Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Natürlich verstand Sextus die Bedenken des Tiberiers bezüglich seiner Anwesenheit in Rom. Es hatte schon einen seltsamen Beigeschmack, dass der junge Mann hier in dem Haus weiterhin gewohnt hatte, in dem der Rest seiner Familie regelrecht niedergemetzelt worden war. Genaues wusste ja keiner, aber die Gerüchte gingen von einem einfachen Selbstmord der in der Villa Anwesenden zum damaligen Zeitpunkt bis hin zu einem wilden Gefecht mit Salinators Skythen, die selbst eine junge Tiberia, deren Namen Sextus schon lange wieder vergessen hatte, zerhackstückelt und ins Impluvium geworfen haben sollen. Die Wahrheit lag vermutlich irgendwo dazwischen.
    “Ich meinte nicht, dass du dich rechtfertigen sollst. Das sicher nicht. Aber gar nichts zu dem Thema zu sagen bedeutet gleichfalls auch, dass die Senatoren sich ihren Teil darüber denken.
    An deiner reinen Anwesenheit ist aber nichts verwerfliches zu finden, sofern du es auch gut verkaufst. Du könntest beispielsweise sagen...“
    Sextus überlegte einen Moment, wie man derlei am besten in weiche Worte verpackte, die niemand zu anstößig finden würde. Trotz der Gewalt und es Terrors des Usurpators verblieb ich in Rom, wo ich gemeinsam mit so vielen anderen die Schrecken des Bürgerkrieges, der hoffentlich bald vergessen sein wird, erlebt habe. Dabei sah ich es als meine Pflicht als Patrizier, nicht nur den Namen und das Ansehen meiner Familie zu bewahren, sondern in diesen schweren Zeiten dem Volk als Vorbild zu dienen und es in Zeiten der Entbehrung durch Brotspenden und andere meinem Stand angemessene Wohltätigkeiten zu unterstützen. … Vielleicht nicht ganz so voluminös vorgetragen. Aber ich denke, du verstehst den Kern des Vorschlages.“
    Natürlich konnte der Tiberier den Vorschlag auch ignorieren und das tun, was er für das Beste hielt. Immerhin war es auch er, der gewählt werden wollte. An einem Satz mehr oder weniger würde die Wahl vermutlich ohnehin nicht hängen. Allerdings fand Sextus die Variante mit ein paar Worten über erlittene Entbehrungen und geteiltes Leid nicht gänzlich fehl am Platz.


    Als das Gespräch auf die Flavier schließlich kam, nickte Sextus bedächtig. “Ich muss mit Senator Flavius ohnehin zeitnah selbst ein Gespräch suchen. Wie du vielleicht weißt, hat sich meine Frau Flavia Nigrina zu der Zeit, in der ich unter er Proskription des Usurpators stand, von mir scheiden lassen. Vor einer erneuten Eheschließung meinerseits werde ich also evenuelle Missverständnisse hier noch ausräumen, um die langjährigen guten Beziehungen unserer beider Gentes fortzuführen.“ Sextus war nicht wütend auf Nigrina und auch nicht auf die Flavier. Sie hatte getan, was sie für das beste hielt – auch wenn das Sextus zweitem Sohn (und er war überzeugt, das Kind wäre ein solcher geworden) das Leben gekostet hatte, ehe jenes angefangen hatte. Jetzt aber musste Nigrina mit den Konsequenzen ihres Handelns leben. Fernab von Rom und dem Luxus, den sie so geschätzt hatte. Und Sextus hatte Kapazitäten für friedlichen Machtgewinn durch Heirat gewonnen. Nun mussten also lediglich die Flavier davon überzeugt werden, dass er tatsächlich nicht grollte und die guten Beziehungen mit lebendem Ankerpunkt in seinem Sohn Lucius aufrecht zu erhalten gedachte. Das, und die kleine Sache der Rückzahlung der Mitgift.
    “Daher kann ich ihm dein Kommen ankündigen und dir dahingehend den Weg etwas auch ebnen. Dabei fällt mir aber ein: Für welches Amt bei den Vigintiviren hast du dich denn im Speziellen beworben?“

