Beiträge von Lucius Duccius Ferox

    Nachdem alles vorbei war... die elende Arbeit beim Schlachtfeld, das Aufräumen, das Wegschaffen der Verletzten, das Verbrennen der Toten, und dann noch mehr Verbrennen und noch mehr Verbrennen von all denen, die in den Tagen nach der Schlacht noch draufgingen, die Plünderungen, das Dankopfer an Mars und die Verleihung der Auszeichnungen dann in Verona, die Aufstellung der noch verbliebenen Einheiten mitsamt kampffähigen und -unfähigen Männern sowie Toten und Vermissten, Inventur der Ausrüstung, der Vorräte, der Beute... nachdem das alles vorbei war, gab es endlich, endlich, ein bisschen Zeit zum Ausruhen. Allerdings viel zu kurz für Hadamars Geschmack. Kaum hatte er die Füße ausgestreckt, so schien es ihm, ging es schon wieder weiter, diesmal mit dem Marsch nach Rom. Klar, er wollte nach Rom, er freute sich darauf, sie endlich mit eigenen Augen zu sehen, diese Stadt, nach der ein ganzes Reich benannt worden war, das Reich, das auch irgendwie sein Reich war, von dessen Armee er ein Teil war, und von der überhaupt irgendwie jeder etwas zu erzählen hatte. Nur: er war noch nicht mal dazu gekommen ein bisschen zu spielen. Er hatte schon ewig nicht mehr gespielt, kam es ihm vor. Er wollte einfach mal wieder... aussteigen. Alles von sich wegschieben, alles vergessen, und einfach einen Abend mit Würfeln und Spielsteinen und Kohle und ner Menge Wein, Met oder Bier oder auch allem drei verbringen. Pustekuchen. Das kam scheinbar nicht in Frage, nicht solange Rom noch nicht in ihrer Hand war, wie es schien. Der Flaminier wollte keine Zeit verlieren, und so wenig Hadamar auch in irgendwelche Strategien eingebunden war oder auch nur Ahnung davon hätte, konnte er das irgendwie auch verstehen. Wenn er das hätte entscheiden müssen, hätte er vermutlich auch nicht länger als unbedingt nötig warten wollen. Trotzdem hätte er gern ein wenig Abwechslung gehabt, bevor es weiter ging... vor allem weil es beim Marschieren schwerer war als beim Saufen – und Spielen, zumindest ging er davon einfach mal aus –, das durchzuhalten, was er sich seit der Schlacht sagte: nicht nachdenken. Nicht an das denken, was er da alles gesehen hatte. Erst recht nicht an das, was er getan hatte. Arbeiten half auch, deswegen hatte es funktioniert in den Tagen nach der Schlacht, und bei dem bisschen Ruhe, das sie bekommen hatten, war ihm auch genug eingefallen, aber jetzt, beim Marschieren, fiel es ihm schwer, die Bilder zu verbannen... und die Geräusche. Die waren fast noch schlimmer. Er hoffte dass sie Rom bald erreichen würden... und dort wasauchimmer weitere Ablenkung bieten würde.

    Mit langsamen Schritten lief Hadamar durch das Lager der Secunda. In seiner linken Hand baumelten locker zwei prall gefüllte Weinschläuche, während er sich seinen Weg zur vierten Centurie der zweiten Cohorte suchte. Am Tag hatte das Antreten des gesamten Heeres stattgefunden, und Hadamar war ein wenig baff gewesen, als er seine Auszeichnungen übergeben bekommen hatte. Auszeichnungen. Er. Sicher, er hatte sich den Arsch aufgerissen, einfach um sich zu beweisen als Optio, um allen zu zeigen, dass seine Beförderung damals gerechtfertigt gewesen war, das hatte ihm einfach immer noch hinterher gehangen, obwohl seitdem auch schon wieder einige Zeit vergangen war... und der Feldzug hatte sich dafür angeboten, das war einfach noch mal was anderes als das alltägliche Lagerleben. Dass das allerdings so sehr aufgefallen war, war ihm nicht ganz so bewusst gewesen – was auch daran liegen mochte, dass ihm der Kopf meistens ganz woanders gestanden hatte, und dass der Primus Pilus selten lange genug da gewesen war, um tatsächlich mal ein Lob auszusprechen oder so. Bemerkt zu haben, was sein Optio geleistet hatte, schien er dennoch... mehr noch, er schien recht beeindruckt gewesen zu sein. Immerhin hatte Hadamar bei der Verleihung der Auszeichnungen heute als einer von wenigen Optiones unter einer Reihe von Centurionen gestanden, die einen der wenigen Halsringe bekamen. Sogar Hadamar war bewusst, dass das nicht ganz so gewöhnlich war.


    Als er Corvinus' Augenzwinkern gesehen hatte, war ein fröhliches Grinsen kurz über sein Gesicht gehuscht, bevor er wieder angemessen ernst dreingeguckt hatte... und auch jetzt musste er grinsen, als er daran dachte, noch fröhlicher und definitiv weit breiter als bei der Verleihung. Corvinus zwinkern zu sehen war ein Ding der Seltenheit... selbst als sie beide noch Tirones gewesen waren, hatte er meistens eher verbissen drein gesehen. Augenzwinkern war für den ja schon ein Ausbund an Ausgelassenheit... Hadamar grinste noch ein wenig breiter bei dem Gedanken daran, während er inzwischen sein Ziel erreicht hatte: das Zelt des Centurios. Ohne zu zögern trat er ein, vergewisserte sich kurz, dass Corvinus allein war – und nicht etwa gerade in einer Besprechung, was etwas peinlich gewesen wäre –, und hielt ihm dann gut gelaunt die Weinschläuche vor die Nase. „Na Alter, hast Zeit für nen Kumpel?“

    Es dauerte eine ganze Weile, bis die Arbeit wenigstens etwas geringer wurde. Ganz hinter sich gebracht hatten sie das noch länger nicht, aber im Lauf des Vormittags kam dann irgendwann die Meldung, dass das gegnerische Lager zum Plündern freigegeben war, und genauso wie die anderen Centurien auch teilte sich ihre auf, sprachen sich Contubernien ab, und während die Verletzten gemeinsam mit ein paar anderen zurückblieben, machte sich der Rest auf den Weg, um sich ihren Anteil abzugreifen. Als sie zurückkamen, war Hadamar um ein paar Erfahrungen reicher... dass man nicht zimperlich sein durfte bei einer Plünderung, beispielsweise. Oder dass er bei so was tatsächlich einen echten Vorteil als Optio hatte, weil sich auch hier die Hierarchie durchsetzte. Zugegeben, er hatte mehr drauf achten müssen, dass seine Leute ihn nicht übervorteilten, als andere Optiones... aber wie schon nach ein paar anderen Ereignissen während seiner Zeit als Optio hatte sich auch nach der Schlacht irgendwas geändert. Anordnungen von ihm wurden irgendwie... flüssiger ausgeführt. Hadamar hatte sich mittlerweile zwar daran gewöhnt, dass es schiefe Blicke gab, manchmal Augenrollen oder leichte, abfällige Gesten... lauter kleine Sachen, auf die er kaum den Finger legen, geschweige denn sie bestrafen konnte, die ihm aber trotzdem zeigten, dass er als Optio immer noch keinen leichten Stand hatte. Aber irgendwas daran hatte sich jetzt geändert. Das war weniger geworden. Eindeutig. Und als einer der Milites ein Set wirklich schöner Spielsteine mitsamt Brett zutage förderte aus einem Zelt und schon damit prahlte, für wie viel er das wohl würde bekommen können, brauchte Hadamar dem Soldaten – nachdem er ihm im Vorbeigehen mit flinken Fingern die Beute abgenommen hatte, ohne erst zu fragen – nur noch einen finsteren Blick zuwerfen, als der Anstalten machte zu protestieren, und der andere hielt die Schnauze. Und es gefiel ihm, stellte er fest. Das Gefühl war sogar verdammt gut.


    Als Hadamar dann endlich zurück war im Lager, konnte er allerdings nicht mehr aufschieben, was er Alrik versprochen hatte. Was er eh schon zu lange aufgeschoben hatte. Das schlechte Gewissen wurde auch nicht gerade weniger, je länger er brauchte... und so machte er sich endlich auf den Weg in den Bereich, wo Sönkes Centurie lagerte. Er fragte sich durch zu Sönkes Contubernium – und erfuhr da dann, zu seiner Verblüffung, dass Sönke gar nicht tot war. Ganz im Gegenteil war der nach Aussage seiner Kameraden ziemlich lebendig und hatte sich erst heute bei der Plünderung seinen Anteil abgegriffen. Hadamar kapierte zuerst gar nicht, was sie ihm da sagten, aber als sie ihm erzählten, dass sie Sönke zuletzt zum Schlachtfeld hatten laufen sehen, drehte er sich wortlos um und ging in dieselbe Richtung. Lief weiter... weiter... fragte sich nebenbei, wie um alles in der Welt er Sönke da bloß finden sollte, und ob es nicht vielleicht doch besser war, einfach zu warten, oder noch besser, eine Nachricht zu hinterlassen, dass Sönke doch bei ihm vorbeischauen solle, wenn er wieder da wäre... ging aber trotzdem weiter, und hörte, kaum dass er das Schlachtfeld erreicht hatte, einen klagenden... nein, Gesang war definitiv zu schmeichelhaft für das, was da an seine Ohren drang. Gekrächz traf es eher. Aber klagend war es ganz sicher, und Hadamar meinte zwischendrin sogar zu erkennen, was das für ein Lied sein sollte. Und er hatte genug durchgezechte Nächte mit Sönke erlebt, um zu wissen, aus wessen Kehle das kam. Sönke war also tatsächlich noch am Leben. Für einen winzigen Moment blieb er stehen und dankte mit geschlossenen Augen sämtlichen Göttern dafür, dass sie auf ihn aufgepasst hatten, dann setzte er sich wieder in Bewegung und lief auf das Katzengejammer zu, das plötzlich in einem Schluchzen endete, als Hadamar endlich die Quelle erreichte. Sönke bot ein Bild des Elends, wie er so auf dem Boden saß... aber Hadamar konnte trotzdem nicht anders als breit zu grinsen, als er ihn sah. Mit einem Ächzen ließ er sich neben Sönke auf den Boden fallen und lehnte sich zurück. „Gib amoi des Gsöff hea, du Baazi. I muas wos vo deim Voasprung aufhoin.“

