Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Avianus hatte sich von Anfang an gefragt, wie Axilla darauf kam, Seiana wollte ihnen ausgerechnet durch die Ehe mit Seneca schaden. Und er hatte richtig gelegen, diese Heirat brachte ihr rein gar nichts. Der ganze Streit brachte Seiana rein gar nichts. Er glaubte nicht alles, was Seiana sagte, ohne zu hinterfragen. Aber bisher machte für ihn alles Sinn und wich auch nicht so sehr von den Erklärungen seiner Cousine – wenn ihr Gezeter im Atrium als Erklärungen bezeichnen konnte – ab, als dass er Seianas Worte als kompletten Humbug abgetan hätte. Das Wichtigste war aber: Sie wollte keinem Schaden, sie wollte lediglich ein normales Leben mit seinem Cousin führen und nichts mehr zu tun haben mit dem, was in der Vergangenheit geschehen war. Mehr brauchte er eigentlich gar nicht zu wissen. Und Axilla würde ihm glauben, wenn er es ihr erklärte, hoffte er. Was sollte sie auch sonst tun? Sie hatte ewig nicht mehr mit der Decima gesprochen, und ihre letzten Aufeinandertreffen waren alles andere als ruhig und sachlich abgelaufen. Woher sollte Axilla also wissen, was wirklich los war.


    Vielleicht war sein kurzes Auflachen zuvor etwas fehl am Platz gewesen, aber der Gedanke, dass Seiana und Axilla nach allem, was seine Cousine letztens gesagt hatte, sich doch noch irgendwann die Hand reichen könnten, war einfach zu abwegig gewesen. Er räusperte sich kurz und lächelte dann trotzdem leicht.
    "Gut, davon bin ich ausgegangen", entgegnete er beruhigt, "Jetzt muss ich nur noch Axilla davon überzeugen. Ich habe ja keinen Streit mit ihr, deshalb bin ich ziemlich sicher, mir schenkt sie mehr Gehör als Seneca. Zu hoffen ist es jedenfalls. Ich kann nicht zulassen, dass sich unsere Gens wegen einer solchen Farce von innen selbst zerreißt, und ich weiß, Seneca würde dasselbe für mich tun." Gut, in der Casa Iunia war er einfach aus dem Atrium hinausgehetzt, nachdem das mit der Hochzeit raus war. Im Ernstfall würde er aber hinter ihm stehen, da war Avianus sicher. "Jedenfalls ... es tut mir leid, dass ich ausgerechnet am Abend vor der Hochzeit dieses Thema angeschnitten habe."


    Was sie dann sagte, ließ ihn die Stirn runzeln. Sie glaubte offenbar nicht ganz daran, dass er sehr wohl verstand. Andererseits war seine Situation eine gänzlich andere – er war nur ein kleiner Fisch, mehr nicht, während sie zwischen den höchsten Männern des Reiches stand. Und dennoch existierten Parallelen. Aber sie konnte von alldem nichts wissen, dass er vielleicht doch mehr Ahnung hatte, als sie dachte. Es gab Dinge, die suchte man sich nicht aus. Die passierten einfach. So wie man sich eben in jemanden verlieben konnte, den man eigentlich nicht lieben sollte. Und manchmal verliebte man sich so sehr, dass man verrückte Dinge tat. Zumindest für Außenstehende schienen sie verrückt, während man selbst sicher war, das richtige zu tun. Trotzdem, es hatte sehr wohl etwas Verrücktes an sich, sich etwa für eine Straßenhure verprügeln zu lassen, oder diese Hure zu kaufen und sie in der Castra Praetoria unterzubringen, oder eben auch derselben Hure für teures Geld schöne Kleider zu kaufen, um sie zur Hochzeit des Vetters mitzubringen. Aber für manche Menschen nahm man das auf sich, das Verrücktsein. Ihm war klar, er hatte nie so viel aufs Spiel gesetzt wie Seneca und Seiana, so war seine Beziehung an sich etwa nie lebensgefährlich gewesen. Aber er wusste zumindest, dass es bei solchen Dingen nicht einfach nur schwarz und weiß gab.
    "Ja … denke ich", entgegnete er deshalb nachdenklich und fragte sich gleichzeitig, wieviel er von sich preisgeben sollte. "Manchmal gibt es kein wahres richtig oder falsch. Jedenfalls nicht für diejenigen die in dieser bestimmten Situation stecken. Für Außenstehende ist es immer leicht zu sagen, man hätte dieses oder jenes tun sollen …", sagte er nur vage und schwieg schließlich.


    Sowie sie ihn schockiert vor sich hin stammelte, ahnte Avianus, dass Seiana gar nicht gewusst hatte, wieviel Seneca ihm erzählt hatte. Verdammt nochmal, Seneca. Du und deine Überraschungen. Der konnte vermutlich einfach nicht anders, als immer irgendetwas vor irgendwem zu verheimlichen. Dabei war es doch halb so wild, er hatte Seneca ja nicht den Kopf abgerissen und war hier, um morgen an der Hochzeitsfeier teilzunehmen. Ihre Reaktion konnte er sich deshalb nicht recht erklären.
    "... von Silana", vervollständigte er schlicht ihr Gestammel, "Ja ... ich weiß von Silana. Ich dachte du wüsstest, dass ich davon weiß. Ich wollte dich nicht beunruhigen."

