Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    "Ich arbeite mit meiner Centuria an einer größeren Sache zurzeit … wenn da alles glatt läuft, könnte ich durchaus auch den Praefectus um eine Empfehlung bitten. Er schätzt meine Arbeit ja, wie es scheint", schlug Avianus vor, "Einem Empfehlungsschreiben des Purgitius wäre ich aber auch nicht abgeneigt … wenn du denkst, es ist in Ordnung, wenn er die Wahrheit kennt. Ich meine, mit seiner Sklavin zu schlafen ist das eine, aber sie zu lieben und den Wunsch zu hegen, sie zu heiraten, das verstehen wohl die wenigsten." Verstehen … da musste er ja fast lachen. Es gab Leute die ihn dafür verachten würden. Mochte sein, dass er nicht der erste war, der sich in seine Sklavin verliebte, angesehen war es dennoch nicht. Da fragte er sich natürlich auch, ob er einem möglichen Patron davon erzählen sollte und vor allem, wer dann in Frage käme. Wie er das alles hasste. Wenigstens war Sibel heute nicht dabei. Sie hätte sicher nur wieder auf ihn eingeredet, er solle es sich einfach machen und sich von ihr verabschieden.
    "Ich habe mit Seneca bereits über mögliche Patrone gesprochen und den Consular Purgitius sogar in betracht gezogen. Ihn oder auch Claudius Menecrates. Zu den Claudiern engere Kontakte zu knüpfen könnte nützlich sein dachte ich. Aber Seneca war lange nicht in Rom und ich halte mich für gewöhnlich aus der Politik raus, falls du also noch Ideen hast …"


    Avianus hatte zwar nicht angenommen, dass Axilla ihm schlichtweg verbieten würde, Sibel in der Casa unterzubringen, dennoch fiel ihm einmal mehr ein kleiner Stein vom Herzen, als seine Verwandte sich nicht direkt daran störte. Seneca hatte es damals sicher nur gut gemeint, ihn dazu zu ermahnen, seiner Cousine nichts zu erzählen, hatte sich aber ganz offensichtlich geirrt. Lief doch alles einwandfrei.
    "Ich behandle Sibel ja nicht wie meine Sklavin. Und ich würde auch nicht wollen, dass es hier in der Casa anders ist. Außerdem, sollte ich sie hier unterbringen, dann nur als Libertina. Natürlich würde ich mir also wünschen, dass sie ihr eigenes Zimmer bekommt, von mir aus auch meines." Er war ohnehin kaum da und wenn er dann einmal da wäre, würden sie die Nacht ganz bestimmt nicht in getrennten Zimmern verbringen, jedenfalls wenn Sibel nicht das Gegenteil wollte. Und die würde sehr viel eher wollen, dass er gar nicht wieder ging.
    "Und nein … sie ist keine Christianerin, nichts dergleichen. Und sie hat schon ihre Kindheit bei einer römischen Familie verbracht." Vielleicht nicht bei der besten, aber immerhin. Und da konnte Sibel auch herzlich wenig dafür. "Ich bezweifle, dass es in der Hinsicht Probleme geben wird. Am besten lernst du sie aber persönlich kennen." Damit stand die Sache also mehr oder weniger. Er würde Sibel noch einmal herbringen müssen. Entweder das, oder sie würde früher oder später allein in einer Insula enden.

    Avainus' Züge erhellten sich. Hatte Seneca ihm gerade sein Einverständnis gegeben, Sibel mitzubringen? Selbst wenn er es nicht bräuchte – andere Gäste die dort übernachteten, würden sicherlich auch ihre eigenen Sklaven mitbringen –,es ließ dennoch ein Lächeln auf seinen Zügen erscheinen. Er dachte über Sibel ja keinesfalls als Sklavin und Seneca wusste das.
    "Das könnte ich natürlich", stimmte er seinem Vetter gut gelaunt zu und war nicht ganz sicher, was er zu Seiana noch hätte sagen sollen. Vorbereitung war in seinem Fall eher schwierig, aber davon konnte Seiana nichts ahnen. "Jedenfalls werde ich mir eure Hochzeit ganz bestimmt nicht entgehen lassen." Für einen Tag könnte er seinen Optio mit dem Rest der Centuria problemlos allein lassen, und wenn er länger bleiben könnte, dem dann frisch gebackenen Brautpaar nicht auf die Nerven ging und Sibel Freude daran hatte, wäre er dem ebenfalls nicht abgeneigt.