    Rom. Die bloße Erwähnung dieser Stadt schaffte es, Hadamar ein weiteres Mal abzulenken. Unter all der Müdigkeit, der Erschöpfung, den Blessuren begannen seine Augen plötzlich ein klein wenig zu leuchten. Rom. Was hatte er nicht schon alles an Geschichten von dieser Stadt gehört, selbst in Germanien? Rom war das Zentrum dieses Reichs, und nachdem Hadamar zumindest einen Teil von davon nun selbst abgelaufen war über die Alpen, hatte er auch eine etwas genauere Vorstellung davon, wie groß das Imperium wirklich war. Die Hauptstadt musste einfach etwas Besonderes sein, und der Gedanke, dass er schon bald dort sein würde, übte eine nicht zu leugnende Faszination auf Hadamar aus. Er grinste, ein wenig breiter nun, zurück, aber er unterbrach Alrik nicht, um dazu etwas schon zu sagen... und die nächsten Worte wischten das Grinsen wieder fort und ließen einen reichlich verdutzten Gesichtsausdruck zurück. Hatte er das gerade richtig verstanden? Er, Centurio? Hadamars Mund öffnete sich leicht, und er starrte Alrik erst mal einfach nur weiter an... so ziemlich sprachlos, was ihm selten passierte. Und bevor sich das hätte ändern können kam ein Bote, der Alrik wieder fortrief... und Hadamar blieb sprachlos zurück. „Eh. Mach ich. Bis dann!“ rief er noch hinterher, ein wenig verspätet, und guckte dann erst mal noch ein bisschen weiter durch die Gegend... während seine Gedanken rotierten. Centurio. Er. Centurio. Centurio. Er? Das war... das... war schwer für ihn zu realisieren im Moment. Aber immerhin: es lenkte ihn so effektiv ab wie sonst nichts bisher... und als er sich endlich zusammenriss und wieder an die Arbeit ging, rotierten seine Gedanken weiter.

    Hadamar hielt dem Blick Alriks für ein paar Momente lang stand, ohne sich zu regen, bevor er dann schließlich doch nickte. Einfach nicht weiter darüber nachdenken. Eine Diskussion mit seinem Vetter brachte wenig und war zumindest hier sowieso völlig fehl am Platz... wenn nicht generell. Mal ganz abgesehen davon, dass Hadamar ja nicht mal selbst so genau wusste, wie es eigentlich in ihm aussah oder warum. Er wusste nur, dass er gerade nicht so wirklich in der Lage war, sich tatsächlich zu freuen, über den Sieg, über seine eigene Leistung, oder auch nur darüber überlebt zu haben... und warum das so war, wollte er eigentlich gar nicht so genau ergründen. Nicht darüber nachdenken. Hatte sich bisher bewährt, würde sich auch weiter bewähren. „Ah. Das nächste Mal kann kommen. Wenn Teiwaz auf unserer Seite ist, wird’s wieder reichen.“ Egal wie er sich danach fühlte. Vielleicht, nein, sicher wurde es leichter, auch wenn es nur kleinere Scharmützel waren, man musste sich ja nur die ganzen Veteranen angucken, die völlig unberührt schienen. Er deutete ein betont lässiges Achselzucken an und verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen, das er zwar nicht wirklich empfand, aber für angebracht hielt, wo er gerade versuchte das Gespräch wieder in seichtere Gewässer zu steuern. „Mein Dienst geht noch nen ganzes Stück, da kommt sicher wieder was.“


    Alriks Kommentar zu Sönke resultierte darin, dass Hadamar erneut leicht zusammenzuckte. Dann wohl tot. Alrik sprach das mit einer Selbstverständlichkeit aus, als ob das schon Tatsache wäre, und Hadamar war ganz und gar nicht bereit, sich das einzugestehen. Er räusperte sich. „Ich erkundig mich heut noch, was mit ihm ist, und geb dir Bescheid.“ Das wenigste, was er tun konnte, war für Gewissheit zu sorgen. Auch wenn er selbst gar keine haben wollte... aber wenn Alrik eine Botschaft nach Hause zur Familie schickte, dann hatten die das Recht darauf sicher zu erfahren, was passiert war, schon allein deswegen, weil jede Nachricht so lange brauchte und jede weitere auf sich warten ließ. Vielleicht fand er auch schon irgendwas, was Sönke gehört hatte, was sie mitschicken konnten für dessen Familie, irgendwas kleines, bevor er dann den restlichen Kram nach Hause brachte. Er war es Sönke schuldig, dass er sich um diese Dinge kümmerte und sich nicht davor drückte.

    Ja, das hatte er wohl. Zumal Hadamar mehr als einmal mitten im Getümmel gewesen war. Aber auch wenn er bei weitem nicht zu den Stärksten gehörte, er war flink und hatte gute Reflexe, was sich nach diversen Prügeleien auch gestern auf dem Schlachtfeld als Vorteil für ihn erwiesen hatte. „Nicht gerade begeistert... so kann man's auch nennen.“ Diesmal gelang ihm das Grinsen schon etwas besser, auch wenn es immer noch schief war. Seine Mutter war außer sich gewesen. Kein Wunder, nachdem sie jahrelang versucht hatte, ihre Söhne davon abzuhalten sich Flausen in Bezug auf das Militär in den Kopf zu setzen. Auch wieder kein Wunder, nachdem sein Vater im Dienst gestorben war und sie mit fünf kleinen Kindern zurückgelassen hatte. Irgendein netter Posten in der Stadtverwaltung, das hatte sie für ihn gewollt, aber für ihn war das nie in Frage gekommen, und er konnte gar nicht zählen, wie oft sie sich darüber gezofft hatten. Was für ein schlechter Witz, dass er jetzt als Optio vor lauter Verwaltungskram kaum noch geradeaus gucken konnte manchmal. Durfte er daheim keinem erzählen, die würden ihn alle auslachen.


    Was er fast nicht für möglich gehalten hätte: Alriks Besuch lenkte ihn tatsächlich ab. Allerdings nur so lange, bis er wieder auf die Schlacht zu sprechen kam. Hadamar folgte dem Fingerzeig mit seinem Blick und sah auf das Schlachtfeld, und sein Gesicht verdüsterte sich ein wenig. Allen gezeigt. „Kaum“, murmelte er. Kam ihm einfach nicht so vor, nicht in diesem Moment jedenfalls, so kurz nach der Schlacht, nach dem Blutbad. Nicht nachdenken. Einfach nicht darüber nachdenken. Er räusperte sich und sah wieder zu Alrik, und dann sagte der etwas, was Hadamar sichtbar zusammenzucken ließ. Schlechtes Gewissen, Schuldgefühle und Angst krachte plötzlich über ihm zusammen, auf ihn drauf, und begrub ihn unter sich. Sönke. Er hatte sich nicht mehr nach Sönke erkundigt, gestern nicht, die Nacht über nicht, heute noch nicht. Er hätte jemanden schicken können zu seiner alten Centurie. Er hätte sicher auch Zeit gefunden zwischen drin selbst hinzugehen. Aber er hatte es nicht getan... Seine letzte Erinnerung von Sönke war, wie der am Boden gelegen hatte, regungslos, völlig regungslos, als sei er tot, mit einem anderen Miles, der neben ihm saß, und die Wahrheit war: Hadamar hatte zu viel Schiss davor gehabt möglicherweise zu erfahren, dass Sönke tatsächlich tot war. Also hatte er auch darüber einfach nicht mehr weiter nachgedacht.


    So sah es aus. Er, Hadamar, der es angeblich allen gezeigt hatte, der das Zeug dazu hatte, war in Wahrheit ein elender Schisser. Zumindest wenn es darum ging, sich Sicherheit zu holen über den Zustand eines Freunds, seines besten, ältesten Freunds. Und jetzt, wo er gezwungen war doch darüber nachzudenken, und schlimmer noch: gezwungen war vor Alrik – zu dem er begonnen hatte aufzusehen in den letzten Monaten, seit sie mehr Kontakt hatten – zuzugeben, dass er keine Ahnung hatte, dass er sich noch nicht nach Sönke erkundigt hatte, schämte er sich. Er wich Alriks Blick aus und zögerte mit der Antwort, aber als er dann doch den Mund öffnete, zwang er sich wenigstens dazu, seinen Vetter anzusehen. „Ich weiß es nicht. Ich hab...“ ...noch keine Gelegenheit gehabt. Zu viel zu tun. Siehst ja was los ist. Konnte nicht weg. Oh und jemand schicken konnte ich auch nicht. Ging einfach nicht. Rinderkacke. Es war ja nicht so, dass er ein Problem damit hätte zu lügen, ganz und gar nicht, aber ihm fiel einfach nichts ein, was wirklich plausibel gewesen wäre. Seine Stimme verlor sich für einen Moment, bevor er sich räusperte und dann simpel zugab: „Ich hab noch nicht nachgefragt.“

    Zitat

    Original von Titus Duccius Vala...



