Der wortkarge Gruß des Iuliers wurde ihm mit einer in ihrer Förmlichkeit ebenso distanzierten Begrüßung durch den Gardetribun vergolten. Einzig der Händedruck, der diese Distanz scheinbar zu überwinden suchte, passt nicht ganz in dieses Bild. Dives ließ ihn dennoch mit wortlos ernstem Blick über sich ergehen ließ. (Die decimische Hand fühlte sich dabei angenehm warm an - was im Umkehrschluss wohl nur heißen konnte, dass jene des iulischen Gastes in dieser ihm unangenehmen Umgebung ganz kalt und jedweder Wärme verlustig gegangen war.) Dives nickte und setzte sich auf den angebotenen Besucherplatz, während er hoffte, dass niemand von ihnen die offensichtliche Mauer aus Förmlichkeit und emotionalem Abstand derart zum Einsturz brachte, dass eine Reise durch emotionale Verletzungen genauso unumgänglich wäre wie ein Aussprechen des bisher lediglich unausgesprochenen Misstrauens, welches sich mindestens ein- wenn nicht gar beidseitig über die vergangenen Jahre entwickelt hatte.
Unter anderem deshalb hatte Dives auch seinen neuen Privatsekretär mit dabei, der sich in diesem Augenblick ebenfalls auf den ihm gewiesenen Platz setzte. Der Iulier hoffte, dass bereits der Fakt nie ganz allein zu sein unterstützte dabei, die Mauer zu halten - selbst in dieser unangenehm konfrontativen Situation.
"Gerne, danke.", nahm er anschließend aus Höflichkeit das Angebot einen Schluck zu trinken an, während er den innerlichen Entschluss fasste, auch nur höchstens genau dies zu tun: Maximal genau einen Schluck zu trinken. (Ob er diesen Vorsatz auch würde in die Tat umsetzen können, das selbstredend stand auf einem anderen Pergament. Doch er war nicht hier, um gemeinsam guten Wein zu trinken. Und er intendierte, einen solchen Eindruck entsprechend auch gar nicht erst aufkommen zu lassen.) Mit ernstem und konzentriertem Blick - obgleich im Zweifel auch Saras die eine oder andere Information als spätere Gedankenstütze festhielt - folgte der Senator anschließend weitestgehend reglos den Ausführungen des Gardetribuns.
"Ich verstehe.", kommentierte Dives lediglich die Schlussfolgerung des Decimers, dass nichts auf eine Fremdeinwirkung hindeutete. Den Gedanken, dass andererseits selbstredend gerade die Soldaten der Cohortes Praetoriae als Elite des Imperiums und persönliche Schutztruppe des Imperators wissen mussten, wie man Spuren legte oder umgekehrt beseitigte, ließ er bewusst unausgesprochen. Letztlich nämlich hätte er hier ohnehin keinerlei sonstige Möglichkeiten. Er könnte die Informationen, die man ihm anbot, entweder so hinnehmen oder er könnte sie offen in Zweifel ziehen und sich selbst damit von weiteren Informationen abschneiden. Eine andere Einheit würde in keinem der beiden Fälle irgendwelche unabhängigen Ermittlungen starten. - Kurzum: Etwaig kritische Gedanken waren in diesem Gespräch zweifellos fehl am Platz.
Soweit, so gewissermaßen fast schon erwartbar. Was nun jedoch folgte, war weit weniger zu erwarten gewesen... Dives beugte sich dem vormals zerknüllten Papyrus entgegen und strich es - ohne erkennbares Ergebnis - noch einmal etwas glatt, während er zu verstehen versuchte. Es sah aus wie ein Testament, wenngleich der Hinweis des Decimers, sein Onkel Labeo hätte erst vorgestern mutmaßlich den Vestatempel aufgesucht, selbstredend nahelegte, dass dieses Schriftstück hier lediglich ein Entwurf und keineswegs das hinterlegte Testament selbst wäre.
