Es war der Tag nach jener außerordentlichen Sitzung des ostiensischen Ordo Decurionum, als Dives nach langer, viel zu langer Zeit wieder einen Schritt in das duumvirische Officium setzte. Er erinnerte sich nur grob, wie er hier zuletzt von der Belagerung Romas erfahren hatte, nur um hernach mehr oder minder alles stehen und liegen zu lassen und Hals über Kopf ins eigene Unglück zu stürzen. Das hieß: Allem Anschein nach sollte der Iulier wohl noch einmal mit einem (adels-)blauen Auge davon gekommen sein, denn er war schließlich wieder freigelassen worden. Dennoch... Innerlich zerbrach er sich seinen Kopf durchaus an der Frage, ob er das Richtige getan hatte oder ob er einfach hätte die Hände in den Schoß legen und abwarten sollen, bis man gekommen wäre, um ihn wohlmöglich zu holen? Immerhin war Dives kein entfernter, sondern im Gegenteil gar ein relativ naher Verwandter Centhos. Jetzt hatte er sich seine Freiheit quasi im Tauschgeschäft gegen den Anschluss Ostias an Palma 'erkaufen' können. Er mochte gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn er diese Möglichkeit durch ein zu zögerliches Verwalten verspielt hätte...
Aber natürlich fasste sich der junge Duumvir nicht nur an die eigene Nase in dieser Angelegenheit. Dazu war es auch einfach viel zu bequem andere mindestens mitverantwortlich zu machen, um sich anschließend auf diese Mitverantwortlichkeit zu fokusieren und im letzten Schritt die eigenen Anteile zu ignorieren und zu vergessen. Sextus Aurelius Lupus, das hatte sein Großonkel Licinus gesagt, war der Tribun gewesen, auf dessen Geheiß die beiden Duumvirn festgesetzt worden waren. Mittlerweile meinte sich Dives sogar wieder an Teile der alte Geschichte erinnern zu können, die den Patrizier vermutlich so feindselig hatte reagieren lassen:
Von Amtswegen als Quaestor Ostiensis war er dereinst in der Villa Aurelia gewesen und auf expliziten Wunsch des Aureliers sogar extra noch ein zweites Mal dort angetanzt! Er war, obwohl ihm teils anders zumute gewesen war, nach eigener Ansicht weder ausfallend noch unhöflich geworden, sondern stets streng sachlich geblieben. Klar hatten sie dereinst dennoch ordentlich diskutiert, wollte der Aurelier doch damals immerhin dafür sorgen, dass seine Verwandtschaft nicht für ihre Schiffe die Hafengebühr entrichtete. Dass, vielleicht auch aufgrund des dereinst noch nicht ganz so großen politischen Erfahrungsschatzes des Iuliers, wohlmöglich seine Ausdrucksweise den Eindruck erweckt haben mochte, dass Dives dem Patrizier drohen wolle, sah Dives natürlich nicht - nicht zuletzt, weil dies auch an keinem Punkt seiner Intention entsprochen hatte.
Doch überhaupt fühlten sich die Patrizier, die der junge Duumvir bislang so kennenlernen durfte, doch ziemlich schnell angegriffen. Da brauchte man noch nicht einmal an den gut gemeinten Vergleich mit steuerzahlenden plebeischen Seefahrern denken, den der damalige Quaestor auch keinesfalls als Seitenhieb gemeint hatte. Vielmehr war er davon ausgegangen, dass er zeigte: Die Hafengebühr war für Plebeier durchaus tragbar, also wäre sie es wohl auch - und erst recht - für Patrizier. Nein, auch bei seinem guten Freund Lepidus, hatte der Iulier feststellen müssen, dass der sich ebenfalls schnell mal kritisiert sah, wenngleich die Intentionen des Duumvir dabei keinesfalls schlecht gewesen waren. Immerhin aber hatte Dives dieses letzten Missverständnis gleich wieder aus der Welt schaffen können und war nicht aus dem Haus geworfen worden, wie bei den Aureliern. (Ob das mitunter aber auch nur daran gelegen haben mochte, dass er sich mit Lepidus auf iulischem Boden befunden hatte, wäre natürlich mitunter die Frage.)
Dennoch blieb unterm Strich das große Fragezeichen, ob all dies ausreichte, um den Iulier, der zumindest sich selbst nur die besten Intentionen unterstellte, gleich in den Kerker der Castra Praetoria werfen zu lassen?! Das hieß: Ganz offensichtlich reichte es aus Sicht des Aureliers aus... OBWOHL Dives letztlich dafür gesorgt hatte, dass die Schiffe unbesteuert blieben und OBWOHL er eine Aurelia Prisca dereinst freundlich als Ehrengast in seiner Prometheus-Inszenierung herzlich willkommen hieß. Für einen Augenblick sah der Duumvir sogar dieses Blicke fangende, strahlend weiße Kleid aus feinster Seide mit den filigranen Goldstickereien darauf vor sich. Für den jungen Iulius war dies einst gar so schön anzusehen gewesen, dass er die Aurelia, die in diesem Fummel steckte, beinahe vergessen hätte zu bemerken.
Langsam aber sicher verblasste anschließend diese Erinnerung, denn die teure Seide mit ihren Applikationen und allem war ja schön und gut, doch keinesfalls mit dem grandios-phänomenalen und absolut und wortwörtlich atemberaubenden Abschluss der Veranstaltung zu vergleichen... womit die Gedanken des Iuliers über das Scriptorium des Theaters wieder zu Serapio kamen. Doch noch bevor er zu weiteren Ausführungen in der Lage gewesen wäre, stürmte der Vorzimmerbeamte Ostianus, der gerade von einem 'Ausflug' ins Stadtarchiv zurückkam, zum Duumvir:
"Duumvir Iulius!", rief er begeistert aus, sodass man es unter Umständen vielleicht gar noch im Nachbarzimmer hören mochte. Als der Peregrinus den Iulier dann erreicht hatte, stockte er jedoch. Er wollte seiner Freunde mit einer Umarmung Ausdruck verleihen... Aber durfte er das? Etwas unschlüssig schaute er Dives an.
"Ostianus, ich freue mich auch wieder hier zu sein und dich zu sehen.", erklärte der Angesprochene nach kurzer Pause zur Einstellung auf diese Situation doch deutlich zurückhaltender, wenngleich noch immer herzlich, freundlich und vor allem ehrlich. Mit der rechten Hand, die er Ostianus auf die Schulter legte, machte er klar, dass die Nähe trotzdem irgendwo eine Grenze hatte. Stattdessen bekam der Vorzimmerbeamte ein Schriftstück in die Hände gedrückt, welches wenig später veröffentlicht wurde. Um die Verbreitung der Neuigkeiten der Rückkehr der beiden Duumviri bat Dives jedoch nicht. Das würde Ostianus schon aus eigenem Antrieb im Officium der Scribae hinaustrompeten, sodass sicherlich noch lange vor Feierabend die ganze Curia Bescheid wüsste...