"Salve, Axilla", grüßte Avianus seine Cousine und erinnerte sich daran, dass ihn eigentlich niemand hergebeten sondern er einfach kurzerhand entschlossen hatte, sich zu den Besuchern zu gesellen. Sollte er jetzt aus irgendeinem Grund stören, hatte er nichts dagegen von seiner Verwandten aus dem Tablinum geschickt zu werden.
"Diadematas Geschwister … eine angenehme Überraschung, oder? Bildung und Erziehung der beiden sollen wohl hier fortgesetzt werden. Ich denke, du kennst dich mit Hauslehrern und Schulen bestimmt besser aus als ich."
Sein Blick ging wieder zu Marcus' und Marsas Amme. Die wollte entgegen seiner Erwartungen doch nicht hier bleiben.
"Nun, um auf das vorherige Thema zurück zu kommen … eine Amme werden die zwei wohl nicht mehr brauchen. Ein einfaches Kindermädchen wird genügen. Auch wenn ich es natürlich besser fände, wenn zumindest ein Mensch im Haus den beiden nicht fremd wäre", gab er zurück. Die zwei waren ja noch jung, und nicht nur wurden sie in eine fremde Stadt in ein fremdes Haus voller fremder Leute gesteckt, ihre Amme, mit der sie aufgewachsen waren, mussten sie auch noch gegen eine Fremde eintauschen. Außerdem hatte Nysa die beiden gut im Griff. Wer wusste, ob das bei einem neuen Kindermädchen genauso wäre. Aber gut, wenn es anders nicht ging, würde man sich damit arrangieren müssen.
Beiträge von Aulus Iunius Avianus
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Während Agricola von seiner Reise erzählte, lächelte Avianus wieder nur dünn. Also wirklich nur Gerstenbrei und Strohhaufen. Für mehr hatte die Familie der Mutter mit ihrem Weingut, ihren zahlreichen Sklaven und ihrem Vieh, wie er gleich darauf erfahren würde, nicht bezahlen wollen. Ganz im Gegenteil, sie wollte von ihm noch 15 Denare oben drauf. Avianus behielt die wahre Summe, die man von ihm hatte kassieren wollen, vorerst für sich. Sein Neffe war schon verärgert genug, weil er glaubte, Geta hätte von ihm die paar Kröten für die Reise verlangt. Da musste er nicht noch Öl ins Feuer gießen, blieb lieber wieder stumm und hörte interessiert zu.
Er konnte gar nicht anders als leise aufzulachen, als Agricola von seiner Ziege erzählte, nur zur Hälfte weil sich dessen Stimme beim Lachen überschlug. Schlecht war es ihm in Cales zumindest nicht ergangen. Bis vor kurzem zumindest. Avianus wusste ja selbst, wie schön es war, abseits des Lärms und der Enge der Stadt aufzuwachsen. Etwas Besseres konnte es für Kinder kaum geben. Erst als das Wort Verräter fiel, verblasste Avianus' Lächeln für einen Moment und von Lachen war erst recht keine Spur mehr. Es war einfach unfassbar, wie lange seiner Gens angelastet wurde, was ein einziger Mann getan hatte, oder auch zwei, wenn man Decimus Iunius Brutus Albinus dazuzählte, und wie schnell dabei vergessen wurde, wie viel die Iunii bereits für das Reich geleistet hatten. Er ließ den Jungen weitersprechen, biss die Zähne zusammen, trank erneut einen Schluck, um den Ärger hinunterzuspülen und konzentrierte sich einfach darauf, was Agricola noch zu erzählen hatte. Dennoch wollte er das Thema im Hinterkopf behalten, um es ihm später zu erklären, wenn es sonst niemand tat. Wenigstens hatte man sich ansonsten um Bildung und Erziehung und körperliche Ertüchtigung – und die war für den Sohn einer Soldatenfamilie eindeutig ein Muss – gekümmert. Der Rest der Geschichte war dann leider weniger erbaulich, doch jetzt war sein Neffe hier und hatte wenigstens etwas Abstand zur Vergangenheit und genug Ablenkung, das half meistens.
"Dass du dich an nichts erinnerst, das wundert mich nicht, dafür warst du noch zu klein. Ich erinnere mich auch nicht an meinen Vater oder an die Zeit vor Misenum. Was deinen Vater angeht … deine Großmutter Helia wollte meinen Bruder und mich nicht wie unseren Vater an den Exercitus verlieren. Deswegen die Eheschließung mit deiner Mutter", erzählte er ein wenig von der iunischen Seite der Geschichte und beugte sich über den Schreibtisch um seinem Neffen ein paar Schlucke nachzuschenken, "Ich sagte schon, ich kannte sie nicht besonders gut. Wir haben nie besonders viel miteinander gesprochen. Aber ich weiß, dass unsere Mutter Regulus eine gute Frau gesucht hat. Etwas anderes wäre ihr nicht ins Haus gekommen und sonst wäre mein Bruder die Ehe erst recht nicht eingegangen. Nur war es eben nie wirklich das, was er gewollt hat. Am Ende hat bei der ganzen Sache jeder verloren: Mein Bruder hat geheiratet, obwohl er es eigentlich nicht wollte, deine Mutter stand allein da, als er euch verließ, und unsere Mutter musste trotzdem zusehen, wie es Regulus zu den Cohortes Urbanae zog, und mich später auch. Dass dein Vater gegangen ist, hatte nicht wirklich etwas mit dir oder deiner Mutter zu tun." Und ein Verräter war er auch nicht, jedenfalls nicht in Avianus' Augen. Allerhöchstens sich selbst hatte Regulus verraten, als er den Ehevertrag unterschrieben hatte, als Opfer einer Mutter, die ihre Kinder hüten wollte wie eine Glucke ihre Brut. Avianus hieß nicht gut, was sein Bruder getan hatte, aber man hätte zumindest damit rechnen müssen, dass die Geschichte nicht gut ausgehen würde.
