Beiträge von Neriman Seba

    Ja, dieses Sternbild erkannte sie sofort. Es war schon ein paar Jahre her, da lag ihr Vater nächtelang neben ihr im Wüstensand und erklärte ihr die Sterne, ihre Bedeutung und wie man durch sie den Weg finden konnte. Er kannte auch einige der Legenden, die sich um diese Sternbilder rankten. Für sie war das damals spannend, besonders die Geschichten. Nicht weiter verwunderlich, sie war ja noch ein Kind. Auch die des Delphin war faszinierend, doch von nun an würde gerade dieses Sternbild eine besondere, eine ganz eigene Bedeutung für sie haben.


    Die Frage, ob er zürückkehren würde, stand lange unbeantwortet zwischen ihnen. Er schien nachdenklich, verzweifelt? Oder wußte er nur nicht, wie er ihr beibringen sollte, dass er nicht wiederkommen wollte? Schließlich war er Römer, ein Soldat, sie nur ein unbedeutendes Wüstenmädchen. Wahrscheinlich gab es dort in Alexandria sogar eine Frau, die auf ihn wartete. Für einen Moment fühlte sie sich richtig dumm, dass sie nie über diese Möglichkeiten nachgedacht hatte. Dann aber griff er in den Sand, ließ die Sandkörner aus seiner Hand rieseln wie aus einer Sanduhr. Unendlich langsam, viel zu langsam - bis sie leer war. Vielleicht irgendwann...


    Neriman nahm dankbar seine Hand, versank in seinen dunklen Augen, ehe seine Finger ihre Lippen berührten. Sanft, fast scheu, als hätte er Angst, sie zu berühren. Ganz automatisch schloss sie ihre Augen, erwartete sehnsüchtig seine Lippen. Unglaublich sachte trafen sie aufeinander, elektrisierend, ein Schauer jagte durch ihren Körper, Gefühle, die sie bisher nicht kannte. Ein Rausch aufbrechender Gefühle, der sie für einen Moment der Welt entzog. Nur sie beide - keine Bedenken mehr. Sie ließ sich fallen, mitreissen, wollte mit ihm versinken in der Unendlichkeit. Sie tauchten wieder auf, langsam, stetig. Es fiel ihr schwer, sich von ihm zu lösen, in die Wirklichkeit zurückzukehren, die gleich mit voller Wucht zuschlug. Er senkte den Blick vor ihr. Schuldbewußt? Ihre Hand hob sich an seine Wange, legte sich liebevoll an seine Haut. Sie wollte ihm so vieles sagen, ihm erklären, ihm sagen, dass es genau so richtig war. Wenn sie doch nur noch einmal sprechen könnte.


    Seufzend nahm sie seine Hand und stand auf, hielt den Ring ganz fest in ihrer Hand. Er würde wohl schon bald ihr größter Schatz werden. Es gab viele dieser Schätze, alle behaftet mit einer Erinnerung, viele davon unerreichbare Sehnsüchte, einige für immer ausgelöscht. Dieser barg noch eine kleine Hoffnung, wie ihr Tuch. Neriman umfasste seine Hand ganz fest, als würde sie ihn nie wieder loslassen wollen. Sie mussten nicht lange suchen. Jasim stand mit Abay ganz in der Nähe, in ein Gespräch vertieft. Abay erklärte ihnen kurz die Lage, auch, dass sie das Lager nicht wieder betreten sollten. Bei diesen Worten bedachte Neri Massa mit einem traurigen Blick. Dann konnte wohl nur er zu ihr kommen, oder hier und jetzt war es der Abschied - vielleicht für immer.

    Er trug ihr Amulett. Es tat also seine Wirkung und schützte seinen Träger, so wie sie es beabsichtigt hatte, als sie es anfertigte. Dass es ihm allerdings noch nicht so gut ging, das lag wohl an Verwundungen, die im Verborgenen lagen. Doch er lebte und sah sehr gut aus, im Gegensatz zu vielen Soldaten, die sie im Laufe ihres Ganges durch das Lager sehen musste. Sie nickte lächelnd. Sehr viel Glück, ja, das hatte er. Aber das mußte man wohl auch haben, wenn man für sein Leben diesen Weg einschlug. Sie wünschte zwar, er würde sich nicht weiter in diese Gefahr begeben, andererseits wurden durch die Römer diese Barbaren geschlagen. Das kam auch ihnen zugute. Nicht für ewig, sie kannte dieses Volk, aber doch für eine Weile.


    Neriman - ihr Name von ihm ausgesprochen hatte einen ganz besonderen Klang. Das Streicheln seiner Finger, so sanft, sein Blick ging tief und ließ ihr Herz erneut höher schlagen. Diese wundervollen dunklen Augen zogen sie in ihren Bann. Ihr Gesicht kam dem seinen unweigerlich näher, doch dann veränderte sich etwas. In seinem Blick, seiner Körperhaltung. Er zeichnete etwas in den Sand, wollte etwas sagen. Alexandria? War das die Stadt, in der er lebte? Oder... die Erkenntnis traf sie tief, auch wenn sie damit hatte rechnen müssen. Er musste dorthin zurück. Schon bald? Er legte ihr einen Ring in die Handfläche. Neriman nahm ihn, drehte ihn in den Fingern, strich sanft mit einem Finger über den Delphin, der darin eingraviert war. Schon bald... eine kleine Träne bahnte sich ihren Weg in ihren Augenwinkel. Danke - sagten ihre Hände, begleitet von einem Blick, der ausdrücken sollte, wieviel ihr sein Geschenk bedeutete. Es war mindestens ebenso wertvoll wie das Tuch, das sie trug, dessen Bedeutung er aber vielleicht nie erfahren würde - sie würde ihr Leben dafür geben. Sie wandte sich wieder seiner Zeichnung zu, deutete auf ihn, machte mit den Fingern laufende Bewegungen von Alexandria zu ihrer "Insel", hob den Blick und sah ihn fragend an. Kommst du zurück? Irgendwann? Eine kleine Hoffnung.

    Das war blanker Hass, nicht einfach nur bedingt durch die Schmerzen in seinem Arm, das war mehr. Schon damals vor dem Zelt, als er Massa anfuhr. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass es nicht gegen ihn ging, sie war es, die ihn zu diesen Reaktionen veranlasste. Sie zermarterte sich das Hirn, woran es liegen könnte. Aussichtslos. Wäre Massa eine Frau und sie einer ihrer Verehrer, dann würde alles einen Sinn ergeben, aber so. Oder war er in sie...? Nein, das konnte nicht sein. Würde aber zumindest ein wenig entwirren. Dazu passte aber kein bisschen die Vertrautheit der beiden. Eine Hand streckte sich ihr entgegen, die Augen des Mannes mit einem blutigen Tuch eingebunden. Sie kniete sich zu ihm, gab ihm etwas von der Rinde und ging dann weiter. Den armen Kerl hatte es viel schlimmer erwischt als diesen Legionär dort drinnen. Wieso sollte sie sich weiter den Kopf über ihn zerbrechen. Sie wollte nur helfen, er konnte diese Hilfe annehmen oder stolz seinen Schmerz ertragen. Es war seine Entscheidung. Wie, um sie zu beruhigen, legte sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter. Seine Stimme ließ sie innehalten, im Gehen wie in ihren Grübeleien. Er war ihr gefolgt. Nur zu gern begleitete sie ihn zu den Palmen, die angenehmen Schatten versprachen.