    “Ja, ich habe dein Schreiben erhalten und auch mit Interesse gelesen und werde auf die darin von dir vorgetragenen Dinge später auch eingehen“, bestätigte Sextus zunächst, ehe er sich der Beantwortung der eigentlich wichtigeren Frage widmete. Immerhin war das Vigintivirat der Einstieg in die politische Laufbahn, und damit der Weg zu mehr Einfluss seines Klienten und damit letztlich auch ihm selbst. Und zumindest letzterer lag Sextus ernsthaft am Herzen.
    “Die Senatoren einzig und allein in einer Rede zu überzeugen, ist nicht einfach. Ich habe es damals als sehr nützlich empfunden, mit dem ein oder anderen Senator auch vor der Wahl noch zu sprechen und da persönlich um ein wohlwollendes Gehör zu bitten. Insbesondere böten sich so vor allem alteingesessene Senatoren an, wie Purgitius, Vinicius und – wenngleich ehemaliger Klient des Usurpators – Octavius. Als Patrizier pflegst du wahrscheinlich ohnehin ein angemessenes Verhältnis zur Gens Flavia, sonst bietet sich dort natürlich auch ein Gespräch an.
    In der Senatsrede selbst solltest du nicht zu viel versprechen. Es ist ein politisches Einstiegsamt, kein Consulat. Niemand erwartet von einem Vigintivir irgendwelche Gesetzesvorschläge, vor allem, da er ohnehin bei selbigen kein Mitentscheidungsrecht hätte und es als anmaßend gelten könnte.
    Allerdings solltest du deine bisherigen Dienste durchaus betonen. Von dir gestaltete Feiertage beispielsweise, dein Engagement im religiösen Bereich – allerdings ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Die meisten Senatoren empfinden dieses Thema leider als sehr trocken. Dann solltest du unbedingt erwähnen, dass du neben deinen Aufgaben als Vigintivir mithilfst, munera für Tiberius Lepidus auszurichten. Betone ruhig ein wenig die Tradition und die Ehre hierbei.
    Wenn du sonstige Aufgaben bereits erledigt hast, Erfahrungen in der Verwaltung, ein tirocinium fori oder dergleichen, sollte jenes auch erwähnt sein. Rede ruhig ausführlich und fülle die Zeit, die dir für deine Rede gegeben wird. Solange du mit deinen Worten nicht bei Romulus und Remus zu erzählen beginnst, solltest du in deiner Eingangsrede am besten gleich die möglichen Fragen zu dir beantworten, ehe sie gestellt werden.
    Vielleicht wäre in diesem Zusammenhang auch das ein oder andere Wort der Erklärung gut, weshalb du in den vergangenen Kriegstagen in Rom verweiltest.“

    Auch dieses Mal war die Prozedur nicht viel anders als bei anderen Salutationes: Man bekam ein Getränk angeboten, eine Kleinigkeit zu essen und musste etwas warten. Dieses Mal aber nicht so lang wie das letzte Mal, denn schon nach kurzer Zeit wurde Tiberius Lepidus vorgewunken ins Tablinum, wo auch schon der Hausherr auf ihn wartete.
    “Ah, Tiberius. Was führt dich heute zu mir?“ begann Sextus mit den üblichen Floskeln des Gesprächsbeginnes, um seinem Klienten erst einmal die Möglichkeit zu geben, seine Anliegen vorzubringen. Immerhin war es auch die Pflicht eines Patrones, sich diese Anliegen anzuhören, und nicht nur eigene Arbeit so günstig zu deligieren zu können.
    Und vielleicht die ein oder andere Anmerkung zu machen. Beispielsweise zu bestimmten Briefen, die vor einigen Tagen in seiner Tageskorrespondenz gelandet waren und zu welchen Sextus definitiv noch etwas anmerken wollte.

