Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Zwar war Sextus bei der Senatsdebatte nicht persönlich anwesend gewesen, allerdings hatte er sich davon berichten lassen. Und 'Anregungen' hätte er die meisten Einwürfe der Senatorenschaft nun nicht genannt. 'Gejammer' wäre ihm als weit passenderes Wort erschienen, besonders in Hinblick auf die persönlichen Angriffe auf den Duccier, der wohl kaum etwas am Inhalt des Gesetzes hätte ändern können, wenn der Praefectus Urbi es erst einmal so beschlossen hatte.
    Allerdings waren wohl noch ein paar Feinabstimmungen notwendig, ehe es in Kraft trat, wie beispielsweise eine generelle Ausnahme während der Senatsferien. Wobei das eigentlich eine Farce an sich war, denn kaum ein Mensch konnte innerhalb eines Monats sehr viel weiter reisen als in die Gebiete, die von dem Gesetz ohnehin ausgespart waren, und wieder zurück nach Rom. Und welcher Mensch mit Verstand würde beispielsweise nach Germania reisen, riskieren, von Piraten versenkt zu werden, an einem Riff zu zerschellen oder sonstwie unterzugehen, nur um anschließend sich einer endlosen Straße und noch endloseren Räubern gegenüberzusehen, Tausende von Sesterzen für Führer, Wachen, Packtiere, Reittiere, Wägen etc. ausgeben, nur um auf einem weit entfernten Landgut für 2 Tage aufzutauchen und anschließend das ganze noch einmal retour durchzumachen, nur um rechtzeitig wieder zurück zu sein? Richtig: Man musste schon lebensmüde und besonders leichtgläubig sein, um das durchzuführen, denn welche Missstände konnte man schon in 2 Tagen aufdecken? Wohl nur gänzlich offensichtliche, die einem Freunde auch schriftlich mitteilen konnten, ohne dass man sie selbst in Augenschein nahm.


    “Oh, du musst dich ganz sicher nicht dafür entschuldigen, Purgitius. Ich sehe es vielmehr als große Ehre an, überhaupt mit dir das ganze disputiert zu haben. Und im Zuge des Gesetzes, so es nun eingeführt wird, wird es sicherlich von Nutzen sein, dass ich mich diesbezüglich schon mit dem Procurator a memoria im Vorfeld unterhalten habe. Immerhin geht es um das Wohl des Imperiums und nicht um das Ansehen, nicht wahr?“
    Bescheidenheit war eine sehr charmante Maske, wie Sextus immer wieder feststellte. Natürlich hätte er gerne die Lorbeeren hierfür eingeheimst und sie auch entsprechend in seiner res gestae dann dargestellt, aber es war nun einmal anders. Und es brachte nichts, sich darüber zu ärgern. Sextus tat selten Dinge, die sich nicht für ihn lohnte.


    Der andere Punkt war da schon heikler. Sextus hätte nun diesen Einstieg perfekt nutzen können, um über die Abwesenheit des Curators Gerüchte zu streuen oder einfach nur seiner Enttäuschung Luft zu machen, kurz: Am Stuhl des Curators sägen. Aber man sagte über die Toten nur gutes, und über Leute in höherer Stellung traf das wohl ebenso zu. Da sägte Sextus lieber etwas vorsichtiger.
    “Ich nehme zumindest an, dass es wegen der geplanten Straße ist. Ich konnte leider keine genauen Gründe für seine Abwesenheit in Erfahrung bringen. Allerdings sind ja auch noch keine Arbeiten an der Straße durchgeführt bislang, sie befindet sich nach wie vor in der Planung.“

    Den Praefectus Praetorio also. Sextus nickte einmal ruhig und gelassen dazu, ohne Anzeichen zu senden, ob er das nun gut oder schlecht fand. Der Mann war wohl eine gute Partie, wäre selbst eine akzeptable Partie für Sextus Schwester gewesen. Sehr hoher Ritterposten, sehr viel Einfluss. Da war es verwunderlich, dass der Mann überhaupt noch keine Nachkommen hatte, mussten die Mütter Roms doch ihre Töchter eigentlich zu ihm hinprügeln, in der vagen Hoffnung, dass eine davon ihm gefallen würde.
    Auf der anderen Seite strich diese Information jedwede Chance, mit der Decima jemals intim zu werden. Sextus war risikobereit, aber nicht lebensmüde. Erst recht nicht für eine Plebejerin seines Alters, die sich wie ein Kerl gebärdete. Das war den Ärger nicht wert, den er sich einhandeln konnte.


    Nein, seine Gedanken gingen in eine etwas andere Richtung. Der Praefectus verdiente vermutlich das zehnfache von dem, was Sextus aus seinen Ländereien und durch Schmiergelder erwirtschaftete. Die Decima war Auctrix der Acta und erhielt da sicherlich auch diverse Zuwendungen, um bestimmte Informationen zu verbreiten oder eben nicht. Kurzum: Er konnte bei der Höhe des Schmiergeldes durchaus großzügig überschlagen, ohne dass es unverschämt wäre. Und selbst wenn es unverschämt wäre – und das war das Schöne hierbei: keiner der beiden wäre dumm genug, sich mit dem Collegium Haruspicium anzulegen. Oh, sicher könnte der Terentier Sextus einen Kopf kürzer machen. Was für Sextus persönlich natürlich suboptimal wäre. Er mochte seinen Kopf, immerhin hatte er ihn schon so lange. Allerdings sähe sich dann der Terentier einem Collegium gegenüber, dass jede – und zwar wirklich jede – Gelegenheit nutzen würde, ihm in der Öffentlichkeit den Unmut der Götter persönlich anzulasten. Und wie der Präfekt auch darüber persönlich denken mochte, egal wie religiös er sein mochte: Das Volk glaubte dem Collegium. Und früher oder später würde seine Position so unhaltbar sein.
    Kurzum: Sextus wähnte sich in relativer Sicherheit durch sein Amt, was ihn durchaus zufrieden machte.


    Und auch die Decima spielte bislang sehr brav mit, bejahte ihr Interesse an günstigen Zeichen und an den möglichen Kosten. Bis hier hin schonmal sehr schön, und gekrönt wurde das alles schließlich von einem Termin, der ihm sehr zupass kam.
    “Zwischen dem Tag der Victoria und der der Felicitas also. Da sollte ich dir behilflich sein können, herauszufinden, ob die Götter diesem Tag und deiner Eheschließung gewogen sind.“ Er würde erst fünf Tage später nach Mantua aufbrechen, das würde als Vorbereitung für die Reise genügen. Noch dazu, wo er an der Hochzeit selbst nicht allzu viel zu tun haben würde, allenfalls Nigrina bestand darauf, die Feier über zu bleiben, um gesellschaftliche Verbindungen zu vertiefen. Dass sie als seine Frau dazu wohl ebenfalls eingeladen werden würde, stand für Sextus soweit außer Frage. Alles andere wäre ein Affront. Man lud ja nicht einen Haruspex zu einer Hochzeit wie einen Handwerker zu einer Baustelle. Natürlich würde er nach seiner rituellen Aufgabe auch Gast sein, sofern er wollte. Das war so selbstverständlich, dass Sextus noch nicht einmal daran dachte, es anzusprechen.

    Heiraten. Das minimierte die Chance auf eine Affäre auf den einstelligen Prozentbereich, da Frauen meist zumindest zu Beginn einer Ehe noch versuchten, dem Bild der treuen Matrone zu entsprechen, zumindest bei der ersten Ehe. Und er wüsste nicht, dass die Decima, obwohl sie schon weitaus älter als seine Schwester war, schonmal verheiratet gewesen wäre. War da nicht sogar so eine peinliche Geschichte mit ihr und ihrem Verlobten in der Villa Aurelia gewesen, der einen Gast angegriffen hatte und später die Decima hatte sitzen lassen? Sextus meinte, sich da dunkel an etwas zu erinnern. Aber im Grunde war es auch unwichtig für den Moment.
    “Ich gratuliere, Decima. Darf ich fragen, wer der Glückliche ist?“ Die anderen Dinge, die sie ansprach, waren dann schon halbwegs eindeutiger. Ihr war es wichtig, günstige Zeichen zu bekommen? Nun, darüber konnte man ja verhandeln. Wäre da nicht so eine kleine lästige Angelegenheit, die seine Abreise bedingte. Daher hieß es: Zunächst die Lage sondieren. Wenn ihm hier schon die Möglichkeit eröffnet wurde, Schmiergeld zu kassieren, wollte er das nur ungern an einen Kollegen weitergeben.


