Beiträge von Lucius Duccius Ferox

    Hadamar hätte am liebsten die Augen verdreht, aber das konnte er gerade noch so unterdrücken. Er mochte Senecio, und er wusste auch, dass der Veteran das nie böse meinte – aber er war ja nicht der einzige, der nach wie vor stichelte. Manche klangen so wie Senecio, mache klangen fast bewundernd, und manche klangen bis heute noch sauer – und verbanden das in der Regel mit irgendeiner körperlichen Aktion, wenn sie die Gelegenheit dazu sahen. Konnten die das nicht endlich mal vergessen? Immerhin war die Sache ja auch für den Centurio und sein Contubernium nach der Strafe abgehakt gewesen...


    „Ja...“ bestätigte er mit einem schiefen Grinsen und schüttelte dann den Kopf. „Nein, eh, will ich nicht. Ich bräucht Cor... Optio Helvetius. Ist er da?“


    Sim-Off:

    Das spielt schon ziemlich weit in der Nacht – in jedem Fall schon nach Start der Nachtruhe. Nur zur Info :)

    „Und das von dir...“ Tappulus wiegte gespielt enttäuscht den Kopf. „Ich muss schon sagen, das trifft mich, Bovis. Wo du doch am besten weißt, dass es nie schaden kann was zu futtern zu haben!“ Und falls der Beutel tatsächlich leer werden sollte, würden sie danach eben zusammenlegen – keiner von ihnen sagte nein, wenn jemand sein Geld auf die Art auf den Kopf hauen wollte, aber das hieß ja noch lange nicht, dass der Abend vorbei sein würde, wenn Corvinus' Kohle alle war.
    „Eeeh...“ machte Hadamar unterdessen und angelte nach einer der abgegriffenen Tabulae, auf der das Futterangebot festgehalten war. „Hier.“ Er schob sie Corvinus hinüber. Aus halbem Ohr hörte, wie irgendwo am Nachbartisch eine Frau etwas bestellte – und das seltsamerweise danach noch mal auf Latein wiederholte. Kurz sah er zu ihr hinüber, zuckte dann allerdings die Achseln und widmete sich wieder ihrer Runde. „Also?“ grinste er Corvinus an. „Du zahlst, du schaffst an.“

    Das Schreiben mochte schon vor einigen Wochen abgegeben worden sein – Hadamar tauchte allerdings erst jetzt, nachdem er von seinem Centurio nach der Strafarbeit die Bestätigung bekommen hatte, dass er Miles bleiben würde, in der Principia auf, um sich seine Ernennungsurkunde abzuholen. Immer noch leicht humpelnd kam er also zur Schreibstube und klopfte an, bevor er die Tür aufstieß, hineinging und salutierte. „Miles Duccius Ferox meldet sich. Zum Abholen der Ernennungsurkunde.“

    Hadamar hatte beschlossen, zuerst Corvinus zu holen – als er allerdings vor der Unterkunft stand, in der der Kamerad nun untergebracht war, gemeinsam mit den anderen Optiones, zögerte er. Wenn er Corvinus bisher wegen irgendwas mitten in der Nacht aus dem Schlaf geholt hatte, war er einfach hingegangen und hatte ihn aus dem Bett geworfen. Und auch jetzt war sein erster Impuls, einfach die Tür aufzureißen und reinzugehen. Nur... nur... Corvinus war jetzt Optio. Er war ein Vorgesetzter. Und eines der Dinge, die Hadamar gelernt hatte hier war, wie wichtig die Befehlskette war, die Hierarchie. Es gab nur wenig, was wichtiger war in der Legio als das. Auch wenn Corvinus gemeint hatte, er würde sein Contubernium nicht vergessen, oder ihre Freundschaft – trotzdem konnte Hadamar nicht so tun, als wär nichts, als wäre der Freund nun nicht sein Vorgesetzter. Oder doch? Oder nicht?


    Einen langen Moment stand Hadamar vor der Tür, völlig unschlüssig was er tun sollte, und haderte damit, was diese elende Veränderung – die eigentlich was tolles war! – so alles mit sich gebracht hatte. Und dann, obwohl er immer noch unschlüssig war, obwohl er das Gefühl hatte dass es etwas kaputt machte, und obwohl er sich ein kleines bisschen dafür selbst hasste – tat er das, was er hier eingebläut bekommen hatte. Er klopfte.