    Sibel ging gar nicht genauer auf die Frage nach dem Wein ein, antwortete gleichzeitig aber gelassen und höflich. Avianus lächelte weiterhin, erst recht, als sie von Seiana das Angebot bekam, sich ein anderes Getränk servieren zu lassen.
    "Und ob es eine gute Idee war", sagte er knapp zu Sibel und wandte sich dann wieder an die zwei frisch verheirateten, "Wenn ihr dann eure Familie gründet, kann ein wenig göttlicher Beistand sicherlich nicht schaden."
    Er hob ebenfalls seinen Becher und prostete Seneca und Seiana zu. "Noch einmal meine herzlichsten Glückwünsche an euch beide", sagte er dann und trank einen Schluck.
    "… und wer wäre ich, euch für den Transport bezahlen zu lassen … wenn ich auch befürchte, dass eine Lieferung nach Germania mich arm machen würde. Aber wer weiß, vielleicht reisen wir ja gleich mit dem Lararium mit." Er lächelte breit. Ihm war nicht entgangen, dass Seneca ganz offen von einem Besuch von ihm und Sibel gesprochen hatte. Und er hatte ohne lange nachzudenken mit einem wir geantwortet. Dass er alleine nach Germania reisen würde, wäre für ihn absolut ausgeschlossen, umso angenehmer war es, dass Seneca ohnehin davon ausging, dass seine Geliebte ihn begleiten würde. Und nach wie vor entlockte ihm jeder noch so kleine Beweis, dass Seneca sich nicht an seiner Beziehung zu Sibel störte oder ihn bei seinem Tun vielleicht sogar unterstützte, ein Lächeln. "Gibt es deswegen denn schon Neuigkeiten, also wegen den Plänen mit Germania und so? Ansonsten … wir möchten euch zwei nicht zu lange aufhalten."

    "Ich bin nicht sicher, ob ich jemals wieder nach Germania will", entgegnete er Seneca und lachte dabei ein wenig vor sich hin, wobei er seine Worte durchaus ernst meinte. "Der weite Weg, das Wetter, die wilden Barbaren …" Damit übertrieb Avianus natürlich ein wenig. Ja der Winter war kalt, aber sicherlich auszuhalten, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte. Und unzivilisierte Wilde liefen einem in Mogontiacum sicherlich auch nicht ständig über den weg. Er wusste sogar, für seine Abneigung gab es gar keinen rationalen Grund. Es waren vielmehr die Folgen seines letzten Ausflugs dorthin, die ihm ein unangenehmes Gefühl bescherten, wenn er über eine Reise nach Germania dachte.
    Dass Seiana ebenfalls nach Germania gehen würde hörte sich jedenfalls gut an, und dass es dort geeignete Arbeit für sie gäbe. Wenn auch nicht für ihn wäre es genau das Richtige für die beiden, wie es schien.
    "Ihr werdet euch dort schon einrichten. Nehmt einfach genügend Decken mit", scherzte er noch und verstummte dann. Die ursprüngliche Unterhaltung zwischen ihm und Seiana war immer mehr Richtung Seneca gewandert. Vermutlich weil er und Seiana abgesehen von Seneca keine Gemeinsamkeiten hatten. Und deswegen saßen sie heute auch hier. Wegen Seneca. Aber er hatte ja keine Abneigung Seiana gegenüber, ganz im Gegensatz zu anderen Mitgliedern seiner Familie.
    "Wie auch immer … du sollst wissen, Decima Seiana, es war mir eine wahre Freude, dass ich dich endlich kennenlernen durfte."

    Interessiert sah er den zwei Tirones zu und registrierte dabei auch, wie der Octavius dazulernte. Denn dessen erster Versuch scheiterte kläglich und endete für Frugi, wie von Avianus bei einem derart unüberlegten Schachzug erwartet, auf dem Boden. Amüsiert wandte er seinen Blick von den beiden ab, sah sich kurz bei den anderen Rekruten um, die sich weiterhin brav gegenseitig in den Staub warfen, und wieder zurück zu dem Schlaukopf, den er hier vor sich hatte, und seinem Gegner. Und der Octavius hatte in der Zwischenzeit doch tatsächlich begriffen, dass bei dem Riesen eine Strategie her musste. Am Ende stellte das vergleichsweise halbe Hemd das Knie auf den Brocken von Rekrut. Erstaunlich.
    "Gute Arbeit. Weitermachen", lobte er nickend das bisherige Gerangel der beiden und zog weiter. "Erkennt die Schwächen des Gegners und nutzt eure eigenen Stärken aus!", verkündete er anschließend für die restlichen Rekruten. Denn selbstverständlich würde es den einen oder anderen Partnerwechsel geben. Alles andere ginge am Sinn der Übung vorbei. Sie sollten schließlich nicht einfach die Vorgehensweise eines einzelnen Kameraden lernen sondern stattdessen ihren Verstand und ihre Reflexe trainieren. So würde es also noch den Rest des Vormittags weitergehen. Ringen, den Gegner in den Staub werfen, selbst in den Dreck geworfen werden, aufstehen, weitermachen.

    Es reichte, es in ihren Augen zu sehen, wie glücklich sie war, bei der Feier an seiner Seite sein zu dürfen. Ihre geflüsterten Worte und die Umarmung, die es bestätigten, wären gar nicht nötig gewesen, entlockten ihm aber ein noch breiteres Lächeln. Avianus hatte es also wirklich geschafft, sie zu überzeugen. Und gleichzeitig hatte er ihr noch eine Freude gemacht. Besser hätte es gar nicht laufen können, denn jetzt stemmte sie sich nicht mehr gegen die Idee, ihr ein paar neue Sachen zu besorgen, fackelte gar nicht lange und machte sich gleich auf zu dem Laden, den er zuvor erspäht hatte.


