Ja, dieses Sternbild erkannte sie sofort. Es war schon ein paar Jahre her, da lag ihr Vater nächtelang neben ihr im Wüstensand und erklärte ihr die Sterne, ihre Bedeutung und wie man durch sie den Weg finden konnte. Er kannte auch einige der Legenden, die sich um diese Sternbilder rankten. Für sie war das damals spannend, besonders die Geschichten. Nicht weiter verwunderlich, sie war ja noch ein Kind. Auch die des Delphin war faszinierend, doch von nun an würde gerade dieses Sternbild eine besondere, eine ganz eigene Bedeutung für sie haben.
Die Frage, ob er zürückkehren würde, stand lange unbeantwortet zwischen ihnen. Er schien nachdenklich, verzweifelt? Oder wußte er nur nicht, wie er ihr beibringen sollte, dass er nicht wiederkommen wollte? Schließlich war er Römer, ein Soldat, sie nur ein unbedeutendes Wüstenmädchen. Wahrscheinlich gab es dort in Alexandria sogar eine Frau, die auf ihn wartete. Für einen Moment fühlte sie sich richtig dumm, dass sie nie über diese Möglichkeiten nachgedacht hatte. Dann aber griff er in den Sand, ließ die Sandkörner aus seiner Hand rieseln wie aus einer Sanduhr. Unendlich langsam, viel zu langsam - bis sie leer war. Vielleicht irgendwann...
Neriman nahm dankbar seine Hand, versank in seinen dunklen Augen, ehe seine Finger ihre Lippen berührten. Sanft, fast scheu, als hätte er Angst, sie zu berühren. Ganz automatisch schloss sie ihre Augen, erwartete sehnsüchtig seine Lippen. Unglaublich sachte trafen sie aufeinander, elektrisierend, ein Schauer jagte durch ihren Körper, Gefühle, die sie bisher nicht kannte. Ein Rausch aufbrechender Gefühle, der sie für einen Moment der Welt entzog. Nur sie beide - keine Bedenken mehr. Sie ließ sich fallen, mitreissen, wollte mit ihm versinken in der Unendlichkeit. Sie tauchten wieder auf, langsam, stetig. Es fiel ihr schwer, sich von ihm zu lösen, in die Wirklichkeit zurückzukehren, die gleich mit voller Wucht zuschlug. Er senkte den Blick vor ihr. Schuldbewußt? Ihre Hand hob sich an seine Wange, legte sich liebevoll an seine Haut. Sie wollte ihm so vieles sagen, ihm erklären, ihm sagen, dass es genau so richtig war. Wenn sie doch nur noch einmal sprechen könnte.
Seufzend nahm sie seine Hand und stand auf, hielt den Ring ganz fest in ihrer Hand. Er würde wohl schon bald ihr größter Schatz werden. Es gab viele dieser Schätze, alle behaftet mit einer Erinnerung, viele davon unerreichbare Sehnsüchte, einige für immer ausgelöscht. Dieser barg noch eine kleine Hoffnung, wie ihr Tuch. Neriman umfasste seine Hand ganz fest, als würde sie ihn nie wieder loslassen wollen. Sie mussten nicht lange suchen. Jasim stand mit Abay ganz in der Nähe, in ein Gespräch vertieft. Abay erklärte ihnen kurz die Lage, auch, dass sie das Lager nicht wieder betreten sollten. Bei diesen Worten bedachte Neri Massa mit einem traurigen Blick. Dann konnte wohl nur er zu ihr kommen, oder hier und jetzt war es der Abschied - vielleicht für immer.