    “Für günstige Vorzeichen kann man natürlich Vorbereitungen treffen. Das passende Opfertier, der passende Weihrauch, das passende Gebet... nur sind die exquisitesten Dinge, die den Göttern so gern gefallen, leider nicht umsonst.“ Womit schon einmal klargestellt war, dass sich Sextus mehr davon erwartete als ein 'Dankeschön', wenn er mitspielen sollte. Da half der Decima auch nicht, mal Klientin von Corvinus gewesen zu sein.
    Doch bevor sie sich allzu sehr mit monetären Dingen beschäftigten, über die beim Essen zu Reden ja ohnehin schon als unschicklich galt, musste Sextus noch auf seine eigene Abwesenheit in naher Zukunft eingehen. “Und nicht zuletzt ist es eine Frage des passenden Termines. Wann soll besagte Hochzeit denn stattfinden?“

    Keine Kinder also. Das war ungünstig. Wie lange war sie mit ihrem Mann verheiratet gewesen? Sextus wusste es zu seiner Schande nicht mehr. Er war sich nicht einmal sicher, ob er auf jener Hochzeit gewesen war. Im Grunde musste das kurz vor seiner Reise nach Rom gewesen sein, was es in den Bereich des Unwahrscheinlichen rückte, oder auch kurz nach seiner Reise nach Rom, was es in den Bereich des ganz und gar Unmöglichen rückte. Immerhin war er hier auch schon mehrere Jahre. Grob überschlagen hieß das also das einzuhaltende Trauerjahr, plus diverse Ehejahre. Seine Schwester müsste nun bald 20 sein, also konnte er von 2 bis 3 Jahren ausgehen. Keine Kinder in diesem Zeitraum war ungünstig. Vielleicht sollte er Nigrina dazu einspannen, mit irgendeinem mitfühlenden Frauengespräch die Dinge rauszufinden, die hierbei von Belang waren: Waren Kinder vielleicht bei der Geburt gestorben oder zu früh zur Welt gekommen, oder hatte Messalina gar keine empfangen? Und: Hatte sie sich überhaupt die nötige Mühe dabei gegeben, zu empfangen?
    Nur das Thema jetzt und hier zu vertiefen, wäre wohl sehr, SEHR ungünstig. Und es war auch nicht gesagt, dass seine Schwester ihm irgendetwas sagen würde, weder jetzt noch irgendwann. Im Grunde kannten sie einander kaum, als dass so ein inniges Verhältnis auf gemeinsamer Basis zustande hätte kommen mögen. Vielleicht war da die Basis des gemeinsamen Geschlechts und fein vorgeheuchelter Anteilnahme besser geeignet.


    Doch irgendwie entstanden Spannungen zwischen den beiden Frauen, die Sextus so keiner Ursache zuschreiben konnte. Einzig bei dem Blick seiner Frau und dem anschließenden Tonfall seiner Schwester kreiste eine Sirene irgendwo in seinem Kopf laut los und meldete Gefahr! Alarm! Gefahr! Alarm! Eindringling! Eindringling!
    Vielleicht Zeit, sich wieder an dem Gespräch zu beteiligen, ehe der Krieg ausbrach. Sextus stellte also seinen Wein, an dem er zwischendurch genippt hatte, beiseite. “Ich werde dir schon einen göttergefälligen Gatten finden, der dir viele Kinder schenkt und vom Stand her deinem verstorbenen Gatten entspricht oder ihn übersteigt. Aber zunächst einmal solltest du dich in Rom einleben und dich in der Stadt zurecht finden. Vielleicht findet sich auch ein geeigneter Anlass, dich den entsprechenden Personenkreisen vorzustellen. Für eine mögliche erneute Eheschließung – und natürlich auch für dich ganz privat, Schwesterherz – sollte dies nur Vorteile bringen.“
    Er hoffte, dass seine Worte eine möglicherweise aufkeimende Unruhe bezüglich der Kinderfrage und Messalinas Ehe nun erstickt hatte – oder zumindest auf eine Zeit außerhalb seiner Anwesenheit verlagert hatte. Wie er schon festgestellt hatte: Frauen konnte ein Mann nicht wirklich am zanken hindern, wenn sie sich zanken wollten.


    “Hast du hierzu vielleicht einen Wunsch oder sogar schon einen konkreten Plan?“ Natürlich meinte er die Festivitäten und Messalinas Eingliederung in die Gesellschaft. Bezüglich ihres künftigen Mannes würde Sextus sie sicher nicht um ihre Meinung fragen. Frauen waren nicht gebildet genug, um solch gewichtigen Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Was sollte ihn da ihre Meinung interessieren, wo diese doch ohnehin nur Sympathie oder Antipathie zu einer konkreten Person beinhalten würde und nichts mit dem politischen Zugewinn für die Familie zu tun hätte?

    “Nun, da hast du wohl zweifellos recht, Consular. Ich denke, dieser Tage dürften viele gewesene Amtsinhaber ihre res gestae vollführen“, meinte Sextus mit aufgesetzt freundlichem Lächeln, um bescheidener zu wirken, als er eigentlich war. Seine folgende Frage allerdings klang in den Ohren des Aureliers dann schon fast unterschwellig vorwurfsvoll. Auch wenn Tonfall und Erscheinung des Purgitiers nichts derartiges schließen ließen, war sich Sextus nicht ganz sicher, ob er nicht nur das freundliche Gesicht eines geübten Politikers hier vor sich hatte, der ihm gerade sehr implizit etwas vermitteln wollte. Und natürlich wusste Sextus, was das wohl sein könnte. Allzu viel Auswahl gab es da ja auch nicht.
    “Nun, die Quästur war eine große Ehre und ich habe viel gelernt. Rückblickend gibt es nur wirklich weniges, was ich bedauere. Ich hätte mir beispielsweise eine engere Zusammenarbeit mit dem Curator Viarum sehr gewünscht, nur leider war jener fast das ganze Jahr absent.“ Sextus fing erst einmal bewusst nicht mit dem Thema an, das der Purgitier vermutlich anschneiden wollte, sofern Sextus richtig kombiniert hatte. Und es war unverfänglich genug – hoffte er zumindest – nicht als unterschwellige Antwort einer ebenso unterschwelligen Frage verstanden zu werden, falls der Purgitier seine Worte wirklich vollkommen ehrlich gemeint haben mochte.
    Als Nachsatz allerdings auf die Geschichte mit den Senatorenreisen einzugehen, war wiederum wohl sehr opportun. Am Ende dachte sein Gegenüber sonst noch, er hätte die Bemerkung nicht verstanden. “Und natürlich hätte ich mir gewünscht, dir noch Ergebnisse vor Ende meiner Amtszeit bezüglich der von dir gestellten Frage liefern zu können, wenngleich die Angelegenheit an sich ja nun scheinbar von anderer Stelle schon geregelt wird.“

