Platz nehmen? Damit die decimischen Verse zu allem Überfluss auch noch von oben herab auf ihn einschlagen würden? - Nein, diese Option schloss der Iulier sogleich kategorisch aus, während er sich jedoch wohl oder übel eingestehen musste, dass er sich nicht ganz sicher war, ob er einem längeren Vortrag bitterer Worte - und mit nichts anderem war nach diesem Blumenstrauß inhaltlich zu rechenen - stützungsfrei standhalten würde. Darob also bat er den Cluvier mit einer etwas widerwillig einladenden Geste herein in das Zimmer, wo der Mann im Zentrum des Raumes sicherlich eine angemessene Vortragsposition würde einnehmen können, während Dives eine Kommode an der Wand zum Anlehnen zur Verfügung stünde - wann immer er in die Verlegenheit geraten sollte, eine derartige Möglichkeit zum Anlehnen in Anspruch nehmen zu müssen...
Der Vortrag begann - und erst dabei realisierte der Iulier, wie wörtlich er die Ankündigung einiger Verse zu nehmen hatte: Lyrik lag in der Luft. Doch einmal mehr sollten auch die so kunstvoll dargebrachten Worte nur genauso verletzend wie zuvor schon die durch die kunstvoll arrangierten Blumen übermittelte Botschaft sein:
'Sage mir, mein schönster Freund', jaja. Der erste Vers war noch nicht einmal komplett gesprochen, da trafen Dives die ersten Worte, gar doppelt gleich. Denn nicht nur, dass Faustus gleich für den Beginn mit der Schönheit nur ein vergleichsweise äußerliches Attribut gewählt hatte, das einmal mehr nahelegte, dass es letztlich auch nur genau das war - das Äußerliche -, welches ihn am Iulier reizte. Nein, darüber hinaus wählte er auch noch den Superlativ, welcher zweifellos Dives nur zu einem Freund von mehreren, vielen gar machte - sei er nun der schönste all jener oder auch nicht. Die folgenden Verse dann, welche für einen kurzen Moment die Erinnerung an das Vergangene ein vorerst letztes Mal erwachen ließen, trieben dem iulischen Publikum das Wasser in die Augen, bevor er sich bei den anschließenden Anschuldigungen bemühte, jene Feutigkeit möglichst unauffällig wieder wegzublinzeln oder beiläufig aus seinen Augen zu streichen. Heuchelworte und Lügen warf Faustus ihm vor... und in der Tat spielte er für einen kurzen Augenblick die Szenen in Trans Tiberim und auf seiner Hochzeit gedanklich nach. Doch wann hatte er Faustus etwas vorgeheuchelt? Wann sollte er ihn gar belogen haben?! Auf diese Fragen wollten ihm so schnell keine passenden Antworten in den Sinn kommen.
Und wieder spielte Faustus kurz darauf mit den schönen Erinnerungen an diese von zwei strahlend weißen Rösser gezogene Biga, welche einst ganz imposant und beeindruckend mit Faustus am Lenkgeschirr direkt vor Dives hielt. Wie weggeblasen wurde jener schöne Augenblick sodann, als es hieß, dass das iulische Haar ergraute! - Zugegeben, er hatte das Pech, dass er bereits in so vergleichsweise jungen Jahren mit den ersten Geheimratsecken zu kämpfen hatte. Diese waren, genauso wie seine Liebe zum eigenen Haar, auch der Grund dafür, dass er jenes niemals so sonderlich kurz trug. Aber grau waren seine Haare deshalb noch lange nicht! - Dazu gesellte sich der Vorwurf, er hätte Faustus in die eisige Winterkälte gestoßen. Da zogen sich, denn auch dies hatte er doch in einer ganz anderen Art und Weise in Erinnerung, seine Augenbrauen einmal mehr verärgert etwas enger zusammen.
Hernach ging es dann nach seinen Lippen und seinem Haar um die nächste schöne Äußerlichkeit, seine Augen. In diesem Part wollte Dives jetzt auch so langsam aufgehen, worauf Faustus hier mit den Lügen anzuspielen versuchte: Es ging ihm um den 'Irrweg', den der Iulier seiner Meinung nach durch die und seit der Eheschließung mit Fausta beschritt. Doch ließ der Autor hierbei einen nicht ganz unwesentlichen Punkt völlig außen vor: Welche 'normale' Ehe, die in ihren Kreise folglich in aller Regel eine arragnierte war, begründete sich schon irgendwie mit Liebe? Aber warf man den Paaren deshalb vor zu lügen? - Zugegeben, wo sich manche Ehepartner im Verlaufe ihres Zusammenlebens noch ineinander verliebten, da war dergleichem beim Iulier von Beginn an im Prinzip ausgeschlossen. Aber letztlich entwickelte sich auch nicht zwischen jedem 'normalen' Ehepaar dieses intime Gefühl...
