Beiträge von Petronia Octavena

    In einem Moment waren Octavena und Adalheidis noch fröhlich am Reden, im nächsten verstummte die Germanin abrupt. Stirnrunzelnd wandte Octavena sich um, nur um zu sehen, wie sich Adalheidis über ein blutiges Bündel - einen Vogel? - beugte und mit einem Mal einen untypisch grimmigen Gesichtsausdruck annahm und verkündete, dass sie gehen musste.

    "Aber ... Was-", setzte Octavena noch an, doch verstummte noch im selben Moment wieder als sie die Entschlossenheit im Blick der anderen Frau erkannte. Es ergab keinen Sinn, denn eigentlich war Adalheidis doch gerade erst angekommen und Ildrun und Farold hatten gerade erst begonnen, sich der alten Frau und ihrer freundlich-bestimmten Art zu öffnen, aber Octavena spürte dennoch vage, dass was auch immer es war, das die andere nun wieder fortzog, zu wichtig war, um sie zum Bleiben zu bewegen. "Leb wohl", sagte sie stattdessen leise und nickte knapp. "Ich wünsche dir eine sichere Reise, vielleicht kreuzen sich unsere Wege eines Tages wieder."

    Damit ließ Octavena Adalheidis ziehen und wandte sich schweren Herzens wieder ihren eigenen Problemen zu, die sie nun wieder allein zu bewältigen hatte.

    Ein amüsiertes Lächeln huschte über Octavenas Züge und sie stemmte eine Hand in die Seite, nun doch auch etwas neugierig über das Anliegen des Fremden. "Es ist natürlich schön, dass unser guter Ruf bis nach Rom reicht", erwiderte sie dann und verkniff sich die Bemerkung, dass sie trotz allem nicht erwartet hätte, dass den Ducciern und ihrem Stammsitz ausgerechnet ein Ruf als Bauern bis nach Rom vorauseilte. "Aber unter den Familienangehörigen hier wirst du wohl im Moment niemanden finden, der dir weiterhelfen kann. Hier leben von der Familie im Moment nur Duccia Venusia, meine Kinder und ich. Aber du kannst drüben bei den Weiden gerne einmal rumfragen, da solltest du jemanden für dein Anliegen finden. Such am besten nach Gerolf. Und sag ihm ruhig, dass ich dich geschickt habe." Sie war gedanklich schon wieder fast zurück auf ihrem Weg nach drinnen, hielt dann aber noch im selben Moment wieder inne, als ihr ein weiterer Gedanke kam. "Helvetius ist dein Name sagtest du? Bist du dann ein Verwandter von Helvetius Curio und seinem Bruder? Oder was hat dich von Rom ausgerechnet nach Mogontiacum verschlagen?"

    Octavena lächelte schief angesichts von Adalheidis' Bemerkung über Ildrun und nickte. "Sie hat mehr von mir als sie sieht oder jemals zugeben würde", erwiderte sie zustimmend mit einem leicht amüsierten Unterton. "Und ich war einmal genauso wie sie jetzt, auch wenn ich damals ein paar Jahre älter war." Dass auch bei ihr der Tod eines Elternteils das Verhältnis zum anderen verkompliziert hatte, verschwiegen sie allerdings. "Aber der Leim für Farold ist eine sehr gute Idee. Wahrscheinlich bereue ich das, sobald er damit irgendetwas zusammenklebt, was er nicht zusammenkleben sollte, aber ich bin froh, dass er in letzter Zeit so viel bastelt. Er hat ganz offensichtlich Spaß daran."


    Als Antwort auf Adalheidis' Vorschläge für das Gartenfest nickte Octavena dann anerkennend. "Der Speiseplan steht noch nicht, aber deine Vorschläge klingen gut. Und du wirst sowieso auch viel mit den Vorbereitungen zu tun haben, da ist es nur sinnvoll, wenn du bei der Planung mithilfst." Sie begann, über den Markt zu schlendern und ließ dabei ihren Blick über die Stände und Waren gleiten, an denen sie vorbeigingen. "Eigentlich ist es ja nichts unglaublich Besonderes, aber es wird schön sein, mal wieder das Haus - oder viel mehr den Garten - voller Gäste zu haben. Das letzte Mal ist länger her als ich es mir gewünscht hätte." Sie seufzte etwas melancholisch und bog dann zwischen zwei Marktständen ab, als sie den Stand mit dem Olivenöl entdeckte, das Adalheidis erwähnt hatte. "Und? Hast du dich gut in den Haushalt einfinden können? Ich weiß, es ist nicht immer einfach, in der Villa zu arbeiten, so hektisch wie es trotz allem an manchen Tagen dort zugehen kann, aber ich hoffe du bist trotzdem zufrieden bisher. Farold schwärmt jedenfalls noch immer von dem Schiffchen, das du mit ihm gebastelt hast."

