Sibels Sachen waren ins Haus befördert worden, seine Verlobte war frei und die Hochzeit rückte näher. Nur eines fehlte noch: Axilla hatte ein Opfer an die Laren gefordert und diesem Wunsch wollte Avianus nachkommen. Über irgendwelche kleineren oder auch größeren Differenzen bezüglich ihres Cousins zwischen wollte er nicht nachdenken, wenn es nicht unbedingt sein musste und schob sie vorerst beiseite, deshalb war natürlich auch Axilla dazu eingeladen, dem Opfer beizuwohnen. Im Grunde wollte er alles richtig machen und, was am wichtigsten war, dass seine Verlobte sich in der iunischen Domus zu Hause fühlte. Ein weißes Kaninchen würde zu Ehren der Laren sein Ende finden – typisch wäre ja ein weißes Schwein oder Ferkel gewesen, aber für ein kleines Opfer würde es auch das Karnickel tun. Avianus machte das zum ersten Mal, so ein blutiges Opfer am Hausaltar. Mindestens so ahnungslos wie das Kaninchen blickte deshalb auch er aus der Wäsche und versuchte einfach nicht daran zu denken, was es falsch zu machen gab.
"Oh, lares familiares, die ihr über dieses Haus und unsere Familie wacht! Ich, Aulus Iunius Avianus, demütig suche ich euch an, schützt die Bewohner dieses Hauses so, wie ihr alle Bewohner dieses Hauses vor ihnen geschützt habt, im Krieg ebenso wie in friedlichen Zeiten. Lass von nun an auch meine Verlobte, Iunia Sibel, der vom heutigen Tag an diese Domus ein Zuhause sein soll, in diesem Heim Schutz finden, sodass das Kind in ihr gesund zur Welt kommen kann. Nehmt dafür dieses weiße Kaninchen als Opfer an, und weitere Opfer sollen euch gewiss sein", sprach er zu den Laren, bevor er die Weihrauchgabe vollzog und ein kleines Trankopfer darbrachte. Als es dann soweit war, das blutige Opfer zu vollziehen, wanderten seine Augen zu Sibel. Er hatte kein Problem damit, Blut zu sehen. Wie es seiner Liebsten dabei erging, würde sich gleich zeigen. Er räusperte sich leise und nahm dem Sklaven das Kaninchen ab, hielt es am Kragen fest und trat vor das Lararium. Dort setzte er das Kaninchen auf dem improvisierten Altar, einem hergerichteten Tischchen, ab, nahm das Opfermesser in die Hand und entkleidete das Tier rituell.
Mit einer flüssigen Bewegung durchschnitt er ihm die Kehle. Ein kurzes Fiepen hörte er dabei und einen für einen kurzen Augenblick zappelte das kleine Tier, zitterte dann aber nur noch und bewegte sich schließlich nicht mehr. Der Iunier fing mit der Opferschale das erste Rinnsal an Blut auf, das aus dem Schnitt herauslief, und, als dieses versiegte, fuhr er fort, das Tier aufzuschneiden und auszuweiden. Die Innereien würden für die Laren verbrannt werden und das Fleisch für eine gemeinsame Cena zubereitet werden.
Beiträge von Aulus Iunius Avianus
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Ad
Praefectus Alae II Numidiae
Aulus Iunius Seneca
Castellum Alae II Numidiae
Mogontiacum
Germania SuperiorAulus Avianus Senecae suo s.p.d.
Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich darauf gewartet habe, endlich wieder von dir zu hören! Es freut mich, dass du noch genügend Finger übrig hast, um eine Feder zu benutzen. Hätte ich aber deine hässliche Handschrift nicht auf Anhieb wiedererkannt, hätte ich darauf gewettet, dass du lediglich einem Scriba aufgetragen hast, das zu schreiben, nur damit ich mir keine Sorgen mache.
Aber Spaß beiseite: Ebenso froh bin ich natürlich, dass auch der Rest deiner kleinen Familie wohlauf ist. Es ist schade, dass ich deine Tochter bisher nicht kennenlernen konnte, aber irgendwann werden wir das nachholen. Und hoffentlich bist du bis dahin nicht zu einem halben Germanen geworden, so wie du von deinem neuen Leben und den Auxilia schwärmst.Rom ist so stinkend und stickig wie immer und das innerhalb ihrer Mauern wuchernde Verbrechen nach wie vor eine Hydra … Die Urbs Aeterna, wie wir sie kennen und lieben. Und wäre sie anders, hätte ich den lieben langen Tag nichts zu tun. Es ist also alles beim Alten. Zumindest was die Stadt angeht.
Nur kurz nachdem mich dein Brief erreicht hat, habe ich auch eine Nachricht vom Kaiserhof erhalten, dass mir das Conubium verliehen wurde. Mein Nabel der Welt und ich sind inzwischen verlobt. Ich wünschte, Sibel hätte sich nach meinem Antrag weniger Zeit gelassen mit ihrer Antwort, und dass ich ihr nicht hätte versichern müssen, dass ich es wirklich ernst meine … aber wir werden heiraten und das ist es, was zählt. Wahrscheinlich werde ich verheiratet sein, noch bevor dieser Brief die Tore der Stadt hinter sich lässt. Vielleicht schon morgen, wenn alle eingeladenen Zeugen so kurzfristig erscheinen können. Irgendwie ein seltsames Gefühl, wie schnell alles plötzlich geht. Aber sei versichert, dass ich selten so glücklich war, wie in den letzten Tagen und Wochen. Ich wünschte nur, du könntest uns bei der Feier Gesellschaft leisten. Stattdessen muss ich gleich im Anschluss an diesen Brief Einladungen an Zeugen schreiben, von denen ich praktisch jeden einzelnen für meinen Cousin im hohen Norden eintauschen würde. Ich hätte wohl weniger rumtrödeln sollen, was?
Um die Familie steht es weniger gut. Silanus hat Roma erneut aus gesundheitlichen Gründen verlassen, die Luft hier tut ihm wohl nicht gut. Und was Axilla angeht, bin ich nicht sicher. Sie will wohl ihre Drohung wahr machen und Seianas Ehebruch der Öffentlichkeit preisgeben. Nichts würde ich lieber tun, als etwas dagegen zu unternehmen, nur weiß ich nicht wie. Ich werde natürlich tun was ich kann, aber weil ich kaum Zuhause bin und unsere Cousine leider nicht in einer fensterlosen Kammer einsperren kann, möchte ich dich und Seiana zumindest vorwarnen.Bleibt mir also nur noch zu sagen: Ich wünsche euch dreien, dass ihr euer gemeinsames Glück auch weiterhin so genießen könnt und warme Füße im bevorstehenden Winter. Lass es mich wissen, falls es mal wieder Neuigkeiten gibt und pass auf dich auf.
