Beiträge von Lucius Tiberius Lepidus

    Recht zufrieden, wie es mit der Arbeit für die Iuno vorangegangen war, betrachtete Lepidus sein Werk. "Wahrlich", dachte sich der Tiberier "einer Königin des Himmels mag zwar so gut wie nichts wirklich gerecht werden, aber immerhin konnte man sich ein wenig annähern. Möge es zu ihrer Zufriedenheit sein."


    Nachdem er sich eng mit den anderen Aeditui abgestimmt hatte, konnte er sich einige Tage später auch sehr intensiv mit der Cella der Minerva auseinandersetzen. Ihr weises Haupt schien auf den Tiberier herabzublicken, als dieser gemeinsam mit den Tempeldienern an die Arbeit ging. Der bösartige Staub sollte sie nicht daran hindern, den Römern Verstand und Erfindungsgeist zu schenken. Ein paar wohlplatzierte Olivenzweige sollten dazu noch für eine angenehmere Atmosphäre sorgen. Der göttlichen Jungfrau musste an einem sauberen glanzvollen Ort geopfert werden und Lepidus hoffte ihr diesen geschenkt zu haben.

    Im alltäglichen Prozess der Opferung, kam es durchaus nicht selten vor, dass der Tempel durch seine häufige Beanspruchung nicht immer ganz sauber bleiben konnte. Wer denkt, es wäre eine Ausnahme, dass mal etwas Weihrauch daneben ging, etwas Asche sich unmerklich verstreute oder das jemand bei einer Weinspende mal den ein oder anderen Tropfen nicht an das Ziel brachte, der irrte wohl, denn dies gehörte fast ebenso zum Vorgang wie die eigentliche Opferungszeremonie. Für einen Reinigungsvorgang wurde eine entsprechende Opferung allerdings selten unterbrochen. Es lag an den Wächtern des Tempels, die tägliche Instandhaltung und die Vorzeigbarkeit der heiligen Hallen zu gewährleisten.


    Nicht weniger war es möglich, dass auch das wunderschöne Kultbild der Iuno nach langer Zeit etwas Staub ansetzen konnte und um die Cella eben jener Göttin hatte sich Tiberius einen ganzen Tag lang zu widmen. Sie erstreckte sich links neben der großen Cella des Iuppiter. Durch einige Handgriffe, die die Beseitigung von Schmutz, aber auch die ein oder andere ästhetische Beigabe beinhaltete, versuchte Lepidus das Antlitz der Iuno in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

    Hatte er doch gewusst, dass sich dieser Iulier die Gelegenheit ein wenig Eindruck zu schinden, nicht entgehen lassen würde. Wenn der Mann vielleicht noch hoch hinaus wollte, müsste er wohl auch in Zukunft noch viele Male durch solche Wohltätigkeiten auffallen, ganz zu schweigen davon, dass auch Lepidus davon profitierte. So erwiderte er denn auch ein kurzes und zufriedenes "Ausgezeichnet". Fast wäre er verleitet gewesen währenddessen seine Finger aufeinander tippen zu lassen, doch seine Hände waren ebenfalls noch zur Genüge mit Winken beschäftigt.


    Bisher schien tatsächlich alles recht gut zu laufen. Die Verse wurden überaus gut vorgetragen, allerdings hätte Lepidus es vielleicht noch ein wenig kürzen sollen. Im Moment des Vortrages empfand er es doch ein wenig zu lang. Gut möglich, dass nicht jeder Zuhörer bis zum Ende seine Konzentration beibehalten konnte. Wer es allerdings konnte, wurde mit einer sehr schönen Schilderung der Schlacht belohnt und hatte sicherlich etwas, woran er sich erinnern konnte. Woher er diesen Wunderknaben hatte? "Ich hatte großes Glück. Der Aedituus des Apollon-Tempels vermochte mir diesen Hinweis zu geben. Als ich diesen wahren Künstler vorsprechen hörte, war ich gleich hin und weg. Wo dieser herkommt, gibt es allerdings noch mehr. Es existieren noch einige andere Schauspieler, die ihr Wirken ganz dem Apollon widmen. Häufig sieht man sie an den Ludi Apollinares auf dem Marsfelde, wo sie mit ihrem Talent glänzen. Nicht wenige behaupten, dass ihr Spiel deshalb so eindrucksvoll ist, weil Apollon seine Hand über sie hält. Der Mann, den du gesehen hast, soll auch bald wieder im Marcellustheater auftreten. Zu welchem Stück müsste man wohl noch in Erfahrung bringen." Das erinnerte den Tiberier wahrlich daran, dass er schon lange kein Theaterstück mehr begutachten konnte. "Welche Stelle hat dir denn am meisten zugesagt?"


    Gerade noch über das eine Theater gesprochen, wurde ein anderes von der Prozession passiert. Sie schritten vorbei am Theatrum Balbi, das kleinste der Theater auf dem Marsfelde, benannt Lucius Cornelius Balbus, dem Jüngeren wohlgemerkt. Gewidmet war es Augustus, dem ja heute auch gedacht wurde. Der gute Balbus selbst, soll nicht nur das Theater in Auftrag gegeben, sondern gleichsam der Muse verfallen sein und ein Theaterstück verfasst haben. Ob der neue Cornelius, der derzeit aus dem Osten immer näher kommt, ein ebenso großes musisches Talent besitzt? Zum Glück schließt sich jenes mit dem Feldherrentalent nicht aus, wie man an Balbus eindrucksvoll sah und dem schließlich auch ein Triumphzug zuteil wurde.


    Die Musik erfüllte die Straßen und hinauf ging der Zug, den Tempel der Minerva im Blick, entlang des Porticus Divorum auf die kleine Straße, die sie auf die Via Flaminia führte. Von dort ging es südlich in Richtung des Forum Romanum...


    Wer hätte gedacht, dass Tiberius Lepidus schon bald wieder auf dem Capitolium erscheinen würde, diesmal jedoch nicht in persönlicher Sache, um ein Opfer darzubringen, sondern um seinen Dienst als neuer Aedituus im Tempel des Iuppiter Optimus Maximus anzutreten.


