Beiträge von Neriman Seba

    Ihr Blick hing sehnsüchtig an seinen Lippen, als er trank. Dabei spürte sie den Durst noch viel intensiver. Natürlich hätte sie um Wasser bitten können, aber noch hielt sie es aus. Er grummelte mürrisch vor sich hin, ein Grund mehr, sich zurückzuhalten. Sie wollte ihn nicht verärgern. Dann nahm er den Schlauch von dem Esel.


    Wasser - Er sagte das, als wollte er ihr etwas beibringen. Wasser - sie machte mit einer Hand eine kleine Wellenbewegung vor ihrem Mund. Ihr Zeichen für Wasser, in jeder Sprache gleich. Dann nahm sie ihm lächelnd den Wasserschlauch ab. Er konnte das tatsächlich auch, lächeln. Es gefiel ihr. Bitte - noch ein Wort, das sie scheinbar lernen sollte. Fragend war der Blick, den sie zum Dolmetscher schickte, während sie den Verschluss öffnete. Dann zog sie das Tuch vom Gesicht, um zu trinken. Sie war schon halb verdurstet, ließ sich aber nichts anmerken. Das Wasser, das sie erst eine Weile auf der Zunge behielt, war wie ein Geschenk in der heißen Wüste. Als es schließlich die Kehle hinunterrann, eine Erlösung. Derweil erklärte der Dolmetscher ihr das Wort Bitte. Bitte - dafür kannte sie kein Zeichen, nicht in der Bedeutung. Schade eigentlich. Nur danken, das konnte sie ihm. Dazu führte sie die Hand von sich in seine Richtung, bis die Handfläche oben lag, begleitet von einem dankbaren Lächeln.Sie nahm noch ein paar kleine Schlucke, gab den Schlauch dann wieder zurück.


    Der Dolmetscher hatte ihre "Sprache", die Zeichen, interessiert verfolgt, so wie alle, die um sie herum waren und es mitbekamen. Nur verstand er ebensowenig, wie sie die Sprache der Römer. Abay beeilte sich, ihnen alles zu erklären. "Das heißt danke." Kommentierte er das letzte Zeichen. "Sie spricht nicht, nicht mehr. Sie konnte es einmal, nun ist sie stumm. Diese Zeichen, das ist ihre Sprache. Damit können wir uns mit ihr unterhalten." Der Dolmetscher übersetzte es für Massa. "Das arme Kind." Dann nahm er Massa den Wasserschlauch ab und reichte ihn Abay. Der Legionär hatte jetzt sicher andere Gedanken im Kopf als den durstigen Jungen.

    Ihr Blick ging zwischen beiden hin und her. Wirklich überzeugend war die Antwort des Dolmetschers nicht ausgefallen, aber wohl originell genug, ihn zu besänftigen. Zufrieden schickte sie das Lächeln zurück. Nun standen sie hier und warteten. Unangenehm, diese Stille, Neriman überlegte fieberhaft, wie sie ein Gespräch anfangen könnte. Da fiel ihr Blick auf die vielen, abgebrannten Zelte. Der Überfall - das war etwas, über das sie gerne mehr erfahren hätte. Mit ein paar Zeichen brachte sie Abay dazu, für sie zu sprechen.


    "Hee, Übersetzer, wir hätten da ein paar Fragen." Er kam wieder zu ihnen, ganz Ohr für ihr Anliegen, wenn auch nicht sonderlich begeistert. "Die erste, wie heißt du eigentlich? Wir werden wohl noch einige Zeit miteinander verbringen. Unsere Namen kennst du ja bereits. Und dann frag ihn nach dem Überfall. Hier sieht es schlimm aus, wer war das? Und werden sie wiederkommen? Müssen wir uns Sorgen um unsere Leute machen?" Alles Fragen, die Neriman beschäftigten, Abay nicht minder. Aber ob der Soldat ihnen etwas darüber erzählen würde? Sie hatte ohnehin den Eindruck, dass es ihm unangenehm war, hier auf sie aufpassen zu müssen.

    Neriman kannte die Römer nur aus Erzählungen und die entsprachen bekanntlich nicht unbedingt immer der Wahrheit. Es gab also keine bessere Gelegenheit, herauszufinden, was wahr, und was erfunden war, als die Zeit mit ihnen. Während sie noch darüber nachdachte, den mit dem Tuch in ein Gespräch zu verwickeln, kam der Dolmetscher wieder zu ihnen. Jetzt wurde dieser Römer, der noch immer tapfer an ihrer Seite ging, neugierig. Möglicherweise sollte er sie auch nur aushorchen. Sie hatten nichts zu verbergen, also antwortete Abay wahrheitsgemäß.


    "Wir haben Dromedare, Pferde wären für uns nur hinderlich, die brauchen zuviel Wasser. Was das Wasser angeht, natürlich waren wir nicht ohne unterwegs. Unsere Beutel sind, wie die Waffen, an unseren Gürteln befestigt, und die hat man uns abgenommen. Das sollte er eigentlich wissen. Vielleicht hat er das aber auch nicht mitbekommen."


    Abay zuckte mit den Schultern. Im Moment waren sie auf die Großherzigkeit ihres Bewachers angewiesen, zumindest, bis man ihnen ihre Sachen wiedergab. Wenigstens kamen sie gut voran, da hatte sie diese Römer dann doch unterschätzt. Allerdings bereiteten ihr die Gedanken über ihre Ankunft ein wenig Sorgen. Sie konnte nur hoffen, dass die Ältesten besonnen reagieren würden. Unterdessen gab der Übersetzer die Antwort an Decimus Massa weiter, gab dabei gleich noch eine Kleinigkeit zu bedenken. "Wenn du ihr Vertrauen willst, solltest du sie vielleicht nicht verdursten lassen."

    Es ging nicht anders, ihr Grinsen zog sich förmlich von einem Ohr zum anderen. Sie tauschte vielsagende Blicke mit Abay, formte mit den Händen einige Zeichen und deutete mit den Augen auf Massa´s Helm. Auch Abay war kurz davor, laut loszulachen, Neriman sah zum Dolmetscher und hoffte, er würde sich dafür eine gute Ausrede einfallen lassen. Abay hatte sich schnell wieder im Griff.


