Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Den ganzen Tag über hatte Seneca schon gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd. Selbst als Avianus seinem Vetter nach der Eheschließung mit einem feuchten Händedruck gratuliert hatte, hatte der nicht viel mehr getan, als zu grinsen. So hatte er Seneca selten oder, sehr viel eher, noch nie erlebt. Vielleicht war er später nach einem oder zwei Bechern Wein wieder ansprechbarer. Avianus hatte nämlich noch so einiges zu erzählen, angefangen von dem genialen Hochzeitsgeschenk, das er mit Sibels Hilfe ausgesucht hatte, bis hin zu deren Schwangerschaft, wenngleich letzteres kein Thema war, welches er hier unter den anderen Gästen anschneiden würde.
    Wo er mit seinen Gedanken gerade bei Sibel war … erneut sah er sich nach ihr um. Am Vortag schon waren sie auf dem Landgut in den Albaner Bergen angekommen. Mit dem Wissen, dass in seiner Begleitung ein Kind heranwuchs, hatte er versucht, ihr den Ausflug so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Der Reisewagen hatte sich Zeit gelassen und den Abend hatte man genutzt, sich ein wenig zu entspannen, um heute für die Feier möglichst ausgeruht zu sein. Da war sie also, seine Sibel, so ausgeruht, wie sie es in ihrem Zustand vermutlich sein konnte, vor allem aber hübsch wie eh und je. In seinen Augen stand sie den höheren Damen unter den Gästen in nichts nach. Er wartete einen Augenblick, damit sie nicht hinter ihm herzulaufen brauchte.
    Obwohl keine Unmengen an Leuten anwesend waren, hatte er zwischen den anderen Gästen ständig das Gefühl, sie im nächsten Moment zu verlieren, wenn er sie nicht an der Hand nahm. Und das wiederum wollte er sich nicht leisten, denn vermutlich war sein Praefectus auch irgendwo unter den Gästen, nur hatte er ihn noch nicht entdecken können. Möglichst bald begab er sich gemeinsam mit ihr an einen der Tische. Exakt als er auf einer der Klinen Platz nehmen wollte, begann Seneca seine Rede und in Avianus Zügen zeichnete sich unwillkürlich ein breites Lächeln ab, während er sich von einem Sklaven einen Becher reichen ließ. Eine nette kleine Asprache, etwas ungewöhnlich und vor allem knapp vielleicht, aber er wusste ja, wie sehr sein Vetter in diese Frau verschossen war. Der hatte ja schon den ganzen Tag keine Augen für jemand anderen, wie sollte es jetzt anders sein. Wie auch die anderen Gäste hob er kurz den Becher und trank einen Schluck. Wein, stellte er fest. Klar doch, was sonst? Er war es ja nicht, der besser auf Alkohol verzichten sollte. Betrinken würde er sich heute dennoch nicht, schon allein seiner Begleitung wegen. Zufrieden blickte er sich um, entdeckte unter den Gästen plötzlich einen nur allzu bekannten Blondschopf und grinste anschließend noch etwas breiter. Das war doch …? Natürlich! Die Tiberia, die zwischenzeitlich das Schreiben verlernt haben musste. Regelmäßig vergaß er, dass ausgerechnet sie schon eine ganze Weile mit Senecas Patron liiert war, was aber auch ein wirklich ungewöhnlicher Zufall war.
    "Setzen wir uns doch da vorne", schlug er, durch seine Entdeckung noch sehr viel besser gelaunt, Sibel vor, deutete kurz auf einen Tisch in der Nähe der Tiberia und ging bereits darauf zu. Auf gar keinen Fall würde er es sich entgehen lassen, rein zufällig an einem Tisch in unmittelbarer Nähe zu seiner Lieblings-Briefschreiberin zu sitzen.

    Mit Sibel hatte man es wirklich nicht einfach. Ihre Bescheidenheit und Genügsamkeit konnte hin und wieder etwas anstrengend sein. Da sagt man(n) 'Such' dir aus, was auch immer du möchtest', um der Liebsten eine Freude zu machen und damit sie bei einer Hochzeit unter angesehenen Leuten nicht als Sklavin hinter ihm zu stehen brauchte, sondern sich als gut gekleidete Dame neben ihn stellen konnte, … und sie? Sie wollte sich ganz einfach mit einer Tunica zufrieden geben. Avianus nahm es vorerst gelassen und blickte bei der übertriebenen Nettigkeit, mit der der Goldschmied seine Waren anpries, ein wenig amüsiert zu Sibel.
    "Meine Gattin?", wiederholte er die Worte des Schmeids mit einem schiefen Lächeln. Wenn es nur so wäre. Dass es aber nach außen so aussehen musste, dessen war er sich sehr wohl bewusst. "Ja, eine wahre Schönheit, oder?"
    Seine nächsten Worte richtete er auch gleich an seine Gattin, die einmal mehr weder etwas brauchte, noch etwas wollte. "Nur eine Tunica also? Kein Schmuck? Keine neuen Schuhe? Nicht einmal eine Palla?" Nichts. Wenn es ohne jegliches Widerwort seinerseits nach Sibel ginge jedenfalls. Der Goldschmied unterdessen wollte verständlicherweise seine Waren an den Mann – oder die Frau – bringen. Hässlich war er nicht, der Schmuck, nein, sogar sehr hübsch, musste auch Avianus zugeben, dachte jedoch sehr wohl über den Preis nach, den er dafür auf den Tisch legen müsste. Aber Fragen kostete ja nichts. Und notfalls konnten sie immer noch Jason, seine Begleiter und die Argo im Buchladen verstauben lassen, denn dass Sibel bei der Hochzeit einen guten Eindruck machte, hatte Priorität.
    "Mach mir ein Angebot", schlug er dem Goldschmied vor und würde sich einfach mal überraschen lassen. Dass sich ihnen währenddessen im Getümmel zwischen den Ständen ein alter Mann näherte, entging ihm dabei vollkommen.

