Es waren bereits einige Tage ins Land gegangen, seit der Iulier erfahren hatte, dass er von über vier Fünftel der Senatorenschaft Romas gewählt worden war und folglich zu jenen 20 Männern gehörte, die im kommenden Amtsjahr im Dienste der Ewigen Stadt das Vigintivirat bekleiden würden. Und während die erhabenen Senatoren dieser Tage vermutlich unter anderem über die genaue Zuteilung der Vigintiviri in die vier Kollegien befanden, freute sich Dives nicht nur, dass er das historisch beste Wahlergebnis der Iulii Caepiones - für das Vigintivirat genauso wie für die Gesamtheit aller Ämter des Cursus Honorum - eingefahren hatte und zudem sogar noch eines der in jüngerer Historie besten Ergebnisse eines Plebeiers bei Vigintiviratswahlen erlangte, sondern kümmerte sich überdies auch um entsprechende Opfergaben, die dem besten und größten Iuppiter angemessen wären.
So also traf der designierte Vigintivir oder Vigintivir designatus in der weißen Tracht eines Opfernden am frühen Morgen eines unbestimmten Tages zwischen seiner Wahl und seinem voraussichtlichen Amtsantritt am Capitolium der Urbs Aeterna ein, wo bereits ein an entsprechender Stelle angebundener wenigstens äußerlich fleckenlos weißer Ochse hübsch mit dorsule geschmückt auf seine Ankunft wartete. Dem höchsten der Götter würde vermutlich auffallen, dass eines der letzten Opfer des Iuliers an ihn die doppelte Zahl an Rindern das Leben gekostet hatte. Doch so schwer wie das Ende des Bürgerkriegs die iulische Gens getroffen hatte, war abzüglich der Wahlkampfkosten, der nötigen Einsparungen für eine Renovierung der Casa Iulia, sowie nicht zuletzt natürlich auch der Ausgaben für eine gewisse, eigentlich ungewollte Hochzeit ein zweiter Ochse einfach nicht drin gewesen. Dafür, bildete sich Dives ein, waren die im Wind leicht tanzenden weißen und roten infulae mit vittae besonders chic, während die dünn vergoldeten Hörner im Licht der aufgehenden Sonne ganz besonders goldig funkelten und blitzten.
Der Vigintivir designatus stieg die Stufen zum Tempelinneren empor, während zwei iulische Sklaven auf den etwas benebelten Ochsen Acht gaben. Bevor Dives jedoch in den Tempel trat, bedeckte er zunächst sein Haupt mit einem Teil seiner strahlend weißen Toga und vollzog die symbolische Reinigung am Wasserbecken:
"Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es."
Hernach betrat der Iulier das Innere des Heiligtums, bevor ihm einen Augenblick später zwei weitere seiner Sklaven beladen mit den Opfergaben für das unblutige Voropfer folgten. Er schritt andächtig zum Altar in der mittleren Cella, wo das Opferfeuer brannte und sich nur unweit davon auch das aus Gold und Elfenbein gefertigte Kultbild des triumphalen Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus vor ihm erhob. Noch einmal prüfte Dives den korrekten Sitz seiner Kopfbedeckung, bevor er die Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in die Höhe streckte und sprach:
"Ianus, Gott des Wandels, der du gleichsam am Anfang und Ende aller Dinge stehst! Gott der Götter, der du wachst über die himmlischen Tore! Gott des Übergangs! Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir diesen Weihrauch zum Geschenk machen! Bitte nimm dieses Opfer an und lass mich damit ein gutes Gebet sprechen!"
Unterdessen opferte er den ihm von einem seiner Sklaven gereichten Weihrauch, sodass sich ein wohlriechender Nebel ausbreitete. Abschließend wandte er sich nach rechts, womit dieses Gebet beendet war. Damit sollte durch Ianus die Verbindung mit Iuppiter hergestellt werden können. Nun könnte also das eigentliche Voropfer folgen, wofür Dives sich die weiteren gut vorbereiteten Opfergaben reichen ließ. Er nahm jede einzelne Gabe und streckte sie geduldig, eine nach der anderen dem Gott entgegen, sodass jener auch genau sehen könnte, was geopfert werden sollte. Anschließend legte er sie am Altar ab: weiße Dianthus-Blumen (denn was wäre wohl passender für Iuppiter als Zeus-Blumen?), einige duftende Kräuter, frisches Obst und einen Krug Wein, der in eine entsprechende Öffnung gegossen wurde.
Es folgte das erste Gebet zu Iuppiter. Dazu streckte der Iulier abermals beide Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in die Höhe und sprach:
"Iuppiter Optimus Maximus, höchster aller Götter und Herr des Himmels! Schwurgott und Gott der Blitze, dem alle Vögel heilig sind und der den Vogelflug lenkt! Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir mit diesen Opfergaben meine tiefe Ergebenheit zeigen! Danken möchte ich dir damit für die so überaus erfolgreich gewonnene Wahl zum Vigintivir der Urbs Aeterna! Ich danke für deinen Beistand!"
Zum Abschluss dieses Dankesgebetes an Iuppiter wandte er sich nun traditionsgemäß zur rechten Seite um. Damit war das Voropfer vollendet und Dives ging mit einem guten Gefühl würdevoll wieder nach draußen und dort die Stufen hinab, um mit dem blutigen Hauptopfer auch den wichtigsten Teil der Opferzeremonie zu vollführen. Noch immer stand dafür der schneeweiße Ochse an seinem Platz und sah mit leerem Blick stumm auf den Boden vor sich.