    Irgendwas war hier im Busch, und eine geplante Affäre war es vermutlich nicht. Ansonsten hätte sie ihre Antwort, die schon sehr lockend und vielversprechend mit einem weiblichen 'vielleicht' (Was nichts anderes in der Übersetzung hieß wie: 'ja, auf alle Fälle will ich, aber ich will noch ein wenig mich zieren und auf unnahbar machen, damit du deinen Charme spielen lässt und ich mich verführen lassen kann, weil ich will mich begehrenswert fühlen') anfing, nicht damit abgeschlossen, dass später evetnuell doch jemand dazukam. Und sofern die Decimer nicht wirklich abgedrehte Sexualphantasien hatten oder aber besagte Verwandte weiblich waren und Sextus ganz und gar absonderliches Glück, an welches er nicht glaubte, dann war eine Affäre wohl unwahrscheinlich. Folglich ging es um etwas anderes.
    Sie sprach seine Quästur und seine res gestae an, die seiner Meinung nach so nichtssagend gewesen waren, als hätte er über das Wetter philosophiert. Blablabla Handel ist wichtig, blablabla, das Volk Roms ist wichtig, blablabla, ich hab meine Arbeit gut gemacht, Ende. Mehr hatte er nicht gesagt, weil er nicht mehr zu sagen gehabt hatte. Dass das das Volk zu großen Begeisterungsstürmen veranlasst hätte, wäre ihm entgangen. “Ich danke für deine freundlichen Worte. Ich empfand die Quästur als große Ehre und bin durchaus zufrieden mit ihrem Verlauf.“
    Er verzichtete auf die obligatorische Gegenfrage nach ihren Tätigkeiten oder der Senatsdebatte über die Finanzen, da sie wohl zum einen nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hatten, andererseits keinen Mehrgewinn an Informationen für ihn bereithielten, und zu guter letzt er seine Gesprächspartner nicht zu spiegeln oder nachzuäffen pflegte, auch nicht beim Smalltalk und erst recht nicht eine Frau.


    Das Essen wurde aufgetischt, und auch hier schlichen sich weitere Zweifel an einer angedachten Verführung ein. Es war nichts besonderes. Schon gut und reichlich, aber keine exotischen Früchte, keine kulinarischen Raffinessen, nichts wirklich außerordentlich schwer zu beschaffendes. Eine Frau gab sich bei einem potenziellen Liebhaber üblicherweise mehr Mühe, zu beeindrucken.
    “Meine Verwandten befinden sich soweit alle wohl und guter Gesundheit, danke der Nachfrage. Doch du entschuldigst, wenn ich nun nicht nach deinen Verwandten im Gegenzug frage, sondern direkt zum Kern meines Hierseins vordringe.“ Die Decima war zu öffentlich und zu hoch an Stellung, um als Affäre für ihn in Frage zu kommen, und wiederum nicht hoch genug, um seine Fähigkeiten dennoch einfach zum Spaß auszuprobieren. Abgesehen davon wollte er nicht den kompletten Abend mit nichtssagenden Plattitüden verschwenden. “Also, Decima, welcher Art ist dein angesprochener Bedarf an meiner Person?“ Er nahm sich eines der gefüllten Eier und aß ganz ruhig und gemütlich, während er auf die Antwort wartete.

    So also sah das Haus eines Triumphators aus. Sextus sah sich kurz um und entschied nach drei Augenblicken, dass ihm die Villa Aurelia weit lieber war. Die war weniger... plebejisch. Sextus folgte also dem Sklaven durch dieses Stadthaus und kam schließlich im Tablinum an, wo ihn die Decima auch gleich begrüßte – und ihn einlud, sich zu setzen. Kurz schweifte sein Blick auf die Plätze, um selbstverständlich eben jene Kline zu nehmen, die dem Korbsessel am nächsten wäre, nur um festzustellen, dass keiner aufgestellt worden war. Das war dann doch sehr merkwürdig. Hielten sich Frauen von geschäftlichen Essen im allgemeinen schon fern, so saßen sie, wenn sie doch daran teilnahmen, gewöhnlich auf einem bequemen Stuhl, aufrecht und gerade, ganz römische Matrone. Doch ohne ebensolchen Sessel ging das wohl kaum.


    Irgendwas war hier definitiv faul. Sextus war sich nur noch nicht sicher, in welcher Weise genau. “Es wird mir eine große Freude sein, in so liebreizender Gesellschaft speisen zu dürfen“, entgegnete Sextus galant und ließ sich auf einer Kline nieder, beobachtete seine Gastgeberin genau dabei, wie sie sich auf der ihren niederlegte. Wenn das hier die Einleitung zu einer kleinen Affäre war, war es sehr ungewöhnlich. Sie legte sich nicht einmal zu ihm auf seine Kline, wie ein Mann es getan hätte. Vielleicht war sie schüchtern?
    Sextus ließ unauffällig seinen Blick über sie schweifen. Sie wirkte ihm zu ernst und zu steif, als dass sie mit ihm nur das Bett teilen wollte. Andererseits waren stille Wasser bekanntlich tief, und wer wusste, was hinter dieser kühlen Oberfläche schlummerte? Und bislang erkannte Sextus keinen weiteren Sinn in ihrem Vorgehen, sich auf eine Kline zu legen, außer sie hatte vor, eben jene nachher noch zu benutzen. Und er würde sie nach erster Betrachtung von eben jener sicher nicht stoßen.


    Aber noch war es definitiv nicht so weit. Also hieß es erst einmal ahnungslose Miene zum unbekannten Spiel machen. “Stößt noch einer deiner Verwandten zu uns, oder habe ich das Vergnügen deiner Gesellschaft exklusiv für mich?“ fragte er noch scheinbar beiläufig, allerdings tatsächlich auf der Suche nach Anhaltspunkten, ob seine Theorie einen wahren Kern haben mochte.

    Nachdem er die Einladung erhalten hatte und trotz des Gefühls, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Frau durch die kurzfristige Einladung einer anderen Frau zu einer Abendstunde verärgert zu haben, hatte er der Decima eine Zusage überbringen lassen und war jetzt am heutigen Tage hergekommen, um sich anzuhören, in welcher Beziehung sie einen Haruspex brauchte oder vorgab, einen zu brauchen. Zwar hielt Sextus sich bei seinen Affären bedeckt und er konnte sich auch nicht so ganz vorstellen, dass die Decima ihn ausgerechnet dafür so offen zu sich bestellte, aber wissen konnte man bei den Weibern bekanntlich nie. Und üblicherweise teilte man ihm zumindest rudimentär mit, worum es denn nun ging, ob es eine politische oder private Angelegenheit war, oder zumindest, von wem man an ihn verwiesen hatte.


    So aber über Sinn und Zweck des Ganzen völlig uninformiert hatte sich Sextus herbegeben, allerdings nicht im Ornament eines Haruspex, sondern in üblicher Toga. Da dies nur eine Besprechung sein sollte – oder auch nicht, was er nicht ausschloss – empfand er das nicht als nötig. Und beim Essen käme es ihm auch etwas lächerlich vor, zumal die Gens Decima seines Wissens nach keine etruskischen Wurzeln irgendwo versteckt hatte.


    Einer aus dem Lebendinventar machte sich nützlich und klopfte an, um ihn anzukündigen, während er noch aus der Sänfte stieg und zum Haus ging. Sextus wartete nicht gerne auf sich noch entscheidende Ianitoren, und seine Sklaven wussten das und eilten entsprechend weit genug voraus, um die Formalia schon abzuklären, so dass er ohne große, ermüdende Warterei eintreten konnte. Nach seiner Quästur konnte er sich solches Vorgehen erlauben, nicht wie ein Schuljunge irgendwo herumzustehen und auf Einlass zu warten.

    Ein weiterer Blitz folgte, langgezogen und gleißend hell, doch der Donner ließ auf sich warten. Das Gewitter zog weiter. Nicht mehr lange, und nur in der Ferne wäre noch das ein oder andere Aufflackern von Licht zu sehen, während sich Rom wieder in vollkommene Dunkelheit hüllen würde.