    Erschöpfung brannte so tief in ihm, dass in Hadamar die Befürchtung wuchs, sie würde sich einfach so lange dort einbrennen, bis sie zu einem Teil von ihm wurde. Na toll. Sich nie wieder ausgeruht fühlen. Großartige Aussichten... und obwohl er natürlich wusste, dass es nicht so kommen würde, fühlte es sich im Moment genau so an. Das bisschen Schlaf, das er irgendwann in den frühen Morgenstunden bekommen hatte, hatte bei weitem nicht ausgereicht, um auch nur annähernd etwas gegen die Erschöpfung tun zu können, und als er wieder aufgestanden war, fühlte er sich fast müder als davor... und beschloss es zu ignorieren so gut es ging. War auch immer noch genug zu tun, was definitiv dabei half. Hadamar stürzte sich einfach erneut in die Arbeit. Und ignorierte einfach auch, was sie zu tun hatten. Oder was passiert war. Oder auf was sie sich bewegten. Einfach nicht darüber nachdenken. Klappte ganz gut so weit.
    Den Reiter, der irgendwann auftauchte, ignorierte Hadamar zunächst. Erst als klar wurde, dass der zu ihnen wollte – und durch seinen Tunnelblick kombiniert mit der Müdigkeit wurde Hadamar das erst dann so wirklich klar, als er quasi bei ihnen anhielt –, fielen die Teilchen in seinem Kopf an den richtigen Platz, und er wandte sich um und salutierte. Ein Eques hatte hier nichts zu suchen, er kannte keinen von denen, und er war kaum das Ziel irgendwelcher Botschaften, also hieß Gaul nichts anderes als: irgendein hohes Viech. Konnte man ignorieren, so lange der nur rumritt und nichts wollte, aber wenn er vor einem stand, sollte man reagieren. Was Hadamar also tat, genauso wie die anderen Milites in seiner Nähe – und war irritiert, als er noch während des Salutierens den germanischen Gruß hörte. Zum ersten Mal guckte er richtig hin, wer das eigentlich war, und erkannte seinen Vetter. Alrik. Hadamar hätte es bis vor einem Augenblick nicht geglaubt, dass er momentan überhaupt dazu fähig war irgendwas zu empfinden, aber als er seinen Vetter sah, spürte er irgendwo gedämpft Erleichterung, und sogar so etwas wie einen Ansatz von Freude.


    „Heilsa“, erwiderte er, dank der Erschöpfung keinen Augenblick über das nachdenkend, was ihm sonst wohl wenigstens für einen Moment Kopfzerbrechen bereitet hätte: wie den Mann begrüßen, der sein Vetter war und gleichzeitig undenkbar viel höher in der militärischen Hierarchie, wo um ihn rum Soldaten waren? Er drückte einem der Milites, die dabei waren dem Befehl des Tribuns zu folgen, die Listen, die seine unweigerlichen Begleiter geworden waren, in die Hand zum Weitermachen, bevor sich alle verteilten. Seine Mundwinkel bogen sich leicht nach oben, als er dann wieder zu Alrik sah. Der leider auf Latein fortfuhr. In seinem momentanen geistigen Zustand hatte Hadamar durchaus ein paar Probleme, der geschwurbelten Ausdrucksweise zu folgen, die Alrik an den Tag legte und die zumindest in seinen Ohren genauso klang wie von anderen hochrangigen Römern. Aber worum es im Kern ging, verstand er dann freilich doch. „Ja...“ Er sah kurz an sich herunter und wieder auf. „Nichts wirklich ernstes.“ Im Gegensatz zu so vielen anderen. Ein paar Narben würden freilich auch ihm bleiben, aber seine Wunden waren noch nicht einmal von dem Ausmaß, dass sie ihn länger an eine Liege gefesselt hätten. Zum ersten Mal begann Hadamar auch darüber Erleichterung zu spüren, dass er weder über das Schlachtfeld verteilt lag noch sich schreiend vor Schmerzen im Lazarett krümmte. „Meiner Mutter vermutlich noch mehr.“ Das Grinsen, das die Worte begleiten sollte, misslang gründlich, und Hadamar deutete ein Achselzucken an. „Tut gut, dich unter den Lebenden zu sehen.“

    So viel zu tun. Und fast alles hatte irgendwie mit dem Tod zu tun. Da war zu erfassen, wie es um ihre Centurie stand, wer überlebt hatte, wer wie sehr verletzt war, wer vermisst war und wer es sicher nicht geschafft hatte. Einzuteilen, wer sich um was zu kümmern hatte. Suche nach Vermissten. Transport der Verletzten. Aufbahren der Toten. Und wieder von vorne. Verletzte und Tote. Verletzte und Tote. Damit verging die Nacht. In den Augenblicken, in denen so etwas wie Ruhe drin war, bekam Hadamar trotzdem nicht wirklich... Ruhe, weil das Geschrei der Verwundeten einfach kein Ende nehmen wollte. Aber er selbst hatte sich sowieso in keiner der Schichten zum Ausruhen eingeteilt, nur einen Besuch beim Lazarett machte er irgendwann... um sich halbwegs zusammenflicken zu lassen. Danach ging es weiter. Und weiter. Und weiter.


    Mit blutunterlaufenen Augen, tiefen Ringen darunter und einem Gesicht, das merkwürdig bleich und eingefallen wirkte, beobachtete Hadamar irgendwann den Sonnenaufgang. Für einen Moment oder so. Bis er sich umdrehte und weiter machte... und das wiederum so lange, bis ihn sein Centurio schließlich zum Schlafen schickte. Nur um nach dem Aufwachen weiter zu machen... weil es dauerte. So furchtbar lange dauerte, bis das, was die Schlacht an Trümmern hinterlassen hatte, endlich aufgeräumt war.

    Als die Linien ihrer Gegner nach und nach in sich zusammenbrachen, bekam Hadamar das zunächst gar nicht so wirklich mit. Und als erneutes Gebrüll aufbrandete, diesmal nicht mehr nur mit Euphorie und neuem Mut, sondern eindeutig mit Siegesjubel erfüllt, und gleichzeitig vom Feind Rückzugsbefehle zu hören waren und die Soldaten direkt ihm gegenüber sich zur Flucht wandten... da bekam er natürlich mit, dass sich etwas grundlegend geändert hatte in dieser Schlacht – aber so wirklich begreifen konnte er es in dem Moment immer noch nicht. Mechanisch machte er weiter, tat einfach das, was seine Kameraden um ihn herum taten, die Milites der Prima der II, die wussten, was zu tun war, die ohne nachzudenken handelten, die Verfolgung aufnahmen, die Feldzeichen an sich rissen. Hadamar blieb irgendwann einfach stehen... inmitten von Dreck, von Überresten des Walls, und von Toten. Von vielen Toten. Sein Hirn konnte gar nicht aufnehmen, was das eigentlich hieß. Er starrte nur um sich her, starrte das Feld der Vernichtung an, war für Momente völlig weggetreten... bis irgendetwas an sein Ohr drang. Optio. Optio. Optio! Verwirrt sah er schließlich auf, sah einen Soldaten neben sich, dessen Mund sich bewegte, und Hadamar realisierte, dass er angesprochen wurde von ihm, und das wohl nicht zum ersten Mal. Und er realisierte auch, endlich, dass es mal wieder Zeit war sich zusammenzureißen. Aber gewaltig. Er schloss für einen Moment die Augen, dann sah er den Soldaten wieder an, konzentrierte sich darauf so zu wirken, als ob er aufmerksam zuhören würde, nickte an den hoffentlich richtigen Stellen, stellte doch ein wenig erleichtert fest, dass es nur ein Bericht war und keine Fragen sich anschlossen, und gab schließlich ein ziemlich rau klingendes Abite von sich.


    Danach sah er sich ein weiteres Mal um, und versuchte diesmal wirklich etwas von dem aufzunehmen, was er sah. Tote. Überall Tote, oder jedenfalls kam es ihm so vor. Blut und Matsch und aufgerissenes Fleisch und Eingeweide. Hadamars Blick saugte sich fest, und wieder begann sein Hirn, abzudriften, weil es schlicht zu viel war, was er sah, was er hörte, was er roch... bis er sich angestrengt losriss. Er lenkte seinen Blick etwas weiter nach oben, über die Sauerei am Boden hinweg, versuchte auszublenden, wovon er nicht einfach wegsehen konnte, und suchte nach denen, die sich bewegten, nach den Soldaten, versuchte sich einen kurzen Überblick zu verschaffen, was ihm auch gelang – immerhin, es war nicht sonderlich schwer. Die Schlacht schien entschieden zu sein. Hie und da gab es noch Getümmel, dort, wo gegnerische Milites gefangen genommen worden waren und entwaffnet wurden, im Übrigen hatte sich alles so ziemlich geklärt. Aber sich weiter umzusehen, machte wenig Sinn. Wo die Soldaten seiner Centurie waren, konnte er von hier aus ohnehin nicht feststellen, und darüber hinaus driftete sein Blick immer wieder ab... und er begann plötzlich die Erschöpfung zu spüren, und die Schmerzen, von zahlreichen kleineren und größeren Wunden, die er sich eingefangen hatte. Mit einem Ruck drehte er sich um und ging, oder besser: stolperte mehr zurück Richtung Wall. Wo es nicht besser wurde, weil dort plötzlich alles auf ihn einstürmte. Er sehnte sich danach, sich irgendwohin setzen und ausruhen zu können, aber er kam noch nicht mal dazu, sich anzusehen was er alles genau abgekriegt hatte. Kaum dass er in die Nähe des Sammelpunkts seiner Centurie kam, lief ihm der Primus Pilus über den Weg, und kaum dass der sah, dass Hadamar noch auf beiden Beinen stand und zumindest halbwegs so wirkte, dass er sich auch weiter darauf halten konnte, überhäufte er ihn mit Anweisungen. Und Hadamar... steckte sein Gladius weg, das er immer noch in der Hand gehalten hatte bisher, versuchte sich zu merken was der Centurio alles wollte... und machte sich an die Arbeit.