    Hadamar deutete ein Achselzucken an und machte einen Schritt zurück. Er kannte Situationen wie diese nur zu gut, hatte er doch selbst oft genug darin gesteckt – dieses Gefühl, das man hatte, wenn man im Grunde wusste dass es kaum noch eine Möglichkeit gab sich aus dem Ärger rauszuwieseln, der einen erwartete. Er hob eine Hand und machte eine vage Geste, als der Kerl – Linos – meinte, er würde sich revanchieren. „Sieh erst mal zu dass du da heil wieder rauskommst“, brummte er und wandte sich dann ab, um Corvinus und den Tesserarius zu holen.

    Hadamar verdrehte die Augen. „Oh bitte, als ob der Legat mich net in dem Augenblick vergessen hätt, in dem ich zur Tür raus bin...“ Er war simpler Legionär, die zu tausenden hier rumliefen, da machte er sich nichts vor. Auch wenn es schon klasse gewesen war, da reinzugehen und mit dem Mann mal persönlich reden zu können... er glaubte deswegen noch lange nicht, dass er einen derart bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Das schaffte er irgendwie immer nur dann, wenn er irgendwas anstellte – dafür dann allerdings richtig. „Du bist bescheuert, weißt du das? Du bist doch net erst seit gestern sein Sklave, du hättst doch wissen müssen, dass wir hier Meldung machen bei solchen Sachen! Wir machen bei jedem Dreck Meldung, bei Hel, wir machens ja sogar wenn wir scheißen gehen!“ Naja gut, das war vielleicht etwas übertreiben. Wobei... wenn ein Legionär mitten im Training unbedingt austreten musste, hatte der sich wohl abzumelden. Hadamar schüttelte leicht den Kopf und ließ den Kerl los. „Die Idee war ja klasse“, er gab das nur zähneknirschend zu, aber es war so, und er konnte nicht umhin, nach wie vor widerwillige Bewunderung dafür zu empfinden, „aber die Durchführung miserabel. Du lässt dir besser was verdammt Gutes einfallen für ihn“, er machte eine Kopfbewegung zur Vorzimmertür hin, um auf den Legaten in dem Büro dahinter zu deuten, „und nur zur Info: ich soll den Tesserarius vom Wachdienst vorhin holen. Also sag nix, was der dann widerlegen würd.“

    Hadamar klopfte Corvinus leicht auf die Schulter und stimmte in das gutmütige Lachen der anderen mit ein, während sie sich an einen Tisch beim Kamin hinsetzten.


    „Sooo“, machte Hadamar aufgeräumt. „Wollt ihr nur saufen oder darfs auch was zu beißen sein?“
    „Na wenn unser Ochse hier sein Maul schon so voll nimmt und uns einlädt...“ grinste einer, und ein zweiter fiel ein: „... das ist doch offensichtlich sein Herzenswunsch, seine Kohle hier los zu werden, wer sind wir da, ihm das abzuschlagen?“
    Noch eine Runde Gelächter folgte, und mitten hinein tauchte eine der Bedienungen auf – die eine überraschte Miene machte, als sie Hadamar erkannte, die sich ziemlich schnell in ein breites Grinsen verwandelte. Auch wenn Hadamar selten als tatsächlicher Gast hier gewesen war, einfach weil er keine Kohle gehabt hatte und er, nur weil er ein Duccius war, hier freilich keinen Freifahrtschein hatte... schon gar nicht wenn er mit Freunden kam, war er trotzdem bekannt bei den Angestellten der Wolfrikssippe. Und hatte auch einen gewissen Ruf – nicht so sehr als Frauendenkopfverdreher, sich das zu erarbeiten, damit hatte er erst begonnen, als er mit Runa... nein, richtiger war: als Runa mit ihm angebandelt hatte, obwohl er sich nicht das Geringste dagegen hatte, dass Corvinus ihn so zu sehen schien. Nein, sein Ruf ging vielleicht mittlerweile ein bisschen in die Richtung, aber größtenteils war er hier einfach als der bekannt, als den man ihn auch in der Legio kannte: einer, der jede Menge Flausen im Kopf hatte, es mit Vorschriften nicht so genau nahm und für so ziemlich jeden Spaß zu haben war. „Hadamar! Wos treibsdn hia?“
    Hadamar grinste breit zurück und wechselte wie von selbst ins Germanische, in dem sie ihn begrüßt hatte, obwohl er mittlerweile nur noch selten dazu kam, in seiner Muttersprache zu reden. „Heilsa, Oda. Mia hen wos zum feian, mei Leid un i. Hosd Met un Bia?“
    „Freili“, lachte sie zurück. „Aba zahln konnsd scho?“
    „I? Wo dengsdn hi! I do net. Naaa, mei Freind hia hod as Geid.“ Damit stupste Hadamar leicht den Beutel an, in dem vernehmlich die Münzen klimperten. „Wer isn heit no da fo eich?“
    „De Baltrun un de Wibke... un späda kimmt no de Hilta un lest oane vo uns ob.“
    Hadamar nickte, und während er grübelte, bei welcher er wohl am besten mal vorfühlen sollte, verschwand Oda, um die Getränke zu holen.