    Die junge Frau runzelte überrascht die Stirn. "Ich nehme an, du könntest mit ein paar der Angestellten hier reden. Der eine oder andere kann sicher ein paar deiner Fragen beantworten", begann sie zögerlich und warf einen etwas unsicheren Blick in Richtung des Wohnhauses. "Aber ich denke, da solltest du zuerst eine der Damen des Hauses um Erlaubnis fragen." Sie deutete vage in die Richtung hinter sich. "Eine der beiden müsste-"

    "Ilda!", ertönte es da deutlich, wenn auch noch nicht richtig unfreundlich vom Weg zum Haus und im nächsten Moment kam Octavena selbst in Richtung des Torhauses geschritten. "Wo bleibst du? Du wirst in der Küche gebraucht!" Sie verlangsamte ihre Schritte, als sie den Fremden entdeckte und hob fragend die Brauen.

    "Petronia, das ist Tiberius Helvetius Faustus, er würde gerne mit ein paar der Angestellten über ... Landwirtschaft sprechen", beeilte sich Ilda die Anwesenheit des Fremden zu erklären, offensichtlich noch immer etwas verwirrt von seiner Frage. "Helvetius, das ist Petronia Octavena, die Hausherrin."

    "Salve." Octavena nickte in Richtung des Neuankömmlings und wandte sich dann noch einmal kurz Ilda zu. "Ich kümmere mich hierum, geh' du zurück in die Küche, die anderen brauchen deine Hilfe." Die junge Frau nickte eilig und während sie sich auf den Weg zurück zum Haus machte, wandte sich Octavena nun mit meinem höflichen Lächeln dem Mann vor sich zu. "Entschuldige. Eine unserer Mägde ist krank und deshalb fehlt uns heute ein Paar Hände, das macht im Moment einiges etwas hektisch." Sie sah ihn fragend an. "Habe ich das richtig verstanden? Du bist hier, weil du gerne mit ein paar unserer Angestellten über Landwirtschaft sprechen würdest?"

    Das Torhaus selbst war um diese Jahreszeit tatsächlich eher sporadisch besetzt und auch an diesem Tag saß niemand im Tor selbst, in erster Linie, weil es nicht direkt nötig gewesen wäre. Wenn jemand das Gelände der Villa Duccia betrat, musste er - selbst wenn nicht vorher schon die beiden großen, schwarzen Wachhunde auf ihn aufmerksam machten - schließlich sowieso erst einmal ein Stück den Weg vom Tor bis zum Haupthaus entlang gehen, wo sich zu dieser Jahreszeit ständig irgendwer herumtrieb. Und so lief auch in dem Moment, als der Fremde sich dem Tor näherte, gerade eine junge Frau mit einem leeren Eimer, in dem bis eben noch Futter für die Hunde gewesen war, am Eingang vorbei und hielt inne, als sie den Neuankömmling sah. "Salve", begrüßte sie ihn dann freundlich, als er näher kam und blickte ihn fragend an. "Kann ich dir helfen? Bist du hier, um jemanden zu besuchen?"

    Es war ein angenehm warmer, aber nicht zu heißer Sommertag, an dem Octavena sich wieder einmal auf den Weg in die Stadt und aufs Forum machte. Das allein war nichts Ungewöhnliches, sie mochte schließlich diese regelmäßigen Marktbesuche, das hatte sie schon getan als sie noch bei ihrem Onkel gelebt hatte. Doch heute hatte sie sich das erste Mal auf den Weg gemacht seit sie einerseits gemeinsam mit Venusia beschlossen hatte, demnächst einmal ein Fest in der Villa Duccia zu veranstalten, und seit sie andererseits Adalheidis eingestellt hatte. Beides waren gute Entwicklungen gewesen, besonders weil Octavena langsam spürte, dass sie sich unter anderem auf diesem Weg die Kontrolle über das Chaos zurückeroberte, das der Tod ihres Mannes in ihr Leben gerissen hatte. Nicht, dass ihre Probleme plötzlich verschwunden wären, ganz im Gegenteil. Gerade das Verhältnis zu ihrer Tochter war nach wie vor kompliziert, aber Octavena hatte dennoch auch das Gefühl, nicht mehr so allein mit ihren Problemen zu sein wie noch vor ein paar Wochen und so hatte sie sich nun vorgenommen, diese Energie vernünftig zu nutzen und sich voll in die Vorbereitungen für die Idee mit dem Gartenfest zu stürzen.


    "Dann wollen wir doch mal sehen", murmelte sie halb zu sich selbst, halb zu Adalheidis, die sie gebeten hatte, sie heute zu begleiten, als die beiden Frauen das Forum betraten. "Wir müssen zum Tuchhändler und uns ein paar Stoffe ansehen, um zu entscheiden, welcher am besten geeignet ist, um ihn für zusätzlichen Schatten zwischen den Bäumen im Garten zu spannen. Dann müssen wir ein paar Vorräte besorgen und wenn wir ohnehin hier sind, können wir auch kurz beim Goldschmied vorbeigehen, der sollte eine meiner Ketten reparieren und müsste damit inzwischen auch fertig sein. Ach, und wir dürfen nicht vergessen, ein paar von diesen Honigkuchen zu besorgen, die Ildrun so gern hat." Octavena lächelte kurz ein wenig selbstironisch und fuhr in einem ähnlich unbeschwerten Tonfall fort, um deutlich zu machen, dass sie ihre Worte nicht so schwer meinte wie sie sonst wahrscheinlich geklungen hätten. "Vielleicht bekommt sie davon ja mal wenigstens kurz gute Laune, selbst wenn ich gerade mit im Raum bin."

