Sein Vorschlag ihre Großtante mitzunehmen fand sie wohl nicht so gut wie er und sah fast so aus, als hätte sie sich gerade ernsthaft verhört. Was sie letztlich davon hielt bekam er wenig später gleich zu spüren, als sie nämlich ein Kissen nach ihm warf. Das traf ihn natürlich direkt im Gesicht, denn wirklich damit gerechnet hatte er nicht und daher auch erst viel zu spät reagiert. „Hey!“, beschwerte er sich und schüttelte kurz den Kopf. So eine Gemeinheit. Aber das war ja typisch Sabina. „Na wenn du meinst.“, meinte er dann noch darauf und winkte ab. Vergeben und vergessen.
Als er dann noch die Quittung für sein lachen bekam, reichte es ihm dann endgültig und er wurde ein wenig böse. Schon wieder traf ihn ein Kissen am Kopf und er fand das ganze alles andere als lustig. „Jetzt reichts mir aber! Wehe du wirfst nochmal ein Kissen mit mir. Dann passiert aber was, das versprech ich dir!“, schimpfte er und ließ eine leere Drohung folgen. Normalerweise half es ja, wenn er mit ihr schimpfte. Gedroht hatte er ihr allerdings noch nie und auch nicht so schlecht. Er rechnete also beinahe gar nicht damit, dass sie jetzt zur Vernunft kam. „Du hast ja Recht. Es ist nur … ich kann mir das einfach nicht vorstellen.“ , entschuldigte er sich dann noch, sollte er sie gekränkt haben, denn das war einfach nicht seine Absicht gewesen. Er hatte ja auch nicht damit gerechnet, dass es ihr so ernst damit war. Früher hätte sie es bestimmt noch mit Humor genommen, aber jetzt wurde sie scheinbar doch etwas vernünftig. Diese scheinbar langweiligen Arbeiten machten ihr sogar noch Spaß. Und ihn hatte sie immer verlacht, wenn er gesagt hatte, dass ihm lesen Freude bereitete. „Vielleicht glaubst du mir ja jetzt, dass Lesen Spaß machen kann.“, rieb er ihr daher unter die Nase und zwinkerte ihr zu.
Wenigstens ihren Tatendrang hatte sie sich bewahrt und wollte ihn in Zukunft wieder mehr beschäftigen. „Na dann bin ich ja froh und muss mir keine Sorgen machen, dass mir das Studienmaterial ausgeht.“, antwortete er darauf scherzhaft und grinste sie breit an. Scherzen durfte er ja auch mal.
Beiträge von Faustus Helvetius Milo
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Es wäre bestimmt interessant zu sehen, wie Sabina versuchte der Alten den Besen zu entreißen, aber am Ende würde es doch eh nur wieder Ärger für sie geben und das wieder nur wegen ihm. Nein, das wollte er nicht. Er wollte auch nicht, dass Sabina nun wieder kopflos und temperamentvoll wurde. Sanft griff er nach ihrer Hand und lächelte ihr zu, um sie etwas herunter zu bringen.
„Entschuldige, aber die Alte ist furchtbar. Ich würde es mir nicht trauen mich mit ihr anzulegen, wenn ich du wäre. Am Ende würde ich Zeit ihres Lebens nicht mehr glücklich.“, meinte er zu ihr. Es würde nichts bringen, wenn sie jetzt Ärger bekam, denn dann würde sie Bestia erst recht nicht sehen können. „Na das wird Bestia dann aber freuen. Und mich auch.“, meinte er daher noch.
„Naja, ich brauche auch neues Schuhwerk. Das können wir ja zusammen kaufen, wenn du unbedingt einkaufen gehen willst. Wenn du magst kannst du auch deine Großtante bitten uns zu begleiten. Sie würde sich gewiss freuen.“, schlug er ihr vor. Dank seiner monotonen Stimmlage und da er keine Mine verzog, konnte sie sich aussuchen ob der Vorschlag die alte Germanica mitzunehmen als bloßer Spaß oder ernst gemeint war. Für ihn war es beides. Zum einen wollte er sie aufziehen, zum anderen war der Vorschlag wirklich eine Überlegung wert. Wenn er vor der Alten demonstrierte, wie gut er erzogen war und wie gesittet, dann würde sie ihm vielleicht weniger misstrauen und die Chance wäre gewiss höher, Sabina irgendwann einmal ohne Anstandsdame treffen zu können. Sie war ja schließlich schon mündig, heiratsfähig und daher galt es ihre Tugend(en) zu wahren. Es wunderte ihn ohnehin, dass sie im Moment allein waren, zum Glück.
Interessiert hörte er sich dann an, was sich bei ihr so getan hatte. Sie bestätigte ihm noch einmal, was Wulfried, der Türhüter ihm erzählt hatte. Sie war da und hatte sich nach ihm erkundet. Aus Sorge. Ach, was hatte er nur für eine gute Freundin. „Ich habe mich gefreut, als ich davon gehört habe. Deshalb bin ich auch gleich heute gekommen.“ Genau so war es gewesen.
Als sie dann von ihren Geschwistern redete musste er schmunzeln. Zwei weitere Kinder, die so waren wie sie? Sabinas Vater hatte es wirklich nicht einfach. „Wie du? Na dann werden sie einiges erleben können.“ Selbst wenn sie nur die Hälfte von dem erlebten, was er mit Sabina erlebt hatte, seit er sie kannte, hätten sie immer noch sehr viel Spaß und Abenteuer. Ob ihre Kinder wohl auch mal solche Rabauken würden? Seine würden bestimmt notorische Langweiler wie ihr Vater. Außer natürlich sie hätten so eine Mutter wie Sabina. So langsam wurde dieses Thema interessant für ihn, denn bald würde er ebenfalls heiraten können.