    Er betrat das Gebäude mit mehr Ehrfurcht als sonst. Dieser eindrucksvolle Bau, gute 50 mal 60 Meter groß, war wohl eine der schönsten Arbeitsstätten, die sich ein Römer wünschen konnte. Noch gleich am Eingang wurde er von einem neuen Kollegen empfangen, der ihn ein wenig einweisen sollte, denn selbstverständlich hatte ein so großer und bedeutsamer Tempel nicht nur einen Aedituus, sondern gleich mehrere, wozu sich nun auch Lepidus zählen durfte. Der erfahrene und schon etwas ältere Mann begrüßte ihn in ohne große Emotion. Dieser Tempelwächter hatte eine sehr in sich gekehrte ruhige Haltung, wie sie einem tief religiösen Diener der Götter wohl so eigen ist. Fürs erste ließ sich der junge Tiberier etwas herumführen. Vieles kannte Lepidus selbstverständlich schon, aber als Wächter des Tempels gab es durchaus noch einige dem gewöhnlichen Besucher verschlossene Gänge. Daneben musste er sich auch immer wieder einige Geschichten über das Gebäude anhören. Geschichten erzählen, ja, das konnten diese alten Herren. Inzwischen sei es schon der vierte Bau dieses Tempels, der prächtigste wie ihm der Kollege mitteilte, ohne wohl ein Bild von den ersten Bauten vor Augen gehabt zu haben. Aber das vergoldete Dach und die vergoldeten Türen waren wohl tatsächlich einzigartig unter den bisherigen Gebäuden, die auf diesem Fleck standen. Zuvor sei der Tempel mehrfach durch Brände zerstört worden. Die ersten beiden Male typischerweise als Römer Krieg gegeneinander führten. Das erste Mal zu Zeiten Sullas und das zweite Mal zu Zeiten Vespasians. Ob der nun herrschende Bürgerkrieg ebenfalls wieder ein verbranntes Capitolium hinterlassen würde? Es war nicht zu hoffen, auch wenn sich darin wohl der Unmut der Götter kundtat, wenn Römer zu den Waffen griffen und einander in schändlichster Weise bekämpften.


    Bei jeder einzelnen Cella hielten stoppten sie und Lepidus hörte sich hier und da einige Hinweise zum Umgang mit Besuchern an. Es begann bei auf der Linken mit Iuno, der Göttin der Heirat und die himmlische Königin, in der Cella daneben befand sich das ehrfurchtgebietende Kultbild des Iuppiter, welches aussah als würde es jeden Augenblick einen Blitz auf seine Feinde schleudern. Zur Rechten schließlich Minerva, Schutzherrin der Handwerker und Künstler. Selbstverständlich wurde dem Tiberier auch gleich mitgeteilt wie alles richtig zu pflegen war, wie der Tempel rein gehalten wurde und wie mit den Weihegeschenken umzugehen sei. Hin und wieder hielt sich die Faszination über seine Aufgaben, trotz aller Hingabe für die Götter, doch ein wenig in Grenzen, aber nun gut, es gab wohl Schlimmeres...

    Ein Bote der Villa Tiberia gab den folgenden Brief an der Casa Purgitia ab.



    Ad
    Spurius Purgitius Macer
    Casa Purgitia
    Roma


    Ehrenwerter Senator,


    noch einmal möchte ich dir dafür danken, dass du mich in meiner ersten Zeit in Rom so freundlich empfangen hast und mir den ein oder anderen Ratschlag zuteil werden ließest. Ich hielt es deshalb für ratsam dir hin und wieder Bericht zu erstatten, auf welche Wege es mich denn verschlug und womöglich bist du selbst ja daran interessiert zu hören, was nach unserer Unterhaltung geschehen ist.


    Wie miteinander besprochen, habe ich tatsächlich Kontakt zum Senator Octavius Victor aufgenommen. Er war ebenso entgegenkommend mich in seiner Casa zu empfangen. Nach diesem Gespräch haben wir entschlossen, dass ich bei ihm ein Tirocinium Fori absolvieren könne. Da der Senator frisch zum Curator Rei Publicae ernannt wurde, sollte ich ihn vor allem in der italischen Verwaltung begleiten. Zwar hat sich die Arbeit in der Verwaltung durchaus interessant gestaltet, ich musste aber leider feststellen, dass ich dort womöglich nicht unbedingt meine Zukunft sehe. Von daher war es wohl dennoch eine wichtige Erfahrung. Des Weiteren gelang es mir nicht wirklich zum Senator Octavius durchzudringen. Die Kommunikation gestaltete sich häufig etwas problematisch, aber womöglich brauch dieses Verhältnis einfach mehr Zeit.


    Ich entschloss mich unterdessen der Societas Claudiana et Iuliana beizutreten. Wie du schon bemerktest, ist die Vereinsarbeit gut dazu geeignet sich etwas bekannter zu machen und ich konnte bereits ein paar vielversprechende Kontakte knüpfen. Derzeit bin ich dabei ein größeres Opfer mit kleiner Prozession im Namen der Societas zu planen. Eine sehr interessante Aufgabe, die mich aus dem Alltag etwas herausreißt.


    Die allerneueste Nachricht ist allerdings, dass ich mich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen habe in den Dienst der Götter zu treten. Eine Aufgabe, die mir deutlich besser zu liegen scheint als die italische Verwaltung. Es wird dich vermutlich verwundern, da ich den religiösen Dienst in unserer Unterredung doch relativ schnell beiseite schob, aber ich brauchte wohl noch etwas Zeit, um mir tatsächlich darüber im Klaren zu werden für was ich am besten geeignet bin. Nach einer Unterredung mit einem Vertreter des Collegium Pontificum wurde ich schließlich zum Aedituus ernannt. Zweifellos ist der Aedituus ein tiefer Einstieg für einen Patrizier, aber immerhin werde ich im Tempel des Iuppiter Optimus Maxmius Capitolinus eingesetzt, was schon wieder eine große Ehre darstellt.


    Soweit mein kleiner Bericht über meine vergangenen Taten. Bestelle doch Albina noch meine herzlichsten Grüße. Selbstverständlich kannst du ihr ebenso berichten, wie es derzeit bei mir vorangeht. Zuletzt kann ich dich nur ermuntern, dich an mich zu wenden, wenn du möglicherweise vorhast einer Gottheit der Trias ein Opfer darzubringen. Der Tempel auf dem Capitol freut sich über jeden Besucher und in diesen Zeiten kann es nie falsch sein den Göttern so viel wie möglich Ehrerbietung entgegenzubringen.


