Bei seinen Bemühungen, sich wenigstens noch auf seinen Händen und Füßen zu halten und nicht auch noch bäuchlings volle Kanne in den ekligen Obst-Matsch am Boden zu fallen, hatte Quintus nicht die Muße gehabt, auf die Reaktion von Iunia Iubellia zu achten. Natürlich konnte er sich denken, welch lächerlichen Anblick er geboten haben musste, und diese Vermutung bekam er auch prompt bestätigt durch wieherndes Gelächter von allen Seiten aus den Kehlen der vielen Kinder, die zwischen den Ständen umherjagten und sich - und auch bekanntlich ja auch schon den Verginier - mit Obst bewarfen.
Von der Iunia aber hörte er dieses Lachen nicht. Diese junge Frau hatte also wirklich Stil. Dankbar nahm Quintus das zur Kenntnis, lächelte sie dankbar an und griff ebenfalls dankbar den Vorschlag auf, einen anderen, besseren Teil der Xenai agorai aufzusuchen. "Ja, gehen wir! Nicht nur, dass man hier nichts Frisches kriegt - für mich ist es hier auch noch halsbrecherisch", grinste der Verginius, noch immer ziemlich verlegen. In Verlegenheit brachte ihn nun aber auch der Umstand, dass weder Iubellia noch ihre Sklavin eine Ahnung zu haben schienen, wohin man sich stattdessen wenden könnte. "Aha, also auch noch ganz frisch hier in Alexandria? Na, da haben wir ja was gemeinsam. Und ich komme ja auch nicht von dieser Seite des Mare Nostrum, sondern jetzt von Italia. Aufgewachsen bin ich aber mittendrin, nämlich auf Corsica."
Quintus zögerte nicht, seine Herkunft als Landei zuzugeben, denn seinen Überlegungen zufolge hatte seine Gesprächspartnerin wohl eine ähnliche Herkunft: "Und du? Germanien oder Britannia, stimmt's? Ja, man hört ja viel davon, wie schlecht dort das Wetter ist. Andererseits haben die da sicher auch nicht so große Schwierigkeiten mit Feldbewässerung", mutmaßte der Verginier, der damit schon wieder eines seiner Lieblingsthemen erreicht hatte, in denen er sich ja hier in Aegyptus auch weiterbilden lassen wollte.
Liebend gerne wäre Quintus jetzt weiter auf diesem Thema herumgeritten, doch hielt ihn davon die Rücksicht auf seine Gesprächspartnerin ab, von der er nicht ohne Weiteres annehmen konnte, dass sie seine Interessen teilte. Und dann war da ja noch das frische Obst, welches man kaufen wollte. Quintus begann sich umzusehen, ob er irgendwo Stände mit besserer Ware erblicken könnte oder vielleicht Käufer, die so aussahen, als könnten sie sich besseres Obst leisten und denen man daher hätte folgen können. Seine Beobachtungen ließen den Verginier aber unschlüssig zurück, denn das einzige, was er hatte erspähen können, war ein Eselkarren, der tatsächlich recht appetitliches Obst geladen hatte und der jetzt gleich in zweifacher Hinsicht sicher auch die Aufmerksamkeit von Iubellia erregte: Denn erstens näherte sich ihnen der Karren immer mehr, und zweitens lief neben dem Karren ein Männchen einher, das seine schrille Stimme ertönen ließ: "Aber Bulbus, doch nicht hierher, nicht hierher, halt ein!" Das Männchen war schon ein älteres Semester mit offenbar gefärbtem und gelocktem schwarzen Haar, angetan mit einem seltsamen Mantel von tiefblauer Farbe, welcher mit reichen Stickereien verziert war. Seine Anweisungen richteten sich augenscheinlich an einen Sklaven, der den Esel führte. Dieser Sklave war sehr beleibt und schwitzte stark, obwohl er nur einen Lendenschurz trug. Seine Gesichtszüge waren ganz unbewegt wie bei einer Statue, und auch auf die schrillen Befehle seines Herrn, des kleinen Männchens, hin verzog er keine Miene, sondern schritt mit dem Eselkarren unverwandt immer weiter auf dem Weg zwischen den Ständen dahin, auf dem sich Iubellia, ihre Sklavin und Quintus befanden.