    Dem Consular folgend tat Sextus dem Mann gleich und wusch sich langsam und gründlich die Arme in Vorbereitung auf das eigentliche Bad. Im Hintergrund heulte immer wieder der arme Trottel auf, der sich die Haare von der Brust reißen ließ, was nach jedem Schrei in einer ganzen Reihe sehr farbenfroher Beschimpfungen mündete. Soweit als möglich, versuchte Sextus das zu ignorieren und sein Gespräch ruhig fortzusetzen.
    “Hierbei hast du ganz sicher recht. Ich habe im Gegensatz zu dir keine Erfahrungen über das Leben in der Stadt zu dieser Zeit, nahm allerdings aufgrund der Handelsblockade wohl an, dass die Nahrungsmittel sehr knapp waren. Da wäre es nicht das erste Mal, dass das ein oder andere auch wertvolle Tier geschlachtet worden wäre, oder im Vorfeld für den Feldzug eingezogen.
    Allerdings trifft dies, wie du schon richtig bemerkt hast, auch auf die Fahrer zu. Die Einschränkungen und die Einziehungen, versteht sich, nicht das Geschlachtetwerden aus Nahrungsmittelgründen.“

    Inzwischen fühlte sich Sextus auch ausreichend nass und sauber, um etwas weiter zu gehen. Immerhin wollte er nicht hier an den Waschbecken schon vollständig aufweichen. Das 'Opfer' im Hintergrund hatte wohl auch inzwischen genug und den Haarausreißer wieder weggescheucht. Allerdings zu einem nicht ganz günstigen Zeitpunkt, wie ein kurzer Blick hinüber offenbarte, denn dieser war mit seiner Arbeit ganz offensichtlich nicht fertig geworden. Lediglich ein Streifen mit darunterliegender sehr weißer Haut lief quer über die doch sehr behaarte Brust eines Thermenbesuchers, gesprenkelt von ein, zwei Blutströpfen, was dem noch immer Schimpfenden entfernte Ähnlichkeit mit einem Dachs oder einem dieser seltenen Streifenhörnchen aus Asia verlieh.
    “Bezüglich der Albata habe ich auch keine Neuigkeiten. Ihre Inaktivität mag an ihrem Vorsitzenden liegen und seiner langjährigen Abwesenheit in Aegyptus. Auf die Entfernung lässt sich wohl keine Factio vernünftig lenken.
    Auch von den anderen Factiones ist bislang der Rücklauf recht ernüchternd. Ich hoffe ja noch, dass sich hier noch mehr Begeisterung entwickelt. Das letzte Rennen ist immerhin auch schon eine lange Zeit her. Man sollte meinen, die Rennställe wären dahingehend ungeduldiger, ihr Können einmal wieder auf die Probe zu stellen.“

    Nachdem so nach und nach die Mitglieder des Collegiums eingetrudelt waren und noch eine Weile auf eventuell später kommende Salier gewartet worden war, konnte die Sitzung im Grunde losgehen. Sextus hatte sowohl seinen früheren Schwippschwager Flavius Gracchus gesehen und kurz mit einem Nicken gegrüßt – was ihn an der Stelle auch daran erinnerte, dass er mit dem Mann noch einmal ein privates Vier-Augen-Gespräch suchen sollte – als auch seinen Klienten Tiberius Lepidus. Auch waren einige andere ihm bekannte Gesichter anwesend, wenngleich sichtlich nicht alle Salier dem Aufruf gefolgt waren. Sei es drum, mehr als einladen konnte ein Mensch wohl kaum. Und sicherlich hatten einige dieser Männer auch einen guten Grund, zu fehlen, den gewaltsamen Tod mit eingeschlossen.
    Folglich erhob sich Sextus nach der Wartezeit auch und begann die Sitzung der Salier. “Werte Sodales. Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass ich euch heute alle hierher eingeladen hatte, wo dies doch sonst nur dem Magister unserer ehrenwerten Sodalität zusteht. Allerdings wurde mein Verwandter Aurelius Avianus, der dieses ehrenwerte Amt innehatte, im Zuge der frühen Greueltaten des Usurpators Vescularius getötet – und wenn ich meinen Blick hier durch die Reihen dieses Gremiums schweifen lasse, muss ich hinzufügen, dass dieses Schicksal wohl leider nicht nur ihn allein ereilt hat.
    Als sein Verwandter übernahm also ich diese Einladung als letzte Pflicht und in aller Bescheidenheit, nicht als Anmaßung eines Amtes, welches mir nicht zusteht und von den Mitgliedern dieser Sodalität im Laufe der heutigen Sitzung auch gewählt werden sollte.