    Victor Secunda. Der Ruf pflanzte sich fort durch die Reihen. Victor Palma. Wie ein Sturzflut breitete sich das Gebrüll auf Seiten der Rebellen aus, wurde aufgenommen von seinem Ausgangsort und geschmettert aus tausenden Kehlen. Durchbruch der VIII, Erfolg der Kavallerie, der Feind eingekesselt. Es spielte gar keine Rolle, ob das stimmte. Es konnte auch keiner sagen, wo genau diese Rufe ihren Ursprung hatten. Es wurde gebrüllt von Soldaten der II, und immer mehr stimmten ein, einfach weil es gebrüllt wurde, und weil es so gut klang, und weil sie es wahrhaben wollten, und je mehr mitbrüllten, je lauter der Schrei wurde, desto mehr wiederum schöpften ebenfalls Hoffnung, dass da was dran war, und nahmen den Ruf ebenfalls auf... wodurch er ein weiteres Mal lauter wurde.


    „VICTOR SECUNDA! VICTOR PALMA!“, tönte es von allen Seiten, und wie auf einer Welle vorwärts getragen, gerissen von diesen Rufen, drängten die Soldaten der II noch stärker auf ihre Gegner ein, wagten Ausfälle und versuchten die Chance zu nutzen, die Kaiserlichen zurückzuschlagen von ihren Barrikaden. Und Hadamar war mittendrin. Jetzt, in diesem Augenblick, war keine Gelegenheit für einen Wechsel, kein Moment, um Ressourcen zu schonen, indem die Centurien ausgetauscht wurden. Jetzt, solange sie mit frischer Energie gefüllt waren durch die Nachricht, die VIII und die Kavallerie hätten schon erste Erfolge errungen und damit auch ihnen Vorteile verschafft, ging es nur in eine Richtung: nach vorn.

    Hieb auf Hieb folgte, Schlag auf Schlag, immer wieder, immer wieder, immer wieder. Hadamar klingelten die Ohren vom Waffengeklirr, während sie erbittert mit ihren Gegnern um die Oberhand an der Bresche kämpften. Er hatte immer noch keinen Überblick, wenn überhaupt dann noch weniger als zuvor – allerdings störte ihn das nicht mehr. Genauer gesagt: es kratzte ihn überhaupt nicht. Sönke da so liegen zu sehen, hatte irgendetwas in ihm umschnellen lassen... Das einzige was da geblieben war in seinem Aufmerksamkeitsradius, war sein Gegner, und selbst bei dem bekam er nicht einmal mehr wirklich mit, wie oft da ein anderer vor ihm auftauchte.
    Was Sönke trieb, bekam er ebenso wenig mit. Das wäre wohl eins der wenigen Dinge gewesen, die ihn aus seinem Tunnelblick hätten herausreißen können... aber Sönke war zu weit weg, jedenfalls für die Verhältnisse, die hier herrschten – der Lärm, der alles unverständlich machte, was auch nur etwas weiter weg war, hätte wohl auch dann verhindert dass Hadamar Sönke bemerkt hätte, wäre er wenigstens etwas näher gewesen. Stattdessen also kämpfte er einfach nur, bis er nicht von Gegnern zurückgedrängt, sondern von Kameraden mitgezogen wurde, weil der erneute Befehl zum Wechsel kam, damit sie sich ausruhen konnten, auch wenn Hadamar nicht wirklich zur Ruhe finden zu können schien. Oder besser gesagt: nicht wollte. Wann immer er zuließ, dass er auch nur ein bisschen herunterkam von seinem Adrenalintrip gerade, sah er wieder Sönke vor sich im Schlamm liegen. Und er kam mit diesem Bild nicht klar. Er kam nicht mit dem Gedanken klar, der dahinter lauerte und hervor zu brechen. Sönke war einfach immer da gewesen bisher. Allein die bloße Vermutung, das könnte nicht mehr so sein, ließ etwas in Hadamar aussetzen. Also lief er herum von links nach rechts nach links, bis erneut der Befehl zum Vorrücken kam für seine Centurie, und diesmal war wenigstens sein Tunnelblick nicht mehr ganz so schlimm, so dass er zumindest versuchen konnte wieder wie ein Optio zu agieren... auch wenn es ihm nach wie vor an Überblick mangelte. Oder vielleicht auch einfach nur an Erfahrung. Die erste Centurie rückte jedenfalls wieder vor, nahm ihren Platz an der Frontlinie ein und kämpfte weiter, wechselte erneut aus und wieder ein... und dann verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Reihen, dass die VIII anscheinend mit neuem Elan zur Sache ging, gehen konnte, und dass die Kaiserlichen schwankten unter dem Ansturm. Oder gleich brachen? Vielleicht doch nur schwankten? Egal. Was auch immer passierte südlich von ihnen, der Schwung pflanzte sich fort, und die Soldaten der ersten Centurie – und mit ihnen Hadamar – warfen sich mit Gebrüll und neuem Mut wieder nach vorne und drängten auf ihre Gegner ein.

    Corvinus reagierte. Immerhin. Hadamar fluchte trotzdem weiter. Weil der Capsarius auf sich warten ließ, weil Corvinus weiter blutete, weil... einfach nur so. „Luft weggeblieben, von wegen...“ knurrte er, während seine Hände weiter über seinen Körper fuhren, hauptsächlich weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Sein Kumpel schien darauf eh nicht zu reagieren – bis er plötzlich an irgendein Hindernis kam, und Corvinus sich plötzlich aufbäumte und stöhnte. Hadamar hielt kurz inne, besah sich das genauer und entdeckte einen Dolch. Im Hintern. Ausgerechnet da. Für einen winzigen Moment war da ein irres Kichern, das raus wollte, aber der Laut, der dann über seine Lippen kam, klang doch wieder mehr wie ein Knurren – erst recht, als Corvinus ihn gleich darauf anstarrte und ziemlich dumpf etwas von sich gab. „Du willst aufstehen? Du hast ja wohl nen Knall, du blutest wie nen abgestochener Gaul.“ Das konnte doch gar nicht gut sein, so viel Blut zu verlieren. Schon gar nicht, wenn es auch munter aus dem Mund gelaufen kam. Hadamar schüttelte rigoros den Kopf, während er seine Finger um das Heft schloss und die Klinge mit einem Ruck herauszog, ohne groß darüber nachzudenken. „Aber weiter hinter müssen wir dich bringen“, ächzte er dann, während er ihm nun doch half, sich wenigstens so weit hochzustemmen, dass sie gehen konnten. Er legte sich einen von Corvinus' Armen über die Schulter, griff um seinen Rücken herum und stützte ihn so, dass der Großteil seines Gewichts auf ihm lastete – was bei Corvinus' Größe und Kraft nicht gerade wenig war. Hadamar biss die Zähne zusammen und schleppte den Freund weiter nach hinten, bis ihnen endlich ein Capsarius entgegen gelaufen kam und von der anderen Seite ebenfalls stützte, und gleich darauf kam jemand mit einer Trage. „Wir übernehmen, Optio“, gestikulierte der eine ihn nun weg, während sie Corvinus auf die Trage verfrachteten und zum Lazarett brachten, um seine Wunden zu versorgen.


    Hadamar stand noch einen winzigen Moment da und starrte ihm hinterher, dann drehte er sich um, zurück zum Kampfgeschehen, dass für ihn so wenig zu überblicken war wie zuvor. Sein Blick irrte kurz umher und fiel dann auf einen weiteren Soldaten, der am Boden lag, mit einem Kameraden neben ihm kniend... und Hadamar erkannte Sönke. Sönke. Sein ältester Freund. Mit ihm war er aufgewachsen. Unzählige Male durch die Wälder gezogen, auf dem Hof geschuftet, Streiche gespielt, Saufabende gemacht, in Prügeleien geraten und sich dabei gegenseitig verteidigt. Sönke. Reglos am Boden. Hadamar spürte, wie sich ein Schrei in seiner Kehle zu bilden begann, aber es kam kein Ton heraus. Er konnte auch nicht wirklich fassen, was das eigentlich in ihm auslöste, Sönke so zu sehen, er konnte es nicht benennen, nicht auseinander sortieren. Er wusste nur, dass es ihn umhaute, innerlich. Und er hatte das Gefühl hier nicht bleiben zu können, wo er nichts tun konnte, nicht helfen, Sönke nicht, Corvinus nicht, und auch sonst niemandem von den Kameraden, die hier hinter der Frontlinie waren, manche nur erschöpft von dem Kampf, aus dem sie sich gerade zurückgezogen hatten, weil die Centurien durchwechselten, manche aber auch mehr oder weniger schwer verletzt, und manche sterbend oder bereits tot. Hadamar drehte sich um und machte sich davon, in Richtung Wall, wo er und seine Leute zuletzt gewesen waren, dort, wo sie nach wie vor verzweifelt versuchten die Stellung zu halten und zu verhindern, dass der Feind durchbrach, und am Rande registrierte er, dass es nun wohl komplett die Centurien der ersten Cohorte waren, die jetzt nach vorne gekommen waren, die die anderen abgelöst hatten, weil er von den paar Gesichtern, die er sehen konnte, jedes kannte. Jetzt endlich löste sich der Schrei aus seiner Kehle, der da steckte, seit er Sönke gesehen hatte, und er stürzte sich erneut in den Kampf.

