Beiträge von Lucius Petronius Crispus

    Das Meer! Lucius hatte es noch nie gesehen und war doch ein wenig erstaunt, als er es so vor sich sah. Natürlich hatte er schon davon gehört - aber es war doch irgendwie anders, als er es erwartet hatte. Natürlich hatte er sich beim Grammaticus mit der Odyssee herumärgern müssen und auch die Aeneis erzählte ja von einer Irrfahrt und den Gefahren des Meeres. Aber jetzt, wo er es so vor sich hatte, wirkte es trotz allen Seegangs sehr ruhig und friedlich. Und glatt am Horizont. Wenn er recht überlegte, war das wirklich das erste Mal, dass er den reinen Horizont sah, ohne Wälder, Berge, Hügel oder sonstwas - die Welt hörte einfach auf! Dabei wusste er, dass dies keinesfalls das Ende der Welt sein konnte, denn hinter dem Mare Nostrum wartete ja noch Africa! Nur warum sah man es nicht, obwohl der Himmel heute absolut klar war?


    Diese Frage beschäftigte ihn doch etwas, während sie Massilia erreichten, wo es wieder einmal ans Umsteigen ging - denn jetzt würden sie tatsächlich aufs Meer wechseln und dort die italische Halbinsel hinuntersegeln...

    Immerhin hatte Haakon den Anstand, das nicht zu bestreiten - aber das sagte natürlich nichts darüber aus, was wirklich hinter all dem gesteckt hatte. Der Alte zeigte allerdings weniger Verständnis und fuhr ihn auch noch an - obwohl er die Wahrheit gesagt hatte, die sogar von dritter Seite bestätigt worden war. Aber dass sein Vater sich für Gerechtigkeit interessierte, wäre ja auch eine Neuigkeit gewesen.


    Also biss er die Zähne zusammen und drehte sich wortlos um. Missmutig stapfte er die zwei Schritte zu dem Schutzkreis zurück, der sich aufzulösen begann, nachdem offensichtlich nichts mehr direkt zu verteidigen war.


    "Was steht ihr hier so blöd rum? Los, ladet den Scheiß auf den Karren da!"


    fuhr er die herumstehenden Milizionäre an - das war ja wieder typisch: Sobald man mal nicht hinschaute, lungerten alle herum! Und die anderen Decurionen waren natürlich auch wieder keine Hilfe, die waren ja zu sehr damit beschäftigt mit großen Augen auf die gebrochene Achse zu starren - alles Idioten...

    Lucius kam sich ein bisschen nachgeäfft vor, als sein Vater so in die Runde platzte. Allerdings wusste er sehr gut, dass er sowieso nichts dagegen tun konnte, dass der Alte jetzt wieder das Kommando an sich riss - womit auch klar war, dass die Ausflüchte mit der Goldmünze sofort zogen. Sein Vater war ein harter und strenger Mann, aber er war nicht grade der Hellste - es war doch offensichtlich, dass es tausende Möglichkeiten gab, wie der Aureus in Haakons Tasche gekommen war. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden wirklich seinen Dieb verfolgt hatten, lag genauso hoch wie die, dass einer von beiden selbst der Dieb gewesen war und der andere ihn zurückgeholt hatte. Immerhin waren das hier Barbaren, die ihre schmutzigen Finger sicherlich einfach nicht von funkelnden Dingen halten konnten. Wahrscheinlich hatten sie sich auf dem Rückweg abgesprochen, denn Germanen waren ja nicht nur gierig, sondern auch verschlagen - das wusste schon Tacitus!


    Dass sie jetzt aber auch noch versuchten, sich als unersetzliche Spürhunde aufzuspielen, setzte dem ganzen die Krone auf - da machte Lucius nicht mit! Er hatte doch den Dieb gesehen und - gesetzt den Fall, sie hatten tatsächlich zusammen einen Dieb verfolgt - durch sein Rufen auf ihn aufmerksam gemacht! Wenn der verdammte Mantel nicht gewesen wäre, hätte er ihn sogar selbst erwischt!


    "Naja, den Dieb habe ich entdeckt!"

    Während Haakon und Undorich den Dieb fröhlich durch die Gassen verfolgten, herrschte bei den Wägen nicht weniger Hektik. Wie der Alte befohlen hatte, blieb er mit gezücktem Schwert vor dem Schutzkreis stehen und achtete darauf, dass niemand sich hindurch drängte. Angesichts der Mauer aus germanischen Leibern, Schwertern und Spießen hatte daran aber sowieso keiner Interesse, selbst wenn die Schaulustigen immer mehr wurden. Sie hielten sogar so viel Abstand, dass Lucius es nach einiger Zeit sogar etwas langweilig wurde und er fast wünschte, dass es einen Dummen gab, den das Gold im Dreck so sehr anzog, dass er einen Durchbruch versuchte. Sein Vater hatte ihm eingebläut, wie man eine Linie hielt und bei der Miliz-Ausbildung hatte er auch gesehen, wie man sie ausrichtete! Er wäre also bestens gewappnet...


    Allerdings bekam er keine Gelegenheit, denn als Haakon und einer der ungewaschenen Milizionäre aus einer Gasse kamen, stand er immer noch in seinem matschbespritzten Mantel vor den Männern und beobachtete, wie dahinter die Münzen gesammelt wurden. Deshalb erschrak er auch etwas, als plötzlich zwei Gestalten in seinen Augenwinkeln auftauchten, die offensichtlich den Sicherheitsabstand durchbrachen. Blitzschnell drehte er sich um und streckte das Schwert aus - um dann zu erkennen, wen er vor sich hatte.


    "Wo kommt ihr denn her?"


    fragte er feindselig. Haakon war ein Klient seines Vaters - aber er war auch ein gemeiner Germane, dem alles zuzutrauen war. Wenn er bemerkt hätte, dass der "Kommandant" der Eskorte fehlte, wäre der junge Petronier wohl davon ausgegangen, dass er sich ein paar Aurei geschnappt und das Weite gesucht hatte. Das war jetzt aber auszuschließen, denn danach wieder zurückzukehren war ziemlich irrational - hier in der Stadt würde man ihn sowieso nicht kennen und er konnte wahrscheinlich bequem untertauchen. Was also wollte er?

    Die Reise vom Lacus Lemanus hinab bis nach Vienna war ähnlich ereignislos wie der bisherige Weg. Dass sie nicht in Lugdunum, dem angeblich so prächtigen Haupt der drei Gallien Halt machten, störte Lucius wenig - er hatte inzwischen genügend römische Kolonien im Barbaricum gesehen. Und je schneller er nach Italia und zum Herzen des echten Römertums kam, desto besser! Für den Landweg ab der Flussbiegung bekam er diesmal allerdings nur einen Esel, der neben ihm selbst auch noch sein Gepäck tragen durfte, während anderen Decurionen Pferde gemietet worden waren. Der junge Petronier hatte darüber ein bisschen gemurrt, aber nur einen scharfen Kommentar des Alten eine eine drohende Hand kassiert - und bevor er sich die Blöße gab, von seinem Vater vor aller Augen eine Ohrfeige zu bekommen, hatte er lieber klein beigegeben.