„Du und sticken?“, meinte er grinsend und begann zu lachen. Etwas das bei ihm ziemlich selten war, denn normalerweise wirkte er meist sehr ernst. Dementsprechend dauerte es auch nicht lange, ehe er wieder Haltung angenommen hatte. „Entschuldige, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie du dasitzt und stickst. Du. Ich kenne dich doch. Du und ruhig dasitzen, das ist doch ein krasser Gegensatz. Oder hast du dich in einem Jahr so stark verändert und bist zum braven Mädchen geworden?“, erklärte er sich dann. Es war aber auch wirklich komisch. Sabina, das wildeste Mädchen, das er kannte sollte plötzlich brav und gesittet sein? Entweder es war ein Wunder geschehen oder es war eine maßlose Übertreibung, denn vorstellen konnte er es sich beim besten Willen nicht.
Auf ihrem Mist war es jedenfalls nicht gewachsen, so viel war klar. Die alte Germanica musste wirklich einige Mühe aufgebracht haben, um Sabina dazu zu bringen, aber wie sie erzählte hatte sie ja bereits einen Überwachungs- und Sanktionierungsapparat aufgebaut.
„Na da habe ich es ja ganz gut im Moment. Bei mir zu Hause ist derzeit niemand, der mir überhaupt etwas vorschreibt. Aber so ganz schön ist das auch nicht und langweilig obendrein. Also so ganz alleine.“, verglich er dann ihre Lage mit der Seinen. Bei Beiden war sie nicht sonderlich zufriedenstellend. Aber vielleicht würde ja nun alles besser, denn sie hatten sich ja jetzt wieder. -
Nachdem er geendet hatte, begann er sie ebenso zu mustern, wie sie es zuvor mit ihm gemacht hatte. Aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht an ihr satt sehen. War es weil sie ihm gefiel oder weil er sie so lange nicht gesehen hatte? Er wusste es nicht. Ihr Gesicht, ihre Figur, ihre Haare, ihre Augen, ihr Lächeln… Es passte und harmonierte miteinander, war einfach nur schön. So schön, dass er sich schon fast zwingen musste, seinen Blick wieder in Richtung ihrer Augen zu bewegen, nur um sie nicht anzustarren. Blickkontakt war in Ordnung und wenn die Augen so schön waren auch sehr angenehm.
Fast schon automatisch lächelte er zurück, als sie ihn anlächelte und sagte, dass sie froh war, dass er wieder gesund war. Er schloss aus ihrem Verhalten und ihren Worten, dass sie ihm verziehen hatte und das freute ihn ungemein. Er war sich ja unsicher gewesen, doch nun hatte er Sicherheit. Selbst, dass er nicht geschrieben hatte, schien sie ihm zu verzeihen und auch seine Gründe zu verstehen, auch wenn sie meinte, er hätte ja trotzdem schreiben können. Als Ablenkung. „Ach, Ablenkung hatte ich genug. Ich kann jetzt fließend Griechisch sprechen.“, redete er sich etwas ungeschickt heraus und kratzte sich kurz am Hinterkopf. Das war wohl nicht ganz das, was Sabina hören wollte, aber es war das, was Milo direkt in den Kopf schoß. Vielleicht hätte er ja doch etwas antworten sollen, schon allein ihrer Geste wegen. Sie drückte seine Hand. Aufmunternd war es für ihn nicht, eher ein wenig erregend.
Und dann kamen doch noch Vorwürfe, als Sabina bemerkte, dass Bestia fehlte. Sie knuffte ihn sogar dafür! Er kippte ein wenig zur Seite und fiel auf seinen Unterarm und sah sie etwas verblüfft an.
Milo hatte sich im Vorfeld bereits überlegt gehabt, ob er den Hund mitnehmen sollte, hatte sich dann doch dagegen entschieden. Und er hatte auch seine Gründe. „Ich kann doch keinen Hund mitnehmen, wenn ich irgendwo hin zu Besuch gehe, Sabina. Das gehört sich nicht. Denk doch nur mal daran, was deine Großtante gesagt hätte, wenn ich einen Hund angeschleppt hätte? Sie hätte Bestia mit einem Besen aus dem Haus jagen lassen und mich hinterher! Da bin ich nicht sonderlich scharf drauf, weißt du.“, verteidigte sich und musste grinsen. Das passte irgendwie zum „alten Drachen“ obwohl er sie gar nicht wirklich kannte.
Als sie dann von seinem Kleidungsproblem hörte, merkte er bereits, dass sie sofort Feuer und Flamme war und ihn wahrscheinlich am Liebsten gleich zum Einkaufen mitgeschleppt hätte. Er nahms mit Humor und grinste sie kurz an. Leider musste er sie da aber enttäuschen.
„Ja. Ich denke ich werde den Schneider kommen lassen, den meine Familie immer in Anspruch nimmt, dann kann er Maß nehmen.“, erklärte er ihr. Der Schneider belieferte die Familie eigentlich schon seit Jahren mit den Kleidern. Auch Milos protzige Tunika stammte von ihm, aber auch seine Alltagsbekleidung. Auf Maß nehmen war zwar etwas teurer, aber man konnte sicher gehen, dass die Kleider perfekt passten und Geld spielte ja eigentlich auch eine untergeordnete Rolle.