Avianus
Sim-Off: Auf Wertkarte
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Die seltsame Gestalt, die sie während ihrer Ermittlungen in der Subura festgenommen hatten, wurde in den Verhörraum geführt, wo ihn bereits der zuständige Centurio erwartete. Grob wurde er von einem der Milites, die ihn begleiteten auf den Hocker auf der anderen Seite des Tisches gedrückt.
"Salve", grüßte Avianus knapp, kritzelte noch auf einer Tabula herum und sah schließlich auf. Man sah ihm deutlich an, dass er auf das Verhör im dem stickigen, schummrigen Zimmer ebensowenig Lust hatte, wie vermutlich der verdächtige Kerl, der ihm gegenüber saß. "Machen wir es uns beiden doch einfach, in Ordnung? Ich stelle dir ein paar Fragen, du beantwortest sie und wer weiß, wenn ich nachher das Gefühl habe, dass du mit einem Mord an einem gewissen Papirius nichts zu tun hast, vielleicht lasse ich dich wieder gehen." Da er nicht davon ausging, dass es daran viel zu missverstehen gab und er nach seiner ersten Frage im Grunde ohnehin auch eine Antwort darauf bekäme, was der Mann von seinem Vorschlag hielt, setzte er einfach fort:
"Wie lautet also dein Name? Weshalb hast du während unserer Ermittlungen darauf bestanden, die Absperrung passieren zu wollen?" -
"Aber es ist doch etwas anderes, am eigenen Leib erfahren zu haben, wie der kleine Soldat lebt." Lächelnd zwinkerte Avianus dem Decimus zu. Er würde seine Zeit als Miles nicht missen wollen, vom Bürgerkrieg mal abgesehen. Es war hart, ohne Frage, aber man fand Freunde und lernte Lektionen fürs Leben. Beides würde ihm bleiben, selbst wenn er eines Tages ebenfalls hinter einem Schreibtisch endete. Definitiv wäre das nämlich sein nächstes Ziel, sobald die Hochzeit hinter ihm und Sibel lag und etwas Ruhe eingekehrt wäre. Denn was für ein Familienvater wäre er als Centurio. Einer der gefährlich lebte und praktisch nie bei seiner Familie war. Aber gut, er schweifte ab … vor allem, da Scipio bereits im Begriff war, sich zu verabschieden.
"Ich denke, ich und meine Milites sind auch schon lange genug hier", bemerkte er. Hier drinnen verlor man aber auch jegliches Zeitgefühl. Besser, sie machten sich jetzt wieder auf den Weg, als zu spät, vor allem, weil seine Soldaten das Gefühl zu haben schienen, dass heute alles aufs Haus ging.
"Milites! Bereit machen zum Abmarsch!", rief er halb scherzhaft, halb ernst gemeint seinen Männern zu, bevor einer von denen sich einen weiteren Krug Wein bestellte. Avianus leerte zügig seinen Becher.
"Wie war noch gleich dein Name? Tolmides?", wandte er sich an den Lupanarsbesitzer, "Wieviel schulden wir dir?" -
Sorry an die, die warten müssen. Ich liege komplett flach und kriege IR-mäßig leider nichts gebacken.
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Avianus lachte ebenfalls leise mit.
"Entschuldige, manchmal vergesse ich wohl, dass anderen Leuten ihr Weg oft vorbestimmt ist, und nicht jeder die Freiheit hat, seine Karriere mehr oder weniger selbst zu wählen", entgegnete er noch immer schmunzelnd. Da es niemanden mehr gab, der ihm Vorschriften machen konnte und der höchste Stand, der für ihn je erreichbar wäre, der Ordo Equester war, wäre von Exercitus über Verwaltung, vielleicht sogar bis hin zum Cultus Deorum, alles machbar gewesen - das hieß natürlich nicht, dass er jemals etwas anderes als das Soldatendasein im Sinn gehabt hätte. Aber auch seine Frau konnte er sich aussuchen, ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was seine Familie davon hielt. Im Hinterkopf hatte er natürlich immer, was für die Iunii als Gens am besten wäre, aber es war angenehm, zumindest ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit zu haben. In der Hinsicht hatte der vergleichsweise kleine Mann vermutlich ein angenehmeres Leben, weniger Zwänge, weniger Erwartungen wurden in einen gesetzt und weniger Aufmerksamkeit wurde auf einen gerichtet. Das wiederum bedeutete aber auch weniger Ansehen, weniger Geld in den Taschen …
Man musste wohl immer Kompromisse eingehen.
"Da hast du mit Sicherheit recht. Als Senator wirst du deiner Gens bestimmt am meisten Ehre machen können, und wenn du bereits dem Ordo Senatorius angehörst, ist damit bereits ein großer Schritt geschafft. Das Soldatenleben wirst du dann zwar nur vom Schreibtisch aus beobachten, aber das empfindet vermutlich nicht jeder als Nachteil", erlaubte er sich einmal mehr einen kleinen Scherz, "Zweifellos wünsche ich dir jedenfalls, dass du Erfolg hast. Rom braucht dringend frisches Blut, egal in welchen Ämtern." -
"Es gab auch ein Testament, welches Vescularius Salinator zum Imperator machte. Nur welches die Fälschung war, ist da die Frage", meinte Avianus schulterzuckend. Er hatte es aufgegeben, zu entwirren zu versuchen, welcher Kaiser nun tatsächlich der rechtmäßige gewesen war. Jetzt wo beide tot waren, wussten über die ganze Wahrheit vermutlich einzig die Götter Bescheid.