    "Neriman meint, das läge wohl an seinem Helm." Ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen, er holte tief Luft, bevor er weitersprechen konnte. "Mein Name ist Abay, ihrer Neriman Seba. Ich hoffe, sein Gedächtnis ist besser als sein Gehör und für dich hoffe ich, er lässt dich für deine Bemerkung nicht auspeitschen."


    Neriman fand die Bemerkung des Übersetzers alles andere als schlecht. Es lockerte die Stimmung und die Anspannung fiel allmählich von ihr ab. Nun mußten sie nur noch warten, bis sich der Zug in Bewegung setzte.

    Sie wanderten inmitten der Soldaten und die Masse, die ihnen folgte, war unglaublich. Die Sonne stand hoch über ihnen und schickte unerbittlich ihre Strahlen über die Wüste. Der Sand nahm die Hitze auf und sandte sie ebenso heiß von unten zurück. Es war unmöglich, dem zu entkommen. Neriman beobachtete die Soldaten, die sich mit feuchten Tüchern zu helfen versuchten. In ihrer vollen Ausrüstung mußte es die Hölle sein. Innerlich konnte sie darüber nur höhnisch lächeln. Arrogante Römer, die sich als die Herren der Welt fühlten, so hatte man es ihnen erzählt. Das war wohl die Wahrheit, denn ihre Arroganz hinderte sie nun daran, sich an die Wüste anzupassen. Der Sand würde es sicher nicht tun, die Sonne am allerwenigsten. Das war ihr Vorteil, das Leben hier. Sich anpassen bot die einzige Möglichkeit, zu überleben. Und ihre Kleidung, die vielen Schichten des luftigen Stoffes, hielt einen Großteil der Hitze ab. Ebenso das Tuch, das sie nicht nur über Mund und Nase, sondern auch um den Kopf geschlungen trug. Sie mußte das kostbare Wasser, das man ihnen gab, nicht für unnütze Tücher verschwenden.


    Unaufhaltsam marschierte das Heer durch die Wüste, immer in die Richtung, die sie vorgegeben hatten. Es war etwa ein halber Tagesmarsch für sie gewesen, ohne Ausrüstung, ohne Soldaten, die unter der Hitze stöhnten. Sie war gespannt, wie lange diese stolzen Römer durchhalten würden.

    Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, die die Oberen sich unterhielten und scheinbar diskutierten, was zu tun war. Endlich wandte sich der Dolmetscher wieder ihnen zu und teilte die Entscheidung mit. Gäste - was auch immer das hieß. Trotzdem war es eine erlösende Botschaft, denn es bedeutete, sie glaubten ihnen und würden ihren Stamm verschonen. Auch Abay war erleichtert und sie tauschten gegenseitig aufmunternde Blicke aus, während sich der, der sie gefangennahm, langsam verabschiedete. Von dem, der sie bewachen sollte, besonders. Ihr war sein kurzes, fast unbemerktes Zögern aufgefallen, konnte es aber nicht zuordnen. Es bleib auch keine Gelegenheit, darüber zu sinnieren. Der Ältere nickte ihnen zu, was sie freundlich erwiderte, dann war auch er weg.


    Sie waren alleine mit ihren beiden Aufpassern, wenn man in einem solch großen Lager davon sprechen konnte. Der mit ihrem Tuch unterhielt sich kurz mit dem Übersetzer, der dann seine Nachricht an sie weitergab, besser gesagt an Abay, ebenso wie den Wasserschlauch. Der nahm ihn dankbar entgegen und reichte ihn spontan an Neriman weiter. Es war mittlerweile sehr heiß, und auch, wenn der Schatten die Hitze ein wenig milderte, war ihr Durst doch sehr groß. Sie zog ihr Tuch nach unten und mußte sich zwingen, nicht allzu hastig zu trinken. Mittlerweile war der offensichtlich ranghöhere ihrer Bewacher wieder in ihr Blickfeld getreten. Sofort fiel ihr das Tuch wieder ins Auge. Vielleicht sollte sie ihn einfach fragen? Neriman gab den Wasserschlauch an Abay weiter und hing diesem Gedanken nach. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass gerade jetzt nicht der rechte Moment dafür war. Er würde sich Gedanken machen, er würde feststellen, dass sie sie beobachtet hätten (er konnte nicht ahnen, dass es nur sie alleine war), und er würde vermutlich falsche Schlüsse ziehen. Nachdem auch Abay seinen Durst gestillt hatte, gab er den Schlauch zurück, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und dankte noch einmal dafür.


    "Was wird nun weiter geschehen? Dürfen wir weiterziehen, wenn ihr mit unserem Ältesten gesprochen habt?" Er war neugierig, genau wie sie auch.

    Ihr Herz schlug vor Aufregung, als sie den Älteren beobachtete. Dass er schließlich die Augen verdrehte, trug nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung bei. Immerhin war es eine menschliche Regung, zu der sich kein kaltherziger Anführer herablassen würde. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass er sie ebenso eindringlich beobachtete, wie sie ihn. Ein sehr erfahrener Mann, das lag wohl auch und vor allem an seinem Alter und der dadurch erworbenen Lebenserfahrung.


    Voller Ungeduld fieberte sie diesmal der Übersetzung entgegen, die so überraschend anders ausfiel, als sie es erwartet hatte. Ihr ungläubiger Blick war Grund genug für Abay, nachzufragen, ob das wirklich dessen Worte waren. Der war natürlich gekränkt, nickte mürrisch und Abay mußte einiges an diplomatischem Geschick aufbieten, um ihn wieder zu beruhigen. Abay suchte ihren Blick. Konnte man diesen Leuten trauen? Neriman wußte es selbst nicht, aber welche andere Möglichkeit hatten sie schon? Es war nur eine Frage der Zeit, bis man ihren Stamm entdecken würde, dafür war ihr Lager zu nah, und was sie dann mit ihnen tun würden, darüber wollte sie gar nicht erst nachdenken. Daher zuckte sie nur mit den Schultern und nickte ihm zu. Sie ließ Abay antworten und ihr Gegenüber dabei nicht aus den Augen.


