Nach dem offizielle Empfang am Forum Romanum durch den Consul und den römischen Senatoren und dem anschließenden Bericht, den Livianus und seine Gefährten dem Senat vorgetragen hatten, war dies das erste Mal, dass der Decimer wieder an einem Sitzungstag teilnahm. Der Termin war nicht zufällig gewählt und Livianus Ärzte hatten ihm geraten sich noch etwas zu schonen, doch der Senator, der sich noch nie zu jenen zählte, die bereits bei den kleinsten Wehwehchen das Bett hüteten, ließ es sich nicht nehmen, alle Ratschläge auszuschlagen und seinen Kopf durchzusetzen. So kam es auch, dass er sich lieber wieder in die Arbeit stürzen wollte und nach einer neuen Aufgabe suchte, anstatt sich auf Sommerfrische zu begeben und nach den Strapazen der letzten anderthalb Jahre so richtig zu entspannen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, die Heiligen Hallen der Curia Iulia zu betreten und seinen angestammten Platz in den Bankreihen der Senatoren einzunehmen. Bei seinem Empfang durch den Senat fühlte er sich mehr als Gast als tatsächlich als Mitglied dieses Hauses. Doch heute war das anders. Er wurde bereits vor der Curia von einigen Senatoren in Empfang genommen und herzlich begrüßt und war schließlich zu Sitzungsbeginn mit allen Anderen in die Halle eingezogen. Auch wenn er nicht jeden Blick erwiderte, so konnte er regelrecht spüren, wie die meisten der Anwesenden neugierig in seine Richtung blickten. Dies hatte vermutlich nicht nur mit seiner unerwarteten Rückkehr zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass sich sein Name bereits am ersten Tag seiner Anwesenheit auf einem der Tagesordnungspunkte wieder fand. Sicher ungewöhnlich, doch für die meisten vermutlich nach einigem Überlegen auch irgendwo verständlich und nachvollziehbar. Ein Mann der sein Leben lang eine Aufgabe inne und Ziele verfolgt hatte, der konnte nicht von einem Tag auf den anderen abschalten und sich zur Ruhe setzen. Schon gar nicht, wenn er einen derartigen Schicksalsschlag erleiden musste, wie es bei Livianus der Fall war. Als der Consul schließlich auf die Wahlen zu sprechen kam und den Namen des Decimers aufrief, erhob sich Livianus von seinem Platz und trat in die Mitte der Halle. Mit einer dankenden Geste nickte er dem Consul zu und wandte sich dann an die Senatoren, die ihn bereits teilweise nachdenklich musterten.
"Consul, ehrenwerte Senatoren!
Über meine Laufbahn, meine gesellschaftliche Stellung oder meine vergangenen Taten möchte ich heute kein unnötiges Wort verlieren. Ich denke, dass all diese Punkte einem jeden einzelnen von euch bestens bekannt sind. Im Gegenteil trete ich heute vor euch, nicht als Kommandeur einer Legion, nicht als Feldherr oder als Statthalter, sondern als einfacher Bürger Roms, der sich und seine Kraft nach langer Zeit des Ausharrens und der Hoffnung wieder zurück in den Dienste Roms stellen möchte.
Ich hatte in den letzten Monaten vermutlich länger Zeit mir über die Zukunft - über meine Zukunft, die meiner Mitmenschen und die unseres Reiches - Gedanken zu machen als die meisten anderen vor mir, und glaubt mir daher wenn ich euch sage, dass trotz allem was mir widerfahren ist, nichts erstrebenswerter sein könnte, als auch weiterhin und vielleicht sogar mehr als je zuvor unserem Kaiser, dem Senat und dem gesamten Volke Roms zu dienen.
Meine Kandidatur ist nicht leichtfertig oder unüberlegt und auch wenn mir die meisten von euch, wie auch meine Ärzte, eher raten würden nach all den erlebten Strapazen der Gefangenschaft und der anschließenden Flucht noch für einige Zeit leiser zu treten, so kann ich euch versichern, dass ich mich bereits jetzt stark genug fühle um den Aufgaben eines Praetors gewachsen zu sein.
Diese Kandidatur ist für mich zugleich ein Zeichen, dass wir nicht nur dem Volke Roms, sondern auch all unseren Feinden setzen sollten. Ein Zeichen das verdeutlichen soll, dass Rom durch keine Macht der Welt aufzuhalten oder unterzukriegen ist und dass es einzig und allein die römischen Götter sind, die über die Zukunft der gesamten Welt entscheiden. Die Parther haben den Krieg der nun knapp anderthalb Jahre zurück liegt weder gewonnen weil sie uns überlegen waren noch überlebt weil sie uns zurückschlagen konnten. Rom allein hat entschieden, sich in seiner unvorstellbaren Trauer um den verstorbenen und zu den Göttern aufgestiegenen Kaiser Ulpius Iulianus zurückzuziehen und den Shah in Shah samt seinem barbarischen Volk zu verschonen. Und die römischen Götter waren es auch die in ihrer unendlichen Weisheit entschieden haben, dass ein Senator und Feldherr der römischen Truppen im Feldzug gegen die Parther nicht in Feindeshand verbleiben, sondern zurück nach Rom kehren soll. Mir wurde damit ein zweites Leben geschenkt, doch könnte es nicht auch zugleich bedeuten, dass uns die Götter damit klar zu verstehen geben wollen, dass der Pax deorum zwischen ihnen und dem römischen Volk nach wie vor unangetastet fortbesteht? Ich denke schon und was könnte nach all diesen Begebenheiten und Erfahrungen von mehr Symbolkraft zeugen, als meine Kraft und meinen Tatendrang wieder in die Dienste Roms zu stellen und der Welt damit zu zeigen.....
Ich lasse mich nicht unterkriegen!
Ebenso wie sich das römische Volk niemals niederringen oder unterkriegen lassen wird. Ich glaube fest daran und habe während meiner Gefangenschaft viel über Recht und Unrecht am eigenen Leiben erfahren müssen. Daher bin ich überzeugt, dass ich Rom ein gerechter Praetor und dem Senat ein würdiger Magistrat wäre.
Ich danke euch."
Livianus hatte diese flammende Rede sichtlich bewegt. Er glaubte fest an das was er gesagt hatte, an den Willen der Götter und an seine Pflicht, die ihm mit dem Geschenk seiner Freiheit auferlegt worden war. Es sollte allen zeigen, dass Rom nicht unterzukriegen war und ein rechtschaffener Römer vorrangig an das Wohle Roms dachte, egal was er dafür erdulden oder erleiden musste. Für ihn war es selbstverständlich, wieder zurück in die Dienste des Reiches zu kehren – nach knapp drei Jahrzehnten als Soldat, Tribun, Legat, Stadtpräfekt von Rom und nicht zuletzt Magistrat im Cursus Honorum kannte er es nicht anders und es war aus seiner Sicht noch lange nicht Zeit sich zur Ruhe zu setzen.