    Geduldig, wenn auch wenig hilfreich, beobachtete er Sibel dabei, wie sie die Ware des Händlers durchstöberte, und fragte sich gleichzeitig leicht belustigt, ob er es am Abend wohl bereuen würde, ihr mehr oder weniger die Erlaubnis erteilt zu haben, auszusuchen und zu kaufen was auch immer ihr gefiel. Ganz bestimmt nicht, war er sich dann nur einen Augenblick später sicher. Nicht, wenn er sie so sah. Wann hatte sie das letzte Mal einfach nur Dinge für sich kaufen können, ohne groß auf den Preis achten zu müssen? Wann hatte sie das letzte Mal etwas gekauft, nicht weil sie ansonsten nichts anzuziehen hätte, sondern in erster Linie, weil es ihr gefiel? Im Grunde tat sie das auch jetzt nicht, denn mit Mühe hatte er sie ja davon überzeugt, dass das hier dringend nötig war. Es war aber ein Anfang, dieser Ausflug, die Hochzeitsfeier, die bevorstand, die gemeinsamen Tage in den Albaner Bergen danach. All das würde ihr ein für alle Mal vermitteln, dass sich etwas geändert hatte, seit sie sich im Balneum ertränken wollte. Sie hatte sich Sicherheit gewünscht, die Gewissheit, dass er sie bei sich wollte und es immer so bleiben würde, dass er sein Leben auch dann meistern konnte, wenn sie da war, und sie keine Belastung sondern vor allem eine Bereicherung war. Ja, so einiges war nun anders, das einzige, was sich kaum geändert hatte, war Sibels Denkweise.
    In Gedanken versunken wartete er also ab, während sein Blick auf Sibel ruhte. Erst als sie ihn direkt ansprach, sah er sie einen Moment lang ein wenig verpeilt an.
    "Was ich meine?", fragte er zurück, "Ich meine … du siehst in allen drei Kleidern toll aus …"
    Gemeinsam mit ihren schwarzen Locken erinnerte ihn das tiefe Blau des ersten Kleids an das Meer daheim in Misenum, als wäre sie Amphitrite persönlich. Das zweite zog seinen Blick förmlich auf sich mit seinem verführerischen Rot und ließ ihn nicht mehr los. Und das dritte türkisfarbene, frisch, verspielt … Was sollte er also sagen, denn sie wollte vermutlich eine eindeutige Antwort hören.
    "Mir gefallen das blaue und das rote besser", sagte er und merkte bereits, das war auch nicht gerade, was man als eindeutige Antwort bezeichnen konnte. Dann kam ihm aber tatsächlich noch eine hilfreiche Idee.
    "Was pass denn besser zu dem Schmuck?" Gleichzeitig hatte er das Gefühl, Sibel hatte sich darüber bestimmt schon selbst Gedanken gemacht und er wies wieder mal nur auf das offensichtliche hin.

    [Blockierte Grafik: http://oi57.tinypic.com/2qx22i8.jpg]
    Manius Triarius Seianus
    MILES · COHORTES URBANAE


    Noch einer? Na wie schön. Noch schöner wäre es, dachte sich der Triarius, wenn ihnen endlich wer die Tabula und den Toten abnahm.
    "Salve", grüßter er auch den Neuankömmling, "Wir bringen den toten Optio Germanicus Antias und diese Nachricht für die Gens Germanica, adressiert an den Hausherrn", erklärte er erneut und wartete immer noch darauf, dass jemand die Nachricht entgegennahm.
    "Na los bringt den Karren her", rief er seinen Kameraden über die Schulter zu, da sie ja vor dem richtigen Haus standen und jemand zugegen war. Man brauchte die Leiche ja nicht quer durch Rom zu tragen, wenn man sie nachher ins Haus tragen lassen wollte.

    Avianus nickte, als Seiana sich endlich entschloss seine Frage zu beantworten. Geduldig hörte er zu, wenn es ihm auch etwas unangenehm war, dass Seiana ihm alles von Anfang an erzählte. Er hatte nicht aufdringlich sein wollen und gar nicht verlangt, dass sie von vorne bis hinten alles erzählte, was mit ihr und Axilla passiert war, und doch tat sie es. Freiwillig. Gleichzeitig war er dankbar dafür. Wann erzählte ihm jemals irgendwer direkt, was los war? Seneca hatte ihm bei jedem Treffen eine neue Überraschung präsentiert, Sibel verschwieg ihm aus Angst ständig irgendwelche Dinge, und dann war da Seiana. Er fragte, sie erklärte. Es war ganz angenehm, seinem Gegenüber zur Abwechslung nicht jede Information aus der Nase ziehen zu müssen. Und bis auf ein paar Kleinigkeiten stimmte was sie sagte auch mit dem überein, was er schon von Axilla gehört hatte. Nur das eben jede die jeweils andere beschuldigte, für den Streit verantwortlich zu sein. Seiana meinte, seine Cousine hätte ihr den Aelius ausgespannt, Axilla sagte, er hätte die Decima gar nicht gewollt. Die erklärte wiederum, Axilla habe zuerst gedroht, und die sagte bei Senecas Beichte von der Heirat das genaue Gegenteil.
    Aber selbst wenn sich der Streit nicht lösen ließ, so konnte er jetzt zumindest aus Seianas eigenem Mund hören, dass hinter alldem keine schlechten Absichten den Iunii gegenüber standen … oder? Direkt war sie nicht darauf eingegangen. Sie hatte gedroht, wie auch seine Cousine, das war alles, was er hörte.
    "Wir sind wohl alle nicht ganz einfach, auch wir Iunii nicht, wie ich immer mal wieder feststellen muss … Jedenfalls, ich danke dir, dass du so offen davon erzählt hast. Und es ist angenehm zu hören, dass du diesen Streit nicht weiter fortsetzen willst.", stellte er erst fest, auch wegen Seianas Bemerkung zu Beginn, kein einfacher Mensch zu sein.
    Darüber, dass sie seine Hilfe nicht annehmen wollte, lachte er allerdings ein wenig. Sie hatte ihn vermutlich falsch verstanden oder aber wusste gar nicht, was Axilla Seneca angedroht hatte, wenn er die Ehe mit der Decima einging. Es ging gar nicht darum, aus den beiden Frauen beste Freundinnen zu machen. Nein, es ging darum, das Schlimmste zu verhindern ... zu verhindern, dass sie das Leben der beiden ruinierte, und jegliche Beziehungen der Iunii zu den Decimi, lediglich wegen einer persönlichen Fehde, an der außer den zwei Frauen niemand die Schuld trug und an deren Fortführung Seiana scheinbar schon lange kein Interesse mehr hatte.
    "So war es auch nicht gemeint, wegen meiner Hilfe. Ich bin nicht davon ausgegangen, diesen Streit aus der Welt schaffen zu können", begann er deshalb, seine Absichten zu erklären, "Axilla ist, wie du dir sicher vorstellen kannst, wenig beigeistert von dieser Verbindung. Ich glaube nicht, dass sie etwas unternehmen wird, aber ich will es nicht darauf ankommen lassen. Sie glaubt nach wie vor, du wärst der Feind, nicht nur ihrer sondern der unserer gesamten Gens. Deshalb sollte jemand ein Auge auf sie haben, erst recht da ich das Gefühl habe, Seneca hat es mittlerweile aufgegeben, weiter mit ihr darüber zu sprechen. Sie gehört zu meiner Familie, ich weiß, sie will für die Iunii nur das Beste und zum Teil kann ich ihre Wut verstehen, aber in dieser Sache irrt sie sich. Es wäre am einfachsten für alle, wenn sie mit diesem Streit abschließt. Ich möchte also nur vorbereitet sein, wenn ich das nächste Mal mit ihr darüber rede."
    Denn bevor er mit seiner Cousine über dieses Thema sprach, wollte er mehr darüber wissen, als nur die paar Informationen die er beim Streit zwischen ihr und Seneca damals aufgeschnappt hatte. Und vielleicht hatte er dann mehr Glück als Seneca. Ihm konnte sie zumindest nicht vorwerfen, blind vor Liebe zu sein. Jedenfalls nicht, wenn es um die Decima ging.
    "Du musst wissen ... ich finde nicht alles gut, was ihr zwei, also du und Seneca, gemacht habt. Aber ich verstehe es, vermutlich besser als die meisten anderen."
    Aber genug davon, dachte er sich. Es gab ja auch andere, weniger präkere Dinge, über die sie reden könnten. Dinge, die ihn um einiges mehr interessierten, seit sich auch in seinem Leben einiges geändert hatte.
    "Wie geht es eigentlich dem Mädchen? Was werdet ihr zwei ihr einmal erzählen?"