„Wie ist es dir eigentlich ergangen? Ich habe gehört, du hättest öfters nach mir gefragt?“, fragte er sie dann noch interessiert. Bisher hatten sie ja nur über ihn geredet und er wollte schließlich auch wissen, was Sabina so getrieben hatte, außer etwa jede Woche bei ihm zu Hause vorbei zu schauen. -
Sie zerrte ihn also ins Triclinium und er Begriff, dass sie nicht mehr die Kinder von früher waren und nun alles etwas komplizierter wurde. Sie waren älter geworden und fast Erwachsen und das bedeutete eben, dass sie nicht mehr einfach so auf ihr Zimmer gehen konnten, oder sich einfach so treffen konnten. Für sie gehörte es sich einfach nicht mehr und ihre Familie konnte sich ja auch ihren Teil denken. Wahrscheinlich war dies ohnehin eines ihrer letzten Treffen ohne Anstandsdame. Kurz stöhnte er leise, ehe er sich auf eine der Klinen plumpsen ließ, sich allerdings setzte und nicht legte. Gelegen hatte er schließlich im letzten Jahr genug. Aber das würde er ihr jetzt alles erzählen müssen, denn sie forderte ihn dazu auf.
Es war eine Menge und die Zeit war knapp bemessen, daher überlegte er kurz, ehe er begann:
„Ich weiß, es ist sehr lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben und es tut mir auch Leid, dass ich nichts von mir hören lassen ließ, aber ich hoffe du verzeihst mir das, wenn ich dir erzählt habe warum.“, leitete er erst einmal ein und überlegte dann, wie er fortfuhr. Dass er ein paar Monate sabbernd und völlig neben sich in seinem Bett verbrachte hatte, dass würde er ihr nicht erzählen. Das musste er nicht, denn offiziell war er damals nur krank gewesen. Körperlich krank. Wie ein schlechter Scherz der Götter wurde er das auch, nachdem er die erste Krankheit überwunden hatte. „Ich bin krank geworden. Schwer krank. Ich weiß nicht was es war, aber es war recht unschön. Ich habe ständig Blut gespuckt und mir fast die Lunge herausgehustet. Der Arzt hat mich schließlich zu meiner Mutter geschickt. In den Norden, ans Meer. Zu meiner Mutter. Die Luft da oben ist ja angeblich besser und förderlich für meine Genesung. Naja. Anderthalb Jahre ist dafür auch eine lange Zeit. Und den Tag über hatte ich ausser krank sein, im Bett liegen und ein wenig Bildung nichts zu tun. Ja, ich hätte schreiben können, aber ich wollte dich nicht beunruhigen. Wie hättest du wohl darauf reagiert, wenn du erfahren hättest, dass es mir kaum besser ging und ich immer noch mit einem Fuß im Grab stand? Ich habe es dir erspart und dachte so wäre es wohl besser.“, erklärte er ihr, ehe er fortfuhr. „Die Zeit war allerdings nicht verschwendet, denn ich habe wieder ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter. Besser als all die Jahre.“ Sabina wusste ja um die Problematik seiner Beziehung zu seiner Mutter. Er sah sie ja ohnehin nur ein paar Wochen im Jahr. „Sie hat einen Narren an Bestia gefressen, kann ich dir sagen. Sie hat sich wirklich gut um ihn gekümmert, als ich das nicht konnte. Fast ein bisschen zu gut fürchte ich. Er hat ein wenig zugelegt.“, meinte er dann grinsend. Sabina wollte bestimmt auch wissen, wie es ihrem Hund so ergangen war. „Und gestern bin ich dann Heim gekommen. Allerdings ist das Haus leer. Es hat mich wohl keiner zurück erwartet. Ich glaube lediglich Turpio ist im Haus. Allerdings hab ich ihn noch nicht gesehen. Ja und als ich heute Morgen etwas zum Anziehen gesucht habe, habe ich festgestellt, dass mir kaum noch etwas passt. Auf dem Krankenlager braucht man ja eher weniger Kleider.“, schloss er schließlich. Das waren die letzten anderthalb Jahre in Kurzform. -
Etwas beleidigt fühlte er sich schon, als sie ihn verlachte, nur weil er stammelte wie ein Bekloppter. Das war auch nicht er und er schämte sich auch etwas dafür. Er konnte sich ja auch nicht erklären, warum er so auf ihren Anblick reagierte. „Ich bin einfach nur aufgeregt, weil ich so glücklich bin dich wiederzusehen.“, belog er schließlich sich selbst und Sabina, nur um das Geschehene irgendwie zu erklären. Und wieder umarmte sie ihn und zerknitterte dabei seine Tunika ein wenig, doch es war ihm egal, denn ihre Umarmungen gefielen ihn und gaben ihm ein gutes Gefühl. Warum auch immer.