    Zunächst einmal gibt es allerdings auch eine erfreuliche Nachricht: Trotz aller Irrungen und Wirrungen des Bürgerkrieges gibt es immernoch junge Männer, die um Kooptation bittend an uns herantreten. So auch der ehrenwerte Tiberius Lepidus, an welchen ich nach dieser kurzen Einführung über das wie und wieso dieses Treffens gerne das Wort übergeben möchte.“
    Vielleicht wäre es orthodoxer gewesen, erst einen neuen Magister zu wählen, und dann neue Mitglieder aufzunehmen. Da eine Diskussion über den ersteren Punkt allerdings im Allgemeinen länger dauerte als eine solche über den letzteren, hatte sich Sextus diese Freiheit in diesem Falle erlaubt.


    Sextus Aurelius Lupus s.d.


    In Stellvertretung meines Vetters Tiberius Aurelius Avianus, vor seinem Tod Magister der Salii Palatini, berufe ich eine Vollversammlung aller Salier in den Räumen unserer Sodalität ein.
    Unter anderem sind folgende Tagesordnungspunkte zu klären:
    1. Lucius Tiberius Lepidus erbittet die Kooptation und stellt sich hierfür der Sodalität vor.
    2. Die Wahl eines neuen Magisters


    Im Grunde hatte Sextus gar nicht die nötige Zeit dafür, die Sodalität der Salier einzuberufen. Da es aber nunmal sein Vetter war, der vor seinem Tode hier Magister gewesen war, war es eine Art gentischer Erbschaft, es in diesem Falle doch zu tun. Und so hatte Sextus die Einladungen an die übrigen auffindbaren Mitglieder der Sodalität verschickt und hoffte auf deren Erscheinen. Ein paar seiner Sklaven hatten den Saal dafür am Vorabend hergerichtet und vor allen Dingen nach der langen Zeit gründlich gesäubert, so dass man sich auch gesittet unterhalten konnte.
    Der Platz des Magisters der Sodalität blieb nun natürlich frei. Sextus hatte in aller Frühe den Platz direkt daneben eingenommen, um das Anfangsgeplänkel in Stellvertretung ebenso zu übernehmen, bis ein neuer Magister gewählt wäre. Irgendeiner musste ja anfangen. Anbetracht dessen, was Sextus zum Ende dieser Sitzung plante, vielleicht nicht die beste Wahl, allerdings gab es augenfällig ohnehin keine andere Möglichkeit.


    Also wartete Sextus auf das Eintreffen der übrigen Mitglieder. Und natürlich das seines Klienten.