    Nachdem Octavena zuerst auf Umwegen den Bescheid über das Erbe ihres Mannes bekommen und im Anschluss ihre Antwort verfasst hatte, tauchte am nächsten Morgen ein Bote aus der Villa Duccia in der Poststelle in der Stadt auf, um das Schreiben auf den Weg zu bringen.


    "Salve, das hier muss einmal schleunigst nach Rom."


    Ad:

    Titus Caecilius Celer

    Basilica Ulpia, Officii Decimv. Lit. Iud., Roma, Italia


    Petronia Octavena Tito Caecilio Celeri salutem dicit.


    Zunächst einmal danke ich dir für deine freundlichen Worte zum Tod meines Mannes sowie deine Mühen bezüglich seines Erbes. Doch auch wenn es wahrlich keine einfachen Tage für meine Familie sind, so muss es doch für alle weitergehen. In diesem Sinne möchte ich dir mitteilen, dass ich das Erbe meines Mannes antreten werde.


    Vale bene,

    Petronia Octavena

    Ein paar Tage nachdem ein Bote mit einem Brief zuerst in der Casa Petronia eingetroffen war, fand dieser Brief nun auch seinen Weg zu Octavena in die Villa Duccia. Sie hatte sich zuerst nichts dabei gedacht und hatte begonnen, den Brief einfach so zwischen Tür und Angel zu lesen, doch kaum, dass ihr klar wurde, worum sich sein Inhalt drehte, erstarrte sie und starrte einen Moment lang nur stumm auf das Schriftstück in ihren Händen. Witjons Erbe. Natürlich. Sie war sich nicht sicher, warum sie sich das nicht vorher schon gedacht hatte, aber irgendwie traf sie die Tatsache, dass sie nun auch offiziell aufgefordert wurde, zu entscheiden, ob sie das Erbe ihres Mannes antreten wollte, auf eine Weise, die sie so nicht hatte kommen sehen. Nicht, dass seine Abwesenheit in der Villa nicht in jedem Fall jeden Tag nur allzu spürbar war. Aber wenn selbst die Mühlen der Verwaltung in Rom sich inzwischen darum kümmerten, das Ableben ihres Mannes finanziell und rechtlich abzuwickeln, dann hatte das noch einmal eine ganz eigene Endgültigkeit, die auf ihre Weise schmerzte.


    Natürlich war es in der Sache keine Frage. Octavena würde dieses Erbe antreten, schließlich ging es hier auch um ihr Auskommen und das Erbe ihrer Kinder. Also setzte sie sich hin und schrieb ihre Antwort.

    Octavena nickte zustimmend bei Venusias Vorschlägen und ehe sie es verhindern konnte kroch ein kleines Lächeln über ihre Lippen bei dem Vorschlag mit den Speisen aus Hispania. Manchmal hatte sie das Gefühl, inzwischen so lange Tarraco und ihre Vergangenheit dort hinter sich gelassen zu haben, dass auch die meisten Leute um sie herum vergessen hatten, dass sie nicht schon immer in Germanien gelebt hatte. "Das ist eine sehr schöne Idee", sagte Octavena dann und erwiderte Venusias Lächeln. "Ich überlege mir da etwas Passendes. Und sobald die Gästeliste halbwegs steht werden wir wahrscheinlich sowieso noch einmal über die genaue Speiseauswahl und die Mengen reden müssen, aber das hat erstmal noch Zeit." Sie erhob sich von ihrem Platz und strich sich ihre Tunika glatt. "Jedenfalls bin ich froh, deine Hilfe dabei zu haben. Das wird trotz allem sicher keine ... vollkommen einfache Sache. Für uns alle. Es ist gut, dass wir zusammenhalten." Ihr Blick glitt zurück zum Haus und sie grinste ein wenig. "Hast du noch etwas, das wir besprechen sollten? Sonst gehe ich nämlich mal wieder nach drinnen und schaue, welche Flausen meine Kinder wahrscheinlich schon wieder im Sinn haben."

    Während Farold noch immer vor allem begeistert über seinen Sieg war, gab Ildrun sich weiter reserviert und etwas gelangweilt, auch wenn seine Begeisterung eigentlich ansteckend war. Sie rollte mit den Augen, ganz darauf bedacht, ruhig und erwachsen im Vergleich zu ihrem kleinen Bruder zu sein, und drehte sich um, um wieder zurück in Richtung des Hauses und der Küche dort zu stapfen.

    "Ich habe heute Morgen einen Korb Blaubeeren in der Küche gesehen", sagte sie dabei und antwortete damit für Farold auf die Frage nach den Früchten. "Davon müssten noch welche da sein." Sie streckte ihren Rücken durch und sah zu Adalheidis hinüber. "Und ich kann dir zeigen, wo du die anderen Zutaten findest."

