Eine ganze Weile lang saß Dives einfach nur da, still und stumm mit gesenktem Blick und in der Erwartung, dass nun irgendetwas passierte. Doch es passierte nichts.
"Du sagst ja gar nichts dazu.", durchbrach der Iulier irgendwann die Ruhe, nachdem er es einfach nicht mehr ausgehalten hatte. "Warum sagst du nichts? Ich meine, du hast schon mitbekommen, was ich dir hier erzähle, oder?" Eine erneute Redepause entstand, während er sich noch einen Schluck Wein gönnte. "Und es ist ja nicht so, dass es bei dem einen Mal mit Caldus geblieben wäre. Also nur einmal mit CALDUS. Aber ich habe meinen Gefallen daran gefunden - weit mehr als an irgendwelchen Frauen. Und es ist wieder und wieder und wieder passiert!", provozierte er Ocella und versuchte ihn zu schockieren und damit doch noch zu irgendeiner Reaktion zu bewegen. Doch der Tote blieb stumm, gab kein Wort, kein Zeichen von sich, zeigte im Diesseits nicht, was er im Jenseits davon halten mochte. "Oder willst du mir damit vielleicht sagen, dass... also... dass dir das egal ist?" Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Dives trank noch einen Schluck Wein, bevor er einfach von seiner letzten These ausging.
"Jetzt verstehst du sicherlich auch, weshalb Caldus und ich uns immer so nah standen und weshalb ich nach dem Angriff auf meiner Person hier keine großen Ermittlungen habe einleiten können - ich WUSSTE, dass der Herennius dahinter steckte. Und er WUSSTE, was auch du jetzt weißt - und hätte damit meine Karriere zerstört im Zweifelsfall.", klärte er seinen alten Freund auf. "Und auch das Serapeium - du wirst sicherlich schon vor deinem Tod noch gesehen haben, dass dieses Projekt immer langsamer voran ging, bis jetzt nun endgültig der Bau erstmal auf unbestimmte Zeit eingestellt wurde..." Er seufzte. "Wo war ich?" Bei seinen langen Schachtelsätzen blickte er mit steigendem Weinpegel selbst irgendwann nicht mehr durch. "Genau, das Serapeium! Dahinter steckt auch so eine Geschichte, oder eigentlich viel mehr ein Mann. Ich bin mir sicher, dass du ihn kennst: Den ehemaligen Praetorianerpraefectus Decimus Serapio? Für seinen Schutz im Bürgerkrieg habe ich seinem Namenspatron Iuppiter Serapis versprochen und gelobt aus dem kleinen Sacellum hier einen großen Tempel für ihn machen zu lassen mit persönlich gesponsertem Standbild." Wieder seufzte er. "Aber das Standbild ist auch das einzige, was ich da bislang einlösen konnte. Und deshalb habe ich es eigentlich auch absolut verdient, dass Faustus... also Serapio nichts mehr von mir wissen will, seit..." Er stockte und überlegte. Vielleicht half ihn noch ein kleines Schlückchen Wein auf die Sprünge?
"Ach, ich weiß es doch auch nicht! Eigentlich hat er mich ja schon immer von sich gestoßen, seitdem wir uns kennen, wollte nie mehr als etwas Unverbindliches und hat mich sogar ausgelacht dafür, dass es mir da anders ging. Erst nach dem Bürgerkrieg dann, nachdem er sein Amt verloren hatte, nachdem sich viele von ihm abgewandt hatten, nachdem er sich selbst mit seinem Vater überworfen und dessen Casa verlassen hatte, erst da hat er behauptet, dass er anders empfinden würde. Erst als ich ihm erzählt habe, dass mich deine Cousine Fausta mit dem gleichen Wissen in eine Ehe gezwungen hat, mit dem mich auch schon der Herennius von den Ermittlungen damals abgehalten hat, erst als er Angst hatte GANZ alleine zu sein, erst da war ich plötzlich gut genug und besser als niemand, weißt du?" Das war die traurige Realität. "Und verbieten wollte er es mir sogar, dass ich deine Cousine heirate! Er wollte, dass - nachdem er ja schon alles verloren hatte - auch ich einfach alles aufgebe, damit wir gemeinsam zusammen mit nichts und aus dem Nichts irgendwo in der Ferne von ganz vorne beginnen - ohne unsere Verwandten und Freunde, die uns allesamt sicher verflucht hätten. Zurecht!"