    Während sie dann wieder einmal eine der schnurgeraden Römerstraßen auf Vienna zuhielten fragte er sich, wie man diese eigentlich in die so unsymmetrische und unpraktische Natur trieb - vielleicht war Straßenbau auch ein Thema, mit dem er sich näher befassen sollte...


    Ein paar Tage später zogen sie in Vienna ein, wo es - mal wieder - Tempel und Theater zu bestaunen gab. Lucius musste dem Alten sogar als Opferhelfer dienen, als dieser Augustus und Livia ein paar Münzen aus dem kaiserlichen Geschenk darbrachte - wie immer vor allem eine sehr langweilige Angelegenheit, zumal kein Blut spritzte. Aber immerhin hatte er während der Zeremonie Zeit, sich die feinen Symmetrien des Gebäudes in aller Ruhe anzusehen. Er hatte gehört, dass man diese auch mathematisch berechnen konnte, was wieder einmal bewies, dass Mathematik auch der Schlüssel zur Ästhetik war!


    Als es dann am nächsten Morgen weiter zum Flusshafen ging - die Gesandtschaft wechselte aus Preisgründen wieder auf den Rhodanus, der nun direkt bis zum Meer fließen würde - passierte dann das Unglück: Nachdem die Ladung des Karrens neben ihm wegen eines Schlaglochs verrutscht war, nutzte der junge Petronier gerade die Pause, um sich mit der Kapuze seiner Paenula vor dem eisigen Wind zu schützen, als die Achse brach. Die Kisten fielen zur Seite, eine purzelte auf den Boden und brach auf, sodass einige Goldmünzen herauspurzelten, was die Aufmerksamkeit der Passanten natürlich auf sich zog. Lucius hatte aber keine Zeit zu reagieren, denn vor Schreck stieg der Esel und warf ihn ab. Im hohen Bogen fiel er und klatschte genau in den Dreck der Gosse. Immerhin lachte niemand - dazu war die Situation viel zu überraschend! Ziemlich schnell hatte der Alte einen Schutzkreis aus Söldnern um den Unfall gebildet, aber als er unter seinem Mantel hervorblickte, sah Lucius trotzdem, wie ein abgerissener Typ eine etwas weiter gefallene Goldmünze aufsammelte.


    "Hey, du! Gib das her! Das gehört dem Kaiser!"


    rief er dem Kerl nach, der aber sofort wegrannte. Lucius war schon drauf und dran ihn zu verfolgen - ein Aureus war immerhin ein kleines Vermögen - aber als er aufstand, trat er auf den Saum seines Mantels und fiel direkt wieder hin. Diesmal lachten ein paar Passanten, die der junge Petronier finster anblickte, ehe der Alte ihn am Arm packte und mit der Aufsicht über die Söldner betraute. Rasch zog er sein Schwert (das er natürlich wie immer am Mann trug) und deutete damit auf die dämlich grinsenden Zuschauer.


    "Wegbleiben!"


    blaffte er sie an. Diese Bauerntrampel, die niemals aus diesem Nest herauskamen - die würden sich noch wundern, wenn er eines Tages als Eques hoch zu Ross zurückkehrte!

    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/27/Lac_L%C3%A9man_entre_Glion_et_Caux.JPG/320px-Lac_L%C3%A9man_entre_Glion_et_Caux.JPG

    Die Reise ab Augusta war weitaus beschwerlicher, denn während die Schifffahrt nur langweilig gewesen war, dann war die Reise auf Karren und Eseln nicht nur langweilig, sondern auch anstrengend. Lucius wurde zwar nicht mehr seekrank, aber sein störrisches Maultier ging ihm mindestens genauso auf die Nerven. Immerhin hatte er in Aventicum ein weiteres erstes Mal erlebt - die Stadt war die größte, die Lucius jemals betreten hatte und selbst wenn der Mauerring hoffnungslos überdimensioniert gewesen war, hatte die 20000-Einwohner-Stadt ihn doch ein wenig beeindruckt. Und sie hatte ihn darin bestätigt: je näher er an Rom kam, desto mehr Zivilisation fand er auch, selbst wenn die Käffer zwischen den großen Städten genauso bäuerlich aussahen wie die Vici in Mogontiacum. Und wenn sie gerade nicht in größeren Städten unterkamen, rasteten sie nachts oft an kleinen Poststationen, die gerade einmal Platz für die wichtigsten Decurionen boten, sodass Lucius mit den Dienern und Wachmännern draußen in Zelten übernachten musste.


    Als sie dann endlich Lacus Lemanus erreichten, war all der Ärger aber für einen Moment vergessen, denn selbst der junge Petronier musste sich eingestehen, dass dieser See bei schönem Wetter eine gewisse Idylle bot: Der Himmel und die Wolken spiegelten sich im Wasser und direkt dahinter ragten stumm die Berge auf. Passenderweise war der Tag, an dem sie den See erreichten, auch der erste Tag mit echtem schönen Wetter und so sah Lucius hier zum ersten Mal die Montes Alpes in ihrer ganzen Pracht. Natürlich versüßte er sich diesen Anblick auch gleich mit ein paar mathematischen Überlegungen - wie konnte man wohl die Höhe dieser Berge berechnen?


    Mit dieser Frage beschäftigte sich der junge Petronier, während die Reisegesellschaft wieder einmal auf Boote verladen wurde, um auf dem Wasser etwas zügiger vorwärts zu kommen. Und so dauerte es auch nicht sehr lange, bis man Geneva, den Vicus der Allobroger erreichte. Dort musste dann Zoll gezahlt werden, denn hier verließ die Gesandtschaft germanischen Boden und wechselte nach Gallia Narbonensis...


    Bild: Schnäggli

    http://www.prepolino.ch/themen/roemer/bilder/stadt_kern_augusta_raurica.gifvorschau.jpg

    Als die Schiffe endlich Augusta Raurica erreichten, stand Lucius am Bug der Navis Actuaria und staunte nicht schlecht - die Kolonie war wohl die größte Stadt, die er jemals gesehen hatte. Vom Rhenus aus konnte man zwar nur die Stadtmauern und die darüber thronenden Tempelanlagen sehen, aber das genügte schon, um die Bedeutung der Stadt zu erahnen. Und nachdem sie von Bord gegangen waren und die kurze Strecke vom Hafenviertel in die eigentliche Stadt hinein überwunden hatten, sah der junge Petronier zum ersten Mal eine echte römische Planstadt: so etwas hatte er bisher nur im Castellum von Mogontiacum gesehen! Hier dagegen war die ganze Stadt in gleichmäßige Rechtecke aufgeteilt, alle Häuser zeigten eine verputzte Steinfassade und waren ausnahmslos nicht mit Stroh, sondern mit Ziegeln gedeckt. Alles war genau so, wie Lucius sich römische Baukunst immer vorgestellt hatte - Rom musste ganz genauso aussehen, nur... noch größer!