    Wie die Frage lautete? Sextus sah in den Himmel zu den dräuenden Wolken und seine Mundwinkeln zuckten wieder leicht als Äquivalent eines Lächelns. Vermutlich konnte Nigrina es von ihrer Position aus nicht einmal sehen. Aber ihn amüsierte die Frage aus einfachem Grund: So ganz genau wusste er die Antwort nicht darauf. Es waren viele Fragen, und ebenso viele möglichen Antworten. Denn auch ein 'Was soll ich tun?' würden die Götter wohl kaum umfassend antworten, selbst wenn er die ganze Nacht dem Gewitter zuschauen würde. Und er selbst wollte sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen und wusste selbst nicht so genau, was ihn dazu trieb, jetzt hier in diesen Omen nach Antworten zu suchen. Und das allein war schon, neutral und von Außen betrachtet, für sich amüsant genug, um darüber zu grinsen.
    Sextus fasste nach hinten, nach ihrer streichelnden Hand, und zog sie zu sich nach vorne. Unweigerlich musste Nigrina näher rücken, bis er ihre warme Haut auf seinem Rücken fühlte, ihren Atem zwischen seinen Schulterblättern. Er legte ihre Hand so auf seine Brust, dass sie seinen Herzschlag fühlen konnte, ruhig und tief. Frauen mochten das aus einem für ihn unerfindlichen Grund. Er genoss eher die Wärme ihres Körpers, die Berührung an sich und die darin und in ihrem Duft enthaltene Erinnerung an die letzten Stunden.


    “Die Frage...“ begann er mit einer Antwort und ließ die Worte zwischen ihnen anwachsen, ehe er fortfuhr. “Ich stehe an einer Weggabelung. Beide Wege können zu hoher Macht und Ehre führen, oder aber auch ins Verderben. Gehe ich bei einem von beiden auch nur um ein weniges fehl, lauern schon die scharfen Klingen und Zähne der Unterwelt darauf, sich in mein Fleisch zu schlagen.
    Ein Weg erscheint einfacher, aber sein Ende ist im Nebel verborgen. Er erweckt mehr Feinde, mehr Stolpersteine und Klingen, die ich nicht vorhersehen kann. Sich hier verborgen zu halten ist vom Willen anderer abhängig, aber er verspricht schnellen Erfolg.
    Der andere hingegen ist verborgener und verschlungener, nicht so einfach zu durchschauen, mit wankelmütigen Verbündeten und nur langsamen Vorankommen. Hier muss ich Geld aufwenden, um weiter zu kommen, obwohl ich weiß, dass es verschwendet sein wird.“
    Und Nigrina wusste darum, dass er es hasste, irgend etwas zu verschwenden. Vor allen Dingen Geld.
    “Und nun stehe ich, habe die Wahl zwischen Skylla und Charybdis, und frage mich, welches das kleinere Übel wohl ist. Denn es ist unvermeidbar, dass ich mich entscheide.“


    Vermutlich war das weit kryptischer, als Nigrina es gewollt hätte. Und dennoch war es so offen, wie Sextus sein konnte, ohne irgend etwas zu sagen. Und die Frage, ob er sie einweihen sollte, hatte er für sich ebenso wenig geklärt wie die nach seinem weiteren Vorgehen.
    Sextus Gedanken waren aber schon weiter geeilt. Die Blitze wurden spärlicher, der Donner immer ferner und kaum mehr als ein bloßes Grollen im Nichts. Auch der Regen ließ nach und erlaubte der kühlen Luft, ihre Gerüche hoch zu dem Fenster zu tragen. Nasse Erde, Stein, Pflanzen. Frischer als der Gestank der sonstigen Stadt, vor allem an trockenen Tagen.


    “Ist es eigentlich dein Wunsch, dass Lucius zu den zehn jungen Männern gehören soll, die das hier lernen, wenn er alt genug ist?“ Die Frage kam ohne vorwarnende Vorzeichen. Überhaupt fragte Sextus Nigrina nie nach ihren Wünschen, erst recht nicht in Bezug auf den gemeinsamen Sohn. Manches Mal erfüllte er einen von ihr ohne von ihm zuvor vorgetragene Frage verbalisierten Wunsch, sofern es ihm vernünftig oder schlicht opportun erschien, aber sie wirklich gefragt hatte er seit ihrer Hochzeit nie. Und auch jetzt hieß es nicht, dass er sich an ihre Wünsche halten würde, aber er wollte sie zumindest dieses eine Mal wissen. Was hielt seine Frau von den Haruspices? Es war eine Ehre, die nur wenigen Familien zuteil wurde, aber es war auch ein harter Weg des Lernens fern von der Familie für viele Jahre, der am Ende nicht immer den erhofften Ruhm brachte. Es gab zu viele Skeptiker in Rom, die die alten Traditionen nicht achteten und keine Ehrfurcht vor der Kunst hatten, durch Beobachtung und Betrachtung der inneren Organe von Tieren, insbesondere der Leber, sowie Blitzen, Wunderzeichen, Losen, von Vogelflug und Rauch von verbranntem Weihrauch den Willen der Götter zu erkunden. Was also hielt Nigrina von der Sache? Was hielt sie davon, dass er hier stand und in den Regen schaute? Er hatte sie nie gefragt, es hatte ihn auch nie besonders interessiert. Aber im Moment wollte er ihre Meinung hören und zog sie dabei auch so um sich herum, dass er ihr einen Arm um die Schultern legen konnte und ihre Augen sehen. Er wollte die Wahrheit und keine hinter seinem Rücken perfekt vorgetragene Lüge.

    Magistratus
    Marcus Artorius Celer
    Curia Mantua
    Mantua



    Sextus Aurelius Lupus Artorio Celi s.d.


    Zunächst möchte ich dir für dein Angebot bezüglich der Unterkunft danken. Wenn es dir keine zu großen Umstände bereitet, würde ich dieses dann zeitnah inanspruchnehmen, wenn sich bei meinem Verwandten aufgrund der aktuellen Lage die Möglichkeit nicht ergibt. Wenn das Wetter und die Straßen meiner Planung nicht entgegen stehen, habe ich meine Reise dergestalt terminiert, dass ich zwei Tage vor der von dir geplanten Feierlichkeit in Mantua eintreffen sollte. So ergibt sich etwas Spielraum sowohl für die Reise als auch für die Klärung eventueller Details.


    Zu deinen weiteren Ausführungen möchte ich anmerken, dass Haruspices nicht denselben Einschränkungen unterliegen wie die Auguren Roms. Ich kann besagte Frage den Göttern so antragen und es in ihre Hände legen, ob sie antworten mögen. Die Ernsthaftigkeit, mit der diese Bitte vorgetragen werden sollte, muss noch näher eruiert werden, doch denke ich, dass dies auch genügt, wenn ich anwesend sein werde, so der Stadtrat diesem Ausdruck verleihen mag.


    Vale bene



    Natürlich hatte Sextus seinen Patron und dessen Gefolge entdeckt, während er zu der Menge sprach. Immerhin machten diese den Großteil der Leute aus, die einigermaßen interessiert zu lauschen schienen und nicht einfach nur unterwegs von A nach B sich irgendwo durch die Menge kämpften. Im Heruntersteigen von seinem exponierten Platz nickte er seinem Patron einmal zu, zum Zeichen, dass er ihn gesehen hatte, und wollte sich schon auf dem Weg zum wohl folgenden Pflichtwortwechsel mit diesem begeben, als sich ein anderes Gesicht aus der Masse löste, das Sextus bekannt vorkam.
    “Ah, Consular Purgitius!“ begrüßte er den Mann, als dieser ihn ansah. Es wirkte auch so, als wolle er zu ihm – und selbst wenn es nicht so gewirkt hätte, hätte Sextus wohl die Gelegenheit wahr genommen, ihn zumindest zu begrüßen. Kontakte wollten gepflegt werden. “Welch unerwartete Freude, dich hier zu sehen.“

    Cicero hatte einmal den deutlichsten Unterschied zwischen Etruskern und Römern mit einfachen Worten so dargestellt: Römer glaubten, Blitze entstünden, weil Wolken aufeinandertrafen. Die Etrusker glaubten, dass Wolken aufeinandertrafen, damit Blitze entstünden. Deshalb lag in diesen auch ein göttlicher Wille, ein Zeichen etwas vermeidbaren oder nicht vermeidbaren. Oder in Sextus Fall: Vielleicht eine Antwort auf die alles entscheidende Frage: Was tun?


