Es zählte nicht gerade zu ihren Stärken, jemandem unauffällig zu folgen. In der Wüste, dort, wo sie zuhause war, gelang es ihr spielend, sich unbemerkt anzuschleichen, konnte sie sich fast geräuschlos bewegen. Das war hier aber unnötig. Viel zuviele Menschen auf viel zuwenig Platz. Es herrschte Gedränge, es war laut - und es war bunt. Neriman konnte sich nicht lange auf die junge Frau konzentrieren, der sie eigentlich folgen wollte. Ein Stand mit Tüchern und Stoffen zog sie magisch an und ehe sie sich versah, hatte sie eines davon in der Hand. Das Tuch war dem, welches sie trug, sehr ähnlich, allein die Stickereien fehlten. Und noch etwas war anders. Vorsichtig strich sie über den Stoff. Er war viel feiner, fast federleicht. Neriman hob es mit fragendem Blick dem Händler entgegen und erschrak, als sie den Preis hörte. Empört schüttelte sie den Kopf, wie ihre Cousine es immer tat und zeigte mit den Fingern, was sie zahlen wollte. Der Mann schien verwundert darüber, verstand nicht so recht. Als ihm klar wurde, dass Neriman nicht sprechen konnte, änderte sich sein Verhalten. Er gestikulierte wild mit den Händen und sprach gedehnt, als hoffte er, sie würde ihn so besser verstehen. Der Preis, den er nun nannte, war immer noch zu hoch. Schmunzelnd schüttelte Neriman erneut den Kopf und zeigte ihm entschuldigend ihre leeren Hände. Ein unschuldiger Blick, traurig, enttäuscht. Das rührte den Händler so sehr, dass er ihr das Tuch tatsächlich zu ihrem Preis verkaufte. Neriman wollte kein Mitleid, aber für das Tuch nahm sie es hin. Sie ertrug seine mitleidigen Blicke und schenkte ihm noch ein dankbares Lächeln, als er ihr das Tuch aushändigte.
Unglaublich. Und das Tuch? Neriman malte sich aus, wie sie es ihrer Schwester in die Hände legen würde. Erinnerte sich an deren Blick, wie ausgelassen sie sich freuen konnte. Dachte daran, wie sie es ebenso kunstvoll besticken würde wie dieses, das Neriman um den Kopf trug. Neriman ging weiter, fühlte das neue Tuch mit ihrer Wange, packte es dann aber traurig in ihren Beutel. Niemals wieder würde sie dieses Lachen sehen, nie wieder... In ihren Gedanken vertieft kam sie schließlich zu einem Stand mit Haarschmuck. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie die Frau erkannte. Die Frau, um deren Geheimnis sie wußte, welches sich unter ihrer Tunika verbarg. Was sollte sie tun? Ansprechen ging nicht, ohne Stimme. Was würde es auch bringen. Den Beutel würde sie sicher nicht zurückgeben und die Opfer kannte Neriman ohnehin nicht. Neben ihren Überlegungen studierte sie die anspruchsvolle Auslage, die sich ihr darbot. Haarnadeln, goldene Fäden, kunstvolle Ornamente, Haarteile - Neriman sah der Frau beim Ausprobieren zu. In ihr helles Haar geflochten, würden die blauen Bänder einen hübschen Kontrast bilden. Vielleicht noch ein paar Perlen dazu. Gepaart mit einem freundlichen Lächeln legte sie ihr eins der blauen Bänder hin, sah sich unterdessen weiter um. Reich verzierte Kämme wurden ihr vom Händler angeboten. Unschlüssig nahm sie einen in die Hand, drehte ihn hin und her. Ein kostbares Stück, aber unpraktisch, fand sie. Viel zu klein - wie sollte man sich damit nur die Haare kämmen? Hübsch anzusehen war er ja.