    Die Hauptstraße passierte direkt nach dem Stadttor das Forum - einen großen, rechteckigen Platz, der allerdings nicht ganz so viele öffentliche Gebäude um sich versammelte. Dafür war er weitaus gleichmäßiger als das Forum von Mogontiacum und dazu komplett von einer Säulenhalle umgeben - Porticus, wie er von Xanthippus gelernt hatte. So etwas gab es in Mogontiacum zwar auch ansatzweise am Augusteum, aber in dieser Größe hatte er es noch nicht gesehen. Auch wenn das Theater, das sich dahinter erhob, deutlich kleiner sein mochte - die erste römische Planstadt, die Lucius jemals sah, ließ sich mit nichts vergleichen, was er bisher gesehen hatte - dagegen waren Nida, Aquae Mattiacorum und Bingium nur Dörfer und selbst Mogontiacum wirkte dagegen wenig städtisch, wenn man einmal vom Forum und dem Statthalterpalast absah. Kein Wunder, dass es nur den Status eines Vicus hatte.


    So blieb der junge Petronier erst einmal inmitten des Forums stehen und begutachtete die nahezu perfekte Architektur, die wunderbaren rechten Winkel, das gleichmäßige Tympanon des Tempels auf der linken Seite, die mächtige Basilica auf der rechten. Wenn er Zeit gehabt hätte, hätte er vielleicht begonnen, Flächeninhalte zu berechnen - das durfte hier wohl ziemlich einfach sein...


    Sim-Off:

    Damit wir eines schönen Tages auch noch in Rom ankommen, gibt es nun einen kleinen Sprung ;)


    Bild: Prepolino.ch

    Der Stoß verfehlte sein Ziel - aber traf trotzdem, da Guntrich nicht weit genug auswich. Voller Genugtuung spürte Lucius in der Hand den Widerstand, den Haut und Muskulatur des Germanen seiner sorgfältig geschliffenen Klinge leisteten. Als er die Waffe dann wieder zurückzog, um einen möglichen Gegenangriff wieder parieren zu können, sah er das Blut an der Schneide, das zeitgleich auch Guntrichs Tunica dunkel färbte. Seine Augen begannen zu leuchten, allerdings hatte er keine Zeit, das Ergebnis seines Schlages genauer zu begutachten: Der Germane zögerte einen Moment, dann machte er sich davon - so viel zu der angeblichen Tapferkeit der Germanen. Beinahe wäre Lucius ihm hinterher, dann bemerkte er aber doch die Menschenmenge, die sich um sie versammelt hatte - wo waren die denn hergekommen?


    Etwas unschlüssig stand der junge Petronier nun in dem Kreis von Gaffern und ließ das Schwert sinken. Was wollten die denn hier? Und warum sahen sie ihn nun an wie ein exotisches Tier, das sie noch nie gesehen hatten?


    "Was schaut ihr so? Habt ihr keine Arbeit zu erledigen?"


    fragte er feindselig. Als die Leute zögerten, kam ihm plötzlich, dass er ja Optio der Miliz war - er konnte diesen Auflauf einfach auflösen!


    "Als Optio der Miliz befehle ich euch, weiterzugehen! Hier gibt es nichts zu sehen!"


    Zwar zögerte der Mob noch immer, als sie dann aber sahen, dass hier tatsächlich nichts mehr passieren würde, gingen sie nach und nach. Lucius ärgerte sich unterdessen still über sie - dass es aber etwas ungünstig sein mochte, was sie gesehen hatten, bedachte er nicht.

    Der erste Anflug von Seekrankheit hatte sich glücklicherweise gelegt, nachdem das Schiff ordentlich Fahrt aufgenommen und Lucius sich auf eine Kiste gesetzt hatte. Nach einiger Zeit hatte er schließlich begonnen, ein wenig über das Deck zu spazieren und die Bordwand hinunter ins Wasser zu blicken. Dabei hatte sich ihm die interessante Frage gestellt, warum Schiffe denn eigentlich schwammen - immerhin versanken Gegenstände von vergleichbarem Gewicht sofort. Die Überlegung, dass es mit dem Holz zu tun hatte, verwarf der junge Petronier sofort - ein halbvoller Becher schwamm auch in einer Wasserschale, ebenso eine Schüssel. Er glaubte sich zu erinnern, dass Xanthippus in diesem Zusammenhang einmal von Archimedes gesprochen hatte - nur leider hatte er keine Schriften des Archimedes zur Hand. Also musste er selbst überlegen: Es musste mit der Form zusammenhängen - oder damit, dass Schiffe und Schüsseln schlicht und einfach hohl waren? Das ganze sich sicherlich leicht prüfen, wenn er eine hohle Bleikugel zur Hand haben würde, doch leider war nicht davon auszugehen, dass so etwas auf einem Handelsschiff vorrätig war.


    Letztlich musste Lucius seine Überlegungen beenden, da er keine Möglichkeit hatte, seine Hypothesen durch Experimente zu prüfen. Denn selbst wenn er angefangen hätte, Dinge in einer Wasserschüssel zu versenken, hätte der Alte ihm wahrscheinlich ein paar saftige Ohrfeigen gegeben...

    Bei dem letzten Opfer am Capitolium war Lucius wieder dazu übergegangen, Primzahlen zu suchen. Inzwischen war er bei 233 als letzter sicherer Primzahl - und langsam wurde es wirklich kompliziert, die Zahlen im Kopf gegenzurechnen. Mit dem Sieb des Eratosthenes, von dem er neulich erfahren hatte, ging es sogar relativ einfach, aber ohne Tabula und Griffel funktionierte es nicht ganz so einfach. Und man wusste ja oft vorher nicht, wann es langweilig wurde und wenn man es doch tat, dann war es meistens nicht erlaubt, auf einer Tabula herumzukritzeln. Also blieb nur das Kopfrechnen übrig: 234 schied als gerade Zahl aus, 235 sowieso (alles mit X und V am Ende war ja ein Teiler durch 5), 236 war wieder gerade, 237? 210 war durch 3 teilbar, blieben... 27 - also auch keine. 238 fiel weg, 239? Durch drei war es nicht teilbar, denn bei einem Abzug von 210 blieben ja 29. Durch 7? 210 ging auch durch 7, Rest 27? Nein, das passte auch nicht. 9? 239 - 180 = 58 - Nein, das funktionierte auch nicht. So ging es eine ganze Weile. Als Lucius bei 113 als möglichem Teiler angekommen war, war er sicher: 239 war eine Primzahl!