    Vale,
    Lucius Tiberius Lepidus


    Villa Tiberia
    Roma

    Die Gedärme des prächtigen Ochsen wurden bestaunt. Hier ein Blick und dort ein abtasten, Herz, Lunge, Leber und es schien sich kein Unglück anzubahnen. Das Tier war rein, keine Verunreinigungen, keine krankhaften Auswüchse! Welch Glück bahnte sich im Gesichte des Tiberiers an. Na gut, er hatte ja auch genug für diesen verdammten Ochsen auf den Tisch gelegt... Doch es war natürlich Iuppiter, der durch dieses Zeichen das Opfer annahm. Wurde Lepidus bei seiner ersten Opferung noch mit schlechten Zeichen gestraft, so schien er den Gott durch dieses großzügige Opfer besänftigt zu haben.


    "Litatio!", entfuhr es ihm nun voller Befreiung. Die wichtigsten Organe wurden nun auf dem Altar verbrannt und dem Gott überführt, das restliche Fleisch war zum Verzehr gedacht. Zufrieden konnte Lepidus nun den Tempel verlassen, schon im Hinterkopf ahnend, dass dies nicht sein letzter Besuch gewesen sein sollte, aber noch nicht wissend, dass er hier bald selbst die heiligen Hallen pflegen würde.


    Wer weiß? Womöglich hatte Iuppiter den Tiberier in jenem Augenblick auf den Pfad gelockt, der ihn dazu brachte ein Diener eben jenes Gottes zu werden.


    Bewegt sind die Tage in jener Zeit, es fühlt sich nach Aufbruch an. Nicht wesentlich, doch immerhin ein wenig. Hatte Tiberius Lepidus seine bisherige Zeit in Rom damit verbracht in seiner Villa zu schmoren, die Menschen zu meiden und auf bessere Zeiten zu hoffen, so nahm er seit kurzem endlich wieder etwas in die Hand. Sowohl seine Mitgliedschaft in der Societas, als auch seine neuerliche Ernennung zum Aedituus ließen auf bessere Zeiten hoffen. Natürlich war er nicht begeistert einen Tempelverwalter zu geben, war dies doch alles andere als eine Stelle, auf der man einen Patrizier für gewöhnlich fand. Doch nach allem, was passiert war und nach all der Einöde, die das Leben aus seinem Körper saugte, konnte er sich wohl glücklich schätzen wieder einer Beschäftigung nachzugehen, zumal im ehrwürdigen Iuppiter-Tempel auf dem Capitol.


    Dass er letztlich doch mal als Diener der Götter enden würde, hätte er vor einiger Zeit noch kaum für möglich gehalten, hatte er doch in seinem Gespräch mit dem Senator Purgitius Macer noch ganz andere Vorstellungen. Achja, der Senator und Ehemann seiner Cousine Albina. Es war sehr freundlich von ihm, Lepidus mit ein paar Ratschlägen als Neuling in Rom weiterzuhelfen. Wahrscheinlich wäre es das beste ihm hin und wieder zu berichten, wie es denn in seinem Leben derzeit voranging, dachte sich Lepidus. Immerhin war der Purgitier vielleicht nicht uninteressiert, was aus seinen Empfehlungen geworden war, zumal die beiden auch noch verwandtschaftlich miteinander verbunden waren. Der Tiberier ließ sogleich einen Sklaven zu sich kommen, dem er einige Zeilen für einen Brief diktierte und ihn beauftragte diesen zur Casa Purgitia zu senden.

    ~ CUBICULUM LUCIUS TIBERIUS LEPIDUS ~


    Hier entspannt sich Lucius Tiberius Lepidus nach einem anstrengenden Tag oder zieht sich zurück, um etwas Ruhe zu genießen. Gleichsam war dies das alte Cubiculum des Manius Tiberius Durus. Eigentlich hätte man diese Räumlichkeit wohl für immer verfluchen sollen, wenn nicht möglicherweise gar bereits ein Fluch auf ihr lastete. Doch Lepidus hielt es nicht für ratsam, geschweige denn zweckmäßig einen Teil des Gebäudes einfach unbenutzt zu lassen. So ließ er sämtliche privaten Gegenstände des Durus, die sich darin wohl noch befinden mochten, hinaustragen und bezog das Zimmer neu. Es erinnerte hier kaum noch etwas an den Verstorbenen.

    Zum Glück gab es da keinen Einspruch gegenüber dieser kurzfristigen Entscheidung. Der Tiberier war aber froh, sie getroffen zu haben und damit durchgekommen zu sein. Naja, zumindest ein kleiner Erfolg. Mit der Tatsache allen drei Göttern zu dienen, hatte er wahrlich kein Problem. Im Gegenteil, umso besser war es für ihn. "Mein Dank sei dir gewiss. Ich denke, ich werde der Aufgabe gewachsen sein der gesamten Trias zu dienen. Fragen habe ich tatsächlich ebenfalls keine mehr." Letzteres hörte Duilius inzwischen sicherlich gern. "Mir bleibt nur noch zu sagen, dass ich mich auf meinen kommenden Dienst freue." In drei Tagen ging es also los. Nun, wenigstens musste er jetzt nicht mehr in seiner Villa schmoren und sich die Zeit mit Büchern vertreiben. Sein junger Geist war auch noch viel schade für ein solches Leben.

    "Oho", dachte sich der Tiberier, wie er so auf seinem Platze saß. Gleich ein ganzer Vortrag über den Ordo Equester. Darauf hatte er es nun wahrlich nicht abgesehen und Ritter wollte er erst recht nicht werden. Da hatte Duilius zweifellos recht. Aber in seiner Frage ging es ja auch dann tatsächlich darum, ob ein Patrizier auf den Posten eines Ritters erhoben werden könnte, was soviel heißt, dass für einen Posten, wofür der Ritterstand erforderlich wäre, ein Patrizier diesen Ritterstand natürlich nicht brauchen würde, um ihn besetzen zu können, da seine adlige Herkunft als Voraussetzung für solche "Ritterposten" ausreichend wäre. Möglicherweise verleitete auch das Wort 'erhoben' zu missverständnissen. Wie dem auch sei, dies müsste wohl eines Tages mal im stillen Kämmerlein in Erfahrung gebracht werden, hier bei einer Art Bewerbungsgespräch war es wohl kaum angemessen. Für den Moment tat er so, als wäre er mit der Antwort zufrieden. So kam dann der Tiberier auf die Frage seines Einsatzes als Aedituus zurück. Auch hier hatte er sich fest vorgenommen, die Nerven des Duilius ein wenig zu strapazieren. Dies alles natürlich nur zum Wohle der Götter.


