Beiträge von Lucius Duccius Ferox

    „Ich weiß ja, ich weiß“, maulte Hadamar zurück, was sich auf so ungefähr alles bezog, was Sönke von sich gab. Ein Schwert war noch viel mehr, wenn man gewissen anderen Leuten glauben schenken durfte. Er hatte die Wahl. Sönkes Perspektive war grottig gewesen. Vielleicht hatte der andere ja Recht, vielleicht ließ Hadamar sich nur deshalb so treiben, weil es... nun ja, nicht wirklich eine Herausforderung gab. Hier draußen jedenfalls hatte seine Sippe das Sagen. Und er stellte sich durchaus vor, dass es in der Stadt ähnlich lief. Sönke hingegen hatte stets vor Augen gehabt, dass etwas gab, was er erreichen konnte. Und jetzt hatte er es erreicht, oder wenigstens einen Teil davon, allen Widerständen zum Trotz, die sich vor allem in seinem Vater manifestierten. Und das war etwas, was Hadamar Bewunderung abrang, auch wenn er das so deutlich nie gesagt hatte. „Dein Vater sollte stolz auf dich sein, immerhin übertriffst du doch jede Erwartung. Aber ich... was ich will interessiert ja auch keinen.“ Das Grundproblem war eher, dass er nicht wusste, was er wollte, aber das überging er geflissentlich. Ohnehin zuckte er nun mit den Schultern und verstummte für den Moment. Seine Worte begannen verdächtig nach Jammern zu klingen, und das wollte er nun auch nicht, obwohl es gerade die Erwartungen waren, die ihm so auf den Geist gingen.


    Nein, Erwartungen waren nichts für ihn, schon gar nicht, wenn es kaum noch etwas zu erreichen gab, und wenn einem dabei ständig wer auf die Finger schaute. Und das war etwas, was sich wohl auch in der Stadt nicht ändern würde, wie Sönke gerade so lebhaft darstellte. Witjon würde schon etwas finden. Na sicher würde Witjon etwas finden, daran hatte Hadamar gar keine Zweifel, aber er wollte gar nicht, dass Witjon etwas für ihn fand! Die Legion allerdings... Hadamars Lippen kräuselten sich leicht, als dieses doch etwas abstrakte Wortgebilde Legion in ihm schwang und sich darum herum Gedanken manifestierten. Stichwort Herausforderung. Keine Duccii. Niemanden von seiner Familie, der ihm auf die Finger sah. Keine Erwartungen, keine jedenfalls, die er tagtäglich serviert bekam, mit nahezu jedem Blick, wie er sich einbildete. Andererseits... auch Plackerei, viel Plackerei, mutmaßte er – anders als hier, aber trotzdem Plackerei.


    Sönkes letzte Worte veranlassten Hadamar wieder zum Grinsen. „Klingt hervorragend. Meinst denn bei Stadtmädchen ist es leichter?“ Hadamar war über das Gefummel-Stadium schon hinaus. Allerdings, und das wiederum passte zu seiner Weltanschauung weniger, weil er flachgelegt worden war, und nicht umgekehrt, und das wiederum war etwas, was sich schleunigst ändern musste, fand er, oder besser, durch weitere... Erfahrungen, in denen er die Oberhand hatte, in den Hintergrund zu drängen war. Das also wäre ein definitives Argument für die Stadt.

    „Was soll ich denn damit?“ fragte Hadamar unwillig zurück. Seine Mutter würde ihm den Hals umdrehen, wenn sie wüsste wie wenig Achtung er vor dem hatte, was ihm ohne sein Zutun geschenkt worden war, das war ihm klar. Seine Geschwister würden ihm den Hals umdrehen, wenn sie denn könnten, weil er keinem von ihnen ein ähnliches Angebot machte. Und sein Vater würde ihm vermutlich von Walhall aus den Hals umdrehen. Einfach so. „Das ist einfach nur...“ Ruckartig setzte Hadamar sich nun vollends auf, vertrieb damit vermutlich jeden Fisch, der sich in den letzten Momenten vielleicht mit dem Gedanken getragen hatte anzubeißen, und spuckte entnervt den Grashalm aus, der ihm bis dahin aus dem Mundwinkel gehangen hatte. „Ich hab keine Ahnung, was ich anfangen soll, aber nein, der Junge muss irgendwas machen... werden... was auch immer.“


    Der nächste Grashalm musste dran glauben. Ruhm und Ehre... davon sprach Sönke häufiger, gerade in letzter Zeit. Hadamar war sich nicht ganz so sicher, ob es das war, was ihn erwarten würde. Aber immerhin hatte Sönke einen Plan, ein Ziel. Wie seine Mutter, ganz nebenbei bemerkt, nicht müde wurde ihm vorzuhalten. „Bestell dem Imperator dann mal schöne Grüße von mir.“ Er grinste schon wieder, aber wie auch die vorigen Kommentare war dieser nur teils scherzhaft gemeint. Auch wenn Sönke ein Träumer war, den nötigen Ehrgeiz hatte er auch. Es war noch nicht allzu lange her, da hatte er auch Sönkes Traum vom Bürgerrecht noch verspottet, und was war nun? War der Kerl zu Witjon marschiert und hatte den dazu gebracht, ihm das Bürgerrecht zu verschaffen. Einfach so.