    Als der Stier zu Boden ging, unterbrach der junge Petronier wie üblich seine Rechnereien - ein Stieropfer sah man nicht alle Tage. Leider waren die Opferstecher aber sehr geschickt, sodass der Todeskampf des Tieres viel zu kurz war - er zuckte nur ein paar Mal, während das Blut floss (das immerhin etwas mehr war als bei den vorherigen Opfertieren). Als der Stier dann aufgeschlitzt wurde, sah Lucius ebenfalls wieder genau hin - aus der Ferne konnte er sogar ein paar Organe in dem blutigen Brei ausmachen, die er bei Hausopfern auch selbst schon intensiver untersucht hatte. Eine Stierleber hatte er allerdings noch nie in Händen gehabt...


    Schließlich zog der ganze Trupp weiter zum Hafen. Innerlich jubelte Lucius, als sie den Wall zum Hafen passierten - endlich hatte er die Stadt hinter sich! Womit er nicht gerechnet hatte, war allerdings, dass sie nicht sofort auf die Schiffe konnten, sondern zuerst ein weiteres Opfer über sich ergehen lassen mussten - ließ sich dieser ganze Opferquatsch nicht ein bisschen rationalisieren? Warum baute man nicht einfach einen großen Tempel für alle Götter und opferte dann gleichzeitig alle Tiere? Gerade diesen fetten Decurionen, die sowieso kaum hinterher kamen, würde das doch entgegen kommen!


    Aber Rhenus war wenigstens unwichtig genug, dass er sich mit einem Schluck Wein zufrieden gab - eine Gottheit, die Lucius sofort sympathisch war. Zuletzt blieb noch eine kurze, wenig erbauliche Rede des Alten zu tun, dann konnten sie endlich die Schiffe stürmen. Als er die Planke betrat, stampfte er kurz auf, um sich den Staub von den Schuhen zu klopfen - er hatte Mogontiacum endgültig verlassen und er hatte nicht vor, jemals hierher zurückzukehren! Vor ihm lag Rom, der Ritterstand, militärische Kommandos in aller Welt - was wollte er da noch in diesem Provinznest? Auch der Alte, der vor ihm auf das Schiff gegangen war, würde ihn hierher zurück locken - wenn er erst einmal ein angesehener Eques war, würde er sich nicht mehr so einfach von diesem Bauern herumkommandieren lassen!


    So lächelte er zufrieden, als er über die Reling kletterte und endlich auf Deck stand. Als das Schiff dann endlich in Fahrt kam, grinste er sogar - bis er bemerkte, dass der Boden ein wenig schwankte. Er war noch nie auf einem Schiff gefahren und in den Booten, die er bisher benutzt hatte, war ihm dieses Gefühl weniger schlimm vorgekommen. Er atmete tief ein und aus - irgendwie war dieser lockere Boden überhaupt kein gutes Gefühl! Er sah um sich - außer ihm schien niemand ein Problem damit zu haben. Also durfte auch er keine Schwäche zeigen: Er drehte sich zur Reling und hielt sich fest - was es aber auch wenig besser machte. Oder wurde er vielleicht einfach krank? Das hatte gerade noch gefehlt - ausgerechnet im glücklichsten Moment seines Lebens musste das Schicksal ihn mit Krankheit strafen!

    Im Zurückweichen ging Lucius in Kampfstellung: Die Knie leicht angewinkelt, der Körper gedreht, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. So hatte der Alte es ihm jahrelang eingeprügelt - mal allein, mal zusammen mit Armin. Heute war es aber das erste Mal, dass es ernst wurde, denn Guntrich hatte seinen Stoß pariert und griff nun ebenfalls an. Da der Stich aber schlecht platziert war, musste Lucius nicht einmal ausweichen - stattdessen grinste er hämisch.


    Lucius beschloss, ein wenig mit dem tumben Idioten zu spielen und begann, ihn zu umrunden. Irgendwann würde der Kerl die Nerven verlieren und zustechen - ein empfindlicher Moment, denn dann konnte er nicht zugleich parieren! Und schon kam es: ein wildes Gefuchtel, das Lucius zwar zum Zurückweichen zwang, ihn aber nicht traf. Der Konter war damit aber auch dahin, sodass sie mit dem Umrunden fortfahren mussten. Dass Thankred sich dabei fast in die Hosen machte und die Schaulustigen etwas näher traten, bemerkte der junge Petronier dabei kaum - er war voll und ganz auf den Kampf konzentriert. Mehrfach täuschte er an, um seinen Feind zu vorschnellen Schlägen zu provozieren. Und dann stach er unvermittelt wirklich zu: Wie der Alte es ihm beigebracht hatte, machte er dabei einen Ausfall, um von der Seite die Brust zu treffen, wobei er seine ganze Kraft in den Stoß legte - immerhin wollte er den Brustkorb durchstoßen!

    Die Prozession ging ein ganzes Stück - vor allem die erste Etappe zog sich eine ganze Weile. Für Lucius war es kein Problem, aber wenn er um sich sah, stellte er fest, dass mancher dieser fetten Decurionen ziemlich schnell außer Atem geriet - das hatten sie jetzt davon, dass sie ihren Körper nicht in Ordnung hielten und fraßen und soffen, als gäbe es kein Morgen. Keiner von ihnen war auch nur entfernt tauglich für den Kriegsdienst, den Lucius bald schon antreten würde. Und mit ihren missratenen Söhnen sah es wenig besser aus - selbst wenn Caius und Konsorten ihn damals öfter verprügelt hatten, fehlte es ihnen doch an innerer Härte und Disziplin, die laut dem Alten die Basis des Exercitus Romanus war. Mochten die fetten Händler und Winkeladvokaten sich doch für etwas Besseres halten - hier zeigten sie, dass sie nicht einmal in der Lage waren, ein paar Passi auf eigenen Füßen zu stehen!


    Aber auch wenn Lucius körperlich absolut in der Lage war, die Prozession durchzustehen, so wurde ihm doch sehr schnell langweilig. Links und rechts von ihm begannen die anderen Gesandten miteinander zu tuscheln, ihre unendlichen Packlisten auszutauschen und Befürchtungen über die Wetter- und Windverhältnisse auszutauschen - aber niemand hatte Interesse, mit dem jungen Petronier zu sprechen. Das allerdings beruhte auf Gegenseitigkeit: Für ihn war dies hier der Auftakt zu einer Reise, deren einziges Ziel es war, diese Idioten hinter sich zu lassen! Ihm war es scheißegal, ob der Kaiser das Ansuchen der Civitas unterstützte oder nicht. Auch er wollte schnell nach Rom kommen - aber es war doch sehr unlogisch, dass dies von der Willkür einer silbernen Statue abhing, die man mit kostbaren Kleidern behängte und durch die Stadt trug. Und ebensowenig von hirnlosem Geschwafel alter Männer, die Wetterumschwünge angeblich in ihren Knochen spürten oder mit irrationalen Regeln aus dem Vorjahr oder gar einzelnen Tagen ableiteten.