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    Manius Triarius Seianus
    MILES · COHORTES URBANAE


    Die kleine Truppe Urbaner, die den Karren mit ihrem toten Optio von der Castra zur Casa Germanica schoben, konnten endlich ein Stück die Straße hinauf ihr Ziel erkennen. Der voranschreitende Miles Triarius hatte sein 'Gefolge' in Gedanken versunken durch die Stadt geleitet und natürlich keinen Gedanken daran verschwendet, beim Ziehen und Schieben mitzuhelfen. Jetzt wurde sein zuvor trüber und gelangweilter Blick wieder hellwach. Als Dienstältester hatte er ja ganz ohne Zweifel die Befehlsgewalt, die er nun wieder auszuüben hatte.
    "Tiro Octavius ..." Ja wie hieß der doch gleich nochmal? Fullo? Fusus? Egal. "... du mit der Tabula! Lauf schonmal zur Porta, gib die Tabula ab und kündige uns an!"

    Avianus grübelte noch weiter und Sibel betrachtete unterdessen, was in den Auslagen und auf den Tischen der Händler zu finden war. Schmuck, Gewürze, Essen ... nichts, was recht passen wollte oder ihn auch nur auf eine akzeptable Idee bringen wollte.
    Dann unterbrach Sibel plötzlich seine Überlegungen. Einen kurzen Moment dachte er über ihre Worte nach und schließlich breitete sich ein Grinsen auf seinen Lippen aus.
    "Ein Lararium! Natürlich, das ist perfekt!" Er gab ihr einen flüchtigen, verstohlenen Kuss als kleines Dankeschön, über den sich hoffentlich niemand empörte, falls ihn doch jemand gesehen hatte. "Ich werde einen Altarbauer beauftragen, und sobald feststeht, wo sich die beiden häuslich einrichten, lass ich es dorthin transportieren."
    Genau das war es doch, was er seinem Vetter und dessen Frau sagen wollte: Dass ihr Haushalt stets unter dem Schutz von Göttern und Schutzgeistern stand, dass sie unter diesem Schutz eine Familie gründen konnten. Es wäre ein eindeutiges Zeichen an Seneca, dass er ihm und Seiana für die Zukunft nur das Beste wünschte. Dass er nicht selbst darauf gekommen war ... jedenfalls war er einmal mehr glücklich, Sibel dabei zu haben.
    "Und du? Ich meine … hast du etwas anzuziehen?" Klar hatte sie etwas. Und wenn es nach ihm ginge, könnte sie tragen, was sie wollte, für ihn wäre sie immer hübsch. Aber bei der Hochzeit würden auch Senatoren, Ritter und andere hohe Tiere anwesend sein, die noch dazu etwas anders dachten. "Der Praefectus Urbi und ein paar andere Persönlichkeiten werden vermutlich auch zur Hochzeit kommen. Wenn du also noch etwas benötigst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt." Und er? Er selbst wäre mit seiner weißen Toga gut versorgt. Selbst wenn es ihm vor dem umständlichen Kleidungsstück graute.

    Gleich notierte Avianus sich, was Sarah erzählte. Hörte sich ziemlich gut an. Mit etwas Planung ließ sich damit einiges anfangen – wenn ihre Aussagen der Wahrheit entsprachen, versteht sich.
    "Sehr schön. Carnulius, lass den Mann runter", meinte er knapp und erhob sich von seinem Hocker.
    Der Miles zog Evander den Fetzen Stoff wieder aus dem Rachen, löste dessen Fesseln von den Eisenringen und ließ den Christianer zu Boden sacken. Wie überaus angenehm der Gedanke doch war, dem nun schon Monate andauernden Theater endlich ein Ende zu bereiten und abzuschließen mit allem, was er mit dieser Sekte verband.
    "Wir sind hier erstmal fertig. Bringt beide zurück in ihre Zellen." Der erste Miles, der Sarah zu Beginn schon in den Verhörraum gezerrt hatte, griff nun auch von hinten ihre Arme, zog sie von ihrem Stuhl herunter und schob sie mit festem Griff Richtung Tür. Die beiden anderen Soldaten zogen Evander vom Boden hoch und schleiften ihn hinter ihrem Kameraden, der Sarah nach draußen brachte, aus dem Verhörzimmer. Avianus folgte ihnen, in der Hand die Tabula, in der alles stand, was sie benötigten, um das Treiben der aufmüpfigen Christianer-Gemeinschaft ein für alle Mal zu beenden.
    "Ich will, dass das Mädchen in gutem Zustand bleibt." Sie könnte vielleicht noch nützlich sein, falls etwas nicht nach Plan verlief. Und sollten sie sie nicht mehr brauchen, könnte sie zumindest die Chance erhalten, wieder freigelassen zu werden. Immerhin hatte sie den Cohortes Urbanae geholfen, und Avianus war sich vollkommen sicher, von ihr ging keine ernsthafte Gefahr aus. Dafür war sie viel zu einfältig und gutgläubig. "Der andere … wenn er es übersteht, gut für ihn …" Mehr oder weniger. "… wenn nicht, dann hat er es wenigstens hinter sich."