    "Gut, sag ihm, wir werden ihnen helfen, im Gegenzug zu seinem Wort, dass niemandem etwas geschieht. Unser Anführer wird mit Sicherheit zu Gesprächen bereit sein."


    Während der Übersetzung beugte er leicht den Kopf, um seinen Respekt und Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, wenn es ihm schon mit Worten nicht möglich war.

    Die Männer unterhielten sich, natürlich nur über sie, nicht mit ihnen. Wie auch, sie verstand kein Wort von dem, was da gesprochen wurde, und ebenso ging es wahrscheinlich denen, wenn Abay etwas sagen würde. Also hielten sie sich zurück und warteten ab.


    Aufmerksam verfolgte sie dabei jede Kleinigkeit, Stimmen, Gesten, Blicke. Der mit ihrem Tuch ging an ihr vorbei, murmelte leise vor sich hin und schien nicht wirklich begeistert zu sein. Wofür war er zuständig? Eine zusätzliche Wache? Mit halb zusammengekniffenen Augen musterte sie diesmal die ganze Gestalt, bis er hinter ihr Aufstellung nahm. Ja, eine Wache. Gut, zumindest verschwand er nicht, und mit ihm ihr Tuch. Vielleicht gab es irgendwann doch noch eine Gelegenheit. Der kleine Dolch, der noch immer in ihrem Stiefel steckte, kam ihr in den Sinn. Dafür mussten sie allerdings alleine sein. Dann tat sich etwas. Der Ältere, der, wie ihr schien, der wirkliche Anführer dieser Truppe war, zog nun ihre volle Aufmerksamkeit auf sich. Er sprach einige Worte, und kurz darauf kam Bewegung in das Lager. Beunruhigend, ihr wurde mulmig dabei. Hatten sie ihren Stamm gefunden? Ihre Blicke folgten den Männern, die begannen, Vorbereitungen zu treffen, für einen Angriff?


    Unruhig rutschte sie auf ihrem Platz hin und her. Tun konnte sie nichts, was ihre Hilflosigkeit nur noch vergrößerte. Währenddessen wollte er Ältere, dass Abay sich setzte. Natürlich weigerte der sich erst, aber was sollte das bringen. Also gab sie ihm mit ein paar wenigen Zeichen zu verstehen, dass er der Bitte nachkommen sollte. Neriman beobachtete neugierig weiter die unterschiedlichen Soldaten um sich herum. So mancher Blick verriet viel mehr als ein gesprochenes Wort.


    Wieder wurde es unruhig und eine kleine Gruppe trat zu ihnen. Diesmal keine Soldaten. Sie wartete gespannt, was man mit den Leuten vorhatte, dann wandte sich der eine direkt an sie. Er trug ähnliche Kleidung, nur dass es bei ihnen üblich war, unter dem etwas kürzeren Rock noch eine um die Knöchel gebundene Hose zu tragen. Das war viel praktischer bei einem Leben im Sand. Aber was noch wichtiger war, er sprach ihre Sprache. Zwar war es ein anderer Dialekt, viele der Stämme hatten ihren eigenen, aber sie verstand. Es war mehr als Erleichterung, die nun in dem Lächeln lag, das sie dem Fremden schenkte. Er grüßte, wie es bei ihnen Brauch war und stellte sich vor, bevor er überhaupt die Fragen stellte, die man ihm auftrug. Nachdem er fertig war, ging ihr Blick zu Abay. Auch ihm stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, dass er endlich sprechen durfte. Mit einer ebenso respektvollen Geste grüßte er auch in ihrem Namen den Dolmetscher und antwortete in seinem ganz eigenen Dialekt.


    "Mein Name ist Abay, der ihre Neriman Seba, wir gehören zu einem kleinen Nomadenstamm im Volk der Nubier. Unser Zuhause ist die Wüste. Im Moment sind wir auf dem Weg zu den nächsten Siedlungen, um zu handeln und unsere Vorräte aufzufüllen. Bitte sag deinem Herrn, dass wir in friedlicher Absicht unterwegs sind."


    Neriman nickte zufrieden. Sie selbst hätte wohl noch viel mehr gesagt, ihnen gleich die Waren angeboten, oder dem älteren Anführer Hilfe bei seinen offensichtlichen Kopfschmerzen. Möglicherweise war Abay doch diplomatischer, als sie dachte. Oder auch zu zurückhaltend. Das würde sich aber erst zeigen, wenn der Dolmetscher ihre Antworten übersetzte.

    Angewidert von dem Schlachtfeld um sie herum, zog sie ihr Tuch wieder über Mund und Nase, versuchte, den Blick auf das näherkommende Tor gerichtet zu halten. Trotzdem blieben ihr die vielen, schrecklich zugerichteten Körper nicht verborgen, die die Ursache dieses unerträglichen Geruches waren. Unendlich froh, endlich durch das Tor zu treten, wäre sie kurz darauf zu gerne wieder zurück auf das Feld. Dort war sie wenigstens nicht diesen abschätzigen Blicken ausgesetzt. Blicken, die sie förmlich jeglichen Stoffes beraubten, dass sie sich fühlte, als würde sie wie eine Sklavin durch die Menge getrieben. Ihr selbstsicheres Auftreten beizubehalten, wurde mit jedem Schritt schwerer. Heimlich suchte sie Abays Hand, ließ aber gleich wieder los. Wie sollten sie ernstgenommen werden, wenn sie sich schwach gab. Was hätte sie in diesem Moment aber dafür gegeben, diesem Drang einfach nachgeben zu können. So straffte sie die Schultern und folgte dem ihnen vorgegebenen Weg.