"Aber ja, lang lebe Aquilius Severus!", stimmte er Scipio zu. Die Idee des Corneliers, den neuen Kaiser durch den Senat wählen zu lassen, mochte er zu Beginn als noch so riskant und bescheuert empfunden haben, schlussendlich hatte es doch bewirkt, dass niemand die Rechtmäßigkeit der Herrschaft des Aquiliers anzweifeln konnte. Kein gefälschtes oder echtes Testament hatte ihn zum Kaiser gemacht, und auch nicht das Testament eines möglichen Verräters, sondern der römische Senat
Viel länger wollte er dann aber nicht mehr über den Krieg und seine Folgen reden, wenn es nicht unbedingt nötig war, also nutzte er die Chance, das Thema zu wechseln. Er erzählte halbe Romane über den Krieg und über den Decimus wusste er kaum mehr als den Namen – höchste Zeit, das zu ändern:
"Als Decimus stehen dir praktisch alle Türen offen … wie stellst du dir deine Zukunft vor? Exercitus? Cursus Honorum? Oder etwas ganz anderes?", wollte er den Fokus etwas von sich weg und auf den Jungen lenken. "Sicher hast du doch schon eine ungefähre Vorstellung." -
"Oh, Cornelius Palma war gnädig, ohne Frage. Nur nicht alle, die ihm folgten", kommentierte Avianus mit einem bitteren Lachen, "Als Gefangene nach der Schlacht in Vicetia wurden wir gedemütigt und erniedrigt und als Palmas Truppen Rom erreichten und einnahmen, haben dessen Anhänger, ja selbst die Soldaten, randaliert und sogar gemordet. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich bin mir zwar sicher, dass das nicht vom Cornelier beabsichtigt war, aber er hat es auch nicht verhindert. So lebendig und als Centurio sitze ich vermutlich nur hier, weil ich … nach ein paar Ausrutschern … verstanden habe, dass es hin und wieder besser ist, den Rand zu halten und einfach zu tun, was einem gesagt wird." Das hatte sich als einfachste Methode erwiesen, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Er war nicht unbedingt stolz darauf, aber das alles lag inzwischen weit in der Vergangenheit und daran ließ sich nichts mehr ändern.
"Willst du sagen, außer euch paar diesen beiden Linien entstammenden Decimi gibt es keinen einzigen anderen Decimus im gesamten Reich?", sprach er noch kurz das Thema Gens Decima an. Na dann sollte der kleine mal hoffen, dass er und seine Verwandten in den nächsten Generationen nur Söhne zeugten, sonst wäre die Gens Decima vielleicht bald Geschichte, wenn es tatsächlich im ganzen Reich nur noch gut ein Dutzend von denen gab. Aber gut, das war sowieso nebensächlich, wo Scipio doch lieber über den Krieg reden wollte:
"Es war eine der größten Niederlagen, die wir Praetorianer bisher einstecken mussten." Wir … wiederholte er selbst in Gedanken. Er war schon eine ganze Weile kein Praetorianer mehr. Aber vollkommen wurde man das Schwarz der Garde wohl nie los. "Von meiner Centurie stand am Ende der Schlacht nicht einmal mehr die Hälfte der Männer auf den Beinen, viele waren verletzt und genug andere haben es überhaupt nicht rausgeschafft." So naiv. Viel mehr wusste er nicht zu dem jungen Decimer zu sagen. Er hatte während des ganzen Bürgerkriegs nicht einmal das Gefühl gehabt, das Richtige zu tun. Wenn er ehrlich war, hatte er nicht einmal gewusst was er da überhaupt tat. Noch ein Stück jünger und ein ziemlich großes Stück ahnungsloser und unerfahrener als er es heute war, hatte man ihn als kleinen Miles in einen Krieg geworfen, den er nicht im Geringsten verstand. Denn nein, ein wahres Richtig oder Falsch gab es vermutlich nicht. Trotzdem würden in den Geschichtsbüchern nicht der Vescularius und seine Soldaten als die guten dastehen, sondern Palma. Am Ende entschied der Sieger, was dem Rest der Welt als Richtig vorgegaukelt werden würde. Und wenn praktisch jeder glaubte, Palma und seine Anhänger wären die Helden, konnte man auch genausogut sagen, dass es so war. Am Ende machte es keinen Unterschied. "Und das Beste ist, ich weiß gar nicht, wofür ich gekämpft habe. Ich war damals noch nicht besonders lange Soldat. Uns sagte man, Cornelius Palma habe den Ulpier und seine Familie ermordet, und Palma wiederum sagte seinen Soldaten, Vescularius Salinator wäre der Verräter. Woher hätte ich wissen sollen, was wahr ist und was nicht? Bis heute weiß ich nicht, wer von beiden der wahre Verräter war. Aber selbst wenn ich es damals gewusst hätte, was hätte ich dann tun sollen? Ich war nur ein kleiner Soldat und hatte keine andere Wahl, als Befehlen zu folgen." Um die Stimmung wieder etwas aufzulockern prostete er dem Decimus zu und vom verdünnten Wein. -
Seine kleine Rede zuvor auf der Straße hatte ihr Ziel nicht verfehlt, nein, sie hatte sogar haargenau ins Schwarze getroffen und den Jungen zum Nachdenken gebracht. Avianus war aber mindestens genauso nachdenklich geworden, als Scipio den Namen seines Großvaters genannt hatte, der im Imperium ja alles andere als unbekannt war, sodass er sich vorgenommen hatte, sich in Zukunft ein wenig mehr zurückzuhalten.
Das Lupanar machte einen recht guten Eindruck. In einer billigen Absteige waren sie definitiv nicht gelandet. Würde er noch immer regelmäßig Lupanare besuchen und nicht nur wegen einer einzigen bestimmten Lupa, hätte der Laden des Helvetiers soeben Konkurrenz bekommen. "Das tun sie. Ich hoffe nur, meine Soldaten gewöhnen sich nicht an das hier", witzelte er wiederum zu Tolmides gewandt. Der einfache Soldat war normalerweise ja in ganz anderen Räumlichkeiten unterwegs ... wenn er sich nicht einfach eines der billigen Weiber von der Straße schnappte.
"Ich und meine Männer trinken den Wein ebenfalls verdünnt. Wir haben nachher noch unseren Dienst zu leisten", sagte er sicherheitshalber zu ihrem Gastgeber, ließ mit einem kleinen Handzeichen sein Contubernium auf den Raum los und nahm selbst neben dem Decimus Platz. Und der sprach natürlich gleich dieses eine heikle Thema an.
"Das habe ich. Nur auf der falschen Seite", erlaubte er sich einen kleinen Scherz. Avianus hatte sich vorgenommen, Gras über die alten Konflikte wachsen zu lassen, so gut es ging, und wollte sich davon weder das Leben noch seine Laune vermiesen lassen. "Du sagtest, Decimus Meridius ist der Name deines Großvaters? Dann gehörst du zu denselben Decimi wie der Praefectus Urbi oder Decimus Serapio, der bei den Praetorianern dient?", fragte er zurück, "Unter letzterem sind meine Kameraden und ich gegen Palmas Soldaten in die Schlacht gezogen. Er war damals der Praefectus Praetorio." -
"Das ist doch alles schon ewig lange her", sagte Avianus mit einem leichten Kopfschütteln, "Dass sie dir gedroht hat … wann war das? Seiana war damals doch noch nicht einmal geschieden!" Und trotzdem redete seine Cousine so, als wäre es erst gestern gewesen. Er selbst war doch inzwischen schon Jahre hier in Rom.
