Es vergingen mehrere Tage nach dem seltsamen Orakelspruch - allesamt ohne irgendwelche besonderen Ereignisse oder Vorkommnisse. Der Ordo Decurionum der Civitas Ostia hielt seine erste Sitzung dieser Amtsperiode ab, die neuen Magistrate wurden anschließend in ihre neuen Aufgabenbereiche eingewiesen, ihre künftigen Ziele wurden abgesteckt und ihr Gehalt ausgehandelt. Und auch die Inaugurationes Magistratuum lagen mittlerweile bereits erfolgreich hinter allen Gewählten. Beinahe ließe sich behaupten, dass man damit nun wieder eine gewisse Normalität erreicht hatte: Dives' Tag begann am frühen Morgen mit der üblichen Tagesbesprechung mit seinem Stab. Er ließ Termine für die nächste Curiensitzung heraussuchen, gab Kopien einiger Dokumente in Auftrag und ließ sich darüber informieren, welche Gäste er heute in seinem Officium zu erwarten hätte... und dies waren so einige. Dann standen zunächst die Tageskorrespondenzen auf dem Plan. Gegen Mittag machte der Duumvir seine gewöhnliche kleine Pause und wandelte ein wenig durch die kleinen Gärten des Parks hinter der Curia. Mehr oder minder zufällig traf er dabei auf seinen guten Freund Caelius Caldus, der zuvor ausgerechnet den neuen Quaestor Ostiensis aufgesucht und an die Rückgabe seiner geliehenen Bücher erinnert hatte. Für den Abend verabredeten sich der Iulier und der Caelius in einer Taverne der Stadt. Caldus hatte sich fest vorgenommen ersterem endlich zu sagen, wie es in ihm aussah - gefühlsmäßig. Dives auf der anderen Seite beschloss bei dieser Gelegenheit endlich richtigzustellen, dass er sein Herz nicht an Germanicus Aculeo, sondern an einen gewissen im Krieg befindlichen Decimer verloren hatte. Er konnte schließlich bisher mit niemandem wirklich darüber reden, was zu einer Gefühsstauung und damit gleichsam zu einem gewissen inneren Chaos beim Iulier geführt hatte...
Am Nachmittag folgten dann unzählige längere Gespräche. Gleich fünf Händler belangerten den Duumvir und wollten gleich dem Schmuckhändler Titus Lavenius ihre Handelslizenzen wieder erlangen. Bereits auf den ersten Blick ließ sich jedoch sagen, dass maximal in einem Fall wirklich ein berechtigter Anspruch darauf bestand. Dives leitete das gesamte Rudel weiter zum Aedilis Mercatuum, der sich schließlich ebenso darum kümmern könnte. Das hieß: Genaugenommen wurden nur vier der Leute an den Aedil verwiesen. Der fünfte verlor sich irgendwann in wüsten Drohungen und Beschimpfungen und wurde schlicht des Curiengebäudes verwiesen. Unterm Strich war der Iulier froh, als er sich am späten Nachmittag zu einem Außentermin - dem letzten Termin des Tages - aufmachte. Die Besprechng mit dem Hafenverwalter Sulpicius Cornuntus war schnell hinter sich gebracht und beschwingten Schrittes machte sich der Duumvir sodann auf zur Taverne, in der er sich mit Caelius Caldus verabredet hatte. Er war ein wenig früher dran, als erwartet, ebenweil Cornuntus und er sich nicht sonderlich viel Neues zu berichten hatten. Da dies kein Amtstermin war, entließ er seine Liktoren für die nächsten dreieinhalb horae und betrat mit einem erleichterten Lächeln nach diesem anstrengenden Arbeitstag die bereits gut gefüllte Taberna.