    Endlich schienen sie angekommen zu sein. Ein wenig Schatten war die erste Erleichterung, die ihnen unter dem Sonnensegel zuteil wurde. Der Anführer sprach wieder einen kurzen Befehl aus, begleitet von ziemlich eindeutigen Gesten. Setzen? Neriman begutachtete den Platz, entschied, dass es nicht schaden konnte und setzte sich. Wäre sie nicht als Gefangene hier, hätte sie vermutlich erleichtert die Beine von sich gestreckt und sich zufrieden zurückgelehnt. So aber blieb die Anspannung und eine aufrechte Haltung. Abay traute wohl diesem Kerl nicht über den Weg, der sie offensichtlich bewachen sollte und blieb deshalb direkt neben ihr stehen. Vielleicht wollte er auch nur einen zusätzlichen Schutz bieten, denn nach einem Blick die Zeltreihen entlang, wurde ihr mehr als mulmig. Glücklicherweise hielt sie in dem Moment ein Wasserschlauch, der ihr gereicht wurde, von weiteren Grübeleien ab. Dankbar führte sie ihn an ihre rissigen Lippen, trank hastig, verschluckte sich dabei fast, spülte damit den Staub und die Trockenheit weg. Nach einem fragenden Blick an ihren Gönner, gab sie ihn an Abay weiter. Scheinbar waren diese Römer Fremden gegenüber doch nicht so unbarmherzig, wie man sich erzählte.


    Es wurde unruhig zwischen den Zelten, sah fast nach einer beginnenden Schlägerei aus, bis ein Soldat scheinbar unbeeindruckt aus den Reihen trat und auf sie zukam. Da sprang es ihr förmlich ins Auge - das Tuch, ihr Tuch. Ganz eindeutig, das würde sie überall erkennen, und wenn es nur noch ein Schnippselchen wäre. Unverwandt starrte sie auf den Hals des Legionärs. Immerhin schien es keinen sichtbaren Schaden genommen zu haben, als es damals vom Wind davongetragen wurde. Verloren war es trotzdem. Es zierte den Hals eines Kriegers, unerreichbar für sie. Und während sie diesen noch immer anstarrte, machte er Meldung. So hörte es sich zumindest für sie an, auch wenn sie kein Wort verstand. Kaum einen Moment ließ sie dabei das Tuch aus den Augen. Als noch einer dieser Soldaten auftauchte, sichtlich zerknittert und wohl sehr von Schlafmangel geplagt, da löste sie nur unwillig den Blick. Wieder wurde sie einer genauesten Musterung unterzogen. Diesmal jedoch mit weniger anzüglichen Hintergedanken, wie ihr schien. Ganz sicher war sie sich dessen, als er die gaffende Meute verjagte. Neugierig musterte sie ihn nun ihrerseits. Er stand wohl im Rang höher als der, der sie hierher brachte. Auch in seinem Auftreten war er um einiges energischer. Alles wartete gebannt, dann entschloss er sich zu sprechen. Wieder in dieser Sprache und wieder verstand sie nicht. So langsam wurde sie nervös. Auch in den Gesichtern war nichts zu lesen. Fieberhaft dachte sie nach, wie sie die Soldaten von ihren redlichen Absichten überzeugen konnte, als ihr Blick erneut nach dem verlorenen Tuch suchte.

    Ein Stein fiel ihr vom Herzen, sie wurden nicht durchsucht. Vor allem aber war sie froh darüber, nicht alle Waffen herausgegeben zu haben. Es gab ihr ein wenig Sicherheit. Allein der Gedanke, als Gefangene, die sie nun zweifelsohne waren, in dieses Lager zu kommen, wehrlos, brachte ihr Herz erneut aus seinem ruhigen Takt. Wilde Fantasien tauchten vor ihrem inneren Auge auf, mischten sich mit Erinnerungen der Vergangenheit. Sie war zudem eine Frau, davon gab es dort sicher nicht viele, wenn überhaupt. Besser, sie dachte nicht darüber nach. Ihre größte Hoffnung lag darin, dass es den Truppen an Nahrung und Wasser mangelte und sie sich dadurch freikaufen konnten. So in ihren Gedanken versunken, sich eine Strategie zurechtlegend, lief sie fast in das Pferd, das direkt vor ihr plötzlich stoppte. Fast zeitgleich schrillte dieser fürchterliche Ton durch die Luft. Reflexartig hielt sie sich die Ohren zu. Noch einmal ertönte dieses Signal. Neriman beobachtete den Anführer, und als sie sicher war, er würde es nicht noch einmal wiederholen, ließ sie die Hände wieder sinken. Verwundert über die komischen Sitten dieser Römer, sah sie von einem zum anderen, und erst, als die verschwundenen Reiter auftauchten, verstand sie den Sinn. Allerdings zu ihrem Bedauern nicht deren Sprache. Zu gern hätte sie gewußt, was die beiden zu besprechen hatten, erst recht, als der kleine Trupp sich wieder entfernte - in die Richtung, aus der sie eben kamen.


    Eigentlich gab es aber nur zwei Möglichkeiten. Entweder wollten sie weiter die Gegend auskundschaften, möglicherweise waren sie auf der Suche nach dem Versteck derer, die das Lager so übel zugerichtet hatten. Oder, und das war das naheliegendste, sie wollten herausfinden, woher sie beide kamen. Neriman betete, dass sie das Lager nicht finden würden, oder zumindest, dass sie erkennen konnten, dass es sich um ein friedliches Volk handelte.