    Traurig? Das war jetzt nicht unbedingt das Wort, welches Sextus in den Sinn gekommen wäre. Sollte der Tiberier auf die Idee verfallen, ihm in den Rücken zu fallen, würde Sextus nicht einen Moment der Trauer darüber verspüren. 'Eiskalte Wut' wäre da die weitaus passendere Begrifflichkeit, auch wenn Sextus einem Gefühl welcher Art auch immer nie gestatten würde, seinem logischen denken entgegenstehen. Nein, schon allein aus Gründen des Prinzips – und nicht verletzter Eitelkeit wegen – würde er in einem solchen Fall sehr berechnend den Tiberier so verscharren, dass der Kopf hier gefunden werden würde und die Beine halt wo anders.
    Allerdings gab es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, derartiges anzunehmen. Müsste Sextus selbiges befürchten, wäre es nicht ratsam, solch einer Person überhaupt Unterstützung zu gewähren, was er ja hier und heute ganz offensichtlich getan hatte. Und mit Erfolg, wie es sich soeben gezeigt hatte. “Ich würde dir nie einen Mann empfehlen, von dessen Eignung ich nicht überzeugt wäre, mein Kaiser“, meinte Sextus noch kurz unterstützend, ehe der Tiberier mit seinem zweiten vorhaben herauskam.
    Auch hier brachte der Aurelier sein Befürworten dieses Vorgehens zum Ausdruck. “In der Tat wäre dies ein schöner Höhepunkt solcher Leichenspiele. Und würde sonst nur zu ihren Feiertagen bedachte Gottheiten, wie auch Tiberinus, etwas Aufmerksamkeit schenken, was zur Pax Deorum sicherlich nur beitragen kann. Vor allem verbunden mit einem Opfer, das der gute Tiberius hier sicherlich gern ebenso gut durchführen könnte wie das zuvor erwähnte, von ihm vorbereitete Opfer bei deinem Amtsantritt.“

    Nach der Wahl gab es natürlich noch weitere Diskussionen. Die längste galt der frage, ob die Herrschaft des Corneliers ein neues Saeculum einläutete oder nicht. Es war ganz eindeutig, dass der Bürgerkrieg einen Wendepunkt darstellte und eine wichtige, geschichtliche Marke setzen würde. Soviel war unstrittig. Und da man sich vor dem Krieg darauf geeinigt hatte – nicht ohne ein wenig Nachhilfe von Sextus selbst – dass die Zeichen den Cornelius präferierten, blieb die Frage, ob wirklich ein neues Zeitalter nun angefangen hatte.
    Allerdings war diese Frage ganz und gar nicht einfach zu beantworten. Die letzten Säkularfeiern waren unter Domitian gewesen, und das war erst 22 Jahre her. Allerdings hatte dieser Kaiser auch nicht die eigentliche Wartezeit von 110 Jahren abgewartet, ebensowenig wie Claudius vor ihm. Ausgehend von den Säkularfeiern des Augustus aber war die Zeitspanne allerdings verstrichen. Zumindest unter der Maßgabe, dass Handlungen der Menschen die von den Göttern festgelegten Zeitspannen um bis zu zehn Jahre verlängern oder verkürzen konnten.


    Jedoch verstanden die Römer den Sinn der Säkularsfeiern ohnehin nicht richtig und hatten sie für ihre Zwecke entfremdet. Im ursprünglichen Sinne war ein Saeculum eine vollständige Generation, ein Menschenleben. Wenn niemand mehr lebte, der den Beginn des letzten Saeculums erlebt hatte, begann das nächste. Das Problem war nur: Die Anzahl an Seacula war begrenzt. Die Götter hatten jeder Stadt, jeder Nation, nur eine gewisse Anzahl an Seacula zugedacht. Waren diese verbraucht, ging das Reich unweigerlich unter. Das Etruskerreich hatte zehn Saecula von den Göttern erhalten, und als diese aufgebraucht waren, waren die Römer gekommen und hatten weite Teile erobert, bis die Haruspices nachgerechnet hatten und die Obersten ihrer Städte davon in Kenntnis gesetzt hatten, dass die Zeit ihres Reiches unweigerlich vorbei war.
    Daher war die Hemmschwelle groß, der augusteischen Rechnung der Seacula zu folgen und ein neues zu verkünden, denn dieses war dann eines näher am Untergang des römischen Reiches.


    Kurzum, es musste da noch viel weiterdiskutiert werden. Allerdings an einem anderen Tag.