    "Über eine Ernennung zum Aedituus würde ich mich selbstverständlich freuen. Nur über den Dienstort müssen wir womöglich noch einmal reden. Du weißt wahrscheinlich so gut wie ich, dass das Ansehen eines Aedituus..." Und sei dies meist das Ansehen von Sklaven und Freigelassenen "...vom Tempel abhängt, in dem er eingesetzt wird. Nun gehe ich glaube ich nicht zu weit, wenn ich sage, dass Apollon ein wichtiger Gott ist, aber sich nicht der größten Beliebtheit in Rom erfreut." Einst scheiterte Augustus mit seiner apollinischen Politik die Bürger für Apollon zu begeistern. Er selbst hätte ihn wohl zu einer Gottheit der Trias erhoben, doch dieses Ziel konnte wohl selbst ein so großer Mann wie dieser nicht erreichen. Abgesehen davon, dass Lepidus die Unattraktivität des Apollon bei einer Prozession im Namen der Societas Claudiana et Iuliana noch leibhaftig und trauriger weise zu spüren bekommen würde. "Also wäre es wahrscheinlich meiner patrizischen Herkunft am angemessensten, wenn ich in einem wahrhaft bedeutenden, wenn nicht gar dem bedeutendsten Tempel in Rom dienen würde... dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus." Zweifellos könnte er sich dann, um die Göttertrias kümmern und womöglich sogar mit wahrlich bedeutenden Persönlichkeiten verkehren, die in diesem Tempel große und kostspielige Opfer darbrachten. Somit wäre es womöglich auch zu verkraften als adliger auf der Stelle eines Aedituus zu sitzen.

    Das Kultbild des Apollon, welches weit vorn in der Prozession getragen werden sollte und reich geschmückt war, entsprach dem Gott, wie man ihn sich vorstellte und wie man Geschichten über ihn erzählte. Er erschien als junger Mann ohne Bart, mit langen fliegenden Haaren, mit einem Lorbeerkranz gekrönt, und mit einem Gewand und Sandalen, die wie Gold glänzten. In der einen Hand hält er den Bogen, in der anderen eine Leyer. Es diente dazu sich den Gott zu vergegenwärtigen, seine Präsenz zu spüren, auf das er während der Prozession wirklich mit ihnen sein würde. Neben dem Kultbild des Apollon sollten auf jeder Seite eine Frau entlanglaufen, beide jeweils mit einem bunten Schild in der Hand. Das Symbol des Schildes dient als Zeichen, dass Apollon die Menschheit beschützt und ihnen Gesundheit und Sicherheit verschafft.


    Die Gehilfen aus dem Tempel trugen allesamt Lorbeerkränze oder waren ebenso mit Blumen geschmückt. Die Musiker trugen ein weißes Gewandt und ihre Instrumente waren vergoldet. Gerade sie mussten heute ihr bestes geben, spielte doch Musik im Kulte des Apollon von jeher eine wichtige Rolle.


    Noch ganz vertieft in seine Pflichten, war der Tiberier etwas überrascht lauthals seinen Namen rufen zu hören. Bei der Rede hatte er diesen ja zum Glück nicht genannt, da dies womöglich bei dem ein oder anderen gewisse Assoziationen hervorgerufen hätte, die hier fehl am Platz waren. Ein kurzes Umblicken und da war auch schon der richtige Mann erkannt. Auf Dives war Verlass, musste er an dieser Stelle feststellen. Gerade schickte er noch einen für den Beginn der Prozession wichtigten Mann auf seine Position und schritt dann anschließend auf den Iulier zu, um ihn zu begrüßen. "Freut mich, dass du bereits hier bist, ich hoffe der Weg von Ostia bereitete dir nicht allzu viel Mühe. Es ist inzwischen alles vorbereitet, die Prozession wird jeden Augenblick losgehen. Wie hast du dich im Falle der Nahrungsspende entschieden?" Lepidus hatte dies dem Iulier ja nur in Aussicht gestellt, wusste allerdings nicht, wie dieser sich dazu verhalten würde. Der Tiberier sprach übrigens ebenso hektisch, wie er die gesamten Planungen empfand. Zweifellos war dies alles eine große Herausforderung für den noch jungen Patrizier. Doch bevor er die Antwort abwarten konnte, sah er bereits, dass sein eben noch angewiesener Mann bereit war und gleich anfangen würde etwas vorzutragen. Er gab Dives und seinen Leibwächtern ein Zeichen, dass sie sich mit ihm zusammen an einen bestimmten Teil im vordersten Drittel der Prozession einreihen sollten. "Flüster mir die Antwort am besten zu oder auf der Prozession selbst sollten wir noch genug Zeit zum Reden haben. Jetzt lausche meinem besonderen Einfall für den Beginn. Vielleicht trifft es deinen Geschmack."


    Die Worte an Dives waren gerade verklungen, als ein sanftes Flötenspiel einsetzte und ein Mann, auf einem provisorischen Podest neben den Prozessionsteilnehmern begann zu sprechen. Offensichtlich hatte man es hier mit einer dichterischen Einlage zu tun. Der Tiberier hatte den Mann selbst ausgesucht, weil er eine sehr gute Stimme hatte (deutlich kraftvoller als seine eigene) und in der Lage war Verse auch an ein größeres Publikum zu bringen. Man munkelte, dass dies einer der parasiti Apollinis sein musste und dann war dies in der Tat kein Wunder. Ein waschechter Schauspieler im Dienste des Apollon, musste solch eine Fähigkeit wahrhaftig haben.


    "Seid gegrüßt, liebe Römer an diesem wunderschönen Tage. Erfreut euch nun an der Darstellung der Schlacht bei Actium aus der Feder des großen Vergil persönlich, der diesen besonderen Moment so überaus leidenschaftlich und eindrucksvoll beschrieb."


    Das Flötenspiel, welches gerade noch eingesetzt hatte, blieb auch während der folgenden Worte zur Untermalung erhalten. Die sanften Hintergrundgeräusche gaben dem ganzen noch eine gewisse zusätzliche Nuance und der engagierte Schauspieler konnte seine Verse im besten Singsang vortragen.


    "Zwischen hindurch zog weit sich das goldene Bild des erregten
    Meeres; es schäumte das Blau mit weißlich schimmernden Wogen.
    Rings im Kreise gereiht, hell glänzend von Silber Delphine
    Peitschten die Flut mit dem Schweif und furchten die gärende Brandung.