    Ungläubig vernahm sie seine Begrüßung, er nutzte Worte ihrer Sprache. Während sie Platz nahm, konnte er das Leuchten in ihren Augen sehen. Es unterstrich das strahlende Lächeln, das zum Vorschein kam, als sie das Tuch soweit löste, bis es ihr nur noch locker über den Haaren lag. Es war schön, ihn verstehen zu können, aber um sich mit ihr zu unterhalten, mußte er mehr lernen als nur das. Eine Hand legte sich auf ihre Brust, dann machte sie mit beiden Händen ein Zeichen, das bedeutete, es ginge ihr gut. Sie bestätigte es mit einem Lächeln und konnte nur hoffen, er verstand. Vorsichtig führte sie dann ihren Finger an die halbverheilte Wunde über seinem Auge, ohne sie wirklich zu berühren, legte den Kopf leicht schief und ihre Augen schienen zu fragen, wie es ihm ergangen war. Das viele Leid hier, er mußte von seinen Göttern geliebt sein. Keine Sprache der Welt konnte zum Ausdruck bringen, wie glücklich sie war, ihn wohlauf und augenscheinlich kaum getroffen zu sehen.


    Unterdessen wanderte Abay mit Jasim durchs Lager, auf der Suche nach ihr. Jasim nutzte die Zeit, ein wenig mit Abay zu plaudern. Bei den Römern hatte er dazu wenig Gelegenheit und abgesehen davon wollte er Neriman noch ein wenig Zeit gönnen. Abay allerdings wurde allmählich ungeduldig. Er kannte die Römer nicht und traute keinem von ihnen über den Weg.

    Der Bericht war erschütternd. Immer geringer wurde ihre Hoffnung, ihn lebend wiederzusehen. All die Bilder, die bei Jasims Erzählung in ihrem Kopf erschienen, die vielen Toten. Trotzdem blieb ein kleiner Funke Hoffnung, und als hätte Jasim ihre Gedanken erraten, bereitete er ihr die größte Freude an diesem Tag. Sie bewunderte das Feingefühl und die Beobachtungsgabe des Dolmetschers, man könnte meinen, er wäre selbst ein Bewohner der Wüste gewesen.


    Während Jasim Abay zum Präfekten brachte, war Neriman längst schon auf dem Weg zu den fünf Palmen. Als sie jedoch dort ankam, war da nichts als ein leeres Lager. War er... ? Pfüfend berührte sie die Liege und atmete tief durch. Nein, war er nicht. Ihr Blick wanderte suchend durch die Reihen von Verwundeten. Nichts. Dann wollte sie sich wenigstens nützlich machen. Es waren immer noch einige darunter, die die Nacht, oder sogar den Tag, nicht überleben würden. Dort ging sie hin, hielt eine Hand, schloss einem anderen die Augen, betete für ihre Seelen und um Kraft für die, die noch eine Chance hatten. Es schmerzte fast körperlich, das viele Leid um sie herum zu sehen und auch zu hören. Und wie ein Fünkchen Licht in der Dunkelheit wehte der Wind Stimmen zu ihr herüber, die ihr vertraut waren. Massa und der andere, der ihn damals vor dem Zelt so böse angefahren hatte.


    Sie erhob sich und ging darauf zu. Eine Art Zelt, ob sie einfach so hineingehen sollte? Mehr als hinauswerfen konnten sie sie auch nicht. Also trat sie zögernd ein und blieb wie versteinert stehen. Verwirrend war der Anblick, der sich ihr bot, die Hände der beiden ineinander, und Serapios Blick... Das sah nicht nach Soldat und Vorgesetztem aus. Neriman fasste sich schnell wieder - um zu gehen, war es zu spät. Ein kurzer Blick auf Massa, ihm schien es relativ gut zu gehen. Serapio mußte mehr abbekommen haben, er lag und machte einen sehr schwachen Eindruck. Neriman umrundete dessen Lager und erkannte den Grund im selben Moment. Der Arm sah schlimm aus, angeschwollen und verfärbt, aber fachmännisch versorgt. Sie berührte ihn vorsichtig, bemerkte sofort, wie schmerzhaft es für ihn sein musste. Ein verstohlener Blick zu Massa, während sie ihren Beutel von der Schulter nahm.


    In den Tiefen fand sie, was scheinbar so dringend benötigt wurde. Ein kleines Säckchen gefüllt mit Weidenrinde zog sie hervor. Neri nahm ein Stück heraus, reichte es Massa und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, es Serapio zu geben. Noch eine Kaubewegung ihrer Zähne, zu der sie natürlich das Tuch vom Gesicht zog, um ihm zu zeigen, er solle es kauen. Dass es nicht sofort wirken, aber dann den Schmerz nehmen würde, dafür wußte sie kein Zeichen, das die beiden verstehen würden. Sie konnte nur hoffen, sie würden ihrem Wissen vertrauen. In der Wüste gab es keine Ärzte, da waren sie auf sich alleine gestellt und mußten sich selbst helfen können.


    Neriman packte alles wieder ein und lächelte ihnen aufmunternd zu. Hier war getan, was ihr zu tun möglich war. Weiter stören wollte sie nicht, also ließ sie die beiden wieder alleine. Ihre Gedanken hingen weiter an genau jenem Moment, an dem sie die beiden so innig miteinander erlebt hatte. Nur schwer konnte sie sich auf die Verwundeten einlassen und wanderte eher ziellos durch die Reihen.

    Ihr wurde mulmig, als sie die misstrauischen Blicke sah und die Legionäre mit gezogenem Gladius vor ihr standen. Aber nun war es zu spät. Sie wollte auch nicht weg, sie wollte wissen, was geschehen war. Der Anführer würde sie sicher erkennen, immerhin war so die Verabredung ihrer Führer, ihr Stamm sollte bei der Oase zu den Römern stoßen. Tot war sie auch noch nicht, das war zusätzlich ein gutes Zeichen. Endlich kam auch Abay, sie spürte ihn schützend in ihrem Rücken. Man forderte sie auf, mitzukommen, was sie auch ohne Widerspruch taten. Auf ihrem Weg blickte Neriman sich immer wieder suchend um, niemand, den sie kannte war zu sehen. Dann kam ihnen Jasim in den Weg. Erleichterung. Ein vertrauter Mensch, der obendrein ihre Sprache sprach. Nach einer kurzen Unterhaltung der Männer mit Jasim, sah sie den Römern nach, die die kleine Gruppe schwatzend verließen. Niemand, der sie weiter unter Beobachtung hielt. Neri hätte Jasim zu gerne dafür umarmt. Allerdings waren seine Worte mehr als beunruhigend. Abay übernahm sogleich das antworten.


