Beiträge von Lucius Petronius Crispus

    Tatsächlich hatte Lucius den Vorschlag gemacht, die Thermae Agrippae zu besuchen - vor allem aber, um das angrenzende Pantheon zu besichtigen. Nicht, dass er sonderlich große Lust verspürte, alle Götter versammelt zu finden, sondern aus architektonischem Interesse: Wie er gehört hatte, war das die größte Kuppel der Welt. Einen Vorgeschmack bekam er allerdings schon in der Eingangshalle der Thermen, wo sie ebenfalls eine große Halle erwartete.


    Allerdings hatte der Alte natürlich wieder kaum ein Auge für so etwas, sondern ging direkt weiter in die Umkleideräume. Schweigend zogen sie sich aus und ließen sich nacheinander von Armin mit dem Strigilis reinigen. Nicht, dass sie sonderlich verschwitzt gewesen wären - auch Rom war im Dezember recht kühl und sie freuten sich beide, langärmlige Tuniken zu haben. Aber danach fühlte man sich nicht nur sauber, sondern auch irgendwie erfrischt - die medizinischen Hintergründe waren wohl nicht uninteressant, aber dafür hatte der junge Petronier bisher leider keine Zeit.


    Kurz darauf glitten sie in das lauwarme Becken und Lucius lehnte sich neben seinem Vater an die Beckenwand, wo ihn die Nachfrage ziemlich unvorbereitet traf - ein Patron? Er aussuchen? Natürlich wusste er, dass der Alte plante, ihm wieder einen Fürsprecher zu suchen - aber dass er das entscheiden durfte, war ebenso unwahrscheinlich wie dass ihnen der Himmel auf den Kopf fiel.


    Allerdings taugte ihm der Vorschlag seines Vaters in keinster Weise - er mochte diesen Duccier ebensowenig wie alle anderen! Ein Germane, ein Aufsteiger, hier in Rom wahrscheinlich ein Niemand (sonst hätte er wohl ein eigenes Haus gehabt)!
    "Ne, auf keinen Fall!"
    antwortete er deshalb unbedacht und verschränkte die Arme vor der Brust.

    Inzwischen war die mogontinische Gesandtschaft schon eine ganze Weile in Rom und wartete auf ihre Audienz beim Kaiser. Da sie aber nicht ständig bei irgendwelchen potentiellen Fürsprechern vorstellig werden konnten, hatten sie auch eine Menge freie Zeit, die Lucius und Armin nutzten, um das Nachtleben der ewigen Stadt kennen zu lernen.


    Heute hatten sie sich auf den etwas längeren Weg zu den Trajansmärkten gemacht und kehrten in der Taverna Apicia ein.
    "Netter Laden!"
    meinte Armin und betrachtete interessiert die Decke, woraufhin Lucius sich anschloss. Der "Laden" war tatsächlich ein bisschen stabiler und edler als die Kaschemme, die sie am Vortag kennen gelernt hatten. Da aber der Preis der Getränke nahezu direkt proportional zum Preis der Einrichtung war, ließ sich nur böses für die Rechnung erwarten.
    "Naja, schau'n wir mal, ob sie hier Bier haben."
    kommentierte er deshalb und ließ sich an einem der Tisch nieder, Armin gegenüber.


    "Zwei Bier!"
    rief er der Bedienung zu und wartete.


    Sim-Off:

    Wer mag, darf sich zu uns setzen ;)

    Hallo zusammen,


    ich suche Nachbarn ;) Konkret stelle ich mir vor, mich demnächst irgendwo in Rom in eine Insula einzumieten (so 2-3 Zimmer) - nicht unbedingt in der Subura, aber gerne auch in einer nicht allzu hochklassigen Gegend. Und weil ich ja vorerst allein wohne und es ja doch einige Römer hier in Mietskasernen wohnen, dachte ich, dass ein paar Nachbarn, die man immer mal treffen kann um sich übereinander zu wundern, zu streiten oder sich gar anzufreunden, ganz nett wären.


    Also wer Interesse an einem recht wunderlichen Petronier vom Lande in der Nachbarwohnung hat, kann sich per PN bei mir melden!

    Auch der jüngere Petronier folgte zu der Sitzgruppe, als zwei weitere Germanicer eintrafen - oder zumindest ging er davon aus, denn beide setzten sich wie selbstverständlich zu ihnen, auch wenn sie schwiegen. Der eine von ihnen war deutlich älter als Lucius, der andere mochte wohl im selben Alter sein. Allerdings war die Qualität der Klamotten bei beiden deutlich schicker als bei ihm. Dafür wirkten beide aber auch ein ganzes Stück weicher als er selbst - wohl typische Hauptstadtkinder, die nie in ihrem Leben körperliche Arbeit hatten verrichten müssen. Nicht, dass Lucius jemals wirklich gearbeitet hatte - aber die "Ausbildung" des Alten hatte ihn einigen Schweiß und auch ein wenig Blut gekostet. Und jetzt, wo er sie überstanden hatte, war er auch ein wenig stolz darauf und blickte herab auf diese verwöhnten Schnösel, die vor ihm saßen.


    Wie als Bestätigung blieb er hinter seinem Vater stehen und vergrub die eine Hand in seiner Toga, wo er während seiner Vicomagistratur immer Pythagoras, sein Schwert, versteckt hatte. Hier in Rom traute er sich dann doch nicht, bewaffnet herumzulaufen - der dämliche Sklave in der Casa Accia hatte ihn ja auf das Verbot aufmerksam gemacht und er wollte besser nicht gleich in Konflikt mit dem Gesetz kommen. Das würde seine Karriere wahrscheinlich nicht unbedingt befeuern und er würde ewig sozial unter diesen beiden Schnöseln stehen.