    Zügig aß Avianus weiter, trank noch einmal, und sah zu, dass er seinen Teller leerte, vor allem, da Sibel es plötzlich eilig hatte. Als sie wieder aus der Caupona hinaus traten, stellte Sibel auch schon die offensichtlichsten Fragen, wenn es darum ging, für jemanden ein Geschenk aufzutreiben, und die er sich natürlich selbst schon gestellt hatte.
    "Das ist eine echt gute Frage", stellte er zunächst fest, "Ich kenne die Braut leider selbst kaum, und bei Seneca weiß ich nicht recht, obwohl ich ihn kenne. Ich weiß jedenfalls, dass Seiana, also Senecas Zukünftige, auch liest, wenn ich ihnen aber nicht gerade ein Buch schenken will, hilft mir das vermutlich nicht weiter."
    Er hatte nicht einmal das Gefühl, dass Seneca wirkliche Freizeitbeschäftigungen hatte. Wenn Seneca nicht gerade arbeitete, verbrachte er seine Zeit entweder damit, mit ihm etwas zu trinken, sich mit dem Rest der Familie zu streiten oder mit seiner jetzigen Verlobten, hatte Avianus das Gefühl. Gar nicht so anders als selbst eben. Würde man ihn fragen, was man ihm schenken könnte, Avianus würde nur mit den Schultern zucken.
    Was konnte man alles verschenken? Geld war ihm zu unpersönlich. Und einen Sklaven würde er mit Sibel sicher nicht kaufen. Ein besonders stattliches Pferd, das Wappentier der Decima? Aber fehlte dann nicht noch ein Zeichen für die Iunii? Mit einem hübschen Wandteppich, einer Statue, Möbeln oder einem Mosaik für das gemeinsame Haus, das die beiden sich bestimmt leisten würden, machte man zwar nichts falsch, besonders originell konnte man solche Geschenke aber auch nicht nennen.
    "Ich dachte, vielleicht irgendein Erinnerungsstück an Rom. Er meinte letztens, dass er wahrscheinlich nach Germania geht, und selbst wenn nicht, wird er in Mantua bleiben", erklärte er, während sie weiterschlenderten, "Nur was … da bin ich nicht sicher. Soll ich einen schön gearbeiteten Schrank in Auftrag geben? Oder Dekoration für ihr gemeinsames Haus? Ich dachte auch schon an ein Pferd, aber so richtig überzeugt bin ich von der Idee nicht."

    Was für ein Glück, dass sich Sibels Miene wieder aufhellte, als er auf seinen eigentlichen Vorschlag zu sprechen kam.
    "Ja, wirklich", bestätigte Avianus und lächelte breit, glücklich darüber, ihr diesen Wunsch erfüllen zu können. "Wenn die Hochzeitsfeier vorbei ist, können wir die restliche Zeit ein wenig für uns nutzen. Ich könnte etwas Urlaub ganz gut vertragen. Und vielleicht könnt ihr zwei, also du und Seneca, euch dann auch endlich etwas besser kennenlernen."
    Sibel, er und die Ruhe der Albaner Berge. Er hätte endlich einmal etwas Abstand von der Arbeit und würde rauskommen aus der Stadt, außerhalb des Dienstes. Denn wenn er sonst für ein paar Tage aus der Stadt hinausgekommen war, dann meist, weil er irgendwo als Soldat gebraucht wurde. Un den Albaner Bergen, wäre Sibel das einzige, was ihm fehlen würde und worum er sich hätte Sorgen machen müssen, und die würde er jetzt ganz einfach mitnehmen. Besser hätte es gar nicht laufen können. Erstaunlich, wie einfach das meiste war, seit er sie gekauft hatte. Er aß weiter und trank noch einen Schluck. Klar lag ihm die Frage auf der Zunge, weshalb sie nicht schon früher etwas gesagt hatte, aber er ahnte schon, wie ihre Antwort ausfallen würde. Hätte er außerdem einige Tage Urlaub angefordert, nur um mit seiner Sklavin aufs Land zu fahren, wie hätte das wohl ausgesehen? Dass sich ihm dennoch eine geeignete Möglichkeit bieten würde, damit hatte Sibel gar nicht rechnen können und er hatte es auch nicht erwartet.
    "Da wir schon hier sind, sollten wir uns also auch noch deswegen umsehen ...", schlug er vor, "Ich habe noch nicht einmal ein Geschenk für die beiden." Und das hatte auch seinen Grund. Bei Seneca wüsste er nicht, was der überhaupt gebrauchen könnte, denn wenn er bei Seneca an ein Geschenk dachte, hatte er als erstes irgendetwas Nützliches im Kopf, und Seiana kannte er kaum, ganz abgesehen davon, dass die sicherlich schon so ziemlich alles hatte, was er kaufen könnte. Nachdenklich kaute er auf einem Stück Wurst. Vielleicht etwas, das an Rom erinnerte, für ihren eventuellen Umzug nach Germania in näherer Zukunft? Frauen kannten sich mit sowas bekanntermaßen besser aus, zu gerne würde er sich also von Sibel beraten lassen.