    Er wurde das Gefühl nicht los, dass Seiana noch immer etwas zurückhaltend war. Sie begegnete ihm keineswegs abweisend, im Gegenteil, freundlich und höflich, blieb aber nach wie vor eher sachlich. Vielleicht weil er bisher dasselbe getan hatte, jedoch nur, um das Gespräch nicht in unangenehme Richtungen zu lenken.
    "Naja, was soll ich sagen? Wir Urbaner halten eben die Stadt am Laufen ... Patrouillen, Kontrollen, Wache halten, immer mal wieder Einsätze, wenn es irgendwo Ärger gab, gibt oder welcher zu erwarten ist ... und davon gibt es im Rom ja genug", meinte er lachend, "Hier eine Schlägerei, dort ein Mord … zurzeit halten sich außerdem ein paar Christianer nicht an die Gesetze. Noch dazu habe ich regelmäßig das Vergnügen, die Ausbildung neuer Rekruten übernehmen zu dürfen. Langweilig wird mir jedenfalls nicht." Wie es bei seinen Zuhörern aussah, war wieder eine andere Sache, noch aber schliefen sie zumindest nicht ein, stellte er amüsiert fest. Wobei Seiana ihm sicher auch einiges erzählen könnte.
    "Du warst ja früher bei der Acta tätig … planst du schon etwas für die Zukunft? Oder machst du es wie Seneca, der in den nächsten Jahren vermutlich zum langweiligen Familienvater wird?"

    Wirklich? Es war schwierig eine klare, eindeutige Antwort zu geben, wenn man nebenbei noch all die Sorgen und Ängste im Kopf hatte, wie es bei ihm gerade der Fall war. Er wusste ja nicht einmal, ob er als Vater überhaupt taugte. Nein, das war noch gar nicht genug. Avianus hatte nicht einmal selbst miterlebt, was Väter eigentlich so machten. Er hatte selbst nicht einmal einen gehabt. Aber für sie sorgen, mit den Mitteln die er hatte, so gut er konnte, das würde er zweifellos machen. Alles für sie tun was in seiner Macht stand, das könnte er. Und vielleicht dachte er viel zu kompliziert. Wenn er seine Optionen herunterbrach und sich entscheiden musste, dazwischen ob ihr gemeinsames Kind starb, noch bevor es zur Welt kam, oder lebte und die Chance bekam, die verrückte Geschichte seiner Eltern zu hören oder einfach nur glücklich zu sein, dann fiel ihm die Wahl plötzlich ganz leicht.
    Ja, er wollte es. Denn es war nicht das Kind, das er fürchtete oder nicht wollte, es war die Frage, wie ihre Zukunft aussehen würde. Er wusste nicht, was er machen würde und wie er alle Probleme lösen würde, aber er wollte es. Vielleicht war es unverantwortlich und blöd, so zu denken, kam es ihm. Dennoch, sie hatte gefragt, was er wollte und er war ihr eine Antwort schuldig. Er blickte in ihre verheulten Augen hinab und versuchte sich mehr oder minder erfolgreich an einem Lächeln.
    "Ja, Sibel. Es ist unser Kind. Deines und meines. Stell dir das mal vor. All die Dinge die passiert sind … all das Glück das wir hatten, dass wir an diesem einen Abend zusammen sein konnten und das dabei raus kam … ist das nicht verrückt?" Nachdenklich ließ er die Hand, die er zuvor um sie gelegt hatte, hinunter auf Sibels Bauch sinken. "Es sieht vielleicht nicht danach aus, und das tut mir leid … es ist mitten in der Nacht, einer meiner Männer ist gefallen und ich habe noch hundert andere Sorgen im Kopf … aber ich freue mich. Wirklich, Sibel", versuchte er sich zu erklären. "Nur kannst du hier nicht bleiben, hörst du? Ich werde mich um euch kümmern, aber hier in der Castra wird das nicht funktionieren, du weißt das. Ich schicke dich nicht weg, Sibel. Ich werde nur einen anderen Platz für dich suchen, einen Platz wo du bleiben kannst, und ich werde so oft nach dir … nach euch … sehen wie ich nur irgendwie kann. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht." Er war nun mal Soldat, was sollte er tun? Die einzige Chance, aus den Baracken der Mannschaften herauszukommen, war der Ritterstand, und der würde im Prinzip auch nichts einfacher machen.
    "Vielleicht kannst du in der Casa Iunia unterkommen, wir werden sehen. Ich habe noch nichts davon gesagt, aber meine anderen Verwandten wissen inzwischen von dir ..."