    Eine weitere Möglichkeit zur Vorgehensweise kam Sextus wieder in den Sinn. Er hatte bereits einmal darüber nachgedacht, ob es nicht lukrativer für ihn sein könne, wenn er sich doch an seine vermeintlichen Mordopfer wenden würde, und so das Risiko der Entdeckung der Sache umgehen würde. Andererseits barg diese Möglichkeit auch wieder das Risiko, dass seine jetzigen Verbündeten Freunde hatten, von denen er momentan nichts wusste, und die an ihm wegen des Verrats ans Leder wollten. Wobei man das sicherlich auch so darstellen konnte, dass auf ihn kein verdacht fiel und er lediglich das Glück hatte, sich aus der nachfolgenden Verhaftungswelle zu entwinden und das Gerichtsverfahren unbeschadet zu überstehen. Es musste ja niemand wissen, dass er derjenige war, die entscheidenden Informationen geliefert hatte. Nun, Tinia, wie würde es dir gefallen, wenn ich einen auf dich geschworenen Eid breche?
    Ein dumpfes Donnergrollen folgte wie als Antwort, und kurz darauf durchzuckte ein weiterer Blitz den Himmel, hellblau, fast weiß, und gabelte sich über den halben Himmel auf. Kurz zuckte einer von Sextus Mundwinkeln zu so etwas ähnlichem wie einem Lächeln. Eidbruch war nach wie vor nur dann eine Option, wenn die anderen Möglichkeiten ausgeschöpft waren.


    Hinter sich hörte er das verräterische Rascheln der Decke, gefolgt von dem sachten Tapsen nackter Füße auf dem kühlen Boden. Er fühlte seine Frau, noch ehe sie ihn berührte. Ihre warme Haut, der sanfte Duft nach den sündhaft teuren Ölen, mit denen sie sich gern ihre Haut einreiben ließ, jetzt überdeckt von Schweiß und Lust.
    Was los war? Wieder ein kurzes Lächeln, während ein weiterer Blitz über den Himmel zuckte, diesmal nicht so gewaltig, weißer, in der zwölften Sphäre, gerade und nur wenig vergabelt. Nur ein Moment, und dann wieder vollkommene, grollende Dunkelheit.
    “Ich suche Antworten“, meinte er ruhig und beobachtend, ohne sich umzudrehen. Er genoss ihre Nähe, dass sie zu ihm gekommen war. So wenig er auf Gefühle gab, er war nicht aus Stein. Natürlich fühlte auch er Verbundenheit, natürlich fühlte auch er Nähe. Wenngleich er den nützlichen Aspekt derselben verstandesgemäß in den Vordergrund stellte. So freute er sich über die Sorge in ihrer Stimme, sagte sie ihm doch, dass sein Wohl ihr am Herzen lag – ob nun aus unlogischen emotionalen Gründen oder aus den einfachen und existentiellen Gründen ihres eigenen Standes und der Zukunft ihrer Kinder war ihm hierbei gleichgültig. Und ebenfalls darüber, dass sie zu ihm gekommen war und nicht einfach vom Bett aus ihre Frage stellte, deutete das doch an, dass seine Anziehungskraft auf sie dementsprechend hoch war, sie gewillt war, ihm zu folgen, und sie bereits wusste, dass er nicht ihren Wünschen zwangsläufig entsprach und zu ihr gehen würde.
    Wie gesagt, er war nicht aus Stein. Er atmete einmal tief durch zu dem Streicheln ihrer Hand und sah hinaus in den Regenhimmel, wartete auf den nächsten Blitz. “Es gibt einige Entscheidungen, die anstehen. Mein Lehrer meinte immer, dass die Götter nie ohne Grund ein Gewitter schicken. Vielleicht wollen sie mir ja eine Antwort geben.“ Beim letzten Satz hob er auf eben jene Art und Weise seine Stimme, die klar machte, dass er selbst nicht so ganz daran glaubte. Dennoch beobachtete er weiter, sah auf die Zeichen. Es konnte nur nützen, wenn die Zeichen ihm keine Hilfe waren, war er auch nicht schlechter dran als jetzt schon.

    Just wie Sextus vorhergesagt hatte, kam Nigrina auch gleich einige Momente später, und nicht nur das, sie kam vermutlich in genau dem Moment, der ihr selber am wichtigsten sein dürfte: Bei der Frage nach den Kindern. Wenn es eine Sache gab, die eine Frau gerne und mit stolz erzählte, dann war es die, dass sie Söhne geboren hatte. Im Grunde war dies ja auch die beste Pflichterfüllung, die sie in einer Ehe vollbringen konnten, und nicht umsonst hatte Augustus damals den Frauen besondere Rechte eingeräumt, die besonders viele lebendige Kinder geboren hatten.


    Und folglich lächelte Sextus auch nur sein charmantestes Lächeln, während seine Frau eintrat und Messalina begrüßte. Aufmerksam beobachtete Sextus dabei die beiden Frauen, um von möglichen Antipathien möglichst sofort etwas mitzubekommen. Nicht, dass er daran irgendetwas würde ändern können. Wenn er eines gelernt hatte, dann, dass es manche Kriege gab, die man nicht aufhalten konnte. Und die zwischen zwei Frauen gehörten dazu. Aber man konnte sich selbst und die eigenen Kräfte neutral in Stellung bringen, um nicht zwischen beiden Fronten aufgerieben zu werden, oder in Gefahr zu geraten, als Verbündeter nur einer der beiden Seiten zu gelten. So konnte er dann im Fall der Fälle jeder Seite schmeicheln und sich selbst soweit das als Hausbewohner möglich war heraushalten. Doch noch war alles im grünen Bereich, soweit er das sehen konnte.
    “Danke, Schwesterherz. Ich kann mich wohl über die Götter wirklich nicht beklagen – und sollte es als Haruspex wohl auch nicht tun.“ Sextus hatte keine Ahnung, ob seine Schwester schon von seiner Berufung ins Kollegium wusste. Spätestens jetzt wusste sie es aber auf alle Fälle und konnte dementsprechend darauf reagieren – oder eben auch nicht. Im Grunde war es gleichgültig.
    Da das Thema aber gerade so schön am lieben Nachwuchs angekommen war, beschloss Sextus, dieses Thema auch gleich weiter zu vertiefen, nicht zuletzt, da es ihm für seine Aufgabe auch nicht unerheblich erscheinen mochte. Seine Schwester war ja schon einige Jahre verheiratet gewesen und auch ein künftiger Mann würde wohl nach ihrer Fruchtbarkeit fragen, wenngleich ein rein politisches Bündnis auch ohne Nachkommenschaft aus so einer Verbindung funktionieren konnte. Allerdings waren derlei Bündnisse meist von recht wackeliger Natur und denen mit entstehender Blutsverwandtschaft unterlegen. “Ich muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich gar nicht weiß, ob du Kinder hast, Messalina. Vater war mit seinen Informationen leider sehr zurückhaltend.“

    Es war Herbst geworden. Still und leise, noch weder sicht- noch hörbar, und doch war kein Zweifel daran, dass der Sommer vorbei war. Nachts wurde es manchmal schon empfindlich kühl, und die Sonne verschwand zeitig hinter dem Horizont, verkürzte die Stunden des Tages und verlängerte die der Nacht.


    Doch Sextus störte sich weder an der Dunkelheit, noch an der Stunde, noch an der Kühle. Er stand nackt im fast bodentiefen Fenster von Nigrinas Schlafgemach und sah hinaus in den Regen, der seit einigen stunden unablässig herniederging und die Welt da draußen noch herbstlicher erscheinen ließ. Sein Körper glänzte noch vom Schweiß der vergangenen Stunden, und doch frierte ihn nicht wirklich. Zu viele Dinge gingen in seinem Kopf herum und lenkten ihn davon ab. Selbst der Sex mit seiner Frau, die irgendwo in seinem Rücken im Bett lag und von der er nicht wusste, ob sie schon schlief oder doch noch wach war, hatte ihn nicht von seinen Gedanken vollständig ablenken können. Und das war etwas, das zum einen selten geschah, und zum anderen sehr ärgerlich war. Und Sextus drittens darin bestätigte, dass es schwerwiegende Dinge waren, die sorgsam durchdacht sein sollten und nicht einfach dem Zufall überlassen werden durften.