    Sextus nutzte also das Ende der Besprechung schließlich, um sich mit seinem alten Freund Marcus Cilnius Minor weiter zu reden. Und da eine Angelegenheit zu besprechen, die ihm ebenfalls am Herzen lag.
    Nach dem üblichen Geplänkel und der Rekapitulation der vorangegangenen Debatten kam Sextus, an eine Säule lehnend, also zur Sache.
    “Aber sag, Minor, wie geht es eigentlich deiner jüngsten Schwester? Ich meine... Attilia?“
    “Ich glaube, du meinst Romola. Attilia heißt meine Frau. Aber beiden geht es sehr gut. Meine Schwester ist sehr glücklich in ihrer Ehe, und wird gerade zum dritten Mal Mutter. Es ist furchtbar, sie war eine so zierliche Person, und jetzt sieht sie aus wie ein in der Sonne gegangener Teig...“
    Sextus überlegte kurz. Glückliche Ehe klang schlecht für sie Vorhaben. “Ich hatte überlegt, deinen Vater zu fragen, ob sie nicht mich heiraten könnte, zur Stärkung unserer Verbindung.“
    Minor sah Sextus zweifelnd an und atmete langgezogen aus. “Ich denke, das wird wenig Erfolg haben. Wie gesagt, ihre Ehe ist sehr glücklich, und Vater diesbezüglich etwas sentimental. Abgesehen davon ist ihr Mann ein angesehenes Mitglied der Stadt Tarquinia.“
    Das war in der Tat ärgerlich, und Sextus schürzte einmal kurz missmutig die Lippen. Diesen Plan konnte er also vermutlich aufgeben. “Hm.“
    “Tja, so ist das nunmal“, meinte Minor so dahin.

    Die Holzpantoletten klackten auf dem beheizten Boden, als sich Sextus mit Purgitius Macer so in Richtung der größeren Bäder begab. Ein ihnen folgender Sklave trug ein paar Handtücher pflichtschuldig hinter ihnen her, während sie sich so gemütlich ihren Weg bahnten. Wie jeden Tag war die Therme natürlich reichlich voll und nicht gerade leise. Überall unterhielten sich natürlich die Leute, ob im Wasser oder auch draußen. Ein Haarausreißer schreite lauthals durch die Gegend und bot seine Dienste an – solange, bis er jemanden gefunden hatte, der seine Dienste in Anspruch nahm und dann dafür weiterbrüllte. Irgendwo rechterhand taten einige Masseure ihr Werk und entlockten ihren Kunden das ein oder andere Grunzen und Stöhnen. Und von der großen Palästra kamen natürlich ähnliche Geräusche von den Ringern und Gewichthebern. Dazu kamen noch eine Vielzahl an Verkäufern, die nur dann und wann von den Balneatoren beiseite gescheucht wurden. Oder ganz hinausgeworfen, wenn sie zu sehr störten.
    “Bezüglich der Rennen ist meine Planung noch nicht so weit vorangeschritten, wie ich gestehen muss“ griff Sextus das Thema im Gehen wieder auf und ließ den Consular das Ziel ihrer kleinen Wanderung bestimmen. Vielleicht wollte der Purgitier vor dem Baden sich noch mit Sand und Öl abreiben lassen, um sich zu säubern, oder er wollte direkt ins Wasser. Sextus hatte da weniger Präferenzen und wollte sich einfach anschließen. “Ich habe einen meiner Klienten losgeschickt, um bei der Veneta, Purpurea und Praesina anzufragen, während ich bei der Russata“, wobei Sextus mit einer kleinen Geste auf Macer deutete, “Albata und Aurata die nötigen Informationen einholen wollte. Ich hoffe, dass alle Factiones sich beteiligen, allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht weiß, inwiefern der Bürgerkrieg Einfluss genommen hat und ob überhaupt alle Factiones noch geeignete Rennpferde besitzen.“

    Schade, einen weiteren großen Namen als Editor angeben zu können, hätte sicherlich zu der Popularität der Spiele letztlich beigetragen. Allerdings war die Antwort des Consulars nicht ein kategorisches Nein. Immerhin zeigte er Interesse und konnte vielleicht doch zu dem ein oder anderen Zugeständnis noch bewegt werden. Zumindest dazu, mit möglichst vielen seiner Klienten dann auch zu erscheinen, wobei Sextus da gerade bezüglich des Rennens weniger Bedenken hatte. Er konnte zwar nichts damit anfangen, wenn Männer im Kreis herumfuhren, aber einem großen Teil der Bevölkerung machte das wohl großen Spaß, dabei zuzusehen.
    Also hieß es jetzt, den Purgitier mit genügend Informationen zu versorgen und sein Interesse an der Sache wach zu halten. Den Rest konnte man dann schon einfließen lassen. Sextus nickte also noch einmal in die Runde und wandte sich ebenfalls dem Ausgang zu. “Dann wird es mir eine Ehre sein, von deiner Erfahrung zu profitieren. Oder zumindest, mich mit dir darüber auszutauschen.“