    Nachdem sie so ewig vor der Tür hatten warten müssen, dass Lucius schon befürchtet hatte, der Alte würde wieder mit irgendwelchen dämlichen Witzchen anfangen, ließ man sich letztlich doch irgendwann herein. Wie schon in der Casa Accia kam Lucius auch hier aus dem Staunen nicht heraus. Zuerst einmal war er verwirrt wegen des kleinen Parks, den die Germanici direkt vor der Haustür hatten - nicht einmal in Mogontiacum, wo die Grundstückspreise viel niedriger waren, hatten die Leute so viel Freifläche, sondern vermieteten jeden Flecken, der sich irgendwie überdachen ließ. Hier in Rom würde man aber vermutlich einige hundert Sesterzen - so genau kannte der junge Petronier den Mietspiegel noch nicht - einnehmen können, wenn man hier ein mehrstöckiges Haus baute. Es dagegen einfach brach liegen zu lassen, war eine kolossale Verschwendung nutzbaren Kapitals. Andererseits schienen die Bewohner des Hauses diese Einnahmen auch nicht nötig zu haben, denn die Halle, die sie durchquerten, verwies schon deutlich auf den Reichtum ihrer Bewohner und gefiel Lucius direkt besser als der Unterschlupf des Germanen (obwohl dieser eigentlich auch keinem Germanen gehörte...).


    Schließlich standen sie doch im Atrium mit dem großen Lichtschacht nach oben - sehr praktisch, denn so ließ sich das Sonnenlicht optimal nutzen: Selbst am Nachmittag oder Morgen war der Einfallwinkel des Sonnenlichts vermutlich so steil, dass ein Teil des Bodens direkt erleuchtet wurde.


    Während er so die Architektur betrachtete und erfreut ein Käsewürfelchen nahm - so einen reichhaltigen Empfang hatte er auch noch nie erlebt - kam dann der alte Senator. Und der sah nun wirklich mal aus, wie Lucius sich einen römischen Senator vorstellte - schick gekleidet, sauber rasiert, freundlich und doch würdevoll. Deshalb neigte der junge Petronier auch direkt den Kopf ein wenig, schluckte den Käsewürfel hinunter und sagte
    "Salve, Patrone."
    Genaugenommen war der Germanicer natürlich nicht direkt sein Patron - aber wenn Avarus der Patron der Civitas Mogontiacum war, Lucius wiederum ein Bürger dieser Civitas war, dann ließ sich daraus deduktiv schließen, dass er auch ein Klient des Avarus war.

    Als sein Vater ihn so anfuhr, blickte Lucius verwirrt an sich herunter. Sicherlich trug er die Tunica, in der sie gestern in die Stadt geritten waren - aber was auch sonst? Seine vernünftige Kleidung lag ja auch in weiter Ferne in Ostia! Und überhaupt - warum musste der Alte ihn jetzt so herunterputzen? Ständig erzählte man ihm, dass er jetzt ein Mann war und eine glänzende Karriere vor sich hatte und bla bla bla und dann wurde er doch herumgescheucht wie früher, als er noch ein kleiner Junge gewesen war!


    Er warf dem Alten einen tödlichen Blick zu, sagte aber nichts. Stattdessen stand er auf und ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Der nächstbeste Sklave, den er dann traf, bekam seine Demütigung zu spüren: Der junge Petronier packte ihn grob an der Schulter und riss ihn zu sich her:
    "Bring mir einen Spiegel!"
    befahl er und schubste den völlig verdutzt dreinblickenden Diener wieder weg, um mit großen Schritten in Richtung seines Zimmers zu stampfen - ob der Sklave wusste, wo der Spiegel hinsollte, war ihm egal. Sollte der es doch herausfinden!

    Zitat

    Original von Marcus Petronius Crispus
    Nachdem die mogontinische Gesandtschaft weitgehend in der Casa Accia untergekommen war, machte Crispus sich zusammen mit drei weiteren Decurionen - seinem Sohn Lucius, Patulcius Merula und Ovinius Sabinus - auf die Suche nach Fürsprechern für ihre Sache. Die erste Adresse war hierbei natürlich der mächtige Senator Germanicus Avarus, der immerhin der Patron der Civitas war.


    Somit standen sie alle am Morgen zur Salutatio frisch geschniegelt und in ihren besten Togen mit den übrigen Klienten vor der Tür und warteten auf Einlass...


    Auch Lucius war in seinen feinsten Zwirn gehüllt - was bedeutete, dass er die Toga anhatte, die er vor wenigen Jahren bekommen hatte, nachdem er seine alte mit Caius' Blut vollgeblutet hatte. Man sah er die Häufigkeit, die er sie getragen hatte, schon deutlich an - aber der Alte war zu geizig, um eine neue zu kaufen und Lucius viel zu rational, um dies einzufordern.


    Auf diese Weise verkleidet - Staatskleid hin oder her, dem jungen Petronier erschien einfach absolut unpraktisch und damit irrational - hatte er heute also zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt, über das Forum zu spazieren (die Casa Accia lag ja auf dem Esquilin, die Germanica im Flaminius-Viertel). Was er dort gesehen hatte, hatte ihn allerdings weitgehend enttäuscht: Anders als erwartet war das Forum Romanum keineswegs der Inbegriff römischer Ordnung und Struktur: die Tempel, Säulen und Basiliken wirkten eher so, als hätten die Bauherren dieses Platzes jeweils den unpassendsten Winkel gesucht, um ihr Andenken auch noch zwischen die bestehenden Bauwerke zu stopfen - und das über Generationen hinweg. Wenn er an die Planstädte dachte, die er auf seiner Reise gesehen hatte, waren da jedenfalls geometrisch weitaus harmonischere Plätze zu sehen gewesen. Dasselbe galt auch für die Straßen, die sich hier fast so unsymmetrisch zwischen den Häusern hindurchschlängelten wie in Mogontiacum. Das einzige, was wirklich beeindruckend gewesen war, war die Größe einiger Bauten gewesen - aber da hatte er auch keine Zeit gehabt, sich das ganze näher anzusehen...