    Octavena atmete erleichtert aus, als Venusia ohne Zögern ihre Unterstützung signalisierte. Es war albern und sie hatte eigentlich keinen Grund gehabt, etwas anderes zu erwarten, doch der Gedanke, diese Sorge - so absurd sie auch sein mochte - jetzt auch los zu sein, beruhigte sie doch mehr als sie erwartet hätte. Die letzten Wochen und Monate saßen ihr einfach noch immer tief in den Knochen, ob es ihr gefiel oder nicht. Und Venusia hatte Recht: Spott würde es sowieso früher oder später genug über ihre Lage geben, wenigstens hinter vorgehaltener Hand. Umso wichtiger, dass sie zusammenarbeiteten.


    "Ich danke dir", erwiderte sie schließlich und meinte es so. "Ich hätte zwar auch nicht erwartet, dass wir uns ausgerechnet jetzt plötzlich über diese Dinge streiten, aber ich wollte es trotzdem angesprochen haben, damit wir beide auch wirklich wissen, wo wir stehen. Und entschuldige, falls ich dich damit angegriffen haben sollte, ich wollte dir nie unterstellen, dass du meinen Kindern ihr Erbe streitig machen könntest, ich hoffe das wirkte auch nicht so." Sie seufzte. "Ich weiß, dass du hier genauso zu Hause bist wie meine Kinder. In gewisser Weise gilt das sogar für mich. Das will ich dir umgekehrt genauso wenig nehmen." Mit einem kleinen Lächeln streckte sie wieder den Rücken durch und sah die andere Frau direkt an. "Aber ich bin wirklich froh, dass wir da auf einer Linie sind. Wie du sagst, Spott wird es so schon genug geben, da ist es nur gut, wenn wir uns nicht auch noch gegenseitig Steine in den Weg legen."


    Einen Moment lang lehnte Octavena sich zurück und nippte kurz an ihrem Saft. "Um damit noch einmal auf das Fest zurückzukommen: Ich würde das gerne als Gelegenheit nutzen, um Freunde und Bekannte aus der Stadt einzuladen, aber wenn dir noch jemand einfällt, den ich nicht ohnehin auf meine Liste setze, gib gerne Bescheid. Ich habe in letzter Zeit meine eigenen Kontakte in der Stadt etwas vernachlässigt, das soll sich wieder ändern." Octavena hielt kurz inne und dachte nach, um im Kopf durchgehen zu können, woran sie außerdem noch zu denken hatten. "Außerdem werden wir uns überlegen müssen, was wir zu essen und zu trinken anbieten wollen und was als Unterhaltung für die Gäste infrage kommt." Sie hatte den Saft beiseite gestellt und zählte nun die Punkte an ihren Fingern mit. "Oh, und die Stoffbahnen für zusätzlichen Schatten sind eine wunderbare Idee. Dazu werde ich demnächst in die Stadt müssen, um etwas Passendes auszusuchen. Bei der Gelegenheit kann ich mich auch direkt noch nach allem anderen umsehen, was wir vielleicht noch brauchen."

    Sie merkte es kaum, aber ihre Gedanken wanderten ganz automatisch wieder entlang inzwischen recht vertrauten, planenden Bahnen. Zum ersten Mal seit Monaten war Octavena wieder wirklich in ihrem Element, plante jetzt schon drei Schritte voraus, machte gedankliche Listen und überlegte innerlich schon, was sie bei welchem Händler am besten kaufte und was sie sowieso noch in der Villa hatten. Dieses Fest sollte ein Erfolg werden und vielleicht sogar einen Neuanfang markieren. Die letzten Monate waren hart genug gewesen und es war endgültig Zeit für einen weiteren Schritt nach vorne.

    "3 ... 2 ... 1 ... Los!", rief Ildrun, nachdem sie ein paar Schritte weiter flussabwärts gegangen war, um besser zu den anderen beiden und ihren Schiffchen hinübersehen zu können. Kaum dass beide Boote in Bewegung waren hüpfte Farold auch schon aufgeregt am Ufer entlang, um das Rennen zu verfolgen. Das Stück bis zur nächsten Biegung des Bachs war eigentlich nicht lang, aber lang genug, dass man wenigstens lose auf die eigenen Füße zu achten hatte, wenn man am Ufer entlang lief, und in seiner Aufregung stolperte Farold natürlich erst einmal auf halber Strecke über einen Stein und wäre beinahe ins Wasser gefallen, wenn Ildrun ihn nicht rechtzeitig am Arm erwischt hätte. Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu, doch ihr Bruder bemerkte davon nichts, sondern lief direkt weiter, als ihm klar wurde, dass sein Schiff gerade in Führung gegangen war, nachdem sich das von Adalheidis in ein paar Zweigen verfangen hatte. Jubelnd lief er weiter voraus bis zum Ende des geraden Stücks und sprang dort ohne zu zögern direkt in das seichte Wasser.

    "Komm schon, schneller!"

    Ildrun schnaubte. "Es ist nur ein Boot, es kann dich nicht verstehen, Farold", sagte sie, doch er ignorierte sie einfach und beugte sich stattdessen über das Wasser, um sein Schiff in Empfang zu nehmen.

    Kaum, dass das Schiffchen in seiner Reichweite war riss er es wieder aus dem Wasser und hielt es breit grinsend wie eine Trophäe über seinen Kopf. "Gewonnen!"