    So wenig Hadamar von den Neuigkeiten wirklich berührt wurde... so sehr zog ihn das weitere Geschehen dennoch in seinen Bann. Die Beschreibung des Legaten, was in Rom derzeit los war, und was weiter passieren würde, war noch halbwegs harmlos, für ihn jedenfalls. Tatsächlich glaubte er das, was der Legat ansprach: dass es sie hier ja gar nicht betreffen würde. Mit jedem weiteren Wort allerdings führte der Legat sie dazu hin, dass das nicht ganz stimmte – auch wenn Hadamar nicht alles wirklich verstand, was er genau sagte, weil es zu viel Information in zu kurzer Zeit war und das in einem Rahmen, in dem er sich kaum darauf konzentrieren konnte, aber das immerhin wurde klar, dass der Legat darauf hinaus wollte, dass sie eben nicht unberührt bleiben würden hier. Bis er schließlich diese eine Sache kundtat, die auch beim Letzten wohl den Glauben daran radikal vernichtete. Er wird Gefolgschaft einfordern. Und die werde ich ihm verweigern. Hadamars Mund öffnete sich leicht, in Unglauben, Verwirrung, während er zugleich versuchte, gedanklich auszusortieren, was das nun genau für ihn, für sie, für die Legio hieß. Seine Gedanken kreisten, aber der Legat redete weiter, und bevor Hadamar überhaupt Ordnung in seinen Kopf hatte bringen können, brachen vorne und sich ausbreitend um ihn herum Soldaten in zustimmende Rufe aus, und er konnte gar nicht anders, als sich mitreißen zu lassen, weil so viele irgendwie so... so aufgewühlt schienen, so empört, und weil diese Stimmung sich in Wellen auszubreiten schien, Wellen, die ihren Mittelpunkt vorne beim Legat hatten und die ihn, Hadamar, überschwappten. Wir folgen keinem Kaisermörder. Wir haben einen Eid geleistet. Das waren letztlich die Worte, die bei Hadamar hängen blieben, die weiterhin in seinem Kopf kreisten, wie in einer Endlosschleife. Wir folgen keinem Kaisermörder. Wir haben einen Eid geleistet. Und als der Legat begann, ihren Eid vorzusagen, fielen nach und nach weitere Soldaten mit ein, Hadamar eingeschlossen, bis es gefühlt schließlich die gesamte angetretene Legio war, die die Worte mit der Gewalt tausendfacher Stimmen in die kalte Winterluft hinausschmetterte.


    „...QUAE PRAECEPERIT IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS, NUMQUAM DESERTUROS MILITIAM NEC MORTEM RECUSATUROS PRO ROMANA REPUBLICA!“

    Hadamar ließ sich von Sönke in dessen Unterkunft ziehen und hörte sich an, was er vom Stapel ließ. Und war dann erst mal perplex. „Eh“, machte er wenig intelligent. Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht, wie sich das wohl verhielt. Irgendwie betraf ihn das ja auch – nicht so sehr wie Sönke vielleicht wegen der Munt, da war er wohl etwas freier in seinen Entscheidungen, aber trotzdem: Witjon war ja Sippenführer. Wenn der nun irgendwas wollte, was sich mit seinen Aufgaben bei der Legion biss? Hadamar kratzte sich am Kopf. „Oiso. I sog amol... Najo, Witjon hod di do einigschigt ind Legio. Mia san Rema, so... mea oda weniga. Un Witjon is da Obagschafftl vo Mogontiacum. Do deafat der gor nixan oschaffa, wos am Reich oda am Kaisa schadt.“ Ja, das war ein gutes Argument. Vermutlich musste man als Duumvir sogar auch irgendeine Art von Eid leisten, auf Reich, auf Kaiser, auf das Amt, an den man sich dann zu halten hatte. „Un andasrum...“ Jetzt zuckte Hadamar ein wenig hilflos die Achseln. Er hatte keine Ahnung, was sie dann tun sollten, falls tatsächlich irgendwann mal ein Befehl kam, der den Wolfrikssöhnen schaden würden. Sein erster Impuls war zu sagen, dass sie natürlich auf Seiten seiner Sippe zu sein hatten. Nur ganz so einfach war das eben nicht. Sie hatten einen Eid geleistet – sicher war die Zugehörigkeit zu seiner Sippe länger, älter, tiefer, aber trotzdem: sie hatten einen Eid geleistet. Und dazu kam, dass so etwas wie Familie in der Legio irgendwie nicht vorgesehen war bei Soldaten. Spätestens seit der Ablehnung seines Freigangsgesuchs für Elfledas Beerdigung, als er noch Tiro gewesen war, und der darauffolgenden Bestrafung, als er sich einfach rausgeschlichen hatte deswegen, war ihm bewusst, wie wenig familiäre Bande in der Legio wirklich zählten. „I woaß net. Missad mia dann seng, wanns wirkli amol passiad. Oiso... hoid... woaßt, wos hoid gnaud Bfehle san. Un warum.“