    Es ging weiter. Abay hielt sich immer in ihrer Nähe. Als das Heerlager in Sichtweite kam, schien ihm der Ernst der Lage klar zu werden, Neriman konnte die Verzweiflung in seinen Augen lesen, als er sie am Arm nahm und ihr etwas zuflüsterte. "Es sind nur zwei, wenn du sie ablenkst... das schaffen wir!" Abschätzend musterte Neriman die beiden Soldaten, die als einzige noch bei ihnen waren. Sicher, das könnten sie schaffen. Fast schon war sie versucht, ihm zuzunicken. Dann aber dachte sie weiter. Da waren immer noch die drei Reiter, die nicht weit von hier die Gegend erkundeten. Es würde nicht lange dauern, bis man die beiden hier finden würde, und dann? Man würde sie jagen, man würde vor allem glauben, sie wären Teil jener, die sie nachts angriffen. Und dann wäre ihr gesamter Stamm dem Untergang geweiht. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie den Lagerplatz fänden. Nichts, aber auch gar nichts würden sie von ihrem Volk übriglassen. Nein, das war es nicht wert. Beruhigend legte sie ihre Hand auf seine und schüttelte kaum merklich den Kopf. Zu gerne hätte sie ihm mehr gesagt, aber sie wollte ihre Aufpasser nicht unnötig nervös machen.


    Es war nicht mehr weit. Je näher sie kamen, desto mehr wurden die Ausmaße sichtbar. Das Lager war so beeindruckend, dass Neriman automatisch langsamer wurde. Zu ihrer Angst gesellte sich nun Neugier. Es war das erste mal, dass sie ein solches Lager aus der Nähe sah, geschweige denn, es betreten würde.

    Er zügelte sein Pferd so dicht vor ihr, dass sie fast dessen Atem spüren konnte. Ein stattliches Tier, und stünde sie nicht Todesangst aus, hätte sie sich sicher dafür interessiert. Pferde fand man in der Wüste sehr selten, eher schon nie. Nun aber sah sie zu dem offensichtlichen Anführer mit ängstlichem Blick auf, verstand nicht, was er vor sich hinbrabbelte. Ihre Angst verstärkte sich nur bei seiner abschätzigen Musterung, der er sie unterzog. Glücklicherweise war ihr Körper bis auf Augen, Nase und Mund von Stoff verhüllt. Ein Umstand, der ihr ein wenig Schutz vor den Blicken, aber nur wenig Sicherheit bot, was ihr mehr als bewußt wurde, als sie den spöttischen Einwand eines der anderen Reiter vernahm. Nur kurz warf sie dem einen verächtlichen Blick zu, bevor der Anführer wieder ihre volle Aufmerksamkeit genoß. Wieder vernahm sie diese seltsamen Sprache.


    Jedoch schien er eine Entscheidung getroffen zu haben, seine Stimme änderte sich. Er sprach sie wieder direkt an. Neriman kniff die Augen zusammen, als könnte sie dadurch besser verstehen, was er von ihnen wollte. Sein Blick ging in Richtung des Heerlagers. Sie sollten mitkommen? In ihrem Kopf ratterte es, ihr Herzschlag nahm einen ruhigeren Takt auf. Zumindest im Moment würden sie sie wohl nicht töten. Mehr Sorgen machte sie sich jetzt um ihr Volk. Zumindest für den heutigen Tag bestand keine Gefahr, dass ihr Stamm sich zu dem Heerlager begab. Was aber, wenn sie beide nicht in ihr eigenes Lager zurückkehrten? Sie konnte nur beten, dass die Ältesten weise entschieden. Hätte sie nur zuvor mit ihnen gesprochen, ihnen ihre Pläne mitgeteilt. Aber dazu war es nun zu spät. Und was wollte der Soldat dort auf dem Pferd noch? Ihr Blick wanderte zu ihrem Gürtel, auf den er scheinbar deutete und an dem, nur halb verborgen, ihre sichtbaren Waffen hingen. Demonstrativ nahm sie ihn ab, hielt ihn Abay hin, damit der es ihr gleichtat und legte ihn dann in den Sand. Sollte sie auch den anderen Dolch? Der war gut versteckt, sicher würde er nicht ahnen, dass eine Frau noch mehr Waffen bei sich trug. Mit einem mehr als unschuldigen Blick stellte sie sich wieder vor den Anführer, und somit zwischen ihn und Abay. Fragend deutete sie mit einem Kopfnicken in die Richtung, in der sich das Heerlager befand. Ohne eine Aufforderung von ihm würde sie keinen Schritt tun, dafür waren die Speere noch immer eine zu große Bedrohung.

    Aussichtslos, doch sie versuchten es zumindest, weglaufen, möglichst viel Weg zwischen sich und ihr Lager bringen. Glücklicherweise hatte der nächtliche Sturm wenigstens diese Spuren verwischt. Vielleicht konnten sie die Reiter so auch auf eine falsche Fährte führen. Ohne sich umzudrehen, entfernten sie sich immer weiter. Nichts war zu hören, vielleicht waren sie doch in eine andere Richtung weitergeritten.


    Der Sand wog sie in Sicherheit, dämpfte den Galopp der Reiter, erst das Rufen stoppte ihren Lauf. Während Neriman sich umdrehte, schob Abay sich schützend vor sie. Natürlich verstanden sie weder die ersten, noch die anderen Worte, der Sinn war jedoch unmissverständlich. Zumindest zum Stehenbleiben wollten sie sie damit bewegen. Drei Reiter - Neriman erfasste sofort, dass es nicht alle sein konnten, das waren mehr gewesen. Drohend waren die Wurfspeere auf sie gerichtet, kamen immer näher. Nur der eine hielt lediglich sein Schild hoch. War das ihr Anführer? Abay beugte sich leicht vor, unterwürfig, streckte die leeren Hände aus, ein Zeichen, dass sie nicht auf einen Kampf auswaren. Neriman nutzte die noch bleibende Zeit, bis man sie verhaften, verschleppen oder einfach nur töten würde, und drehte sich nach den fehlenden Soldaten um. Das Blut rauschte vor ängstlicher Aufregung in ihren Ohren. Zitternd suchte sie Abays Nähe, schob sich dicht hinter ihn. Wo war nur ihr Mut, ihre Selbstsicherheit. Es war ihre Schuld, dass sie hier waren, nicht seine, und nun schob sie ihn vor? Niemals. Abay griff nach ihrer Hand, als sie an ihm vorbei nach vorne trat, den Reitern stolz entgegenging. Das Herz pochte in ihrer Brust, ihr Magen rebellierte, trotzdem schüttelte sie ihn ab, hielt die Hände, wie Abay zuvor, mit den Handflächen nach oben den Fremden entgegen. Wenn sie sie töten wollten, dann sollten sie es schnell tun.