    Octavena nahm den Saft entgegen und nickte langsam, während sie Venusias Worten zuhörte. Sie erinnerte sich zumindest dunkel an die Sache mit den überschriebenen Grundstücken, auch wenn sie die Angelegenheit als solche garantiert vergessen hätte, wenn Venusia sie nicht noch einmal angesprochen hätte. Die Grundstücke interessierten Octavena nicht und sie hatte sich bisher ohnehin davor gescheut, sich mit dem Thema von Witjons Erbe auseinander zu setzen. Dass dadurch ihr Überblick über die Finanzen der Villa und der Familie nicht so gut waren wie sie hätten sein sollen, war da leider auch ein unangenehmer Nebeneffekt.

    "Ich überschreibe dir dein Land natürlich zurück", erwiderte Octavena und nippte an ihrem Saft. "Sag mir um welche Grundstücke es geht und ich kümmere mich darum." Sie zögerte kurz und überlegte, ob sie das, was ihr auf der Zunge lag, wirklich ansprechen sollte. "Und ich weiß, ich habe es bisher nicht so deutlich gesagt die ich es hätte sagen sollen, aber du hast natürlich auch mein herzliches Beileid zum Tod deiner Tochter."

    Octavena sparte sich dabei bewusst irgendeine Floskel darüber, dass sie sich gar nicht ausmalen wollte, wie es war, das eigene Kind zu überleben. Diese Art Bemerkungen hatte sie selbst schon als Kind gehasst, als ihre Mutter gestorben war und sie hatte sich seitdem abgewöhnt, sie zu wiederholen.


    Venusias zweite Angelegenheit dagegen ließ Octavena kurz verstummen, während sie über den Vorschlag nachdachte. Die Idee, das Haus mal wieder voller Leute zu haben, gefiel ihr durchaus. Sie hatten länger keine Gäste mehr gehabt und auch Octavenas Kontakte in der Stadt waren seit Witjons Tod etwas eingeschlafen. Noch so eine Sache, die sie wieder ändern wollte und musste, wenn sie nicht früher oder später den Anschluss ab das soziale Leben in Mogontiacum verlieren wollte.

    "Ein Fest ist sicher eine gute Idee", erwiderte sie schließlich. "Wir könnten das Sommerwetter ausnutzen und es im Garten veranstalten." Ihr Blick glitt wieder zu Venusia. "Ich bräuchte aber sicher deine Hilfe bei den Vorbereitungen. Adalheidis ist eine große Hilfe mit den Kindern, aber alleine wird das schwierig."

    Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit - Octavena hatte über die Jahre oft genug die Gastgeberin gespielt, um so ein Fest schon organisiert zu bekommen, auch wenn im Moment noch immer mehr drunter und drüber ging als sonst - aber tatsächlich würde es auch sicher nicht schaden, Hilfe zu haben. Zumal es ihr nun die Möglichkeit gab, das Fass aufzumachen, das ihr auch selbst nun immer mehr unter den Nägeln brachte.


    "Das ist aber eigentlich ein gutes Stichwort", sagte Octavena und entschloss sich kurzerhand, gar nicht erst um den heißen Brei herumzureden und stattdessen geradeheraus zum Punkt zu kommen. Nach den anstrengenden letzten Monaten hatte sie keinen Nerv mehr für blumige Worte und Andeutungen. "Ich will dir damit nicht zu nahe treten oder dich gar angreifen, aber wir sollten wohl einmal offen darüber reden, wie es hier im Haus weitergehen soll." Sie blickte ruhig zu Venusia hinüber und zwang sich dazu, auch weiter ruhig zu bleiben, als sie fortfuhr. "Witjon ist tot, Audaod als sein ältester Sohn ganz genauso und auch sonst wird so bald wohl kein männlicher Verwandter versuchen, den Platz als Familienoberhaupt einzunehmen. So wie ich das sehe, liegt die Zukunft der Villa und ihrer Bewohner also fürs erste an uns beiden." Seufzend ließ Octavena kurz ihren Blick über das Grün des Gartens um sie herum gleiten. "Du bist wohl die Letzte, der ich erklären muss, dass wir alle es zuletzt nicht einfach hatten, und genau deshalb gefällt mir auch die Idee mit dem Fest, aber ich möchte auch allgemein sichergehen, dass meine Kinder eines Tages auch wirklich etwas vom Erbe ihres Vaters haben. Und ich bin es zwar gewohnt, mich um den Haushalt der Villa zu kümmern, aber nun, da Witjon tot ist, werde ich deine Hilfe brauchen, mich endlich einmal mit seinem Erbe und der Verwaltung des damit verbundenen Besitzes auseinander zu setzen." Ein Lächeln zuckte um ihre Lippen, als ihr ein weiterer Gedanke kam, der ironischer Weise ganz auf die Art Außenwirkung und Fassade ausgerichtet war, die sie gerade vermied, indem sie direkt offen mit Venusia war. "Ganz davon zu schweigen, dass es auch nach außen besser wirken wird, wenn wir zum Beispiel bei dem Fest, das du vorgeschlagen hast, vereint auftreten können."