    Hadamar wusste nicht so recht, wie er mit den Kommentar des Legaten deuten sollte. Und darüber hinaus war er neugierig, und er wollte mehr miteinbezogen werden – weil: hier zu stehen und dem Legat persönlich Bericht erstatten, das hatte schon was. Wie musste das dann erst sein, wenn man tatsächlich mitreden durfte? Allerdings war die Anweisung in den Worten eindeutig, und obwohl Hadamar irgendwie... ein wenig unzufrieden war, oder besser: ein wenig enttäuscht, weil er schon gehen sollte, war er mittlerweile doch Soldat genug, um einfach das zu tun, was ihm gesagt worden war. Erst recht, wenn der Befehl vom Legat selbst kam.


    „Jawohl, Legat“, salutierte er also zackig, wandte sich um und verließ das Büro – und blieb dann mitten im Schritt stehen, als er sah, wer im Vorraum wartete. Seine Verblüffung überwand Hadamar jedoch schnell. Er zog die Tür hinter sich so weit zu, dass sie wie vorhin nur einen kleinen Spaltbreit offen war, ging auf den Sklaven zu und packte ihm am Kragen. Halb zerrte er ihn mit sich, halb schob er ihn mit seinem Körper, bis sie auch den Vorraum verlassen hatten, und er konnte nur hoffen, dass der Legat nicht aufmerksam wurde. Draußen dann kickte Hadamar die Tür mit dem Fuß hinter sich zu und knallte den Sklaven gegen die Wand daneben. „So. Linos, ja? Was sollte die Scheiße mit den Tesserarii?“ knurrte er, der Kerl in einem festen Griff haltend, damit er sich nicht irgendwie hinauswinden konnte.

    Es war geradezu verblüffend einfach, das Castellum zu verlassen, wenn man nur durfte. Nichts im Vergleich zu seiner Aktion als Tiro, wo er sich peinlich genau einen Plan überlegt hatte, um rauszukommen. Jetzt, als Legionäre, marschierten sie einfach hinaus.
    Es dauerte ein bisschen, bis sie schließlich ihr Ziel erreichten: die Taberna Silva Nigra. Hadamar hatte dann doch beschlossen, da hinzugehen. Für das, was Corvinus wollte, war die Taberna seiner Verwandten noch mit am besten geeignet... es gab ein paar hübsche germanische Schankmädchen, und wenn sie Glück hatten, bediente eine, von denen er wusste dass sie sich auf solche Geschichten einließ. Nicht dass er jemals bei einer gelandet wäre... er hatte sich früher gar nicht getraut, es da wirklich zu versuchen. Immerhin gehörte die Taberna seinen Verwandten, und wenn das rausgekommen wäre, hätte es wohl Ärger gegeben. Allerdings war die Sache jetzt anders. Er war nun Legionär. Und Corvinus war Optio! Noch dazu einer, der ziemlich stattlich war. Und dass Hadamar ein Duccius war, konnte da auch nur von Vorteil sein. Alles zusammengenommen waren das doch die besten Voraussetzungen, um eins der Mädels rumzukriegen, fand er, und er wollte, dass Corvinus eins der Mädels bekam.