    Zitat

    Original von Beroe
    Endlich nahm sie Platz, als ihr Liebster sie mit einer Geste dazu aufforderte. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie noch nicht oft auf einer solchen Liege gelegen und noch seltener darauf liegend gegessen. Avianus nahm neben ihr Platz genommen und raunte ihr nun zu ihrer Erklärung ins Ohr, um wen es sich bei der Dame und deren Mann handelte. Staunend sah sie sich noch einmal zu ihnen um. Beeindrucken, wen er alles kannte! „Eine Bekannte? Und woher kennst du sie?“, fragte sie leise.
    Dass er ihr nun einen Vorwurf wegen des Inhalts ihres Bechers machte, ließ sie erstaunen. Schließlich war die Menge an Wein so gering bemessen, dass man kaum noch von Wein sprechen konnte. Doch dass er sich solche Sorgen machte, war schon rührend. „Er ist sehr stark verdünnt, sonst hätte ich mir den Becher doch nie reichen lassen.“ meinte sie. „Meinst du, sie schenken auch Posca aus?“ Posca auf solch einem Fest? Nun ja, es waren ja genügend Soldaten unter den Gästen.


    Da stellte Sibel eine gute Frage. Posca? Hier? Vermutlich nicht. Aber irgendetwas anderes könnten die doch sicher ausschenken. Eine andere Alternative wäre, den Wein einfach komplett wegzulassen und schlicht und ergreifend Wasser zu trinken. Dabei war Avianus noch nicht einmal sicher, ob der Schluck Wein in ihrem Becher überhaupt ein Problem war. Unauffälliger war es auf jeden Fall, nicht mir Sonderwünschen daherzukommen, aber wenn es um ihr Kind ging ... Am besten zog er, wenn sie wieder in Rom waren, jemanden zu Rate, der sich mit solchen Dingen besser auskannte. Einen Arzt oder eine Hebamme eben.
    "Keine Ahnung … wir sollten Seneca fragen, wenn er sich mal blicken lässt", antwortete er einfach, warf noch einmal einen skeptischen Blick auf den Becher und beschloss dann, dass die Geschichte von ihm und der Tiberia bestimmt eine gute Ablenkung wäre, bevor ausgerechnet der verwässerte Wein die Stimmung ruinierte.
    "Also das mit der Tiberia ist eine längere Geschichte …" Trotzdem würde er natürlich versuchen, sie zu erklären. Während er dann weitersprach, senkte er seine Stimme ein wenig. Der Consular brauchte schließlich nicht alles zu wissen. "Damals nach dem Bürgerkrieg … du und ich, wir kannten uns noch gar nicht lange … kam einmal während meiner Schicht diese Patrizierin daher und hielt sich für so wichtig, dass sie glaubte, keine standardmäßige Durchsuchung zu brauchen. Durchsuchen lassen musste sie sich logischerweise trotzdem, wenn sie reinwollte. Irgendwann kam sie ein zweites und ich glaube, sogar ein drittes Mal. Bei Festlichkeiten zu Ehren der Concordia sind wir uns auch mal begegnet. Bei irgendeinem dieser Treffen ist mal das Thema Briefe gefallen und dass ich anscheinend viel zu wenige bekomme. Dann hat Lucia geheiratet und ihr war so fad, dass sie ausgerechnet mir einen Brief geschrieben hat. Wir haben uns eigentlich immer nur angegiftet oder dumme Scherze gemacht, als da plötzlich dieser Brief kam, wusste ich zuerst gar nicht, was los war. Aber ich konnte die Ablenkung brauchen, denn zu der Zeit warst du … weg, also habe ich zurückgeschrieben. Tja, und das ging das eine Weile so hin und her." Und so wie es aussah, hatte sie ihre Meinung, die sie ursprünglich von ihm gehabt hatte, also dass er ein ungehobelter grapschender Soldat war, mittlerweile revidiert. Erstaunlich. Nie im Leben hätte er bei ihrer ersten Begegnung gedacht, dass er einmal freundschaftliche Briefe mit dieser Frau schreiben würde, selbst wenn sich auch darin hin und wieder die üblichen kleinen Sticheleien fanden.

