Die junge Iulia saß unweit des Brunnes auf den von der Sonne aufgewärmten Kacheln und sah sich den Hortus von dort aus entspannt an. Mit den richtigen Dekorationsgegenständen und einigen Gästen konnte man hier sicherlich ein wundervolles Fest feiern, aber wen einladen, wenn man doch niemanden kannte? Sie würde Centho wohl deswegen einmal ansprechen. Immerhin wollte er selbst ja dafür sorgen, dass die Gens Iulia ihren Ruf aufbesserte.
Sie nahm sich die Schriftrolle her, die neben ihr lag, rollte sie auf und laß dann darin. Es war nicht schwer gewesen, in der Bibliothek der Casa Iulia ein Werk von Vergil zu finden und eigentlich kannte sie ja alle schon, aber gelegentlich laß sie doch immer wieder gerne darin und wenn man ihr schon so ernsthaft dazu geraten hatte und sie gerade eh nichts besseres zu tun hatte, konnte Corona auch dies tun. Ihre Lippen bewegten sich, als sie die Worte laß. Sie mochte Vergil, manch anderer vielleicht nicht.
[Aaeneis IV, Vergil]
At regina gravi iamdudum saucia cura
vulnus alit venis et caeco carpitur igni.
multa viri virtus animo multusque recursat
gentis honos; haerent infixi pectore vultus
verbaque nec placidam membris dat cura quietem.
postera Phoebea lustrabat lampade terras
umentemque Aurora polo dimoverat umbram,
cum sic unanimam adloquitur male sana sororem:
"Anna soror, quae me suspensam insomnia terrent!
quis novus hic nostris successit sedibus hospes,
quem sese ore ferens, quam forti pectore et armis!
credo equidem, nec vana fides, genus esse deorum.
degeneres animos timor arguit. heu, quibus ille
iactatus fatis! quae bella exhausta canebat!
si mihi non animo fixum immotumque sederet
ne cui me vinclo vellem sociare iugali,
postquam primus amor deceptam morte fefellit;
si non pertaesum thalami taedaeque fuisset,
huic uni forsan potui succumbere culpae.
Anna, fatebor enim, miseri post fata Sychaei
coniugis et sparsos fraterna caede penatis
solus hic inflexit sensus animumque labantem
impulit. agnosco veteris vestigia flammae.
sed mihi vel tellus optem prius ima dehiscat
vel pater omnipotens adigat me fulmine ad umbras,
pallentis umbras Erebo noctemque profundam,
ante, pudor, quam te violo aut tua iura resolvo.
ille meos, primus qui me sibi iunxit, amores
abstulit; ille habeat secum servetque sepulcro."
sic effata sinum lacrimis implevit obortis.
Anna refert: "o luce magis dilecta sorori,
solane perpetua maerens carpere iuventa
nec dulcis natos Veneris nec praemia noris?
id cinerem aut manis credis curare sepultos?
esto: aegram nulli quondam flexere mariti,
non Libyae, non ante Tyro; despectus Iarbas
ductoresque alii, quos Africa terra triumphis
dives alit: placitone etiam pugnabis amori?
nec venit in mentem quorum consederis arvis?
hinc Gaetulae urbes, genus insuperabile bello,
et Numidae infreni cingunt et inhospita Syrtis;
hinc deserta siti regio lateque furentes
Barcaei. quid bella Tyro surgentia dicam
germanique minas?
dis equidem auspicibus reor et Iunone secunda
hunc cursum Iliacas vento tenuisse carinas.
quam tu urbem, soror, hanc cernes, quae surgere regna
coniugio tali! Teucrum comitantibus armis
Punica se quantis attollet gloria rebus!
tu modo posce deos veniam, sacrisque litatis
indulge hospitio causasque innecte morandi,
dum pelago desaevit hiems et aquosus Orion,
quassataeque rates, dum non tractabile caelum."
His dictis impenso animum flammavit amore
spemque dedit dubiae menti solvitque pudorem.
principio delubra adeunt pacemque per aras
exquirunt; mactant lectas de more bidentis
legiferae Cereri Phoeboque patrique Lyaeo,
Iunoni ante omnis, cui vincla iugalia curae.
ipsa tenens dextra pateram pulcherrima Dido
candentis vaccae media inter cornua fundit,
aut ante ora deum pinguis spatiatur ad aras,
instauratque diem donis, pecudumque reclusis
pectoribus inhians spirantia consulit exta.
[size=6]Übersetzung: Aber die Königin, längst schon wund von quälender Sehnsucht,
Nährt in den Adern den Schmerz und verzehrt in heimlicher Glut sich.