Da sich zu dieser Zeit des Tages die Zahl der hier oben auf dem Mons Capitolinus Anwesenden in durchaus überschaubaren Grenzen hielt, konnte Dives getrost auf Musikanten oder einen 'Favete linguis!' rufenden Herold verzichten. Wer dem Opfer zuschauend beiwohnte, wurde allerdings ganz selbstverständlich den Sitten und Bräuchen gemäß etwas mit Wasser besprengt und dadurch symbolisch gereinigt, während der Iulier sich zwei Schritte vor dem Ochsen stehend zum Tempel umwandte. Er blickte die Stufen hinauf zur mit Goldplatten verzierten Eingangstür und hernach weiter hinauf bis in den unendlichen Himmel über dem mit goldenen Schindeln gedeckten Tempeldach. Dann erhob er seine Hände mit abermals nach oben zeigenden Handflächen und sprach:
"Iuppiter Optimus Maximus, höchster aller Götter und Herr des Himmels! Schwurgott und Gott der Blitze, dem alle Vögel heilig sind und der den Vogelflug lenkt! Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, danke dir nochmals für deinen Beistand und deine Hilfe, die mich von der Curia Ostiensis nun erfolgreich in die ersten Schritte der stadtrömischen Politik führten! Daher möchte ich dir nun diesen mit Argusaugen ausgesuchten blütenweißen Ochsen zum Geschenk machen!
Und damit möchte ich dich auch bitten, mich trotz oder vielleicht gerade wegen der auf mir und meiner Gens lastenden Vergangenheit auch weiterhin gut auf meinem Weg in die Politik zu unterstützen! Denn nur so vermag ich dem Augustus, vermag ich Roma und vermag ich nicht zuletzt auch dir, mächtiger Iuppiter, optimal dienen zu können! Davon bin ich überzeugt. Und dann will ich auch für die Zukunft geloben, dir weitere große und prächtige Opfer darzubringen! Do ut des."
Mit einer Wendung nach rechts symbolisierte der designierte Vigintivir, dass er sein Gebet gesprochen hatte und sogleich wurde ihm eine Schüssel zum erneuten Waschen seiner Hände gereicht, die er anschließend mit einem weißen Tuch, dem mallium latum, abtrocknete. Unterdessen schmückten die beiden Sklaven, die zuvor auf das Opfertier Acht gegeben hatten, ebenjenes sorgfältig ab, während die beiden anderen, die das Tragen der Opfergaben des Voropfers übernahmen, das Tier mit der mola salsa bestrichen.
Dann bekam der Iulier das das Opfermesser gereicht, mit welchem er nun langsam dem noch immer etwas duseligen Tier scheinbar von Kopf bis Schwanz strich, bei genauerer Betrachtung die Klinge jedoch nur knapp über dem weißen Fell führte. Denn natürlich war die weiße Färbung hier noch mit ein wenig Kreide dezent bekräftigt worden. Nach Abschluss dieses Vorgangs übergab Dives das Opfermesser dem cultrarius, woraufhin der victimarius mit dem Hammer in der Hand ihm die Frage der Fragen stellte: "Agone?" - "Age!", antwortete der Vigintivir designatus mit fester Stimme.
ZACK! - ZACK!
So fand erst der Hammer in routiniertem Bogen den Weg auf den Kopf des Ochsen, bevor keinen ganzen Wimpernschlag später die Halsschlagader des Tieres gezweiteilt wurde. Kraftlos und bis auf das Geräusch, welches das tote Fleisch beim Aufprall auf den Boden machte, auch ganz lautlos sackte das Opfertier in sich zusammen und fand ein jähes Ende. Sogleich eilten einige Opferdiener herbei, um einen Teil des reichlichen Blutes - ein gutes Omen (!) - in paterae aufzufangen.
Und während hernach der Bauchraum des leblosen Ochsen vorsichtig geöffnet wurde, um die Eingeweide zu entnehmen und in einzelne paterae zu legen, kontrollierte Dives also erst einmal, dass er auch ja nicht mehr als nur einige Spritzer des roten Lebenssaftes abbekommen hatte. Es bestand ja schließlich die nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit, dass er hier gleich auch noch auf Lepidus treffen würde. Da müsste er ja gut aussehen, selbst wenn sich der Patrizier in diesem Fall vermutlich erst einmal darüber beschweren würde, dass sich der Iulier nicht persönlich im Vorfeld bei ihm gemeldet hatte. Aber so war das eben, wenn man manch organisatorische Aufgaben einfach delegierte und gewohnheitsmäßig (denn in Ostia dienten am Capitolium ja andere Aeditui) keinen weiteren Kommentar zu derlei Details abgab.
Wie dem aber auch wäre, so begann nun erst einmal die Eingeweideschau. Würden die Organe des Ochsen nun also vom Erfolg dieses großen blutigen Opfers zeugen? Vorsichtig begann der Iulier das Herz als erstes und wichtigstes Organ abzutasten und zu untersuchen...
Sim-Off:Mein rechter, rechter Platz ist leer; ich wünsche mit Iuppiter her.