"Dabei stand es nie zur Diskussion, dass ich als angehender Politiker nicht auch irgendwann einmal NATÜRLICH heiraten würde! Und deine Cousine... ich meine, sie hat mir sogar versprochen, dass sie einen Mann an meiner Seite tolerieren würde!" Kurz stockte er. "Ich meine... also... um... also um die Hochzeitsnacht... da bin ich jetzt nicht herum gekommen. Aber selbst da hätte sie ihn sicherlich dabei sein lassen! Weil... also... sie... sie hat extra einen anderen Faustus für mich besorgt, damit... naja, du weißt schon." In der Tat hatte der Iulier den richtigen Namen des Mannes bereits lange wieder vergessen. Schon dereinst war es für ihn nur der 'falsche Faustus' gewesen. Das hatte sich letztlich festgesetzt. "Und selbst dass sie ihn auf unserer Hochzeit so angefahren hat, kann ich irgendwie verstehen. Sie hätte bestimmt nicht so reagiert, wenn er nicht selbst da noch einmal versucht hätte, mich von der Hochzeit mit deiner Cousine abzubringen.", verteidigte er die Sergia mit müdem und traurigem Gesichtsausdruck.
"Aber trotzdem, weißt du... oder vielleicht auch gerade deshalb bin ich so niedergeschlagen, so fertig und bin es einfach alles so leid gerade. Ich frage mich die ganze Zeit, wie wohl mein Leben verlaufen wäre, wenn ich meinen Klienten Asinius an den Junikalenden damals nicht in die Casa Helvetia begleitet hätte. Ich hätte deine Cousine nicht kennengelernt, hätte mich nicht von ihr erpressbar gemacht, hätte mich nicht mit ihr verlobt und wäre jetzt vielleicht nicht mit ihr verheiratet. Vielleicht wäre es nicht zu ganz so großen Konfrontationen mit Faustus gekommen und wir wären jetzt beide glücklich." Die Möglichkeit bestand ja. "Oder wir wären zwar jetzt gerade mal eine Zeit lang glücklich, bevor er durch seinen inzwischen consularen Vater erneut zu Macht und Einfluss gekommen wäre - denn diese Chance besteht ja auch heute. Und dann, wenn er keine Angst mehr haben müsste, dass er allein sein muss, hätte er mich wie einen dampfend heißen Saturnalienapfel einfach fallen gelassen und mich noch viel mehr leiden lassen, als ich es jetzt bereits tue." Auch das war schließlich nicht ganz auszuschließen, nachdem Faustus selbst einst auf jenem einen Dach in Trans Tiberim in der trauten Zweisamkeit ausgerechnet von seinem Ex angefangen hatte zu sprechen. Vielleicht also hätte Faustus Dives da auch nur doppel benutzt - um erst nicht alleine zu sein und später dann seinen Ex, der ihm offenbar selbst in solchen Momenten noch im Kopf saß, eifersüchtig zu machen. Und sobald der Iulier nicht mehr gebracht wurde, wäre er als drittes Rad am Wagen achtlos über Bord geworfen worden.
"Und obwohl ich weiß, dass alles aus und vorbei ist, dass es keine gemeinsame Zukunft mit ihm geben wird, dass er jemand anderen suchen und finden wird... obwohl ich das weiß, kann ich nicht aufhören daran zu glauben und darauf zu hoffen, dass es eben doch noch eine Chance gibt, dass mir Serapis verzeiht, auf dass auch sein Schützling mir verzeihen und mich verstehen mag. Ich kann einfach nicht anders, als ständig an ihn zu denken und mir manchmal trotz aller Konsequenzen und trotz der Gefahr, dass er mich danach gebrochen hätte, sogar zu wünschen, dass ich deine Cousine nicht geheiratet hätte. Es... es zerreißt mich manchmal innerlich." Tränen stiegen ihm in die Augen bei seinen letzten Worten. Er versuchte römisch und stark zu bleiben, doch war einmal mehr nur schwach und gab nach. So sollte ihn Ocella nicht sehen! Drum drehte er dem Grabmal zunächst halb den Rücken zu, bevor er merkte, dass er zugleich auch anlehnungsbedürftig war. Kurz darauf fand er sich mit seinem Rücken an das Grabmal gelehnt wortwörtlich auf dem harten und kalten Boden der Tatsachen wieder. Er summte die Melodie eines Liedes und leerte dabei die letzten Reste des Weins. "... I can't take my mind off you ... I can't take my mind ... my mind ... my mind ... 'til I find somebody new." Seinen Trinkschlauch in der rechten Hand, die schlaff neben ihm auf dem Boden lag, fielen ihm letztlich noch immer weinerlich an das helvetische Grabmal gekauert die Augen zu...