    Immerhin trafen sie nun hoffentlich mal einen richtigen römischen Senator aus uraltem Adel - nicht so ein Emporkömmling wie dieser Duccier...


    Und wieder kurze Zeit später betrat der junge Petronier das Triclinium, in dem Duccius Vala, Haakon und der Alte es sich bereits schmecken ließen.
    "Guten Morgen!"
    begrüßte er die Anwesenden und kletterte auf die freie Kline. Seine Haare standen links, wo der Kopf auf dem Kissen gelegen hatte, noch etwas zu Berge und rasiert hatte er sich auch nicht. Aber immerhin war er da und für diesen germanischen Emporkömmling musste man sich ja nun wirklich auch nicht unbedingt hübsch machen!

    Zitat

    Original von Lucius Petronius Crispus
    Am Ende durfte Pythagoras sogar mit ihm im Bett schlafen. Den Griff fest umklammert und tief versunken in den weichen Kissen schlummerte er ein und hatte endlich Zeit, sich ein bisschen von dieser doch recht anstrengenden Reise in seine Zukunft zu erholen...


    Lucius träumte einen wunderschönen Traum: Er stand im sonnigen Griechenland in einer Stoa und vor ihm stand ihm Euklid Rede und Antwort zu all den Fragen, die ihm während der Elemente-Lektüre aufgekommen waren. Gerade waren sie bei den irrationalen Größen nach Eudoxos von Knidos angekommen - eine ziemlich knifflige Sache, denn dass es zwei Zahlen gab, die keinen noch so kleinen gemeinsamen Teiler hatten, erschien dem jungen Petronier nicht unbedingt logisch. Deshalb fragte er nochmals genauer nach, wie man denn nun von den Längenverhältnissen in einem Pentagramm Schritt für Schritt auf irrationale Proportionen kommen konnte. Die Antwort war allerdings ein wenig verwirrend:
    "Wach auf Domine! Wach auf!"
    Zuerst war Lucius ein bisschen verwirrt, dann aber verschwamm die Welt vor ihm und er sah die Schwärze der Rückseite seiner Augenlider - ein Traum! Er zog an der Decke und grub seinen Kopf geradezu in das Kissen, das praktischerweise beide Ohren zugleich bedecken konnte. Doch nun berührte ihn sogar eine Hand und rüttelte ein bisschen an ihm.
    "Aufwachen, Domine!"
    Erst Stück für Stück wurde ihm bewusst, dass das Rütteln auffallend zaghaft war - Armin schüttelte ihn immer mit Schmackes und der Alte zog ihm normalerweise direkt das Kissen weg - und das Bett auffallend weich. Wo war er?


    Er schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht eines Fremden - nein, doch nicht: Jetzt kam ihm, wo er und wer der Kerl vor seiner Nase war: die Casa Accia, der Sklave von gestern Abend! Draußen dämmerte bereits der Morgen, trotzdem hatte der Sklave eine Öllampe in der Hand. Und er hielt noch immer nicht den Mund:
    "Wach auf, Domine! Dein Vater ist bereits beim Frühstück!"
    Schlagartig war Lucius wach. Wenn er etwas wusste, dann, dass der Alte es hasste, wenn er lang schlief. Daheim in Mogontiacum war er stets bei Sonnenaufgang aus dem Bett geworfen worden und auch während der Reise waren sie prinzipiell die Ersten gewesen, die am Frühstückstisch saßen - wenn überhaupt, denn sein Vater hatte oft gar nicht gefrühstückt. Sicher war aber jedenfalls, dass der Alte ihm die Hölle heiß machen würde, wenn er zu spät kam - was andererseits offensichtlich sowieso schon der Fall war. Verärgert brachte er deshalb endlich ein paar Worte hervor:
    "Warum hast du mich nicht früher geweckt?"
    "Ich - äh - wusste nicht, dass dein Vater schon wach ist. Er ist quasi direkt zum Frühstück gegangen und mir hat man - äh - erst jetzt Bescheid gesagt!"
    rechtfertigte sich der Sklave. Lucius gähnte herzhaft - das klang wie eine typische Sklavenausrede! Er kroch aus dem Bett und richtete sich schweigend auf. Dann kratzte er sich am Kopf, knackste genussvoll er mit den Fingergelenken und gab seinem "Wecker" eine schallende Ohrfeige, dass dieser dreinblickte, als hätte ihn ein Pferd getreten.
    "Ich hatte dir befohlen, mich zu wecken! Verpiss dich, ich brauch' dich nicht!"
    knurrte er ihn dann an. So viel hatte er mit dem Alten doch gemein - er hasste Leute, die ihre Arbeit nicht ordentlich machten! Und sofern diese Leute unter ihm standen, durften sie das ruhig auch physisch spüren. Und außerdem hatte dieser Idiot ihm seinen schönen, mathematischen Traum verdorben!


    Kurze Zeit später hatte er wieder seine Übertunica an und streckte den Kopf aus der Tür. Dort stand der Sklave von eben noch immer und rieb sich die Wange.
    "Wo geht's zum Frühstück?"
    fragte er unwirsch, während er sich noch den Gürtel - übrigens den, den andere Duccier aus einer unglaublich fern scheinenden Welt ihm geschenkt hatten - zuschnallte.

    Ich danke auch für das schöne Spiel, das wir (glaube ich) hatten und dein Engagement! Vielleicht hast du ja eines Tages wieder etwas mehr Zeit und kannst mal wieder vorbeischauen :)

    Zitat

    Original von Marcus Petronius Crispus
    "Sei nicht so respektlos gegenüber unserem Gastgeber, Lucius!"


    Kurz darauf gab der Sklave ihnen zu verstehen, dass hier das Zimmer für Crispus war, während Lucius eins weiter sollte.