    "Sei gegrüßt, Jasim. Es war ausgemacht, euch hier zu treffen. Mein Vater sollte mit den Römern Karten anfertigen, um ihnen den Weg durch die Wüste zu erleichtern. Aber sprich, was ist geschehen? Waren das diese Barbaren? Diese unbarmherzigen... "


    Sein Gesicht verfinsterte sich in der Erinnerung vergangener Tage. Er wußte, zu was diese Blemmyer fähig waren. Wenn auch schon Wochen, Monate, sogar Jahre ins Land gezogen waren, dieser Tag würde immer so frisch in seiner Erinnerung bleiben, als wäre er gestern gewesen.


    "Braucht ihr Hilfe, können wir etwas tun? Die Verwundeten, ihr könnt sicher jede Hand gebrauchen. Mein Stamm wird bald hier sein. Du könntest den Verantwortlichen fragen, wir bieten euch jede erdenkliche Hilfe."


    Neriman nickte nur zustimmend und wurde ungeduldig. Wieviele waren überhaupt noch am Leben? War er dabei? Zu fragen wagte sie nicht, zu groß war die Angst vor der Antwort. Neriman nickte dankend, als man ihr den Wasserschlauch reichte. Es tat gut, wenn auch ihr Durst nicht sehr groß war. Es beruhigte, zumindest vorübergehend.

    Im Dorf hatten sie sich mit allem eingedeckt, das sie die nächsten Wochen und Monate benötigen würden und die Waren verkauft, die von den Römern nicht gewünscht waren. Die Kamele waren bepackt, die Herden versorgt, und die Männer und Frauen glücklich über die abwechslungsreichen Tage, die das Dorf ihnen bot. Nun konnte es zurückgehen in das Leben der Wüste, das so völlig anders war. Und trotzdem gab es kaum einen, der neidisch war auf die Sesshaften hier im Dorf. Es würde etwas dauern, bis sie die Römer eingeholt hatten, aber ihr Umweg ins Dorf dauerte sicher nur wenige Tage.


    Sie näherten sich der Oase zügig, die Tiere waren gestärkt von gutem Futter und ausreichend Wasser, auch die Kamele waren ausgeruht. Die Dünen wurden flacher, das grüne Fleckchen Erde schon fast zu erkennen und mit ihm der Schrecken, der es einrahmte. Neriman blieb die Luft weg. Massa - ging ihr nur durch den Kopf. Der Stich ins Herz zog sich schmerzhaft durch ihren gesamten Körper. Sie lief los, ohne sich noch einmal umzusehen, machte sich keine Gedanken, was ihre Familie dachte, oder ob die Römer sie als Feind ansehen würden. Sie wollte einfach nur dorthin.


    Es war noch ein gutes Stück, und der Sand nahm ihr bei jedem Schritt an Kraft. Trotzdem gab sie nicht nach, lief immer weiter, bis sie schließlich beim Lager der Römer ankam. Keuchend blieb sie davor stehen. Eine einzelne Frau würden sie hoffentlich nicht einfach so ermorden. Erst jetzt wurde ihr auch wieder die übermächtige Macht der Römer bewußt und damit auch ihre Hilflosigkeit. Sie konnte weder sagen, was sie hier wollte, noch verstand sie deren Sprache. Was war nur in sie gefahren, alleine hierherzulaufen? Unsicher drehte sie sich um, und ein erleichtertes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Ihr Bruder war ihr gefolgt - ein Hoffnungsschimmer. Dann wieder der Blick auf das Lager. Was würde man nun mit ihr tun?

    Im Zelt


    Es wurde noch bis ins kleinste Detail ausdiskutiert und geplant, wie es weitergehen sollte, dann verließ ein Römer nach dem anderen das Zelt. Der Saih war zufrieden mit dem, was ausgehandelt wurde und machte es sich auf dem Kissen bequem. Entspannt prostete er den anderen Männern zu. Was dort draussen geredet wurde, interessierte ihn kaum noch. Er verstand ohnehin kein Wort. Immerhin waren die Römer bereit, ihre Waren abzukaufen, was bedeutete, dass die Tiere um einiges weniger an Gewicht bis ins Dorf schleppen mussten. Ebenso die Herden, sie kamen mit weniger Tieren bedeutend schneller voran. Trotzdem blieb das Gefühl, die Römer trauten den Nomaden nicht zu, ihre Ortskenntnisse wahrheitsgemäß an sie weiterzugeben. Das sollte jedoch nicht sein Problem sein, da mussten die Soldaten ihnen schon vertrauen.


    Nun konnte es abend werden. Der Saih trug den Frauen auf, sich um das Essen zu kümmern. Heute sollte gefeiert werden und schon im Morgengrauen wollten sie die Zelte abbrechen und weiterziehen. Ihr Volk in Richtung Dorf und die Römer zur nächsten Wasserstelle. Nerimans Vater würde ihnen noch zeigen, wie sie sicher die Oase erreichen konnten. Er war sehr geschickt darin, kannte jeden Stein und wußte auch um die Gefahren. Es sollte also kein Problem darstellen, dass die Fremden den Weg auch alleine finden würden. Er wollte ungern einen seiner Männer mit ihnen schicken.


    Vor dem Zelt


    Der Ausbruch des jungen Soldaten war auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen. Betroffen beobachtete sie die Szene, schob sich das Tuch über die Nase und wich bis zur Zeltwand zurück. Die Worte, die er Massa entgegenschleuderte, waren für sie nicht zu verstehen, alleine die Wut und die Enttäuschung konnte sie heraushören. Neriman verstand die Welt nicht mehr. Was war falsch? Er durfte doch etwas trinken. Und von der Wache abgelenkt, naja, vielleicht ein bisschen. Vorhin. Da waren aber alle noch im Zelt. Keiner konnte das mitbekommen haben und ihr Vater hatte sicher nichts gesagt. Umsomehr wunderte sie sich nun. Etwas später trat auch der Ältere vor das Zelt und wies seinerseits den Jüngeren zurecht. Wäre sie nicht in die ganze Geschichte mit eingebunden, sie hätte sich sicher köstlich darüber amüsiert. So aber wuchs in ihr nur der Wunsch, diese fremde Sprache zu verstehen. Es würde dieses Zusammentreffen um einiges erleichtern. Im Moment stand das aber wie eine Wand dazwischen, die fremde Sprache der Römer und ihre eigene. Ihre Welt war der anderen so nah, und doch gab es keine Möglichkeit, von einer auf die andere Seite zu gelangen. Ihr blieb nur die Rolle der stillen Beobachterin.


