Lucius hatte sein Päckchen von Armin zum Hafen bringen lassen - er wusste nicht so recht, was er von diesem Haakon halten sollte, der für den Alten die Organisation der Bewachung und auch die Beladung der Schiffe übernommen hatte. Da er sein Schwert bei der Zeremonie hier noch nicht tragen durfte, wollte er es lieber in sicheren Händen wissen - denn wer wusste schon, ob dieser Germane es am Ende nicht klaute und sich dann davon machte!
Bevor er seinen geliebten Pythagoras - so hieß das Schwert seit neuestem - aber um seine Lenden gürten konnte, musste er dieses furchtbar langweilige und heute extralange Ritual für die Götter über sich ergehen lassen. Scheinbar hielt es sein Vater dazu noch für eine besondere Freude für seinen Sohn, dass dieser sich aktiv beteiligen und damit Pietas heucheln durfte - aber an Diskussionen war wie üblich nicht zu denken. Also trug er - wie die anderen Gesandten auch - seine Toga und machte ein missmutiges Gesicht, wenn er daran dachte, dass er nun wieder einen ewiglangen Singsang aufsagen durfte, der am Ende doch absolut nichts bewirkte. Dazu kam, dass es ein wenig windig war und seine Toga ständig drohte aus der Form zu fallen - wäre der Alte doch nicht so geizig gewesen und hätte ihm einen etwas schwereren Stoff gegönnt! Naja, in Italia war das Wetter ja angeblich viel besser - da würde er sich mit diesen Problemen nicht mehr herumschlagen müssen!
Dann aber erschollen die Flöten und der Herold bat um Ruhe - das Opfer begann und der Alte schubste Lucius ein wenig nach vorn - er hatte das erste Opfer zu vollbringen, das an Mercurius und Rosmerta ging. Ausgerechnet an diese beiden, die die Gallier und Germanen sehr schätzten, die für Lucius aber nicht einmal sehr attraktive Werte verkörperten: Handel und Fruchtbarkeit war etwas für Krämerseelen und Weiber, nicht für Männer wie ihn. Rosmerta wurde dazu noch nicht einmal jenseits der Alpen verehrt - das zeigte doch schon, dass sie eine Einbildung der ungebildeten Barbaren hier war!
Aber natürlich konnte er sich sowieso nicht wehren, also versuchte er wenigstens, es zügig hinter sich zu bringen. Also legte er sich die Toga über den Hinterkopf, wie es der Alte auch zu jedem Opfer am Lararium tat und wusch sich die Hände im Waschbecken, das ihm einer der Tempelsklaven reichte. Immerhin gab es auch einen praktischen Aspekt an dieser Sache - er hatte eben noch eine Birne gegessen und seine Finger klebten sowieso ein wenig.
Danach hatte er die Opfertiere zu prüfen - natürlich alle vier, denn neben Mercurius und Rosmerta würden später noch Divus Augustus, Apollo Mogon und Iuppiter Optimus Maximus ihre Tiere erhalten. Also ging er ein wenig lustlos um die Tiere herum. Natürlich hatte der zuständige Aedituus hier bereits alles vorbereitet und dieser Teil des Rituals war ebenso sinnentleert wie alle anderen (wenn man einmal davon absah, dass es wohl überhaupt keine Götter gab, die sich überhaupt dafür interessierten) - er hätte auch gar nicht hinsehen, sondern einfach nur die Tiere umrunden müssen.
Nach der Prüfung der Tiere war dann das Voropfer an der Reihe. Dazu trat der junge Petronier die vier Stufen zum Tempelumgang hinauf und verschwand in der Cella. Auch hier war natürlich alles vorbereitet, um eine möglichst religiöse Stimmung zu verursachen - oder was man gemeinhin dafür hielt. Immerhin boten die Priester, die ja am meisten von jedem Opfer profitierten, eine gute Show. Vor dem thronenden Götterpaar stand der Foculus, auf dem bereits die Kohlen entzündet waren.