    Wieder einmal gelang es Lucius, nach einer öffentlichen Demütigung des Alten - zumindest vor den Sklaven des Germanen - seine Zunge im Zaum zu halten und einfach still in sich hineinzugrummeln. Glücklicherweise musste er dies aber auch nicht sehr lange tun, denn sie erreichten recht bald die Schlafzimmer und Lucius trat ein. Hinter ihm kam ein Sklave ins Zimmer und blieb schweigend und mit erwartungsvollem Blick neben der Tür stehen. Lucius bemerkte ihn zuerst gar nicht - er war zu sehr damit beschäftigt, sich sein Schlafzimmer anzusehen: Es war großzügig eingerichtet - sicherlich viermal so groß wie sein Zimmer in Mogontiacum inklusive Vorraum - und das Bett war voller Kissen und versprach damit ebenfalls mindestens um den Faktor vier weicher - wenn er nicht sogar gegen Unendlich ging (immerhin hatte der Alte Wert darauf gelegt, dass Lucius spartanisch wohnte, wie es sich für einen Legionär gehörte).


    Als er sich dann aber umdrehte, bemerkte er den Sklaven doch - und zuckte sogar kurz zusammen - beziehungsweise seine Hand zuckte nach oben zum Griff seines Gladius.
    "Was machst du hier?"
    fragte er feindselig. Natürlich war es absurd zu glauben, dass der germanische Senator seine Gedanken gelesen hatte und sofort einen gedungenen Mörder losgeschickt hatte - aber er fühlte sich doch etwas ertappt.
    "Ich - äh - kann dir beim Auskleiden helfen, Domine."
    antwortete der Sklave nicht weniger überrascht.


    Einen Moment war Lucius unschlüssig - Armin hatte ihm schon ab und zu mit den Klamotten geholfen, aber runter hatte er sie bisher eigentlich immer ganz gut allein bekommen. Andererseits... - er musste sich ja an die vornehme Gesellschaft gewöhnen, und da hatte man scheinbar einen Auskleidesklaven. Oder eine Sklavin? Naja, jetzt nahm er vielleicht doch erstmal mit diesem Burschen hier Vorlieb:
    "Gut, dann - äh - nimm meinen Mantel!"
    Er griff zu der Fiebel unter dem Hals, öffnete das Kleidungsstück und reichte es an den Sklaven. Der starrte allerdings wie gebannt auf das, was an Lucius' Gürtel hing: ! Einen Moment war Lucius verwirrt - hatte der Kerl noch nie ein Schwert gesehen? Unwahrscheinlich! Aber was wollte er dann? War es doch ein Killer, der ihn mit seiner eigenen Waffe töten würde? Nein, auch das war unwahrscheinlich - erstens wäre der Mordanschlag im Hause des Anstifters nicht sehr rational gewesen und zweitens war es völlig unlogisch, dass ein Mörder seine Waffe nicht mitbrachte und sich dann sogar der des Opfers bediente. Oder wollte der Sklave das Schwert stehlen? Unwillkürlich umfasste er den Griff und zog ihn ein wenig nach oben, sodass die sauber polierte Klinge ein kleines Stück aus der Scheide blitzte.
    "Was glotzt du so blöd?"
    fragte er dann. Diesmal fühlte der Sklave sich ertappt, denn er schlug sofort die Augen nieder und errötete ein bisschen. Schließlich sagte er:
    "Es ist nur, Domine - es ist streng verboten in Rom Waffen zu tragen."
    "Na für Sklaven vielleicht!"
    gab der junge Petronier zurück - so ein Quatsch! Rom stand doch quasi auf seinen Legionen und ein echter Bürger war auch Soldat!
    "Nein, Domine - es ist jedem verboten! Außer den Stadtkohorten!"
    Einen Moment überlegte Lucius, ob er dem Sklaven eine Ohrfeige geben sollte, aber irgendwo in seinem Hinterkopf dämmerte es ihm, dass er so etwas schon einmal gehört hatte... - mussten Feldherren nicht auch draußen vor der Stadt warten, bis sie vom Senat die Erlaubnis erhielten, ausnahmsweise die Stadt mit einem Heer zu betreten? Und hatte nicht sogar einer der Matrosen vorgestern davon erzählt, dass manche sich bei Palma wegen irgendwelchen uralten religiösen Regeln darüber aufgeregt hatten, dass seine Truppen den Palatin gestürmt hatten? Nicht, dass der junge Petronier Angst hatte, die Götter herauszufordern - er hatte sie schon ganz anders beleidigt und es war nie etwas passiert! - aber religiöses Recht war meistens auch staatliches Recht. Und er hatte eigentlich keine Lust, wegen so einer Sache vor dem Praetor zu landen, noch bevor er richtig in Rom angekommen war!


    Aber vor allem war es ihm unangenehm, dass der Sklave eines Germanen - in diesem Moment vergaß er ganz, dass sie ja nicht in Valas, sondern im Haus dieses Accius wohnten - ihn an römische Vorschriften erinnerte. Spontan fiel ihm nur Angriff als Gegenstrategie ein:
    "Und? Zeigst du mich jetzt an, oder was?"
    fragte er beleidigt und spielte kurz mit dem Gedanken, sein Schwert zu ziehen und diesem vorlauten Diener spontan den Garaus zu machen. Doch der war scheinbar nicht nur ein Sklave, sondern hatte auch eine sklavische Art, denn er schüttelte schnell den Kopf.
    "Nein, nein, Domine! Ich wollte dich nur - äh - warnen!"
    Jetzt wusste Lucius auch nicht mehr so recht, was er sagen sollte. Er entschied sich, die peinliche Situation einfach zu beenden:
    "Soso - ich brauch' deine Hilfe nicht! Sag' mir Bescheid morgen früh, wenn der Al - äh - mein Vater wach is'!"
    Der Sklave verneigte sich kurz und machte dann einen Abflug.