    Hadamar wusste nicht so recht, was er von der jetzigen Ansprache des Centurio halten sollte. Bei ihm fehlte noch der Beweis dafür, dass er wirklich alles hatte, was ein Legionär brauchte? Das kratzte an seinem Ego. Aber ziemlich. Ziemlich gewaltig sogar. Gut, Fleiß, darüber konnte man sich streiten, oder besser: eben nicht – da gab Hadamar freimütig zu, dass er davon zu wenig an den Tag legte, auch wenn er hier doch um einiges fleißiger war als früher daheim. Aber Gemeinschaftsgedanke? Kameradschaft? Treue? Das hatte er doch alles, das... hatte er... dachte der Centurio etwa, er hätte das nicht, weil er auf eigene Faust rausgeschlichen war? Was hatte das eine denn mit dem anderen zu tun? Er war ja nicht davon ausgegangen, dass sein Contubernium mitbestraft werden würde, wenn er das vorher gewusst hätte... dann... naja, das hätte vielleicht doch was geändert. Er wäre vorsichtiger gewesen. Hätte sie vorher doch gefragt. Hätte sich vielleicht sogar doch nicht rausgeschlichen, wenn sie alle strikt dagegen gewesen wären.
    Und trotzdem: es störte Hadamar, störte ihn sehr, dass der Centurio so von ihm dachte, und es packte ihn irgendwie bei seinem Ehrgeiz, ihm zu beweisen, dass er falsch lag. Er konnte das. Körperlich war er deutlich fitter geworden, das regelmäßige Training machte ihm nichts mehr aus, und was alles andere anging: natürlich konnte er das!


    Der Rest von dem, was der Centurio zu sagen hatte, klang aber schon weit erfreulicher. Er war zufrieden mit den Strafarbeiten, er brummte ihnen nicht noch mehr auf, und das Beste von allen: Hadamar durfte Legionär bleiben. Er durfte Legionär bleiben! Am liebsten hätte er jetzt einen Luftsprung gemacht, oder Corvinus umarmt, oder sonstwie seiner Freude Ausdruck verliehen, aber er riss sich zusammen und blieb in Haltung stehen, konnte nur nicht unterdrücken, dass sich ein Grinsen auf sein Gesicht schlich. „Danke, Centurio!“ Das Grinsen allerdings gleich wieder in Unglauben erstarrte, als der Centurio von einer Prämie sprach. Klar, da war ja irgendwas gewesen, da auf dem Marktplatz wo er sich hatte anwerben lassen... aber daran hatte er gar nicht mehr so wirklich gedacht während der Zeit, die er nun schon hier verbracht hatte. Und hätte er es, hätte er erst recht nicht geglaubt, dass er die noch bekommen würde nach dieser Sache... „Jawohl, Centurio.“
    Und dann entließ der Centurio sie. Hadamar stellte sich wieder zurück in die Reihe, salutierte mit den anderen und verließ den Raum.

    Hadamar warf einen kurzen Blick zur Seite zu dem Eques, sagte aber nichts. Es juckte ihm in den Fingern, irgendwas zu tun... aber er war nur Tiro. Solange der andere nichts tat, blieb ihm nicht viel anderes übrig als ebenfalls hier liegen zu bleiben und die Gegend weiter zu beobachten.

    Auf den Befehl hin, den ranghöchsten Offizier zu holen, brachte Hadamar nur ein Nicken hin, weil der Legat gleich weiter sprach und er ihn nicht unterbrechen wollte. Er grübelte schon darüber nach, wer der Ranghöchste bei ihnen wohl war... andererseits: waren Optiones nicht im Grunde alle gleich gestellt? Egal. Er würde Corvinus aus den Federn holen, beschloss er kurzerhand. Hadamar war sich sicher, dass der sich darüber freuen würde, den Legaten treffen zu dürfen, auch wenn gleichzeitig vermutlich die Gefahr bestand, dass er sich vor lauter Aufregung und Ehre in die Tunika machte.


    Der Legat allerdings sprach weiter, und während Hadamar registrierte, dass der Kerl als Linos hieß, wurde ihm zugleich bewusst, dass er da nun wohl kaum eine Chance mehr hatte, den Sklaven völlig ungeschoren zu lassen. „Ich war nicht dabei, als der Tesserarius und dein Sklave miteinander gesprochen haben, Legat“, antwortete Hadamar zunächst, in dem Versuch, ein wenig Zeit zu schinden – aber wirklich etwas einfallen wollte ihm nicht, was relativiert hätte, dass er den Auftrag ausgeführt hatte und nicht dieser Linos, wie der es offenbar hätte tun sollen. Und bevor Hadamar einen Kameraden in Schwierigkeiten brachte, dann schon lieber einen vorlauten Sklaven. Schon gar nicht wenn er gar nicht wusste, wie der Wechsel des Auftrags überhaupt zustande gekommen war – sich nur darüber sicher war, dass der Tesserarius das nicht übernommen hätte, wenn er nicht geglaubt hätte, dass der Befehl des Legaten genau so gelautet hatte. Und dann war da noch der Legat, der schon wieder diesen Blick drauf hatte... „Nach diesem Gespräch ist dein Sklave zu mir gekommen und hat mir ausgerichtet was zu tun ist. Da hatte ich den Eindruck, dass dein Befehl lautete, einer der Milites solle die Tesserarii informieren, und dass dein Sklave diese Anweisung dem wachhabenden Tesserarius überbringen sollte... der dann mich auswählte für die Ausführung. Beim Abmelden hat der auch den Eindruck auf mich gemacht, dass es einfach... naja, dein Befehl war.“ Hätte der das gewusst, hätte er ihm kaum gesagt er solle selbst im Vorzimmer des Legaten Meldung erstatten, wenn er fertig war.