    Das Fenster ging nach Süden – einer der Hauptgründe, warum Sextus überhaupt hier stand. Es donnerte immer wieder, leise und rumpelnd in der Ferne, oder auch mal laut und krachend in der Nähe. Sein Blick suchte die Wolken ab, suchte nach den hellen Blitzen, ihre Form, ihre Richtung, ihre Farbe. Er brauchte Antworten, und auch, wenn er wusste, wie viel 'künstlerische Freiheit' in den Verlautbarungen steckte, die die Haruspices gern an ihre Klienten herausgaben: Er hatte Jahre damit verbracht, zu lernen, wie man diese Zeichen las. Er hatte sich mit jeder der sechzehn Sphären, in die der Himmel nur bei den Etruskern unterteilt war, endlos befasst, jede Neigung, jede Farbnuance gelernt, bis ihm die Ohren geblutet hatten vom ewigen Zuhören seiner Lehrer. Die Auspices von Rom kannten bei der Blitzdeutung nur zwei Antworten der Götter: Ja und nein. Zustimmung oder Ablehnung. Auch wenn sie es waren, die hier in Rom das erste Recht hatten, dies an die Pontifices zu vermelden: Sie waren darin dilettantische Stümper. Die Etrusker hatten schon vor hunderten von Jahren ebenso wie bei der Leber hier weit mehr Zeichen gefunden, weit mehr Nuancen des göttlichen Willen, und nicht nur den von einem Gott, sondern den des gesamten Pantheons.
    Und auch, wenn Sextus nicht wirklich religiös war oder den Göttern ein Übermaß an Frömmigkeit entgegenbrachte: Im Moment brauchte er antworten. War es der richtige Weg, den er ging? Übersah er etwas? Und vor allem: Wie lang sollte er mit seinen nächsten Schritten warten? Natürlich wäre es vorteilhafter, vom neuen Kaiser als Senator eingesetzt zu werden. Salinator war nicht sein Freund. Er würde auch nie auch nur annähernd freundlich dem Klienten des Tiberius Durus gegenüberstehen, zumal er selbst ebenfalls Patrizier war. Salinator positionierte gerade seine eigenen Männer mannigfaltig, um sie in den Senat zu bekommen. Was also sollte ihn dazu bewegen, ihn dorthin zu befördern? Richtig: nichts.
    Also half nur eine Sache: Bestechung. Und diese wäre in diesem Fall wohl nicht unerheblich. Was eigentlich nur ein geringfügiges Problem darstellen sollte. Einzig war die Sache, dass es eine Verschwendung war, Geld für einen Mann aufzuwenden,d er mit einem Bein schon im Grab stand.


    Sofern die Verschwörung Erfolg hatte! Immerhin barg ihre Unternehmung nicht unerhebliche Risiken, die aufgrund der letzten nicht einstimmig verlaufenen Abstimmung nicht kleiner geworden waren. Eine Spaltung innerhalb der Gemeinschaft war nicht gut. Sie mussten ihre Ressourcen bündeln und nicht aufsplittern, und Sextus war sich noch nicht über die Auswirkungen der Ablehnung des Viniciers ganz sicher. Das alles waren neue Faktoren in seiner Chancen-Nutzen-Rechnung, die die ganze Gleichung ungemein aufbauschten und zunehmend unübersichtlicher machten.
    Die Frage aber blieb: Was fing er jetzt an? Warten? Nicht warten? In Salinator noch investieren, auch wenn es ein Verlustgeschäft war, oder doch lieber nicht?


    Er ließ seine Sinne ins Zimmer hinter ihm schweifen, zu seiner Frau. Vermutlich würde es nicht mehr lange dauern, ehe sie ein zweites seiner Kinder unter dem Herzen trug. Günstigstenfalls ein zweiter Sohn. Sextus perfekte Planung bestünde aus zwei Söhnen und dann einigen Töchtern, um politische Bündnisse eingehen zu können. Doch leider hatte er darauf wohl nur wenig Einfluss, außer auf die Produktion der Nachkommenschaft als solches.
    Seine Gedanken jetzt kreisten aber nicht nur um die Kinder, die er eventuell haben würde, sondern auch um Nigrina. Wenn ihre Verschwörung aufflog, hatte sie ein Problem. Sie war dann nicht nur die Witwe – Sextus wusste um die Gefahr seines eigenen Todes bei Misserfolg ihrer Sache – eines Verschwörers, sondern auch in der Gens eines anderen. Und Flavius Gracchus war nun niemand, den man einfach so vergessen konnte. Wenn er fiel, traf es wohl die gesamte Gens mehr als nur hart.
    Sextus hatte eigentlich kein Gewissen, schon gar kein schlechtes. Dennoch fragte er sich, ob ihr nicht wenigstens die Chance gegeben werden sollte, sich für so einen Fall zu wappnen, oder ob es besser war, sie in Unwissenheit zu lassen. Nicht, dass er ihr einen Verrat zutraute. Nicht, nachdem er ihr sagen würde, dass Gracchus da ebenso beteiligt war wie er. Aber manchmal war Unwissenheit ein Segen, und Sextus war sich über die Notwendigkeit, diesen zu stören, nicht gewiss.


    Und so stand er da, im Fenster, ausdampfend und in den Regen schauend. Er wusste, dass seine Frau, wenn sie ihn so sah, wusste, dass ihn etwas beschäftigte. Er wusste, dass er seine Maske nur unzureichend spielte. Aber er brauchte Antworten. Und das Gewitter sollte sie ihm liefern.

    Ja, mit ihr konnte er etwas anfangen. Vielleicht ein wenig alt, als dass er sie vollumfänglich hätte einsetzen mögen, und auch leider keine Jungfrau mehr, aber dennoch brauchbares Material. Sextus Lächeln wurde von ehrlicher Freude weitergetragen und war nicht mehr nur eine charmante Maske, wenngleich der Unterschied bei ihm ohnehin nicht sichtbar war. Sie war trotz ihres Alters noch schlank, keine zu ausladenden Hüften oder eine unangemessen große Oberweite. Und in der kurzen Umarmung schien ihre Haut weich und straff und roch angenehm. Wäre sie nicht seine Schwester, hätte er sie wohl noch attraktiver gefunden, und das war ein gutes Zeichen. Sextus war durchaus zufrieden. Damit konnte er arbeiten.
    Nur kurz huschte der Gedanke durch seinen Kopf, wie viele Kinder sie wohl schon geboren haben mochte, oder zumindest mit ihnen schwanger gewesen war. Dabei hatte sie wenigstens kein plärrendes Balg, was aber nichts heißen musste. Immerhin gehörten die zur Familie ihres verstorbenen Mannes. Das musste er also noch irgendwie dezent anfragen – und er hoffte, damit keine ungeahnten mütterlichen Gefühle zu wecken. Aber später.