    Als er endlich allein war, ließ Lucius sich schwer auf das Bett fallen. Vorsichtig zog er das Schwert aus der Scheide und betrachtete die glänzende Klinge. Irgendwie war Rom schon ein recht fremder Ort mit fremden Regeln und allem. Und ausgerechnet hier würde er auf sein geliebtes Schwert verzichten müssen - dabei war Rom doch so ein gefährliches Pflaster!


    Naja, egal - jetzt würde er erstmal in einem superweichen Bett schlafen und ein bisschen üben, wie man so als reicher Mann lebte! Er brauchte sich ja nicht zu schämen, die Gastfreundschaft dieses Germanen in Anspruch zu nehmen, denn strenggenommen war der ganze Reichtum ja sowieso erst durch Rom entstanden und stand ihm damit viel mehr zu als diesem Langhaarigen!


    Am Ende durfte Pythagoras sogar mit ihm im Bett schlafen. Den Griff fest umklammert und tief versunken in den weichen Kissen schlummerte er ein und hatte endlich Zeit, sich ein bisschen von dieser doch recht anstrengenden Reise in seine Zukunft zu erholen...

    Lucius schwieg das ganze Gespräch über, wie sein Vater es ihm schon früh eingebläut hatte - wenn Erwachsene redeten, hatte er den Mund zu halten, unabhängig davon, dass er schon lange kein Kind mehr war und eine eigene Meinung zu vielen Dingen hatte. Auch hier: Während der Alte dem Duccier geradezu in den Arsch kroch, blinzelte Lucius nur verächtlich - mochte dieser Vala auch noch so sehr den Großkotz heraushängen lassen: Was er ihnen hier anbot, war das Haus eines Fremden und er hatte scheinbar nicht einmal viele Klienten! Die Klientenzahl war allerdings, soweit Lucius beobachten konnte, direkt proportional zu Macht und Einfluss einer Person - Caius' Vater beispielsweise hatte viel zu sagen gehabt, aber auch täglich stundenlang - zumindest wenn man Caius glauben durfte - Salutatio gehalten (und das nur in dem Rom gegenüber geradezu kleindörflichen Mogontiacum). Logischerweise war daraus abzuleiten, dass Vala das war, was Eumenius als Pediarii bezeichnet hatte - ein Senator ohne Einfluss, der bei Abstimmungen im Senat seinem Patron hinterherlief.


    Als sie deshalb kurz darauf den Flur entlang spazierten und sein Vater sich tatsächlich zu einem Lob dieses Germanen hinreißen ließ, hatte er nur ein verächtliches Schnauben dafür übrig:
    "Wir jetzt scheinbar auch. Wahrscheinlich muss er nichtmal was dafür zahlen..."
    Schmarotzer nannte Lucius so etwas...

    "Passt gut auf die Viecher auf!"
    ermahnte Lucius noch die beiden Sklaven, denen sie die Mulis anvertrauten, dann trat er hinter seinem Vater ein. Während das Haus von außen recht schlicht gewirkt hatte - wie eigentlich alle Häuser in Rom, wenn man von öffentlichen Bauten absah - war das Foyer eigentlich ganz hübsch. Inzwischen hatte der junge Petronier zwar durchaus prächtigere Gebäude gesehen (wenn auch kaum Privathäuser), trotzdem begutachtete er interessiert die Decke und die dekorierte Wand. Ganz nett, wie diese Senatoren wohnten...


    Für diese ausgiebige Untersuchung - die auch noch mit einem Becher Wein angefeuchtet wurde - hatten sie tatsächlich einige Zeit, denn der Herr Senator ließ sich Zeit. Erst nach einer Ewigkeit, die sie neben dem Begaffen der Wände mit betretenem Schweigen versüßt hatten, erschien dieser Duccius Vala - und war eine Enttäuschung und Bestätigung zugleich: Enttäuschung, weil er überhaupt nicht so aussah, wie Lucius sich einen Senator vorgestellt hatte - alle anderen, die er bisher gesehen hatte, waren der Statthalter, der Legionslegat und dieser Aurelier gewesen, die er aber allesamt nur von Weitem und bei offiziellen Anlässen gesehen hatte, wo sie ausgesprochen eindrucksvoll gewesen waren. Dagegen sah dieser Vala hier aus wie jeder andere Römer auch aus - naja, wie jeder andere Römer, der sich nicht die billigsten Klamotten kaufen musste.
    Aber das war natürlich auch die Bestätigung, denn sie zeigte wieder einmal, dass ein Germane eben einfach nicht aus seiner Haut kam - selbst als Senator nicht. Dass er dazu relativ lange Haare und einen Bart trug, passte nur ins Bild: "Ein Affe im Hemd war noch immer ein Affe", wie Morag immer sagte.


    Trotzdem wollte er natürlich gerade vor so einem Barbaren, der es scheinbar geschafft hatte ihn als richtigen Römer zu überflügeln, zeigen, dass er ihm an Manieren überlegen war, weshalb er ein etwas hölzernes
    "Salve, Senator."
    herausbrachte und unbewusst jene Habacht-Stellung einnahm, die der Alte ihm als Kind eingeprügelt hatte.

    Seitdem sie das Tor passiert hatten, kam Lucius aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Zuerst einmal hatte sich zwar eine gewisse Enttäuschung geboten - Rom war keineswegs so ordentlich im Schachbrettmuster angelegt, wie es die Kolonien auf ihrem Weg versprochen hatten. Andererseits war das Viertel um die Porta Ostiensis doch in einer Dimension gewesen, die der junge Petronier bis dahin nicht gekannt hatte. In Mogontiacum gab es zwar auch einige wenige Insulae, in Vienna und Massilia auch - aber keine mit so vielen Stockwerken und in einer solchen Dichte! Wenn er seine Rechnung weiterführte, die er im Stau auf der Via Ostiensis begonnen hatte, hatten allein in den ersten drei Straßenzügen, die sie passiert hatten, so viele Menschen gelebt wie in ganz Mogontiacum!