    Nach einer noch angemessenen Wartezeit rief der Nomenclator auch ihre Namen auf, so dass sie sich gemeinsam zum Kaiser begeben konnten. Wobei dieser mit seiner Begrüßung die einstudierte Begrüßung, die Sextus vorzubringen gedachte, erst einmal ad absurdum führte, da dieser den Tiberier von sich aus unbekannterweise mit Namen ansprach, wo Sextus geplant hatte, ihn doch erst vorzustellen. Auch ein erneutes Lob des Tiberiers, wie es ursprünglich geplant war, fiel nach der Einleitung des Imperators aus und wäre nur ein schaler Abklatsch des zuvor Gesagten gewesen. Etwas, das sein Rhetoriklehrer ihm zu vermeiden beigebracht hatte.
    Nun also kam die nicht mehr ganz so ausgefeilte, dennoch hoffentlich nicht zu plumpe, improvisierte Antwort von Sextus, die doch etwas kürzer ausfiel, seinem Klienten aber hoffentlich dennoch als Startsignal genügte.


    “Salve, Imperator Cornelius. Es freut mich, dass du uns doch so kurzfristig noch empfangen konntest, wenngleich ich dir hierdurch nicht allzu viel Neues selbst zu berichten weiß.
    Allerdings erhöht dieser Umstand dann umso mehr die Zeit, in der mein Klient dir beweisen kann, dass er des Lobes auch wert ist, das ich ihm zugedacht habe. Besonders im religiösen Bereich ist er sehr bewandert, so dass du seinem Wunsch zur Kooptation im Collegium Pontificum nach diesem heutigen Gespräch hoffentlich deine Unterstützung gewährst.“
    Wie gesagt, dies war nicht die geplante Einleitung gewesen, allerdings hatte Sextus seinem Klienten nun hoffentlich doch auch ein Stichwort zuspielen können, auf das er mehr erwidern konnte als auf ein einfaches 'Salve' des Kaisers.

    Wenigstens kannte Sextus den Weg durch den kaiserlichen Palast von seinem letzten Besuch her noch sehr gut, so dass lästiges Nachfragen ein langes Stück entfiel und erst schon innerhalb des Domus Flaviana dann auf Vorzeig der Einladung der ein oder andere hier tätige Prätorianer oder sonstiger Wachhabende sie zum rechten Zimmer weiterleitete. Noch war der Saal nicht allzu sehr gefüllt, so dass Sextus die vage Hoffnung hegte, nicht allzu lange sich die Beine in den Bauch stehen zu müssen. Immerhin war dies hier trotz allem keine Privataudienz, sondern es waren durchaus noch weitere Leute da, die wohl ähnlich hoch in Rang und Namen standen wie er, was die mögliche Reihenfolge nur schwer erahnen ließ. Und sein Anliegen war nun keines, das staatstragende Auswirkungen haben würde, so dass durchaus vorstellbar war, dass sie hintan gestellt würden.
    Sextus suchte sich so mit seinem Klienten einen möglichst plakativen und dennoch nicht überlaufenen Platz im großen Saal, um auf das Erscheinen des Kaiser zu warten. “Sobald der Kaiser uns begrüßt, werde ich dich ihm kurz vorstellen und darauf vertrauen, dass du den Faden aufgreifst. Er ist ein Mann, der zwar gerne und viel zuhört, aber bestürme ihn nicht zu sehr. Denke an deine Rhetorik-Ausbildung“ von der Sextus ausging, dass Lepidus sie hatte “ und fasse dich nicht zu weitschweifig, und ich bin mir sicher, am heutigen Abend kannst du deine weitere Karriere als Politiker zu planen beginnen.“ Sehr viel mehr Tipps konnte Sextus wohl nicht geben. Lepidus durfte sich einfach nicht zu stur, zu stolz oder zu dumm anstellen, dann würde es schon werden.