„Ich weiß. Viel früher hätte ich gar nicht in die Stadt kommen können. Ich hatte Glück.“, meinte er dann schließlich in seiner altbekannten, nüchternen Sprechstimme, die manchmal auch etwas gelangweilt klingen konnte, allerdings nicht heute. Kurz nickte er um sich selbst Recht zu geben und wollte ihr schon von der Anreise berichten, da hatte sie ihn auch schon an der Hand gepackt und zog ihn mit sich. Was blieb ihm übrig? Wie ein Hund trottete er ihr hinterher. Fast so freudig wie es Bestia immer tat. Und mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. -
Wirklich lange musste Milo nicht im Atrium warten, dann waren auch schon Schritte zu hören und ein vertrautes Gesicht kam in Sicht. Ohne Zweifel, es war Sabina nur hatte sie sich ziemlich verändert. Sie war älter geworden und sehr viel hübscher. So hübsch, dass es ihm glatt die Sprache verschlug. Genau wie Sabina stand er daher überrascht da, nur lag es bei ihr daran, dass sie wohl nicht mit ihm gerechnet hatte. Im nächsten Moment hatte sie sich ihm dann schon um den Hals geworfen, wie sie es schon immer getan hatte. Und er, er stand immer noch regungslos da und war überwältigt von ihrem Anblick. „Ähhh… ähhh… ich freue mich auch dich zu sehen Sabina.“, begrüßte er sie dann schließlich und rang mit den Worten. „Ich… du… du siehst gut aus… Viel hübscher als ich dich in Erinnerung hatte… also… ähh… du weißt schon… Nicht, dass du früher nicht hübsch warst, aber... .“, stammelte er wie ein Vollidiot und fühlte sich auch so. Was war nur mit ihm los? Früher war sowas noch nie passiert, wenn er sie gesehen hatte. Vielleicht lag es daran, dass er sie viel zu lange nicht gesehen hatte. Oder sah er sie nun mit anderen Augen? Reiferen Augen. „Schön dich wieder zu sehen.“, meinte er dann nochmal, als er den ersten Schock verdaut hatte und schenkte ihr ein verlegenes Lächeln.
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Der Sklave schien nun doch etwas besser gelaunt zu sein, vor allem als er folgerte, dass Milo wohl ein Freund wäre. Er nickte und fragte sich , was es wohl zu bedeuten hatte, dass der Sklave grinste und ihm dann auch noch unterstellte, er wolle Eindruck hinterlassen. Sicher, er und Sabina befanden sich mittlerweile in einem Alter in dem das andere Geschlecht interessant wurde, aber standen denn bei Sabina mittlerweile die Verehrer alltäglich auf der Matte? Es klang jedenfalls so.
Als der Sklave dann vom "alten Drachen" sprach, musste Milo schließlich auch grinsen und winkte ab. Dem alten Drachen wollte er nicht mal über den Weg laufen. Was die wohl für ein Gesicht gemacht hätte, wenn sie erfahren hätte, wie ein Sklave über sie sprach. Er sah es fast schon bildlich vor sich.
"Ihr wartet hier.", wies er dann noch die Sklaven an, die ihn begleiteten, ehe er eintrat. -
Lange musste er nicht warten bis sich etwas tat und die Tür sich einen Spalt öffnete. Milo war schon einmal erleichtert, dass nicht wieder diese uralte Sklavin die Tür öffnete, die ihn das letzte Mal so unverschämt behandelt hatte. Heute hätte sie ihn wohl nicht für einen Bettler oder etwas derartiges gehalten und ihn schon beim ersten Mal angehört. Nur war es diesesmal nicht die Alte, sondern ein ihm unbekannter Sklave, der ihn allerdings auch nicht mit offenen Armen begrüßte, aber das hatte er auch nicht erwartet. Die Zeiten waren schließlich schwer genug.
"Salve. Mein Name ist Faustus Helvetius Milo. Ich würde gerne Germanica Sabina sprechen, wenn das möglich ist.", sprach er mit einem Lächeln im Gesicht. Wenigstens er wollte freundlich wirken, wenn sein Gegenüber schon nicht so wirkte. -
Gut anderthalb Jahre war es jetzt bestimmt her, dass er hier zuletzt gestanden hatte und um Einlass erbeten hatte. Damals hatte er auch Sabina besuchen wollen, damals als er sie in Schwierigkeiten gebracht hatte. An diesem Tag hatte er Bekanntschaft mit Sabinas eigenartigen Großmutter gemacht und dann doch einen Rückzieher gemacht, nachdem ihm die Alte nicht geheuer war. Seit dem hatte er Sabina dann nicht mehr gesehen. Er war krank geworden, dann letztlich so schwer, dass er Rom auf Raten des Arztes hin verlassen hatte und sich im Norden Italias, bei seiner Mutter am Meer, auskuriert hatte. Es war viel Zeit ins Land gegangen und es dauerte ein ganzes Jahr, ehe er wieder fit genug war, in die heimische Casa zurückzukehren, die er allerdings beinahe komplett verlassen vorfand. Sein Großvater und seine Tante hatten wohl nicht mit ihm gerechnet und verweilten daher in Misenum. Nur Turpio war noch in Rom. Kurzerhand hatte er dann das Kommando im Haus übernommen und hatte sich aufklären lassen.
Er erfuhr, dass er sich eine recht schwierige Zeit ausgesucht hatte, Heim zu kehren und er hatte wohl sogar Glück gehabt, denn kurz vor seiner Ankunft war wohl eine Ausgangssperre aufgehoben worden. Grund dafür war der Mord am Kaiser und dessen Sohn. Für Milo war diese Nachricht ein kleiner Schock, denn seine Familie stand stets hinter dem Kaiser und war nicht umsonst eine Klientelgens des verstorbenen Divus Iulianus gewesen. Sofort hatte er daraufhin ein Opfer auf dem Hausaltar dargebracht und für die Seelen der Verstorbenen gebetet.
Und er erfuhr noch mehr. Seine Freunde hätten sich wohl öfters einmal nach seinem Zustand erkundigt. Allen voran Sabina, die wohl beinahe jede Woche auf der Matte stand. Für Milo war das Grund genug sie trotz der schwierigen Zeiten aufzusuchen. Ausserdem wollte er sich endlich bei ihr dafür entschuldigen, dass er ihr damals Ärger bereitet hatte und dass er ihr nicht einmal geschrieben hatte. Möglicherweise musste er sogar ihre Freundschaft retten, auch wenn er hoffte, dass es noch nicht gar so schlimm stand.