    Der Morgen nach dem Unglück fing ein wenig ungewohnt an. Dass nicht der Optio sondern der Centurio persönlich die Männer weckte und dabei noch dazu nicht allzu frisch aussah, kündigte bereits die Veränderung an, die sich über Nacht ereignet hatte. Avianus wartete, in der einen Hand die Vitis in der anderen seinen Cassis, bis alle seine Soldaten für den Morgenapell antraten, und blickte unterdessen dem warmen Glühen entgegen, welches sich am Himmel abzeichnete, und das baldige Aufgehen der Sonne signalisierte.
    Eine Wahnsinnsnacht, dachte er sich. Nicht unbedingt im positiven Sinne. Selbst wenn nicht nur durchgehend schlechte Nachrichten erreicht hatten.
    "Venite …", rief er den Soldaten entgegen, damit auch die letzten Nachzügler, die nun aus dem Baracken traten, sich schleunigst einreihten. "Milites et Tirones … wir alle wissen, unsere Einheit ist unsere Familie. Ihr alle seid einander Brüder, ihr lebt gemeinsam, teilt euch eure Unterkünfte, esst gemeinsam, kämpft gemeinsam … und manchmal sterben wir auch Seite an Seite. Gestern Nacht ist unser Optio Germanicus Antias gefallen. Und das zeigt uns: Keiner von uns ist vor allem und jedem gefeit, selbst unsere besten Leute nicht. Ihr seid Soldaten, es ist eure Arbeit, euch täglich in Gefahr zu begeben und damit auch, euer Leben aufs Spiel zu setzen, aber das tut ihr nicht allein. Haltet eure also Augen offen, nicht nur für euch, schützt einander, gebt Acht auf einander." Das war es dann besser mit Sentimentalitäten, bevor noch irgendwem die Tränen kamen. Ernst blickte er die Reihen seiner Truppe entlang.
    "Für alle, die sich verabschieden wollen, befindet sich der Leichnam für die nächsten Stunden noch in der Obhut des Valetudinariums. Ansonten gilt: Wachdienst nach Vorschrift. Milites Carnulius Barba und Triarius Seianus, ihr werdet dafür sorgen, dass der Leichnam bis zur hora quinta zur Casa Germanica gebracht wird. Ich werde euch noch eine Nachricht für den Hausherren mitgeben. Die Tirones Octavius Frugi und Octavius Maro werden euch begleiten."
    Die Verlesung des Tagesbefehls nahm er - logischerweise - ebenfalls selbst vor, bevor er die Männer in den Dienst entließ.

