| Spurius Quinctius Rhetor
In der Tat las der Quinctier gerade sitzend einen Brief eines früheren Absolventen, als er von einem Bediensteren seiner flavischen Schüler über deren Eintreffen informiert wurde.
"Salve.", grüßte er zurück und legte das Schreiben mit ernstem Lächeln beiseite, bevor er sich die jüngst eingetretenen Lernwilligen kurz besah. "Das trifft sich insofern ganz gut, als dass ich gerade mit dem Unterricht beginnen wollte.", erklärte er dann vorwurfsfrei mit zufriedenem Lächeln. Denn selbstredend kamen die Flavier - egal wann sie hier erschienen - nie zu spät, wie sie in diesem Fall aber auch tatsächlich zur verabredeten Zeit hier eintrafen. So erhob sich Quinctius also kurz darauf, ging zwei Schritte und wartete mit einem strengen Blick zu seinen Schülern einen Moment lang darauf, dass jene, die dies noch nicht getan hatten, sich einen Platz suchten und ihrerseits ihre Aufmerksamkeit auf den Rhetor richteten.
"Salvete und willkommen - willkommen zu eurer ersten Lehrstunde in der Ars Oratoria, der Kunst der Rede und Theorie der Beredsamkeit. Mein Name ist Quinctius Rhetor und ich werde euch als euer Magister Dicendi in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten auf dem langen und steinigen Weg begleiten, der euch später dazu befähigen wird, dem Imperium erfolgreiche Geschäftsleute, wortgewandte Anwälte, mitreißende Feldherren und Legionslegaten und nicht zuletzt - diejenigen von euch mit den entsprechenden Voraussetzungen - auch überzeugende Senatspolitiker zu sein.", sprach Quinctius mit sonorer Stimme ruhig und fixierte insbesondere im Zuge seiner Aufzählungen in der Gesamtheit jeden seiner Schüler mindestens einmal ganz direkt. Nach einer kurzen Zäsur setzte er sich in Bewegung und schritt wachsam die vorderste der drei Sitzreihen ab, während er fortfuhr:
"Seid euch allerdings dessen bewusst, dass dies keineswegs ein Spaziergang wird", spielte er mit dem Bild, welches sich seinen Zuhörern folglich bot, "sondern harte Arbeit - harte Arbeit, die sich jedoch lohnt und bezahlt machen wird. Denn die Fähigkeit zum Halten einer guten Rede wird euch für den Rest eures Lebens stets abheben von den meisten anderen. Es macht euch einmal mehr zu einer ausgewählten Elite.", erreichte er das Ende der aus vier einzelnen Plätzen bestehenden Reihe und drehte sich um: "Doch damit zunächst genug der einleitenden Worte. Schreiten wir zur Tat!", ging er und nahm seine zuvor verlassene Position vor der Klasse wieder ein.
"Was bedeutet Rhetorik oder Ars Oratoria? Benannt nach ihrem Artifex, dem Orator - das heißt ihrem praktizierenden Künstler, dem Redner - ist es nach Fabius Quintilianus ganz weit gefasst die 'bene dicendi scentia', also das Wissen gut zu reden. Dabei, das sei an dieser Stelle bereits einmal erwähnt, ist mit gutem Reden sowohl das technisch gute Reden, das seinerseits noch einmal vom in erster Linie korrekten Reden, mit welchem sich die Grammatik beschäftigt, zu unterscheiden ist, gemeint, aber auf der anderen Seite auch das sittlich-moralisch gute Reden. Letzteres stellt vor allem eine Anforderung an den 'orator perfectus', den vollkommenen Redner, dar und geht auf die Verteidigung der Rhetorik gegen die Philosophie zurück." Hier machte Quinctius eine kurze Pause, um einerseits die langen Sätze einwirken zu lassen und andererseits das Ende der Definition zu betonen. Nach typischem Vorgehen der römischen Rhetoren ging es sodann weiter mit der immer feiner werdenden Unterteilung dieses einen Oberbegriffs, auf dass am Ende letztlich bildlich gesehen eine möglichst geschlossene Begriffspyramide entstand.
"Wir wollen im Folgenden nun der pseudo-ciceronischen 'Rhetorica ad Herennium' folgen und die Rhetorik betrachten unter den Einteilungsprinzipien der 'officia oratoris', der fünf Arbeitsgänge beim Herstellen einer Rede; der 'genera causarum', der drei Redegattungen nach Aristoteles; der 'partes orationis', der fünf einzelnen Redeteile; der 'status', der Statuslehre des Hermagoras; der 'virtutes dicendi', der Stilqualitäten; sowie der 'genera elocutionis', der drei Stilarten einer Rede. * Beginnen werden wir selbstverständlich mit dem Schema der 'officia oratoris'.", lächelte der Quinctier ernst und ließ ebenfalls eine kleine Pause folgen, um seinem Auditorium die Möglichkeit zu geben sich gegebenenfalls Notizen zu machen oder auch einfach nur besser mitdenken zu können.
"Die 'officia oratoris' umfassen nun also die fünf Arbeitsphasen, in welche die rhetorische Tradition die Herstellung einer Rede stereotyp gliedert. Diese einzelnen Produktionsstadien einer Rede lauten 'inventio', Stoffauffindung; 'dispositio', Stoffgliederung, 'elocutio', Stilisierung; 'memoria', Auswendiglernen; sowie 'pronuntiatio - actio', Vortrag.", fügte Rhetor erneut eine Zäsur an, welche der nicht nur dem Namen nach kleine Ollius Paulus, der hochnäsige Sohn eines vermutlich nicht minder eingebildeten Ritters, sogleich zu einer Wortmeldung nutzte:
"Magister Quinctius", begann er, nachdem er mit einer einfachen Geste zum Reden aufgefordert wurde, "du hast vorhin sechs Einteilungsprinzipien aufgezählt, eines davon die 'officia oratoris'. Müssen sich die anderen fünf nicht aber zwangsläufig auch hier einordnen lassen können, wenn es sich hier doch um die Entstehung der Rede vom Auffinden des Stoffs bis hin zum fertigen Vortrag handelt?", erkundigte sich der kleine Olli besserwisserisch.
"In der Tat ist dies durchaus möglich, indem man der 'inventio' die Lehren von den Redeteilen und den Status und mitunter auch die von den Redegattungen unterordnet, während man unter der Rubrik 'elocutio' sowohl die Stilqualitäten als auch die Stilarten fasst. Und aus genau diesem Grunde werden wir jene beiden Punkt an dieser Stelle auch nicht weiter vertiefen, sondern uns zunächst lediglich um die restlichen drei Arbeitsgänge kümmern.", antwortete Quinctius, während der kleine Olli kurz arrogant lächelnd zu seinen Nachbarn links und rechts von sich schaute.
Sim-Off:* Keine Sorge, ich werde hier bestimmt nicht alle Teile ausführlichst durchgehen. Aber ihr sollt ja wenigstens grob wissen, was der (gewöhnliche) Rhetorikunterricht so umfasste.