Lucius war ein bisschen verkatert, als er den Hafen erreichte - was seine Stimmung natürlich nicht unbedingt besser machte. Aber er war doch neugierig, ob dieser unfähige Getreideverwalter es geschafft hatte, das geforderte Korn zusammenzubringen. Schon von weitem ließ sich tatsächlich erkennen, dass schon reger Betrieb an dem Pier herrschte, an dem seine Liburne lag. Als er näher kam, erkannte er, dass Arbeiter säckeweise Getreide aufschlichteten - mittendrin der kleine Nechetnebef, der hektisch Anweisungen erteilte.
Langsam schlenderte der Subpräfekt auf den Sitologen zu, bis dieser ihn bemerkte.
"Subpraefectus Petronius, da bist du ja! Wir haben dich schon vermisst!"
Der Petronier kam näher und baute sich vor ihm auf. Nechetnebef wirkte wieder nervös - aber nicht ganz so nervös wie beim letzten Mal, was einerseits etwas enttäuschend war, andererseits andeutete, dass er es tatsächlich geschafft hatte!
"Wie schön."
bemerkte Lucius trocken.
"Ich hoffe, du hast die Getreidelieferung beisammen."
Nechetnebef verzog ein wenig den Mund.
"So - ehm - ziemlich - ehm - wir fragen uns nur, wo wir das Getreide verladen sollen!"
Jetzt war es an dem jungen Petronier, ein wenig zu stutzen - hatte er nicht auch befohlen, dass er ein Schiff brauchte? Auf der Liburne würden diese Massen an Korn ganz sicher keinen Platz haben - allein das, was jetzt auf dem Kai und drumherum aufgeschlichtet war, waren vielleicht 45.000 Modii (also etwa 10.000 Artaben)! Für eine Corbita oder selbst die Fluss-Kerkouroi wäre das kein Problem gewesen - die größten fassten das Vierfache bzw. Doppelte an Ladevolumen. Für eine voll bemannte Liburne war es aber unmöglich, diese Menge mitzunehmen.
Ein wenig ratlos sah der Subpräfekt hinüber zu seinem Centurio, der ihn wiederum fragend ansah - wie er es hasste, keine Antworten zu haben!
Aber zum Glück gab es eine Möglichkeit, von seinem eigenen Versagen abzulenken. Er setzte wieder eine harte Miene auf und fragte streng:
"Wie viel fehlt?"
"So etwa - ehm - ein Viertel."
Wieder dieses "Ehm"! Und wieder diese wolkigen Erklärungen!
"Wie viel genau?"
"Mir fehlen - ehm - also mir fehlen so in etwa 2200 Artaben."
Lucius musste zugeben, dass er einigermaßen beeindruckt war - das waren etwa 9.900 Modii, was zwar dem Ladevolumen von einem normalen Nilkahn entsprach, faktisch aber nicht mehr als ein Zwanzigstel der ausstehenden Liefermenge darstellte. Trotzdem ließ er sich das nicht anmerken:
"Von 2200 Artaben können 10750 Menschen für 8 Tage überleben!"
schimpfte er los. Die Zahlen hatte er im Kopf errechnet, wobei er von einem Pro-Kopf-pro-Tagesverbrauch von knapp einem Achtel Modius ausgegangen war. Die Zahl klang tatsächlich beeindruckend - Letopolis hatte vermutlich etwa diese Größe und war damit keineswegs eine Kleinstadt!
"Ich - ehm - ich bitte um - ehm - Verzeihung! Es war mir unmöglich, so viel Weizen in so kurzer Zeit - ehm - anzukaufen!"
Lucius biss sich auf die Lippe bei der Vorstellung, dass dieser armselige Wurm diese Unmengen an Getreide aus eigener Tasche angekauft hatte - bei den aktuellen Marktpreisen war das selbst in Aegyptus (also an der "Quelle") ein Vermögen!
"Du wirst eine Strafgebühr dafür bezahlen, dass deine Lieferung unvollständig ist."
entschied er schließlich. Nechetnebef ließ demütig den Kopf hängen, was ihn noch kleiner aussehen ließ. Es dauerte aber keine Sekunde, bis er ihn wieder hob:
"Und wo - ehm - sollen wir das Getreide jetzt verladen?"
Noch einmal biss Lucius sich auf die Unterlippe - das war eine gute Frage!
"Wir - ähm - brauchen Schiffe!"
dachte er laut nach, ehe seine Augen wieder aufblitzten und seine Unsicherheit wieder überwand:
"Hast du dich etwa nicht darum gekümmert?"
Er versuchte zu klingen, als wäre das die größte Selbstverständlichkeit der Welt.
"Es wird doch wohl nicht so schwer sein, in diesem Kuhkaff ein paar Reeder anzuheuern, die eure Lieferung nach Alexandria bringen!"
Seine Aussage war natürlich gewagt - Letopolis war wahrscheinlich mehr als doppelt so groß wie seine Heimatstadt Mogontiacum (wenn man das Legionslager abzog) - aber verglichen mit Alexandria immerhin ein Dorf!
"Das hattest - ehm - du aber nicht gesagt!"
klagte der Sitologe. Das war natürlich wahr - aber jetzt durfte der Subpräfekt keine Schwäche zeigen, wenn er nicht wie ein Idiot aussehen wollte:
"Ich habe dir auch nicht gesagt, in welche Säcke du dein Korn verladen sollst, Mann! Du bist immerhin ein Beamter des Pharao - da werde ich doch wohl erwarten dürfen, dass du ein klein wenig mitdenkst!"