"Und was dein Onkel Geta meinte, als er von Verrätern sprach … nun, das war der Mord an Iulius Caesar. An der Verschwörung waren auch zwei Iunier beteiligt. Es ist nicht das erste Mal, dass jemand deren Taten nutzt, um unseren Namen durch den Dreck zu ziehen, jeder mit ein bisschen Verstand dürfte aber die Lächerlichkeit dahinter begreifen, und wenn jemand auf mehr als hundert Jahre alte Verbrechen zurückgreifen muss, beweist das nur, dass es im Grunde keine berechtigten Vorwürfe gegen uns heutige Iunier gibt", erklärte er, wollte sich aber nicht weiter in das Thema reinsteigern, denn das hatte er schon viel zu oft getan und er wusste, er würde sich damit nur selbst verrückt machen. Was kam also als nächstes? Agricola zog in die Domus ein, was sonst.
"Da du von jetzt an hier wohnen wirst, wirst du ein Zimmer brauchen. Ich werde dafür sorgen, dass eines für dich vorbereitet wird, dann kannst du deine Sachen dort unterbringen. Du kannst dich waschen, essen, dich einrichten, den Rest der Familie und die Stadt kennenlernen … was auch immer du möchtest. Und dir Gedanken darüber machen, wo dein weiterer Weg dich hinführen soll, falls du das nicht schon getan hast." Natürlich würde Avianus ihm das Militär ans Herz legen, aber vorschreiben konnte er ihm nichts und sein Neffe kam langsam in ein Alter, das ihn dazu fähig machte, seine Möglichkeiten abzuwägen und Entscheidungen selbst zu treffen. -
Die Neuigkeiten trafen Sibel ebenso unverhofft wie ihn vor ein paar Stunden. Avianus strahlte sie an, während sie nur sprachlos neben ihm saß, und sah dabei zu, wie die Bedeutung seiner Worte langsam zu ihr durchsickerte. Noch war er ja nicht Tribun. Nicht ganz. In ein paar Tagen würde es dann soweit sein. Bevor er etwas sagen konnte, gewann endlich auch bei ihr die Freude Oberhand, sodass sie sich ihm um den Hals warf, ihn sogar küsste, was sich in der Gegenwart anderer Leute ja eigentlich nicht gehörte. Dass zwischen Sibel und ihm eigentlich nichts Standard war, hatten die restlichen Bewohner der Domus bereits bemerkt und Vitulus würde es dann wohl auch recht schnell lernen. Von solchen Dingen wollte er sich aber auf keinen Fall die Laune vermiesen lassen.
Er lächelte also weiterhin, hatte die Arme um sie gelegt und würde abwarten, bis ihre Aufregung sich wieder gelegt hatte. Doch ganz so einfach sollte es heute wohl nicht werden. Erst Sibels Aufschrei ließ sein Lächeln verblassen. Er löste sich etwas von ihr und blickte sie mit großen Augen an. "Das Kind?" Jetzt gleich? Irgendwann muss es ja kommen, das wusste er, spürte aber, dass er nervös wurde, als er begriff, was da auf sie zukam. Mehr als deutlich konnte er aus Sibels Augen und Stimme ihre Angst herauslesen und er war sich sicher, was auch immer er jetzt tat oder sagte, er durfte nicht dieselbe Furcht zeigen.
"Diiicon!", rief er laut genug, dass es durchs ganze Haus hallte und der Sklave irritiert aus einem der Nebenräume stolperte. Der blickte zwischen den Eheleuten hin und her und brauchte gar nicht lange, um sich zusammenzureimen, was gerade passierte, denn den Schrei der Liberta hatte er ebenfalls gehört.
"Ich bin hier, Dom- ..."
"Jemand soll zur Hebamme laufen und ihr sagen, dass das Kind kommt", unterbrach Avianus den Sklaven.
"Das Kind? Das Kind … natürlich, Dominus."
"Es ist alles gut, ja? Wir kriegen das schon hin", wollte er seine Frau irgendwie beruhigen, als er ihr von ihrem Sessel aufhalf. "Denkst du, du kommst die Treppe hoch, wenn ich dir helfe?" So genau wusste er ja nicht, wie das mit den Wehen war. "Sonst lassen wir hier unten einen Platz herrichten." -
Da! Widerworte. War ja klar. Avianus blickte den Vilicus über den Schreibtisch hinweg unbeeindruckt an und wollte ihn ausreden lassen, was der auch immer für einen Schwachsinn verzapfen würde. Gäste waren schließlich immer noch Gäste. Und gleich anschließend würde er ihm dann an den Kopf hauen, wie lächerlich die Idee des Ituriers war, den Iuniern Geld abzuknöpfen für einen Jungen, der seit jeher bei den Iunii hätte leben sollen. Merendas Bruder hatte nicht wirklich geglaubt, sein Plan würde aufgehen, oder? Während Avianus abwartete, was der Alte zu sagen hatte, machte sich aber Agricola, der sonst nur still herumgesessen und in seinen Becher hinab gestiert hatte, ganz plötzlich lautstark bemerkbar. Avianus zog leicht überrascht die Brauen hoch. Ein wenig Temperament steckte also doch in dem Burschen und es reichte sogar aus, um den Alten zu verscheuchen. So schnell, wie der sich auf einmal davonmachte, konnte Avianus gar nicht anders als davon auszugehen, dass sein Neffe die Wahrheit sagte. Auch sonst hätte er sich nicht von Iturius Geta abzocken lassen, aber so war es ihm sogar noch lieber.