    Zitat

    Original von Lucius Helvetius Corvinus



    Hätte Hadamar überhaupt je einen Überblick gehabt, hätte er ihn spätestens jetzt verloren. Um ihn herum schien einfach nur noch Kampfgetümmel zu sein, auch wenn die Veteranen wenigstens versuchten, eine halbwegs geschlossene Linie zu bilden, die verhinderte, dass der Feind weiter durch den zerstörten Wall vordrang. Er machte einfach nur weiter, wurde zurückgedrängt, als Schläge auf ihn einprasselten, und spürte die Erleichterung, als der Druck plötzlich nachließ... und der Mann vor ihm umkippte, mit einem Schwert im Rücken. Hadamar blickte sich kurz um und sah einen Centurio, der aber gleich einen Dolch zog und sich dem nächsten Gegner zuwandte, und Hadamar hatte wenig Gelegenheit, ihm weiter nachzusehen – weil sich ihm auch gleich der nächste Gegner zuwandte. Irgendwie hörte das nicht auf. Und in all dem Getümmel, und dem Geschrei der Kämpfenden, Verwundeten, Sterbenden, begann er zu zweifeln, dass es je aufhörte. Einziger Vorteil an der Situation war, dass für so was nicht wirklich viel Platz blieb, und so war der Gedanke schon wieder verschwunden, kaum dass er ihn wirklich gehabt hatte. Er machte einfach weiter, genauso wie alle anderen auch... bis er plötzlich jemanden etwas sagen hörte, bevor von der Seite genau dieser jemand auf ihn kippte. Hadamar entfuhr ein überraschter Laut und kam aus dem Gleichgewicht, machte einen Schritt zur Seite und knickte mit einem Bein ein, bevor ihm klar wurde, dass der Centurio wieder da war. Und diesmal selbst zusammengeklappt war. Hadamar schirmte ihn mit seinem Scutum gegen einen Schlag eines Angreifers ab und fing sich dafür selbst einen weiteren Treffer ein, war im nächsten Augenblick wieder auf den Beinen und hackte nach dem Kerl, immer wieder, über dem Centurio stehend, bis er irgendwann weg war... Hadamar hatte keine Ahnung, warum genau oder wer dafür verantwortlich war. Er nutzte einfach nur die Luft, die er für einen winzigen Moment hatte, und winkbrüllte einen Miles zu sich, damit der den Platz einnahm, bevor er sich nach dem Centurio bückte und ihn von der Frontlinie fort zerrte, weiter nach hinten... wo er endlich sein Gesicht zu sehen bekam. „Scheiße“, fluchte er lauthals, ließ sich neben Corvinus auf die Knie fallen und fuhr ein wenig unkoordiniert – und ziemlich ahnunglos – über dessen Körper, der irgendwie überall Blut zu verlieren schien. „Capsarius!“ brüllte er dann durch die Gegend, bevor er wieder zu Corvinus sah – und ihm kurzerhand mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Einen Versuch war es ja immerhin wert, fand er...

    Zitat


    Original von Marcus Marius Madarus, Lucius Helvetius Corvinus & Gaius Artorius Regulus



    Hadamar klingelten die Ohren von dem ganzen Schlachtgetöse. Er konzentrierte sich mit verbissener Anstrengung, versuchte den Überblick zu behalten über das, was da geschah – er war Optio, verdammt noch mal, er MUSSTE den Überblick haben! Aber irgendwie merkte er vor allem eines: er war überfordert. Mit einer normalen Centurie wäre es wohl etwas besser gewesen, aber seine hatte doppelt so viel Männer – und das einzige, was Hadamar wirklich beruhigte in diesem Moment, war: außer ihm waren die meisten glücklicherweise so erfahren, dass sie wussten, was zu tun war. Und zum Glück war da ja auch noch der Primus Pilus, der sich um den ganzen Rest kümmerte. Der war es auch, der die gesamte erste Cohorte koordinierte, die in der Schlachtreihe stand hinter der zweiten, auf ihren Einsatz wartend, immer dort, wo zu viele ihrer Kameraden gefallen waren, oder dort, wo ein Durchbruch drohte.


    Und dann, plötzlich, schneller als Hadamar es wirklich begreifen konnte, viel schneller als ihm lieb war und definitiv zu schnell, als dass er sich wirklich darauf hätte vorbereiten können – wobei: er bezweifelte, dass er sich überhaupt darauf hätte vorbereiten können, wenn er sich jetzt, wo die Schlacht schon angefangen hatte, immer noch nicht bereit fühlte –, war der Moment da. Der Moment, in dem der Primus Pilus zu ihm gestikulierte und dann in die Richtung schräg vor ihnen, wo, was Hadamar nun auch sehen konnte, kaum dass er dorthin sah, irgendetwas nicht stimmte. Es sah anders aus, die Bewegung der Männer, die Verteidigungslinie, die... irgendwas halt. Hadamar hatte nicht den Nerv, sich Gedanken darüber zu machen, was es genau war. Es sah einfach anders aus, fertig. Und der Centurio, das war eindeutig, wollte dass er sich ein paar Leute schnappte und dahin ging, und das, was auch immer dafür gesorgt hatte, dass es da... anders aussah, aufhörte... oder so. Hadamar hätte am liebsten den Kopf geschüttelt. Und das ganz entschieden. Aber das ging nicht... das konnte er nicht bringen. Schon dieses winzige Zögern war doch im Grunde zu viel, als Soldat, als Soldat der Ersten, und dann noch dazu als Optio. Kreidebleich mit einem leicht grünlichen Hauch unter seinem Helm und einem Loch in seinem Magen, das so groß schon wie dieser riesige Steinklotz von Gebirge, durch den sie sich in den vergangenen Wochen gequält hatten, reagierte Hadamar also, setzte dazu an, ein paar Männer zusammen zu brüllen – setzte noch mal an, als er feststellen musste, dass zuerst gar kein Ton rausgekommen war, und dann erneut, weil es nicht laut genug gewesen war –, und als er endlich laut genug gebrüllt hatte und mehrere Milites hinter sich wusste, stürmten sie vor, hin zu der Lücke, wo tatsächlich die Gegner durchzubrechen drohten. Die Verschanzung war an der Stelle fast nicht mehr existent, und ein paar Legionäre kämpften verbissen darum, die Stellung zu halten und einen Durchbruch nicht zuzulassen. Hadamar und die Handvoll weiteren Soldaten seiner Centurie eilten dazu und mischten sich unter die Kämpfer, warfen sich ins Gefecht und versuchten gemeinsam mit den Kameraden, die Gegner zurückzudrängen. Die Veteranen der ersten Centurie verteilten sich von selbst und begannen zu kämpfen, und Hadamar... stand mittendrin. Stand da und starrte den Soldaten an, der vor ihm auftauchte, seinen Gegner, seinen ersten Gegner, seinen allerersten richtigen Gegner, und er... stand da und starrte ihn an und schien für einen Moment völlig vergessen zu haben, was er tun sollte. Die Zeit wurde irgendwie irre langsam, schien sich zu dehnen wie ein großer Tropfen Harz, der aus einem Ast heraustrat und sich nach unten neigte, genauso zäh, genauso klebrig, batzig, und in diesem Augenblick dachte Hadamar daran: mit einer Frau wäre ihm das nicht passiert. Dass er nicht gewusst hätte, was er mit ihr anfangen sollte.


    Und dann schnellte alles wieder zurück. Genauer gesagt in dem Moment, in dem der Typ vor ihm eine Bewegung machte, die Hadamar kannte, tausendfach selbst geübt, tausendfach geübt sie abzuwehren, und irgendwie... reagierte sein Körper von selbst. Wie im Training. Genau dafür hatten sie es ja tagtäglich absolviert. Er attackierte und wurde attackiert, ein Schlagabtausch folgte dem nächsten, Hadamar suchte nach Lücken in der Verteidigung seines Gegners, ohne genau darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn er eine fand... bis er eine fand. Als er sein Gladius zurückzog, die Klinge triefend vor Blut, und der Soldat ihm gegenüber kurz wankte und dann mit starren, weit geöffneten Augen zu Boden sank, wurde ihm klar, dass das hier eben doch kein Training war, dass hier nicht Schluss war, kurz bevor einer einen tödlichen Treffer landen konnte... sondern Ernst. Er stockte für einen winzigen Moment, starrte den Toten an – was sich gleich im nächsten Moment rächte, weil der nächste Gegner schon vor ihm auftauchte und ihn am Arm erwischte in diesem Moment der Unachtsamkeit. Der Schmerz brachte ihn zurück, überblendete die Gedanken, er hob sein Scutum wieder an und drängte erneut vor. Was danach passierte, schien wie im Rausch zu geschehen. Hadamar machte einfach nur, führte Bewegungen aus, die er in den vergangenen Jahren bis zum Erbrechen trainiert hatte, und das ohne darüber nachzudenken. Und das schien auch am besten zu funktionieren... denn in den wenigen Momenten, in denen er zwischendurch ein wenig klarer sah und wenigstens versuchte nachzudenken, schien alles schief zu laufen, er war zu langsam, er bekam mehr Treffer ab. Also dachte er einfach nicht mehr. Er spulte nur Bewegungsabläufe ab, die in seinen Körper eingedrillt worden waren, Angriff, Parade, Scutum, Gladius, rückte weiter vor, wurde zurückgetrieben, steckte Treffer ein und teilte aus.
    Das Schlachtgetöse war zu dem Zeitpunkt schon längst nur noch zu einem dumpfen Brummen geworden für ihn.

    Der See. Draußen in den Wäldern, ungefähr zwei Stunden zu Fuß entfernt vom duccischen Gehöft vor den Toren Mogontiacums. Sonnenlicht brach sich dem Wasser, brachte es zum Glitzern, so stark, dass es blendete auch nur in die Richtung zu sehen. Sachter Wind kräuselte die Oberfläche und setzte sie in Bewegung, ließ winzige Wellen über die Wasserfläche tanzen, bis sie ans seichte Ufer schwappten und nur gelegentlich an den paar verstreuten Felsen brachen. Das Rauschen der Blätter. Und Wärme auf der Haut. Wärme von den Sonnenstrahlen. Wärme von dem Mädchen neben ihm. Hadamar grinste selbstgefällig vor sich hin und drehte den Kopf in ihre Richtung, um sie zu küssen. Aber als sich ihre Lippen leicht öffneten, taten sie das nicht, um seinen zu begegnen, sondern um irgendetwas zu sagen. Ficken! perlte aus ihrem Mund, aber so fasziniert er auch vom Anblick ihren strahlenden Lippen war – und viel mehr noch von dem ihres restlichen, absolut formidablen Körpers –, so irritiert war er auch. Nicht wegen dem Wort. Nichts gegen eine Frau, die wusste, was sie wollte, und die, die das so forsch einforderten, hatten in der Regel auch einiges zu bieten. Es war der Klang der Stimme, der irgendwie nicht so recht zum Rest passen wollte. Und als Hadamar, immer mehr irritiert, innehielt in der Bewegung, um zu verstehen was sie noch sagte...


