Tja, woher auch sollte Dives besseres Wissen besitzen, das seinen Mund verlassen könnte? Letztlich waren doch diverse Acta-Artikel genauso nur Informationen aus zweiter Hand, wie auch eine öffentliche Rede des Corneliers letztlich nicht mehr als dessen Worte waren. Insofern ja, konnte er nur die eine oder andere Propaganda nachplappern, konnte sich gegebenenfalls noch eine Version derer zurechtargumentieren, die der eigenen Wunschvorstellung zumindest in Teilen möglichst nahe kam. Mehr allerdings vermochte er heute genauso wenig zu entschlüsseln, wie er bereits vor mehreren Jahren nicht herauszufinden vermochte, ob ein gewisser Ulpius Probus noch lebte und wann und wie er, der sonst nach beiden Testamenten der rechtmäßige Augustus wäre, gegebenenfalls gestorben war. Was folglich blieb, war damit wohl nur der folgende einfache Satz: 'Götter, gebt mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.'
Bewusst hatte Dives davon gesprochen, dass Iuppiter Serapis 'nur' das Leben Faustus' und nicht Faustus selbst beschützt hatte. Denn wenn man wollte, dann konnte man zwischen beidem durchaus einen Unterschied machen, den Faustus in seiner aktuellen Situation jedoch scheinbar nicht sehen konnte oder wollte. Doch akzeptierte der Decemvir die wenig heiter lachende Reaktion des Decimers und fuhr einfach fort mit seinem Worten, bis ihm letztlich tatsächlich aktiv widersprochen wurde. Ob der vergleichsweise energischen Worte des sonst doch nicht mehr ganz so kräftig und energiegeladen wirkenden Geliebten in der Tat überrascht, zog der Iulier seine rechte Hand zurück und ergab sich sogleich mit beiden knapp über die eigenen Schultern erhobenen Händen. Er war schließlich nicht hier, um zu streiten.
"Der Ärger mit deinem Vater tut mir Leid.", erwiderte er nur halblaut und verkniff sich die Frage, wo Decimus Livianus denn war, als sich die Nachricht vom Tod des Valerianus verbreitete. Er unterdrückte die Erkundigung danach, wo Decimus Livianus war, als sein Sohn Faustus zum Praefectus Praetorio des Mannes ernannt worden war, wegen dem er also ins politische Exil gedrängt worden war. Und er ließ in der Folge auch den resultierenden Schluss unausgesprochen, dass Faustus' Vater vielleicht als erster und einziger im Senat betreffs des zweifellosen Scheusals Verantwortung hatte übernehmen wollen, es jedoch spätestens mit dem Tod des Valerianus und der Ernennung seines Sohnes zum neuen Praefectus Praetorio versäumte diesen Schritt zum entsprechenden Zeitpunkt auch tatsächlich zu gehen. Die Wirklichkeit war eben, wie beinahe immer, nicht schwarz und nicht weiß, sondern grau.
Nicht minder entschlossen wie sein Gegenüber blickte Dives diesen mit leicht zusammengekniffenen Augenbrauen an, während er getroffen von der soeben gehörten Unterstellung die richtigen Worte zu finden versuchte. Denn selbstverständlich war der Iulier - wie vermutlich jeder andere Mensch auch - grundsätzlich an der Wirklichkeit und Wahrheit interessiert. Mit halboffenem Mund dastehend und widersprechen wollend überlegte sich der Decemvir jedoch auch, dass er hier vor einem Gewissenskonflikt stand: Als Duumvir von Ostia hatte er im Bezug auf eingangs erwähnten Ulpier ganz bewusst verzichtet Faustus als Praetorianer mit Möglichkeiten darauf anzusprechen. Denn wie hätte es ausgesehen, wenn er erst mit ihm schlief, um wenig später einen Gefallen von ihm einzufordern? - Nein, er hatte sich nicht prostituieren wollen, war stets bemüht gewesen, Privates und Geschäftliches, wie man so schön sagte, von einander zu trennen. Und nun?
Nun wurde er, bevor er weiter denken konnte, gegriffen und erst durch ein Streicheln, das seinen entschlossenen Blick nur allzu schnell wieder erweichte und ihm ein Lächeln entlockte, abgelenkt. Im Anschluss führte Faustus ihn, der er sich selbstredend völlig widerstandslos führen ließ, zum Rand des Daches, wo Dives nach dem Decimer ankam, sich ganz dicht hinter ihn stellte, mit seinen Armen Faustus umfassend und mit seinen Händen die decimischen Äquivalente suchend, seine rechte Wange an die linke seines Vordermannes legend und auf die vielen Dächer der Ewigen Stadt schauend. "Es ist schön hier.", murmelte Dives. "Hier bei dir.", wiegte er sich leicht in dieser beinahe etwas schläfrigen Umarmung und versuchte den Ausblick zu genießen, während er überlegte, ob er vom einen unbequemen Thema nun durch Anschneiden des zweiten ablenken sollte. Doch da es ja fast schon eine Schande war in dieser Situation überhaupt an die Sergia denken zu müssen, entschied sich Dives einfach zu schweigen und die Nähe Faustus' nur stumm weiter auszukosten.