    Ein wenig verblüfft beobachtete Hadamar den Legat dabei, wie er ein wenig steif aufstand, wie er sich dann streckte. Er hatte weder eine Ahnung, welche Probleme ein höheres Alter mit sich brachte, noch was mehrere Stunden konzentrierter Arbeit an einem Schreibtisch bedeuten konnten. Und er wusste nicht so recht, wie er das jetzt finden sollte, weil... weil einfach. Es war irgendwie komisch, den Legaten so zu sehen, es war komisch, dass der sich so gab in seiner Gegenwart. Er war ja nur ein einfacher Miles. Hadamar war kurz davor, sich verlegen am Kopf zu kratzen, aber er erinnerte sich noch rechtzeitig daran, dass er vor seinem Legaten stand, in Haltung, und es keine gute Idee war, in seiner Körperspannung nachzulassen.
    Bald darauf allerdings vergaß er schon wieder, dass er aufpassen sollte. Zuerst ging ja noch alles gut, er hörte zu was der Legat zu sagen hatte, zum einen weil sich darin vielleicht noch ein weiterer Befehl versteckte, zum anderen weil es interessant war zu hören, was er so dachte, und vielleicht verriet er ja nebenbei auch warum er die Wachpläne hatte aufheben lassen... und die ganze Situation war ja schon irgendwie... naja, aufregend. Dann allerdings passierte es – der Legat wollte den Centurio sprechen, und Hadamar entwischte ein nicht sehr militärisches: „Öhm...“ Was gleich darauf eine leichte Rotfärbung seiner Ohren nach sich zog. Er räusperte sich und versuchte das Öhm vergessen zu machen, indem er erklärte, was dazu geführt hatte. „Die Centuria IV, Cohors II hat im Moment keinen Centurio, Legat. Centurio Artorius wurde zum Primus Pilus befördert, und ein Nachfolger wurde noch nicht bekannt gegeben“, erlaubte er sich also auf diesen Umstand hinzuweisen, auch wenn der Legat genau genommen nicht danach gefragt hatte.


    Gleich darauf kam allerdings schon die nächste Stolperfalle. Das war also der ursprüngliche Befehl gewesen? Dieser Sack von Sklave hatte sie an der Nase herumgeführt, den Tesserarius am Tor und ihn? Für einen Moment war Hadamar sprachlos, und in seinen Augen flackerte Unglauben gepaart mit widerwilliger Bewunderung für den Kerl auf. Raffiniert war er ja, das musste man ihm lassen. Auf diese Art die Arbeit wegkriegen... Hadamar räusperte sich erneut. „Ich habe den Auftrag vom Tesserarius der Centuria V, Cohors II bekommen. Er hatte gemeinsam mit mir Wachdienst am Tor, als dein Sklave kam und mit ihm im Wachhäuschen gesprochen hat.“ Damit sagte er vollauf die Wahrheit... und ließ trotzdem genug offen, dass der Legat vielleicht denken würde, der Tesserarius hätte selbst entschieden, dass das ein Legionär übernehmen sollte. Für den Sklaven würde er ganz sicher nicht lügen – aber er wollte ihn auch nicht absichtlich in Schwierigkeiten bringen. Oh, wenn sich die Gelegenheit ergab, würde er sich sicher beizeiten mal dafür rächen, dass er an die 60 hatte abklappern müssen bis in die Nacht hinein, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre, nicht für ihn jedenfalls – aber dann auf seine Art. Er hielt nicht viel davon zu petzen... und so der Kerl ihn nervte mit seinem vorlauten Maul, er wollte auch ihn nicht verpetzen. Und davon abgesehen bewunderte er ihn tatsächlich ein bisschen dafür, das so hingekriegt zu haben, dass ihm die Arbeit abgenommen worden war. Denn zumindest Hadamar hegte keinen Zweifel daran, dass der Tesserarius dem Sklaven nie die Arbeit abgenommen hätte, wenn er gewusst hätte dass der sie machen sollte.