    Die härteren Schläge, das kalte Wasser, welches Evander bei Bewusstsein hielt, und weitere Peitschenhiebe zeigten Wirkung. Endlich gab Sarah nach. Nicht ganz so, wie Avianus gehofft hatte, aber immerhin. Vielleicht ließ sich damit arbeiten. Es war jedenfalls besser als nichts.
    "Stopft ihm das Maul." – Womit natürlich Evander gemeint war. Der sollte Sarah schließlich nicht durch irgendwelche Zwischenrufe davon abbringen, ihm zu verraten, was er zu wissen brauchte. Dennoch blickte der Soldat seinen Centurio fragend an. "Na los. Da liegt doch genug Stoff herum."
    Carnulius beugte sich hinab zu dem Fetzen Stoff, der irgendwann in der Vergangenheit einmal Evanders Kleidung gewesen war, blickte ihn angeekelt an, und knüllte schließlich ein Ende davon zusammen. Wenig begeistert trat er zu Evander und stopfte es dem keuchend in seinen Fesseln hängenden Christianer tief in den Mund, dass er es ohne Hände oder fremde Hilfe nicht mehr herausbekäme. Avianus nickte, entließ Sarah auch endlich aus seinem Griff, sodass sie sich wieder aufsetzen konnte, und trat wieder auf die andere Seite des Tisches, von wo aus er sie mit eindringlichen Blicken beobachtete.
    "Gut, Sarah, dann erzähl …", forderte er sie und ließ sich wieder auf seinem Hocker nieder. Wo der Perser sich aufhielt war inzwischen nebensächlich. Wenn sie alle Versammlungsorte dieser Chistianer abklapperten, würden sie früher oder später auch auf ihn stoßen. Außerdem hatten er und seine Kameraden zu seiner Zeit als Prätorianer teilweise mit weitaus weniger arbeiten müssen, um Verbrecher aufzuspüren. Aber es wäre zumindest ein Anfang. Sollte sie doch erzählen, wenn sie meinte. "Ich sagte allerdings, ich will wissen wo ihr euch versammelt, Sarah. Und auch das wirst du mir verraten."

    Avianus machte ihr keine Vorwürfe, dass sie nicht daran gedacht hatte eine Schwangerschaft zu verhindern. Er selbst hatte sich damals im Gespräch mit Seneca noch gefragt, weshalb sie nie schwanger geworden war, sie später aber nie darauf angesprochen. Sibels Botschaft hatte also ihr Gutes, ganz egal was sie von dem Kind hielten, denn so wussten sie zumindest, dass mit ihnen in der Hinsicht alles in Ordnung war. Er sah auf.
    "Natürlich ist es auch deine Entscheidung. Ohne dich funktioniert das alles doch gar nicht. Wenn du es gar nicht wolltest … was sollte ich dann allein mit einem Kind?", warf er ein und deutete damit schon an, dass es nicht sein Wunsch war, dass das Ungeborene in ihr starb. Seine Einstellung half allerdings nichts, wenn Sibel dabei nicht auf seiner Seite stand. Er hatte doch keine Ahnung von solchen Dingen, noch dazu wäre er praktisch nie da. Alles was er tun könnte, wäre eine Amme zu bezahlen und ihr das Kind in die Hand zu drücken, damit es dann mehr oder weniger ohne Eltern aufwuchs, wenn Sibel es überhaupt austragen würde. Umso erleichterter war er, dass sie es gar nicht loswerden wollte. Er legte einen Arm um sie und zog sie zu sich. Mit der anderen Hand griff er nach ihrer und strich ihr mit dem Daumen sanft über den Handrücken. Sie sollte sich beruhigen.
    "Wenn du es möchtest, dann machen wir das, Sibel. Dann kriegen wir das hin, hörst du? Irgendwie machen wir das." Er gab ihr einen Kuss auf die Haare. Er Vater? Vater. Wie seltsam sich das anhörte. Daran müsste er sich erst gewöhnen. "Es wird nicht einfach, das weiß ich. Du wirst nicht mehr hier wohnen können und meine Sklavin wirst du auch nicht bleiben können. Aber wir kriegen das auf die Reihe."
    Dann hätte er eben eine Sorge mehr. Erst recht, wo er erst heute daran erinnert worden war, wie schnell es vorbei sein konnte, wenn man nur den kürzesten Augenblick lang unaufmerksam war. Manchmal reichte auch schon Pech. Auch dafür gab es aber ein Lösungen. Ein Testament eben, das sie absichern würde, oder Seneca, den er zweifellos um Hilfe bitten könnte.