Und dann kam das allerbeste! Axilla gab selbst zu, dass Seiana ihre Ruhe wollte! Am liebsten hätte er sich in dem Moment die flache Hand an die Stirn geschlagen. Wenn es tatsächlich so war, weshalb war sie nicht einfach froh, dass Seiana Angst hatte und machte sich das zunutze? Nein, stattdessen plante sie, den Ehebruch öffentlich zu machen, ihr scheinbares Druckmittel aus dem Fenster zu werfen und sich gleichzeitig mit dem Decimern anzulegen. Das hielt doch langsam kein Mensch mehr aus.
"Hörst du dir selbst eigentlich zu, Axilla? Außer dir will doch gar keiner mehr kämpfen! Aber glaubst du, die Decimi werden tatenlos zusehen und nichts unternehmen, wenn du Seianas Ruf in den Dreck ziehst? Natürlich will ich, dass du nichts unternimmst! Wir können keinen Krieg mit denen gebrauchen! Decimus Livianus ist mein eigener Vorgesetzter! Ich habe hart genug dafür gearbeitet, vom Praefectus als brauchbarer Offizier angesehen zu werden. Ich kann ich es nicht gebrauchen, dass der mich mit meiner Cousine in Verbindung bringt, die den Ruf seiner Nichte ruiniert hat. Was soll ich dann machen? Für meine rachsüchtige Cousine um Verzeihung bitten?" Er schrie seine Cousine zwar nicht an, sprach aber doch deutlich genervt. "Oder wenn auch nur einer von denen auf die Idee kommt, dass die Decimi sich das nicht gefallen lassen sollten? Dann können wir einpacken! Ein mikriger Centurio und die Frau des ehemaligen Procurator a libellis gegen die? Und was Silanus wohl dazu sagen würde, wenn er irgendwann wieder nach Rom zurückkehrt? Wenn du dich mit den Decimern anlegst, bist du kein Stück besser als Seneca. Welchen Teil von 'Lass es gut sein' hast du nicht verstanden? Wieviele Argumente musst du noch hören, um zu verstehen, was für eine saublöde Idee du da hast? Falls die Decima auch nur einen Finger rührt, kannst du ihren Ehebruch von mir aus nach Lust und Laune im ganzen Reich verbreiten, aber solange die Situation ruhig ist, hätte ich gerne, dass du es auch ruhig bleiben lässt."
Zum Ende hin war er wieder ruhiger geworden, ließ nun lautstark den letzten Rest Luft aus seinen Lungen entweichen und lehnte sich wieder zurück. Da war es also raus. Und, bei den Göttern, das fühlte sich gut an. Damit war er dann auch fertig, denn wenn Axilla nun trotzdem sagte, dass ihr das alles egal war, wäre er mit seinem Griechisch definitiv am Ende. Aber verdammt nochmal, was musste sie auch so stur sein. Nicht ein einziges Mal hatte er bisher das Gefühl gehabt, dass sie auch nur darüber nachdenken würde, ihre Meinung zu ändern. Und als wäre das nicht genug, ärgerte er sich nicht nur über Axilla, sondern auch über sich selbst, wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, das er irgendetwas ändern könnte, an dieser schon jahrelang andauernden Streiterei.Sim-Off: Edit: Verdammt! Nichte, nicht Tochter! Wann lerne ich es endlich?
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Humor war wohl echt Mangelware heutzutage, stellte der Iunier regelmäßig fest. Nur blöd, dass er seine blöden Witze dennoch in den seltensten Fällen für sich behielt. Dabei hatte er normalerweise gar nicht vor, irgendwen zu verärgern, und trotzdem passierte es ihm immer wieder, so wie heute.
"Aulus Iunius Avianus, Sohn des Lucullus, Centurio der Centuria III, Cohors XII Urbana", antwortete er bereitwillig, "Wenn ich im Gegenzug erfahren dürfte, mit welchem Decimus ich es zu tun habe?" Der Name Decimus musste ja noch nichts heißen. Im Prinzip konnte sich jeder einfache Peregrinus, der sich das Bürgerrecht erarbeitete, Decimus nennen. Nicht jeder Decimus war also zwangsläufig mit dem Praefectus Urbi, dessen Sohn oder der Frau seines eigenen Cousins verwandt. So selbstbewusst, wie der Junge von seiner Gens sprach, befürchtete er aber, möglicherweise tatsächlich einen von den Decimern vor der Nase zu haben.
Bevor er sich dann Tolmides zuwenden würde, wollte er aber erst noch dem jungen Decimer eine klitzekleine Lektion erteilen. So wie der eher schmächtige Villius, peinlich berührt am Vocale zupfend, zwischen seinen Kameraden stand, blieb Avianus ja gar nichts anderes übrig, als für seinen Miles eine Lanze zu brechen.
"Du meinst unseren Miles Villius hier?", fragte er, behielt dabei sein Lächeln im Gesicht und setzte selbstsicher fort: "Nichts für ungut, aber erstens kann ich dir sagen: Ich bin es nicht, der entscheidet, wer tauglich ist und wer nicht. Ich suche mir meine Männer nicht aus, ich bin es nur, der sie ausbildet. Zweitens ist der Villius durchaus zäher als er aussieht. Dass er die Grundausbildung durchgestanden hat, ist dafür Beweis genug. Ein Soldat braucht kein muskelbepackter Riese zu sein. Masse und Kraft ist nicht alles, was einen römischen Soldaten ausmacht, sondern in erster Linie Disziplin und Loyalität."
Nun, da er dieses Missverständnis aus der Welt geschafft glaubte, widmete er sich, zufrieden mit seinem kleinen Vortrag, dem Vorschlag des Griechen.
"Eine Mittagspause?" Nach einem Vormittag voller Betriebskontrollen wären seine Soldaten sicher dankbar für eine kleine Pause. "Na gut. Und tatsächlich könntest du uns begleiten, dann haben wir alle etwas von dem Denar, und vielleicht haben wir dann die Gelegenheit, noch andere Missverständnisse zu bereinigen." Seine letzten Worte widmete er selbstverständlich dem Decimus. -
Da schenkte man jemandem Geld und der wollte es gar nicht haben? Gut, ein Vermögen war es nicht, als Centurio verdiente er allein an einem Tag um ein Vielfaches mehr. Aber der Junge da hatte mit Sicherheit noch kein eigenes Einkommen und erst recht nicht seines.
Gelassen blieb er stehen und musterte den Jungen noch einmal von oben bis unten. Ob dessen "Dankbarkeit" lächelte der Iunius erst mild und grinste erst recht, als er anscheinend lieber seinen Soldaten etwas Wein spendieren sollte, anstatt irgendwelchen Knirpsen Kröten zuzustecken. Klar, weil seine notgeile und chronisch durstige Truppe an Kindsköpfen es nötiger hatte ...