    Setzen. Ein gutes Stichwort. Avianus hatte nichts dagegen, ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten, solange Sibel nicht da war, und vielleicht ein paar Worte mit Seiana zu wechseln.
    "Wir sind gut versorgt, …" Lächelnd setzte er sich. "… Seiana", fügte er probehalber ihren Cognomen hinzu und nahm somit auch gleichzeitig ihr Angebot an. Es war ein wenig ungewohnt ihr so zu begegnen, fast schon freundschaftlich, erst recht nach ihrem zähen Gespräch damals in Rom, und gleichzeitig wäre es sehr viel seltsamer, sich ihr gegenüber distanziert zu verhalten, der baldigen Ehefrau seines Vetters und besten Freundes.
    Ein wenig neugierig betrachtete er nun das Zettelchen in ihrer Hand.
    "Davon gehe ich doch aus. Ein simples Stück Papyrus würde die Götter vermutlich nicht zufriedenstellen", sagte er schmunzelnd, meinte es aber durchaus ernst, und überließ es ihr, ihm mehr darüber zu erzählen oder eben nicht. Wenn es ihr wichtig genug war, dass sie es zu diesem Anlass den Göttern opfern wollte, ging es ihn womöglich gar nichts an, was es mit dem Zettelchen auf sich hatte.
    "Es freut mich Seneca so glücklich zu sehen. Ehrlich gesagt glaube ich, ihn noch nie glücklicher gesehen zu haben", sprach er stattdessen weiter und wollte noch auf etwas ganz Bestimmtes hinaus, eine Frage, die ihm schon länger durch den Kopf schwirrte, und die nur sie ihm beantworten konnte. "Aber … es gibt eine Frage, die sich mir schon länger stellt. Ich weiß, der Zeitpunkt ist ein wenig spät. Nur wollte ich sie nicht in Senecas Gegenwart stellen ... ich denke, es wäre ihm unangenehm gewesen ..." So langsam sollte er vielleicht auf den Punkt kommen.
    "Meine Cousine Axilla meinte einmal, du willst den Iunii schaden …", begann er also endlich, Klartext zu reden. Bestimmt wusste Seiana besser als er, dass Axilla nicht gut auf sie zu sprechen war, also hielt er sich damit nicht lange auf. "Für mich macht das natürlich absolut keinen Sinn, und ich gehe nicht davon aus, dass da etwas Wahres dran ist. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Missverständnis. Und ich brauche auch gar nicht zu wissen, was alles zwischen euch vorgefallen ist, verstehen, wie es dazu kam, dass meine Cousine das glaubt, würde ich dennoch gerne. Und vielleicht, wenn ich zumindest ansatzweise verstehe, was los ist, kann ich dann helfen ... irgendwie. Wenn du etwas darüber sagen kannst und willst natürlich ..." Entschuldigend blickte er die Noch-Verlobte seines Vetters an, weil er ausgerechnet jetzt dieses Thema anschnitt, vorher hatte sich allerdings keine Möglichkeit geboten und nach der Hochzeit wäre reichlich spät, wenn sie sich dann überhaupt noch einmal unter vier Augen begegnen würden.

    "Ha!", machte Avianus belustigt, als er den vergleichsweise kleinen Frugi einem hünenhaften Gegner gegenüber stehen sah. "Das will ich sehen. Worauf wartet ihr zwei? Anfangen!"
    Gespannt beobachtete er die beiden. Der Octavius könnte durchaus einen Sieg davontragen. Masse und Stärke waren nicht alles. Gute Reflexe, Schnelligkeit und Ausdauer waren mindestens so wichtig, denn was half es dem sechs Fuß großen Riesen, wenn ihm nach ein paar Minuten die Puste ausging oder er den Gegner nicht richtig zu fassen bekam. Außerdem hatten die Tirones bei ihren Partnern freie Wahl gehabt. Und der Octavius war alt genug um selbst zu entscheiden, womit er es aufnehmen konnte. Dann sollte er eben machen, wenn er meinte.

    Avianus steckte sich gerade eines der Häppchen in den Mund, die man ihnen serviert hatte, da hörte er plötzlich Senecas Stimme seinen Namen rufen. Sogleich sah er auf und erblickte seinen Vetter der direkt auf ihn und Sibel zusteuerte, da konnte er ja gar nicht anders, als eilig zu schlucken, sich die Finger abzuwischen und sich breit ginsend zu erheben. "Ha! Seneca!", erwiderte er die Begrüßung scherzhaft und schloss seinen Vetter, der offenbar aus seiner Traumwelt zurückgekehrt und wieder bei seinen Gästen angekommen war, einen kurzen Augenblick lang in die Arme.
    "Alles bestens, wirklich, es könnte nicht besser sein", antwortete er und lachte kurz auf, "Jetzt sowieso. Denn wenn ich dir jetzt gratuliere hörst du vielleicht sogar was." Kurz sah er zu Sibel, wollte bereits für sie antworten, ließ es aber doch bleiben, weil er selbst nicht recht wusste, was er sagen sollte. Aber sicher schmeckte ihr der Wein, so gut dass sie ihn trank, obwohl sie ein Kind erwartete, dachte er sich sarkastisch. Natürlich In der Hoffnung, dass Sibel nichts Falsches antwortete, so sie denn etwas sagen würde, wandte er sich wieder an die beiden frisch verheirateten.
    "Ich freue mich wahnsinnig für euch beide", sagte er nicht nur zu Seneca, sondern auch zu dessen Ehefrau. "Wirklich eine Schönheit …" Das war ihm ja schon damals in den Horti Luculliani aufgefallen.
    "Ja, ich freue mich mindestens so sehr, hier sein zu können. Was will man auch mehr? Ein paar Tage Urlaub, ein wenig Zeit mit seinen Lieben verbringen …" Etwas Schöneres könnte er sich jedenfalls nicht vorstellen. Aber da war ja noch etwas, worauf er die beiden ansprechen wollte, bevor sie zum nächsten Gast eilten:
    "Wo ihr zwei schon hier seid: Ich stehe zwar mit leeren Händen vor euch, das bedeutet aber nicht, dass ich euch kein Geschenk habe. Was haltet ihr davon, wenn ich dafür sorge, dass in eurem gemeinsamen Heim, das ihr euch demnächst bestimmt zulegen werdet, ein hübsches, echt römisches Lararium steht? Selbst wenn ihr die Idee blöd findet, muss ich euch enttäuschen, das Ding ist schon in Arbeit." Breit lächelnd streifte sein Blick erneut Sibel. "Bedanken dürft ihr euch auch bei meiner fabelhaften Beraterin."