    Ildrun sah Adalheidis einen Moment lang skeptisch an, während sie mit schief gelegtem Kopf ihre Optionen abzuwägen schien. Es war offensichtlich, dass sie sich ihr Urteil über die neue Hausangestellte noch vorbehalten wollte, aber ein Teil ihres Missmuts, den sie zuvor an den Tag gelegt hatte, war bereits wieder verschwunden. Ihr Blick glitt kurz zu Farold hinüber, der inzwischen sein Holzschiffchen zusammengesteckt hatte und sich stolz aufrappelte. Wenn sie es ihm überlassen würde, Adalheidis eine passende Stelle am Bach zu zeigen, würde er sicher schnurstracks zu der mit dem großen Felsen laufen, an dem sie manchmal spielten. Dort machte der Bach aber kurz hinter dem Felsen eine Biegung und man konnte seinem Verlauf nur schlecht folgen, wenn man die Schiffchen zumindest ein Stückchen verfolgen wollte. Etwas weiter hinten gab es aber ein etwas längeres Stück mit schwächerer Strömung, perfekt um etwas über das Wasser treiben zu lassen.


    "Komm schon, Ildrun." Farold strahlte sie begeistert an und hielt ihr stolz sein Schiffchen unter die Nase. "Wenn ich gewinne, teilen wir den Kuchen."


    Ildrun rollte theatralisch mit den Augen und schnaubte einmal, nickte dann aber. "Na gut", sagte sie dann und stapfte los in Richtung des Bachs. "Kommt mit. Ich kenne eine gute Stelle."

    Als Octavena an diesem Tag den Garten betrat, um mit Venusia zu sprechen, hielt sie zunächst einmal kurz inne und legte den Kopf in den Nacken, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Es war warm und wie immer, wenn das Wetter in Germanien über den Frühling und Sommer hinweg etwas besser wurde, hob das ihre Laune fast automatisch. Und nach den letzten Monaten konnte sie das auch nur allzu gut gebrauchen.


    Sie wandte den Kopf wieder nach vorne und schlug die Augen auf, um dann ihren Weg fortzusetzen. Die letzten Wochen waren wahrscheinlich einer der Gründe, warum Venusia mit ihr reden wollte. Octavena hatte zwar nur eine eher vage Vorstellung davon, was es zu besprechen gab, aber zumindest dieses Thema lag einfach auf der Hand. Dafür, dass die Villa eigentlich das Zuhause der Duccier war, lebten inzwischen nur noch sehr wenige von ihnen unter diesem Dach und früher oder später mussten Octavena und Venusia als Hausherrinnen darüber reden, wie es weitergehen sollte. Der Gedanke versetzte Octavena ein wenig einen Stich, weil sie sich über die Jahre so sehr daran gewöhnt hatte, als Frau des Hausherrn auch die Herrin der Villa zu sein, aber ihr war auch klar, dass sich die Dynamik im Haus früher oder später wieder ändern würde. Venusia schien zwar kein Interesse daran zu haben, Octavenas Position zu beanspruchen, aber nur weil es nicht zu einem offenen Machtkampf zwischen den beiden Frauen kommen würde, bedeutete das noch lange nicht, dass sie nicht schon aus rein pragmatischen Gründen nicht so würden tun können als ob sich nichts geändert hätte.


    "Salve." Octavena lächelte freundlich, als sich dem alten Nussbaum näherte und Venusia dort vorfand, die bereits auf sie wartete. Sie war dabei, irgendetwas zu lesen, und während Octavena nun ebenfalls im Schatten des Baumes Platz nahm, nickte sie einmal kurz in Richtung der Lektüre. "Viel zu tun?"

    Farold kniete sich mit neugierigem Blick neben Adalheidis ins Gras und nahm das Messer, das sie ihm hinschob bedächtig in die Hände. Octavena beobachtete die Szenerie mit einem kleinen Lächeln, während sich ihr Sohn nun daran machte, ein Stück Holz unter Anleitung der alten Frau zu bearbeiten. Seine Bewegungen waren vorsichtig, aber nicht ängstlich und es war klar, dass Adalheidis genau den richtigen Zugang zu dem Jungen erwischt hatte. Sie hatte ihn bei seiner Neugier und Kreativität gepackt bekommen und so wie Octavena ihren Sohn kannte würde es damit kein Problem sein, Farold in Zukunft in Adalheidis' Obhut zu lassen. Ildrun dagegen ... Octavenas Blick glitt zu ihrer Tochter, die immer noch schlecht gelaunt auf dem Boden saß und ab und zu finstere Blicke in Richtung ihrer Mutter warf. Mit Ildrun würde die Sache schon komplizierter werden, aber das war auch keine Überraschung.


    "So?", fragte Farold und setzte das Messer an, um an der Spitze seines Schiffchens zu schnitzen. Sie würde etwas schief sein, das sah Octavena selbst aus der Entfernung, aber er war offensichtlich begeistert von seiner eigenen Arbeit. Nicht weit von ihm entfernt, rollte Ildrun mit den Augen, schielte aber inzwischen doch immer wieder auf ihren Bruder, was ihre gelangweilt-verärgerte Haltung dann doch etwas Lügen strafte.