"Wein also?", fragte er amüsiert zurück und seine Leute gleich darauf über die Schulter: "Das würde euch gefallen, oder?"
"Ja, Centurio Iunius!", platzte es aus Maso, einem der Milites, heraus.
Dass sich herausstellte, dass der Grieche statt einer Taverne ein Lupanar unterhielt, störte die Truppe Urbaner und ihren Centurio weniger. Nur bekam man dort für einen popeligen Denar praktisch nichts, erst recht nicht, wenn man ein ganzes Contubernium versorgt wissen wollte. Könnte ein verantwortungsvoller Offizier ihnen nämlich die Qual antun, nur mit einem Becher Wein ausgehungert zwischen vollbusigen Lupae zu sitzen, wenn sie nicht den Sold der letzten Wochen auf den Putz hauen wollten? Belustigt wegen seiner eigenen Gedankengänge zog er eine Braue in die Höhe. Die würden mehr ausgeben als nur den einen Denar, so viel stand fest - was ganz bestimmt auch das war, was der Grieche wollte. Avianus selbst hingegen zog es schon eine Weile nicht mehr in die Lupanare der Stadt. Weshalb auch, wo er doch das hübscheste Mädchen im eigenen Bett fand?
Im Gegensatz zu dem vor sich hin stammelnden Decimus - wie er soeben erfahren hatte - blieb er gelassen.
"Ich gehe davon aus, dass meinen Leuten ein Lupanar sogar noch besser gefallen würde ..."
"Absolut, Centurio!"
"... als eine einfache Taberna", meinte er darufhin, "Aber solche Leistungen werden sie aus eigener Tasche bezahlen."
Ob aus dem Decimus tatsächlich ein guter Soldat werden würde - oder überhaupt einer - würde sich noch zeigen, aber eines stand schonmal fest: "Ein Geschäftsmann wird jedenfalls nicht aus ihm." Möglicherweise aber auch eine Vestalin, so wie der kleine beim Thema Lupanare inzwischen rot angelaufen war.
"Wie auch immer, behalt die Münze." -
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Gerammelt volle Straßen, auf denen der einzelne zwischen hunderten – nein, tausenden! – Leibern nur so unterging? Ja, das war die Urbs Aeterna, wie sie leibte und lebte. Manche hatten das Glück, dem Trubel entfliehen zu können, wann immer sie wollten, so wie die Reichen, die sich in ihre Villen verzogen, um auf weichen Klinen an teurem Wein zu nippen. Bei anderen wiederum hatte man das Gefühl, sie tauchten gerne ein in das Meer aus Menschen, waren ein Teil davon … lebten darin. Und es gab diejenigen, die in der Masse mitschwammen, weil sie es mussten, manche weil sie schnellstmöglich und menschenleere Seitengassen meidend von A nach B wollten, andere, weil ebendiese vollen Straßen ihr tägliches Arbeitsumfeld darstellten. Unter letzteren fristeten die Soldaten der Cohortes Urbanae vermutlich ein recht angenehmes Dasein. So mochte es zumindest aussehen, wenn man seinen Blick auf die vorbeimarschierende Patrouille richtete. Während andere sich mühevoll ihren Weg duch die Massen bahnen mussten, wurde ihnen anstandslos Platz gemacht und wer nicht Platz machte wurde schlicht und ergreifend zur Seite befördert.
Nachdem letztens der alte Krämer Casperius Verus sich als Schwindler entpuppt hatte, hatten die Cohortes Urbanae ihre Kontrollen des Marktgeschehens verschärft, vorerst jedenfalls, sodass heute eine Betriebskontrolle anstand und die Truppe Urbaner, die zuvor noch die Straße entlangmarschiert war, inzwischen vor dem Ladentisch eines Stoffhändlers Halt gemacht hatte.
"Was soll das heißen, du hast deine Genehmigung schon wieder nicht da?"
"Na dass ich sie vergessen habe, Centurio. Ich habe eine, bei den Göttern, Centurio, das schwöre ich!"
"Vorgestern sagte ich, heute will ich die Tabula heute vorliegen haben. Glaubst du, ich habe Bock, jeden Tag meinen Hintern durch die halbe Stadt zu bewegen, nur weil du deinen Mist nicht gebacken kriegst?"
"Wir kennen uns doch, Iunius. Du weißt, ich hab eine Genehmigung …"
"Ich kenne fast jeden Händler, der hier einen fixen Stand hat. Trotzdem muss ich meine Arbeit machen."
"Ich bitte dich, gib mir bis morgen", bat der Händler und zwang sich ein Lächeln auf die flehend dreinblickenden Züge, während seine Finger kratzend einen Denar über den Holztisch schoben.
"Echt jetzt?" Avianus blickte erst unbeeindruckt zurück, schwankte innerlich aber hin und her. Nicht wegen des lausigen Denars. Er kannte den Händler tatsächlich. Nur hasste er es, Ausnahmen zu machen. Reichte man nur einmal den kleinen Finger, griffen sich die meisten gleich die ganze Hand. Schnaubend schnappte er sich schlussendlich mit einer wischenden Handbewegung das Silberstück vom Tresen. Wenn er im Grunde schon Überstunden machte, weitere Wege ging, weil er demnächst das dritte Mal bei ein und demselben Händler vorbeischaute, und unnötig Zeit verschwendete, dann bestimmt nicht gratis. "Bis morgen."
Avianus wandte sich ab und marschierte davon, hintendrein seine Soldaten, und im Rücken vernahm er noch die dankenden Worte des Händlers.
Und so wie er seine Augen und Ohren überall zu haben versuchte, registrierte er auch einen Jungen, der zusammen mit einem Mann am Rande des Geschehens stand. Heruntergekommen sah er nicht aus, aber auch nicht wie ein Kind übermäßig reicher Eltern. Aus dessen Mund hörte er im Vorbeigehen überraschend patriotische Worte und musste unwillkürlich lächeln. Und ob Rom das Imperium der Imperien war! Von dem Jungen blickte er zurück auf den Denar. Was soll's, er hatte die paar Kröten sowieso nicht nötig. Nach einem flüchtigen Schulterzucken warf er dem Jungen die Münze zu.