"Ich danke dir, Bavius Cratinus, und wünsche dir eine gute Rückreise", sagte er der Höflichkeit halber und hatte alldem ansonsten nichts mehr hinzuzufügen. "Vale."
Der Sklavin, die die Getränke eingeschenkt hatte, gab er ein Zeichen, damit sie den Vilicus nach draußen brachte. Die beiden verließen den Raum, die Tür schloss sich hinter dem Mädchen und er war mit seinem Neffen allein. Stille wollte sich ausbreiten, aber Agricola hinderte sie vorerst daran – gut so, denn dessen Onkel hatte nicht den blassesten Schimmer, worüber er mit dem wiedergefundenen Iunius sprechen sollte. Nur wenig später hielt sie dennoch Einzug, während Avianus stumm seinen Becher anstarrte und der Junge trank. Peinliches Schweigen, so fand Avianus, als er Agricola gegenübersaß, von dem er kaum mehr als den Namen kannte, lediglich mit der Erinnerung an dieses plärrende, kleine Ding im Kopf, das ohne fremde Hilfe nicht einmal auf den eigenen Beinen stehen konnte.
Dann ein Danke, das erneut die Stille verscheuchte. "Gern geschehen", brach Avianus sein Schweigen. So selbstverständlich es für ihn auch war, dem Sohn seines Bruders ein Dach über dem Kopf zu gewähren, breitete sich dennoch ein flüchtiges Lächeln auf seinen Zügen aus. Er hatte eine Freigelassene geheiratet, um sein Kind annehmen zu können, da würde er seinen Neffen bestimmt nicht abweisen, ganz egal wie sehr oder wenig sein Bruder Regulus sich für seinen Nachwuchs interessiert hatte. Das hatte mit ihm nichts zu tun.
"Die Kosten der Iturier gehen mich nichts an. Damit, dass ein Kind Geld kostet, hätte er rechnen müssen und hätte Iturius Geta das nicht gewollt, hätte er dich bei den Iunii aufwachsen lassen können", erklärte er dann, den Kopf aus Verständnislosigkeit leicht schüttelnd, trank erneut einen Schluck und stellte den Becher ab. "Aber lassen wir das. Ich muss zugeben, ich bin doch ein wenig überrascht. Naja … dass ich dich irgendwann noch einmal sehen würde ... das hätte ich nicht gedacht. Wie ist es dir in Cales ergangen? Und ganz so schlimm war die Reise hoffentlich nicht …?" Na also. Ging doch irgendwie. Zumindest wenn Agricola mit ihm über derlei Dinge sprechen wollte. -
Avianus nickte, trank von seinem verdünnten Wein. "Axilla hat selbst zwei Söhne, bei denen sie sich bereits um Bildung und Erziehung kümmern musste. Darüber sprecht ihr also am besten mit ihr."
Bei der Begeisterung, die Crassus zeigte, nachdem er den Bürgerkrieg erwähnt hatte, konnte Avianus nur leicht amüsiert lächeln, einerseits, weil der Bürgerkrieg eigentlich kein angenehmes Thema war, wenn er inzwischen auch versuchte, das geschehene etwas lockerer zu sehen, aus Selbstschutz vermutlich, andererseits weil ein Gladius in ungeübten, übereifrigen Kinderhänden auch ganz schnell für selbige gefährlich werden konnte. "Kannst du denn schon mit dem Gladius umgehen?", fragte er deswegen zurück. Mit zehn Jahren schien ihm der Knabe etwas jung für ein scharfes Schwert und richtige Kampfübungen, aber ein paar kleine Tricks könnte er dem Jungen vielleicht zeigen, wenn er sich gut anstellte. Zwar schienen die beiden Geschwister gerne zu zanken, aber zumindest wusste die Amme, wie sie die beiden gekonnt wieder zum Stillsitzen brachte. Dass Kinder auch mal lästig sein konnten, daran zweifelte Avianus nicht, die Bedenken der Amme schienen ihm allerdings unbegründet. Die Domus war groß genug, es gab genug Bedienstete und den Großteil des Tages verbrachte er in den Castra. Solange die beiden nicht Abends in sein Arbeitszimmer platzten und ein Theater veranstalteten, war die Sorge der Amme unbegründet, so dachte er.
"Ach, mir werden sie keine Umstände machen, ich bin tagsüber fast nie zu Hause", winkte Avianus scherzhaft ab, "Ich denke nicht, dass etwas dagegen spricht, dass die beiden hier untergebracht werden. Und du wirst wohl gemeinsam mit den Kindern hier bleiben?" -
Schön? Sagte sein Neffe das aus purer Höflichkeit, weil ihm gar nichts anderes übrig blieb oder weil er es wirklich so meinte? Aber wenigstens protestierte der Bursche nicht, noch zeigte er auf andere Weise Ablehnung. Was Agricola danach sagte, ließ auf Avianus' Zügen sogar ein leichtes Lächeln erscheinen, wobei er sich gar nicht sicher war, ob Agricola überhaupt einen Scherz hatte machen wollen. "Das kriegen wir schon hin. Wir haben eine gute Köchin", witzelte er dennoch.