    Mitten darin war die aktische Schlacht - erzschimmernde Flotten -
    Deutlich zu schaun. Man sah von Mavors' gerüsteten Schlachtreihn
    Ganz Leukate umtobt und in Goldglanz funkeln die Wellen.
    Caesar Augustus führt die italischen Scharen zum Kampfe
    Mit dem Senat und dem Volk, den Penaten und obersten Göttern.


    Wie er auf ragendem Heck hoch dasteht, da flammt von den heitern
    Schläfen ein doppeltes Licht und der Stern des Erzeugers zu Häupten.
    Etwas entfernt führt dann mit günstigen Göttern und Winden
    Stattlich Agrippa den Zug, dem die Schläfe die Krone des Seemanns,
    Mit Schiffsschnäbeln geschmückt, umfunkelt, ein prächtiger Kriegsschmuck.


    Dorther führt, von Barbaren umringt und den buntesten Waffen,
    Siegreich über Auroras Volk und das rote Gestade,
    Ganz Ägypten Antonius mit und den Osten und Baktras
    Äußerstes Reich, und ihm folgt - o Schmach! - die ägyptische Gattin.
    Alle sie stürzen zugleich sich drauf, rings schäumt das Gewässer,


    Von dreizackigen Schnäbeln durchwühlt und geschwungenen Rudern.
    Fort auf die Höhe dann geht's; man meint, zerstückte Zykladen
    Schwämmen im Meer; es stürzte Gebirg sich gegen Gebirge:
    Mit so massiger Wucht drohn rings die getürmten Verdecke.
    Brennendes Werg wird verstreut, der Geschosse geflügeltes Eisen


    Schwirrt, und Neptunus' Flur schäumt rot von dem neuen Gemetzel.
    Mitten im Heer ist die Königin selbst; mit dem heimischen Sistrum
    Ruft sie zur Schlacht, sieht hinter sich nicht - zwei drohende Schlangen.
    Scheußlicher Götter verworrnes Gezücht und der Kläffer Anubis
    Heben die Wehr hier gegen Neptun, Minerva und Venus.


    Mavors tobt inmitten des Kampfes, aus Eisen getrieben,
    Während vom Himmel herab die entsetzlichen Furien drohen.
    Prahlerisch schreitet die Zwietracht dort mit zerrissnem Gewande,
    Welcher Bellona folgt, mit der blutigen Geißel bewaffnet.
    Aktiums Phoibos sieht dies alles; er spannt aus den Lüften


    Hoch sein Geschoss: da kehrt vor Schreck der Ägypter und Inder,
    Ganz Arabien kehrt samt allen Sabäern den Rücken.
    Selber die Königin scheint zu den Winden zu flehn und die Segel
    Auszuspannen und schon ihr Tauwerk schießen zu lassen.
    Bleich vom nahenden Tod hat künstlich der Gott sie gebildet,


    Wie vom Westwind sie und der Flut dem Gemetzel entrafft wird;
    Jenseits aber den trauernden Nil mit riesigem Leibe,
    Wie den Besiegten er winkt mit dem Bausch und dem ganzen Gewande,
    Sich in den bläulichen Schoß und des Stroms Schlupfwinkel zu bergen.
    Caesar dagegen, der Rom dreifach triumphierend betreten,


    Weihet den Göttern des Italervolks ein unsterblich Gelübde:
    Rings in der Stadt umher dreihundert erhabene Tempel.
    Jubel und Spiel durchbraust und Beifallsklatschen die Straßen:
    Chöre von edelen Fraun, Altäre in sämtlichen Tempeln
    Und vor jedem Altar auf dem Boden geschlachtete Rinder."*


    Mit dem Ende der letzten Verse, setzten nun auch die restlichen Musiker mit ihrem Spiel ein. Wie abgesprochen, fing nun die erste Reihe an sich fortzubewegen und die dahinter Gehenden folgten Schritt für Schritt. Ein Diener des Apollon ging mit in der ersten Reihe voran. Immer wieder mit lauten wiederholenden Ausrufungen zu Ehren des Apollon und gleichzeitigen Hinweisen den Weg zu räumen sowie die Einladung sich der Prozession anzuschließen. Nun schritten sie nördlich neben dem Porticus Octaviae und vorbei am Theatrum Balbi langsam in Richtung der Via Flaminia.


    Sim-Off:

    *Aeneis, Buch VIII, V 671-719; Übersetzung von Wilhelm Hertzberg

    Der Tiberier atmete deutlich bemerkbar aus, als Duilius Verius wieder mit etwas völlig anderem anfing. Für einen Moment stockte ihm wohl mächtig der Atem. Seine Erleichterung, dass das Thema Durus so schnell beendet wurde, konnte er so nur schwer verbergen, auch wenn er es natürlich versuchte, indem er gleich wieder eine normale Atemfrequenz einnahm und dazu ein überaus interessiertes Gesicht machte, als sein gegenüber fortfuhr. Fast hätte er jedoch den Inhalt der Worte des Duilius verpasst, doch was verstand reichte, um ein wenig skeptisch dreinzublicken. Nun, ein Aedituus sollte er nun also tatsächlich werden? Beim Gedanken daran, dass diese Aufgabe normalerweise von Sklaven und Freigelassenen erfüllt wird, konnte sein stolzes Patrizierherz durchaus zu bluten anfangen, allerdings gab es in der Vergangenheit immer mal wieder Ausnahmen, nicht zuletzt in seiner eigenen Familie, wie er ja auch in seinem Schreiben selbst mitteilte. Und die Tatsache, dass Duilius die Pontifices minores erwähnte, sollte womöglich schon eine Aussicht auf die Zukunft darstellen.


    Als Quindecimviri hätte er sich zwar sicherlich auch hervorragend gemacht, aber womöglich konnte ein Mann in seiner Position unter den derzeitigen Verhältnissen nicht mehr erreichen. Er hatte wohl schon Glück, wenn er überhaupt irgendwo unterkommen konnte. Dass Duilius allerdings so auf den Ordo pochte, verwirrte ihn so manches Mal. "Ich frage tatsächlich nur aus purer Neugier und verzeih mir bitte sogleich meine Unwissenheit: Aber war nicht gar auch nur die Ritterschaft die Voraussetzung für so manchen Priesterposten und wurden nicht schon des Öfteren Patrizier auf die Posten von Rittern erhoben? Ein Mann aus meinem Stand müsste über so etwas sicher besser Bescheid wissen, aber sagen wir doch einfach, dass ich heute nicht ganz auf der Höhe bin und die Informationen sich für meine Zukunft und meinen weiteren Werdegang im Dienste der Götter als nützlich erweisen würden." Der Tiberier hatte es sich nun tatsächlich herausgenommen selbst eine Frage zu stellen, noch dazu eine recht einfältige. Bisher schien Duilius allerdings recht umgänglich, weshalb Lepidus wohl glaubte seine passive Haltung für einen Moment aufgeben zu können.