    Der kleine Trupp machte sich auf den Rückweg. Massa drehte sich noch einmal nach ihr um. Sie konnte nichts tun, als ihm ein entschuldigendes Lächelns zu schenken, das er nicht einmal sehen konnte. Da wurde sie sich des Amuletts in ihrer Hand bewußt, des eigentlichen Grundes ihrer Rückkehr. Ihre Finger hielten es noch immer krampfhaft umschlossen. Die Pferde, sie würden sie gleich erreichen. Neriman beeilte sich, schlich hinter den Vieren her. Niemand würde sie bemerken, das war etwas, das sie in all den Jahren gelernt hatte, es sei denn, einer der Männer würde sich überraschend umdrehen. Die andere Gefahr war, dass sie Massa zu Tode erschrecken würde, das war nicht zu vermeiden. Aber vielleicht war das die letzte Gelegenheit, es ihm zu geben. Sie erreichte ihn rechtzeitig, duckte sich halb hinter ihm und hielt ihn am Arm zurück. Einen Finger presste sie auf seine Lippen, damit er nur ja keinen Ton von sich gab und ihre Augen flehten ihn an. Auf der flachen Hand hielt sie ihm das Amulett entgegen. Irgendwann würde sie ihn vielleicht darüber aufklären können, jetzt war dafür definitiv keine Zeit. Sie wartete, bis er es nahm, dann verschwand sie ebenso schnell und ebenso leise, als wäre sie nie hiergewesen.

    Die schützenden Zeltwände gaben Sicherheit, die fragenden Augen ihrer Familie, die nun auf sie gerichtet waren, nicht. Vielleicht hätte sie nicht rennen sollen. Abay war nicht da, also ging sie gleich wieder, die wütenden Rufe ihrer Großmutter ignorierend. Ihr nächster Weg führte sie zur Ziegenherde. Da saß er, ein kleines Zicklein auf dem Schoß, das sich scheinbar etwas eingetreten hatte. Schweigend setzte sie sich neben ihn, wartete, bis er fertig war und lehnte dann den Kopf an seine Schulter. Er kannte sie so gut, nahm sie einfach in den Arm und streichelte ihre Wange. Da bemerkte er auch das Tuch. "Du hast es wieder?" Ein kurzes Lächeln, während sie nickte, dann zupfte sie dem jungen Tier gedankenverloren ein paar Grashalme aus dem Fell. Abay stellte es wieder auf die Füße und schickte es zur Herde zurück, dann musterte er Neriman eindringlich. Sie müsste glücklich sein, für das Tuch hätte sie sich vor kurzem noch fast umgebracht, hätte er sie nicht zurückgehalten.


    "Was ist los? Du hast doch nichts Dummes angestellt, oder?" Neri zuckte mit den Schultern, dann erzählte sie ihm alles. In Abay keimte ein Verdacht, und als sie zum Schluß kam, musste er grinsen. Einzig die Tatsache, dass ihr Vater die Situation total missverstanden haben musste, daraus seine eigenen Schlüsse ziehen würde und Neriman dadurch mehr als Ärger bekommen würde, war die negative Seite der Geschichte. Es war aber auch zu komisch und er wäre gerne dabeigewesen. Immer noch grinsend, nahm er ihre Hände. "Du solltest froh sein, dass er so ehrenvoll war, den Dolch zurückzugeben. Kein Tuch ist so ein Opfer wert, auch dieses nicht. Ich weiß, was es dir bedeutet, aber du hast noch deine Erinnerung, die ist viel wertvoller... und die Hoffnung, das weißt du." Er nahm sie fest in den Arm, nicht nur, um sie zu trösten, auch sich selbst. "Und jetzt freu dich einfach. Vater wird sich sicher wieder von dir einwickeln lassen und was den Römer angeht... " Er ließ sie los und hielt sie an den Schultern. "Wenn du ihm unbedingt deine Dankbarkeit zeigen willst, dann schenke ihm doch etwas anderes." Wie zur Bestätigung blökte das Zicklein und hoppelte davon. Neriman mußte lachen, gab Abay einen Kuss auf die Wange und lief eilig davon.


    Er hatte recht, wie so oft. Von ihnen beiden war er eindeutig der Vernünftigere. Neri stürmte wieder ins Zelt, ignorierte erneut ihre Großmutter und verzog sich in den weiblichen Teil. Zum Glück waren alle beschäftigt und keiner hier. Aus einer kleinen Holzkiste nahm sie das Amulett mit dem Anhänger, den man mit etwas Geschick öffnen konnte. Noch war er verschlossen. Sie suchte Farbe, Pinsel, ein winziges Stück Leder, setzte sich und nahm die Holzkiste auf die Knie. Sie diente als Unterlage. Der hauchfeine Pinsel war wunderbar geeignet für ihr Werk. Ein winziges Schriftzeichen nach dem anderen füllte das gerade einmal daumennagelgroße Stück. Als das fertig war, bestreute sie das Ganze mit einem geheimnisvollen Pulver, pustete kurz darüber und rollte es ein. Der Anhänger war nur zu öffnen, wenn man wußte, wie. Vorsichtig geöffnet, legte sie das kleine Röllchen hinein und mit einem Klicken verschloss sie es für hoffentlich eine sehr lange Zeit.


    Es war ihr Kopf, der erst neugierig um die Ecke lugte, um zu sehen, ob auch niemand da war, abgesehen von dem Römer natürlich. Noch immer waren alle im Zelt beschäftigt. Was hatten die nur so lange zu bereden? Das war es aber nicht, weshalb sie zurückgekehrt war. Bevor sie ganz hervortrat, schob sie ihr Tuch wieder bis zum Kinn herunter. Ihr Gesicht zu sehen, würde ihm helfen, sie zu verstehen, so hoffte sie zumindest. Bevor er etwas sagen konnte, machte sie eine entschuldigende Geste. Es tat ihr ehrlich leid, dass sie ihn in eine solche Situation brachte. Betreten schob sie den Sand zu ihren Füßen beiseite. Sie hätte ihm zu gerne alles erklärt, aber er würde sie wohl nicht verstehen. Vielleicht hätte sie nicht noch einmal hierherkommen sollen.

    Im Zelt:


    Der Älteste lächelte anerkennend, während der Präfekt trank. Die Schale, die der ihm dann zurückgab, reichte er sogleich an Serapio weiter. Zuerst die Gäste, dann er und dann die Ältesten, das war die richtige Reihenfolge. Was ihm nun noch fehlte, war eine Antwort auf die Frage, wielange seine Gäste bleiben würden. Es wäre ihm eine Freude, sie noch eine Weile zu bewirten, doch dann müssten Vorbereitungen getroffen werden. Ein Tier würde man zur Feier des Tages schlachten, oder auch zwei. In Gedanken war er schon am Organisieren und Einteilen.


    Abays Vater wandte sich unterdessen an den Dolmetscher. "Frag sie, wie das mit den Karten vonstattengehen soll." Er hoffte, dass sie das noch an Ort und Stelle erledigen konnten, er würde ungern seine Familie verlassen müssen.