In seinen Augen war der Junge ja nicht das Problem, sondern eher das Opfer. Der hatte sich das Aufwachsen bei den Ituriern nicht ausgesucht und mit dem Streit zwischen der Familie des Vaters und jener der Mutter nichts zu tun, keinesfalls würde er also seinen Neffen fortschicken, wenn er bleiben wollte. Außerdem war er schließlich der Sohn seines eigenen Bruders, ganz egal wie gut oder schlecht er ihn kannte.
"Gut. Dann hätten wir das schonmal geklärt. Meine Mutter hat lange genug versucht, dich bei den Iunii aufwachsen zu lassen. Wieso sollten wir dich also jetzt vor die Tür setzen", bemerkte er und wollte damit auch indirekt die Iturier kritisieren, die aus irgendeinem Grund beschlossen hatten, dass sie das Kind, welches sie zuerst krampfhaft bei sich behalten hatten, doch nicht mehr haben wollten.
Er winkte die Sklavin näher zu sich und gab ihr ein Zeichen, dass sie ihm, Agricola und dem alten Vilicus Wein einschenken sollte.
Dann war da noch das Geld. Da musste Avianus eigentlich gar nicht lange überlegen. So weit käme es noch, dass er Geld nach Cales schickte. Seine Entscheidung hatte rein gar nichts mit Agricola zu tun, ganz im Gegenteil, sondern einzig und allein mit dessen anderem Onkel. Pah, erst um jeden Preis das Kind wollen und sich dann bei jenen ständig über die Kosten beschweren, die es ohne Murren bei sich aufgenommen hätten ohne anschließend andere anzupumpen ... Wofür sollte er also bezahlen? Dafür, dass einem Iunius das Aufwachsen als solcher verwehrt geblieben war? Lieber dafür, dass der Iturius seine Mutter Helia regelmäßig zur Weißglut getrieben hatte? Oder vielleicht dafür, dass Iturius Geta seinen Neffen jetzt, nach mehr als zehn Jahren, vollkommen unangekündigt bei ihnen abladen wollte? Avianus gönnte sich einen Schluck Wein und ließ den Blick wieder zum Vilicus gleiten.
"Was das Reisezehrgeld angeht, darfst du deinem Patron ausrichten, dass er von mir kein As bekommt. Aber wenn es dir lieber ist, kann ich dir diese Botschaft auch gerne schriftlich mitgeben", stellte er klar und bereitete sich gleichzeitig auf eventuelle Widerworte vor. Warum eigentlich? Das hier war immer noch sein Officium im Haus der Iunii. Wer ihm nicht in den Kram passte, wurde fand sich eben vor der Tür wieder. -
"Iunia Diademata?", wiederholte Avianus gleich in fragendem Ton und kramte in seinem Gedächtnis nach, in welcher Beziehung die drei wohl zu Diademata stehen könnten. Racilia Decula? Diadematas Mutter? Interessiert musterte er erneut die beiden, die bei seinem Eintreffen hastig aufgesprungen waren, um vielleicht irgendeine Ähnlichkeit zu ihrer Schwester zu entdecken. "Ihr könnt euch wieder hinsetzen. Ihr seid dann wohl … die Geschwister? Also Diadematas?", wandte er sich an Crassus und seine Schwester. Für ihn war das Eis damit schon mehr oder weniger gebrochen. Wie es Diademata wohl ging? Er hatte sie eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen. Die schuldete ihm ja noch einen gemeinsamen Besuch im Circus Maximus. Schade, dass sie damals nie die nötige Zeit dazu gefunden hatten. "Ha! Wie schön! Ich kenne eure große Schwester. Ich habe sie vor Jahren hier in der Domus kennengelernt", meinte er gut gelaunt, suchte sich ebenfalls eine freie Sitzgelegenheit und ließ sich auf einem der gepolsterten Sessel nieder. Das von der Amme überbrachte Dankeschön quittierte er lediglich mit einem Lächeln. Es war für ihn eigentlich selbstverständlich, dass ehrliche, pflichtbewusste Familienmitglieder auf die Unterstützung ihrer Verwandten zählen konnten.
"Das heißt also, ihr möchtet ebenfalls euer Glück hier versuchen? Na hoffentlich kommt nicht ein weiterer Bürgerkrieg daher, der euch wie eure Schwester wieder nach Baiae treibt", scherzte er eher nebensächlich und gleichzeitig mit einem leichten Lächeln auf den Zügen. So weit würde es hoffentlich nicht mehr kommen und die derzeitige Lage ließ ihn glücklicherweise auch nichts Derartiges befürchten. "Also hier in Rom gibt es definitiv einige gute Schulen oder, was fast noch besser wäre, Privatlehrer. Bestimmt weiß Axilla mehr", sagte er mehr an die Amme gewandt. Axilla wäre definitiv die größere Hilfe. Die hatte sich bei ihren zwei Söhnen bereits um Lehrer kümmern müssen, bei ihm würde es hingegen noch einige Jahre dauern. "Wie alt seid ihr denn?", fragte er wiederum Marsa und Crassus, "Ihr dürftet ja langsam in das Alter kommen, um bei einem Grammaticus unterrichtet zu werden. Ein guter Zeitpunkt also, um nach Rom zu ziehen."
Unterdessen trat die Sklavin erneut ins Tablinum, schenkte den beiden Kindern und ihrer Amme Honigwasser ein und anschließend Avianus den verdünnten Wein. -
Geduldig wartete Avianus ab, bis der Botenjunge die beiden Gäste in seinem Officium ablieferte, und sank derweil tiefer in seinen Sessel, bis die beiden eintraten. Da setzte er sich zügig wieder auf und, ahnungslos, wie er war, grüßte er die beiden einfach mit einem standardmäßigen, schlichten "Salvete", und trug dem Botenjungen auf, in der Küche etwas zu trinken zu organisieren.
