Der Iulier versuchte über die Worte des Praetoniers nachzudenken, während sodann die Plinierin eigene Argumente gegen die epikureische Lehre anbrachte und sich damit inhaltlich zu Dives gesellte, der wohl ebenfalls deutlich gemacht hatte, dass aus ihm in nächster Zukunft gewiss kein Epikuraeer erwachsen würde. Als im Anschluss daran der Praetonius neuerlich das Wort an den Senator richtete, glaubte letzterer, sich wohl verhören zu müssen.
"Wahrlich, mir wurde bereits viel unterstellt im Verlaufe meines politischen Lebens. Eine solche Ungeheuerlichkeit - dass mir das tragische Ableben einer Verwandten, die dazu gar meine Tochter und eine vestalische Jungfrau war, Lust bereitet hätte -, etwas Derartiges hört selbst ein iulischer Senator nicht alle Tage.", zeigte sich Dives alles andere als erfreut über den zwischen den Zeilen an ihn gerichteten Vorwurf. "Denn mit nicht einem einzigen Wort, mit keiner Silbe und nicht einmal einem Gedanken habe ich mich JE in einer derartig abscheulichen Weise über meine Tochter geäußert!", trat er dem Vorwurf mit aller Entschiedenheit entgegen.
"Was ich indes sagte, war nicht mehr, als dass uns wohl selbst der größte Schmerz ob des Verlustes einer geliebten Person, am Ende des Tages dahin führt, unsere eigene Lebensweise zu hinterfragen. Wir fragen uns, was der Sinn des Lebens meiner Tochter war. Wir fragen uns, was der Sinn unseres eigenen Lebens ist. Und wir beginnen zu begreifen.", kehrte Dives anschließend zum Inhaltlichen zurück. "Wir beginnen zu begreifen, dass ein jedes Licht auch Schatten wirft. Wir beginnen zu begreifen, dass wir für jeden Gewinn auch irgendwann mit einem Verlust bezahlen müssen. Wir beginnen zu begreifen, dass Lust und Unlust nicht unabhängig von einander existieren, sondern im Gegenteil gar stets Hand in Hand uns begegnen und einander bedingen.", erklärte der Iulier seine Sicht auf die Dinge, die zwar gewiss von jener des Epikur stark abwich, die allerdings dennoch - auf die eine oder andere Weise - auch ein Produkt der Teilnahme an diesem Philosophenzirkel war.
"So wird es wohl keinem Arzt und keiner Ärztin je gelingen, ALLE eigenen Patienten zu heilen. Stattdessen wird die Lust ob der erfolgreichen Behandlungen stets auch von dem Schmerz der erfolglosen begleitet werden. Und auch in der Politik wird gewiss nicht jedes eigene Vorhaben eine Mehrheit finden. Stattdessen wird auch hier die Lust ob der Erfolge für die Allgemeinheit stets auch von der Unlust ob der eigenen Misserfolge oder halbherzigen Kompromisse begleitet werden.", führte Dives exemplarisch an. "Ja, selbst als derjenige, der zu einem Philosophenzirkel einlädt, wird man wohl nicht immer die reine Lust empfinden ob der durch die teilnehmenden Gäste geteilen Ansichten. Stattdessen wird es wohl auch immer wieder solche Gäste geben, die zu einer latenten Unlust führen, da entweder sie nicht deine oder du nicht ihre Sichtweisen und Perspektiven anzunehmen gewillt bist.", stellte der Senator möglichst wertneutral dar.
"Aus genau diesem Grunde nun, da uns die Lust bei allem, was wir tun, nie ohne ihren unlustvollen Zwilling begegnet, ziehe ich den 14. Lehrsatz des Epikur zwar rein inhaltlich nicht in Zweifel. Ich zweifle jedoch daran, dass er uns dabei hilft, unsere - mit deinen Worten - beschränkte Lebenszeit möglichst angenehm zu gestalten.", strich er durch eine kleine Zäsur heraus. "Denn ein Rückzug vor den Leuten mag unsere Sicherheit erhöhen, wie eine erhöhte Sicherheit die Wahrscheinlichkeit von Unlust reduziert." Dies war die Hälfte, die in der Form den 14. Lehrsatz darstellte. "Wo jedoch kein Schatten ist, gibt es auch kein Licht, sodass ein Rückzug vor den Leuten also nicht nur zu weniger Unlust führt, sondern zugleich auch eine verminderte Chance auf Lust zu Folge hat.", folgerte Dives anschließend auch die in seinen Augen zweite Hälfte, die nicht im Lehrsatz enthalten war.