    "Ich habe noch im Haus zu tun, aber ihr scheint ja auch so ganz gut zurechtzukommen", sagte Octavena nach einer Weile dann mit einem kleinen Lächeln. "Benehmt euch, ihr beiden, verstanden? Und hört auf Adalheidis, wenn sie euch etwas sagt." Auf die letzten beiden Sätze hin schnaubte Ildrun erneut etwas überdeutlich, während Farold zu vertieft in seine Arbeit an dem Schiffchen war, um auf die Bemerkung seiner Mutter zu reagieren. Octavena dagegen beschloss einfach einmal, zumindest letzteres weiterhin als ein gutes Zeichen zu werten. Kopfschüttelnd wandte sie sich um, nickte noch einmal freundlich in Adalheidis' Richtung, ließ sie aber einfach weiter Farold beim Schnitzen anleiten, und verschwand wieder ins Haus.

    "Ich heiße Ildrun und mein Bruder heißt Farold", gab Ildrun knapp und bestimmt auf Adalheidis' Nachfrage zurück, gerade so als hätte sie das Gefühl, sich verteidigen zu müssen, und zupfte dabei missmutig mit einer Hand am Gras neben sich herum. Octavena überging ihren trotzigen Ton und verkniff es sich ebenso, mit den Augen zu rollen oder sonst irgendeine Reaktion darauf zu zeigen. Es hatte keinen Sinn, ihrer Tochter erklären zu wollen, dass Octavena nicht vorgehabt hatte, ihr zu untersagen, ihre germanischen Namen mit Adalheidis zu verwenden. Warum auch? Sie hatte sich ja selbst sehr schnell daran gewöhnt und es blieben ihre Namen. Ihre Kinder wussten schließlich selbst am besten, dass sie sie am ehesten dann bei ihren vollen römischen Namen rief, wenn sie in Schwierigkeiten steckten.


    Doch Ildruns harter Ton verunsicherte auch ihren Bruder erneut und er sah kurz fragend zu seiner Mutter auf, die ihm aber stumm zulächelte und erneut seine Hand drückte. Er lächelte zurück und sah dann zu Adalheidis hinüber und nickte ernst als wollte er Ildruns Ansage noch einmal bestätigen. Trotzdem konnte Octavena sehen, dass etwas an der alten Frau nun seine Neugier geweckt hatte, denn er machte einen zaghaften Schritt hinter ihrem Bein hervor und betrachtete sie neugierig. "Salve, Adalheidis", grüßte er sie dann und Octavena konnte nicht anders als breit zu lächeln, auch wenn Ildrun ein Stückchen entfernt auf dem Gras darüber laut und deutlich schnaubte.


    Die Frage nach dem Messer ließ Octavena aufhorchen, doch sie nickte langsam. "Wenn er das möchte", sagte sie und blickte fragend hinunter zu ihrem Sohn, dessen Augen sich bei der Frage ein wenig weiteten ehe er im nächsten Moment begeistert nickte und Octavenas Hand losließ und auf Adalheidis zuging. "Zeigst du mir, wie man schnitzt?"

    Auch sie erhob sich nachdem sie noch einen Schluck aus getrunken hatte und der Becher wieder seinen Platz auf dem Tisch fand. „Möchtest du die Führung allein vornehmen? Ich würde mich dann zurückziehen, aber später würde ich dich gern noch kurz sprechen,“ richtete sie ihre Worte an Octavena und wartete deren Entscheidung ab.

    "Geh nur", erwiderte Octavena auf Venusias Frage hin und nickte knapp, wenn auch freundlich, "ich kümmere mich um die Führung. Wir können gerne danach reden."


    Tatsächlich weckte die Ankündigung, dass die andere Frau mit ihr über irgendetwas reden wollte, kurz Octavenas Neugier und sie betete innerlich, dass die Sache - was auch immer es war - ihr nicht noch mehr Probleme bereiten würde, aber das war erstmal nebensächlich. Stattdessen wandte sie sich wieder Adalheidis zu und lächelte, um sich nun daranzumachen, ihre neue Angestellte herumzuführen. "Folge mir, ich werde dir alles zeigen, was du kennen musst."

    Octavena nahm sich Zeit mit der Führung, die sie Adalheidis versprochen hatte, und zeigte ihr in Ruhe zuerst das Haus, stellte dabei auch die anderen Angestellten vor, die sie trafen, und beantwortete Fragen, die dabei aufkamen. Ihre Kinder liefen ihnen dabei zunächst nicht über den Weg und Octavena war sich nicht sicher, ob sie das als gutes oder schlechtes Zeichen deuten sollte. Grundsätzlich hatte sie gelernt, dass zu lange Stille immer ein wenig verdächtig war, weil es dann sehr wahrscheinlich einen Grund dafür gab, andererseits wurde es inzwischen auch deutlich wärmer und dann war es auch nicht sonderlich ungewöhnlich, dass die beiden im Garten verschwanden und erst wieder auftauchten, wenn man nach ihnen suchte.