Ebenso wortkarg hörte er sich an, was der Alte zu sagen hatte, wenn er denn endlich mal auf den Punkt kam, und selbst als der Junge ihm ins Wort fiel und seinen Namen nannte, ahnte Avianus noch nichts. Agricola. Seltsam bekannt. Aber dass hier und heute sein Neffe vor ihm stehen würde, auf die Idee käme er im Leben nicht. Nur fiel wenig später Name seines Bruders Regulus und Avianus blieb nichts anderes mehr übrig, als sprachlos aufzusehen. Es musste mehr als zehn Jahre her sein, als er den Jungen das letzte Mal gesehen hatte. Zwölf? Dreizehn? Avianus ertappte sich dabei, wie er nachrechnen musste. Der Bursche war damals noch auf dem Hosenboden herumgerutscht, soviel wusste er noch. Und aus exakt der sabbernden und schreienden Nervensäge war inzwischen ein halber Mann geworden, der nun vor ihm stand. Ehe er die Chance bekam etwas zu sagen, sprach der Alte weiter, was gar nicht mal so schlecht war, denn Avianus wusste ohnehin nicht, wie er antworten sollte. Erst als ihm die Schriftrolle gereicht wurde, rang er sich zu ein paar Worten durch.
"Danke. Setzt euch doch", bat er die beiden, während er den Brief aufrollte, den er gleich in Augenschein nehmen wollte. Das Schreiben überflog er nur und knirschte dennoch mit den Zähnen. Wie ein Mann, der seine Familie praktisch nicht kannte, über seine Mutter, seinen Bruder, und eigentlich alle Iunii urteilte, hinterließ einen unangenehmen Geschmack auf seiner Zunge. Seine Mutter hatte er stets nur als Frau gekannt, die sich übermäßig um ihn und seinen Bruder gesorgt hatte, vielleicht auch etwas dickköpfig, nie aber war sie eine grundlos kratzbürstige, giftige Furie gewesen. Hin und wieder sah er von der Papyrusrolle auf. Sein Blick haftete dann zumeist an seinem Neffen, und auch, als er den Brief wieder zusammenrollte, vor sich auf dem Schreibtisch ablegte und sich mit einem kräftigen Atemzug wieder zurücklehnte. Der Vater hatte ihn für den Exercitus verlassen, die Mutter war tot und jetzt wurde Agricola bei einem Onkel abgeladen, der es jahrelang nicht einmal für nötig gehalten hatte, sich zu informieren, wie es dem Neffen eigentlich ging. Allerdings war er auch nicht sicher, ob Merenda und ihr Bruder das überhaupt gewollt hätten. Vermutlich nicht, denn die hatten sich auch nicht ein einziges Mal gemeldet. Alles in allem war ihm die Situation dennoch unangenehm, denn eine Entschuldigung war das bei weitem nicht, aber da musste er jetzt durch. Die Sklavin mit den Getränken bewies zum Glück perfektes Timing und trat im selben Moment ins Officium.
"Kann ich euch verdünnten Wein anbieten?", fragte er deshalb erst seinen Neffen und Cratinus, wollte dann endlich mal zur Sache kommen und wandte sich dabei in erster Linie um Agricola, um den es ja eigentlich ging. "Mein Beileid wegen deiner Mutter. Ich kannte sie zwar nicht sonderlich gut, aber …" Er brach ab. Abschweifen um über irgendwelche familiären Angelegenheiten zu plauschen konnte er später vermutlich auch noch, wenn nicht gerade irgendein alter Vilicus danebenstand. "Naja ... es tut mir leid ... wie auch immer. Wenn du die Domus Iunia dein Zuhause nennen möchtest, bist du hier selbstverständlich gerne willkommen, Agricola. Bestimmt lässt sich ein freies Zimmer für dich finden. Was das Geld für die Reise nach Rom angeht, darüber reden wir gleich noch." Beim letzten Satz wanderte sein Blick zum Vilicus, und schließlich wieder zurück zum Neffen. "Natürlich würdest du dich mit der Geschichte der Iunii und unseren Traditionen bekannt machen müssen, aber das muss ja keinesfalls von heute auf morgen geschehen. Jedenfalls freut es mich, dich in der Domus Iunia begrüßen zu dürfen." Dabei beließ er es erst einmal und wollte vor allem herausfinden, wie Agricola überhaupt zur Familie seines Vaters stand. Wenn er nicht gerade den besten Eindruck von ihr hatte, würde Avianus es ihm nicht einmal übel nehmen. -
Der Alte glaubte wohl wirklich, es brachte ihn weiter, wenn er vor dem Türsklaven einen Aufstand machte. Der wiederum seufzte nur leise. Und dann … endlich raffte sich der junge Bursche dazu auf etwas zu sagen, wenn schon sein greiser Kumpane stur war wie ein alter Bock.
"Warum sagst du das nicht gleich. Tretet ein", sagte der Ianitor ein ganzes Stück freundlicher als zuvor zu dem Alten und trat ein wenig zur Seite um die beiden in die Domus zu lassen.
Er wollte bereits lautstark nach Dicon rufen, der in letzter Zeit ständig von einer Ecke der Domus zur nächsten huschte, als er einen der Botenjungen im Atrium entdeckte.