Vielfach tritt ihr die Tugend des Manns, vielfach des Geschlechtes
Ruhm vor den Geist. Tief sind in das Herz ihr die Mienen und Worte
Dauernd geprägt. Nicht gönnt ihr die Pein den erquickenden Schlummer.
Und Aurora durchzog mit Phoibos' Leuchte die Länder
Wieder und hatte des Pols feucht schattenden Schleier gelüftet,
Als sie verstörten Gemüts so sprach zur liebenden Schwester:
"Anna, wie ängstigen mich, o Schwester, so quälende Träume!
Was für ein Gast ist dies, der unsre Behausung betreten!
Ha, wie trägt er das Haupt! Wie stark sein Herz und sein Kriegsmut!
Ja, mich dünkt, und es ist kein Wahn, er ist göttlichen Ursprungs.
Einen entarteten Sinn gibt Furcht kund. Wie das Geschick ihn
Trieb umher! Wie erzählt' er von all den durchstrittenen Kriegen!
Stünd' es nicht fest bei mir und unumstößlich im Herzen,
An niemanden hinfort mich durch ehliche Bande zu fesseln,
Seit er, welchen zuerst ich geliebt, durch den Tod mich getäuscht hat,
Wären mir nicht seitdem Brautkammer und Fackeln zuwider,
Ja, dann könnt ich vielleicht diesmal der Versuchung erliegen.
Anna, ich will es gestehn, nach dem Tode des armen Sychaeus,
Der, vom Bruder erwürgt, mit Blut die Penaten bespritzte,
Hat der Mann allein mir die Seele gebeugt und den Geist mir
Schwankend gemacht. Ich erkenne die Spur ehmaliger Gluten.
Doch eh' soll bis zum untersten Schlund sich die Erde mir spalten
Und zu den Schatten hinab mich dein Blitz, allmächtiger Vater,
Schleudern, zu Erebos' nebligem Reich und den nächtlichen Tiefen -
Eh' ich, o Scham, an dir und deinem Gesetz mich vergehe.
Er, der zuerst mit mir sich verband, hat alle mein Lieben
Mit sich genommen; er mag bei sich in der Gruft es bewahren."
Also sprach sie und netzte die Brust mit quellenden Tränen.
Anna versetzt: "O du, die mehr als das Leben ich liebe,
Willst du die Jugend denn ganz in einsamer Trauer verzehren?
Nie an Kindern dein Herz und Venus' Geschenken ergötzen?
Glaubst du, es kümmern darum sich der Staub und die Manen im Grabe?
Sei es: so hat kein Mann in deiner Bekümmernis jemals
Dich in Tyros gerührt noch in Libyen. Wie den Iarbas
Hast du die übrigen Fürsten verschmäht, die, reich an Triumphen,
Afrika nährt. Doch bekämpfst du nun auch die erfreuliche Liebe?
Kommt es dir nicht in den Sinn, wes Land du zum Sitz dir erkoren?
Hier in Gätuliens Städten ein Volk unbesiegbar im Kriege;
Hier zaumlose Numider und hier ungastlich die Syrte.
Dort das vom Durst verwüstete Land und wilde Barkäer
Weit umher. Was erwähn ich den Krieg, der von Tyros heranrückt,
Wo dich dein Bruder bedroht?
Ja, durch göttlichen Rat und Schutz, durch Iunos Begnadung,
Lenkte der Wind hierher auf der Fahrt die dardanischen Kiele.
Wie wird, Schwester, die Stadt, wie wird dein Reich sich erheben
Durch ein Bündnis wie dies! Zu was für Höhen noch wird sich
Schwingen der punische Ruhm, wenn die Waffen der Teukrer dir beistehn!
Fleh um die Gnade der Götter du nur! Nach vollendetem Opfer
Pflege der Gastfreundschaft und such Vorwände des Zögerns,
Während der Sturm noch rast auf der See und der Regner Orion,
Während dem Himmel noch nicht zu traun und die Schiffe noch leck sind."
Also redend, entflammt und durchglüht ihr Herz sie mit Liebe,
Füllt mit Hoffnung den schwankenden Geist und befreit von der Scham sie.
Und sie gehn zu den Tempeln zuerst und erflehn am Altare
Frieden; sie schlachten daselbst nach dem Brauch erlesene Lämmer
Ceres, der Gründerin menschlichen Rechts, dem Phoibos und Bacchus,
Aber der Iuno zuerst, die der ehlichen Bande sich annimmt.
Dido, die strahlende, selbst, sie hielt in der Rechten die Schale,
Die sie der schneeigen Kuh auf das Haupt goss zwischen die Hörner;
Oder sie schritt vor den Göttern daher an den fetten Altären,
Weihte mit Opfern den Tag, durchspähte mit Eifer der Tiere
Offene Brust und holte sich Rat bei den zuckenden Fibern.[/size]