    Die Kälte der Nacht schwand allmählich, erste Sonnenstrahlen wärmten ihren durchgefrorenen Körper. Auch in dem Feldlager wurde es zunehmend unruhiger. Wie kleine Ameisen in einem großen Staat wuselte es dort. Trotzdem schien jeder seine Aufgabe zu haben. Gebannt war ihr Blick darauf gerichtet, als plötzlich ein Ruck durch ihren Körper ging. Luft wurde aus ihren Lungen gepresst, dass sie hörbar nach Atem rang. Starke Hände an ihren Schultern rissen sie unbarmherzig nach unten. Hätte sie gekonnt, sie hätte geschrien. Ihr Herz pumpte das Blut in einer Geschwindigkeit durch ihre Adern, dass ihr fast schwindelig wurde. Er lag halb auf ihr, deutete in die Richtung, die sie so sträflich vernachlässigt hatte.


    Reiter...


    Wie konnte sie nur so unvorsichtig sein? Was war bloß los mit ihr? Nun wurde ihr auch bewußt, dass es Abay war, der sie noch immer in den Sand gedrückt hiel. Sein Atem ging stoßweise an ihrem Ohr. Keine Sekunde wandt sie den Blick von dem Trupp ab, der langsam, aber stetig näher kam. Was tun? Zurück? Das ging nicht. Vorerst war ihr Stamm, ihr Lager geschützt, es lag im Schatten einer dieser unendlichen Dünen verborgen. Blieb nur die andere Richtung. Aber was, wenn sie schon entdeckt wurden? Ohne Pferde hatten sie nicht die geringste Chance zu entkommen. Abay ließ sie endlich los, rutschte die Düne hinunter, deutete ihr, ihm zu folgen. Ein Dolch, ein Messer, Neriman griff fast instinktiv danach, überprüfte den Sitz, während sie sich ebenfalls die Düne bäuchlings, die Füße voran, hinuntertreiben ließ. Es waren 5 oder 6, genau konnte sie es nicht erkennen, noch waren sie zu weit entfernt. Für sie beide zuviele, in der Ausrüstung. Wenn wenigstens Abay zurückgehen würde, der wich jedoch keinen Schritt von ihr. Am Fuß der Düne blieb Neriman sitzen und sah hinauf. Kein Wind, es war aussichtslos, wegzulaufen. Die Spuren waren schon von weitem erkennbar. Sollten die Reiter wirklich in ihre Richtung kommen, würden sie nichts leichter haben als sie zu finden.

    Den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet, schweißgebadet, so schreckte sie aus ihrem unruhigen Schlaf. Traumfetzen, verschwommene Bilder, ein Gefühl, als hielte eine Hand ihr Herz umklammert. Nerimans Atem ging schnell und schwer, furchtsam sah sie sich in dem schwach beleuchteten Zelt um. Das Feuer vor dem Zelt warf unheimliche Schatten über die Schlafenden. Ansonsten nichts ungewöhnliches, alles war ruhig, und doch verschwand es nicht, dieses beunruhigende Gefühl. Angestrengt lauschte sie in die Stille, ihr Atem beruhigte sich langsam. Vorsichtig schlich sie nach draussen.


    Es war einer der Jungen, der Wache hielt, bei ihm saß einer der Ältesten. Die beiden unterhielten sich leise, Abay schlief wohl noch. Neriman setzte sich schweigend zu ihnen, dachte nach. Die innere Unruhe wuchs und ebenso ihre Zweifel, dass sie schließlich um einen Tag Aufschub bat. Sie wollte niemanden in Gefahr bringen. Eigentlich waren sie nicht ihre Feinde, aber nach diesem Überfall, wer wußte schon, wofür diese Soldaten sie hielten. Der alte Mann versprach, sich bei Tagesanbruch mit den anderen zu beraten. Neriman hatte andere Pläne.


    Sie zog sich zurück, scheinbar, um sich wieder schlafen zu legen. In Wirklichkeit allerdings schlich sie im Schutz der Dunkelheit zwischen den Zelten hindurch, hinaus in die Wüste. Weit mußte sie nicht laufen, bis sie einen ersten Blick auf das Heerlager werfen konnte. Noch immer war sie weit genug entfernt, niemand sollte sie hier entdecken können. Dass sie schon lange verfolgt wurde, davon ahnte sie nichts. In ausreichendem Abstand lag Abay im Sand, nahe genug, ihr zu Hilfe zu eilen, sollte irgendetwas passieren.


    Neriman machte sich darüber wenig Gedanken. Vielmehr interessierten sie die Vorgänge ihm Lager. Mit der aufgehenden Sonne wurde auch das Leben in diesem Heerlager geschäftiger und die wahren Ausmaße sichtbar. Beeindruckt rutschte sie in die sichere Deckung der Düne und beobachtete weiter.

    Die Nacht lag kalt und dunkel vor ihnen, während sie eisern durch den Sand zogen. Die ersten Stunden waren noch leicht, es wurde gesungen, gelacht und viel geredet, nun war es ruhig. Neriman trieb gemeinsam mit Abay die Ziegenherde über eine der zahllosen Dünen. Der Schweiß, der ihr auf der Stirn stand, als sie endlich oben standen, wurde augenblicklich gekühlt von aufkommendem Wind. Den Sand, den er ihr dabei ungehindert ins Gesicht wehte, wischte sie grob mit dem Ärmel ab. Der Wind wurde zunehmend stärker, sie mußten sich beeilen.


    Noch war der Sturm erträglich, die Tiere kamen gut voran. Eins der Jungen geriet allerdings ins rutschen, trieb unaufhaltsam die Düne hinunter. Neriman überlegte nicht lange, schob die Fersen in den Sand und rutschte auf ihrem Allerwertesten hinterher. Das alles wäre nicht so schlimm, müsste sie nicht erneut die Düne hinauf. Tiefer, lockerer Sand erschwerte den Aufstieg, ebenso die Dunkelheit. Nur vereinzelte Fackeln, die oben die Düne entlangwanderten, wiesen ihr den Weg. Seufzend fing sie das Kleine ein, hob es auf ihre Schultern und machte sich an den Aufstieg.