    Eine etwas enthusiastischere Antwort wäre ihm lieber gewesen. Die, die er bekam, ließ ihn vermuten, dass sie dem Treffen nur seinetwegen zustimmte, nicht, weil sie den Vorschlag für gut befand. Und Avianus saß da und fragte sich, was sie sich stattdessen von ihm gewünscht hätte. Dass er hier bleiben musste, war klar, dass sie es nicht konnte ebenso. Und nicht nur wäre ein Platz im Haus seiner Gens so ziemlich das Beste, was er ihr bieten könnte, andere Möglichkeiten waren noch dazu verdammt rar. Aber sie stimmte zu. Mehr konnte er vermutlich nicht erwarten, nicht nach all dem Stress heute Nacht.
    Wie er ihre Frage beantworten sollte, da dachte er erst einen Augenblick nach. In erster Linie, weil er nicht sicher war, ob er sie richtig verstand. Man sprach Leute generell mit ihrem Namen an. Soviel war schon mal klar. Und Sibel brauchte Axilla ganz bestimmt nicht mit Domina oder ähnlichem anzusprechen.
    "Wenn du sie anfangs einfach Iunia Axilla nennst, kannst du nichts falsch machen", antwortete er und hoffte einfach, Sibels Frage war damit beantwortet. Ob seiner Cousine auch ein Axilla reichte, würden sie dann ja sehen. "Du wirst das schon richtig machen." Am besten machte sie sich keine großen Gedanken darüber. Es ging schließlich nur um ein kleines Kennenlernen und notfalls wäre er auch noch dort, falls er Axilla da vollkommen falsch einschätzte.


    Avianus wollte gerade andeuten, dass sie sich wieder hinlegen sollten, um wenigstens noch ein wenig Schlaf zu bekommen, da machte Sibel eine Bemerkung, die ihn die Stirn runzeln ließ.
    "Hatte er? Woher weißt du das?", fragte er sichtlich überrascht zurück, nicht einmal, weil Antias ein Mädchen gehabt hatte, das war ja gar nicht mal ungewöhnlich bei Soldaten, sondern eher weil Sibel scheinbar zum Teil mehr über seine Leute wusste als er. Warum sie ihn aber so direkt darauf ansprach und vor allem Antias' Fall mit seinem verglich und es ein kleines Geheimnis nannte, machte ihn etwas neugierig. "Was für eine Freundin denn?"

    "Um eine Insula zu finden, wirst du meinen Rat vermutlich nicht brauchen. Wenn du dich nicht gerade in den tiefsten Tiefen der Subura umsiehst, wirst du sicher was Akzeptables finden. Vielleicht am Rand des Esquilin, oder wenn du Richtung Viminal gehst. Irgendwo ist in Rom immer etwas frei." Darum, dass sein Vetter keinen Platz für die Nacht finden könnte, machte Avianus, ich keine Sorgen. In Rom ließ sich immer was finden. Ein Zimmer in der Casa Iunia wäre bestimmt angenehmer gewesen ... theoretisch ... nicht aber, wenn man von der eigenen Cousine gesagt bekam, dass man nicht mehr zur Familie gehörte.
    Bei Senecas Scherz musste er dann doch ein wenig Lachen.
    "Tatsächlich ist eine Kammer in meiner Habitatio frei. Die gehört eigentlich Sibel, aber …" … wir haben festgestellt, ein Bett reicht vollkommen. Das Grinsen in seinem Gesicht sagte vermutlich mehr als tausend Worte. Ein wenig widerwillig stemmte er sich von der Mauer hoch.
    "Wir sprechen uns bestimmt nochmal, oder?"

    Avianus lächelte nur, als sie ihren Blick zu ihm wandte, nur weil die Wirtin nach Getränken fragte. Dabei wäre doch vollkommen klar, was er sagen würde. Dessen musste sich auch Sibel bewusst sein, da sie ja gleich darauf einen Becher Posca bestellte. Anschließend nahm er sich selbst ebenfalls noch etwas Posca, erst recht, da Sibel sich ohnehin setzen wollte.
    "Mir geht es nicht anders", stimmte er glücklich zu, trank einen Schluck und steckte sich ein Stück Brot in den Mund. Aber da gab es ja noch etwas, das er sie fragen wollte. Er war allerdings nicht sicher, wie Sibel darauf reagieren würde, ob sie sich freuen oder ablehnen würde. Bei ihr wusste er oftmals nicht so recht, was er zu erwarten hatte. Er ließ das restliche Brot, das er noch in der Hand hatte sinken und lächelte über den Tisch hinweg zurück.
    "Du … Sibel, ich werde demnächst zu Senecas Hochzeit eine kleine Reise in die Albaner Berge machen", begann er einfach direkt zu erzählen. Im Grunde konnte ja nichts schief gehen. Das schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie ablehnte und er eben nur einen Tag weg war. Allerdings würde er verflucht gerne länger in den Bergen bleiben, auch weil er Seneca anschließend vielleicht sehr lange nicht mehr sehen würde.
    "Ich werde also zumindest einen Tag nicht in Rom sein. Er und seine Verlobte haben angeboten, dass ich auch ein paar Tage länger auf dem Landgut dort bleiben könnte. Aber ich möchte dich nicht länger als nötig in der Castra allein lassen. Deshalb wollte ich fragen, ob du mich begleiten möchtest." Abwartend saß er da. Klar, ein paar Tage außerhalb Roms, etwas frische Luft, aber eben auch fremde Leute und Rummel, je nachdem wie groß oder klein die Hochzeit schlussendlich ausfiel, wobei für Avianus die positiven Aspekte deutlich überwogen.