    ...waren es plötzlich gar keine Worte mehr. Es war eine regelrechte Kakophonie aus dem Gebrüll unzähliger Stimmen und dem Geklirr unzähliger Waffen, und der Lärm schlug ihm mit aller Macht um die Ohren. Am deutlichsten in all dem drang die Stimme des aurelischen Tribuns zu ihm durch, der gerade eine Rede schwang, einige Reihen hinter der vordersten Frontlinie, für die es schon anfing zur Sache zu gehen. Hadamar hätte sich so gerne weiter in dem Tagtraum verloren. So gern. Noch nicht mal den Kuss hatte er bekommen, und dabei wäre der ja nur der Anfang gewesen. Ein freier Nachmittag am See mit einem hübschen Mädchen, da war eine Menge drin, und das mehr als einmal.
    Aber einmal des Lärms wieder gewahr geworden, war es völlig unmöglich, wieder abzutauchen. Nicht einmal in diesen Tagtraum. Ganz davon abgesehen, dass er wusste, dass er sich das gar nicht mehr leisten konnte. Nicht jetzt. Genau genommen hätte er gar nicht erst anfangen dürfen mit dem Tagtraum, aber er hatte vor der Wahl gestanden, entweder das zu tun, oder irgendetwas sehr viel unangenehmeres – kotzen, zum Beispiel, oder sich bepinkeln, irgendwie so was –, in dieser Phase, als sie nichts anderes mehr zu tun gehabt hatten als darauf zu warten, dass es los ging. Hadamar hatte das Gefühl gehabt, absolut fehl am Platz zu sein. Wenn er wenigstens nicht der einzige Frischling gewesen wäre... aber in seiner Centurie gab es sonst keinen. Nicht in der Prima. Es gab schon einige, die keine größere Schlachterfahrung, aber alle hatten sie schon Blut im Kampf geschmeckt, und das nicht in einer simplen Tabernenschlägerei. Er musste sich nicht umsehen um zu wissen, dass er der einzige war, dessen Gesichtsfarbe einen leicht grünlichen Anflug zeigte. Und er wusste diese Dinge nicht zuletzt deswegen so gut, weil er das in den letzten Tagen immer wieder unter die Nase gerieben bekommen hatte, von den Soldaten seiner Centurie, was mehr als alles andere zeigte, dass er trotz aller kleinen Verbesserungen und Fortschritte immer noch nicht wirklich angekommen war als Optio. Zumindest nicht als Optio der Prima. Was mit ein Grund war, warum er so still war, warum er nicht rumbrüllte wie manche andere. Die Soldaten, die ihm unterstanden, wussten hier eh alle alles besser als er. Womit er sich hatte hervortun können, seit er Optio geworden war, waren sein Einsatz gewesen, sein Ehrgeiz, der erwacht war, sein Grips – aber hier zählte vor allem Erfahrung, und die hatte er einfach nicht.
    Aber das alles spielte jetzt keine Rolle mehr. Die vorderen Reihen hatten die Gelegenheit genutzt, Pilum um Pilum loszuwerden, während die Lücken derer, die schon gefallen waren, geschlossen wurden, eine nach der anderen. Und umso mehr rückten auch sie vor, sie und die weiteren Centurien, die direkt hinter der vordersten Frontlinie positioniert waren, um dann massiv vorzurücken, wenn der Feind es geschafft hatte, die hastig gebauten Wälle zu überwinden – und die Schlacht ernsthaft begann. Hadamar betete nur zu den Göttern, dass der endlose Drill wirkte und er alles, was er gelernt hatte, auch in so einer Schlacht noch ohne nachzudenken tun würde, tun könnte, so wie es die anderen erzählt hatten – wenn sie einen mal aufbauen wollten.

    Hadamar nickte nur kurz und begann dann, zunächst mal ohne dem Tribun eine Tafel zu reichen. „Deine Befehle sind ausgeführt worden, Tribun. Die Trossverpflegung ist wieder in den traditionellen Stand zurückgeführt. Ein zusätzlicher Ausrüstungscheck ist für heute Abend angesetzt, einen Bericht darüber kann ich dir später oder morgen liefern.“ Je nachdem, wann der Tribun ihn wollte. Sein eigener Centurio scheuchte ihn ganz gern ab und zu auch noch durch die Nacht, genauso wie der Legat... Hadamar konnte sich noch gut daran erinnern, als der Claudius unbedingt den Tesserarius hatte sprechen wollen, den er dann mitten in der Nacht irgendwo in Mogontiacum hatte auftreiben müssen.
    Er machte eine kurze Pause und reichte dem Tribun dann die ersten Tafeln. Sie beinhalteten die Pläne für das angesetzte Training – zuoberst eine grobe Karte der Umgebung, auf der nicht nur die Stellen gekennzeichnet waren, die sich für ein Training eigneten, sondern auch für welche Art von Training, dann kam die Einteilung, welche Cohorte wann wo üben sollte in den nächsten Tagen. Hadamar hatte den Primus Pilus noch nicht erwischt, hatte streng genommen also noch keine Freigabe für den Plan, aber wenn der Tribun ihn abnickte, war das genauso gut. Er hoffte nur, dass er vom Artorius keins auf den Deckel bekam dann. „Für die nächsten Tage hab ich den Trainingsplan da entworfen.“ Hadamar war sich immer noch unsicher, wie viel Info der Tribun wirklich wollte und wie viel er einfach nur als unnötiges Geschwätz abtun würde... das war irgendwie immer eine Gratwanderung beim Bericht erstatten, jedenfalls fand er das. Ging ihm auch nach wie vor beim Pilus Primus so, einfach weil der häufig unterwegs war mit dem Legat und sie deswegen nicht so eng zusammen arbeiteten, wie das sonst der Fall war zwischen Centurio und Optio. So oder so beschloss er in diesem Moment, nichts dazu zu sagen, warum er einen Plan entworfen hatte, anstatt das den einzelnen Cohorten zu überlassen. War irgendwie selbsterklärend, dass ein zentraler Plan praktischer war, wenn man das Gelände ansah.
    „Und...“ Hadamar zögerte ein letztes Mal kurz, auch wenn es sinnlos war – es würde einfach auffallen, wenn er nicht alles weiter gab, was er dabei hatte –, hob dann kurz die übrigen Tafeln an und fuhr fort: „hier sind ein paar Infos über die Secunda. Ich hab seit wir los marschiert sind für den Primus Pilus Berichte zusammen gestellt, über die Verfassung der Männer, Verpflegung, Ausrüstung, Verluste...“ Hadamar lag auf der Zunge mehr zu sagen, zu erklären warum er das einfach so tat, ohne Befehl, aber er verkniff sich jeden Kommentar darüber. Kein beim Stab könntest du die Infos auch kriegen, kein ich dachte du kriegst es schneller wenn ich das mach, nichts in der Richtung. Die Gefahr war zu groß, dass er sich darin nur selbst verhedderte. Wenn der Tribun schlussfolgerte, dass der Optio der Prima mitdachte oder in vorauseilendem Gehorsam handelte oder es einfach nur für selbstverständlich hielt, dass man ihm so was lieferte: passte alles. Denn Hadamar war sich noch nicht so sicher, ob er wollte, dass der Tribun ahnte oder gar wusste, was sein wirklicher Grund war. Ihm war zwar klar, dass er beim Aurelius vielleicht ein paar Pluspunkte sammeln könnte, aber das konnte auch genauso gut nach hinten los gehen, und Hadamar fühlte sich einfach irgendwie... nicht ganz gewappnet für so eine Situation. Streiche, schummeln, kleine Betrügereien, um Kameraden auf den Arm zu nehmen oder Spiele und Wetten zu gewinnen oder die Soldaten seiner Centurie dazu zu bringen ihn mehr und mehr zu respektieren, all das war völlig in Ordnung, und auf solchem Terrain kannte er sich aus. Aber der Aurelius stand – genauso wie sein Vetter auch – ein paar Stufen zu weit über ihm, ganz davon abgesehen, dass er immer noch das Gefühl hatte einfach nicht genug zu wissen über all das, was Alrik angedeutet hatte, was die Stäbe der Legionen beschäftigte. Wie auch. Und obwohl Hadamar zwar durchaus risikofreudig war, war er weder dumm noch übermäßig leichtsinnig. In diesem Spiel kannte er viel zu wenig die Regeln, die Spieler, die möglichen Züge, als dass es Sinn machen würde freiwillig mitzuspielen. Also verkniff er sich zu viel Drumrum-Gerede – was vielleicht eh besser war – und schloss nur kurz und bündig mit: „Ich hab für dich die Berichte rausgesucht, die immer noch relevant sind, Tribun.“

