'Offensichtlich', verkniff sich Dives das Aussprechen eines Kommentars und dachte diesen stattdessen nur. Dass dieser licinische Consular folglich offenbar mehr als nur eine Tochter besaß, war dabei durchaus ein Fakt, den der Iulier so zuvor nicht kannte. Doch musste man - ob man nun auf das weibliche Geschlecht abfuhr oder nicht - alle Töchter der wichtigsten gewesenen Consuln auswendig kennen? Und falls ja, hätte der Name Licinia Octavia, Tochter des sogar gewesenen Censors (!) Anton, dem Vinicier nicht im Gegenzug auch ein Begriff sein müssen? Andererseits: Anton war bereits seit geraumter Zeit tot, wie mittlerweile auch Dives' Mutter, während sich der licinische Consular und seine Tochter - nach allem, was der Iulier so hatte hören können - noch unter den Lebenden befanden. Zwei nicht ganz leicht zu beantwortende Fragen also...
Dann aber bekam der Duumviralicius die erlösende Antwort dem Vinicier als Klient durchaus willkommen zu sein!
"Ich versichere dir, Consular, dass ich den Einsatz meines Patrons für meine Person niemals vergesse und ihm auch in schweren Zeiten treu zur Seite stehen will und werde.", erklärte Dives vielleicht etwas überschwenglich, aber deshalb trotzdem nicht weniger ehrlich. Denn bei aller Kritik, die momentan die Gens Iulia treffen mochte, konnte und musste man wohl festhalten, dass die Mitglieder dieser Gens ihr Verhältnis zu ihren Patronen selbst in dunkelster Zeit stets nach Kräften hochhielten. So widerstanden mit Centho, Proximus und Antoninus gleich drei mehr oder weniger namhafte Iulier selbst der persönlichen Aufforderung des Vesculariers (von der Dives so explizit jedoch in keinem der Fälle wusste) sich von ihren teils proskribierten Patronen zu lösen! Eine derartige Treue zu den eigenen Patronen konnte wahrlich nicht jede Gens von sich behaupten.
Doch apropos Treue und das Vermeiden von Enttäuschungen: Gerade diese Stichworte des Hausherrn mahnten den Iulier unbedingt noch in diesem ersten Gespräch auch seine verwandtschaftlichen Verbindungen mütterlicherseits eigeninitiativ offenzulegen. Andernfalls nämlich befürchtete er durchaus nicht wenig Gefahr zu laufen, dass man ihm das Vorenthalten dieser vergleichsweise leicht zu beschaffenden Informationen als Hintergehen des Viniciers auslegen und jener ihm seinen Schutz und seine Unterstützung als Patron doch recht schnell wieder entziehen könnte. 'Verdammter Hochverratsprozess gegen Vinicius Lucianus, in den Onkel Victor da als Ankläger UND Vescularier-Klient verwickelt war!', denn derlei hatte sich auch bis zu Dives herumgesprochen.
"Wie bereits kurz angedeutet wäre mein nächstes Ziel als dein Klient meine Aufnahme in das stadtrömische Collegium Septemvirorum. Da ich dafür eine Empfehlung meines Cousins Senator Iulius Centho kaum nutzen können werde und ich die Hilfe sowie überhaupt den Kontakt zu meinem Onkel Octavius Victor seit seinem VERRAT an ROMA auch gar nicht haben WILL, wäre ich dankbar, wenn du - als mein Patron - mir vielleicht ein paar unterstützende Worte auf einer Tabula mitgeben könntest.", versuchte sich der gewesene Duumvir möglichst vorsichtig und halbwegs heil durch das schwierige Gewässer zu manövrieren. Damit nun war dieser Punkt erst einmal offengelegt. Jetzt müsste die Reaktion des Viniciers zeigen, ob der nach der Quasi-Zustimmung zu den 'inneren Werten' des Iuliers gewillt sein würde über den äußeren Makel dieser octavischen Verwandtschaft hinwegzusehen und Dives trotzdem als Klienten aufzunehmen. Immerhin konnte man sich die eigenen Verwandten in aller Regel nicht aussuchen - ganz im Gegensatz zu seinen Klienten. Und der Duumviralicius besaß keinerlei Informationen und noch nicht einmal einen Verdacht in dieser Richtung, aber schmorte nicht mit dem (ehemaligen) Praefectus Praetorio dieser Tage sogar ein 'Klientenklient' des Vinicius Hungaricus in den Castra Praetoria..?
Ja, mehr als das Herausrücken mit der Halbwahrheit möglichst lange hinauszuzögern hatte der Iulier hier kaum tun können, wollte er nicht in wenigen Tagen oder Wochen den Zorn des Consulars aufgrund eines Vertrauensbruchs auf sich gezogen haben. Nur die Halbwahrheit? - In der Tat. Denn zwar war Dives weniger als glücklich über die diversen Verwicklungen seines octavischen Onkels Victor, wie auch seines octavischen Cousins Macer in die vescularischen Machenschaften. Letzterer hatte den Fettwanst zum Stadtpatron von Ostia gemacht, während ersterer sich gar gleich selbst verkauft hatte - beides Dinge, die sich Dives nach seinen zwei Begegnungen mit dem crassissimus beim besten Willen kaum erklären konnte. Doch andererseits war der Iulier hauptsächlich bei seiner Mutter, einer Octavia, aufgewachsen und fühlte sich folglich an irgendeinem Punkt auch dieser Verwandtschaft verpflichtet. Nur deshalb hatte er jüngst Sedulus gebeten nach Victor zu sehen - eine Bitte, der der Germanicer sogar nachgekommen war, wie Dives jedoch noch nicht wusste...