"Die beiden hier, Bavius Cratinus und sein iunischer Begleiter, wünschen ein Familienmitlglied zu sprechen. Frag nach, ob der Dominus Avianus sie empfangen will oder die Domina Axilla", trug er dem Jungen auf, der daraufhin nickte und sich davonmachte. Nur wenig später kehrte er zurück, setzte sein bestes Botenjungen-Lächeln auf und bat die beiden, ihm zu folgen. "Der Dominus Avianus bittet euch in sein Officium." -
Da beschwerte er sich erst über Papierkram und Schreibarbeit, und gleich darauf legte er sich ganze drei verfluchte Betriebe zu. Was man nicht alles tat, um Geld für die geliebte Familie zu scheffeln. So fand der Botenjunge, der vom Ianitor auf den Weg geschickt worden war, einen nicht sonderlich fröhlichen, hinterm Schreibtisch hockenden Dominus Avianus vor, der leise seufzend aufsah, als es erst klopfte, anschließend der Junge in den Raum huschte und er dadurch selbstverständlich bei seiner Arbeit unterbrochen wurde.
"Ein Mann namens Bavius Cratinus zusammen mit einem Iunius ist eben angekommen, Dominus. Sie wollen dringend ein Familienmitglied sprechen", berichtete der junge Sklave.
Ein weiterer Iunius? Interessant, doch es gab viele Iunii. "Der Name des Iunius?"
"Weiß ich nicht. Entschuldige, Dominus."
Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf Avianus' Gesicht ab. Wenn er es recht bedachte, war unangemeldeter Besuch von irgendeinem Iunius immer noch besser als Einnahmen und Ausgaben zu überprüfen und Steuerabgaben zu berechnen. Er legte also den Stilus beiseite, klappte die Tabula zu und lehnte sich zurück. Vermutlich schadete es nicht, eine kleine Pause einzulegen, und wenn er sich dann noch um Familienangelegenheiten kümmern konnte, umso besser.
"Bring sie her." -
Dicon öffnete die Tür, an der er zuvor noch herumgehämmert hatte, und steckte vorsichtig den Kopf durch den Spalt. Die motzte ihn gar nicht an? Ganz und gar nicht. Hatte sie ihn überhaupt schonmal angemotzt? Eine gute Frage, auf die er nicht so recht eine Antwort wusste. Vermutlich nicht, nein. Jedenfalls nicht, weil er irgendwann mal zu laut geklopft hatte. Ach, seine Nerven ... die waren auch nicht mehr das, was sie vor Jahren mal gewesen waren. Oder vor ein paar Wochen, bevor jeder Iunier im Umkreis von 500 Meilen beschlossen hatte, in die Domus Iunia zu ziehen. Ruhig Dicon, du überreagierst. Und wie du das tust. Noch betretener als zuvor blickte er Axilla an, als er bemerkte, dass er schon eine gefühlte Ewigkeit in den Raum starrte, ohne etwas gesagt zu haben.
"Ja ... äh ... also ... da sind Gäste", fand er seine Stimme wieder und brachte es nach kleinen Anlaufschwierigkeiten sogar auf die Reihe, ein paar ansatzweise sinnvolle Worte zu artikulieren. Ein erneutes Räuspern folgte und Dicon ermahnte sich, sich endlich zusammenzureißen. "Eine Frau mit Namen Nysa und zwei Kinder ... Iunius Crassus und Iunia Marsa. Eine gewisse Racilia Decula habe sie beauftragt, die beiden Kinder hierher zu bringen. Sie warten allesamt unten im Tablinum." -
Erst begegnete Avianus auf seinem Weg nach unten einem leicht entnervten Dicon und kurz darauf im Atrium der Sklavin, die die Getränke ins Tablinum schaffen sollte und nun unglücklich auf ihrer Lippe kauend den Wein wieder zurück in die Culina tragen wollte. Nur Honigwasser. Trank denn etwa keiner mehr verdünnten Wein? Doch, der Dominus Avianus.
"Haben wir Besuch?", fragte der sie auch gleich ein wenig überrascht, als sie ihm fast über die Füße stolperte. Schlagartig blieb die gerade eben noch in Gedanken versunkene Sklavin stehen, wobei glücklicherweise der Wein nicht aus der Kanne schwappte, und wandte sich zu ihm um.
"Äh … ja, Dominus", antwortete sie überrumpelt und blickte erst zu Avianus, dann hinunter in die Kanne und auf ihre Füße. Nichts verschüttet, Schwein gehabt. "Eine ältere Dame …" Wie hatte Dicon gleich noch gesagt? "Ny … Nysa? Und zwei iunische Kinder. Sie sind im Tablinum und wollen Axilla sprechen. Glaub ich. Dicon sucht sie gerade."
Wenn das so weiterging, platzte die Domus bald aus allen Nähten, stellte Avianus belustigt fest. Gleich zwei iunische Kinder? Aber gut, musste ja nicht sein, dass die auch blieben. Auf alle Fälle war er aber neugierig und wollte selbst einen Blick ins Tablinum werfen. Immerhin wohnte er mindestens genauso hier wie Axilla und hatte sich an seine Pflichten als einziger iunischer Mann im Haus inzwischen gewöhnt. Da stellte sich dennoch eine Frage:
"Und warum trägst du den Wein vom Tablinum weg?"
"Sie wollen keinen … lieber Honigwasser." – Und somit sollte der Wein zurück in die Culina wandern. Avianus biss sich einen kurzen Augenblick lang nachdenklich auf die Unterlippe und grinste schließlich schief.