    “Nun, dann setz dich erst einmal und mach es dir bequem“, meinte er charmant weiter, bot ihr erneut Platz und setzte sich zu ihr. “ Meine Frau dürfte auch bald bei uns sein.“ Das hatte zwar nicht direkt etwas mit Messalinas Bequemlichkeit zu tun, war aber für sie als Information sicher ganz hilfreich. Frauen beruhigte die Ankündigung der Anwesenheit anderer Frauen aus einem Sextus unerfindlichen Grund.
    “Und was Vater angeht, kannst du das wohl besser beurteilen als ich. Abgesehen von gelegentlichem Schriftverkehr gestaltet sich der Kontakt nach Athen etwas schwierig. Aber ja, ich denke, er hat keinen Grund zur Klage.“ Inhaltsloses Blabla, wenn man es genau nahm, aber so fing nunmal jedes Gespräch an.
    “Ich habe mir erlaubt, die Frage bezüglich deines Zimmers an meine Frau zu übertragen. Ich denke, sie wird den weiblichen Geschmack besser einzuschätzen wissen“, außerdem hatte sie so eine wichtige Aufgabe innerhalb des Familienverbundes, und Sextus schätzte, dass sie das honorierend zur Kenntnis nahm. Abgesehen davon hatte er wirklich keine Ahnung, was ein Zimmer für eine Frau attraktiver machte als ein anderes, und er wollte keinen Streit über Zuständigkeitsbereiche vom Zaum brechen, immerhin war sie die Dame des Hauses und damit für die Innengestaltung eben jenes zuständig. Was Zimmer für Schwägerinnen wohl mit einschließen konnte.

    Egal, wie oft Sextus seine Rede geübt und einstudiert hatte, wie sorgfältig er seine Toga ausgewählt und sich hatte legen lassen, wie sehr er sich schlicht vorbereitet hatte: Er war nicht blauäugig genug, das Problem zu verkennen, vor dem er stand. Hier auf der Rostra eine Rede zu halten vor sämtlichen vorbeiziehenden Bürgern, die es interessieren mochte oder auch nicht, war dabei nicht einmal das Problem. Sextus war weder nervös, was öffentliche Auftritte anging, noch sich seiner Stimme nicht sicher. Seine Lehrer hatten ihn oft und lange genug gequält und geschlagen, auf dass aus ihm ein aufrechter Politiker werden würde, der ohne Probleme vor jeder noch so großen Menschenmasse mit klarer und lauter Stimme rhetorisch perfekt auch noch über die Auswirkungen der diesjährigen Schafskäseproduktion auf die Geburtenrate hätte philosophieren mögen.
    Nein, sein Problem war eher inhaltlicher Natur. Das Amtsjahr als Queaestor Urbanus war vorbei, und er hatte nichts Prestigeträchtiges, was er dem Pöbel hätte als besondere Tat verkaufen mögen. Das Amt des Quaestor Urbanus war in erster Linie ein solches, das viel Papyruskram mit sich brachte, noch mehr Verwaltungskram und nur sehr wenig wirkliche Projekte. Und das eine, das er gehabt hatte, das hatte Duccius Vala gelöst, ohne ihn näher daran zu beteiligen. Kurzum: Sextus hatte so gut wie gar nichts in der Hand.
    Dass jenes nicht an ihm gelegen hatte, sondern zum einen auf seine Tätigkeit als solches zurückzuführen war, zum anderen darauf, dass sein wichtigster Ansprechpartner, der Curator Viarum, nicht auffindbar war über seine komplette Amtszeit hinweg, das tat nichts zur Sache. Und würde nur nach Jammern und einer Rechtfertigung klingen. Und wenn es eine Grundregel der Politik gab, dann die, dass man sich nie rechtfertigte für die eigenen Taten, da man damit nur Anlass zur Diskussion gab. Man tat die Dinge, die man tat, weil man sie tat und tun konnte. Ende der Begründung.


    Jetzt aber, als Sextus sich einen schönen Platz der Rostra gesucht hatte und anfing zu reden, wünschte er sich, er hätte etwas mehr vorzuweisen. Doch das, was er hatte, würde wohl genügen müssen.


    “Quirites! Erneut ist ein Jahr vergangen, und ich Sextus Aurelius Lupus, trete vor euch, um Rechenschaft abzulegen für das Jahr, in dem mich der Senat mit der ehrenvollen Aufgabe des Quaestor Urbanus betraut hat. Wie euch sicherlich bekannt ist, umfasst diese ehrenvolle Tätigkeit die Überwachung der Straßen in um und Rom, vor allem jene nach Ostia, von wo täglich all die wichtigen Waren, Lebensmittel und Stoffe gebracht werden, die unsere schöne Stadt zum Leben braucht, nebst all den schönen Dingen wie Elfenbein, Öle und Kunstwerke aus aller Welt, der wertvolle Weihrauch, der die Götter erfreut! So war es meine Aufgabe, einen reibungslosen Ablauf eben jenes für uns maßgeblichen Warenverkehrs zu gewährleisten, als auch Strafen an jene zu verhängen, die durch ihr Tun eben jene Ordnung gefährden. Gleichfalls oblag mir die Aufsicht über die Einhaltung der Reisegesetze.


    Ich will euch nicht mit Geschichten über meine Aufsicht über den Warenverkehr und die Karren, die des nachts durch Rom fahren, langweilen, auch wenn ich durch meine Tätigkeit als Quaestor Urbanus meine Kenntnisse über die Wirtschaftsabläufe zu meiner persönlichen Freude vertiefen konnte. Nur soviel sei dazu gesagt, dass der Warentransport reibungslos sichergestellt ist, so dass die Märkte Roms mit all ihrer Pracht all jene Waren anbieten können, die niemand mehr missen mag. So sollen die vollen Märkte, die zufriedenen Reisenden und das funktionierende System für mich und meine Arbeit sprechen, und nicht irgendwelche Geschichten.


    Zu guter Letzt möchte ich noch ein paar Worte des Dankes verlieren an all jene, die durch ihrer Hände Arbeit die Versorgung unseres geliebten Roms sicherstellen. Denn schließlich sind es die Händler, die Reisenden und auch ihr, die ihr diese Waren kauft, diejenigen, die meine Arbeit als Quastor Urbanus überhaupt erst möglich gemacht haben. Ich danke euch.“


    Und damit war dieser Pflichtauftritt auch absolviert. Und Sextus hoffte, dass es genügt hatte. Im Grunde hatte er ja nichts gesagt.

    Schon vor Wochen hatte Sextus Nachricht von seinem Vater erhalten. Im ersten Moment hatte er sich nur gefragt, was dieser denn jetzt von ihm wolle, wo er so kurz davor stand, endlich zum Senator Roms erhoben zu werden und damit den Wünschen seines Erzeugers zu entsprechen, diesem Teil der Familie wieder mehr Geltung zu verschaffen – nachdem eben jener Vater dies eben nicht getan hatte, sondern nach seinem eigenen Scheitern ein selbstgewähltes Exil in Achaia vorgezogen hatte. Statt dessen hatte er seinen Sohn – und hier nicht einmal den Erstgeborenen. Oder gar Zweitgeborenen. Nein, den, bei dem der Name schon nurmehr aus einer Numerierung bestand – geschickt, um an den Erfolg des proconsularischen Großvaters anzuschließen. Sonderlich erfreut konnte man Sextus' Reaktion auf die Existenz des Briefes folglich nicht bezeichnen, im Gegenteil. Eher fragte er sich, wann sein Vater endlich die Güte wohl besäße, zu sterben oder wenigstens altersbedingt senil zu werden, auf dass er nur noch seinen jüngsten Geschwistern auf die Nerven gehe und Sextus in Ruhe ließe. Natürlich sagte er das nicht laut, und es gab auch niemanden von Wert, den diese Frage sonderlich interessiert hätte. Abgesehen vielleicht von seiner Frau, mit der er derlei Dinge aber auch nicht kommunizierte.


    Und sein Ärger wurde nicht nachhaltig besser, als er las, weswegen sein Vater meinte, ihm schriftlich – dafür amtlich! - auf die Nerven zu fallen. Messalina. Seine Schwester. Nach Rom. Zu ihm. Damit ER sie hier verheiratete. Es war auch so einfach, ältere, schon einmal verheiratete Damen standesgemäß zu verheiraten, so dass er dies zum besten seines Vaters mal so eben erledigen konnte. Er hatte ja sonst nichts zu tun.
    Nach dem anfänglichen Na toll allerdings stellte sich ein doch positiverer Gedanke ein. Er selbst besaß keine Tochter, mit der er im politischen Gewirr hätte schachern können, geschweige denn eine zehnjährige Tochter, die man auch rechtsgültig hätte verloben können, um ein Bündnis so zu forcieren. Eine Schwester war da vielleicht nicht ganz so gut, da sie letztendlich der Gewalt seines Vaters unterstand, aber praktisch genug, um ihren Nutzen zu sehen.