    "Ich meine ja nur ... es wäre schön gewesen, wenn unsere Familie wieder an einem Strang ziehen würde", sagte Avianus schulterzuckend, "Aber du hast natürlich recht, das wichtigste ist, ihnen die Wahrheit nicht zu verschweigen." Denn irgendwann hätte der Rest der Familie ohnehin davon erfahren. Da war es besser, wenn Seneca ihnen persönlich davon erzählte.
    Und was das betraf, dass es vorerst nichts mehr zu wissen gab über ihn und Seiana ... "Gut, ich nehm dich beim Wort." Dabei lächelte er, denn natürlich er ging nicht davon aus, dass Seneca ihn angelogen hatte, und löste schließlich seine eigenen Arme, um sich mit ihnen auf der Mauer abzustützen.
    "War nur eine Frage ... mach' was auch immer du möchtest", gab Avianus flüchtig grinsend zurück, "Kommst du irgendwo unter? Oder hast du deinen Geldbeutel im Atrium vergessen?"

    "Tja, das dachten wir von den Cohortes auch, bis einer von ihnen einen meiner Soldaten in einem Hinterhof abstechen wollte. Wobei es dabei nur um eine einzelne Gemeinschaft der Sekte in Trans Tiberim geht, die vor ein paar Jahren schon einmal Ärger gemacht hat, als sie unerlaubt missioniert haben", erzählte Avianus von den Problemen mit den lästigen Christianern, "Das unüberlegte Eingreifen von ein paar Urbanern damals hat die Lage eher verschlimmert und niemandem geholfen. Das einzige, was sich seither wirklich verändert hat, ist, dass diese Christianer uns gegenüber noch feindseliger und misstrauischer geworden sind …" Er zuckte mit den Schultern und seufzte kurz. "… und ich darf den Mist mit meinen Leuten wieder aufräumen." So war das eben, irgendwer musste es machen. Den Tag, an dem sie ihr Nest endgültig aushoben, würde er auf jeden Fall feiern. Von denen hatte er die Schnauze eindeutig voll.
    "Mit sowas musst du dich ja nicht mehr rumärgern …", meinte er lächelnd zu Seneca. Über dessen Schreibtischtätigkeit hatte er sich schon in der Vergangenheit den einen oder anderen Scherz erlaubt. Heute beließ er es bei einer Anspielung. Mit der Zeit wurden dieselben Witze auch langweilig. Außerdem würde er selbst vielleicht einmal hinter einem solchen Schreibtisch landen. Und für einen (hoffentlich) baldigen Familienvater wie Seneca war das gar nicht einmal so schlecht. Direkt an der Front zu stehen oder teilweise gefährliche Einsätze leiten zu müssen, wie es als Centurio immer mal wieder der Fall war, und gleichzeitig im Kopf zu haben, dass daheim Frau und Kinder warteten, das konnte einerseits sicherlich ermutigen, sein Bestes zu geben, war gleichzeitig aber bestimmt nicht einfach. Seneca hatte also die Erlaubnis seines Cousins, langweilig zu werden, dachte Avianus sich und schmunzelte ein wenig vor sich hin. Er würde es an dessen Stelle vermutlich nicht anders machen, wenn er denn könnte.
    "Ach was, den Soldaten spendiert er einen freien Abend, etwas Wein und ein paar Weiber, dann sind die wieder für ein paar Wochen zufrieden. Mach' ich auch so", scherzte er dann in Seianas Richtung, "Und du hast zurzeit wohl wirklich genug um diie Ohren. Nach Mantua soll es dann also gehen? Natürlich ... dann könnt ihr euch auch regelmäßig sehen. Und wohl auch, um ein wenig Abstand von dem Ärger hier in Rom zu bekommen, nehme ich an?"