    Der nächste Hammer war kurz darauf gefolgt: Der Circus Maximus! Sicherlich war es Dämmerung und falls es an diesem Tag Spiele gegeben hatte, waren sie schon lange vorbei, sodass die Rennbahn recht still in ihrem Tal lag - aber dies war das erste Mal, dass er so etwas sah. In Vienna hatte es auch einen Circus gegeben, aber der war bei weitem nicht so groß und so gut ausgebaut gewesen. Hier mussten hunderttausende Menschen Platz haben - und das alles unter den Augen des Kaisers! Die nächste Sehenswürdigkeit, auf die der Alte ihn hinwies, war nämlich der Palatin gewesen, an dem sie rechts vorbeigeritten waren. Wenn man sich vorstellte, dass dort der Kaiser wohnte, dass er vielleicht gerade jetzt aus dem Fenster auf ihn herunter sah... selbst für einen rationalen Menschen wie Lucius war das ein eigenartiges Gefühl.
    Dann waren sie am Amphitheatrum Flavium vorbeigekommen, das dem Circus Maximus in nichts nachstand - zu gern wäre Lucius einfach einmal hineingegangen, hätte diesen riesigen Kreis zumindest mit den Augen abgemessen, um etwas besser einschätzen zu können, wie viele Zuschauerplätze es hatte und wie viel Stein dafür wohl notwendig gewesen war - aber ihm war natürlich klar, dass der Alte diese Bitte mit einem 'Da hast du jetzt noch dein ganzes Leben dafür Zeit!' abgetan hätte. Also sparte er sich die Frage, sondern folgte hinter Haakon den Anstieg zum Esquilin hinauf.


    Unterwegs hatten sie immer mal wieder fragen müssen und irgendwie schienen alle Römer furchtbar beschäftigt zu sein - was aber auch wieder logisch war, wenn man bedachte, dass die ersten Wägen nun durch die Straßen ratterten und die Läden belieferten, die an jeder Hausecke ihre Tore zur Straße öffneten.


    Trotzdem hatten sie es irgendwie geschafft und so stand Lucius nun in eingier Entfernung und blinzelte zu der Pforte hinauf, hinter der angeblich der Senator Duccius wohnte - lächerlich, dass sie meilenweit gereist waren, um einen Germanen in Senatorentoga aufzusuchen...

    Der Kommentar des Alten war dummerweise wirklich einleuchtend - während sie schweigend weitertrotteten, wurde Lucius nämlich plötzlich klar, dass seine Antwort ganz schön naiv war: um sie herum standen tausende Wägen, die alle in die Stadt wollten - daraus ließ sich logisch ja ganz klar ableiten, dass es nicht ruhig sein würde, wenn sie in der Stadt waren! So vorgeführt worden zu sein ärgerte den jungen Petronier und er hielt den Mund. Sollte doch Haakon sich die Story vom Pferd über diese Stadt erzählen lassen...


    Innerlich war Lucius allerdings tatsächlich immer beeindruckter - je näher sie dem Tor kamen, desto deutlicher wurde nämlich auch, dass sich bereits kurz dahinter riesige Mietskasernen türmten. An sich war auch das nicht das erste Mal, dass der junge Petronier solche Gebäude sah, aber die Menge und Höhe übertraf doch das, was er bisher gesehen hatte. Wenn man berechnete, dass in einer Insula mit einer Breite von 30 Passus pro Stockwerk, 15 Wohnungen pro Etage und sieben Etagen lagen - wenn er die Insula direkt vor sich ansah, dürfte es etwa so viel sein - , dann lebten dort bei einer durchschnittlichen Plebs-Familie von zwei Erwachsenen und zwei Kindern 60 Menschen pro Stockwerk, insgesamt also 420 Personen pro Insula. Und vor ihm schienen hunderte dieser Massenquartiere zu sein - allein das war ein Beweis, dass Rom gewaltig war!

    War Ostia noch eine Stadt wie viele andere gewesen - wenn sie auch der größte Hafen war, den Lucius jemals gesehen hatte - , so war der Weg nach Rom hinein schon ein einmaliges Ereignis: Zwar war die Via Romana auch hinter Ostia schon von Gräbern gesäumt gewesen, die teilweise wirklich schon das übertrafen, was er in Germania und Gallia gesehen hatte, aber je näher sie der Stadtmauer Roms kamen, desto gewaltiger wurden die Mausoleen und Grabstelen, die teils mit lebens- und überlebensgroßen Statuen geschmückt waren und in ihrem Volumen das Capitolium von Mogontiacum übertrafen. Die Namen, die man auf den Inschriften lesen konnte, erinnerten auch tatsächlich an Xanthippus' Geschichtsunterricht - aber ob es wirklich rational war, den Toten solche Paläste zu bauen? Immerhin waren sie ja tot und hatten wohl ebenso wenig davon wie von den Opfergaben, die vor ihren Eingängen vor sich hingammelten und Ungeziefer und Wildtiere anzogen. Wenn man davon ausging, dass jedes der größeren Grabmäler vielleicht zwanzig Tote beherbergte, dann hatten manche von ihnen eine Wohnfläche, die weit über der seiner Großeltern in ihrem Streifenhäuschen lag!


    Somit waren die Erwartungen hoch, als sie sich der Porta Raudusculana näherten, die die Via Ostiensis in die Stadt hineinführte. Auch wenn die Mauern und Türme auch nicht höher wirkten als die in Augusta Raurica, so war es doch auch schon beeindruckend zu hören, welchen Lärm die Lieferanten machten, die sich hier aufgereiht hatten. Eigentlich logisch, dass so eine Menge Güter, die auf den Riesen-Frachtschiffen in Ostia ankamen, auch eine lange Karrenschlange bildeten - ein einziges der großen Getreideschiffe konnte ja mehr als tausend Ochsenkarrenladungen transportieren! Eigentlich war es doch interessant, das einmal genauer zu berechnen...