"In Ordnung, hol das Honigwasser, aber bring auch den Wein zurück, ja?"
"Natürlich Dominus", bestätigte die Sklavin und tänzelte mit dem Wein davon.
Avianus hingegen trat ins Tablinum musterte neugierig die drei Gäste. "Salve", grüßte er freundlich, während er ein paar Schritte weiter in den Raum machte. "Ihr wollt mit Iunia Axilla sprechen? Sie ist sehr beschäftigt in letzter Zeit, aber unser treuer Sklave Dicon wird sehen was sich machen lässt. Nun … ich bin ihr Cousin Aulus Iunius Avianus. Vielleicht kann auch ich euch weiterhelfen, wenn euch das recht ist?" Je nachdem worum es eben ging. Denn natürlich fragten die meisten als erstes nach Axilla, in der Vergangenheit sehr viel öfter in der Domus anzutreffen gewesen war als er. Wer, der nicht selbst hier wohnte, konnte auch ahnen, dass sich daran inzwischen so einiges geändert hatte, und ganz davon abgesehen kannte ihn der Großteil der Verwandtschaft nicht einmal. -
Im Gesicht des Ianitor rührte sich zunächst nichts. Appius Iturius Geta? Nie gehört. Dementsprechend beeindruckt und ehrfürchtig war der Sklave auch. Also gar nicht. So wie der Alte sprach hatte er auch keinen Termin, und wenn, dann wäre es dem Sklaven mit Sicherheit bekannt gewesen. Da konnte sich der Alte also aufplustern wie er wollte, an ihm führte dennoch kein Weg vorbei. Und wer einfach mir nichts dir nichts auftauchte, an der Tür hämmerte wie ein Verrückter und anschließend ihn aufforderte sich zu mäßigen, gewann damit nicht unbedingt das grenzenlose Vertrauen des Ianitors. Wenig verwunderlich war es also, dass der Türsklave den beiden nach wie vor skeptisch gegenüberstand.
"Was hast du denn auszuhändigen, Bavius Cratinus?", bohrte er sicherheitshalber nach. Besonders viel hatte er ja nicht dabei. Einen Stock, den Knaben und das Bündel.
"Und wer ist dein Begleiter?" -
Soso. Zwei neue Iunii, die wohl der Mutter in Baiae nicht mehr auf den Geist gehen sollten und deshalb hier abgeladen wurden, und er dürfte sich dann vermutlich um das Einrichten weiterer Zimmer und das Organisieren eines Hauslehrers und Custodes kümmern. Dicon behielt sein ohnehin nur halbherziges Lächeln gekonnt im Gesicht.
"Gut … ich bin gleich wieder da … vermute ich", bemerkte er und wandte sich ab. Bevor er sich auf den Weg zu Axillas Officium machte, trug er allerdings noch einer Sklavin auf, Getränke vorzubereiten und sich solange um die Gäste zu kümmern.
Die trat nun ins Tablinum, brachte verdünnten Wein mit und merkte erst jetzt, dass erstens zwei Drittel der Besucher aus Kindern bestanden und zweitens die Hausherrin selbst ja gar keinen Wein trank. Folglich blickte die Sklavin ein wenig unschlüssig in die Runde. "Ähm … verdünnter Wein?", bot sie der Amme gezwungenermaßen und ein wenig wortkarg an. "Und für euch zwei? Honigwasser? Posca?" Oder erlaubte die Amme den Kindern dasselbe? Hoffentlich nicht. Kleine Kinder waren auch so schon anstrengend genug. Dennoch schenkte sie den beiden Kleinen ein schmales Lächeln. -
Der Ianitor hatte das lasche Geklopfe des Alten gar nicht erst registriert, schreckte aber umso mehr auf, als es plötzlich gegen die Tür hämmerte, als wollte jemand sie einreißen. War ja nicht genug, dass er in letzter Zeit mehrmals täglich von irgendwelchen Besuchern an die Tür gescheucht wurde, nein, jetzt glaubten anscheinend auch noch Randalierer, ihn belästigen zu müssen. Von einer Sekunde auf die andere stand der Türsklave auf den Beinen, schob hastig den Riegel zurück, riss die Tür auf und starrte die zwei Kerle vor der Tür missmutig an. Ein alter Sack mit Stock und ein Halbwüchsiger mit geschultertem Gepäck. Mit denen würde er locker fertig.
"Falls ihr randalieren wollt, rate ich euch eine andere Domus zu suchen!", pflaumte er den Tattergreis und seinen halbstarken Begleiter wenig herzlich an, und ließ die Porta allein deswegen weiterhin offen, um herauszufinden, ob die zwei sich auch wirklich verzogen. War ja schlimm genug, dass sie ihn einmal hochgescheucht hatten. Auf ein zweites Mal hätte er erst recht keine Lust. -
Vom Tablinum kommend klopfte Dicon zaghaft an der Tür. Er wusste weder, ob die Hausherrin, wie die Alte gesagt hatte, etwas Zeit erübrigen konnte, noch ob sie überhaupt anwesend war. Super. Aber was musste er sich auch immer um alles kümmern. In den letzten Monaten war er von einem Schreibsklaven zu einem Mädchen für alles geworden, ohne dass er es wirklich bemerkt hatte. Es hatte neue Zimmer einzurichten, Hochzeiten und große Cenae zu organisieren gegeben, und immer hieß es Dicon. Dicon hier, Dicon da, mach dieses, mach jenes. Und dann war es verwunderlich, wenn er den Überblick verlor? Oder ihm so langsam der Kragen platzte? Sowie er bemerkte, dass aus seinem erst zaghaften Klopfen fast schon ein Hämmern geworden war, starrte er leicht betreten auf die Tür, räusperte sich, ließ den Blick zum Fußboden hinunter wandern und beschloss, einfach dessen zu harren, was ihn erwarten würde. Wahrscheinlich war Axilla sowieso nicht da.