    (nicht ganz zeitgleich) davor:



    Das Tuch... ihr Herz schlug vor Anspannung. Gleich, gleich würde es wieder ihr gehören. Dafür gab sie den Dolch gerne. Noch hielt sie sich zurück, beobachtete, wie sorgsam er den Dolch in Händen hielt, ihn bewundernd im Sonnenlicht drehte. Ein bunter Strahl traf sie ins Auge, sie musste blinzeln und von seinem Lachen angesteckt, lachte sie ebenfalls. Lautlos, wie alles, das von ihr kam, aber nicht weniger fröhlich.


    Er griff nach ihrer Hand, sie verstand nicht ganz, sah ihn fragend an. Kurz darauf lag ihr Dolch darin. Die Wärme, die von seiner Hand auf ihre überging, war mehr, als die Dankbarkeit, die sie in diesem Moment fühlte. Sie verstand sehr genau, was er ihr damit sagen wollte. Verwunderung sprach aus ihrem Blick, den sie nur schwer von ihm lösen konnte, ihn dann doch auf den Dolch in ihrer Hand richtete, noch immer gerührt von der Geste. Seine Worte verstand sie nicht, wohl aber den Klang. Manchmal waren Worte überflüssig...


    Vorsichtig befestigte sie den Dolch wieder an ihrem Gürtel und schenkte ihm dafür ein dankbares Lächeln. Erst dann holte sie sich ihr Tuch zurück. Als hätte sie ein Leben lang auf diesen Augenblick gewartet, legte sie es an ihre Wange, fühlte den Stoff, sog sehnsüchtig den Geruch in sich auf. Es war schon lange nicht mehr der Duft, den es einst zierte, dafür war es zu lange her. Heute war er wieder anders, denn es war jetzt sein Geruch. Sorgsam schlang sie sich das Tuch wieder übers Haar und um den Hals. Das Gesicht ließ sie frei, in ihrem Stamm ein Zeichen von Vertrauen. Und genau das hatte er sich wirklich verdient.


    Er war längst wieder aufgestanden. Natürlich, er durfte seine Aufgabe nicht vernachlässigen. Neriman wischte ein Stück Boden glatt und schrieb mit dem Finger etwas in den Sand. Sein "Danke", möglicherweise nicht richtig geschrieben, denn sie kannte nur die Aussprache. Dann stand auch sie auf. Nach kurzem Zögern trat sie an ihn heran und umarmte ihn kurz. Wie sollte es auch anders sein, kamen in diesem Augenblick die Frauen zurück, unter ihnen ihr Vater. "Neri!" Erschrocken fuhr sie herum und wurde knallrot. Schnell senkte sie den Kopf, zog sich ihr Tuch über die Nase und rannte davon. Ihr Vater warf noch einen bedenklichen Blick auf den Römer, bevor er den Frauen ins Zelt folgte.

    Im Zelt:


    Jasim übersetzte und ein zufriedenes Lächeln durchzog das faltige Gesicht des Ältesten. Nun kamen sie doch noch zu dem Geschäft, weswegen sie überhaupt noch in dieser Gegend lagerten. Eilig schenkte er den Herren nach und rief dann nach den Frauen. Eine schickte er, die Liste anfertigen zu lassen, eine nach Abays Vater und eine, Dakai zu reichen, eine Art Hirsebier, um auf die erfolgreichen Verhandlungen zu trinken. Betrunken würden sie davon wohl nicht mehr, denn ihre Vorräte neigten sich langsam dem Ende zu. Aber betrinken wollten sie sich an diesem Tage ohnehin nicht.


    Nun ergriff auch der andere Römer das Wort. Er redete nicht viel, jedoch mit einer Leidenschaft, dass Sedath ungeduldig auf die Übersetzung wartete. Die Blemmyer alle vernichtet - keine Sorgen mehr um ihre Töchter und Söhne, nie wieder mit dieser Angst zu leben, davon konnten sie nur träumen. Im tiefsten Innern glaubte er nicht wirklich daran, doch durch die unbedingte Überzeugung der Soldaten klammerte er sich an die Hoffnung, an das Versprechen und hob sein Glas. "So sei es. Mögen die Götter euch beistehen." Mit einem letzten, langen Zug war das Glas geleert und in diesem Moment kehrten auch die Frauen zurück. Eine trug einen großen Tonkrug bei sich, den sie in einer Ecke abstellte. Unterdessen trat auch Abays Vater ein und verbeugte sich leicht in die Runde. "Du hast mich rufen lassen? Was kann ich für euch tun?" Dabei musterte er einen nach dem anderen neugierig. Wann bekam man schon einmal diese Römer in natura zu sehen. Sedath bat ihn, ebenfalls Platz zu nehmen und erklärte ihm dann seine Aufgabe. Abays Vater nickte nachdenklich, stimmte dann aber zu. Er kannte sich zwar nicht mit Karten aus, aber mit seinem Wissen und der Hilfe der Römer würden sie das sicher hinbekommen.


    Wieder war es an Sedath, zufrieden zu lächeln. "Gut, dann lasst uns darauf trinken. Die Liste werden wir in Kürze bekommen, nur die Karte wird längere Zeit in Anspruch nehmen. Wielange könnt ihr bleiben?" Die junge Frau, die sich bislang unscheinbar im Hintergrund hielt, brachte nun eine Schale gefüllt mit Dakai an den Tisch, die der Älteste an den Präfekten übergab, um ihm den ersten Schluck zu überlassen...


    Vor dem Zelt:


    Sie sah in erstaunte Augen, oder war da etwas anderes? Er zögerte, ihr Herz pochte. Was würde sie tun, würde er ihren Vorschlag zurückweisen? Sie wollte das Tuch um jeden Preis. Gut, vielleicht nicht jeden, aber zumindest würde sie sehr viel dafür geben. Dann endlich bewegte sich etwas, er nahm sein Tuch ab. Neriman wäre fast vor Freude aufgesprungen, ihr Herz tat es in diesem Moment auf jeden Fall. Ihre Hände zitterten leicht, so groß war die Erleichterung darüber. Für einen kurzen Augenblick nur, denn er gab es ihr nicht. Er malte etwas in den Sand, wie sie es oft tat. Neugierig verfolgte sie Strich um Streich. Ein Dolch? Ihr Dolch? Entgeistert starrte sie ihn an. Nun war es ihr Mund, der offen stand. In ihrem Kopf ratterte es. Der Dolch war etwas besonderes, er war nicht nur wertvoll, er war so etwas wie ein Erbstück und vor allem auch überlebenswichtig, hier in der Wüste. Andererseits, der Dolch war zu ersetzen, ihre Eltern lebten noch. Zögernd griff sie nach ihrem Gürtel und zog das gute Stück heraus. Sorgsam strich sie über den Griff, der reich verziert war mit buntem Glas und leuchtenden Steinen. Abay wird mich umbringen...