Er schmiss sich also in Schale und merkte recht bald, dass er beinahe aus all seinen Kleidern herausgewachsen war oder sie mittlerweile ziemlich eng geworden waren. Das Beste was er fand war eine Tunika für bessere Anlässe. Weinrot war sie, mit geschlitzten Ärmel und Goldborte am Hals und den Ärmeln. Zwar etwas übertrieben, aber es würde schon für einen Tag gehen.
Dermaßen overdressed stand er also begleitet von zwei Sklaven vor der Tür und richtete sich noch einmal die Haare zu Recht (er war ja schließlich in der Pubertät und legte mittlerweile auch Wert aufs Aussehen), ehe er bestimmt anklopfte und hoffte, dass man ihn überhaupt einließ und er nicht wieder auf diese alte Hexe treffen würde.*Poch Poch*
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Sein Fehler den er gemacht hatte? Er war dumm gewesen, furchtbar dumm. Er hatte das Einzige was seinem Leben halbwegs Sinn gegeben hatte von sich geschoben. Seine Freunde. Sie waren beinahe alles was ihm Rückhalt gab. Von seiner Mutter und seiner Familie erfuhr er schließlich kaum Beachtung. Nur Tante Aviana hatte sich bemüht, aber war gescheitert."Ich habe sie weggeschickt. Ich wollte sie nicht mehr sehen. Ich... ich glaube ich hatte Angst. Angst davor ihnen auch noch Ärger zu machen.", gestanfd er. Er hatte Angst gehabt sie zu verlieren, genauso wie er Sabina verloren hatte, die ihm wohl jetzt kaum mehr verzeihen konnte. Aber Sabina war doch nur eine Freundin gewesen. Aber die anderen? Mit den Jungs hatte er doch schon oft etwas ausgefressen und trotzdem hielten sie zusammen. Warum also die Angst?
"Das klingt richtig doof, wenn ich so recht drüber nachdenke.", musste er abermals eingstehen. jetzt wo er darüber redete und nachdachte sah er die Dinge doch noch einmal anders als vorher und seine ursprüngliche Haltung schien ihm jetzt gar nicht mehr die Ultimative zu sein. Im Gegenteil.
Auch mit Sabina hatte er vielleicht Recht. Jeder machte Fehler und Sabina ebenfalls. Eigentlich hatte sie öfters Ärger. Eigentlich musste sie ihm doch verzeihen, oder nicht?
"Vielleicht hast du ja Recht. Was hab ich denn noch zu verlieren?"Dann saß er da. Einen ganzen Moment lang, ganz still und dachte nach was gerade geschah. Mit seiner Tante hatte er zwar auch gesprochen, aber das hier war etwas ganz anderes. Turpio war ihm fremd, aber dennoch vertraute er ihm irgendwie. Er gab ihm ein gutes Gefühl damit, dass er ihm zuhörte und ihm seine Sicht der Dinge darlegte, aber auch nachfragte und ihn selbst über seine Probleme nachdenken ließ.
"Ich finde es schön... Na du weißt schon. Mit dir zu Reden. Du verurteilst mich nicht dafür wie ich bin. Oder wer ich bin.", gestand er etwas kleinlaut ein und lächelte für einen kurzen Moment. Das erste Mal seit Wochen, aber ungesehen. -
"Lernen, das müssen wir doch alle.", erwiederte er. Im Grunde musste ja jeder immer dazu lernen. Seien es Namen oder Wissen, das angeeignet werden musste. Das war doch etwas ganz Natürliches.
"Davon weiß ich nichts. Allerdings wurde mir nie gesagt ich müsse mich vor einer Gens in Acht nehmen, daher denke ich mal, dass wir wohl keine Feinde haben. Wir drängen ja derzeit auch nicht sonderlich in einflussreiche Positionen.
Und Freunde gibt es wohl nur auf individueller Ebene, wenn man den welche hat." Freunde... Da war doch was. Unfreiwillig wurde ihn in Erinnerung gerufen, was er lieber im Verborgenen gelassen hätte. Seine Freunde. Seine ehemaligen Freunde. Es war dumm gewesen was er getan hatte. Sie nicht mehr zu Treffen hatte ihn erst in die komplette Isolation gedrückt. Rückblickend war das ein großer Fehler gewesen, aber in seiner damaligen Verfassung und Situation war es das einzig Richtige gewesen.
Dieses dumme Problem. Es beschäftigte, bedrückte und beunruhigt ihn wieder und die Flamme der Zuversicht und des Selbstvertrauens, die seine Tante entzündet hatte, drohte bereits wieder zu erlöschen im Angesicht seiner bescheidenen Situation.
"Ich hatte einmal viele Freunde. Doch dann hab ich einen großen Fehler begangen und weiß nicht einmal warum. Durch diesen Fehler habe ich wohl alle meine Freunde verloren und weiß nicht ob sie sich je wieder mit mir abgeben. Ich bin so einsam. Weißt du was ich die letzten Wochen hatte? ich sahs auf meinem Zimmer, wollte niemanden sehen und war komplett der Apathie verfallen, wie so ein Irrer! Ich wollte meine Freunde nicht sehen. Sie kamen und ich ließ sie nicht einmal zu mir kommen. Ich habe mich wie ein absoluter Idiot verhalten. Glaubst du sie können mir je verzeihen?