    Aus diesen Gedanken wurde er allerdings von der Frage seines Vaters gerissen, die ihn aber etwas verwirrte:
    "Naja, sicher. Wobei nachts sicherlich nicht so viel los sein wird."
    antwortete er und zuckte mit den Schultern - so war es zumindest in den meisten Städten gewesen, die sie bisher besucht hatten.

    Als das Schiff die Hafenmauern von Portus passierte, war Lucius absolut sicher, dass er das Meer hasste - das hatte er nun wirklich ausgiebig experimentiell bestätigt: Zwar hatte Armin bereits kurz nach dem Auslaufen in Massilia gekotzt, aber bei ihm war mit etwas Zeitverzögerung haargenau der selbe Prozess zu beobachten gewesen - nur, dass er bei ihm nie wirklich geendet hatte. Und hätte es nicht gereicht, dass ihm wegen des wackligen Untergrundes ständig mindestens ein kleines bisschen übel gewesen war, war am nächsten Tag auch noch der Sturm gekommen. Das Meer hatte sich von jetzt auf gleich in eine wütende Bestie verwandelt, die das mächtige Handelsschiff hin- und hergeschleudert hatte, während der Wind nicht weniger wütend geheult und sogar das Segel zum Reißen gebracht hatte. Das hatte der junge Petronier allerdings erst im Nachhinein erfahren, denn er hatte die Zeit damit verbracht, sich panisch an der Reling festzukrallen, seinen Mantel vom Wegfliegen abzuhalten und parallel zuerst das Frühstück samt Abendessen, danach saure Galle hochzuwürgen und hinaus in die See, aber auch auf seine Kleidung und das Deck zu verbreiten, wo es glücklicherweise umgehend von Regen und Wellen weggewaschen worden waren. Und das schlimmste daran war gewesen, dass es ihm am allerschlechtesten von allen Passagieren gegangen war - selbst wenn auch der eine oder andere der oberwichtigen Decurionen sich hatte erbrechen müssen.


    Umso glücklicher war er gewesen, als sie in Aleria Station gemacht hatten. Die Stadt hatte ihn zwar wenig beeindruckt - Kolonien im Schachbrettmuster hatte er auf der Reise nun doch zu Genüge gesehen, ebenso Amphitheater, Theater, Tempel und Paläste - , aber der feste Boden unter den Füßen war eine Wohltat gewesen. Sie waren allerdings nicht lange geblieben und der Alte hatte ihn gezwungen, die kulinarische Spezialität des Ortes - Austern - zu essen. Schleimige, salzige Muscheln, die man roh schlürfte und die in ihrem Geschmack ziemlich ans Meer erinnerten - kein Wunder, dass er sie am nächsten Tag auf See direkt wieder von sich gegeben hatte.


    Nun hatte die Odyssee allerdings ein Ende. Schon von Ferne erkannte der junge Petronier das Leuchtfeuer, von dem er schon gehört hatte - und wunderte sich: Je näher sie dem Feuer kamen, desto mehr schien es aufzusteigen, bis am Ende der ganze Turm und auf dessen Spitze die gegen den Regen ankämpfenden Flammen zu sehen waren. Man konnte fast glauben, dass die Meeresoberpfläche einen Bogen machte. Als nächstes kamen dann die großen Handelsschiffe, die die Frage aufwarfen, welches Volumen sie wohl hatten - und wie viele von ihnen, um Rom für ein Jahr mit Getreide zu versorgen. Alles in allem hatte er beim Einlaufen also genügend Ablenkung, um nicht ständig an die noch immer vorhandene leichte Übelkeit zu denken.


    Kurz darauf wurde der Anker ausgeworfen und das Schiff bremste recht abrupt. Hafenarbeiter in Mänteln zogen das Schiff mit Tauen zum Kai, dann wurde das Schiff vertäut und die Landeplanke aufgelegt. Lucius war der erste, der sie überquerte und dann endlich zum ersten Mal einen Fuß auf italischen Boden setzte - festen, nicht-schwankenden Boden, der dazu noch so nahe am Zentrum der Welt war! Am liebsten hätte er ihn direkt geküsst!


    Doch hinter ihm kam schon der Alte, dann die anderen Decurionen, die ihn ein bisschen beiseite schoben. Damit endete der magische Moment, denn sein Vater beauftragte ihn, das Entladen des Schiffes zu überwachen - nicht, dass jemand eine der Goldkisten verschwinden ließ...

    [Blockierte Grafik: http://img862.imageshack.us/img862/1286/arminjungklein.jpg]|Armin [NSC]


    Für Armin war die Reise vor allem eines gewesen: spannend! Er war noch nie in seinem Leben so weit von Mogontiacum weggekommen und hatte tausende Dinge gesehen, die ihn einfach nur beeindruckten - zuerst Borbetomagus, seine eigentliche Heimat (leider nur vom Schiff aus, denn sie hatten dort keinen Halt gemacht), dann die unzähligen unterschiedlichen Städte am Rhenus, ein richtiges echtes Gebirge, dann den Wahnsinns-Bergsee der Allobroger, er hatte erstmals eine Provinzgrenze passiert, hatte die Unterschiede der gallischen und germanischen Dörfer bemerkt, sich über die seltsame Sprache amüsiert (auch wenn in Mogontiacum auch sehr viele Gallier lebten, sprach man hier unten doch einen ziemlich komischen Dialekt) und sah nun innerhalb weniger Wochen zum zweiten Mal die größte Wasserfläche seines Lebens. Wie er sich aus den Erzählungen des Alten erinnerte, hatten die Römer von hier aus begonnen ihr Imperium aufzubauen. Und auf dem Meer, das vor ihnen lag, hatten sie die Karthager niedergerungen, die angeblich ein noch härterer Brocken gewesen waren als die Germanen - was Armin sich aber nicht vorstellen konnte, denn immerhin gab es die Germanen noch, während die Punier mehr oder minder verschwunden waren. Zumindest behauptete der Alte das.