Während er sich dann den Weg zu einem noch freien Tisch bahnen wollte, passierte es: Ein Ellbogen oder vielleicht auch eine Faust traf den Iulier in die rechte Seite, knapp unter den untersten Rippenbogen. Noch ehe der gesamte Schmerz in seinem Kopf angekommen war, folgte ein Tritt in seine Kniekehlen und Dives ging mit einem etwas ungläubigen Blick zu Boden. Sogleich spürte er ungeheure Schmerzen auch in seiner Magengegend und ihm wurde unglaublich schlecht. Er zog auf der linken Seite liegend die Beine an seinen Körper und versteckte sein Gesicht unter seinen Händen und Armen. Dennoch fühlte er weitere dumpfe Tritte und Schläge und dachte ein letztes Mal an Serapio, bevor er hörte, wie ein Tonkrug direkt an seinem Ohr zersprang. Auf das helle Klirren folgte tiefe Dunkelheit.
Nur ganz allmählich öffnete Dives die Augen wieder und blickte in ein Meer aus nebligen Grautönen. Er stützte sich auf seinen Händen ab, richtete seinen Oberkörper auf und sah sich um. Ihn umgab eine felsige Landschaft, vielleicht eine Höhle, mit diversen fertigen und unfertigen natürlichen Steinsäulen. Einige standen auf dem Boden und rangten in die Höhe; andere hingen von oben herab, vermochten den Boden allerdings nicht zu erreichen. Dann vernahm Dives unangenehm hohe Stimmen... und sah daraufhin mehrere große Schatten an einer der Wände, ohne jedoch ausmachen zu können, wer oder was diese Schatten warf. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und er beschloss einfach nur die Augen zu schließen und noch ein letztes, allerletztes Mal an Serapio zu denken. Eine kalte Träne lief ihm über die Wange als er merkte, wie zwei Hände seinen rechten und zwei Hände seinen linken Arm nahe der Schulter packten und ihn empor hoben. 'Faustus.', war sein letzter Gedanke.
Dann blendete ihn ein helles Licht, das sich langsam immer weiter entfernte und immer dunkler und kleiner wurde. In gleichem Maße waren da plötzlich wieder diese unfassbaren Schmerzen in seinen Gliedern, seinem Bauch, ihm war schlecht und sein Schädel fühlte sich an, als würde er bereits im nächsten Augenblick platzen. Er hörte, wie eine ihm bekannte Stimme zu ihm sprach...
| Caius Caelius Caldus
SCRIBA LOGEI - BIBLIOTHECA MARINAE
Der Caelier erschien genau zur verabredeten Zeit an der Taverne und ihn beschlich ein äußerst ungutes Gefühl, als er plötzlich etwa ein Dutzend kräftige Männer sah, wie sie das Lokal beinahe fluchtartig verließen. Er beschleunigte seinen Schritt. War der Wirt hier gerade Opfer eines Raubzuges geworden? - Hoffentlich nicht, denn dann würden Dives und er heute abend wohl sicherlich kaum irgendwie auf Beziehungsthemen zu sprechen kommen. Doch der Schock stand Caldus erst noch bevor - als er den Iulier reglos auf dem Boden in der Taverne liegen sah. Sofort stürzte er dorthin.
"Dives? Dives?! He, Dives!", versuchte er ihn anzusprechen und lächelte erleichtert als er das Zucken der Augenlider bemerkte. Nach und nach krochen die allesamt unverletzten Angestellten der Taberna aus ihren Verstecken hervor, versuchten dem Verletzten zu helfen oder Hilfe zu holen. Ein Bote machte sich auf den Weg zur Villa Iuliana, während ein anderer den Duumvir Cassius Hemina Minor aufsuchte. An diesem Abend würde die Nachricht sicherlich noch nicht die große Runde durch die Civitas machen. Am morgigen Tag jedoch würde es wohl DAS Tagesgespräch sein...
"[SIZE=7]Serapio..?[/SIZE]", fragte Dives beinahe tonlos. Er erkannte die leicht über ihn gebeugte Person mit seinem verschwommenem Blick nicht wirklich. Dann lehnte sich der fremde Körper in eine andere Richtung und rief etwas. Der Duumvir hörte es nur dumpf und entfernt, während er zwei kleine geflügelte Kinder durch die Decke des Raumes entschwinden sah. Hatten die ihn aus der Höhle geholt? Die sahen fast aus wie Amoretten... Mit einem kaum sichtbaren Ansatz eines Lächelns schlossen sich die Augen des Iuliers wieder für eine längere Zeit...