Ich meine ich würde mir selber ja nicht vergeben. Mit so einem Depp wie mir würde ich mich gar nicht mehr abgeben.", redete er dann einfach los, ohne Hemmungen und schüttete einfach sein Herz aus. Er musste reden und Turpio hatte eben das Glück gleich zur Verfügung zu stehen und bekam nun die volle Ladung Kummer ab. Was er dachte war Milo eigentlich egal, er wollte nur reden und steigerte sich dabei schon wieder herein, dass seine Freunde und sein gesamtes Umfeld ihn hasste. Für ihn war das der einzig logische Schluss.
"Ich meine, ich bringe meine Freunde ja sogar in Schwierigkeiten. Meiner besten Freundin habe ich so dermaßen Ärger eingebrockt, das glaubst du gar nicht. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich glaube sie hasst mich mittlerweile. Ich habe ja versucht sie zu besuchen, aber ich konnte nicht. Ich war so verdammt feige. Ich bin ein Feigling! Ich bin kein richtiger Römer, Römer sind nicht feige.
Ich bin ein verbitterter Junge, der ein trauriges und einsames Dasein fristet. Ich bin allein und alle wenden sich ab und daran bin ganz allein ich Schuld." , fuhr er fort und knetete auch weiter an seinem nackten Fuß herum, der bereits anfing weh zu tun, denn je mehr er sich warm redete, desto stärker drückte auch zu und fügte sich Schmerzen zu. Aber all das interessierte ihn reichlich wenig. Er blickte weiter starr gen Boden und redete und redete und redete.
"Wahrscheinlich gehe ich dir auch schon auf die Nerven. Ich sollte mich schämen. Das Beste wäre wohl wenn ich wieder auf mein Zimmer gehe und sabbernd und träumend meine Tage absitzte bis irgendwann Schluss ist.", schloss er schließlich und ließ sich erschöpft rücklings ins Gras fallen. Sein Gegenüber dachte nun wahrscheinlich von ihm wie die andere Verwandte. Für sie war er ein Geist oder so etwas, für ihn ein Irrer. -
Sim-Off: Bitte vielmals um Verzeihung, die letzten Tage kam ich irgendwie zu kaum was
Milo war froh, dass er bezüglich seiner "Erkrankung" nicht weiter nachfragte, denn das hätte ihn bestimmt in Erklärungsnot gebracht. So aber blieb es bei ihrer halbwegs normalen Unterhaltung.
Auf seine Frage ihn dachte er kurz nach und grübelte wie wohl der Name der Verwandten war. Er hatte sie nur kurz gesehen und nur ein zwei Worte mit ihr gewechselt. Auf den Namen hatte er da eigentlich nicht wirklich geachtet. Irgendwann im entlegensten Winkel seines Hirns fand er dann den Namen, oder glaubte es jedenfalls. "Ich glaube die hieß Phoebe oder so. Ich weiß es nicht so recht. Ich bin gleich wieder auf mein Zimmer gegangen als Tante Aviana kam. Aber warum fragst du? Kennst du sie etwa?", fragte er dann seinerseits neugierig. -
Etwas mulmig war ihm immer noch, dennoch ließ er die Nähe des immer noch fremden Familienmitglieds zu. Er saß nun direkt neben ihm, in dessen direkter Reichweite. Milo blickte ihn an und musterte ihn, so gut es eben in der Dunkelheit. Er schein recht Jung zu sein, wohl etwas jünger noch als seine Tante. Nun, er würde ja erfahren, was ihn nun hierher brachte. Geduldig hörte er sich dessen Geschichte an und knetete währenddessen an seinem rechten Fuß herum. Er war eiskalt. Milos ganzer Körper war eigentlich eiskalt. Irgendwie bekam er doch Sehnsucht nach seinem warmen Bett. "Romanus... Romanus war ein Sohn von Großvaters Bruder.", murmelte Milo, den der Name Romanus durchaus etwas sagte. Sein Vater hatte einmal von seinem Onkel und seinen Cousins gesprochen. manchmal kam es Milo wirklich vor, als wäre er der einzige neben seinem Großvater, der sich halbwegs in der Genealogie der Helvetia auskannte.
"Mir ist in letzter Zeit nicht sonderlich wohl, weshalb ich für gewöhnlich in meinem Zimmer verweile. Meine Tante und die Sklaven werden wohl aus Rücksicht auf mich geschwiegen haben, damit ich meine Ruhe habe und mich zu gegebener Zeit, nämlich wenn ich mich besser fühle, persönlich vorstellen kann. Du musst wissen, neulich war ebenfalls eine Verwandte zu Besuch und ich war gezwungen anwesend zu sein, was mir nicht sonderlich gut getan hat. Bevor du fragst und oder dir Gedanken machst: Ich denke ich bin auf dem Weg der Besserung, daher sein unbesorgt.", erzählte er ihm bereitwillig und beschönigte dabei seinen aktuellen und den Zustand vor einigen Tagen in seinen Augen sehr geschickt. -
Vielleicht hatte seine Tante ja Recht und er sollte doch wieder Kontakt zu den Menschen suchen, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht sollte er jetzt einfach damit anfangen. Kurzerhand änderte er dann seine Meinung. Würde er eben anfangen sein Gegenüber kennen zu lernen. "Ach, wo du schon da bist...", meinte er und wirkte schon etwas sicherer. Sollte der Fremde eben zu ihm kommen. Er war Helvetier, daher nahm er an, dass er ihm schon nichts tun würde. "Woher kommst du eigentich? Ich hab noch nie von dir gehört.", begann er dann das Gespräch, vorläufig Smalltalk.