    Wenigstens dem kleinen Zicklein ging es gut, als sie oben ankamen, es machte ein paar Sprünge, wieder gefährlich nahe dem Rand, dann folgte es brav seinem Muttertier. Der Sturm nahm unterdessen zu, eine Böe wehte ihr den Sand direkt ins Gesicht, sie mußte husten. Nun war es für Abay genug, er wühlte in seinem Beutel und hielt er ihr eins seiner Tücher vors Gesicht. Sie wollte protestieren, als erneut Sand in ihr Gesicht wehte. Missmutig wickelte sie sich das Tuch um den Hals, schob es über Mund und Nase. Er hatte ja recht, und sie war stur wie immer, als würde es irgendetwas bringen, wenn sie für den Verlust leiden wollte.


    Der Sturm war glücklicherweise nicht stärker geworden, so konnten sie durchgehend wandern. Im Schutz der Dunkelheit gab Neriman schließlich das Zeichen, anzuhalten. Sie waren schon fast in Sichtweite des Lagers, gefährlich nahe also. Den Rest des Weges wollten sie bei Tagesanbruch zurücklegen. Man sollte sie sehen, und vor allem sollten sie wissen, dass sie keine Bedrohung waren. Ein paar Zelte wurden aufgestellt, die Tiere angebunden und Wachen aufgestellt. Der Rest konnte sich ein wenig erholen. Neriman war mittlerweile so müde, dass sie sich in eins der Zelte zurückzog und augenblicklich einschlief. Sie wollte zumindest dabeisein, wenn sich am Morgen die Ältesten auf den Weg machten.

    Es herrschte reges Treiben. Zelte wurden abgebaut, Dromedare beladen, die Herden versorgt und inmitten des Trubels zog Neriman davon scheinbar ungerührt Muster von Linien in den festgetretenen Sand. Bei genauer Betrachtung konnte man das Lager erkennen, die Zeltreihen, Wälle und Gräben, soweit sie nicht vom Winde verweht waren, die genaue Lage der Tore und vor allem die der Wachposten. Natürlich war es nur eine grobe Übersicht, die Nacht war dunkel und das Lager nur spärlich von brennenden Zelten und einzelnen Fackeln beleuchtet gewesen. Dabei war es auch noch unheimlich groß. Die fünf Ältesten um sie herum diskutierten, es war nicht ganz ungefährlich. Was auch immer dort in dem Lager, das Neriman hier in den Sand gezeichnet hatte, geschehen war, es konnte jederzeit wieder passieren. Nach einer kurzen Abstimmung stand es aber fest, sie wollten den Umweg wagen.


    Gegen Mittag waren die Vorbereitungen abgeschlossen, die Strecke stand fest und mit der Dämmerung konnte es losgehen. Mittlerweile standen auch nur noch vereinzelte Zelte, die Schutz vor der sengenden Hitze boten. Gelegenheit, sich etwas auszuruhen, Kraft zu schöpfen. Viele lange, heiße Tage würden sie von nun an in der unwirtlichen Wüste verbringen müssen, bis sie zur nächsten größeren Stadt kämen, um ihre Vorräte aufzufüllen und Geschäfte zu machen. Da wurde der der Umweg, den Neriman ihnen einbrachte, nicht unbedingt nur mit Freude aufgenommen. Allerdings war es die Gelegenheit, die Herden zu reduzieren, ebenso das Gepäck der Tiere, eine Erleichterung für jeden Einzelnen ihres Stammes.


    Neriman konnte nicht schlafen. Nachdenklich lauschte sie in die Stille, hörte das leise atmen um sich, dazwischen das unruhige Schnaufen der Tiere. Sollten sie in irgendwelche kriegerischen Auseinandersetzungen geraten, wäre es ihre Schuld. Vielleicht sollten sie doch einfach nur weiterziehen. Dann kam ihr wieder Ourida in den Sinn und damit auch das verlorene Tuch, ihr Tuch. Der Schmerz stach augenblicklich in ihr Herz, vor ihrem inneren Auge versank das Tuch erneut in der Dunkelheit. Es war wohl auch ein kleines bisschen Hoffnung dabei, ihr Egoismus, der sie den Vorschlag mit dem Lager machen ließ.


    Sie mußte unbedingt aus diesem Zelt heraus, frische Luft, sie brauchte Ablenkung. Vorsichtig stieg sie über schlafende Körper, ineinander verschlungene Beine und duckte sich unter dem Zelteingang. Draussen streckte sie sich ersteinmal der Sonne entgegen und holte tief Luft. Abay, der unter einem Vordach saß und Wache hielt, sah besorgt zu ihr auf. Er kannte sie am besten von allen, befreite den Platz neben sich grob von Sand und nickte ihr zu. Wortlos nahm sie im Schneidersitz platz und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Abay nahm ihre Hand und wartete geduldig. Dann nahm sie einen Stock und begann, in den Sand zu schreiben.

    Der Sturm war vorüber, die Nacht ebenfalls und ihre Chance schon dreimal. Die Sonne schickte sich an, über den Erdenrand zu klettern. Bevor das geschah, musste sie weg sein.