    Hadamar war verwirrt. Hatte Alrik vorhin nicht noch gesagt, dass sie... naja. Den neuen Tribun irgendwie unterstützen sollten? Er hatte zumindest so geklungen, als er davon gesprochen hatte der Aurelier wäre ein Freund, und dass er darüber hinaus besser wäre als der Claudier. Das alles hatte doch ganz den Anschein gehabt, als wollte Alrik, dass sie sich die Seite des Aureliers schlugen. Und jetzt sagte er, dass sie die Köpfe einfach unten halten sollten? Es fiel ihm gerade schwer, den plötzlichen Richtungswechsel zu kapieren. „Eh“, machte er nur ein wenig baff und stand auf, um Sönke dabei zu helfen, seinem Vetter die Rüstung anzulegen, auch wenn er sich eher im Hintergrund hielt und nur ab und zu half, wo es mit einer weiteren Hand tatsächlich schneller ging und nicht langsamer. „Wannsd moanst. Wuisd afm Lafndn bleim, wos los is in da Zwoa?“

    Noch mehr Arbeit. Fantastisch. Hadamar hatte sich ohnehin nicht sonderlich wohl gefühlt, als er mitbeordert worden war mit den ganzen Centurionen, weil der Artorius nicht konnte – und wie sie heraus gestellt hatte, hatte er damit nicht so falsch gelegen... wenn auch aus einem Grund, an den er davor gar nicht so wirklich gedacht hatte: wenn es zusätzliche Arbeit gab, würde die am Rangniedrigsten hängen bleiben. An ihm. Große Klasse. Gut, wäre der Primus Pilus dabei gewesen statt ihm, hätte es auch gut sein können dass das an ihm hängen blieb, aber es hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, dass er außen vor war... aber so? Keine Chance.
    Mit der Tabula in der Hand stapfte er nach der Besprechung durchs Lager und krallte sich erst mal einen Miles und den Scriba seiner Centurie, schickte den Legionär mit dem Befehl des Tribuns los, damit der den zu den einzelnen Cohortenküchen trug und für die Auflösung derselben sorgte... und freilich mit der Order, dass er hören wollte, sobald das erledigt war. Dann wandte er sich an den Scriba. „Wir hatten doch schon Pläne fürs Training, sobald wir die Alpen hinter uns und ein bisschen Zeit und Platz dafür haben.“
    „Sicher.“
    „Dann raus damit, die brauchen wir jetzt.“
    Kurze Zeit später brüteten sie über den Plänen, während sie gemeinsam durch das Lager liefen. „Nein, das am Anfang streichen wir, wir müssen zuerst die großen Dinger abhaken, wo wir in den Bergen keinen Platz für hatten...“
    „Für die großen Dinger haben wir hier auch keinen Platz“, wandte der Scriba ein.
    „Platz genug für nen kleineren Rahmen“, brummte Hadamar zurück. „Kriegen wir irgendwie hin.“ Mussten sie. Die Manöver als Centurie, als Cohorte waren es, die sie erst mal auffrischen mussten, nicht die Bewegungen im Contubernium und schon gar nicht den Kampf Mann gegen Mann. Dafür war selbst in den Alpen fast immer ein Plätzchen zu finden gewesen.
    „Müssen wir aber einteilen, wer was wann macht, sonst seh ich schwarz...“
    Hadamar seufzte lautlos. Noch mehr Arbeit, die wohl an ihm hängen blieb. Er griff sich die Tabulae vom Scriba und wedelte damit kurz. „In Ordnung. Schick wen zu den anderen Cohorten, die sollen gesagt kriegen, dass die Trainingseinheiten zentral festgelegt werden. Und ich will von den Reitern wissen, wo wir hier noch trainieren können. Ich fang derweil schon mal an, nen Plan für alle zu entwerfen...“ Optio zu sein war beschissen. Als Legionär war das Leben einfach, da tat man einfach nur, was einem gesagt wurde... Und obwohl Hadamar trotz allen Gehässigkeiten und allen Widerstands, der ihm begegnet war, gar nicht mehr einfacher Legionär sein wollte, obwohl er sogar angefangen hatte die Phase hinter sich zu lassen, in der es ihm eigentlich nur darum gegangen war, nicht aufzugeben, nicht einzuknicken, nicht zu versagen in seiner neuen Position, und tatsächlich begonnen hatte das Leben als Optio zu mögen, mitsamt der Arbeit und den Schwierigkeiten, gab es doch freilich nach wie vor – und seiner Meinung nach immer noch zu häufig – die Momente, in denen er das Gefühl hatte, dass es ihm zu viel war. Dass der Primus Pilus so häufig weg war und ihn mit der Arbeit allein ließ, machte es nicht besser, weil dadurch ein Batzen zusätzlicher Verantwortung auf ihm lastete, dem er sich, wenn er denn genau darüber nachdachte, ganz und gar nicht gewachsen fühlte, auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Düster starrte er dem Scriba hinterher, der schon ein paar Schritte gegangen war, als ihm noch was einfiel: „Ey, und die sollen heut Abend alle nen extra Ausrüstungscheck machen. Und Listen erstellen, ich brauch die dann!“


    Es dauerte eine Weile, aber schließlich hatte Hadamar gemeinsam mit dem Schriba einen Trainingsplan erstellt, den er dem Pilus Primus vorschlagen konnte. Und nach und nach trudelten auch die Rückmeldungen von den Cohorten ein... Hadamar lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzer zurück, nachdem der Scriba ihn allein gelassen hatte, und wippte einen Stylus zwischen seinen Fingern. Die Zufriedenheit verschwand allerdings recht bald wieder, und ein zunehmend unangenehmes Gefühl machte sich in ihm breit. Jetzt, wo er mit der Arbeit fertig war, musste er wieder an das Gespräch mit Alrik denken. Was der gesagt hatte, über den neuen Tribun... und über den Legat. Unterstützt den Aurelier. Hadamar presste die Lippen aufeinander. Hatte der jetzt heute die Centurionen der ersten beiden Cohorten zu sich gerufen, einfach nur um sie kennen zu lernen? Oder weil er wirklich auf Informationen angewiesen war, die er aus dem Stab nicht bekommen hatte? Seit der Feldzug begonnen hatte, hatte Hadamar tagtäglich alle möglichen Sachen für den Pilus Primus zusammengestellt, Unterlagen, die er größtenteils auch noch da hatte, er oder der Scriba. Es wäre ein Leichtes, für den Tribun das Wichtigste zusammenzustellen, nur... er war sich nach wie vor nicht sicher, ob das wirklich das Richtige war. Er hatte das Gefühl, seinen Centurio damit irgendwie zu hintergehen, weil er ohne direkten Befehl handeln würde, und vorausgesetzt der Stab enthielt dem Tribun tatsächlich was vor... dann hinterging seinen Centurio auch. Und den Legat. Und wen auch immer noch, der was gegen den Aurelius hatte. Aber das Ganze war Schwachsinn, der Tribun brauchte die Informationen ja schließlich. Und wenn er ihn direkt danach gefragt hätte, hätte er ja auch gehorchen müssen... Hat er aber nicht. Hadamar raufte sich mit beiden Händen die Haare. Er wusste nicht, was richtig war, und er hatte den unguten Verdacht, dass es hier einfach kein richtig und falsch gab, dass genau das das Problem war: dass er das nicht so einfach einteilen konnte. Und es gab auch niemanden, der ihm sagte, was er tun sollte – was er ja immer vehement abgelehnt hatte früher, aber in diesem Augenblick wäre er doch ein froh um jemanden, der alle Seiten kannte... und ihm dann einfach sagte, was zu tun war. Nicht befahl, aber einfach... auf eine väterlich-ratgebermäßige-weise Art nahe bringen. Aber so einfach war es nicht. Und auch wenn er sich das wünschte, hatte er doch den Verdacht, dass selbst wenn es so jemanden gegeben hätte, es wohl nicht so einfach gewesen wäre. Er war der, der sich entscheiden musste, und das konnte ihm keiner abnehmen.


    Er saß da, auf dem einfachen Hocker, in dem nach wie vor leeren Zelt, weil Scriba und Tesserarius und die anderen alle draußen beschäftigt waren, und starrte ins Leere, während er mit sich haderte... bis dann schließlich doch eine Sache den Ausschlag gab: Familie. Alrik war Familie. Hadamar hatte nicht das Gefühl, alles bis ins letzte Detail zu kapieren, was er ihm erzählt hatte, und er begriff schon gar nicht, welche Animositäten zwischen Legat und Tribun herrschten, oder Legat und Statthalter, oder sonst wem... dafür hatte Alrik ihm auch gar nicht alles genau genug erzählt und erklärt. Aber es reichte zu wissen, dass es ungut war, was da ablief... und er vertraute Alrik, nicht weil er ihn sonderlich gut gekannt hätte, sondern aus dem einfachen Grund, weil er Familie war.
    Mit einem Ächzen stemmte er sich also hoch und ging zu der Truhe, wo die ganzen Unterlagen verstaut waren. Es gab durchaus die ein oder andere Ausrede, die er auftischen könnte, falls es negativ auffiel, dass er dem Tribun Informationen gab. Vorauseilender Gehorsam, beispielsweise, auch wenn das nun eigentlich nicht einer seiner bestimmenden Charakterzüge war... aber er könnte es zumindest damit versuchen. Er guckte die Unterlagen durch und stellte ein paar Sachen zusammen, bevor er das Zelt damit verließ und sich auf den Weg zum Tribun machte, wo er den Wachen nur zunickte – wie beim gesamten Stab bis hin zum Legaten bestand die Leibwache des Tribun aus Soldaten der Prima, und Hadamar war es schon so gewohnt, an seinen Soldaten vorbei ein- und auszugehen, dass er sich darüber gar keine Gedanken mehr machte –, und salutierte vor dem Tribun. „Optio Duccius Ferox meldet sich zur Berichterstattung, Tribun.“

    Hadamars Gedanken schwirrten um das, was Alrik gesagt hatte und was er wollte und was das hieß für ihn... als Sönke neben ihm zu husten und würgen anfing, bis schließlich zuerst ein Stück Fleisch auf dem Tisch und ein paar Worte in der Luft landeten. Und JETZT sah Hadamar doch zu seinem Freund, mit einem ziemlich perplexen Gesichtsausdruck. War das alles, was er zu sagen hatte? Von all dem, was Alrik gerade vom Stapel gelassen hatte, war das das einzige, was... ja, was eigentlich? Das einzige was Sönke mitgekriegt hatte, oder das einzige was er kapiert hatte? Ersteres wäre schmeichelhafter für ihn... aber Hadamar war sich nicht so sicher, ob das zutraf. Und er fragte sich für einen Moment irritiert, warum ihm das früher all die Jahre nie aufgefallen war. Gut, er hatte nie so wirklich darüber nachgedacht, warum auch, und vielleicht war das ja schon der Grund dafür... sie waren halt Freunde gewesen. Miteinander aufgewachsen. Und solange sie auf dem Gut vor Mogontiacum gelebt hatten, war es nie ein Thema gewesen, wer was auf dem Kasten hatte, genau so wenig wie es ein Thema gewesen war, wer von ihnen für was bestimmt war, rein von ihren Familien her... zumindest für Hadamar war es das nicht gewesen. Er hatte da nie drüber nachgedacht, ihm war noch nicht mal aufgefallen, dass es Unterschiede gab, wenn es denn welche gegeben hatte. Aber irgendwann in den letzten Jahren hatte sich das geändert... und er fragte sich, ob er sich verändert hatte, oder Sönke, oder ob es einfach schon immer so gewesen war und er das nur nie gemerkt hatte.