    Hadamar kaute weiter auf dem Halm, beobachtete die ruhige Wasseroberfläche. Er hatte keine Lust, sich Gedanken zu machen über Dinge, die er sich zur Genüge anhören musste, je älter er wurde, desto häufiger. Allein, Sönke ließ ihn nicht. „Sie will, dass ich in die Stadt geh. Hat wohl die Hoffnung, das Leben dort und die Gegenwart des Sippenführers könnten... positive Auswirkung haben.“ Er kratzte sich am Kinn. Das schlechteste war es ganz sicher nicht, in die Stadt zu ziehen. Es bedeutete Abwechslung, das ganz sicher – und es war ja nun nicht so, dass Hadamar sonderlich scharf darauf war, sein ganzes Leben damit zu verbringen, auf dem Hof zu schuften. Das nun wirklich nicht. Nur was Hadamar sich unter einem Leben in der Stadt vorstellte, verschwieg er seiner Mutter lieber. Und dann war da noch Sönke. Jetzt, wo er tatsächlich das Bürgerrecht bekommen hatte und in absehbarer Zeit nicht nur gehen konnte, sondern auch würde... Hadamar mochte sich nicht vorstellen, wie langweilig das Leben hier dann werden würde. Er würde sogar Sönkes Spinnereien von Ruhm und Ehre vermissen.

    Hadamar grinste ungerührt weiter. „Wie und nichts? Du hast das Bürgerrecht. DAS Bürgerrecht!“ Nein, er äffte Sönke überhaupt nicht nach, würde ihm ja im Traum nicht einfallen... Ein wenig versöhnlich fügte er an: „Noch dazu als erster deiner Familie.“


    Natürlich hätte er jetzt auch irgendeinen der Sprüche bringen können, die seine Mutter ihm in schöner Regelmäßigkeit servierte: dass der Name allein nicht reichte, dass er schon etwas leisten musste, dass er seinem Vater nacheifern sollte, dass er... Hadamar verzog das Gesicht, teils aufgrund seiner eigenen Gedanken, teils aufgrund der weiteren Worte Sönkes. Sohn Wolfriks. Natürlich war das nicht unangenehm, dass seine Sippe den anderen vorstand, und dass sie das Bürgerrecht bereits inne hatten. Aber das Problem daran: es war halt auch mit Erwartungen verbunden. Erwartungen, die Hadamar nicht ganz so sehr behagten. Und die Bewunderung, die Sönke manchmal seiner Sippe entgegen zu bringen schien, behagte ihm fast noch weniger. Natürlich hatte er nichts dagegen, wenn andere Leute seiner Sippe – und ihm! – ein gewisses Maß an Bewunderung entgegen brachten. Es tat gut, sicher, und es öffnete mehr als eine Tür. Aber das war immer ein zweischneidiges Schwert, weil Hadamar die Erfahrung gemacht hatte, dass das auch immer irgendwie mit Erwartungen verbunden war. Und davon abgesehen: Sönke war sein Freund. „Kannst meins haben“, war es jetzt also Hadamar, der murrte. Mit gerunzelter Stirn warf er Sönke einen Blick zu, bevor er wieder aufs Wasser sah. „Du willst das also echt durchziehen, mit der Legion.“

    Stille. Na gut, der Wald rauschte. Und zwischendurch hörte man ein leises Plätschern vom See. Aber davon mal abgesehen... Stille. Hadamar lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Gras am Seeufer und genoss mit geschlossenen Augen die Sonnenstrahlen, auch wenn sie jetzt am Abend nicht mehr die Kraft hatten, tatsächlich zu warmen. Seine Weidenrute hatte er in den weichen Boden am Ufer gesteckt, nicht gerade ideal, wenn man wirklich etwas fangen wollte, aber für Hadamar war der Satz ich geh angeln ohnehin mehr Ausrede als alles andere.


    Als die Stille schließlich von Sönke durchbrochen wurde, konnte Hadamar sich zunächst nicht dazu aufraffen, die Augen zu öffnen. Erst als Sönke nachfragte, blinzelte er zuerst, bevor er sich dann sogar dazu überredete, den Oberkörper aufzurichten und sich auf den Ellbogen abzustützen, um den anderen anzusehen. „Na was hast du erwartet? Dass sie jetzt vor dir katzbuckeln?“ Hadamar grinste bei diesen Worten, die er ebenso gedämpft aussprach wie Sönke, bevor er träge eine Hand ausstreckte und einen Grashalm ausriss, an dem er dann zu kauen begann. „Ich bin mir gar nicht mal so sicher, wem das überhaupt wirklich klar ist. Wie du sagst: hat sich ja nicht großartig was geändert bisher.“ Wieder eine Pause, dann: „Wie sieht denn der weitere Plan aus?“ Hadamar hatte irgendetwas läuten hören, dass Witjon noch Vorschriften gemacht hatte, aber so ganz genau wusste er es nicht. Das war das Problem, wenn man dazu tendierte, sich zu drücken wo immer es ging – manchmal verpasste man einfach wichtige Dinge.