befreundet zu sein.
“Und wenn wir schon dabei sind... wärst du die letzten Jahre in Rom gewesen, hätte ich mich dir wohl kaum vorstellen müssen. Wärst du während der Kriegszeit auch nur in Rom gewesen, gleichgültig auf welcher Seite, würdest du wissen, dass es meiner Gens wahrlich nicht an militärischer Erfahrung fehlt. Mein Vetter Aurelius Ursus hat lange Jahre die Legio Prima geführt, auch bei der Schlacht von Vicetia, wo er im Dienst für Rom, und um all das Übel mutig abzuschaffen, was du soeben beschrieben hast, aufs schwerste verletzt wurde. Ich selbst habe als Tribun die zweite Legion geführt, nachdem Senator Claudius auf dem Weg schwer erkrankt war, und wurde davor noch jüngst hoch ausgezeichnet. Vielleicht hat meine Gens keinen Triumphator vorzuweisen, aber willst du nach all dem, was du soeben noch bemängelt hast, wirklich bestreiten, dass wir militärisch Rom gedient haben?
Und nein, natürlich benötigt man kein kultisches Amt, um zu opfern. Allerdings sollte ein Consul eine gewisse Vorbildfunktion im Reich einnehmen, auch im kultischen Bereich. Und selbstverständlich kann man da auch ein gewissen Engagement über das absolut Notwendige hinaus erwarten.
So aber habe ich nun nur einen Mann vor mir, der noch nicht einmal seine eigene Familie im Griff hat, dafür aber die Familien, die tatsächlich etwas getan haben, um den Usurpator zu besiegen und sich nicht nur auf Landgüter ruhig zurückgezogen haben, Rom nach eigenen Angaben den Rücken kehrten, nein, die Angehörige verloren haben und ihr Blut verloren haben für Rom – so ein Mann also, der genau diese Familien nun angreift und ihnen vorwirft, es nicht früher getan zu haben, wobei er selbst eben dies auch nicht getan hat.“
Sextus sprach es nicht wütend, sondern lediglich als reine Feststellung, als würde er eine Einkaufsliste verlesen. Und hernach setzte er sich auch wieder hin. Seiner Meinung nach hatte der Decimer sich soeben wortreich selbst demontiert. Im Setzen fügte er beinahe lapidar noch an. “Ich an deiner Stelle würde mir eher Gedanken darum machen, die Gräben um deine Gens herum zu schließen, und weniger darum, wie viel du auf deinem Landgut leiden musstest, Senator.“