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Der Fremde verschwand nicht, im Gegenteil: Er kam näher und es schien fast als wolle er bleiben. Was war sein Problem? War ihm langweilig oder warum musste er andere Menschen belästigen, die eigentlich nur allein sein wollten? Milo stöhnte leise, so leise, dass es nicht gehört wurde und rollte mit den Augen. In der Tat schien dem Typ langweilig zu sein und Milo sollte ihn bespassen."Mhh, weiß nicht.", meinte er nur. Er wusste nicht was er sagen solllte und wollte eigentlich auch gar nichts sagen. Er kannte diesen Turpio schließlich nicht, noch wusste er was er überhaupt hier wollte.
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So lustig es für den Augenblick gewesen war, so bedrückend empfand er sein Aussehen im nächsten Augenblick, nämlich genau in dem Augenblick als seine Tante ihn damit ärgerte. In seinen Augen war dies wieder eine Bestätigung dafür, dass er nicht gemocht wurde und eine Witzfigur war. Er wusste, dass er blass war wie ein Gespenst, dunkle und blutunterlaufene Augen hatte, aber was konnte er denn dafür? Er fühlte sich einen Moment lang zu tief betroffen und beleidigt, verdrängte das Ganze aber wieder, da es nicht mit dem vereinbar war, wie Aviana sich die ganze Zeit über verhielt. Sicher war das Ganze nur ein Scherz gewesen.
Das mit dem ins Leben zurückkehren nahm er zur Kenntnis, wollte vorerst nichts weiter darüber hören, denn gar so weit war er dann doch nicht. Sein Zimmer zu verlassen, sein Ort an dem er sicher war vor der bösen, schlechten Welt sollte er verlassen? Er wusste, dass er es eines Tages wieder machen musste, aber noch nicht jetzt und er würde sich auch nicht zwingen lassen. Daher ging er lieber auf seine Schlaflosigkeit ein. „Naja, kaum bis gar nicht.“ , antwortete er ernst. Seit einiger Zeit schlief er kaum mehr als ein paar Stunden in der Nacht, was wohl auch maßgeblich an seinem Aussehen Schuld hatte und auch an seinem Wohlbefinden. Im Moment fühlte er sich überraschenderweise müde, was wohl daran lag, dass das Gespräch sehr anstrengend für ihn war. Vielleicht würde er heute ja noch richtig fest schlafen können.
Auf die Frage hin was er sich wünschte kam wohl eine Antwort, die seiner Tante gar nicht schmeckte, was er freilich nicht ahnte. „Etwas Zeit für mich, damit ich über das alles nachdenken kann. Und vielleicht irgendein Mittelchen, das macht, dass ich mal wieder eine Nacht durchschlafen kann.“
Er brauchte heute noch Zeit für sich, denn seine Tante hatte ihm gar so viel zum Nachdenken gegeben und dann gab es noch weitere Dinge die er überdenken musste, Dinge die ihm in den letzten Tagen und Wochen logisch erschienen, nun aber absurd wirkten. Sein ganzes Weltbild war im Moment unstimmig und das war verwirrend. Er brauchte die Zeit um in seinem Kopf wieder Ordnung zu schaffen.Sim-Off: Ich werds dir nachsehen, aber nur grade so
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Natürlich, es musste ja jemand kommen. Zu seinem unangenehmen Gefühl, welches er verspürte, kam nun auch noch das Schamgefühl hinzu, denn er trug ja nur sein Nachthemd. Warum musste ihm das immer passieren? Er hatte nachts sein Zimmer verlassen, damit er niemandem begegnete und nun begegnete er dennoch jemandem. Ob er nun schon so weit war wieder Kontakt mit Fremden aufzunehmen wusste er nicht, denn dem Namen nach war der Fremde in der Dunkelheit ein Fremder, auch wenn er wohl zur Familie gehörte.
"Milo heiß ich... Faustus Helvetius Milo.", murmelte er in der Dunkelheit und hoffte, dass der Kerl ja nicht näher kam. Schade dass es so dunkel war, schoss ihm durch den Kopf, dann wäre er bestimmt davongelaufen, wenn er Milo erblickt hätte. -
Und erneut halfen ihm die Worte seiner Tante und er erkannte erneut, dass er in ihr eine wirkliche Verbündete gefunden hatte, die ihm auch wirklich mit Rat und Tat zur Seite stehen wollte und ihm helfen wollte sein „Problem“ in den Griff zu bekommen. Aber, und das hörte er aus ihren Worten heraus, erwartete sie eine Gegenleistung, nämlich dass er sich möglicherweise eines Tages revanchierte, aber das würde er tun. Er war ihr jetzt schon dankbar und würde ihr auch nie vergessen, was sie für ihn tat. Manch einer hätte ihn wohl endgültig weggesperrt, anders so sie. Er würde sich revanchieren, das hätte er auch ohne vorherige Leistung getan, denn Hilfe für Familienmitglieder war doch Ehrensache.
Dass er jetzt mit all seinen Problemen zu seiner Tante gehen sollte, widerstrebte ihn. Er öffnete sich nur sehr selten, wenn es um private Dinge ging oder gar um seine Eltern, allen voran sein Vater, ein absolutes Tabuthema für ihn. Aber seine Tante bestand darauf. Er wollte sie nicht verlieren, also willigte er gezwungenermaßen ein und versprach, was sie von ihm verlangte. „Ja, ich verspreche es dir.“ Es war viel, was sie von ihm verlangte, aber er würde es tun. Sein Wort, das er gegeben hatte würde er halten. Das Wort eines Helvetiers war schließlich bindend hatte sein Vater immer gesagt.