"Ich bitte dich, Feinde...", war der Senator in diesem Moment noch derart im Verarbeiten dieser letzten, gänzlich unerwarteten Information begriffen, dass er darüber seine eigene Wortkargheit, die ihn ganz gerne in besonders unangenehmen Situationen überfiel, vergaß. "Mein Onkel ist praktisch gerade erst quer durch das halbe Imperium gereist, nachdem er zuvor über Jahre in der Classis Britannica gedient hat. Was sollte er da nun binnen so kurzer Zeit für Feinde in der Urbs gefunden haben, die ihm nach dem Leben trachteten?!", sprach Dives also etwas offener. "Weder wäre mir also bekannt, dass er bedroht worden wäre, noch dass er einen Todeswunsch verspürte. Im Gegenteil saßen wir noch neulich zu zweit im Sacellum bei uns im Garten und er erzählte ganz frei und unbeschwert von piktischen Piraten, kalten Wintern und goldenem Bernstein. Er sprach von dem unbefriedigenden Gefühl, den Bürgerkrieg gewissermaßen 'tatenlos' nur hinter einem Schreibtisch erlebt zu haben. Und er erwähnte sogar, dass du - DU selbst - ihm die zuvor in Britannia verlorene Ambitio zurückgegeben hättest. Die Ambitio, nach all den Jahren ohne Beförderung wieder nach Höherem zu streben.", erzählte der Neffe vom Gespräch mit seinem Onkel. "Dabei erinnere ich mich noch an seine Worte, es gewiss ruhiger und gelassener angehen zu lassen als zu Beginn seiner Laufbahn. Aber sollte sich ihm die Möglichkeit bieten aufgrund seiner Leistungen seinem Vater gleich den Ritterring zu erhalten, so wollte er diesen ohne Zweifel erstreben.", fügte er zudem hinzu. "Klingt das für dich nach jemandem, der einen Todeswunsch verspürt? - Für mich tut es das nicht. Für mich klingt dies nach einem Mann mit Träumen und Zielen, mit jeder Menge Lebensmut!", fühlte er sich in diesem Moment beinahe, als würde und müsste er seinen Onkel verteidigen... verteidigen vor dem Vorwurf, sich möglicherweise mit irgendeinem Gift oder einer sonstigen Substanz selbst aus dem Leben befördert zu haben statt sich - wenn er seinem Leben denn wirklich ein Ende bereiten wollte - ehrenhaft in das eigene Schwert zu werfen. Doch nachdem sie an besagtem Abend im Hortus der Domus Iulia gar angestoßen hatten 'auf die Zeiten, die kommen' - auf die Zukunft also -, glaubte Dives im Traume nicht daran, dass sich sein Onkel hier selbst das Leben genommen hatte.
Die Frage nach einer Krankheit indes konnte der Iulier weit weniger entschieden bestreiten. Denn zwar war ihm selbst nichts über irgendwelche Krankheiten seines Onkels bekannt, doch kannte er diesen andererseits auch mitnichten gut genug, um deshalb mit letzter Sicherheit ausschließen zu können, dass er nicht dennoch irgendwie krank gewesen war. Das Papyrus auf dem Tisch - ein Testamentsentwurf, der erst vorgestern den Weg ins Atrium Vestae gefunden zu haben schien und damit wahrscheinlich keine 48 Stunden vor seinem Tod entstanden war - machte aus Sicht des Iuliers jedenfalls klar, dass sein Onkel keineswegs unerwartet aus dem Leben getreten war, sondern sich zumindest der akuten Möglichkeit seines Ablebens irgendwie bewusst gewesen zu sein schien. Sei es durch eine (für Dives noch immer unwahrscheinlich anmutende) Bedrohung durch irgendeinen Feind, der plötzlich einen frisch zur militärischen Elite versetzten Praetorianer ermordete. Sei es durch einen aus seiner Sicht gar noch viel unwahrscheinlicheren Todeswunsch, den sein Onkel womöglich verheimlicht hätte. Oder sei es durch das plötzliche Wissen um irgendeine akute Erkrankung, von der jedoch allem Anschein nach niemand etwas bemerkt hätte.
"Von irgendwelchen Krankheiten oder Gebrechen ist mir nichts bekannt.", beantwortete der Senator schlussendlich also auch die letzte Frage. "Wurde er denn vor seiner Versetzung nicht auf Herz und Nieren untersucht?", spielte er exakt diesen Ball dafür allerdings direkt zum Gardetribun zurück. Denn auch wenn er selbst kein Praetorianer war und daher nicht wusste, wie genau derartige Vorgänge im Innern der Einheit abliefen, ging er dennoch davon aus, das selbstredend nur die besten, verdientesten und fittesten Soldaten zu den Praetorianern versetzt wurden. Und in puncto Fitness hätten derart gravierende Mängel, so wollte Dives scheinen, ja eigentlich im Vorfeld der Versetzung auffallen müssen...