"Schön gesagt, kleiner! Fang!" -
Avianus seufzte, wieder mal. Er empfand die Unterhaltung als unfassbar anstrengend – vermutlich nicht als einziger im Raum – und sah auch nicht mehr besonders viel Sinn darin, in der Vergangenheit herumzustochern. So wie er es schon ganz zu Beginn erwartet hatte, bevor Axilla zu erzählen begonnen hatte, . Er verstand nicht, was daran, dass es allen Beteiligten nur schaden würde, wenn Axilla zum Gegenschlag ausholte, so schwer zu verstehen war. Es würde den Decimern schaden, der Beziehungen der Iunii zu diesen und Seneca ebenso. Und wofür? Nur damit in den Augen seiner Cousine der Gerechtigkeit genüge getan war. Die wiederum sprach, als müsste sie wöchentlich irgendwelche Pöbeleien erdulden, was er wiederum nicht recht glauben konnte.
"Wann hat sie dir denn das letzte Mal wirklich etwas angetan? Wann hattet ihr überhaupt das letzte Mal miteinander zu tun?", fragte er ungläubig zurück, "Ich habe mit ihr gesprochen, in aller Ruhe. Sie hat damals sogar aus freien Stücken zugegeben, dass sie unserer Gens damals gedroht hat, aber nie hat sie ihre Drohung wahr gemacht. Nie hat sie etwas unternommen. Und sie hat betont, dass sie den Iunii auch in Zukunft keinen Schaden zufügen wird, selbst dir nicht."
Ihn beschlich ja langsam das Gefühl, dass die beiden Frauen mit der jeweils anderen in Verbindung brachten, was auch immer an unangenehmen Geschehnissen ihren Weg kreuzte. Wenn es zwischen Axilla und Seneca oder dem Bruder der Decima ein Problem gab, musste es Seiana gewesen sein, die alle gegen seine Cousine aufhetzte. Wenn deren Mann von ihrer Affäre erfuhr, war wiederum natürlich Axilla schuld daran.
Angestrengt fasste er sich an die Nasenwurzel. Irgendetwas musste her, irgendein Argument. Nur war es zugegebenermaßen verdammt schwer, Seneca zu verteidigen, wenn man nicht einmal wusste, was er konkret gesagt hatte. Dafür, dass er sich das antat, hatte Avianus definitiv etwas gut bei seinem Vetter. Am liebsten würde er Axilla einfach mal die Meinung geigen, dass es ihm vollkommen egal war, welchen Streit sie mit Seiana hatte oder auch nicht hatte, aber sie verdammt nochmal, so sehr er sie als Cousine auch mochte, diese sinnlose Zickerei bleiben lassen sollte. Sie konnte ihm nämlich so oft sagen wie sie wollte, dass sie mit dem Streit nichts zu tun hatte. Die eine beleidigte und bedrohte die andere, die wiederum verpasste der anderen einen Schlag ins Gesicht und nahm sich vor, deren Leben zu ruinieren, von dem Hin und Her davor mal ganz abgesehen ... aber nein, dass da Streitereien existierten, die beide gleichermaßen zu verantworten hatten, war pure Einbildung.
"Seiana sagte, sie will nichts mehr mit dir zu tun haben, in keiner Weise. Ich bitte dich also inständig, wenn du genauso deinen Frieden willst, dann lass es jetzt gut sein, bevor alles wieder von vorne anfängt. Auch um deinetwillen. Denn glaubst du wirklich, dass du deine Ruhe hast, wenn du sie verrätst? Ich weiß du willst deinem Ärger Luft machen, aber das ist nicht der richtige Weg, sondern einer, der mehr Probleme schafft als er löst", versuchte er seine Gedanken möglichst freundlich zu verpacken. -
Avianus hörte zu und sagte vorerst nichts, obwohl er an manchen Stellen liebend gerne einen Kommentar abgegeben oder genauer nachgefragt hätte. Dennoch vermied er es, seine Cousine zu unterbrechen und sagte sich selbst, er hätte später noch genug Zeit, seine Meinung abzugeben oder Unklarheiten zu beseitigen. Genauso versuchte er, gereizte oder provokante Bemerkungen ihrerseits zu ignorieren. Am Ende war er dann durch die vielen Informationen so erschlagen, dass er Axilla einen Augenblick lang sprachlos anblickte.
"Äh …", machte Avianus erst nur, weil er das Gefühl hatte, die Hälfte davon schon wieder vergessen zu haben, und versuchte in Gedanken, Axillas Erklärungen erneut durchzugehen und sich gleichzeitig daran zu erinnern, was Seiana ihm damals in den Albaner Bergen erzählt hatte. Seine Cousine hatte mit deren Verlobten geschlafen, so viel stand schon einmal fest, und dass die Decima keine Entschuldigung hatte annehmen wollen. Eine Frau, die mit dem Verlobten einer anderen schlief, einfach nur … zum Spaß? So hätte er seine Cousine in ihrer Jugend nicht eingeschätzt.
"Du warst also wirklich mit ihrem Verlobten im Bett, hast ihn später geheiratet, sobald er wieder zu haben war, und wunderst dich dann, dass du bei ihr unten durch bist?", fragte er ganz direkt und mit einem Stirnrunzeln zurück, "Gibt es in unserer Familie eigentlich irgendwen, der nicht irgendwelche Affären hatte?", murmelte er leise, mehr zu sich selbst, nur um sich kurz darauf wieder auf das Entwirren der Vorgeschichte des jahrelangen Zickenkriegs zu konzentrieren. Seiana meinte damals, sie wollte nur von seiner Cousine in Frieden gelassen werden, die wiederum sagte, die Decima wollte ihr schaden, doch selbst wenn er Axilla blind vertraute, hatte sie sich irgendwie selbst zum Opfer gemacht.
"Du hast Fehler gemacht und Seiana hat …" … zumindest in Axillas Version der Geschichte … "... ebenso dazu beigetragen, dass eure Auseinandersetzung kein Ende nahm. Von euch beiden ist doch keine unschuldig. Lass den alten Mist ruhen. Alles andere ist doch Blödsinn."
Denn im Grunde hatte der alte Mist sowieso nichts mit Seianas Ehebruch zu tun. Nein, seine Meinung hatte sich nicht geändert. Für ihn mochte es einfacher sein, er konnte die Geschehene als Außenstehender, der gegen keine der beiden Parteien ernsthaften Groll hegte, objektiv betrachten, objektiver als seine Cousine jedenfalls – seiner Meinung nach zumindest.
Avianus ging also ihre Finger im Kopf selbst noch einmal durch …
Nummer eins: Die alte Geschichte mit dem Aelius hatte nichts mit dem Ehebruch zu tun und war eine alte Kamelle, die längst ad acta gelegt gehörte.
Nummer zwei: Was der Terentier möglicherweise getan hatte, war eine komplett andere Sache und damit hatte die Decima im Prinzip nichts am Hut.
Nummer drei: Hatte nichts mit dem Ehebruch zu tun, sondern wieder nur mit der persönlichen Fehde, die Axilla mit der Decima hatte.