    "Die beiden sind bestimmt draußen bei dem guten Wetter", sagte sie gerade zu Adalheidis mit einem Lächeln, als die beiden Frauen nach draußen traten. "Ich--"


    Ein helles Kinderlachen unterbrach sie und Octavena wandte den Kopf, um nach der Quelle zu sehen. Ildrun saß ein Stückchen weiter vorne mitten im Gras auf dem Boden und streichelte glucksend einen der großen Wachhunde, die ihr Vater vor einigen Jahren angeschafft und hatte abrichten lassen. Das Tier stupste sie immer wieder mit seiner Schnauze an und leckte ihr über das Gesicht, während Farold daneben stand und seinen Rücken tätschelte. In Octavenas Brust dagegen zog sich etwas zusammen. Die Hunde waren gut trainiert und kannten die Kinder, aber sie waren noch immer Wachhunde. Stark und im Zweifelsfall alles andere als ungefährlich. Ein Griff, über den Ildrun oder Farold nicht nachdachte, und das Tier könnte sie ernsthaft verletzen, wenn es denn nur wollte.


    "Das ist genug", sagte Octavena an die beiden Kinder gewandt, wobei ihr Tonfall keinen Zweifel daran ließ, dass sie darüber nicht diskutieren würde. Sie beobachtete den Hund mit wachem Blick und pfiff einmal bestimmt in der Hoffnung, dass er darauf reagieren würde. Tatsächlich sah er ein paar Mal zwischen Octavena und Ildrun hin und her, trottete dann aber weg von dem Mädchen und an der Hausherrin vorbei und verschwand.


    "Spielverderberin", murrte Ildrun ohne Anstalten zu machen, von ihrem Platz auf dem Gras aufzustehen, und kassierte prompt einen scharfen Blick von ihrer Mutter. Farolds Blick dagegen wanderte direkt neugierig zu Adalheidis neben seiner Mutter und nun offenbar doch verunsichert von der Anwesenheit einer Fremden lief er auf Octavena zu und griff nach ihrer Hand, um sich halb an ihren Beinen zu verstecken.


    "Kinder, das ist Adalheidis", sagte Octavena dann und drückte lächelnd die Hand ihres Sohnes ohne auf den Missmut ihrer Tochter weiter zu achten, "sie wird ab jetzt als Haushälterin für uns arbeiten." Sie drehte sich halb zu Adalheidis. "Adalheidis, das sind meine Kinder. Duccia Camelia, genannt Ildrun, und Quintus Duccius Firmus, genannt Farold."

    Octavena hörte Adalheidis aufmerksam zu, während sie ihre Lebensgeschichte erzählte. Die ältere Frau hatte definitiv eine ereignisreiche Biografie hinter sich, sie hatte viel gesehen, vermutlich mehr als Octavena selbst. Schaden konnte das sicher nicht, denn wahrscheinlich würde sie sich dann auch nicht von Octavenas lebhaften Kindern einschüchtern lassen.


    Die Frage nach Witjon und seinem Tod danach kam nicht überraschend, dennoch spürte Octavena wie sie ihr einen Stich versetzte. Wahrscheinlich war es lächerlich, war ihre Ehe damals doch von Octavenas Onkel arrangiert worden und Witjon älter als sie gewesen, aber der Gedanke an ihn und seinen Tod tat nach wie vor weh. Es war nur wahrscheinlich gewesen, dass er vor ihr sterben würde, wenn sie nicht gerade doch noch im Kindbett starb, aber wahrscheinlich hatte sie einfach angenommen, dass dieser Gedanke trotz allem noch in weiter Ferne liegen würde.


    So unmittelbar wie die Trauer in ihr aufgestiegen war, so vehement kämpfte Octavena sie auch noch im selben Moment wieder nieder. Das war nicht der richtige Moment für solche Gedanken und so räusperte sie sich einmal, um sicherzugehen, dass ihre Stimme klar und ruhig klang, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. "Ein Fieber, im Frühling." Sie zwang sich zu einem möglichst beherrschten Gesichtsausdruck. "Unsere Kinder haben ihn nicht direkt gesehen, während er … im Sterben lag, aber die beiden haben natürlich gemerkt, was vor sich ging. Und Ildrun, das heißt Duccia Camelia, meine Tochter … Nun, sie ist die Ältere der beiden und hat immer sehr an ihrem Vater gehangen."


    Octavena musste unwillkürlich an die vielen Geschichten von germanischen Göttern und Helden denken, die Witjon Ildrun so oft vor dem Schlafengehen erzählt hatte, und daran, wie sehr die Augen ihrer Tochter dann immer vor Begeisterung geleuchtet hatten. Ihr Blick glitt zurück zu Adalheidis und der ruhigen, freundlichen Art, mit der sie schon die ganze Zeit zu Octavena hinübersah. Vielleicht war es wirklich eine gute Idee, sie einzustellen. Vielleicht würde diese Ruhe auch die Lage mit Ildrun verbessern. Und damit war die Entscheidung gefallen.


    "In Ordnung, Adalheidis, wenn du wirklich hier arbeiten willst, hast du die Anstellung", sagte Octavena dann und erhob sich abrupt, um ihren Becher auf einem Tisch abzustellen und zwischen den anderen beiden Frauen hin und her zu blicken. "Wenn du willst, kann ich dir jetzt gerne meine Kinder einmal vorstellen und die Küche zeigen."