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Nein, sie hatte nie irgendetwas verlangt, nicht von ihm. Auch nicht, dass er sie in ihrem kleinen Krieg unterstützte, doch Avianus hatte es satt, ewig zwischen den Fronten zu stehen und nichts zu bewirken, weil beide Seiten zu stolz waren, um nachzugeben. Nur was Axilla tun wollte, konnte er auf keinen Fall unterstützen. Vielleicht würde er es auch einfach bleiben lassen und Axilla und Seneca könnten ihren Streit wieder ungestört untereinander ausfechten, ganz ohne ihn, so sehr er es auch hasste aufgeben und sich eingestehen zu müssen, dass er schlicht und ergreifend nichts tun konnte, aber genau das wäre vermutlich der schlaueste Weg. Und es war ja nicht so, als hätte er nicht schon ohne die beiden genug Sorgen.
Ihr Angebot ihm und Sibel mit der Hochzeit zu helfen, ließ Avianus vermuten, dass sie ihm seinen Versuch, ihr ins Gewissen zu reden, zumindest nicht übel nahm. Gut, denn Lust auf noch mehr zerstrittene Familienmitglieder hatte er definitiv nicht. Er nickte also noch knapp und stimmte ihr zu: "Das werden wir." Das war's dann aber auch schon, bevor er sich abwendete und das Officium verließ. -
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Caius Rubrius PennusDer Optio warf einen Blick über die Schulter und dachte sich erst nichts dabei. Erst beim zweiten Mal hinschauen traf ihn dann fast der Schlag. Der Kerl stand in Tunika da? Der Kerl stand in Tunika da … nein! Der Miles stand in Tunika da. Wie der Matinius es überhaupt geschafft hatte, seine Lorica so einfach loszuwerden, darüber wollte er gar nicht lang und breit nachdenken.
"Sag, mal hast du einen an der Klatsche, Miles?!", fauchte der Optio den Soldaten über die Schulter hinweg an, "Wer hat dir den Befehl gegeben, die Rüstung auszuziehen?" Er jedenfalls nicht, und der Centurio ganz an der Spitze der durch den Tunnel stapfenden Kolonne erst recht nicht. "Lorica wieder anlegen, Miles, sofort! Mir scheißegal wie." Den fehlenden Harnisch konnte er auf die Schnelle nämlich nirgends entdecken. Aber gut, wenn der Matinius seine Rüstung nicht wieder auftreiben konnte, würde Pennus den Schlaukopf einfach in die erste Reihe stellen, dann hätten sie am Abend vielleicht ein Problem weniger. Denn das hatte ihm gerade noch gefehlt … irgendwelche verrückten Soldaten, die sich in der Kanalisation entkleideten. Ein dreckiger, nasser Kanal und verrückte Sektenspinner waren ja anscheinend nicht genug. -
Der Ianitor wusste nickte leicht. Der Name Racilia Decula kam ihm irgendwie bekannt vor, so ganz vermochte er ihn aber dennoch nicht einzuordnen. Iunia Diademata hatte Rom schließlich schon vor Jahren verlassen und war wieder zurück nach Baiae gezogen.
Der recht gute Eindruck der Leute und der Name der Mutter der beiden Kinder brachten den Ianitor dazu, die Türe für die Besucher zu öffnen.
"DICON!", rief er nach drinnen.
"Brauchst nicht so zu schreien ... ich bin hier", antwortete ein zweiter Sklave wenig begeistert, während er um die Ecke kam, im Türrahmen zwischen Atrium und Vestibulum stehen blieb und die Neuankömmlinge musterte. Wenn jemand an der schweren Eingangstür klopfte, hörte das geübte Ohr das Pochen auch zwei Zimmer weiter.
"Er wird euch nach drinnen bringen und sehen, ob die Hausherrin Zeit für euch hat", sprach der Türsklave und deutete mit einem Nicken zu Dicon hinüber. "Am besten ins Tablinum", sagte er zu seinem Kollegen. Dort ließen sich derartige Gespräche am besten führen. -
Dicon führte die Neuankömmlinge durchs Atrium ins Tablinum hinüber und bedeutete den Gästen sich dort zu setzen, da fiel ihm ein, dass weder der Ianitor noch die Gäste selbst ihm Namen genannt hatten. Oder hatte er es schlicht überhört oder vergessen? Nein, ganz bestimmt nicht. Stirnrunzelnd blickte er die Alte und ihre Begleiter an.
"Ich bin nicht sicher, ob die Hausherrin Zeit hat, euch zu empfangen, aber bevor ich mich darum kümmere ... sollte ich wohl eure Namen erfahren. Und ihr wollt Iunia Axilla sprechen ... wegen der Kinder?", wollte er sich genauer informieren, bevor er sich auf den Weg machte. Dabei wusste er nicht einmal, ob Axilla gerade anwesend war, bei all den Leuten, die derzeit ein- und ausgingen, da verlor er langsam den Überblick, nachdem es jahrelang vergleichsweise ruhig in der Domus gewesen war. Immer diese unangemeldeten Besucher eben. Und dann wollten die unbedingt ganz dringend die Herren des Hauses sprechen, und er war wieder mal der Laufbursche. Dicon seufzte leise. War ja nichts neues.