Dort blieb Lucius stehen und blickte feindselig in die glänzenden Augen des Handelsgottes. Inwiefern eine Holzstatue sie auf dem langen und gefährlichen Weg nach Rom schützen sollte, war ihm nicht ganz klar. Aber auch hierhin hatten ihn die Pontifices und Opferhelfer begleitet - diesmal leider nicht Armin, der ihm sonst bei allen möglichen Dingen assistiert hatte - sodass er nicht einfach alles achtlos verbrennen konnte. Stattdessen sagte man ihm auch schon das Opfergebet ein, das er nur nachsprechen musste:
"O Mercurius und Rosmerta, Bewahrer der Reisenden auf allen Wegen, Mehrer des Handels und des Wohlstands!
Unser Gebet steige zu Euch auf wie dieser Weihrauch und neige Euer Ohr uns zu!"
Damit streute er ein wenig Weihrauch auf den Mini-Altar, der sofort seinen charakteristischen Duft verströmte. Doch Lucius wollte fertig werden, weshalb er sofort fortfuhr:
"O Mercurius und Rosmerta, Bewahrer der Reisenden auf allen Wegen, Mehrer des Handels und des Wohlstands!
Stets führt Ihr uns auf dem Weg in die Fremde, Ihr bewahrt uns vor Dieben und Räubern, sorgt für unsere sichere Ankunft an unserem Ziel und geleitet uns in die Heimat zurück!
Stets habt Ihr diese Stadt mit Eurem Segen bedacht, habt den Händlern reiche Gewinne, der Stadt Wohlstand und den Feldern Fruchtbarkeit beschert, wofür wir Euch gerechte Gaben geben, Eure Feiertage ehren und diesen Tempel als Eure Wohnung erhalten!
Bewahrt nun auch uns als Gesandte dieser Stadt auf unserem Weg nach Rom! Schützt uns vor Räubern und Dieben, lasst uns nicht abkommen von unserem Weg, aufdass unser Geschenk für den Kaiser selbst sein Ziel erreicht!
Nehmt an diese Kuchen, unsere gerechte Gabe für Euren Segen!"
Damit wanderten auch zwei Opferkuchen in den Altar, wo sie deutlich weniger Wohlgeruch verströmten, während sie langsam verkokelten. Trotzdem hatte er seine Pflicht getan - mit einer Wendung nach rechts beendete er das Voropfer und machte sich zielstrebig zum Opferaltar vor dem Tempel auf. Dort wartete bereits der Ziegenbock, der nun auch noch an die Götter gehen würde.
Draußen wartete bereits das unharmonische Gedudel der Opferflötisten. Lucius mochte diese Musik nicht - sie hatte in seinen Augen nichts mit den Harmonien gemeinsam, über die sie einige Male bei Xanthippus gesprochen hatten. Es war eben nur ein wildes Durcheinander, das das Gemurmel der Menge vertuschen sollte - wenn es die Götter wirklich gab, ließen sie sich scheinbar ziemlich leicht ablenken!
Der Herold brüllte
"Favete linguis!"
und Lucius nahm den Aspergill und besprengte die Menge, die sich vor dem Umgangstempel versammelt hatte. Ganz vorn standen die beiden Duumviri, dann die gesamte Gesandtschaft mit seinem Vater in der Mitte. Dahinter folgten die übrigen Decurionen, die nicht die Gelegenheit hatten, in die echte Zivilisation zu reisen und darüber wahrscheinlich noch erleichtert waren. Dazwischen musste auch Marsus stehen, der sich durch die Heirat mit Octavena ja ebenfalls aus der Pflicht gestohlen hatte.
Aber der junge Petronier hatte keine Zeit, sich weiter über seine dämliche Nichte und ihren schleimenden Gatten zu ärgern, denn jetzt war das Opfertier zu weihen. Da hier nur Mercurius und Rosmerta bedacht wurden, genügte auch der weiße Ziegenbock, der wie üblich ordentlich mit Schleifchen und Vergoldungen verziert war. Der ganze Plunder wurde nun abgenommen und Lucius ließ sich die schwere Klinge reichen, die eigentlich nur symbolisch das Opfermesser darstellte. Es wog schwer in der Hand - fast so schwer wie Pythagoras, war aber offensichtlich wenig scharf und miserabel ausgewogen. Also widerstand er auch seinem Drang, die gesamte versammelte Decurionenschaft abzustechen, sondern redete sich ein, dass er diese Fratzen sowieso nie wieder sehen müssen würde. Stattdessen fuhr er über den Rücken des blökende Viehs, das bald in seinem eigenen Blut zucken würde. Danach kam noch etwas Wein über seinen Kopf, der den Bock den Kopf heftig schütteln ließ, sodass ein wenig von der Flüssigkeit auf Lucius' Toga zurückkehrte. Die Flecken würde Armin heute Abend auf dem Schiff auswaschen müssen.