    So langweilte er sich und versuchte, sich durch ein paar Tagträumereien über seine Zukunft abzulenken. Während das Voropfer im Augusteum lief, überlegte er, ob er vielleicht eines Tages persönlich den amtierenden Imperator kennen lernen würde. Wie der Alte immer wieder betonte, gab es ja gerade im Ritterstand viele Aufsteiger, die es sehr weit brachten. Und Lucius war ja noch recht jung und konnte mit etwas Geduld und Disziplin auch hoch kommen...


    Als dann Patulcius Merula im Apollo-Tempel verschwand, musste er dagegen wieder an seine Vergangenheit denken: Hier hatte er als Magister Vici unzählige Male opfern müssen - und es war einmal langweiliger gewesen als das andere. Dass der Schutzgott dieser Stadt ausgerechnet Apollo war, war wirklich bezeichnend: Während andere Städte den Göttervater oder den Gott des Krieges anriefen (gerade hier in Germanien), musste es bei Mogontiacum ein Heilgott sein, der eine Vorliebe für warme Quellen hatte - wie lächerlich war das denn? Auch wenn Lucius nicht glaubte, dass es diesen Apollo überhaupt gab, erschien es ihm doch logisch, dass die Menschen sich immer das ihnen Naheliegendste zusammenphantasierten. Und die Leute hier waren eben - obwohl sie Germanen waren - doch recht weichlich und passiv. Kein Wunder, dass sie von Rom noch nicht mit irgendwelchen Ehren bedacht worden waren.


    Schließlich kam Merula wieder aus dem Tempel und postierte sich - wie Lucius zuvor am Mercurius-Tempel - vor dem Opferaltar. Auch hier streckte er die Arme aus und spulte ein Gebet ab, das sich Leute wie sein Vater - die Pontifices - nach irgendwelchen ausgedachten Regeln zusammengereimt hatten:


    "O Apollo Grannus Mogon, Schutzherr unserer Stadt, strahlende Sonne und heilender Quell,
    wie die Sonne leuchtest du über unserer Civitas, dein Schein schenkt den Feldern Wachstum, den Kranken Gesundheit und den Herden Fruchtbarkeit!
    Wo dein Pfeil den Boden trifft, entstehen florierende Städte!
    Dafür geben wir Dir gerechte Gaben, opfern an Deinen Feiertagen und erhalten Dir diesen Tempel als Deine Wohnung!
    Schenke dieser Stadt Deinen Segen, aufdass sie in Rom zu Deinen Ehren zum Municipium erhoben werden mag! Segne die Gesandten Deiner Civitas, aufdass sie ihr Anliegen gut vorbringen!
    Nimm an diesen makellosen Eber, unsere gerechte Gabe für Deine Hilfe! Wir geloben Dir ein weiteres Opfertier, wenn unser Unternehmen Erfolg hat!"


    Die Gleichförmigkeit der Worte bezeugte, wie hohl sie waren - aber aus irgendeinem Grund war die Mehrheit der Bevölkerung nicht davon zu überzeugen, dass dies alles ein großer Hokuspokus ohne rationalen Zweck war. Dass man nun auch noch den Eber rituell abstach, mochte Lucius zwar faszinieren (er hatte gelesen, dass die Anatomie von Schweinen der von Menschen recht stark ähnelte - es sollte sogar Ärzte geben, die Operationen an Schweinen trainierten), aber es gab auch wesentlich effizientere Wege, ein Tier zu schlachten. Immerhin: Man war so pragmatisch, dass man es sich so zurechtbog, dass die Götter nur die Teile mochten, die Menschen sowieso nicht so gern aßen. Was nun also auf dem Altar brannte, war Blut und Innereien - das feine Muskelfleisch würde für die Reise gebraten werden.

    Sim-Off:

    Hm, Münzen hätten natürlich nahegelegen :P


    Irgendwann war selbst die Erinnerung an Caius' dummen Blick nicht mehr interessant genug, um Lucius vom Zögern des Pontifex abzulenken. Irgendetwas schien nicht zu stimmen, so wie er die Leber drehte und drückte - aber warum? Für Lucius war diese Prüfung ähnlich wie Münzen werfen - denn wie sollten die Innereien eines Tieres verändert werden, wenn es schon komplett ausgewachsen war, bevor das Opfer überhaupt begann? Abgesehen davon hatte er noch nie gesehen, dass es nicht klappte - das war doch alles sowieso nur ein Farce. Wenn es keine übernatürliche Intervention gab, blieb logischerweise also nur eine Befindlichkeit des Haruspex - der wollte ihn offensichtlich bloßstellen, indem er sein Opfer durchfallen ließ. Wahrscheinlich steckten die germanischen Decurionen dahinter, die den Petroniern und namentlich ihm, dem erfolgreichen Spross der Familie, eins reindrücken wollten - dieser Weg war sogar recht rational gewählt, da der Alte ja selbst Pontifex war.


    Unwillkürlich verschränkte Lucius deshalb die Arme und sah den Opferbeschauer böse an. Als dieser aufblickte, überspielte er seine Feindseligkeit mit einem konzentrierten Blick und wich aus, indem er sich wieder der Leber zuwandte. Zögerte er noch, diesen geplanten Skandal in die Tat umzusetzen? Oder gehörte das auch zur Show? Es dauerte noch einmal eine halbe Ewigkeit - der junge Petronier war drauf und dran, dem Haruspex die Innereien aus der Hand zu schlagen und die Sache selbst zu übernehmen - dann endlich rang er sich eine vorsichtige Antwort ab:
    "Litatio!"


    Die teilweise besorgt dreinblickenden Gäste - vor allem die abergläubischsten unter den Gesandten - atmeten erleichtert auf. Lucius war zufrieden - sein Blick hatte den Priester offensichtlich eingeschüchtert! Also konnte er nun anderweitig fortfahren - das Zerlegen des Ziegenbocks, der zugleich ein Teil des Proviants für die Gesandtschaft werden würde, bedurfte nicht mehr der Aufmerksamkeit der versammelten Gemeinde - diese würde nun zum nächsten Tempel weiterziehen. Und Lucius hatte seine Schuldigkeit getan.

    Lucius hatte sein Päckchen von Armin zum Hafen bringen lassen - er wusste nicht so recht, was er von diesem Haakon halten sollte, der für den Alten die Organisation der Bewachung und auch die Beladung der Schiffe übernommen hatte. Da er sein Schwert bei der Zeremonie hier noch nicht tragen durfte, wollte er es lieber in sicheren Händen wissen - denn wer wusste schon, ob dieser Germane es am Ende nicht klaute und sich dann davon machte!