Die Qualität des Obstes auf diesem Karren hob sich deutlich von dem Fallobst ab, das es ansonsten hier an den Ständen zu kaufen gab. Umso unverständlicher war es natürlich, was den Karren und seinen Führer, der offenbar "Bulbus" hieß, hierhin verschlagen hatte. Und umso verständlicher war natürlich umgekehrt die Aufregung des Männchens, dem, wie Quintus vermutete, der Karren samt Esel, Bulbus und Ladung gehörte: Nur zu verständlich, dass der sich Sorgen machte, wieviel von seinem guten Obst wohl noch übrig wäre, wenn er mitsamt Entourage diesen Teil des Marktes hinter sich gelassen haben würde.
Und richtig gezittert: Die Qualität des Obstes blieb nämlich auch den vielen Kindern, die hier überall herum sprangen und Unsinn trieben, nicht lange verborgen. Schon griffen die ersten flinken Hände auf den Karren und entführten Äpfel und Pfirsiche. Aber damit nicht genug: Ein besonders verwegenes Mädel sprang nun sogar auf den Karren und warf ihren Gefährten von dort Melonen zu.
Das Kreischen des Männchens, dem der Karren gehörte, wurde jetzt ohrenbetäubend. Zum Unglück des schreienden Händlers stand es aber in merkwürdigem Kontrast zum Verhalten des Sklaven Bulbus, der kaum eine Miene verzog und nur hier und da mal lustlos mit einer kleiner Gerte nach den Kindern schlug, die er in der linken Hand trug und die wohl eigentlich für den Esel bestimmt war.
Quintus kam diese ganze Szene aber richtig gelegen, denn sie bot ihm die Möglichkeit, sich seiner neuen Bekannten Iunia Iubellia endlich einmal von seiner kompetenten und durchsetzungsstarken Seite zu zeigen. Kurz entschlossen ging er also dem Karren die wenigen Schritte, die dieser noch von ihnen entfernt gewesen war, entgegen, ergriff das Mädchen, das von oben her die Melonen verteilt hatte, an den Hüften und setzte es einfach auf den Boden. Auch die anderen Kinder konnte er problemlos vom Karren des kleinen Händlers vertreiben.
Dieser hatte den Verginier gar nicht recht beachtet, sondern wollte sich schon in Jammern über seine Verluste und über die "heutige Jugend" ergehen, als er Iunia Iubellia erblickte. Zu der und ihrer Sklavin war Quintus nämlich wieder zurückgekehrt, nachdem die Kinder durch sein Eingreifen zunächst einmal das Weite gesucht hatten. Der kleine Händler trieb seinen Sklaven Bulbus nun zur Eile an, hieß ihn aber sofort halten, als der Karren die Dreiergruppe um Iubellia erreicht hatte: "O, ich danke dir, dass du deinen siegreichen Sklaven geschickt hast, um mich zu beschützen. Du meine Retterin, du Unvergessliche! Nimm hin meinen Dank und dieses Präsent!" Dabei griff er nach einer riesigen Melone, die das kleine Mädchen vorhin wohl nicht hatte heben können, und ließ sie von Bulbus mit einem großen Messer in mundgerechte Stücke schneiden.
Quintus aber glaubte, seinen Ohren nicht mehr trauen zu können: "Sklave" war er da gerade genannt worden? Das fehlte ja gerade noch! Schon wollte er nach den Kindern nun auch dem Händler eine Lektion erteilen, als ihm plötzlich eine Idee kam. Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, er wendete den Kopf rasch zu Iunia Iubellia um, suchte ihren Blick und zwinkerte ihr bedeutungsvoll zu - in der Hoffnung, dass sie den Spaß mitmachen und ihn als ihren Sklaven behandeln würde.