Es war stickig, es war warm und ihre Lage unbequem. Die Kleidung für eine Nacht in diesen Häusern völlig unpassend. Das Bett mit diesem ... Scheusal? zu teilen, machte es nicht einfacher. Er war ihr gegenüber zwar anständig, wenn man von der Fleischbeschau in der Ruine absah, trotzdem war es ihre Freiheit, die er erbarmungslos in Besitz nahm, daraus seinen Vorteil zu schlagen versuchte. Neriman sehnte sich gerade in diesem Augenblick nach der Wüste, der Kühle der Nacht, den Sternen, der unendlichen Weit, die vor ihr lag, wenn sie abends mit ihrem Bruder am Feuer saß. Ihr Bruder, ihre Familie, das, was noch von ihr übrig war - eine kleine Träne, die sich unaufhaltsam ihren Weg über ihre Wange suchte und still im Bett versickerte. Als wäre sie niemals da gewesen.
Es dauerte eine Weile, dann schien Herodorus eingeschlafen zu sein. Neriman lag noch immer wach, versuchte, sich wenigstens auf die Seite zu drehen. Mühsam, mit den festgebundenen Händen. Vielleicht konnte sie die Knoten irgendwie aufbekommen. Ein erster Ansatz, das Seil zu lockern, die Hände aus den Schlingen zu bekommen - aussichtslos. Sie waren zu fest geknotet. Pause. Ihr Blick ging zu Herodorus. Er schien nichts davon bemerkt zu haben. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Kapuze nach hinten gerutscht war, sie sein Gesicht freigab. Neriman richtete sich ein wenig auf, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Er war jünger, als sie vermutet hatte, und eigentlich - ganz hübsch. Neriman schreckte vor dem Gedanken zurück. Er war ihr Entführer und sie hasste ihn. Wie, um das noch zu bestätigen, fiel ihr Blick nun auf den Ring - ihren Ring. Mit einem Ruck schnitt sich die Fessel in ihr Handgelenk, als sie danach greifen wollte. Elender Mistkerl!
Es war Nacht, er schien zu schlafen, es war ihre Chance. Neriman legte sich so bequem es irgendwie ging. Mit der einen Hand tastete sie die Schlinge um die andere Hand ab, fand die Knoten. Sie waren so fest gezogen, dass sie sie kaum öffnen konnte. Mit den Zähnen? An die Hände kam sie nicht heran, dafür war das Seil zu kurz gespannt. Sie mußte es also weiter versuchen, zog und zerrte, fluchte innerlich über die Kraft, mit der er die Knoten zugezogen hatte. Immer wieder ein prüfender Blick zu Herodorus. Der erste Knoten begann sich zu lockern.