    Hadamar war ziemlich fertig, als er zurück in die Barracke kam. Bei dem Wetter machte es einfach keinen Spaß, einen Gewaltmarsch hinter sich zu bringen, aber regelmäßig wurde ihnen auch das aufgebrummt, und entsprechend sah er jetzt aus – halb durchgefroren, ziemlich erschöpft, oh, und seine Rüstung sah aus als ob er sich im Dreck gewälzt hätte. In jedem Fall starrte sie vor Schmutz. Das würde noch lustig werden, die heute sauber zu kriegen...


    Da dann plötzlich Sönke zu sehen, war ein deutlicher Lichtblick, der sofort ein Grinsen über sein Gesicht fliegen ließ. „Sönke! Boah gfrei i mi di zu seng.“ Hadamar kratzte sich am Kinn und verschmierte bei der Gelegenheit unbemerkt ein bisschen Dreck im Gesicht. „Wosn fiar oane?“ erkundigte er sich dann nach der Frage.

    „Öhm...“, machte Hadamar und überlegte, aber bevor er Corvinus antworten konnte, hämmerte irgendwer auf der anderen Seite gegen die Zwischenwand und motzte irgendwas Unverständliches. „OH HALTS MAUL, WIR SIND JA GLEICH WEG!“ brüllte Hadamar zurück, um sich dann wieder grinsend Corvinus zuzuwenden. „Da will wohl wer schon schlafen... naja. Zurück zum Thema. Also ich glaub, dass eine von den Tabernae mehr zum Stadtrand hin da geeignet sind. Keine von den sehr guten, aber eben auch keine von den miesen, irgendwas mittelmäßiges halt. Kann sein dass die Schankmädels da dann net so gut Latein können... aber ab nem gewissen Zeitpunkt wirst dich eh nimmer unterhalten. Und davor kann ich übersetzen.“ Das Grinsen, das jetzt auf Hadamars Gesicht zu sehen war, ließ vermuten dass er sich schon jetzt überlegte, was er noch so alles würde erzählen können zusätzlich zu dem, was Corvinus so sagte.

    Die Spannung wuchs spürbar, immerhin gab es nicht jeden Tag einen Appell der gesamten Legion, bei dem der Legat zu ihnen sprach. Und als er dann endlich auf seinem Gaul auftauchte, wurde auch Hadamar ziemlich schnell klar – wie auch jedem anderen –, dass irgendwas Übles im Busch war, das war allein schon der Trauerkleidung zu sehen, die er trug. Hadamars Haltung wurde wie von selbst noch ein wenig straffer, als er hörte, dass der Tag heute ihr Leben verändern würde, lauschte aufmerksam auf die weiteren Worte, die die Anspannung noch schürten, immer mehr, immer weiter.
    Aber das, was dann als Auflösung kam, ließ ihn dann fast... ja, fast ein wenig enttäuscht zurück. Natürlich war ihm irgendwo klar, dass das eine absolut üble Sache war. Nur: der Kaiser war eine ziemlich abstrakte Sache für ihn. Er war germanischer Abstammung, hatte mehr mit ihren Verwandten und Verbündeten jenseits des Rhenus zu tun gehabt als mit Römern, und er hatte auch kaum Geschichten von denen gehört. Der Kaiser war für ihn nur ein Mann, der irgendwo ganz weit entfernt in Rom saß und an der Spitze dieses gewaltigen Reichs stand, von dem er, Hadamar, nur diesen Teil in Germanien kannte. Er war gern in der Legion, er fühlte sich wohl, so sehr, dass er sich sogar gern anstrengte, um gute Leistung abzuliefern – und sowohl sein Contubernium und seine Centurie als auch die Legio II im Ganzen bedeuteten ihm viel mittlerweile. Aber er hatte sich nie so sehr für das große Ganze, für Reich und Kaiser begeistert wie Sönke oder Corvinus.
    Entsprechend war nun die Nachricht, dass der Kaiser und sein Sohn tot waren, für Hadamar eher ziemlich abstrakt, nichts, was ihn jetzt persönlich sonderlich getroffen hätte. Was ihm allerdings durchaus sehr bewusst war, waren die Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Denn die würden bei einem Riesenreich wie Rom kaum anders sein als bei einem der Stämme, wenn Anführer und klarer Nachfolger starben: mehr als nur machte sich Hoffnungen, und wenn es nicht einen gab, der genug Stärke besaß um die Sache von vornherein klar zu stellen, kam es zu Kämpfen. So weit, so gut. Hadamar hatte allerdings keine Ahnung, inwiefern sie das hier in Germanien dann betreffen würde, wenn irgendwelche Kerle in Rom um den Kaiserthron kämpften.