    Das Verhör nahm seinen Lauf. "Tiberius Durus?", wiederholte er noch einmal den Namen des früheren Senators. Bereits als Lepidus den Brief an das Collegium schrieb, hatte er sich viele Gedanken um diesen Namen gemacht. Natürlich musste er an dieser Stelle auf ihn angesprochen werden, schließlich war dieser ganze Ort auch so etwas wie seine Wirkungsstätte. So wie in seinem Brief, so setzte er auch hier seine Verleugnungs-Strategie fort. "Ein entfernter Verwandter von mir, in der Tat. Cousin dritten Grades oder so etwas in der Art. Ich habe den Mann kaum gekannt." Sämtliche Spekulationen um Durus ließ er außen vor, Lepidus musste sich ja nicht rechtfertigen, ahnte allerdings bereits, dass ihm dies noch Schwierigkeiten bereiten konnte. Jede Nähe zu Durus könnte in der jetzigen Situation gefährlich sein und seine eigene Zukunft gefährden. Egal, was er tat, er musste unbedingt jede Verbindung zu ihm bestreiten, ihn zur Not sogar als Schande der Tiberier bezeichnen. All dies hatte er schon einmal tun müssen und keine Skrupel es wieder zu tun. Blieb nur die Frage, ob Duilius weiter nachhaken würde. Dass Lepidus ein unmoralisches Angebot vorgesetzt bekam, erschloss sich ihm in der Tat nicht, wie sollte es auch? Er hatte keinerlei Erfahrungen mit solchen Spielereien und die Politik (Die Lehrmeisterin solcher Spielchen) war noch weit weg von ihm.

    Der größte Teil der Vorarbeiten wurde inzwischen geleistet. Noch einmal durchatmend, ging Lepidus die Stufen des Tempels hinauf, und betrat unter den Säulen den marmornen Prachtbau, der sich auf einem Podium erhob und durch seine reichen Verzierungen und imposant geformten Kapitellen bestach. Anbei hatte er ein paar Sklaven, die die Opfergaben bei sich trugen.


    Der Tiberier wandte sich zuerst zur Seite und wusch seine Hände in einem dafür vorgesehenen Becken. Einen Teil seiner Toga nun über den Kopf gezogen, schritt er weiter voran in das Innere des Tempels, wo Lepidus die diversen Kunstwerke bewunderte, die dort aufgestellt und wohl meist griechischer Herkunft waren; gleichsam wanderte er auf einem wunderschön verarbeiteten Mosaikfußboden dem foculus entgegen, wo die Sklaven bereits die nötigen Opfergaben platziert hatten und sich Lepidus nun ganz auf die eigentliche Opferung konzentrieren konnte. Er nahm das Behältnis mit dem Weihrauch und streute jenen in die entsprechende Feuerstelle, die herrlich glühte und den Duft in der gesamten Räumlichkeit verteilte. Nachdem die Verbindung zu Apollon hergestellt war, konnte er seine Gaben dem Gott offenbaren. Verschiedene Blumen und eine reiche Anzahl an Früchten wurden dem Gott der Musen dargebracht, auch etwas Gebäck war dabei und dazu legte der Tiberier ihm noch einige Lorbeerzweige bei. Die Lorbeerblätter pflückte er einzeln ab und gab sie langsam und bedächtig auf die Feuerstelle, die nun erneut einen recht eigentümlichen Geruch verbreitete. Mit dem simpuvium ließ er auch eine Weingabe in die dafür vorgesehenen Schalen am Altar tropfen. Nun streckte Lepidus die Hände in die Höhe, die Handflächen nach oben zeigend und sprach zu Apollon:


    "Großer Apollon, der du vermagst zu heilen und Licht zu spenden, Gott der Künste und der Musik, der Weisheit und der Weissagung. Nimm diese Gaben zu diesem besonderen Anlass zu deinen Ehren. Es jährt sich heute der Tag, an dem du schützend deine Hand über den Caesar Divi filius Augustus legtest und ihm zum Sieg bei der Schlacht von Actium verhalfst und dem römischen Volk damit Frieden brachtest. Heute bringen dir viele aufrechte Römer ihren Dank entgegen und bitten dich gleichsam dein Werk noch einmal zu tun und uns den Frieden zu bringen. Heute laden wir dich ein, oh mächtiger Apollon, und bitten dich mit uns zu sein."


    Der Geruch von Weihrauch und Lorbeer lag dem Tiberier immer noch in der Nase als er seine Worte an Apollon endigte und sich nach rechts abwandte. Tief in Gedanken versunken, musste er nun den Tempel verlassen. Auf dem Platz davor waren nun einige Menschen mehr eingetroffen und warteten auf den Beginn der Prozession. Es war an sich nur eine bescheidene Anzahl von Personen und vielleicht hätte sich der Tiberier etwas mehr Beteiligung gewünscht, aber grundsätzlich zählte wohl nur, dass den Göttern gehuldigt wurde, egal, ob dies viele oder wenige tun.