Nummer vier: Zum ersten Mal ein akzeptables Argument.
Nummer fünf: Ein weiteres akzeptables Argument, wenngleich er sich wünschte, noch einmal mit Seiana sprechen zu können, um herauszufinden, ob sie möglicherweise ihre Gründe gehabt hatte.
Nummer sechs: Angeblich eine leere Drohung, auf die Axilla mit einem buchstäblichen Schlag ins Gesicht geantwortet hatte …
Nummer sieben: Wieder das leidige Thema. Welcher Geschichte sollte er Glauben schenken? Dass Axilla dem Terentius auf die Sprünge geholfen hatte oder der anderweitig vom Ehebruch seiner Frau erfahren hatte?
Nummer acht: Wieder irgendwelche Streitereien, nur dieses Mal mit Seneca. Was wohl unter anderem eine Folge der Vielzahl anderer Streitereien war, denn Avianus hatte nie ein Problem damit gehabt, in Ruhe mit ihrem gemeinsamen Cousin zu sprechen, und war fest davon überzeugt, dass man sich schon verdammt anstrengen musste, um diesen zur Weisglut zu bringen.
Die Erzählung über das Mädchen ließ ihn allerdings wieder nachdenklich werden. Wenn Seiana tatsächlich versucht hatte, seine Cousine ermorden zu lassen – wenn er richtig verstand –, war das mehr als nur eine schwerwiegende Anschuldigung.
"Axilla, wenn du dieses Mädchen warst … bist, dann tut mir das leid. Ich kann dir nur sagen, dass Seiana mir versichert hat, dass sie seit jeher lediglich ihre Ruhe will. Ich behaupte nicht, dass sie die Unschuldigkeit in Person ist, ganz bestimmt nicht, nur bist du die genauso wenig. Aber es geht mir im Grunde nicht einmal darum, dass du die Decima in Frieden lassen sollst, viel eher darum, dass du Seneca in Ruhe lässt", erklärte er möglichst ruhig, "Und ja, ich komme mit Zusammenhalt, denn zu meiner Familie gehört er noch. Er hat nämlich nicht mit meiner Erzfeindin geschlafen, sondern nur mit deiner. Ja, es hätte ihn den Kopf kosten können und uns alle den Ruf, und glaub mir, hätte ich eher davon erfahren, hätte ich ihm vermutlich eine gescheuert. Hat es aber nicht, ich werde also nicht für den Rest meines Lebens darauf rumreiten, was hätte sein können. Vor allem dann nicht, wenn es um den geht, ohne den ich es wahrscheinlich nicht bis zum Centurio geschafft hätte. Ohne den ich ziemlich sicher nicht verlobt wäre. Und ohne den ich heute vielleicht gar nicht erst hier wäre."
Er war sich ziemlich sicher, das Axilla vollkommen egal war, was er sagte. Denn wie sie hatte auch er seine persönlichen Gründe, sie für sie keine Rolle spielten, so wie ihre persönlichen Gründe für ihn wenig Relevanz hatten, auch weil er, gerade als großer Urbaner, darauf geeicht war, nicht nur einer Seite der Geschichte absolut und ohne jegliche Zweifel zu vertrauen, selbst wenn er es wollte. -
Avianus marschierte voran, ein Contubernium an Urbanern im Rücken, auf die Basilica Aemilia zu, heute allerdings nicht auf Patrouille, sondern weil Haftbefehl gegen einen recht bekannten Händler vorlag, der dort seit jeher seinen Laden hatte. Wer gestohlene Waren verkaufte, sollte besser nur mit Dieben Geschäfte machen, die entweder den Mund hielten oder sich nicht schnappen ließen. Der alte Casperius Verus hatte offensichtlich den Falschen vertraut – ausgerechnet der, bei dem der Iunier praktisch Stammkunde war. Sogar Sibels Kette und ihre Tabula stammten von dessen Ladentisch, und in der Vergangenheit hatte er dem Iunius sogar bei Ermittlungen geholfen. Nie hätte der geahnt, was der Casperius möglicherweise für Geschäfte trieb, wenn nicht letztens ein dingfest gemachter Einbrecher ihnen einen Tipp gegeben hätte, um seine eigene Haut zu retten. Als Routinekontrolle getarnte, genauere Untersuchungen am heutigen Morgen hatten den Verdacht, dass an Verus‘ Geschäften etwas faul war, verschärft. Der würde sich demnächst vor dem Praetor verantworten müssen.
"Der Händler hat einen kräftigen Sklaven im Laden. Er versteht unsere Sprache kaum …", sprach Avianus aus Erfahrung, denn er kannte den Laden ja inzwischen recht gut. "Ich weiß also nicht, wie er reagiert, wenn wir seinen Herrn wegführen wollen." Noch waren sie in einer Seitengasse, in Kürze würden sie jedoch das Forum überqueren, also wollte er die letzten Augenblicke, die sie noch in einer weniger belebten Umgebung verbrachten, nutzen, um letzte Anweisungen zu geben. Er warf einen Blick über die Schulter zu seinen Soldaten, während er weiterging. "Miles Seianus, du wirst ihn gemeinsam mit dem Tiro Octavius im Auge behalten. Miles Matinius wird mir bei der Festnahme behilflich sein, der Rest riegelt den Laden ab. Soweit verstanden?"Den Weg über das Forum und durch die Basilica Aemilia brachte er hingegen schweigend hinter sich. Selbiges erwartete er auch von seinen Soldaten. Es war zweifellos besser, wenn nicht schon das halbe Forum Bescheid wusste, dass eventuelle krumme Geschäfte eines Händlers aufgeflogen waren, noch bevor sie dessen Laden erreicht hatten. Ohne große weitere Befehle betrat er den Laden und ging davon aus, dass jeder Soldat seine Aufgabe verstanden hatte. Dort blickten ihnen ein verdutzter Händler und ein ebenso irritierter Bulle von einem Sklaven entgegen. Argus war dessen Name, wenn der Iunius sich recht erinnerte.
"Casperius Verus?", fragte er der Form halber.
"Salve, Centurio Iunius, wir kennen uns doch …", antwortete der Krämer mit einem etwas unsicheren Lächeln auf den Lippen. Der wirkte durch das plötzliche Auftauchen des Offiziers und des Contuberniums an Urbanern deutlich beunruhigt.
"Du wirst hiermit festgenommen wegen Verdachts auf wissentlichen An- und Verkauf von gestohlener Ware."
"Blödsinn, Centurio … wie kommst du darauf?" Nervös kratzte der Händler sich hinterm Ohr, wusste aber auf die schnelle nichts Besseres mehr zu seiner Verteidigung zu sagen.
