Wäre dies hier nicht ein Ort der Öffentlichkeit gewesen, Sextus hätte wohl die Vorlage seiner Frau dazu genutzt, ihr mitzuteilen, dass sie 'niedlich' war, wenn sie sich echauffierte. Nicht, dass er tatsächlich dieser Überzeugung war – obwohl es zugegebenermaßen einige erheiternde Aspekte ihrer Wutausbrüche gab, so war Sextus doch im Grunde jegliche Form von übertriebener Emotion suspekt, was Zornschübe miteinschloss – aber Nigrina ärgerten solcherlei Aussagen ungemein. Meistens hatte das zur Folge, dass sie schmollte, aber bemüht war, es sich nicht anmerken zu lassen, und sich gleichzeitig eine Besserung ihres Verhaltens einstellte, die an Perfektion grenzte.
Allerdings war dieses Fest nicht dazu geeignet, sie wütend auf sich zu machen, auf dass irgend jemand noch einen ihrer Blicke, die wie der der Medusa Menschen zu Stein werden lassen konnten, noch auffing und sich irgendeine übertriebene Geschichte über den aurelischen Haussegen ausdachte. Im Grunde war Sextus mit seiner Frau durchaus sehr zufrieden. Sie war die perfekte Matrone: Sie hatte einen Sohn geboren, war üblicherweise willig, wenn er zu ihr kam, und sie machte sich absolut nichts daraus, wenn er die Nacht in anderen Armen als den ihren verbrachte. Darüber hinaus wusste sie in Gesellschaft zu bezaubern und nutzte ihre kleinen Wege der Informationsgewinnung und -verbreitung zu seinem Vorteil. Und das alles für den Preis, dass er brav Karriere machte, ihr ein Vorzeigeehemann war, keine Skandale provozierte und keine Kinder anerkannte, die den ihren in Konkurrenz gegenüberstehen könnten. Durchweg akzeptabel.
Und so geleitete er sie nach der obligatorischen Gratulation an das Brautpaar auch ganz gesittet zu den Klinen, wo er kurz vor der Ankunft eben dort auf Flavius Gracchus traf, der ihn dankenswerterweise ansprach und so das beginnende Tischgespräch schon einmal initiierte. Sextus hätte sich wahrhaft langweiligere Gesprächspartner vorstellen mögen, wiewohl er im Gespräch mit dem Flavier auch nicht mehr allzu viel zu gewinnen hatte, was er nicht schon besaß: Dessen Unterstützung aufgrund der Schwägerschaft und der gemeinsamen Verstrickung in ein kleines Unterfangen des Bräutigams.
“Oh, Flavius Gracchus, es ist mir eine Freude, dich zu sehen. Bevor ich aber deine Frage beantworte, darf ich ein paar Worte an deine Gemahlin wenden?“ Natürlich war diese Frage rhetorischer Natur, weshalb Sextus dann auch unter Aufbietung all seines Charms munter fortfuhr.
“Claudia, lass mich dir ein Kompliment zu deiner Schönheit zum Ausdruck bringen. Wahrlich, hätten mich die Götter und die kluge Vorsehung meines Vaters nicht schon mit der besten Gemahlin versehen, die ein Mann sich wünschen kann, dein Anblick könnte in mir heftige Eifersucht entbrennen lassen. Da ich Wolf allerdings schon von meiner Jägerin gefangen bin, beschränke ich mich darauf, die Anmut und filigrane Leichtigkeit dieses wundervollen Schmetterlings hier zu bestaunen und dir meine aufrechte Bewunderung auszudrücken.“
Regel Nummer eins: Man musste Frauen immer Komplimente machen. Sextus hätte auch etwas ähnlich klangvolles von sich gegeben, wenn die Claudia einen Buckel und eine Nase wie ein Kamel gehabt hätte, wobei sie dankenswerterweise ganz aufrecht für ihre Grazie gelobt werden konnte.
Regel Nummer zwei: Es gab kein 'zuviel' Im Bezug auf ein solches Kompliment. Ja, Frauen sagten immer, es sei zu viel, meinten manchmal gar, es sei schleimig, zumindest ihren Freundinnen gegenüber. Aber ganz tief drinnen, und davon war Sextus überzeugt, nahmen sie doch jedes dieser Worte auf wie ein durstiger Schwamm und erwärmten sich an jedem noch so kleinen Kompliment. Und sofern man sie nicht mit aufdringlicher Nähe kombinierte und den Damen den nötigen Raum gab, selbst über das gesagte zu urteilen, taten sie selbiges dann doch sehr wohlwollend.
Und die dritte Regel schließlich war: Einzigartigkeit. Diese versuchte Sextus besonders zu beherzigen, zumindest, wenn er sich von einer Begegnung auf längere Sicht etwas mehr erhoffte. Seine Bettbekanntschaften, egal ob Lupa, Hetäre oder dumme Peregrine, sie alle waren seine Blumen. Rosen, Tulpen die aufreizenden, Margeriten und Sonnenblumen die bodenständigen, Hyazinthen und Vergissmeinnicht die Schüchternen. Allesamt bedeutungslos.
Aber die, die ihm etwas bedeuteten, oder an die er auf längere Zeit gebunden war, die bekamen einzigartige Bezeichnungen. Nigrina hier hatte er das Gleichnis der Jägerin verpasst, welches ihr sehr gefallen hatte. Prisca hatte er zur kaltherzigen Morgengöttin gemacht, die sich die Gebete ihrer Bewunderer zwar anhörte, sie aber kalt abwies. Flora und ihre Schwester Narcissa hatte er zu Diamanten erklärt, und sie damit zu etwas einzigartigem und wertvollen erklärt, vor allem ihre Individualität hervorgehoben, obwohl sie Zwillinge waren. Auch wenn es Millionen an Diamanten geben mochte, so war jeder einzelne davon doch wertvoll. Und vor allem waren die beiden damit weit ab von dieser lächerlichen Blumen-Semantik gerückt, die nur aufgrund deren Namensgebung aufgekommen war.
Claudia Antonia wiederum war nun ein Schmetterling. Zart, sanft, wundervoll anzuschauen, voller Anmut und Grazie. Und es war ihm sowas von verboten, sie zu berühren. Und wenn er es täte, dann konnte es sie ihre Flügel kosten. Er fand den Vergleich durchaus passend.
“Es wäre mir eine Freude, wenn ihr euch zu uns setzen würdet.“
Nigrina hatte unterdessen schon die Frage nach dem Sohn beantwortet und auch nicht versäumt, sich nach dem jüngsten Nachwuchs ihres Vetters zu erkundigen. Sextus wusste schon, warum er solche Fragen seiner Frau überließ, abgesehen davon, dass es ihr Freude machte, von der Geburt eines gesunden Sohnes berichten und damit etwas glänzen zu können.
Blieb für ihn also die Frage nach seiner Amtszeit.
“Ich muss sagen, dass ich mir die Arbeit als Quästor bislang weit schwerer vorgestellt habe. Es ist geradezu erschreckend ruhig, und gerade mein Aufgabenbereich ist von meinen Vorgängern sehr penibel geführt worden, so dass es ein Leichtes war, ihre Arbeit reibungsfrei fortzuführen. Es gab kaum größere Zwischenfälle, abgesehen von den üblichen Beschwerden über tagsüber fahrende Karren auf den Straßen oder übersteigerte Lärmbelästigung durch solche des Nachts. Sogesehen gab es bislang aber auch nichts, durch das ich besonders hervorstechen konnte, was durchaus ein wenig ärgerlich ist. Doch sich darüber zu beschweren wäre wahrhaftig Jammern auf sehr hohem Niveau.“