    Nein, wir tragen diese Togen, weil wir darunter eine Ballista verstecken, wollte Sextus am liebsten antworten, tat es aber selbstverständlich nicht. Er fragte sich, wie oft er wohl diese eine Frage in seinem Leben noch hören würde, da er als Klient des Kaisers ja durchaus öfter diesen Weg hier beschreiten würde und daher wohl weitaus öfter als die meisten Mitbürger vor so einer Wache stehen würde. Und wie oft er sich da dann abgrabbeln lassen musste auf der Suche nach Waffen, die er selbstverständlich nicht mit sich führte. Warum sollte er ausgerechnet auch seinen Patron umbringen wollen?


    Doch all das blieb ungesagt, so dass nur ein – für Sextus' Verhältnisse – freundliches “Ja, wir tragen keine Waffen“ dabei herauskam.

    Kurze Zeit nach ihm kam auch der Tiberier an. Erfreulich pünktlich, mochte man hinzusetzen, wenngleich eine Zeitangabe ohnehin immer bestenfalls grob einhaltbar war. So oder so konnten sie aber nun voranschreiten und ein paar wichtige Schritte für die Zukunft des Tiberiers unternehmen. Sextus hoffte nur, dass dieser den Kaiser nicht allzu sehr mit Ideen bedrängen würde und dadurch übereifrig erschien. Aber wer wollte den Cerberus an die Wand malen, ehe etwas geschah? Lepidus würde schon das rechte Maß finden.
    “Guten Morgen, Tiberius. Dann wollen wir mal.“ Sextus gab dem Sklaven einen Wink, der auch brav voran zu den Wachen vor dem Palast eilte und ihnen schon das Schreiben der kaiserlichen Kanzlei überreichte. “Die edlen Herren Senator Aurelius Lupus und sein Klient Tiberius Lepidus sind hier, um einen Termin bei Imperator Cornelius wahrzunehmen“, kündigte der Sklave gehorsam an, während sein Herr und sein Begleiter ihm aufgrund der Togen langsamer folgten.

    Es war noch sehr früh am Morgen. Im Grunde hatte die Zeit nach Sonnenaufgang gerade mal so eben gereicht für die morgendliche Toilette und das komplizierte Anlegen einer wirklich stattlichen Toga mit akkurat gelegten Falten, ehe Sextus auch schon hierher gekommen war. Bei sich hatte er neben den Sänftenträgern – natürlich, in Toga spazierte man nicht herum – noch einen Sklaven, der die Einladung des Kaiserhofs schon bereit hielt, um sie gleich den Prätorianern zu geben, damit sein Herr vorgelassen werden würde. Es fehlte nur noch der Klient, ohne den Sextus nicht weitergehen konnte. Immerhin war er hier, um eben jenen vorzustellen.

    Wie von seinem Herrn angewiesen brachte ein Sklave eine Wachstafel bei der Villa Tiberia vorbei.



    Sextus Aurelius Lupus Tiberio Lepido clienti suo s.d.


    Der Kaiser hat den Termin der Audienz auf den fünfzehnten Tag vor den Kalenden des Oktobers festgesetzt. Ich treffe dich am Fuß des Palatin vor dem Palast um die zweite Tagesstunde.

    Ganz oben auf dem Stapel mit der täglichen Korrespondenz lag das Schreiben des Kaiserhofes. Natürlich las Sextus dieses auch als erstes und nickte dann zufrieden. Er schrieb schnell etwas auf eine einfache Wachstafel und drückte diese dem nächstbesten Sklaven in die Hand. “Bring das zur Villa Tiberia“, wies er einfach nur an und widmete sich danach den übrigen Schreiben.