    Vorsichtig legte sie den Dolch auf das Tuch und beugte sich zu ihm, legte beides vor ihm in den Sand. Ihr Herz wurde schwer. Wenn sie ihm hätte er zählen können, wieso ihr das Tuch so wichtig war, vielleicht hätte er es ihr dann auch so gegeben. Wenn sie wenigstens die gleiche Sprache sprechen würden, dann könnte sie sicher auch mehr über ihn erfahren. Neriman sah zu ihm hoch, sah in seine tiefbraunen Augen. Nur schade, dass er seinen Helm nicht abnehmen durfte. Was darunter steckte, hatte ihr gefallen. Gerade, als sie sich wieder aufrichtete, kamen die Frauen aus dem Zelt und eilten in unterschiedliche Richtungen. Sie hielt eine am Arm fest, und auf ihren fragenden Blick schenkte die ihr ein Lächeln. "Es ist alles gut, sie sind sich einig und unsere Waren wollen sie auch." Ein wenig erleichtert und doch wehmütig folgte sie ihr noch mit ihrem Blick, bevor sie dem Römer wieder ihre volle Aufmerksamkeit schenken konnte. Manchmal wünschte sie, sie wäre ein Mann, andererseits, gerade jetzt... vielleicht doch nicht.

    Im Zelt:


    Sedath war die Ungeduld des Praefecten nicht entgangen, wußte aber zu würdigen, dass er den Dolmetscher nicht unterbrach. Ebenso geduldig wartete er auf dessen Antwort. Dragonums Ausführungen waren schlüssig, könnten sie sich in der Wüste besser orientieren, wären sie um einiges schneller und vor allem in der Lage, vorausschauend zu planen. Innerlich schmunzelnd musste er doch feststellen, wie hilflos diese Römer eigentlich waren. Sagen würde er ihnen das aber niemals. Ebenso sinnvoll war auch der Vorschlag des Befehlshabers, eine Karte zu besitzen. Dabei gab es jedoch ein Problem.


    "Ihr habt alles gut durchdacht, wie mir scheint. Es gibt da nur ein kleines Problem, wir haben keine Karten und auch niemanden, der euch eine anfertigen könnte. Wir wandern auf den alten Pfaden, Wege, die schon seit Generationen genutzt werden. Karten brauchen wir da nicht. Ich könnte euch allerdings anbieten, dass Abays Vater euch behilflich ist, unser Wissen auf eure Karten zu übertragen. Er ist unser bester Mann, was das betrifft, ihr würdet ihn vielleich als Fährtenleser bezeichnen. Er kennt sich bestens mit dem Sonnenstand und den Sternen aus, und natürlich mit der Wüste."


    Sein Sohn stand ihm da in nichts nach, er und Neriman lieferten sich oft richtige Wettkämpfe. Aber das war nichts, was ihre Gäste interessieren würde. Ihm ging allerdings durch den Kopf, was denn nun sein Vorteil bei der Abmachung wäre. Natürlich, die Römer wollten diese Barbaren vernichten, vielleicht gelang es ihnen auch. Aber wenn nicht? Vielleicht konnte er ihnen noch einen weiteren Vorschlag machen.


    "Wie sieht es denn mit eurer Verpflegung aus, mit Fellen oder Decken. Wir sind gerade auf dem Weg ins nächste Dorf, um unsere Waren zu verkaufen. Wenn ihr etwas benötigt, können wir uns sicher auf einen Preis einigen." Er nahm die Kanne und schenkte seinen Gästen nach.


    Gleich davor:


    Er nahm zögernd ihr Glas. Traute er ihr immer noch nicht? Aber dann überwog scheinbar sein Durst. Er trank, trank sogar richtig viel, bis das Glas schließlich keinen Tropfen mehr enthielt. Lächelnd beobachtete sie, wie er das Glas abstellte und sich sogar im Sand niederließ. Sie nahm es als zusätzlichen Vertrauensbeweis und kniete sich ihm gegenüber. Sein Danke, sie versuchte, es sich zu merken, nachdem er es auch in ihrer Sprache versuchte. Und es war fehlerlos. Ihr Tuch war nicht mehr hochgezogen worden, so konnte er ihr anerkennendes Lächeln erkennen. Nur schade, dass sie ihn sonst nicht verstand. Seine Stimme war angenehm, freundlich, und er gab sich wirklich Mühe. Trotzdem war es schwer, seine Gesten zu deuten. Das Tuch? Sie meinte, zu verstehen, sie sollte es nicht wieder über die Nase ziehen. Das hatte sie ohnehin nicht vor. Aber das Tuch, sein Tuch - es war ihres. Vielleicht war das die einzige Gelegenheit, es wiederzubekommen. Vorsichtig wickelte sie sich ihr Tuch ab, das sie um den Hals und über ihr Haar geschlungen trug. Darunter kam ihr langes, dunkles Haar zum Vorschein, das ihr gleich ungehindert ins Gesicht fiel. Sorgsam strich sie es mit einer Hand zurück, hielt ihm mit der anderen das Tuch entgegen. Dabei deutete sie auf seines, welches er um den Hals trug, machte darauf eine Geste, die ihm verdeutlichen sollte, seins mit ihrem zu tauschen. Ihr Herz schlug vor Aufregung. Sie ersehnte es sich so sehr zurück, dass in ihren Augen ein flehender Ausdruck lag. Dass er es falsch verstehen könnte, dass man so etwas tat, wenn man jemanden besonders gern hatte, daran dachte sie in dem Moment nicht. Sie hoffte einfach nur, er würde darauf eingehen.

    Die Männer nippten genüsslich an ihrem Getränk und warteten geduldig auf die Übersetzung des Dolmetschers. Wohlwollend nahm Sedath zur Kenntnis, dass ihren Gästen der Karkadeh zu schmecken schien. Jasim beendete seine Ansprache und der Saih nahm selbst einen großen Schluck aus seinem Glas. Er nutzte den Moment der Stille, um darüber nachzudenken. Der Vorschlag des Praefecten machte Sinn, allerdings war ihm nicht so ganz klar, wie man das umsetzen wollte. "Der Vorschlag gefällt mir, nur, wie stellt ihr euch das vor? Mein Stamm kann schlecht mit euch ziehen, geschweige denn, ihr mit uns. Ich könnte euch natürlich ein paar meine Männer überlassen, doch wie wollt ihr uns schützen, wenn ihr weiterzieht?" Fragen über Fragen, aber vielleicht wußte dieser Römer bereits eine Antwort darauf. Der Saih beobachtete sein Gegenüber genau, während der Übersetzer ihm seine Bedenken mitteilte.