    Der Tiberier blieb auf dem unteren Teil der Stufen stehen, leicht erhoben hatte er so einen guten Überblick und konnte die Menschen vor Beginn der Prozession noch ein wenig genauer aufklären, weshalb sie an diesem Tage zusammengetreten waren und weshalb an diesem speziellen Tage ein großer Opfer durch die Societas organisiert wurde. Er zog sich die Togafalte vom Kopf, blickte sich noch einmal kurz um und erhob seinen Arm als Zeichen, dass er etwas sagen wolle. Seine Helfer bemühten sich einige Menschen auf ihn aufmerksam zu machen, damit sie die Gespräche möglichst einstellten. Zweifellos war dies nicht in vollständigem Ausmaße möglich, weshalb Lepidus in jedem Fall sehr laut und eindringlich sprechen musste, damit ihn wirklich ein paar mehr Menschen gehör schenkten. Noch einmal atmete er tief durch, um sein Stimmenvolumen die nötige Kraft zu verschaffen und sprach dann:


    "Bürger Roms, hört mich an! Ich freue mich, dass ihr euch heute eingefunden habt, um an der feierlichen Prozession und dem Opfer zu Ehren des Apollon teilzunehmen. Wie ihr alle wisst, befinden wir uns in schweren Zeiten. Man mag das Wort kaum aussprechen, nur flüstern möchte man es, weil es uns im tiefsten Inneren erschüttert; doch wir alle wissen genau, um was es sich handelt und deshalb spreche ich es laut aus: Bürgerkrieg! Ja, in einem solchen befinden wir uns und jener ist die Ursache, weshalb wir um die Zukunft und den Wohlstand unseres Reiches bangen müssen und dass wir von Unsicherheit erfüllt sind, nicht wissend, was mit uns geschieht."


    Eine kleine Kunstpause setzte ein, der Tiberier blickte in die Gesichter der Anwesenden.


    "Doch es gibt Hoffnung und jene findet sich in unserer Geschichte. Ich sage es euch, Mitbürger, Rom hat schon viele Krisen überstanden und es ist nie gefallen, nein, es ist sogar häufig gestärkt hervorgegangen. Heute jährt sich der Tag als einst Caesar Augustus - mit der schützenden Hand des Apollon über sich - die entscheidende Schlacht bei Actium gewann und dem damals ebenso wie heute kräftezehrenden Bürgerkrieg ein Ende bereitete. Es war der Wendepunkt einer Zeit, in der Römer, wie ihr und ich, die gleichen Befürchtungen hatten und die gleiche Beklommenheit verspürten wie wir sie heute empfinden im Angesicht der ungewissen Zukunft. Doch am Ende jenes Krieges stand etwas neues, etwas großartiges. Am Ende dieser Schlacht stand ein langer Frieden und die Eintracht unseres Reichs!


    Ich stehe heute hier als Sodales der Societas Claudiana et Iuliana, die es sich zum Ziel gemacht hat, der Iulisch-Claudischen Dynastie zu gedenken und zu ehren. Ebenso vergessen wir nie ihre Schirmherren zu ehren. Augustus war der große pater patriae, bekannt als Apollons Sohn und apollinisch war sein Ideal. Lasst uns auch heute dem Gott für den langen Frieden danken, den er uns einst gab und lasst ihn uns gleichsam bitten uns vom Geschwür des Bürgerkrieges zu heilen. Lasst uns gemeinsam zu Ehren des Apollon durch die Straßen ziehen und bereiten wir ihm ein würdiges Opfer!"


    Lepidus beendete diese kleine Rede, die alle noch einmal erinnern sollte, wofür dieses Opfer am heutigen Tage stattfinden sollte. Er musste sich wohl erst einmal den Schweiß von der Stirn wischen, denn es kostete Kraft so laut zu reden und die Wörter verständlich auszusprechen. Er konzentrierte sich in seiner Einführung vorwiegend auf das Ergebnis des einstigen Krieges, nicht wie es zu diesem Ergebnis kam. Ob sich die Bürger den jetzigen Salinator als Augustus vorstellen konnten oder nicht, blieb wohl allein ihnen überlassen. Etwas stolz war Lepidus auf seine Formulierung mit dem Geschwür, da dieses Zeichen der Krankheit auch gleichsam einen Bogen zur Bedeutung des Apollon als Gott der Heilung schlug. Dass dieser Gott, der eigentlich eher für seine musische Bedeutung bekannt war, auch für eine kriegerische Assoziation taugte, war keine Erfindung des Lepidus, sondern wurde gerne so erdacht. Mann stellte sich Apollon so manches Mal als Gott des Lichtes vor, der mit seinem Pfeil und Bogen die Gestalten der Dunkelheit bekämpft.


    Auch hinter der Bedeutung des Augustus als Sohn des Apollon rankten sich die interessantesten Geschichten. So soll Augustus Mutter, Atia, tatsächlich ihren Sohn von Apollo empfangen haben. Sie sei mitten in der Nacht in den Tempel des Apollon gegangen, um ein feierliches Opfer darzubringen. Dann habe sich ihr der Gott in Gestalt einer Schlange genähert. Nicht wenige behaupteten dass, dass der Hauptgrund Caesars zum Entschluss der Adoption des jungen Gaius Octavius dessen apollinische Herkunft gewesen wäre.


    Doch wie dem auch sei. Inzwischen wieder halbwegs bei sich und in der Lage die Prozession einzuleiten, gab Lepidus noch einige Anweisungen. Nun sollte sich alles in Position begeben und eine anständige Formation hergestellt werden. Während die Musiker auf ihre zugewiesenen Position gingen, das Kultbild des Apollo auf seinen Platz in der Menschenmenge getragen wurde und diejenigen auf ihre Plätze gingen, die dem Marsch voranschritten, hatte sich der Tiberier noch etwas besonderes ausgedacht, um den Erschienenen den Verlauf der Schlacht bei Actium auf musische Art etwas näher zu bringen...

    Die Würde verdienen? Als Patrizier besaß man diese Würde bereits von Geburt. Dies war auch die Einstellung des Tiberiers, denn nicht umsonst wurde seine Familie einst geadelt, wenn sie sich nicht durch große Taten ausgezeichnet hätte. Das Denken vom Einzelnen Individuum war ihm eigentlich fremd. Die Taten seiner Ahnen, waren auch die seinen und seine Taten wiederum die ihren, alles war in einem Kontext zu sehen. So verstand er es und so leitete er seine Privilegierung ab.


    Dann auch noch die Rede vom Patron. Seit er in Rom war, wer hätte da schon sein Patron sein können? Macer? Politisch wohl zu neutral, um ihn bei Salinator den Ordo zu verschaffen, zumindest war dies sein Eindruck nach ihrem ersten Gespräch. Victor? Ein treuer Anhänger des Vesculariers, nur leider konnte sich Lepdius diesem bisher kaum annähern. Abgesehen davon, dass er sich derzeit kaum vorstellen konnte, vom Patrizier-Kritiker schlechthin (und dies war wohl noch die sanfteste Formulierung) in den Ordo Senatorius versetzt zu werden. Aber über all das zu schwadronieren erschien Lepidus als sinnlos, weshalb er die Frage mit einem einfachen "Nun, ich arbeite daran..." beantwortete.