    Im Augenwinkel nahm Avianus Lucias Blicke wahr, als er an den Tisch trat, den er Sibel zuvor vorgeschlagen hatte. Du hast ja doch noch Hände!, wollte er eine kleine Bemerkung zu ihr hinüber machen, hielt jedoch lieber den Mund, weil er den Consular herannahen sah. Und ihre Stimme hatte sie ganz eindeutig auch noch und damit seiner Meinung nach keinen triftigen Grund, für mehrere Monate beim Briefe schreiben auszusetzen. Er gab es nur ungern zu, aber er hatte das hin- und herschicken seitenlanger Briefe ein wenig vermisst und war ein kleines bisschen enttäuscht von der Patrizierin. Darauf, ihr dafür eins auszuwischen, musste er leider verzichten. Auf Senecas Hochzeitsfeier würde er es tunlichst vermeiden, für Ärger zu Sorgen. Sein Vetter hatte verdient, dass dieser Tag mindestens einer der schönsten seines Lebens wurde.
    Es blieb also dabei, dass er die Tiberia und ihren Mann – den kannte er zwar nicht persönlich, aber nur die Frau zu grüßen wäre doch ein wenig unhöflich – knapp begrüßte: "Salve, Consular Duccius Vala … Tiberia Lucia, gut …" … dass du überlebt hast? Dass du wenigstens für ausschweifende Feste Zeit findest? "… gut siehst du aus", endete er für seine Verhältnisse ziemlich einfallslos, aber zumindest ohne etwas Provokantes zu sagen. Ein schmales Lächeln folgte, dann wandte er sich wieder anderen Dingen zu, etwa der Toga, die bekanntermaßen so gerne verrutschte. Da half es auch nichts, wenn man als ehemaliger Praetorianer sogar darin kämpfen konnte, an seinem Platz blieb der Stoff trotzdem nicht immer freiwillig. Kurz rückte er sie zurecht und bedeutete Sibel, sich auf einem der Lecti niederzulassen, und wählte selbstverständlich einen Platz neben ihr auf derselben Liege. Nachdem er inklusive Toga halbwegs bequem lag, flüsterte er Sibel eine knappe Erklärung zu: "Die Frau des Consulars ist eine Bekannte von mir, muss du wissen, und der Consular wiederum Senecas Patron."
    Als er sich so zu ihr hinüber lehnte, roch er den Wein, den sie sich gegönnt hatte. Stirnrunzelnd blickte er sie an. Er hatte bemerkt, dass sie sich einen anderen Becher hatte reichen lassen, aber ... sie tauschte Wein gegen Wein? Das machte ja mächtig viel Sinn, vor allem, wenn man ein Kind in sich trug.
    "Posca wäre doch bestimmt besser gewesen …", meinte er vorsichtig.

    [Blockierte Grafik: http://oi57.tinypic.com/2qx22i8.jpg]
    Manius Triarius Seianus
    MILES · COHORTES URBANAE


    Seianus schaute etwas blöd drein, als der Octavius so schnell wiederzurück kam. Vor allem, weil er die Tabula noch in der Hand hatte.
    "Und davon lässt du dich verscheuchen? Junge, du bist Soldat der Cohortes Urbanae", meinte der Miles verständnislos, "Wenn du dich von jedem so leicht abwimmeln lässt, dann wird das noch was werden mit dir. Darf ich dir also einen Rat geben? Was irgendwelche Leute sagen oder denken, braucht uns nicht zu kümmern. Wir machen einfach unsere Arbeit."
    Kaum hatte er geendet, winkte er den Karren hinter sich her und marschierte selbst zur Tür. Ohne ihn ging hier wohl tatsächlich gar nichts. Ein Glück, dass er dabei war. Und da der Tiro von ihm auch noch etwas lernen sollte, nahm er sich vor, heute noch ein wenig korrekter als sonst zu arbeiten. Mit durchgestrecktem Rücken kam er vor dem Ianitor zum Stehen.
    "Salve, Miles Triarius Seianus ist mein Name, Cohors XII Centuria III, Cohortes Urbanae. Wir bringen den Leichnam des Optios Titus Germanicus Antias und dazu eine Nachricht des Centurios für den Hausherrn", floss es dem Triarius geradezu von der Zunge hielt dem Ianitor mit ausgestreckter Hand die Tabula entgegen.




    Centurio Aulus Iunius Avianus Medico Germanico Avaro senatori s.d.


    Es tut mir aufrichtig leid, diese Nachricht überbringen zu müssen, und auch unsere Einheit trifft dieser Verlust schmerzlich: In der gestrigen Nacht ist der Optio Titus Germanicus Antias ehrenvoll im Dienst gefallen.
    Den Hergang dieses Unglücks möchte ich, trotz aller Trauer, nicht vorenthalten: Laut Bericht der ihn begleitenden Soldaten, wurden sie während einer routinemäßigen nächtlichen Patrouille auf Unruhen in den Straßen aufmerksam. Der Optio Germanicus Antias und ein Contubernium Soldaten schritten ein, wobei der Optio von einem der Schläger überrascht und niedergestreckt wurde.
    Trotz eines zügig erfolgten Transports ins Valetudinarium konnten unsere Ärzte nicht mehr helfen.


    Zumindest ein kleiner Trost ist es vielleicht zu wissen, dass der Verantwortliche bereits zur Rechenschaft gezogen wurde und auch seine Gefährten festgenommen werden konnten.


    Gemeinsam mit dieser Nachricht wird euch der Leichnam überstellt, sodass seine Familie Abschied nehmen und ein pflichtbewusster Soldat Roms angemessen beigesetzt werden kann.


    Vale bene.