    "Da hast du natürlich recht. Und das hätte ich von dir auch nicht erwartet … also dass du es dem Consular verschweigst. Da hätte ich eher auf das Schreiben verzichtet", wollte Avianus noch kurz klarstellen, bevor er auf Axillas nächsten Vorschlag zu sprechen kam: "Germanicus Avarus … Die Sache ist ja die, ich hatte nur nicht vor, in die Verwaltung zu gehen. Wie ich zuvor sagte, habe ich eine Offiziersausbildung bereits begonnen." Womöglich war aber auch der Zeitpunkt gekommen, an dem er sich eingestehen musste, dass man manchmal nicht alles haben konnte was man wollte, und einen Kompromiss eingehen sollte. Erst recht wenn es so war, wie Axilla sagte, und sogar eine Chance existierte, selbst wenn die gering wäre, dass der Germanicus in wegen seiner ungewöhnlichen Beziehung nicht wieder vor die Tür stellte, sobald er davon erzählte. Und vielleicht hätte der Senator genügend Kontakte, um ihn auch bei einer Karriere beim Militär zu unterstützen. Alles zusammen waren das aber eher Dinge, die er mit dem Senator persönlich besprechen sollte. "Ich werde mir das noch durch den Kopf gehen lassen."


    Ein wenig überrascht blickte er seine Cousine über den Tisch hinweg an, als sie begann, von ihrer Einstellung gegenüber Sklaven zu erzählen und dabei einen unerwartet ernsten Ton anschlug. Er hatte ja nicht vorgehabt Axilla zu verärgern und war deshalb auch etwas verwundert darüber, wie sie ihm antwortete.
    "Ich wollte dir auch nichts dergleichen unterstellen, Axilla", meinte er beschwichtigend, "Ich habe keine Angst, dass sie hier schlecht behandelt wird. Ich weiß den Sklaven in unserer Casa geht es gut. Aber dazwischen, einen Sklaven gut zu behandeln oder mit ihm umzugehen, wie mit einem Freien, ..." - Was er bei Sibel ja tat ... - " ... ist noch einiges an Luft. Doch wie gesagt, ich würde sie vorher ohnehin freilassen, also spielt das alles nicht einmal eine Rolle. Und mein Zimmer kann sie natürlich so oder so haben." Am besten sollte Sibel hier leben wie eine Iunia, hätte er am liebsten gesagt, beließ es aber dabei und hoffte einfach das Thema wäre damit geklärt.
    "Wenn das also alles wäre, sollte ich dann vermutlich zur Castra zurück. Wir werden uns möglichst bald wiedersehen, denke ich."

    "Gute Frage. Das lief wohl alles nicht wie erhofft, was?", ergab Avianus sich schließlich und seufzte leise. Nein, eindeutig nicht.
    "Mich freut es ehrlich gesagt nicht wirklich. Mir wär's lieber gewesen, euch zwei versöhnt zu sehen." Stattdessen hatte er jetzt eine zerstrittene Gens, saß irgendwo zwischen den Fronten und verstand im Grunde nicht einmal, was eigentlich passiert war. Klar, so ungefähr hatte er die Geschehnisse inzwischen entwirrt, aber da stellten sich noch immer furchtbar viele Fragen. Noch dazu tauchten jedes Mal wieder neue Einzelheiten auf, von denen er zuvor noch nie etwas gehört hatte.
    "Du hattest also schon was mit Seiana als sie noch verheiratet war?", kam er darauf zu sprechen, "Ich versteh das, ich habe Axilla auch nicht alles von vorne bis hinten erzählt, und eine Moralpredigt will ich dir deswegen auch nicht halten … aber sollte ich noch andere Dinge wissen?" Dann wandte er seinen Blick zu Seneca und verzog leicht belustigt die Augenbrauen. "Machst du mich gerade nach?"

    Avianus schnaubte kurz, biss sich dann aber auf die Lippe. Was Seneca sagte, stimmte ja irgendwie. Trotzdem ... vollkommen unabhängig davon ob er wirklich etwas hätte bewirken können oder nicht, praktisch wortlos abzuhauen konnte doch selbst Seneca nicht für die beste Entscheidung halten. Gut, wenigstens entschuldigte er sich.
    "Damit hast du vielleicht Recht und ich verstehe das, wenn es dir zuviel wurde, aber du hättest wenigstens etwas sagen können", warf er ein und setzte sich mit verschränkten Armen ebenfalls auf die Mauer.
    "Ich hab sie zum Lachen gebracht. Unfreiwillig. Nach dem Theater, das sie mit dir hatte, fand sie meine Geschichte eher amüsant als besorgniserregend", erklärte er und lachte erneut für einen kurzen Augenblick bitter auf. Es war gar nicht erst irgendetwas passiert. "Danke ... zumindest dafür. Weißt du, nach allem, was ich von dir gehört habe, hatte ich echt ein bisschen Schiss."

    Das war ja nochmal halbwegs gut gegangen. Dennoch ein wenig angestrengt durch die langen Gespräche mit seinen Verwandten fuhr er sich durch die kurzen Haare und trat schließlich durch die Porta ins Freie. Seneca bemerkte er gar nicht gleich, erst als er schon ein paar Schritte gemacht hatte und den Blick hob. Schlagartig blieb er stehen.
    "Ha!", entfuhr es Avianus zunächst nur bitter lachend, während er langsam den Kopf schüttelte. "Du ... Feigling. Ich hätte schwören können, dass du schon über alle Berge bist, bis ich da wieder raus komme ..."
    Seine Augen musterten Seneca ungnädig. Unglaublich. Erst jagte er ihm unnötigerweise eine Heidenangst ein mit seinen Warnungen und Geschichten von einer Axilla, die furienartig jeden ansprang, der nicht exakt das tat, was man von ihm erwartete. Und am Ende ließ er ihn mit seinen Sorgen noch allein im Atrium sitzen, entgegen ihrer kleinen Abmachung. Gut, die hatten sie getroffen, während sie sich nebenher durchgehend Wein in die Kehlen gekippt hatten. Avianus war aber schon davon ausgegangen, in der Hinsicht auf seinen Vetter zählen zu können. Oder wenn er zumindest etwas gesagt hätte. Aber nein, stattdessen floh er förmlich aus der Casa. Da konnte er glatt froh darüber sein, wie gelassen Axilla reagiert hatte.