    Bevor er seinen geliebten Pythagoras - so hieß das Schwert seit neuestem - aber um seine Lenden gürten konnte, musste er dieses furchtbar langweilige und heute extralange Ritual für die Götter über sich ergehen lassen. Scheinbar hielt es sein Vater dazu noch für eine besondere Freude für seinen Sohn, dass dieser sich aktiv beteiligen und damit Pietas heucheln durfte - aber an Diskussionen war wie üblich nicht zu denken. Also trug er - wie die anderen Gesandten auch - seine Toga und machte ein missmutiges Gesicht, wenn er daran dachte, dass er nun wieder einen ewiglangen Singsang aufsagen durfte, der am Ende doch absolut nichts bewirkte. Dazu kam, dass es ein wenig windig war und seine Toga ständig drohte aus der Form zu fallen - wäre der Alte doch nicht so geizig gewesen und hätte ihm einen etwas schwereren Stoff gegönnt! Naja, in Italia war das Wetter ja angeblich viel besser - da würde er sich mit diesen Problemen nicht mehr herumschlagen müssen!


    Dann aber erschollen die Flöten und der Herold bat um Ruhe - das Opfer begann und der Alte schubste Lucius ein wenig nach vorn - er hatte das erste Opfer zu vollbringen, das an Mercurius und Rosmerta ging. Ausgerechnet an diese beiden, die die Gallier und Germanen sehr schätzten, die für Lucius aber nicht einmal sehr attraktive Werte verkörperten: Handel und Fruchtbarkeit war etwas für Krämerseelen und Weiber, nicht für Männer wie ihn. Rosmerta wurde dazu noch nicht einmal jenseits der Alpen verehrt - das zeigte doch schon, dass sie eine Einbildung der ungebildeten Barbaren hier war!


    Aber natürlich konnte er sich sowieso nicht wehren, also versuchte er wenigstens, es zügig hinter sich zu bringen. Also legte er sich die Toga über den Hinterkopf, wie es der Alte auch zu jedem Opfer am Lararium tat und wusch sich die Hände im Waschbecken, das ihm einer der Tempelsklaven reichte. Immerhin gab es auch einen praktischen Aspekt an dieser Sache - er hatte eben noch eine Birne gegessen und seine Finger klebten sowieso ein wenig.


    Danach hatte er die Opfertiere zu prüfen - natürlich alle vier, denn neben Mercurius und Rosmerta würden später noch Divus Augustus, Apollo Mogon und Iuppiter Optimus Maximus ihre Tiere erhalten. Also ging er ein wenig lustlos um die Tiere herum. Natürlich hatte der zuständige Aedituus hier bereits alles vorbereitet und dieser Teil des Rituals war ebenso sinnentleert wie alle anderen (wenn man einmal davon absah, dass es wohl überhaupt keine Götter gab, die sich überhaupt dafür interessierten) - er hätte auch gar nicht hinsehen, sondern einfach nur die Tiere umrunden müssen.


    Nach der Prüfung der Tiere war dann das Voropfer an der Reihe. Dazu trat der junge Petronier die vier Stufen zum Tempelumgang hinauf und verschwand in der Cella. Auch hier war natürlich alles vorbereitet, um eine möglichst religiöse Stimmung zu verursachen - oder was man gemeinhin dafür hielt. Immerhin boten die Priester, die ja am meisten von jedem Opfer profitierten, eine gute Show. Vor dem thronenden Götterpaar stand der Foculus, auf dem bereits die Kohlen entzündet waren.


    Dort blieb Lucius stehen und blickte feindselig in die glänzenden Augen des Handelsgottes. Inwiefern eine Holzstatue sie auf dem langen und gefährlichen Weg nach Rom schützen sollte, war ihm nicht ganz klar. Aber auch hierhin hatten ihn die Pontifices und Opferhelfer begleitet - diesmal leider nicht Armin, der ihm sonst bei allen möglichen Dingen assistiert hatte - sodass er nicht einfach alles achtlos verbrennen konnte. Stattdessen sagte man ihm auch schon das Opfergebet ein, das er nur nachsprechen musste:
    "O Mercurius und Rosmerta, Bewahrer der Reisenden auf allen Wegen, Mehrer des Handels und des Wohlstands!


    Unser Gebet steige zu Euch auf wie dieser Weihrauch und neige Euer Ohr uns zu!"
    Damit streute er ein wenig Weihrauch auf den Mini-Altar, der sofort seinen charakteristischen Duft verströmte. Doch Lucius wollte fertig werden, weshalb er sofort fortfuhr:
    "O Mercurius und Rosmerta, Bewahrer der Reisenden auf allen Wegen, Mehrer des Handels und des Wohlstands!
    Stets führt Ihr uns auf dem Weg in die Fremde, Ihr bewahrt uns vor Dieben und Räubern, sorgt für unsere sichere Ankunft an unserem Ziel und geleitet uns in die Heimat zurück!
    Stets habt Ihr diese Stadt mit Eurem Segen bedacht, habt den Händlern reiche Gewinne, der Stadt Wohlstand und den Feldern Fruchtbarkeit beschert, wofür wir Euch gerechte Gaben geben, Eure Feiertage ehren und diesen Tempel als Eure Wohnung erhalten!
    Bewahrt nun auch uns als Gesandte dieser Stadt auf unserem Weg nach Rom! Schützt uns vor Räubern und Dieben, lasst uns nicht abkommen von unserem Weg, aufdass unser Geschenk für den Kaiser selbst sein Ziel erreicht!
    Nehmt an diese Kuchen, unsere gerechte Gabe für Euren Segen!"

    Damit wanderten auch zwei Opferkuchen in den Altar, wo sie deutlich weniger Wohlgeruch verströmten, während sie langsam verkokelten. Trotzdem hatte er seine Pflicht getan - mit einer Wendung nach rechts beendete er das Voropfer und machte sich zielstrebig zum Opferaltar vor dem Tempel auf. Dort wartete bereits der Ziegenbock, der nun auch noch an die Götter gehen würde.


    Draußen wartete bereits das unharmonische Gedudel der Opferflötisten. Lucius mochte diese Musik nicht - sie hatte in seinen Augen nichts mit den Harmonien gemeinsam, über die sie einige Male bei Xanthippus gesprochen hatten. Es war eben nur ein wildes Durcheinander, das das Gemurmel der Menge vertuschen sollte - wenn es die Götter wirklich gab, ließen sie sich scheinbar ziemlich leicht ablenken!


    Der Herold brüllte
    "Favete linguis!"
    und Lucius nahm den Aspergill und besprengte die Menge, die sich vor dem Umgangstempel versammelt hatte. Ganz vorn standen die beiden Duumviri, dann die gesamte Gesandtschaft mit seinem Vater in der Mitte. Dahinter folgten die übrigen Decurionen, die nicht die Gelegenheit hatten, in die echte Zivilisation zu reisen und darüber wahrscheinlich noch erleichtert waren. Dazwischen musste auch Marsus stehen, der sich durch die Heirat mit Octavena ja ebenfalls aus der Pflicht gestohlen hatte.