"Miles!", winkte er den Matinier zu sich, damit der seine Arbeit machte.
"Nix antatschen", brummte der kräftige Sklave mit kahlgeschorenem Kopf stirnrunzelnd, und wollte einen Schritt auf seinen Herrn zugehen, vermutlich um ihm zu Hilfe zu eilen. -
Avianus blickte seine Cousine einen Augenblick lang verbissen über den Schreibtisch hinweg an. Er war hier also der einzige, der blöde Antworten gab. Gerade eben hatte er gesagt, dass er wollte, dass Axilla die beiden in Frieden ließ, worauf sie nicht im geringsten eingegangen war, nur um erneut so zu tun, als wüsste sie nicht, weshalb er hier war. Und trotzdem schraubte er ein Stück weit zurück und seufzte leise. Wenn er auch noch mit ihr zu zanken begann, wäre erst recht alles verloren. Und sie hatte zumindest insofern recht, dass, so wie sie jetzt miteinander sprachen, es zu nichts führen würde - was seiner Meinung nach nicht nur an ihm lag.
"Dich beleidigen? Dafür bin ich nicht hergekommen, Axilla. Wenn du dich beleidigt fühlst, tut es mir leid", stellte er klar und schüttelte leicht den Kopf. "Aber ich kriege langsam das Gefühl, du willst mir gar nicht antworten. Damals, als Seneca von seiner Verlobung erzählt hat, sagtest du, du würdest aufdecken, was Seiana getan hat. Alles was ich wissen will ist also: Willst du Seiana - und damit auch Seneca - noch immer schaden?", fragte er vollkommen unmissverständlich. Dann konnte sie vorgeben nicht zu wissen, worum es ging.
"Gibt es Gründe, die ich noch nicht kenne? Gut, dann erkläre sie mir, ich höre zu", forderte er sie auf. Während er das tat, hatte er dennoch nicht das Gefühl, dass es einen Unterschied machen würde. Er konnte ihren Ärger schon jetzt verstehen, das Problem war nur, ihr Ärger kratzte ihn kein Stück. Er hatte ja bereits gesagt, sie konnte denken, was sie wollte, und dafür gerne auch alle möglichen Gründe haben. Nur sollte es beim denken bleiben. Aber es war ihr wohl wichtig, deshalb würde er sein bestes versuchen, sich in sie hineinzuversetzen. -
"Hat sie nicht", stellte er unbeeindruckt fest. Selbst wenn es so wäre, würde er von Axilla Stillschweigen erwarten. Noch immer hatte er nämlich Axillas Warnung Seneca gegenüber im Kopf, dass sie öffentlich machen würde was ihr Cousin und die Decima getan hatten. Ein Mitglied der eigenen Gens zu verraten, käme ihm nie in den Sinn. Gut, wenn dieses Mitglied selbst seine Familie verraten oder sich von ihr losgesagt hatte, war es etwas anderes, aber keines von beidem war hier der Fall … oder? Er wusste, was sein Cousin getan hatte war falsch. Ein Verbrechen, das ihn den Kopf hätte kosten können, und den Ruf der Iunii ruiniert hätte, hätte der Terentier es damals herausgefunden. Aber es ging nicht um irgendeinen Verwandten. Avianus schämte sich kein bisschen zu sagen, dass er Seneca auch allein deswegen nicht verraten würde, weil der sein engster Freund war. Dass derartige Argumente Axilla gegenüber rein gar keinen Sinn hätten, glaubte er schon jetzt zu wissen ohne sie ausgesprochen zu haben. Für sie zählte Seneca ja nicht einmal mehr zur Familie.
"Hier geht es also absolut kein bisschen darum, dass es sich bei dieser persona unfama um Decima Seiana handelt?", fragte er ein wenig ungläubig weiter.
Und sie stritt nicht? Nicht in diesem Augenblick, da hatte sie Recht. Wäre Seneca im selben Raum oder Seiana ... wie würde die Situation dann wohl aussehen? Sie konnte das, was sich zwischen ihr und den beiden inzwischen verheirateten abspielte, ja nennen, wie sie wollte. Er nannte es Streit.
"Ach nein, du bist die Friedfertigkeit in Person", bemerkte er sarkastisch, "Du weißt genau, worauf ich hinauswill: Ich möchte, dass du die beiden in Ruhe lässt. Wenn wir Iunii uns am Ende gegenseitig bekriegen, wohin soll das führen?" -
Seit er diesen Brief erhalten hatte, ging ihm das darin Geschriebene nicht mehr aus dem Kopf. Cybele, auf dem Weg nach Rhodus, ein sinkendes Schiff ... die Gemeinsamkeiten waren nicht zu leugnen. Avianus las den Brief, wieder und wieder, bis er glaubte ihn bereits auswendig zu kennen, saß da und dachte nach, so wie heute. In erster Linie darüber, welche Folgen die Nachricht haben könnte. Er würde Sibel im Leben nicht verkaufen, erst recht nicht an einen ihm Fremden, und ihre Freilassungsurkunde war ja ohnehin schon geschrieben. Aber wenn sich herausstellte, dass wirklich etwas dran war an der Geschichte, die dieser Tychon ihm erzählte, wenn sich herausstellte, dass da noch Verwandte waren, eine Familie, die Sibel zu sich holen wollten … würde sie dann mit ihnen gehen? Sie würde hier bleiben, sagte er sich selbst, bei ihrer neuen Familie, den Iunii, und dem Vater ihres Kindes. Und dennoch war er sich nicht vollkommen sicher. Das hier war eine nie dagewesene Situation. Nie war jemand da gewesen, der ihm sein Mädchen hätte streitig machen können, denn er war immer der einzige gewesen, der diese Frau überhaupt bei sich haben wollte. Und dann platzte plötzlich dieser seltsame Brief in sein Leben, nein, in ihr gemeinsames Leben. Ein Brief von dem Sibel noch immer nichts wusste und der auch heute einmal mehr in einer Schublade verschwand. Vielleicht würde sie kalte Füße bekommen, wenn sie davon erfuhr ... sich das mit der Hochzeit vielleicht noch einmal überlegen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Er fühlte sich schlecht dabei, so als würde er sie direkt belügen, indem er ihr diesen Brief verschwieg und trotzdem tat er es. Es gab so viele Dinge, um die sie sich Sorgen machen mussten, die Hochzeit, das Kind, … das hier sollte nicht auch noch dazu kommen. Später, nach der Hochzeit. Vielleicht. Blieb nur zu hoffen, dass dieser vermeintliche Onkel seiner Verlobten noch ein wenig mehr Zeit ließ.