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    Manius Triarius Seianus
    MILES · COHORTES URBANAE


    Barba schob sichtlich angestrengt den Karren über den Platz. Seianus besah sich unterdessen die Tabula, die ihm der Centurio eben ausgehändigt hatte. Reichlich sinnlos, denn die war selbstverständlich verschlossen, und selbst er verstand: Was der Centurio an Nachrichten verschloss, hatte er bestimmt nicht zu öffnen.
    "Was meinst'n steht da drin? Was schreibt man denn bei so einer Nachricht?"
    "Was passiert ist Seianus, ganz einfach", brummte Barba zurück, "Du könntest mir zur Hand gehen, weißt du das?"
    "Hmhm ...", machte Seianus bloß und wendete die hölzerne Tabula erneut in seiner Hand. Nein, er hatte keine Lust, sich groß anzustrengen. Genau dafür hatten sie ja auch die zwei Tirones zugeteilt bekommen, oder? Deren genaue Namen waren ihm allerdings entfallen.
    "He, du da ...", rief er einem von ihnen zu. Beide waren sie Octavier, so viel wusste er noch, das machte es natürlich einfacher, denn wer von beiden wer wäre, wenn er denn ihre Namen wüsste, daran würde er sich erst recht nicht erinnern. "... Octavius!", setzte er also der Einfachheit halber fort und hielt dem Tiro die Tabula hin. "Du nimmst das da, pass gut darauf auf. Also gut ... Zeit, dass wir uns auf die Socken machen! Du da ... Octavius ...!", wandte er sich an den zweiten Tiro, "Hilf meinem Kollegen mit dem Karren!"
    So ließ es sich leben. Zufrieden mit sich selbst, weil er als dienstältester der vier alles so ausgezeichnet regelte - in seinen Augen jedenfalls - marschierte er vorne weg, um nach dem durchqueren der Porta dem Haus der Gens Germanica entgegenzusteuern. Wenn auch mit einer nicht allzu erfreulichen Botschaft.

    Vor dem Apell noch kam Avianus endlich dazu, die Nachricht an die Germanicer zu verfassen, wozu er während der letzten, wenig erholsamen Nacht ja nicht gekommen war. Engere Familienmitglieder hatte Antias in Rom keine gehabt, soweit er wusste, sodass er die Nachricht schlicht an den Hausherrn der Germanici adressierte und auf übermäßige Gefühlsduselei verzichtete, letzteres auch, weil ihm der Abschied schon so schwer genug fiel.



    Centurio Aulus Iunius Avianus Medico Germanico Avaro senatori s.d.


    Es tut mir aufrichtig leid, diese Nachricht überbringen zu müssen, und auch unsere Einheit trifft dieser Verlust schmerzlich: In der gestrigen Nacht ist der Optio Titus Germanicus Antias ehrenvoll im Dienst gefallen.
    Den Hergang dieses Unglücks möchte ich, trotz aller Trauer, nicht vorenthalten: Laut Bericht der ihn begleitenden Soldaten, wurden sie während einer routinemäßigen nächtlichen Patrouille auf Unruhen in den Straßen aufmerksam. Der Optio Germanicus Antias und ein Contubernium Soldaten schritten ein, wobei der Optio von einem der Schläger überrascht und niedergestreckt wurde.
    Trotz eines zügig erfolgten Transports ins Valetudinarium konnten unsere Ärzte nicht mehr helfen.


    Zumindest ein kleiner Trost ist es vielleicht zu wissen, dass der Verantwortliche bereits zur Rechenschaft gezogen wurde und auch seine Gefährten festgenommen werden konnten.


    Gemeinsam mit dieser Nachricht wird euch der Leichnam überstellt, sodass seine Familie Abschied nehmen und ein pflichtbewusster Soldat Roms angemessen beigesetzt werden kann.


    Vale bene.


    Aulus Iunius Avianus
    CENTURIO COHORTIUM URBANARUM
    COHORS XII · CENTURIA III



    "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", sagte Avianus knapp und mit unverändert guter Laune. Wie hätte sie auch wissen sollen, wovon er ihr nichts erzählte. Und in erster Linie waren sie für Sibel in den Laden gegangen. Nein, ohne Sibel wäre er gar nicht erst auf den Markt gegangen. Deshalb hatte er auch nach ihrer Meinung gefragt und nur für sich allein würde er die Bücher bestimmt nicht kaufen. Auch wenn er glaubte, dass Sibel jetzt, da er es ausgesprochen hatte, schon allein ihm zuliebe entweder gar nichts mehr sagen würde oder ihm raten würde, sie abholen zu lassen. Ein Lächeln auf den Lippen und gleichzeitig leise seufzend schlenderte er mit ihr die Straße entlang. Er wusste, sie meinte es nur gut und wollte ihm bloß nicht zur Last fallen, und irgendwie war es lieb von ihr, mit ihr einkaufen zu gehen machte es aber ein wenig anstrengend. Doch sie machte ja Fortschritte, hatte er glücklich festgestellt, nachdem sie zuvor im Laden um ihre Elegien gekämpft hatte.


