Die gute, alte Business Etikette mit ihren typischen Fragen: Wer grüßte wen zuerst? Wer reichte wem die Hand? Und wann war es angemessen, einander gar mit Kuss zu begrüßen? In der Tat waren all dies überaus interessante Fragen, wennauch man sie mit etwas Übung in der Sache eigentlich relativ einfach beantworten konnte:
Tatsächlich begrüßte in erster Linie der Rangniedrigere den Ranghöheren zuerst und folglich also der Jüngere den Älteren, der Eques den Senator oder auch der Gastgeber einen Gast. Ausnahmen gab es, wenn man einen Raum gerade erst betrat und sodann als Kommender selbstredend auch der die bereits Anwesenden zuerst Grüßende sein sollte, oder wenn sich zwei Gleichrangige begegneten und in diesem Fall natürlich jener zuerst am Zuge war, der den anderen zuerst erspähte. Gänzlich umgekehrt indes verhielt es sich offenkundig bei der Frage des begrüßenden Händereichens, wo selbstverständlich der Ranghöhere vorgab, ob und wann einander die Hände gereicht wurden oder nicht. Auch hier selbstredend gab es Ausnahmen. So reichte natürlich der Gastgeber dem zweifellos höherrangigen Gast zuerst die Hand und hieß ihn mit dieser Geste besonders willkommen, während unter Gleichrangigen in der Regel die Frau das Sagen hatte, über die Intimität der Begrüßung zu bestimmten. Und die Intimität schlussendlich war auch ein gutes Stichwort zum begrüßenden Kuss, der in der Sache wohl ähnlichen Regeln wie der begrüßende Handschlag unterlag. Besonders erwähnen mochte man mitunter einzig das sogenannte Kussrecht, welches innerhalb der Familie den Frauen eines Hauses das Recht zusprach, ihre männlichen Verwandten bis zum Vetterngrad bei der ersten Begegnung des Tages zu küssen.
Ich hoffe, du verzeihst diesen Absatz. Aber ich konnte nach meinem Business Etikette-Seminar letztes Jahr einfach nicht widerstehen, auf dieses "immer, ausnahmslos immer" etwas einzugehen. Ist nicht böse gemeint.
Doch von der Theorie zur Praxis, in welcher sich der Iulier hier zwar als höherrangig und entsprechend auch nicht als Gastgeber im eigentlichen Sinne verstand, sich allerdings dennoch nichts anmerken ließ. Denn auch das verlangte die gute, alte Business Etikette: Man wies niemanden zurecht - oder hielt seine Kritik in einer höflichen Form im Zweifelsfall wenigstens bis nach der Begrüßung zurück. Anstatt jedoch selbst nun das Wort zu ergreifen und damit mehr oder minder direkt mit der Frage, "Du bist also Helvetius Severus, richtig?", beginnen zu müssen, fand der gewesene Quaestor jedoch noch einen anderen Weg, weder selbst zuerst grüßen zu müssen, noch seinen Gegenüber durch eigenes Schweigen in eine unangenehme Situation zu bringen. So wandte er seinen Blick kurz an den Sklaven, welcher den Helvetier von der Porta hierher geführt hatte - und jener Sklave verstand sogleich:
"Dominus Iulius, dies ist der Herr Helvetius Severus, der für heute einen Termin mit dir ausgemacht hat.", bekam in der Folge zunächst Dives noch einmal die Information, mit wem er es hier zu tun hatte. Entsprechend nickte er verstehend. "Helvetius, dies ist der Quaestorius Iulius Dives." Mit einem auch weiterhin höflichen Lächeln im Gesicht blickte der Iulier dem Helvetier offen in die Augen, während er ihn beiläufig neugierig ein wenig musterte und sich innerlich darauf einstellte, seinem Gegenüber im Anschluss an die mündliche Begrüßung auch die eigene Hand zu reichen.