    "Audite! Audite!", erklang es in den Tagen zuvor noch auf so manchem Forum. Einige dazu beauftragte Ausrufer sollten die Bürger auf das bevorstehende Ereignis der Prozession aufmerksam machen. Es waren zwar nicht allzu viele jener Ausrufer und die Bekanntmachungen waren letztlich kaum so umfangreich, wie dies bei anderen offizielleren Anlässen geschah, dennoch erhoffte man sich den ein oder anderen Bürger zur Teilnahme an der Prozession bewegen zu können, auch wenn diese in sehr bescheidenem Ausmaße stattfinden würde, wie es eben in den Möglichkeiten der Societas Claudiana et Iuliana stand. Immerhin schien es auch ein nicht uninteressanter Anlass zu sein. Die Schlacht von Actium und damit der entscheidende historische Augenblick, der einen Kampf unter Römern ein baldiges Ende setzte, würde womöglich den ein oder anderen schon aus schlichter Neugier zur Teilnahme bewegen. Und war es nicht auch dies, was sich die Menschen in jenen Tagen erhofften? Ein Ende des nun ebenfalls stattfindenden Krieges unter Römern? Konnte diese Hoffnung nach einem endlich eintretenden langen Frieden nicht am besten durch ein historisches Beispiel genährt werden, welches gleichsam einen Lichtblick auf die Zukunft warf? Nicht zuletzt konnte selbst der kritischste Geist in unsicheren Zeiten zu einem frommen Mann werden, der jede nur erdenkliche Form nutzte, um den Göttern zu huldigen und sich von ihnen bessere Tage ersehnte.


    Lepidus war als Hauptorganisator dieser Prozession und des damit verbundenen Opfers selbstverständlich schon sehr früh an Ort und Stelle. Durch den Aedituus des Tempels des Apollon wurden entsprechende Diener und Musikanten organisiert. Alles musste schon einigermaßen in Position sein, bevor der Großteil der Menschen eingetroffen war. Auch das Opfertier musste schon geschmückt sein und die entsprechenden Gaben für das Voropfer sollten ohnehin bereitstehen, damit es zu keinerlei Verzögerung im Ablauf kam.


    Die Sonne sollte sich schon bald erheben und dort sah man auch bereits, wie die ersten Menschen vor dem Tempel des Apollo Sosianus eintrafen, jenem Tempel, der seinen Namenszusatz durch Gaius Sosius erhielt, der einst den Neubau aus Marmor finanzierte und dessen Benennung letztlich auch dazu diente dieses Heiligtum vom Apollotempel auf dem Palatin zu unterscheiden. Der Tiberier stand nun auf den Stufen des Tempels, sprach mit Opferdienern, gab den ein oder anderen Hinweis und beobachtete gleichsam immer mal wieder, wie sich nach und nach ein paar Menschen versammelten, um Apollon ihre Ehrerbietung zu erweisen. Besonders hoffte der Tiberier natürlich, dass auch möglichst viele Mitglieder Societas Claudiana et Iuliana Zeit gefunden hatten, an jenem Tage zu erscheinen.

    Etwas verblüfft schien der Tiberier, als er die Worte des Duilius Verius hören musste. Es schien als würde das Gespräch sogleich eine merkwürdige Wendung nehmen. Nun, genau genommen war die Bezeichnung 'Wendung' hier wohl falsch, denn das Gespräch hatte ja noch überhaupt keine Zeit sich in irgendeine Richtung zu entwickeln. In seinem Brief jedenfalls, war tatsächlich nicht die Rede davon, dass er Aedituus werden möchte; er erwähnte immerhin einen Verwandten, der einst Aedituus war, aber explizit, dass Lepidus einer werden wollte, war darin nicht zu erlesen. Für einen Moment war sich Lepidus unsicher, was er geschrieben hatte und musste seine eigenen Zeilen noch einmal überdenken, schließlich hatte er sie ja nicht zur Hand, aber Lepidus schien sich dann doch recht sicher, dass er dergleichen nicht zu Papier gebracht haben konnte. "Nun, von einem Wunsch Aedituus zu werden, ist in meinem schreiben - so glaube ich - nichts zu lesen. Vielmehr betonte ich Apollon dienen zu wollen, wenn ich einen Wunsch äußern könnte. Dies kann ein Aedituus, aber ebenso ist dies beispielsweise eine Pflicht des Collegiums der Quindecimviri... aber darüber muss ich dich sicher nicht aufklären." Nun, zumindest hoffte das der Tiberier. Wer wusste schon, welche Leute dieser Bürgerkrieg in welche Position gespült hatte. Lepidus bemühte sich immerhin grundsätzlich jedes Wort mit einem Lächeln der Zurückhaltung zu sprechen, stark darauf bedacht, dass sich die Worte nicht in irgendeiner Weise anmaßend anhören würden. Durfte er dem Mann überhaupt in irgendeiner Weise, auch wenn sie sehr sanft war, unterstellen, dass er sich geirrt hatte? "Der Grund, weshalb ich nicht explizit um einen Platz in einem Collegium bat, ist jener, dass ich, wie ich es auch in meinem Brief offenbarte, mein Schicksal verantwortungsvoll in die Hände des Collegiums lege, um dort eingesetzt zu werden, wo ich am dienlichsten für die Götter erscheine. Sicher bin ich für einiges mehr und für anderes weniger geeignet, aber dafür sitzen wir hier ja auch sicherlich zusammen, eben um dies festzustellen." Schließlich hatte der Tiberier keinen Einblick, wie die derzeitige personelle Lage war. Sich für ein Collegium zu bewerben, wo möglicherweise ohnehin schon alle Plätze in zufriedenstellender Weise besetzt waren, hätte wohl keinen Sinn ergeben. Gleichsam unterstrich dies wohl seine Bescheidenheit, die er allerdings unter scharfen Kompromissen mit seiner gewohnten Verhaltensweisen an den Tag legen musste. "Noch dazu sind mir auch ohnehin einige Stellen in Ermangelung des entsprechenden Ordos verwehrt. Das patrizische Blut allein qualifiziert heute ja leider nicht mehr für alles." Letzteres musste der Tiberier bitterlich feststellen. Womöglich konnte ihm Duilius ja etwas sagen, was er noch nicht wusste und vielleicht war Lepidus auch, was die Collegien anging, falsch informiert. Für den Moment konnte das der Tiberier kaum feststellen.


    Edit: Kleine Anpassungen.