    Draussen vor dem Zelt warf Neriman inzwischen dem Römer einen beleidigten Blick zu. Er wollte ihre Gastfreundschaft ablehnen? Er dachte doch wohl nicht, dass sie ihn vergiften wollte? Sie folgte seinem Blick, der in das Innere des Zeltes ging. Was wollte er ihr sagen? War das Angst? Durfte er nicht? Er sah in das Glas, wenn sie doch nur verstehen würde, was er ihr sagen wollte. Ohne den Dolmetscher und ohne Abay war das wirklich schwierig. Die Menschen um sie kannten ihre Sprache, und sie ihre, aber die Sprache der Römer war so ganz anders. Wenn sie mehr Zeit hätte, sie würde sie lernen wollen. Neriman machte ein Zeichen, dass er trinken sollte. Das mußte er doch verstehen. Vielleicht misstraute er ihnen wirklich so sehr, dass er dachte, sein Tee wäre vergiftet. Die da drinnen konnten doch unmöglich wollen, dass einer ihrer Soldaten verdurstete. Oder doch? Und dass er durstig war, das konnte selbst ein Blinder erkennen. Um ihm aber zu demonstrieren, dass er ihr wirklich vertrauen konnte, nahm sie ihm sein Glas ab, zog ihr Tuch nach unten und trank einen Schluck. Lächelnd reichte sie es ihm erneut, nichts geschah, keine Anzeichen von Gift. Mit ihren grünen Augen sah sie ihn abwartend an, als wollte sie sagen, nun trink endlich.

    Man konnte dem alten Mann die Erleichterung ansehen. Er wies seine Männer an, in der Nähe zu bleiben, man wußte ja nie. Neriman und Abay liefen sofort, als man es ihnen erlaubte, auf einen der bewaffneten Männer zu. Der ließ alles fallen und schloß sie erleichtert in seine Arme. Kurz darauf waren die beiden auch schon in einem der Zelte verschwunden.


    Im Zelt des Saih:


    Der Saih betrat allen voraus als erster das Zelt, die Ältesten folgten den Gästen nach und alle nahmen auf den dicken Kissen Platz. Auf ein Zeichen hin, brachten die Frauen Karkadeh in einer kostbaren, reich verzierten, silbernen Kanne und gossen ihn in silberverzierte, bunte Gläser. Der Dolmetscher war hinter den Römern stehengeblieben, der Saih bot ihm ebenfalls einen Platz und etwas zu trinken an, schließlich war auch er ein Gast in seinem Zelt. Erst, als alle versorgt waren, zogen sich die Frauen in ihre Hälfte hinter den Vorhang zurück und ließen die Männer alleine. Sedath nahm sein Glas und nippte vorsichtig an dem süßen Getränk. "Du sagtest, du wolltest uns einen Vorschlag machen, wir sind ganz Ohr." sprach er schließlich den Praefecten an.


    Im Lager:


    Neriman selbst hielt es nicht lange in ihrem Zelt, sie war einfach zu neugierig. Sehr zum Leidwesen ihrer Eltern. Nicht umsonst war sie den Römern in die Hände gefallen. Zu gerne wäre sie gerade jetzt auch im Zelt des Saih. Nichts konnte sie aber davon abhalten, wenigstens in der Nähe herumzuschleichen. Dabei bemerkte sie den Soldaten, der immer noch ihr Tuch um den Hals trug. Er stand schwitzend in der brütenden Hitze, kein Schatten, kein Lüftchen, das sich bewegte. Wie herzlos musste man sein, ihn dort draussen in der Sonne stehenzulassen. Schnell holte sie ein paar der Jungen und gab ihnen Anweisung, ein kleines Vordach aufzubauen. Immerhin war auch er ein Gast und hier draussen in der Wüstensonne zu stehen, das war menschenunwürdig. Selbst ihre Herden bekamen ausreichend Unterstellmöglichkeiten. Die Jungen beeilten sich und ein paar Stangen und ein paar Ziegenfelle später, stand auch der Soldat im Schatten. In der Zwischenzeit war Neriman noch einmal verschwunden. Als sie zurückkam, balancierte sie zwei Gläser Karkadeh und eine Kanne vorsichtig auf einem kleinen Tablett. Das Ganze stellte sie neben einer der Stangen ab, nahm die Gläser und reichte eines Massa, der mittlerweile ziemlich durstig aussah. Sie hätte ihn gerne gebeten, sich zu setzen, auch wenn es hier auf dem Sand keine Kissen gab, aber vermutlich war er als Wache abgestellt, und das hieß, stehen.

    Der Dolmetscher übersetzte Wort für Wort und bei dem Wort Blemmyer verdüsterte sich der Blick des Ersten. Natürlich waren auch sie von diesen Barbaren betroffen und hätten nichts dagegen, sie für immer von dieser Erde getilgt zu wissen. Ihr Stamm lebte schon seit Generationen friedlich im Einklang mit der Natur und hatte diesen Wilden nichts, aber auch gar nichts, entgegenzusetzen. Dementsprechend litten sie immer wieder unter deren Überfällen, die nicht selten grausam endeten. Dass sie dem Problem deshalb Herr werden könnten, da machte er sich keine Hoffnungen, wurde bei der Ansprache des Römers allerdings neugierig. Freundlich nickte er dem Mann zu."Seid Willkommen und unsere Gäste."


    Dabei machte er eine einladende Handbewegung und wartete, bis der Dolmetscher mit der Übersetzung endete. Dabei musterte er sein Gegenüber eindringlich und richtete dann seinen Blick auf Neriman und Abay. Als er sicher war, dass es den beiden gutging und auch wieder Stille eingekehrt war, fuhr er fort.


    "Man nennt mich Saih Sedat El Said und ich führe diesen Stamm im Namen der Ältesten und ihrer Familien. Wie du sagtest, haben auch wir zum Leidwesen aller die Bösartigkeit der Blemmyer schon zu spüren bekommen. Daher würde ich mir gerne deinen Vorschlag anhören."


    Er trat einen Schritt zur Seite und deutete auf das Zelt hinter sich, dessen Eingang offen stand. Der Boden war bedeckt mit bunten Teppichen, auf denen dicke Kissen bereitlagen. Ein kleines, niedriges Tischen stand in der Mitte, über dem sogar eine kleine, bunte Tischdecke bereitet war. Ein Hauch von Luxus in dem von außen unscheinbaren Zelt. Bevor er jedoch die Gäste in sein bescheidenes Heim eintreten ließ, wollte er noch Neriman und Abay in Sicherheit wissen. Mit einem Kopfnicken deutete er in deren Richtung. "Unsere Kinder dürfen wieder zu ihrer Familie?"

    Erstmal wünsche ich allen ein frohes, neues Jahr, viel Gesundheit und Glück :)


    Dann entschuldige ich mich bei allen, die warten mußten, die Familienzeit hat doch bisschen länger gedauert. Aber nun bin ich wieder hier, es kann weitergehen 8)

    Es ging los, natürlich sie beide mit in vorderster Reihe. Wahrscheinlich wollten sie sichergehen, dass man sie so nicht angreifen würde. Dieser Decimus Massa blieb dicht hinter ihnen. Das war ein wenig beunruhigend, vor allem nach Jasims Worten. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht allzu nervös war. Die Düne hinab ging es zügig. Mit jedem Schritt rutschten sie auch immer ein Stück im Sand nach unten, so dass dieser Abschnitt schnell hinter ihnen lag. Von dort bis zum Lager war es nicht mehr weit. Neriman blickte auf die vielen Zelte, die nur ein Bruchteil dessen waren, was sie bei den Römern sehen durfte. Davor standen die vier Ältesten und in ihrer Mitte Saih Sedat El Said. Er war ihr Anführer, wenn er auch nichts ohne die anderen Vier entscheiden konnte. Waffen trugen sie keine, die hatten die Männer hinter ihnen. Aber auch das waren nicht allzuviele. Ihr Stamm bestand aus fünf Großfamilien, zwar schon seit einigen Generationen und daher auch nicht allzu klein. Im Gegensatz zu den Römern jedoch - winzig.