    Und so war er nicht gar so unerfreut, als ihm von einem der Halbnützlichen mitgeteilt wurde, dass seine Schwester heute angekommen sei und im Atrium warte. Als auch die Rückfrage bejaht worden war, dass seine Frau unterrichtet wurde, begab er sich auch sogleich von seinem officium in Richtung Tablinum, um sein Schwesterherz zu begrüßen.
    Und kaum im Tablinum angelangt sah er auch schon jenes weibliche Wesen, das wohl mit ihm verwandt sein sollte. “Ah, Messalina!“ begrüßte er sie geschwisterlich fruendlich und mit einem Lächeln. Nicht, dass er sie auch nur erkennen würde. Er war sich nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt auch nur kannte, war sie doch einen guten Teil jünger als er und er gemäß seinem Stand mit sieben Jahren schon einem Lehrer anvertraut worden, der mit ihm auch dann schließlich und endlich nach Alexandria und Etruria gegangen war, um ihn zu einem gebildete, freien Mann zu erziehen. Was jedch nicht hieß, als ob man nicht so tun könnte, als wäre es anders.
    “Schön, dich zu sehen. Ich hoffe, deine Reise war angenehm?“ Er kam direkt auf sie zu und gab ihr einen geschwisterlichen Kuss auf die Wange. Insgeheim schätzte er ihre weiblichen Qualitäten ab, und wie schwer es werden würde, sie als politisches Pfand zumindest vom Optischen her einzusetzen. Alles verborgen hinter einer perfekten Maske des Charmes und der Freundlichkeit. Wozu hatte man große Brüder?

    Der Pompeier wusste wirklich, wie man Freundschaften erhielt... Da sprach er im Angesicht von zwei angehenden Senatoren – oder zumindest einem, wie weit Valas Kontakte reichten konnte er nicht abschätzen. Für ihn stand lediglich fest, dass sein Weg nach der Quästur sicher noch nicht zuende war – davon, dass sein Patron gerne Senatoren ärgerte – und er persönlich das anscheinend auch noch sehr gut fand. Doch weitere Spekulationen über die Diplomatiefähigkeiten (besser gesagt die Absenz eben jener) wurden von der Ankündigung des Germanen unterbrochen. Er wollte nach Alexandria? Warum? Nun, im Grunde vollkommen irrelevant, und wenn Sextus darüber nachdachte fiel ihm durchaus der ein oder andere Grund ein. Und dennoch ärgerte es ihn, dass er so seinen bislang brauchbarsten Verbündeten erst einmal aus seiner direkten Einflusssphäre entschwinden sah. Andererseits konnte er ihn wohl kaum daran hindern, und es gab auch keinen logischen Grund, eben dies zu versuchen. Und immerhin war er nun ausreichend informiert und durfte sich nicht plötzlich über die Abwesenheit des Ducciers wundern, wenn er versuchen würde, ihn zum Essen einzuladen oder zu einer wichtigen Unterredung zu bitten. Vor allem letzteres wäre dann deutlich unangenehmer. So aber konnte er planen, und das war durchweg positiv – zumindest in Anbetracht der Gesamtumstände.


    “Nimm lieber einen kleinen Tempel in Alexandria. Die Wüste ist verdammt groß und verdammt heiß, mein Freund.“ Sextus wusste, wovon er redete, er hatte einige Jahre in Alexandria zum Studieren verbracht. Kurz überlegte er, ob aus jener Zeit noch offene Rechnungen bestanden, die er Vala bitten könnte, einzutreiben. Aber ihm kam nichts in den Sinn, das er nicht bereits persönlich erledigt hatte. Es hatte Vorteile, ein methodisch denkender Menschentyp zu sein. “Und es wäre gut, von dir zu hören. Nur um sicherzugehen, dass dich das Meer nicht verschluckt hat.“ Es klang freundschaftlicher, als es gemeint war. Sextus würde nur wirklich gern wissen, wenn einer seiner Verbündeten starb, so dass er eventuelle Ressourcen anders verteilen konnte.

    Magistratus
    Marcus Artorius Celer
    Curia Mantua
    Mantua



    Sextus Aurelius Lupus Artorio Celi s.d.


    Der Haruspex Primus Tarquitius Caecina hat mich gebeten, mit dir bezüglich der geplanten Feierlichkeiten in der Stadt Mantua Verbindung aufzunehmen. Daher wende ich mich an dich im Auftrag des Collegium Haruspicium LX, um mit dir die näheren Modalitäten abzuklären.
    Aus deinem Schreiben an den Ordo ging nun für mich leider nicht ersichtlich hervor, welchen Zweck genau mein Erscheinen dort erfüllen sollte, beziehungsweise um welche Art der Divination nun gebeten wird. Natürlich ist mir bewusst, dass die Seuche viele Opfer gefordert hat und daher göttlicher Rat gesucht wird, nur wäre ich um nähere Angaben zu Sinn und Zweck, als auch zu dem gewünschten Ergebnis, sehr dankbar.


    Die zweite Frage betrifft dann die Reise an sich und die geplante Unterbringung. Wie du an meinem Gentilnamen erkennen kannst, bin ich ein entfernter Verwandter des Legatus Legionis. Allerdings kann ich nicht absehen, ob eine Unterbringung innerhalb des Castells sinn- und zweckdienlich ist, ebensowenig ob es aufgrund der momentanen Lage überhaupt möglich ist. Du verstehst sicher, dass jemand meines Standes nicht einfach wie ein umherziehender Arbeiter in einem Gasthaus nächtigt, sondern eine Einladung von einem entsprechenden Gastgeber bevorzugt.
    Hierzu werde ich mich mit Aurelius Ursus noch beraten. Allerdings bitte ich dich dennoch bereits jetzt, dich um eine angemessene Unterkunft zu bemühen. Ich bin sicher, dass sich in Mantua Familien entsprechenden Standes finden lassen, die erfreut sind, einen Haruspex unter ihrem Dach aufzunehmen.


    Die dritte Kleinigkeit betrifft das noch laufende Amtsjahr. Im Moment bin ich noch Quaestor Urbanus und kann als solcher noch nicht nach Mantua reisen, da meine Aufgaben mich bis zu meiner Amtsübergabe an meinen Nachfolger hier festhalten. Der von dir geplante Termin liegt zeitlich nach Ablauf meiner Quästur, doch bedingt dies die Abstimmung auf dem Postwege und nicht in persönlichem Gespräch.


    Vale bene



    Und ein zweiter Punkt auf der 'Warum ich Imperiosus den Wölfen überlassen werde'-Liste kam sogleich hinterher, als der Pompeier nun gegen die Patrizier das Wort erhob. Schlechtes Benehmen konnte Sextus nicht wirklich ausstehen – wobei es zugegebenermaßen wenig Verhaltensweisen überhaupt gab, die er ausstehen konnte. So aber nippte er nur stumm an seinem Wein und verschob die Frage, wie er den Hals seines Zweckverbündeten im Fall des Ablebens dessen Patrons aus der Schlinge ziehen könnte, noch hinter die Frage, was er tun würde, sollte der Mond als brennende Feuerkugel auf die Erde stürzen – was er dann zeitnah zu entscheiden gedachte.


    Und eine Antwort wurde durch Valas Einwurf auch gar nicht mehr nötig, so dass nicht einmal auffallen dürfte, dass er eben jenes Thema einfach unausgesprochen für beendet erklärte und sich ganz dem eigentlichen Gesprächspunkt widmete.
    “Ja, ich denke, das können wir so festhalten. Über eine Abschrift wäre ich dir auch sehr verbunden. Und wollen wir hoffen, dass der Präfekt ebenfalls von dieser Idee angetan ist.“