    Hadamar zuckte beinahe selbst zusammen, weil er nicht erwartet hatte dass die Tür nur angelehnt war. Ein wenig verblüfft stand er einen Augenblick da und starrte die Tür an, die aufgrund seines kräftigen Klopfens nun vor ihm aufschwang. Dann stieß er sie ganz auf, weil er davon ausging, dass sie kaum angelehnt sein würde, wenn da niemand war. Als er den Blick dann frei hatte auf das Vorzimmer, musste er jedoch feststellen, dass da schon alles dunkel und verlassen war... aus dem Raum dahinter aber, wo die Tür ebenfalls nicht geschlossen war, drang noch Licht.
    Unschlüssig kratzte er sich ganz kurz am Kopf. Dass hinter der nächsten Tür wohl das Officium des Legaten selbst lag, war nicht schwer zu erraten, auch wenn er hier noch nie gewesen war. Die Frage war jetzt: war da irgendein Scriba oder Sklave drin, um noch aufzuräumen oder so? Oder arbeitete da noch der Legat selbst?
    Das Zögern dauerte allerdings nur einen winzigen Moment. Im Grunde war es ja egal, wer da drin war – er hatte nun schon ziemlich deutlich darauf aufmerksam gemacht, dass er hier war, es wäre ihm lächerlich vorgekommen, jetzt einfach wieder zu gehen. Außerdem hatte der Tesserarius bei der Wache ihm gesagt, er sollte hier Meldung machen – und: außer Kraft gesetzte Wachpläne und Ersatz für den morgigen Tag war ja nun nicht ganz so ohne, da sollte die Meldung dann schon zeitnah erfolgen, dass das auch weiter gegeben worden war... also würde er das auch tun. Kurzentschlossen durchquerte Hadamar also das Vorzimmer, klopfte noch mal – diesmal aber nur leicht – an die nächste Tür und stieß die dann aber gleich auf. Bei einer angelehnten Tür auf ein Herein zu warten kam ihm auch irgendwie lächerlich vor... zumal wer auch immer drinnen saß gerade eben ja auch nichts gesagt hatte.


    Er drückte die Tür also auf und sah in den Raum hinein – und stockte dann erst mal erneut ganz kurz. Hadamar hatte zwar durchaus damit gerechnet, dass er da auch auf den Legaten treffen könnte, aber irgendwie dann eben auch wieder nicht... nicht um die Uhrzeit, und nicht ohne Scribae, die um ihn hier rumwuselten und jeden abwiesen, der ihn womöglich mit irgendwas Nichtigem stören könnte. Es dauerte allerdings tatsächlich nur einen Lidschlag lang, bevor Hadamar sich dessen entsann, was er gelernt hatte. „Miles Duccius Ferox“, salutierte er ordnungsgemäß. Bis heute kam ihm das noch manchmal komisch vor, aber auch ihm war das mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen – und in Gegenwart des Legaten war es überhaupt nicht komisch. Eher so was wie ein Naturgesetz. Er glaubte nicht daran, dass der Legat sich an ihn würde erinnern können, aber er erinnerte sich noch sehr gut an die zwei Zusammentreffen in seiner Tirozeit, als es darum ging den penetranten Sklaven einzufangen, und vor allem beim Manöver... und was er gerade von letzterem noch in Erinnerung behalten hatte war, dass der Legat auf einer korrekten Meldung bestanden hatte. Und dass er einen nur mit einem Blick komplett zur Schnecke machen konnte. Weswegen Hadamar für sich beschloss, dass es besser war gleich mit dem rauszurücken was er wollte. Ordnungsgemäß und zackig formuliert, selbstredend. „Entschuldige die Störung, Legat. Melde wie befohlen, dass die Tesserarii der Legion informiert wurden darüber, dass die Wachpläne ab morgen Abend aufgehoben und durch neue zu ersetzen sind, die von deinem Sekretariat noch zugestellt werden. Die Tesserarii der Cohortes IV, IX und X sind derzeit teilweise bei ihren jeweiligen Einheiten außerhalb des Castellums, aber es waren von allen betroffenen Centurien Verbindungsoffiziere hier, die ich informiert habe.“