Darüber hinaus die Augen vor dem Leid des Freundes verschlossen zu haben, das konnte sich Dives seiner eigenen Auffassung nach ebensowenig vorwerfen lassen. Geopfert und gebetet hatte er für Faustus Wohl! Um Fürspruch und Hilfe hatte er in seinen Unterhaltungen mit Sedulus und Großonkel Licinus gebeten! Sobald er von der Freilassung des Geliebten erfahren hatte, war er in Trans Tiberim bei ihm gewesen, hatte mit ihm geredet, hatte versucht auf ihn zuzugehen und hatte ihn letztlich sogar wieder und stärker gar als zuvor einbinden wollen in sein eigenes Leben - Stichwort Trauzeugenstand! Und welche Reaktion hatte er auf all das bekommen? 'Wenn du heiratest, ist es aus mit uns!', das hatte er gesagt. Und dieser Satz hatte sich als traurige Gewissheit eingebrannt, spätestens nach Faustus Auftritt bei der Hochzeit: Dives hatte geheiratet (und hatte mit seiner Frau geschlafen); jetzt war es aus.
'Sag mir, vielgeliebter Freund', eröffnete der Cluvier endlich dann den letzten Part seines Vortrags mit ebenso stechenden Worten wie schon ganz zu Beginn. Denn in der Tat musste es sich hier doch zweifellos um eine Antiphrase handeln, eine ironische Hyperbel, so vielgeliebt. Dann allerdings verglichen Faustus Worte den Iulier mir dem göttlichen Apoll - diesem nicht zum ersten Mal gehörten Kompliment hatte sich Dives noch nie sonderlich erfolgreich verschließen können... Und so blieb er auch die restliche Rede über mit seinem Gesäß an die Kommode gelehnt und hörte sich einmal mehr an, wie ein zunächst herrlich aufgebautes Bild nun also zum vierten Mal schlussendlich doch nur verbal kurz und klein geschlagen wurde. Anschließend herrschte trauriges Schweigen. Dives blickte auf seine Füße herab und konnte und wollte nicht so recht glauben, was er soeben gehört hatte... die letzten Worte von Faustus an ihn.
| Caius Caelius Caldus
SCRIBA LOGEI - BIBLIOTHECA MARINAE
Dafür allerdings konnte ein anderer im Raum sich nach allem Gesehenen und Gehörten nun nicht länger zurückhalten:
"Hach.", lachte Caldus einmal trocken und bitter ironisch auf. "Ist er das?" Ein 'der so viel besser ist als ich' schwang dezent aber erkennbar mit, während er erwartungsvoll in den Augen des ihn daraufhin unfreundlich ansehenden unglücklichen Iuliers nach einer Antwort forschte: Er war es!
"Dann tut es mir Leid, Dives, wenn ich das so direkt sage. Aber was willst du dann noch von soeinem?!" Wo er doch auch genügend andere - allen voran natürlich Caldus selbst - haben könnte! "Ich meine, DU hast ihn so vergöttert, dass du sogar bereit warst, ihm einen ganzen Tempel zu bauen!", wusste der Caelier hier ohne Rücksicht auf Verluste anzuführen. "Und im Gegenzug liebt DER dich was?? So VIEL, dass er, sobald das..." Äh. Ja. "zwischen euch nicht exakt nach seinen Vorstellungen läuft, dir lieber SOWAS hier schreibt", deutete er abschätzig hinüber zum Cluvier, "als mit dir PERSÖNLICH zu sprechen und GEMEINSAM eine Lösung für die Situation zu finden?!?", provozierte Caldus unentwegt weiter, bis sein gastgebender Iulier dann tatsächlich eine erste Träne verlor, den Blumenstraußen aus den Händen gleiten ließ und sich fluchtartig zunächst einfach nur durch die Tür hinaus ins Freie stürzte, um erst am freudig vor sich hin plätschernden Venusbrunnen innezuhalten * und sich mit dessen Wasser sodann die Zeichen der schmerzenden Verletzung aus dem Gesicht zu waschen.
Sim-Off:* Wo du mich in diesem Thread bleibend also noch finden kannst, falls du das willst.
"SEHR schön hat er das gemacht, dein Freund! Das kannst du ihm sagen.", kommentierte Caldus im Innern des Zimmers indes bissig an den Cluvier gewandt. Dann erhob er sich von seinem Bett, auf welchem er zuvor gesessen hatte, den Freund des Ex-Freundes seines Freundes fest fixierend. "Ich denke, du solltest jetzt besser gehen.", formulierte er im Anschluss nach außen hin höflich aber bestimmt.