Wieder war der Souffleur an der Reihe, der das Weihegebet einzusagen hatte. Und Lucius sprach es brav und mit lauter Stimme nach:
"O Mercurius und Rosmerta, Bewahrer der Reisenden auf allen Wegen, Mehrer des Handels und des Wohlstands!
Stets führt Ihr uns auf dem Weg in die Fremde, Ihr bewahrt uns vor Dieben und Räubern, sorgt für unsere sichere Ankunft an unserem Ziel und geleitet uns in die Heimat zurück!
Stets habt Ihr diese Stadt mit Eurem Segen bedacht, habt den Händlern reiche Gewinne, der Stadt Wohlstand und den Feldern Fruchtbarkeit beschert, wofür wir Euch gerechte Gaben geben, Eure Feiertage ehren und diesen Tempel als Eure Wohnung erhalten!
Bewahrt nun auch uns als Gesandte dieser Stadt auf unserem Weg nach Rom! Schützt uns vor Räubern und Dieben, lasst uns nicht abkommen von unserem Weg, aufdass unser Geschenk für den Kaiser selbst sein Ziel erreicht!
Nehmt an diesen makellosen Ziegenbock, unsere gerechte Gabe für Euren Segen! Wir geloben Euch ein weiteres Opfertier, wenn Ihr unsere Füße sicher wieder hierher in die Heimat geleitet!"
Nun war der einzig interessante Teil an dieser Form von Opfer an der Reihe: Die Vollstreckung eines Todesurteils. Wie immer beneidete Lucius den Opferhelfer, der sich den Bock an den Hörnern griff und das Opfermesser zückte.
"Agone?"
fragte dieser und
"Age!"
antwortete der junge Petronier. Sicherlich würde er eines Tages ein Offizier sein und auf ähnliche Weise auch über das Ende von Menschen bestimmen können - wie sehr freute er sich schon darauf, ein Hinrichtungskommando zu sehen, um endlich wieder diese Mischung aus Überraschung und Angst in den Augen eines Menschen zu sehen! So wie Caius damals, dessen Vater noch immer nicht über seinen Verlust hinweggekommen war - auch er stand in der Menge der Decuriones, trotz all der Jahre noch immer dunkel gekleidet. Auch für solche Emotionalität hatte Lucius nur Verachtung übrig - eigentlich hätte er dankbar sein müssen, seinen Versager-Sohn, der nur mit viel Geld und Einflussnahme durch die Schule gekommen war, endlich los zu sein! Jetzt, wo er keinen Erben mehr hatte (nur eine Tochter), konnte er sein Erbe endlich einfach verprassen und musste nichts aufheben!
Unterdessen hauchte der Ziegenbock unter heftigem Blöken und Gurgeln sein Leben aus. Die übrigen drei Opfertiere - zwei Schafböcke und ein Stier - wirkten doch ein bisschen verunsichert, während das warme Blut pulsierend aus der durchtrennten Kehle sickerte. Wie immer beobachtete Lucius diesen Part ganz genau, sog den Anblick in sich auf wie ein Schwamm. Und wie immer dachte er dabei an den zuckenden Brustkorb von Caius, was ihm ein grimmiges Lächeln auf die Lippen zauberte. Ganz so schlimm war das Opfern doch nicht, wenn es wenigstens schön blutig war...
So in Gedanken versunken beachtete er gar nicht, wie der Haruspex die Innereien des Ziegenbocks gereicht bekam und das Blut aufgesammelt und an den Altar gespritzt wurde...