    Noch war es dunkel. Ein kaum wahrnehmbarer Lichtstreif stand am Horizont, schob gegen die immer schwächer leuchtenden Sterne. Auf allen Vieren schüttelte Neri grob den Sand von ihrem Körper, den der nächtliche Sturm über sie gehäuft hatte. Der Umhang folgte der Schwerkraft, als sie aufstand, er rutschte zu Boden. Mit klammen Fingern wickelte sie das Tuch vom Kopf. Der Sand klebte hartnäckig in jeder Falte des Stoffes und auch mit heftigem Ausschütteln war er kaum daraus zu entfernen. Ein Ruck, dabei entglitt das Tuch ihren Fingern. Erstarrt blickte sie ihm hinterher. Es fiel nicht einfach zu Boden, nein, es segelte gemächlich die Düne hinunter, allerdings zur falschen Seite. Der Schmerz, der in diesem Moment in ihrem Herzen wütete, war fast ebenso stark wie der Drang, einfach hinterherzulaufen. Es wäre ihr Verderben, aber das Tuch was alles, das ihr noch geblieben war. Nun verschwand es aus ihrem Blick, ihrem Leben, versank in der Dunkelheit. Mit Mühe hielt sie sich zurück und hob wenigstens den Umhang auf.


    Ein Blick hinter sich gen Horizont, dann wieder zurück in die Dunkelheit. Sie wickelte sich in ihren Umhang und lief los, der aufgehenden Sonne entgegen. Immer schneller lief sie, bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit erschöpft und ausgelaugt bäuchlings in den Sand fiel. Es war ihr egal, ob sie sich dabei die Haut aufriss, ihr Gewand durchscheuerte. Es sollte sie nur niemand so sehen. Ihre heißen Tränen durchnässten den staubigen, nun etwas festeren Boden. Hier draussen fühlte sie sich sicher, die Einsamkeit bot ihr Schutz, die Stille hüllte sie ein, als läge sie in den Armen ihrer Mutter. Nur der Wind trug ihr Klagen, bis alle Tränen vergossen waren.


    Ihr Lager erreichte sie nach einer weiteren Stunde. Neckisch grinsend kam sie der verblüfft dreinblickenden Wache entgegen und er warf ihr grummelnd ein Stück Holz nach. Immer wieder machte sie sich einen Spaß daraus, sich aus dem Lager zu schleichen und ihm damit klarzumachen, dass sie besser war als er. Ein Spiel, das sie seit Jahren spielten. Mit einem Ruck griff er sich ihen Arm, zog sie ans wärmende Feuer und drückte ihr ein Stück Fleisch in die Hand. Ihre Augen dankten es ihm.

    Die heißen Steine wärmten ihr Lager, doch der Schlaf, den sie ersehnte, wollte sich nicht über sie legen. Der rot flackernde Schein am Horizont waberte unaufhaltsam durch ihre Gedanken, fast wie ein magisches Band. Ein Band, das sie schließlich von ihrer heimelig warmen Schlafstatt erhob und in die kalte Dunkelheit hinausführte. Ein wollener Umhang, gefüttert mit dichtem Fell, bot ihr Schutz, ebenso der Dolch in ihrem Stiefel und das Messer an ihrem Gürtel. Gegen den leichten Sandsturm, der aufzog, half das Tuch, das sie über Kopf, Mund und Nase gewickelt hielt.


    Leise wie ein Kätzchen schlich sie weiträumig um das Lager. Es gab nur die eine Wache und Neri kannte sie gut. Ihm entging kaum etwas, nicht das kleinste Geräusch. Selbst das Schnauben der Tiere wußte er richtig zu deuten. Umso mehr mußte sie darauf achten, vor allem der Aufmerksamkeit der Herde zu entgehen. Schritt für Schritt setzte sie behutsam den Fuß im Sand auf, bis er leicht versunken festen Untergrund spürte, dann den nächsten. So umrundete sie die Zelte, bis die Entfernung ihre Schritte dämpfte und die Dunkelheit sie verschlang.


    Es war weit, der rote Schleier fast verschwunden, als sie den Gipfel einer Düne erklomm, der den Blick freigab auf ein weiträumiges, riesiges Heerlager. In der Dunkelheit war nicht viel zu erkennen, letzte Feuer, die hastig mit Sand gelöscht wurden, beleuchteten nur spärlich die Szenerie.


    Schweiß stand auf ihrer Stirn, das Wandern durch die Dünen hatte ihr einiges abverlangt. Der Atem ging stoßweise und um weiter unbemerkt beobachten zu können, legte sie sich bäuchlings in den Sand. Der wärmte noch ein wenig von unten, ein weiches Bett unter sternenklarem Himmel. Sand wirbelte auf, schob sich bedinungslos unter ihr Tuch, nahm ihr die Sicht. Von hinten näherte sich unaufhaltsam der Sturm. Hastig lockerte sie ihren Umhang. zog ihn über den Kopf und schob die Enden unter ihren Körper. Ein ausreichender Schutz für den Moment.

    Es war stockdunkel, bis auf das kleine, unscheinbare Feuer, dessen Flammen zu ihren Füßen um die letzten, kläglichen Reste vertrockneter Zweige kämpften. Ein Kampf, der dem in ihrem Inneren glich, nur, dass bei diesem das Ende schon feststand.


    Es war ein kaum wahrzunehmender Schimmer am Horizont, der ihre Aufmerksamkeit suchte. Erst blieb er unscheinbar, fast durchsichtig, dann wuchs er stetig an. Der rote Streif dort über den Dünen schien sich zu bewegen, waberte flackernd auf und ab, noch immer unbemerkt.


    Das Feuer zu ihren Füßen erlosch, sie legte Steine in die Glut und hob den Blick. Reglos auf den Schein gerichtet, spiegelte sich das Rot in ihren Augen wider. Ihr war klar, was es war, sie wußte, es ging sie nichts an, sie war sicher, es war weit genug entfernt. In aller Ruhe wickelte sie die Steine in Tücher, legte sie auf ein Fell und stand damit auf.


    Für einen Moment lauschte sie in die Stille. Es war ruhig, ein tonloses Flackern am Horizont, leise Schritte, die sich näherten, dazwischen das leise Schnauben der Tiere. Ihre Zeit der Wacht war zu Ende. Mit einem Fingerzeig wies sie Richtung Horizont. Das leise Danke ihrer Ablösung hallte wie ein Donner durch das Lager, bevor es in der Dunkelheit verstummte. Ebenso still nickte sie ihrem Gegenüber noch zu. Dann verschwand sie in ihrem Zelt.