    Aulus Iunius Avianus
    CENTURIO COHORTIUM URBANARUM
    COHORS XII · CENTURIA III



    "Warum sollte ich das nicht wollen?", fragte Avianus lächelnd zurück. Die Antwort kannte er: Sie war keine Römerin aus einer angesehenen Familie. Doch ihn kratzte das schon lange nicht mehr. Und wenn er sie mitnehmen könnte, würde er es tun, denn wenn die Nichte des Praefectus Urbi und Schwester eines gewesenen Praefectus Praetorio den vergleichsweise kleinen Klienten eines Consulars heiratete, würde sich kein Mensch dafür interessieren, wer das schwarzhaarige Mädchen an seiner Seite war. Oder zumindest keiner, der von Bedeutung war.
    "Da werden weit wichtigere Leute auf der Hochzeit herumlaufen, als dass jeder nach uns fragen würde. Und wer auch immer fragt, muss nicht die ganze Wahrheit erfahren", erklärte er ihr mit gedämpfter Stimme, "Wir werden also einfach einen schönen Tag unter Leuten verbringen und uns ein wenig amüsieren. Wird schon schief gehen. Ich mache mir da jedenfalls keine großen Sorgen."


    Wenigstens mischte sich der Händler nicht ein, sondern suchte willig einen Ring, nachdem er ihn mit seinem Lieblingsargument überzeugt hatte. Centurio der Urbaner zu sein hatte hin und wieder, auch abseits von hohem Sold und Ansehen, durchaus seine Vorteile. Dessen war er sich umso sicherer, sowie Sibel in dem Schmuck, der gleich ihr gehören würde, vor ihm stand.
    "Ich habe nie eine hübschere Frau gesehen", meinte er auf ihre Frage hin. Nein, ganz bestimmt brauchte man jemanden wie sie nicht zu verstecken, sie würde bei der Hochzeit mindestens so wundervoll aussehen, wie die anderen Frauen. Erst recht, wenn sie zu dem Schmuck noch neue Kleider trug. Und dann würden die Leute vielleicht die Frau in ihr sehen, die er schon vor Jahren entdeckt hatte, ohne sich von ihrem Stand oder ihrer Vergangenheit ablenken zu lassen. Dann war sie nämlich nur eine schöne, zurückhaltende, bescheidene, junge Frau. Und daran hatte bestimmt keiner etwas auszusetzen. Zufrieden legte er also dem Händler das Geld auf den Tisch. "Ich danke dir. Du hast heute ein einmaliges Geschäft gemacht, mein Guter."
    Noch wartete er, bis Sibel den Schmuck wieder abgelegt hatte, es sei denn natürlich, sie wollte um jeden Preis mit dem Goldschmuck über den Markt stolzieren.
    "Wo möchtest du als nächstes hin?", fragte er einfach mal. Er hatte zwar wenig Ahnung vom Einkaufen mit Frauen, würde aber einfach versuchen, sich nicht vollkommen nutzlos zu fühlen, hielt also Ausschau nach einem Händler der Kleidung im Angebot hatte. Lange musste er nicht suchen. Er deutete mit einem Nicken zu dem Stand hinüber. "Dort?"

    "Wenn du nicht auf dem Gegenteil bestehst, ganz bestimmt", wollte Avianus sie beruhigen. Selbstverständlich wäre er dabei. Er hatte ja geahnt, dass Sibel bei einer Unterhaltung mit Axilla unter zwei Augen nicht wohl wäre, ganz davon abgesehen, dass es ihm bei dem Gedanken nicht anders ging. Sibel und Axilla allein lassen? Bestimmt nicht. Nicht aber, weil er den beiden nicht vertraute, sondern eher weil sie ein wenig … speziell waren. Die eine empfindlich und die andere ohne Scheu, anderen offen ihre Meinung zu sagen. Da war er lieber dabei, um notfalls abzubrechen, wenn etwas schief lief. Und schon alleine, weil er auf keinen Fall wollte, dass das Gespräch in dieselbe Richtung lief wie jenes mit Seneca.


    Als Sibel ihm von Antias und Apolonia erzählte, meldeten sich die Sorgen, die er sich zuvor im Arbeitszimmer gemacht hatte, wieder zurück. Ein Soldat, der sich in eine Lupa verliebte und fiel, bevor das Ziel, ein gemeinsames Leben, erreicht war. Wie schnell doch ihre Geschichte eine ähnliche Wendung nehmen könnte. Einmal nicht ganz bei der Sache zu sein reichte aus, einmal zu langsam sein, einmal eine Situation falsch einschätzen. Und das wäre es dann gewesen. Allerdings würde dann nicht nur Sibel ihn verlieren, da war auch noch das Kind, für das er sich eben erst entschieden hatte. Nein, niemals sollte ihre Geschichte dasselbe Ende nehmen, dachte er zwar, dennoch wusste er, es lag nicht nur in seiner Hand. Noch sehr viel dringender musste er jetzt dafür sorgen, dass seine Liebste abgesichert war. Sibel dagegen hatte vorerst ganz andere Sorgen ...
    "Ja, er würde das bestimmt wollen, … also dass jemand es ihr sagt. Wenn du weißt, wo sie sich aufhält, lässt sich das bestimmt einrichten.", stimmte Avianus ihr nachdenklich zu, " Aber ich denke, wir sollten uns jetzt erstmal hinlegen."

    Sibel hatte eindeutig recht: Ein kleiner Spaziergang würde ihnen gut tun, stellte auch Avianus jetzt fest, als er nach draußen trat. An die frische Luft in den Albaner Bergen könnte er sich gewöhnen, auch an den Ausblick und die Stille. Es hatte etwas Beruhigendes, und auch das Wissen, dass da kein Schreibtisch in der Nähe war, auf dem sich die Arbeit stapelte. Alles zusammen würde er nachher in vollen Zügen genießen, wenn Sibel für den Spaziergang zu ihm nach unten kam. Eigentlich war es das erste Mal heute, dass sie nicht an seiner Seite war und ein kleines bisschen dämmerte es ihm, vielleicht könnte sie etwas mehr Freiraum gebrauchen. Aber er wiederum sorgte sich, da er absolut keine Ahnung von Schwangeren und Kindern hatte, und war ruhiger, wenn er sie bei sich hatte. Dabei wusste er doch selbst, im Grunde war alles gut.