    Aber der junge Petronier hatte keine Zeit, sich weiter über seine dämliche Nichte und ihren schleimenden Gatten zu ärgern, denn jetzt war das Opfertier zu weihen. Da hier nur Mercurius und Rosmerta bedacht wurden, genügte auch der weiße Ziegenbock, der wie üblich ordentlich mit Schleifchen und Vergoldungen verziert war. Der ganze Plunder wurde nun abgenommen und Lucius ließ sich die schwere Klinge reichen, die eigentlich nur symbolisch das Opfermesser darstellte. Es wog schwer in der Hand - fast so schwer wie Pythagoras, war aber offensichtlich wenig scharf und miserabel ausgewogen. Also widerstand er auch seinem Drang, die gesamte versammelte Decurionenschaft abzustechen, sondern redete sich ein, dass er diese Fratzen sowieso nie wieder sehen müssen würde. Stattdessen fuhr er über den Rücken des blökende Viehs, das bald in seinem eigenen Blut zucken würde. Danach kam noch etwas Wein über seinen Kopf, der den Bock den Kopf heftig schütteln ließ, sodass ein wenig von der Flüssigkeit auf Lucius' Toga zurückkehrte. Die Flecken würde Armin heute Abend auf dem Schiff auswaschen müssen.


    Wieder war der Souffleur an der Reihe, der das Weihegebet einzusagen hatte. Und Lucius sprach es brav und mit lauter Stimme nach:
    "O Mercurius und Rosmerta, Bewahrer der Reisenden auf allen Wegen, Mehrer des Handels und des Wohlstands!
    Stets führt Ihr uns auf dem Weg in die Fremde, Ihr bewahrt uns vor Dieben und Räubern, sorgt für unsere sichere Ankunft an unserem Ziel und geleitet uns in die Heimat zurück!
    Stets habt Ihr diese Stadt mit Eurem Segen bedacht, habt den Händlern reiche Gewinne, der Stadt Wohlstand und den Feldern Fruchtbarkeit beschert, wofür wir Euch gerechte Gaben geben, Eure Feiertage ehren und diesen Tempel als Eure Wohnung erhalten!
    Bewahrt nun auch uns als Gesandte dieser Stadt auf unserem Weg nach Rom! Schützt uns vor Räubern und Dieben, lasst uns nicht abkommen von unserem Weg, aufdass unser Geschenk für den Kaiser selbst sein Ziel erreicht!
    Nehmt an diesen makellosen Ziegenbock, unsere gerechte Gabe für Euren Segen! Wir geloben Euch ein weiteres Opfertier, wenn Ihr unsere Füße sicher wieder hierher in die Heimat geleitet!"

    Nun war der einzig interessante Teil an dieser Form von Opfer an der Reihe: Die Vollstreckung eines Todesurteils. Wie immer beneidete Lucius den Opferhelfer, der sich den Bock an den Hörnern griff und das Opfermesser zückte.
    "Agone?"
    fragte dieser und
    "Age!"
    antwortete der junge Petronier. Sicherlich würde er eines Tages ein Offizier sein und auf ähnliche Weise auch über das Ende von Menschen bestimmen können - wie sehr freute er sich schon darauf, ein Hinrichtungskommando zu sehen, um endlich wieder diese Mischung aus Überraschung und Angst in den Augen eines Menschen zu sehen! So wie Caius damals, dessen Vater noch immer nicht über seinen Verlust hinweggekommen war - auch er stand in der Menge der Decuriones, trotz all der Jahre noch immer dunkel gekleidet. Auch für solche Emotionalität hatte Lucius nur Verachtung übrig - eigentlich hätte er dankbar sein müssen, seinen Versager-Sohn, der nur mit viel Geld und Einflussnahme durch die Schule gekommen war, endlich los zu sein! Jetzt, wo er keinen Erben mehr hatte (nur eine Tochter), konnte er sein Erbe endlich einfach verprassen und musste nichts aufheben!


    Unterdessen hauchte der Ziegenbock unter heftigem Blöken und Gurgeln sein Leben aus. Die übrigen drei Opfertiere - zwei Schafböcke und ein Stier - wirkten doch ein bisschen verunsichert, während das warme Blut pulsierend aus der durchtrennten Kehle sickerte. Wie immer beobachtete Lucius diesen Part ganz genau, sog den Anblick in sich auf wie ein Schwamm. Und wie immer dachte er dabei an den zuckenden Brustkorb von Caius, was ihm ein grimmiges Lächeln auf die Lippen zauberte. Ganz so schlimm war das Opfern doch nicht, wenn es wenigstens schön blutig war...


    So in Gedanken versunken beachtete er gar nicht, wie der Haruspex die Innereien des Ziegenbocks gereicht bekam und das Blut aufgesammelt und an den Altar gespritzt wurde...

    Auch Lucius traf letzte Vorbereitungen für seine Reise nach Rom: In der Schola Atheniensis hatte er sich eine Bestätigung über seinen Cursus Iuris ausstellen lassen, in der Curia eine für sein kommunalpolitisches Engagement. Für das Examen Primum hatte er nur aus der großen Truhe im Tablinium hervorkramen müssen. Daneben gab es aber noch viele andere Dinge zu packen: Seine Toga - noch immer dieselbe, die er damals nach dem Blutbad an Caius gekauft hatte - , seine Tunicae, die in soldatischer Manier kurz gehalten waren (und das teils ziemlich, denn die meisten hatte er schon ein paar Jahre und langsam war er doch mehr als "hineingewachsen"), die Paenula, die sein Vater ihm vor einiger Zeit gekauft hatte, ein paar etwas repräsentativere Umhänge und seine guten Calcei. Die Wollbinden, mit denen er im Winter seine Waden umwickelte, den Schal, die Filzmütze, seine abgetragensten Gewänder und die Sandalen ließ er dagegen hier - in Rom sollte er Eindruck schinden und nicht wie ein abgerissener Hinterwäldler wirken, wenn der Alte ihm einen Patron aussuchte. Lucius trauerte dem Zeug sowieso nicht nach - ebensowenig wie allem anderen, was er hier zurücklassen würde.