    Sicherlich war es an Bord nicht immer spannend gewesen - aber Armin hatte sich im Gegensatz zu Lucius die Zeit damit vertrieben, Kontakte mit allen möglichen Leuten zu knüpfen - mit den Dienern der anderen Gesandten, mit den Flussschiffern, den Maultiertreibern und so weiter und so fort. Abends in den Mansiones war er zwar meistens bei Lucius gesessen und hatte ihn etwas unterhalten - sein Herr fand ja immer so schlecht Anschluss und irgendjemand musste sich ja um ihn kümmern - aber immerhin konnte man mit ihm ganz gut einen über den Durst trinken. Und das hatten sie auch gestern getan, wie er heute sehr deutlich spührte - sogar das leichte Bündel, das er für Lucius auf das Schiff getragen hatte, hatte sie unendlich schwer angefühlt und ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Wahrscheinlich würde er heute noch ins Mare Internum kotzen... - verdammter Wein! Bier vertrug der Vangione wunderbar - da trank er Lucius locker unter den Tisch und stand am nächsten Morgen auf, als wäre nichts gewesen. Aber Wein... da gingen bei ihm schnell die Lichter aus.


    Dumm nur, dass er jetzt ins Land der Weintrinker umziehen würde. Der Alte hatte ja beschlossen, dass Armin Lucius begleiten würde - was sicherlich keine dumme Idee war. Lucius war ganz sicher nicht blöd, aber mit Menschen kam er nicht sehr gut zurecht. Sicherlich würde er sich schon irgendwie durchschlagen - aber ohne jemanden, der ihn ab und zu bremste oder an ein paar grundsätzliche Dinge erinnerte, würde er sicherlich nie zum Eques werden, sondern in einem Knast landen. Wahrscheinlich wegen Totschlags. Also war es wohl ganz gut, wenn Armin nicht von seiner Seite wich. Und außerdem war es sicherlich nicht das Schlechteste, den Alten mit seiner knallharten Haustyrannei hinter sich zu lassen und stattdessen in die größte Stadt der Welt zu ziehen. Sicherlich - er würde damit seine wahre Heimat verlassen, die - anders als bei den Petroniern - auch die Heimat aller seiner Vorfahren war. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er von der germanischen Kultur nicht viel mehr mitbekommen als von der römischen. So lange er sich erinnern konnte, lebte er im Haushalt der Petronier und hatte Lucius' Los geteilt - sie waren zusammen in der Schule gewesen (auch wenn Armin ganz hinten saß und niemals aufgerufen oder geprüft worden war), hatten zusammen die brutale Grundausbildung des Alten über sich ergehen lassen, waren zusammen um die Häuser gezogen und sogar im selben Zimmer geschlafen. Es würde für ihn also bestimmt nicht schlimmer werden als für Lucius.


    Aber trotzdem, als er die Landmasse, auf der er sein ganzes Leben gelebt hatte, so davonziehen sah, wurde er schon ein bisschen melancholisch. Allerdings nicht lange - denn sehr bald wurde ihm schlecht und er weihte seinen ersten Tag auf hoher See mit der Ausscheidung des süßen Weins vom Vortag ein. Danach ging es ihm aber wieder etwas besser...





    SKLAVE - MARCUS PETRONIUS CRISPUS

    Als sie am Tag nach ihrer Ankunft das Schiff bestiegen, hatte Lucius seine Überlegungen zur Glätte des Meeres schon wieder vergessen. Stattdessen dachte er über etwas wesentlich uninteressanteres, dafür aber auch unmittelbareres nach - Griechisch. In Mogontiacum hatte er durchaus griechischsprachige Leute getroffen und auch auf ihrer Reise war ihnen ab und an mal so jemand über den Weg gelaufen - aber hier war doch der erste Ort gewesen, in dem man diese Sprache einfach so auf der Straße benutzte. Sein eigenes Griechisch war miserabel - er verstand bestenfalls Wortfetzen. Als dann der Alte am Abend auch noch auf die Idee kam, dass er doch ein bisschen seine Sprachkenntnisse üben könnte, weckte das nur noch mehr Widerstand im dem jungen Petronier - er hasste Griechisch, er hasste Plaudern und er hasste Fremde! Warum sollte er sich also eine Plauderei mit einem dumpfen Seemann von irgendeiner der unzähligen griechischen Inseln antun? Was interessierte ihn die Fischausbeute des letzten Jahres oder die Windqualität oder die beste Hafenhure? Zum Glück hatte sein Vater relativ schnell die Lust verloren ihn zu nerven, sodass er um diesen Quatsch herumgekommen war. Stattdessen hatte er einige Becher Wein gebechert und mit Armin darüber philosophiert, dass das Gebräu hier auch nicht viel besser war als in Mogontiacum - was aber wohl daran lag, dass sie dort auch meist Importwein tranken.


    Heute aber erinnerte ihn nur noch ein pulsierender Schädel an die Weinprobe vom Vorabend, denn seine Erinnerung war auch etwas schwammig - wieder so ein seltsames Phänomen der Natur. Warum vergaß man Dinge, wenn man viel Wein trank? Dasselbe ließ sich auch beim Bier beobachten, aber das war weitaus weniger schlimm - eben alle Getränke, die einen Rausch verursachten. Ob der Zusammenhang dazwischen wirklich eine feste Koppelung war, konnte er nicht sagen - das würde er vielleicht auch eines Tages mit einem Experiment verifizieren müssen...


    Kurz darauf stand er an der Reling des Schiffes und sah zurück auf den Hafen von Massilia, die kühle Seeluft um die Nase und Armin an seiner Seite. Dem Sklaven sah man förmlich an, dass er gestern ein bisschen zu tief in den Weinbecher geschaut hatte - das musste wohl auch mit dem Temperament zusammenhängen: Armin als Germane vertrug Wein eben wesentlich schlechter als er selbst - das Erbe des Aeneas vielleicht...