    Die Luft flirrte durch die Hitze und die Männer waren nur verzerrt zu erkennen. Mit jedem Schritt jedoch, den sie näherkamen, änderte sich das Bild. Neriman überlegte, ob sie ihnen mit ihren Zeichen etwas sagen sollte. Die Römer um sie könnten das allerdings falsch verstehen. Also legte sie die Hände ineinander, als würde sie sie so auf ihrem Gürtel abstützen wollen. Wenn sie Glück hatte, würde keiner der Soldaten Verdacht schöpfen. Als sie nahe genug waren, hob sie die Hände unmerklich, löste sie dann und ließ sie wieder hängen. Niemand in ihrem Stamm rührte sich. Ihr Saih gab den Männern hinter ihm ein Zeichen und die ließen die Waffen sinken. Neriman lächelte zufrieden, nun war es an den Römern.

    Dass niemand auf mich wartet:


    Auch ich bin über die Feiertage mit Familie beschäftigt und werde erst danach wieder richtig hier sein.


    Allen noch ein schönes Rest-Weihnachtsfest und einen guten Rutsch (aber rutscht nicht zu weit ;) )

    Der Ältere stieg vom Pferd und wies den anderen an, das selbe zu tun. Wenn sie doch nur verstehen könnte, was da geredet wurde. Diesesmal wollte sie jedoch kein Wort verpassen, deshalb ging ihr fragender Blick zu Jasim. Der erklärte ihr, dass sie wirklich zu Verhandlungen bereit wären, schärfte ihnen aber ein, dass sie vorsichtig sein müssten. Mit den Römern wäre nicht zu spaßen. Er legte ihr noch beruhigend eine Hand auf die Schulter, bevor er sich wieder bei den anderen einreihte. Neriman wartete gespannt, was weiter passieren würde.


    Ungläubig beobachtete sie dann, wie Massa ihre Gürtel holte und sie ihnen übergab. Waren sie mittlerweile überzeugt, dass sie keine bösen Absichten hatten? Was sollten sie beide auch ausrichten gegen 5000 Mann bestgerüsteter Soldaten. Selbst inmitten ihres Volkes hätten sie nicht die geringste Chance. Sie griff nach ihrem Gürtel, doch er ließ nicht los. Etwas verwirrt blickte sie hoch, direkt in seine dunklen Augen, sah sein Lächeln. Es machte ihn um einiges sympathischer. Er war hübsch mit seinen dunklen Locken, die nun ungebändigt in der Sonne glänzten. Sie wurde leicht rot, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf huschte. Glücklicherweise war dank ihres Tuchs davon nicht viel zu sehen. Leider auch nicht ihr Lächeln, das sie ihm schenkte, als er dann doch losließ. Mit dem Zeichen, das er mittlerweile kennen müsste, bedankte sie sich und legte sich ihren Gürtel um. Abay war schon fertig und stand abmarschbereit neben ihr.

    Immer weiter marschierten sie durch die Wüste, um sie herum viele, bunte Gesänge. Früher hatte sie auch gerne gesungen, in Gedanken sang sie mit, auch wenn sie die Sprache nicht verstand, die Melodien gingen ins Ohr. Abay brachte den Wasserschlauch wieder zu dem Esel und befestigte ihn, während der Dolmetscher die nächste Frage übersetzte. Ihre Familie? Und das mit diesem Grinsen. Der dachte doch nicht, dass sie beide? Neriman schmunzelte belustigt, doch bevor Abay antworten konnte, erschallte der Ruf eines Soldaten. Neugierig blickte sie um sich, sie waren wohl am Ziel. Sie sollten dem mit dem Tuch folgen, wie hieß er nochmal, Decimus Massa. Also gingen sie hinter ihm her. Durch die Reihen, am Zug entlang, bis zur Spitze. Er schien ziemlich unter der Hitze zu leiden. Wenn sie bei ihrem Stamm wären, bekäme er Schatten. Noch war es nicht soweit. Wieder wurden Anweisungen ausgegeben, Befehle verteilt. Neriman konnte nur hoffen, dass sie nicht schwerbewaffnet vorrücken würden, wobei ihr Volk ohnehin niemals gegen dieses riesige Heer antreten könnte.


    Jetzt, da sich die ersten Soldaten sichtbar auf der Düne sammelten, blieb das natürlich auch im Lager nicht unbemerkt. Wahrscheinlich legten die Männer schon ihre Waffen bereit, die Frauen und Kinder wurden in die Zelte geschickt und die Ältesten sammelten sich um ihren primus inter pares, ihren Ersten. Der würde die Gäste dann auch empfangen, wenn sie denn tatsächlich als diese erkannt würden. Aber noch war es nicht soweit. Im Moment konnten sie nur erkennen, dass es sich um Römer handelte und außer von Erzählungen, hatten sie damit keine Erfahrung. Sie bereiteten sich auf alles vor.

    Neriman zuckte zusammen, als er die Kopflosen, die Blemmyer erwähnte und begann zu zittern. Abay nahm ihre Hand und beide hörten weiter zu. Dieser Jasim war ein großer Aufschneider, allein die Art, wie er seinen Bericht vortrug. Abay konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Trotzdem war er besorgt. Denen war es doch egal, ob Römer oder Nomaden. Aber gesiegt hatten sie, diese Römer, vielleicht mussten sie dann doch keine Angst haben, wenn sie deren Gäste waren. Er drückte ihre Hand. "Ich glaube, wir sind hier sicher, und wenn sie wirklich in eine andere Richtung geritten sind... mach dir keine Sorgen, Neri."


    Ihr Bewacher wurde misstrauisch, seinem Gesichtsausdruck nach und wie er sie beobachtete. Und irgendwie wirkte er auch nervös. Wußte er etwa mehr als Jasim? Sicher, er gehörte schließlich zu den Soldaten. Sie war keineswegs beruhigt und hielt fest Abays Hand, als schließlich der Ältere wieder zu ihnen kam. Sein Zelt wurde abgebaut und wenn er tatsächlich der Anführer war, dann war das sicher eins der letzten. Nicht mehr lange, dachte sie, nachdem auch der andere ihrer Bewacher den Platz verließ. Zu gerne hätte sie gewußt, was der Anführer mit den beiden gesprochen hatte. So konnte sie nur versuchen, seine Stimme, seine Blicke und seine Gesten zu deuten. Kurz darauf war auch er weg. Nerimans fragender Blick lag nun auf Massa, der als einziger noch bei ihnen war, abgesehen von den Dolmetschern.