    Weil die Etikette es scheinbar so wollten, hatte er seine Schul"freunde" und ein paar besonders beflissene Milizionäre zwar noch zu einem Abschiedsbesäufnis in die Silva Nigra eingeladen und eine Runde geschmissen, letztlich würde er aber keinen von ihnen vermissen. Weder den naiven Antonius, der ihm damals beim Cursus Iuris geholfen hatte, noch den Angeber Iulius - nicht einmal Alrik, der bei der Miliz jeden Befehl übererfüllt und ihm sogar einmal seine Sachen nachgetragen hatte. Niemanden von diesen ganzen Hinterwäldlern würde ihm fehlen - ebensowenig wie Mogontiacum, dieses verschlafene Nest, das eigentlich nur das Anhängsel eines Militärlagers war. Ob es nun eine Civitas, ein Municipium oder gar eine Colonia war, spielte da keine Rolle. Wenn er daran dachte, statt durch die verwinkelten Gassen Mogontiacums zukünftig durch die parallel und rechtwinklig eingemessenen und sauber gepflasterten Straßen der italischen Städte zu spazieren, hatte er für seine Heimatstadt nur Spott und Mitleid übrig. Im Grunde war es mit dieser Stadt ähnlich wie mit dem Alten: Im Grunde ein Niemand, der durch glückliche Fügung in eine Welt gestolpert war, in die er eigentlich nicht hineingehörte. So wie ein Vinicius oder ein Iulius über den alten Petronier lachten, so lachten die Stadtväter Italias sicherlich über die Bemühungen Mogontiacums, in ihren Kreis aufgenommen zu werden. Wie die teuren Gewänder seines Vaters kaum verstecken konnten, dass er aus dem Pöbel kam, so versteckten auch die paar Tempel und öffentlichen Gebäude, auch das imposante Theatrum Mogontiaci (das GRÖSSTE außerhalb Italias, wie immer wieder behauptet wurde) nicht, dass dies hier ein etwas zu groß geratenes Dorf war.


    Aber all das würde er hinter sich lassen - für immer! Auch wenn der Alte ein provinzieller, ignoranter Holzkopf sein mochte, so hatte er Lucius doch beste Voraussetzungen geboten, weiter aufzusteigen und seine Talente an der Stelle einzubringen, wo sie auch gebraucht und geschätzt wurden: Er hatte sich durch die Schule gequält, hatte den Grammaticus und sogar den Rhetor besucht. Der junge Petronier mochte voller Bitterkeit an diesen langjährigen Spießrutenlauf zurück denken - letztlich wusste er, dass man in der Oberschicht reden musste wie ein Cicero und nicht wie ein hispanischer Immigrant (so wenig das über die Qualität des Inhalts aussagte), dass man eine Rede gliedern musste (so langweilig und unlogisch das manchmal sein mochte) und dass man Leute wie Hercules, Aeneas, Titus Livius und Vergilius Naso einfach kennen musste (so banal und langweilig ihre Märchen auch waren). Immerhin hatte er auch Geometrie und Arithmetik gelernt, diese beiden wundervollen Künste, die ihm so manchen trüben Nachmittag bei Xanthippus versüßt hatten. Immer, wenn er Zeit hatte, vertiefte er sich in diese WIssenschaften, las noch einmal Euklids Elemente, die er von dem Griechlein stibitzt hatte oder malte Figuren in den Sand. Wenn er erst einmal in Rom war, würde er Gelegenheit haben, mit richtigen Philosophen zu diskutieren und sein Wissen zu erweitern - ein Traum würde in Erfüllung gehen! Dass er dazu auch in diesem Kaff ein wenig gezeigt hatte, dass er Organisationstalent hatte, würde dem Kaiser noch dazu zeigen, dass man ihm höhere Aufgaben anvertrauen konnte - vielleicht würde er ja eines Tages in der Finanzverwaltung arbeiten und endlich auch sein mathematisches Wissen unter Beweis stellen können!


    Mit diesen fröhlichen Gedanken schnürte Lucius sein Bündel. In die Mitte legte er dabei die Beinschienen, die der Alte ihm gestern auch noch geschenkt hatte - sein Vater hatte sie damals als Centurio getragen und extra anfertigen lassen, weshalb zwei hispanische Stiere auf ihnen abgebildet waren. Damit er nicht vergesse, wo die Petronier herkämen, hatte er gesagt - Lucius war das herzlich egal, ihn interessierte vielmehr, wo er hinkommen würde! Aber immerhin musste er schonmal keine neuen kaufen - und hübsch waren sie trotz der Kratzer allemal. Als dann alles verpackt war, umgürtete er sich mit seinem Gladius, dem er vor kurzem einen Namen gegeben hatte. Zwar war dies eigentlich eher eine barbarische Sitte, aber der junge Petronier liebte seine Waffe und war zu dem Schluss gekommen, dass er ihr gegenüber ähnliche oder sogar eher stärkere Gefühle hegte als gegenüber einem Menschen. Und das, was man liebte, musste man irgendwie benennen - also hieß die Waffe nun Pythagoras!


    Noch einmal zog er die Klinge aus der Scheide und sah sie prüfend an - wie immer war sie ordentlich poliert und glänzte im fahlen Licht seines Zimmers. Dann schob er sie zurück und ging nach draußen, wo Armin auf ihn wartete. Er war eigentlich der einzige Mensch, den er mochte und wohl auch ein bisschen vermisst hätte - aber zum Glück hatte der Alte entschieden, dass der Sklave ihn begleiten würde. Dann war er wenigstens nicht ganz allein in der großen Stadt...

    Es ist zwar gut und richtig, auf den Aufwand, den solche Posten bedeuten, hinzuweisen. Allerdings wird es wohl kaum zu verhindern sein, das Risiko einzugehen, es einfach mit einer neuen "Mannschaft" zu probieren.


    Ich finde einige Ideen hier durchaus interessant (z.B. den SimOff-Thread mit Meldungen). Ebenso das "Ausschreiben" von Themen (also einfach kurze Hinweise auf Geschehnisse, zu denen man gern einen Acta-Artikel hätte (auch das müsste ja nicht einmal zwingend ein Acta-Mitarbeiter machen - auch die Leser können ja auf irgendetwas hinweisen). Auch hier braucht man natürlich einen Koordinator, der bereit ist, da eine gewisse Zeit hineinzustecken, aber vielleicht findet sich ja irgendwer, der sich das vorstellen könnte.


    Ich würde es positiv sehen: Wenn wir jemanden finden, der sich langfristig dahinter klemmt, ist es super. Wenn jemand nach einem halben Jahr feststellt, dass er doch keine Lust mehr hat, hatten wir ein halbes Jahr eine schöne Acta und vielleicht versucht sich dann jemand anders - einstampfen kann man das ganze dann immer noch.


    Übrigens wäre ich eher für ein regelmäßiges Erscheinen (z.B. 1x pro Monat), da dann meines Erachtens die Aufmerksamkeit größer ist (seitdem das ganze ein Blog ist, habe ich auch deutlich seltener reingeschaut - trotz Hinweis)... Und bestimmte Dinge, die nur einen Stichpunkts bedürfen (Wahlergebnisse, Ernennungen - da kann man sogar bei der Chronik wildern,...) finden ja wirklich regelmäßig statt. Außerdem könnte man vielleicht alle Amtsträger zwingen, dass sie ihre Res Gestae (einen Arbeitsbericht) für die Acta schreiben, dann gibt's zumindest ab und an etwas aus der Politik. Und im CH ist das ja theoretisch eh noch obligatorisch, eine Ausweitung auf die anderen Städte wäre sicherlich wenig problematisch...