    Ein paar Schritte und tiefe Atemzüge später sah er leicht überrascht auf, da er die Person, die da ganz in der Nähe saß, bis jetzt gar nicht bemerkt hatte. Erst hatte er gar nicht vor, auf sich aufmerksam zu machen oder sie gar anzusprechen, bis er bemerkte, dass es die Zukünftige seines Vetters persönlich war, die da so gedankenverloren im Hortus saß.
    "Salve, Decima Seiana", grüßte er knapp, obwohl er gar nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt bemerkt hatte, und fragte sich auch gleichzeitig, ob ein einfaches Seiana nicht gereicht hätte, wo sie ab morgen doch praktisch zur Familie gehören würde. Viel mehr wusste er dann auch nicht zu sagen, nach dem steifen Gespräch, das sie noch in Rom geführt hatten. Sie war eben anders, als die als alle anderen Frauen, die er kannte. So wie auch Sibel vollkommen anders war. Wenn er genauer darüber nachdachte, würde er vielleicht sogar so weit gehen zu sagen, dass die beiden Frauen absolut gegensätzlich waren. Und das, obwohl er und Seneca sich in vielem ähnlich waren, wie er des Öfteren festgestellt hatte. Das musste er Seneca lassen, er hatte sich eine ganz besondere Dame ausgesucht, die dennoch perfekt zu ihm passte, so schien es.
    Er lächelte freundlich. Und? Was sagte man nun zu einer Frau, die in ein paar Stunden heiraten würde, und auf ein Papyruszettelchen starrend im Garten saß?
    "Soweit alles in Ordnung? Du weißt ja ... noch könntest du fliehen."

    Zufrieden nickte Avianus, da Seiana offenbar ganz seiner Meinung war. Er hatte nicht vor, von den Christianern in Trans Tiberim mehr übrig zu lassen als unbedingt nötig. Mitleid hatte er mit den Leuten noch nie gehabt und schon viel zu lange tanzten sie den Cohortes Urbanae auf der Nase herum.
    "Genau das werden wir jetzt auch machen … voraussichtlich. Wenn alles nach Plan verläuft", schloss er das Gespräch über die aufmüpfige Christianergemeinschaft ab.


    Dann fiel ein Wort, welches er ganz bestimmt nicht zu hören erwartet hätte. Germania. Fragend blickte Avianus die beiden an. Seneca hatte eben noch gesagt, es stand nichts fest, doch es war zumindest eine Möglichkeit, die noch dazu gar nicht einmal so unwahrscheinlich war.
    "Also das … kam jetzt wirklich … überraschend", antwortete er ein wenig zögerlich. Was sollte er dazu groß sagen? Gratulieren? Wahrscheinlich. Eigentlich gehörte sich das ja so. Noch ein wenig überrumpelt räusperte er sich und zwang sich ein Lächeln auf. "Glückwunsch …" Er hatte eher gehofft, Seneca könnte irgendwann wieder in Rom landen, stattdessen zog es den jetzt mehr oder weniger auf die andere Seite des Reiches, noch dazu ins ihm verhasste Germania. Was aber immer noch um ein Vielfaches besser war als wie er selbst hier festzusitzen mit einem Mädchen von dem er nicht wusste, ob er es jemals heiraten durfte. Nein, Seneca hätte dann alles. Frau, Kind, Erfolg in der Karriere ... und Avianus gönnte es ihm.
    "Ich brauche dir bestimmt nicht zu erzählen dass ich dich lieber in Rom ... oder zumindest Italia ... wüsste, aber an deiner Stelle würde ich dasselbe tun, denke ich. Warten wir also ab, was daraus wird. Weißt du schon wo genau es hingehen würde?"
    Zumindest würde Seiana ihn begleiten, jedenfalls wenn er ihre letzte Aussage richtig deutete. "Und du würdest mit ihm gehen?"

    Sein Versuch, die Schmeicheleien des Händlers zu nutzen, um Sibel ein Kompliment zu machen verfehlte sein Ziel vollkommen. Bei seiner Liebsten stieß er damit nur auf Verwirrung. Mehr las Avianus nicht aus ihrem Blick und ihrer Stimme. Leise seufzend zog er die Brauen hoch. Was?! … Ja, die Frage stellte er sich auch gerade.
    "Nichts … ich wollte dir nur ein Kompliment machen", antwortete er leise. War Sibel heute nicht ganz bei der Sache, oder war er derjenige, der sich merkwürdig verhielt? Ihre nächsten Worte beantworteten seine Frage. Er wurde einfach nicht schlau aus ihrem Verhalten, wie gleichgültig sie dieser kleinen Einkaufstour gegenüberstand, so als hätte immer noch nicht recht begriffen, worum es hier ging. Und obwohl sie jetzt plötzlich allem zustimmte, hatte er nicht das Gefühl, dass sie es für sich tat, sondern einfach nur, damit er zufrieden war. Dabei ging es doch gar nicht um ihn oder was er wollte. Wenn sie vorhatte, ihn mit einer ausgewaschenen Tunica und verschlissenen Sandalen zur Hochzeit zu begleiten, könnte sie dort auch gleich in ihrem Zimmer bleiben, während er an der Feier teilnahm. So hart das auch sein mochte, sie musste sich bis zu einem gewissen Grad anpassen.
    "Sibel … du weißt, dass das hier für dich ist? Und dass es wichtig ist? Willst du mich zu den Festlichkeiten begleiten? Und willst du dann neben mir stehen, nicht hinter mir? Dann kommen wir um ein paar Einkäufe nicht herum", fragte er während sie den Schmuck anlegte. Weiter wollte er darauf aber gar nicht eingehen und erwartete vor allem auch keine Antwort, die besser war als das, was Sibel zuvor gesagt hatte, weswegen er sich wieder mit dem Händler beschäftigte. Der Preis, der ihm genannt wurde, war gut. Trotzdem ließ sich da sicher noch etwas mehr rausholen.
    "200 also?", sagte er und kramte schon in seinem Geldbeutel nach den goldenen Münzen, hielt dann allerdings noch einmal inne, als er das schließlich Geld in der Hand hielt.
    "Für so teures Geld darf sich meine Liebste doch sicher noch einen hübschen kleinen Ring oder ähnliches aussuchen? Und einen Freund bei den Cohortes Urbanae zu haben, kann nie schaden, das garantiere ich."