    Reichlich perplex also starrte Hadamar seinen Freund an, dann fackelte er nicht lange und verpasste ihm mit der einen Hand einen Klaps auf den Hinterkopf, während er schon ansetzte etwas zu sagen – was er allerdings runter schluckte, weil genau in dem Moment Alrik etwas zu Sönke sagte. Bevor er sich wieder ihm zuwandte, weswegen Hadamar beschloss, Sönke vorerst einfach zu ignorieren. Er konzentrierte sich auf das, was Alrik weiter erzählte... und versuchte klar zu kommen. Dem Claudier war nicht zu trauen? Warum um alles in der Welt nicht? Was hatte Alrik erlebt oder erfahren, was ihn zu solchen Schlüssen brachte?
    Das Problem an der Sache war: Hadamar konnte das überhaupt nicht beurteilen. Als einfacher Soldat war er in keinerlei Besprechungen eingebunden, wo er sich selbst eine Meinung hätte bilden können. Er war zwar Optio inzwischen, aber er war im Grunde trotzdem nach wie vor nicht viel mehr als ein Befehlsempfänger, einer der mehr zu tun hatte, etwas mehr Verantwortung und ein bisschen selbst denken musste, aber eben trotzdem nicht wirklich mehr als das: ein Befehlsempfänger. Und im Moment kotzte ihn das gewaltig an. Er wollte mehr, mehr wissen, von dem ganzen Schmarrn hier, er wollte eingebunden sein, er wollte eben nicht einfach nur Befehle ausführen ohne zu wissen warumwiesoweshalb. Frustriert fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare und fluchte lautlos. Konnte das nicht einfach... einfach sein? Er wollte sich gar nicht vorstellen, was das für die Secunda hieß, wenn es so war wie Alrik sagte – der Legat einer, der von Kriegsführung wenig Ahnung hatte, der Tribun einer, der im Grunde noch weniger Ahnung hatte, und beide nicht gut aufeinander zu sprechen. Dazu kam, dass er sich ziemlich sicher war, dass der Legat den übrigen Stab auf seiner Seite hatte. Den Pilus Primus zumindest. Götter, das würde ganz und gar nicht einfach werden.
    Er legte die flachen Hände auf den Tisch und trommelte abwechselnd mit ihnen leicht auf der Platte herum. „Da Aurelius werds net oafach ham, ois Ofenga no vui weniga ois eh scho. Da Stab gheart zm greßten Teil am Legad, jednfois wos i woaß. Wann die sich net oanig san untranand un es Stress gebt... De Zwoa is Speafutta, wannsd Rechd hosd.“ Er hob den Krug an und trank einen großen Schluck. Und noch einen. Und dann noch einen, bevor er den Krug wieder absetzte. Götter, was hoffte er doch dass Alrik nicht Recht hatte. „Wos solln mia dean? I moan... au wanns kracha dead... vui meara ois vasuchn, de Leid auf oane Seitn zm Ziang werd kaum drin sei. Un i woaß net ob as so guad war, de Legio a no zm spoitn, wannd Spitzn si scho net oanig is.“

    Die Lust auf die Leckereien, die Alrik ihnen da einfach präsentierte, siegte dann doch über das Unwohlsein, das der Kommentar seines Vetters in Hadamar ausgelöst hatte, und er begann zu futtern. Allerdings konnte er das Essen trotzdem nicht so richtig genießen... wirklich reinhauen tat er von Anfang an nicht, je weiter Alrik kam mit seinen Ausführungen, desto langsamer wurde er noch, und schließlich ließ er ganz sinken, was er in den Händen hielt. Was Alrik ihnen da mit Worten auftischte, war genug, um jeden vom Hocker zu hauen... oder zumindest ihn. Er zog den Krug mit Bier heran und trank einen großen Schluck, und dann noch einen, weil das Zeug eh nicht so durchzog wie das von daheim. Am liebsten hätte er zu Sönke geschaut, und das mehr als nur einmal, aber er verkniff es sich jedes Mal. Sönke mochte um ein paar Monate der Ältere sein... aber nach allen anderen Maßstäben war nicht er es, der hier zu wissen hatte wie zu reagieren war. Hadamar war Mitglied der Familie, in deren Munt die von Sönke stand. Und Hadamar war der Optio von ihnen beiden. Wenn überhaupt war es Sönke, der zu ihm schauen und Hilfe erwarten konnte, oder zumindest dass er ihm sagte, was zu tun war... aber nicht umgekehrt. Ganz sicher nicht umgekehrt. Davon abgesehen wäre es ein Zeichen von Schwäche gewesen, wenn er ratsuchend zu Sönke gesehen hätte, und was er vor dem Freund zwar nicht gern zugegeben, aber noch in Ordnung gefunden hätte, wollte Hadamar definitiv nicht vor Alrik zeigen, gerade weil der sein Vetter war... und so viel höher stand als er.


    Und trotzdem änderte das alles nichts daran, dass Hadamar einfach nicht wusste, wie er jetzt reagieren sollte. Er begriff wohl, worauf Alrik hinaus wollte. Aber er wusste einfach nicht, ob er ihm das zusagen konnte. Sein Vetter verlangte da nichts weniger, als dass er im Zweifel nicht auf der Seite seines Legat stehen sollte, sondern auf der des Tribuns... auf der seiner Familie. Und das stürzte ihn in einen Gewissenskonflikt, von dem er keine Ahnung hatte, wie er ihn lösen sollte. Als Alrik vor der Alpenüberquerung hatte durchblicken lassen, dass er vom Legat der Secunda nicht allzu viel hielt, war Hadamar einfach ausgewichen, und es seitdem auch vorgezogen, sich darüber einfach keine Gedanken zu machen, aber hier, jetzt, konnte er das nicht mehr. Die Legion war sein Zuhause, er bereute keinen Moment, dass er sich damals verpflichtet hatte und nicht, wie seine Mutter gewollt hätte, in die Verwaltung gegangen war. Was auch immer er da gesucht hatte, die Legion hatte es ihm gegeben. Und sie war vor allem eines: Disziplin, Gehorsam und Hierarchie bis zum Abwinken, mit dem Legat unverrückbar an der Spitze, und in dieses System hatte Hadamar sich eingefunden im Lauf der Jahre. Aber seine Familie... war trotzdem immer noch seine Familie. Wenn alles den Bach runterging, war seine Familie das, was blieb.
    Er wollte diese Entscheidung einfach nicht treffen müssen. Er wollte nicht. Und das nicht, weil er sich nicht entscheiden konnte, das wusste er auch. Er hatte sich bei Elfledas Tod für seine Familie entschieden, und er würde es wieder tun, das hatte er damals schon gewusst, trotz der Strafe, die seinem Contubernium und ihm aufgebrummt worden war. Er hatte nur gelernt, dass er das nicht laut sagen durfte, und dass er weit vorsichtiger sein musste, um sich in einem solchen Fall nicht erwischen zu lassen. Nur ging es hier nicht darum, sich einfach nur gegen den Befehl des Vorgesetzten aus dem Lager zu schleichen. Es ging hier tatsächlich darum, wem seine Loyalität mehr galt... und er wollte sich nicht entscheiden müssen. Er wollte, dass die Ziele der Secunda und ihres Legaten mit denen seiner Familie übereinstimmten, er wollte, dass es keinen Zweifel für ihn gab und keinen Gewissenskonflikt, kurz: er wollte, dass es einfach war für ihn. Aber das war es wohl nicht.


    Als Alrik schließlich geendet hatte, verkniff Hadamar es sich also, zu Sönke zu sehen... schaute aber dafür in seinen Krug, als ob das Bier ihm eher einen Rat geben könnte – was im Hinblick darauf, dass er keine Schwäche vor seinem Vetter zeigen wollte, wohl kaum eine bessere Wahl war als zu seinem Freund zu gucken. Bevor sich das Schweigen allerdings zu lange dehnen konnte, sah er wieder auf zu seinem Vetter. „I hoff, da Aurelius mochd sei Sach wirkli bessa.“ Hadamar schnitt eine Grimasse, als er das sagte, und er betete zu den Göttern, dass sie ihn nicht auf die Probe stellten, dass sie ihn nicht tatsächlich in eine Situation kommen lassen würden, in der er nicht nur mit Worten, sondern mit Taten würde zeigen müssen, wo er stand. „Aba... warum is da Legat net ogseng? Un warum glabst dos da Aurelius bessa is?“