Allein durfte er also Schwäche zeigen, sagte sie. Das wusste er und tat es ja auch, auch wenn es ihm erst jetzt klar wurde. Vielleicht war die Tatsache dass er nicht mehr das Haus verließ ja gesteuert von seinem Unbewussten, in dem wiederum verinnerlicht war, dass man da draußen nicht schwach sein durfte. Das konnte man sich nicht leisten, denn man musste immer auf seinen Ruf achten. Und da er Senator werden wollte, wäre es gewiss sein Ende, wenn herauskäme, dass er kurze Zeit dem Schwachsinn verfallen war. Vielleicht war es so, vielleicht war es aber auch nur die Angst vor den Menschen gewesen, die ihn nicht mochten oder die ihm misstrauten. Oder die Angst vor der Hexe, die ihn eingeschüchtert hatte.
„Ein weiterer Grund für mich, mich vorerst nicht sehen zu lassen, findest du nicht auch? Ich sehe furchtbar aus.“ , meinte er und das erste Mal seit Langem erschien mal wieder etwas in seinem Gesicht, das wie ein Lächeln aussah. Erst neulich hatte er in einen Spiegel gesehen und war entsetzt über seinen Anblick, jetzt aber nahm er es irgendwie mit Humor. Überhaupt war er schon fast gut gelaunt. -
Gemütlich lag er im Gras und betrachtete weiter fasziniert die Sterne. Sie öffneten eine ganz eigene Welt, die an den Dachwipfeln begann und sich in unergründliche Weiten öffnete. Vielleicht war es aber auch ein Meer, ein dunkles schwarzes Meer, in dem es nichts gab. Gar nichts, bis auf helle Lichter, klein und etwas größer, hell und etwas dunkler. Und dann war da noch der Mond, der heute besonders tief zu hängen schien. Er erinnerte sich an die Worte seines Erziehers, der einmal gesagt hatte, dass das Dunkel das Bedrohliche, die Angst und die Einsamkeit repräsentierte und die Sterne symbolisierten die Hoffnung und das Leben eines jeden Menschen. Und der Mond stand für die Hoffnung, die den Menschen immer ein Licht sein sollte. Sein Stern war wohl im Moment nicht zu sehen, denn er befand sich in der Dunkelheit, das wusste er. Aber vielleicht gab ihm der Mond ja heute etwas neue Hoffnung und etwas neuen Mut. Er hoffte es und blickte nur umzu sehnsüchtiger gen Himmel.
Grade wollte er die Augen schließen, nur ganz kurz, da hörte er etwas oder jemanden. Rasch rappelte er sich auf, bis er aufrecht dasaß. "Hallo, ist da wer?", fragte er in die Dunkelheit. Angst hatte er nicht, noch nicht, aber die Gewissheit, dass da jemand sein könnte, war ihm unangenehm. -
Auch wenn sie es wohl nicht merkte, aber er ahnte, dass er sie mit seinen Problemen belastete und das belastete ihn wiederum. Er sah es in ihren Augen. Sie war so gut zu ihm und wie dankte er es ihr? Auch ihre abermalige Umarmung konnte ihn nun nicht trösten. Vielleicht war es ja wirklich am Besten, wenn sie gehen würde wie alle anderen und ihn einfach zugrunde gehen ließ. Ein Problem weniger, mit dem sie sich beschäftigen musste. Er hätte es ihr wohl auch glatt vorgeschlagen, wäre da nicht dieser Trieb gewesen, der Trieb der wollte, dass alles wieder gut wurde und dass es ihm wieder besser ging. Der Trieb, den seine Tante in ihm geweckt hatte.
„Sag ich doch, sie hasst mich. Meine Mutter hasst mich.“ , meinte er beinahe schon gleichgültig, obwohl es ihm nicht gleichgültig war. Er liebte seine Mutter und es schmerzte ihn dass sie ihn nicht mehr wollte. Es hatte ihn immer geschmerzt, dass sie nicht bei ihm war, aber er hatte sich immer damit getröstet, dass sie alles nachholen würden, wenn er bei ihr zu Besuch war.
Er fühlte sich nun absolut bestätigt in dem, was er schon gewusst hatte. Wenn ihn seine Mutter schon hasste, dann musste er auch wirklich hassenswert sein und es grenzte da schon an ein Wunder, dass seine Tante ihn nicht hasste. Er würde wohl erst endgültig von dieser Überzeugung abweichen, wenn er sich mit seiner Mutter ausgesöhnt hätte, aber da war immer noch das Wörtchen wenn.
„Ich… weil das habe ich immer schon so gemacht. Ich will niemanden mit meinen Sorgen belästigen und ausserdem versteht mich doch eh keiner, nicht einmal Sabina. Jedenfalls habe ich das geglaubt.“ , gestand er ihr dann fast schon flüsternd ein. Bisher hatte er seine Sehnsucht und seine Probleme immer heruntergeschluckt und war auch damit zurecht gekommen, bis jetzt.
Gemeinsamer Weg… das klang gut, aber wie wollte sie ihm schon helfen? Sie mochte ihn, aber die anderen nicht, allen voran seine Mutter. Sie würde ihm nur helfen können, wenn sie dafür sorgte, dass das nicht mehr so war. Aber vielleicht hatte sie nicht Unrecht. Rückzug war nicht immer die beste Option. Vielleicht sollte er ja doch einmal wieder sein Zimmer verlassen. Bestia würde es bestimmt freuen und ihm würde es gut tun.