    Essen also. Er könnte ebenfalls einen kleinen Imbiss vertragen, warum also nicht. "Klar, ganz wie du möchtest."
    Suchend blickte er sich um, und natürlich, die Auswahl an Garküchen und Gaststätten war erwartungsgemäß enorm, und von allen Seiten roch man die angebotenen Köstlichkeiten. Da Sibel aber keine Anstalten gemacht hatte, auf einen bestimmten Laden zuzugehen, nahm Avianus ihr die Entscheidung ab. Ganz so unterschiedlich war das Angebot ohnehin nicht. Wichtig war nur, dass das Essen in Ordnung und ein Platz für sie frei war, falls Sibel sich setzen wollte.
    Er trat seiner Liebsten in eine der zur Straße hin offenen Garküchen, hinter deren Tresen ihnen eine kräftige Wirtin freundlich entgegenblickte.
    "Für euch zwei? Alles hausgemacht vom Brot bis zum Eintopf", sprach die Wirtin sie an. Einladend hob sie dabei einen der Holzdeckel von der Theke. Ein Schwall nach Gemüse, Speck und Gewürzen duftenden Dampfs stieg ihnen aus dem Kessel darunter entgegen. Avianus lächelte freundlich zurück, würde aber ablehnen. Es war angenehm warm, nicht unbedingt das richtige Wetter für einen heißen Eintopf, und so gewaltig war sein Appetit nun doch nicht. Da konnte das Essen noch so appetitlich duften.
    "Für mich nur etwas Wurst und Brot", bestellte er für sich, "Du Sibel? Wir können uns auch gerne reinsetzen."

    Avianus konnte sich ein Lächeln ebenfalls nicht verkneifen, als sie von dem Kind bereits wie von einer kleinen Person sprach, fühlte sich gleichzeitig aber etwas hilflos. Er konnte da sein, sie trösten, ihr zur Seite stehen, ihr kaufen was auch immer sie wollte oder brauchte, aber ihr direkt helfen, ihr Übelkeit oder Schmerzen nehmen, das konnte er nicht. "Du weißt ja … wenn es etwas gibt, das ich tun kann, dann sag' es einfach."
    Dieses Kind würde ihnen in Zukunft sicher sehr viel mehr schwer machen. Dabei sickerte die Erkenntnis in ein paar Monaten, so die Götter es erlaubten, einen kleinen Sohn oder eine kleine Tochter zu haben, immer noch erst zu ihm durch. Sibel wusste schon längst davon, sie hatte schon Zeit gehabt sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen. Und er? Er saß da, hatte gerade erst davon erfahren, und innerhalb weniger Minuten eine Entscheidung getroffen, deren Folgen er sich gar nicht recht ausmalen konnte. Und trotzdem war er irgendwie froh darüber. Zumindest bei einer Sache war er sich nach wie vor sicher: Irgendwie würden sie es auf die Reihe kriegen.


    "Es ist alles gut. Das Gespräch verlief recht entspannt", antwortete er. Im Gegensatz zu der Diskussion, die Seneca hatte führen müssen. Bei ihm selbst hingegen hatte Axilla zunächst so gelacht, dass sie ihren Wein verschüttet hatte. Avianus lächelte, sowie er sich an die Sorgen erinnerte, die er sich erst gemacht hatte. Jetzt musste er allerdings Sibel berichten, was er ohne ihr Einverständnis bereits bestimmt hatte und ihr womöglich nicht gefallen könnte. Sein Ausdruck wurde etwas düsterer.
    "Ich habe mit meiner Cousine Axilla bereits darüber gesprochen, dich eventuell in die Casa zu bringen. Ich weiß, wie sich das für dich anhören muss … aber ich wollte das alles noch einmal mit dir besprechen, es dir erklären und fragen, was du davon hältst." Er schenkte Sibel entschuldigende Blicke. Jetzt blieb ihnen im Grunde gar keine andere Wahl mehr. "Wir werden noch einmal hingehen, damit meine Cousine Axilla dich kennenlernen kann. Aber du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen, sie will nur wissen, wen sie sich ins Haus holt." Die schwangere Freigelassene ihres Vetters. Davon wusste Axilla bisher nichts. Doch hatte sie selbst schon in seiner Gegenwart davon gesprochen, was wohl das Beste wäre, sollten aus seiner Beziehung Kinder entstehen. Das beruhigte ihn ein wenig. Nur Sibel musste er noch überzeugen.
    "Mir ist das wirklich wichtig, Sibel. Ich wüsste keinen besseren Ort, wo ich dich sonst hinbringen könnte. Dort wärst du versorgt, bräuchtest keine Hausarbeiten zu machen und du wärst nicht allein, falls etwas passiert."