    "Sibel. Sie heißt Sibel", wiederholte Avianus mit einem leichten Lächeln, da Axilla bei all den abenteuerlichen Geschichten ihren Namen zuvor scheinbar überhört hatte.
    "Der Praefectus Urbi persönlich hat mir ans Herz gelegt, eine Offiziersausbildung zu machen, damit ich für Stabsposten qualifiziert wäre. Ich habe damit schon begonnen und Seneca hat mir bereits ein Empfehlungsschreiben für meine Suche nach einem Patron aufgesetzt." Gar nicht mal so schlecht, würde er also sagen. Er besaß weder Grund und Boden in Italia, noch hatte er sich bisher mit einem möglichen Patron in Verbindung gesetzt. Aber die Möglichkeit war eben da.
    Axillas nächster Punkt brachte ihn wieder ins Grübeln.
    "Ich weiß …" Nachdenklich biss er sich auf die Unterlippe. Er wollte gar nicht daran denken, was geschah, wenn ihm etwas zustieße. Es ganz einfach zu verdrängen war allerdings auch keine Lösung. Axilla hatte Recht, selbst wenn er ahnte, was Sibels Reaktion wäre, wenn sie etwas davon mitbekäme, dass er ihretwegen ein Testament verfassen wollte. Aber ganz gleich was er machte, Sibel wäre vermutlich nie begeistert davon. Wenn er sie etwa jetzt sofort freilassen würde, müsste sie aus seiner Habitatio in der Castra ausziehen. Auch Avianus würde sich nicht direkt darüber freuen, obwohl er wusste, dass es das Beste für sie war. Er würde wohl einfach Sibel darauf ansprechen, auch wegen Axillas zweitem, gar nicht unvernünftigem, Argument.
    "Ich werde mit ihr darüber reden. Vorher würde ich aber gerne wissen, ob hier in der Casa Platz für sie wäre. Ich meine, ich könnte ihr problemlos eine Insula mieten. Aber bei dem Gedanken, dass sie dort allein lebt, ist mir nicht wohl." Da wäre ihm ein Zimmer in der Casa Iunia um ein Vielfaches lieber. Und für den Fall, dass Axilla sich keine Fremde ins Haus holen wollte, rang er sich zu einem etwas gewagten Vorschlag durch. Ihr letzter Besuch in der Casa war wenig erfreulich verlaufen und Sibel davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee war, auch seine restliche Verwandtschaft kennenzulernen, stellte er sich nicht leicht vor, aber daran käme er auf Dauer sowieso vorbei:
    "Ich kann sie vorher auch gerne nochmal mitbringen, dann könnt ihr sie kennenlernen."

    Axilla versuchte die komplizierte Geschichte, die hinter ihm und Sibel lag, zu entwirren. Einiges davon stimmte soweit auch, aber einige Lücken galt es noch zu füllen. Und noch dazu stellte Axilla ihm ein paar berechtigte Fragen, die er noch beantworten wollte.
    "Ja, so in etwa. Also sie ist etwas jünger als ich. Ihre Besitzer sind gestorben, deshalb ist sie, Sibel, weggelaufen. Sonst hätte man sie vermutlich an den nächstbesten verkauft. Und nachdem ich aus Germania zurück war … ich konnte sie erst nicht finden, weil sie im Carcer der Cohortes Urbanae saß. Ein Soldat wollte sie vergewaltigen, sie hat sich gewehrt und der Scheißkerl hat sie dann einfach festgenommen. Sie war wohl halb tot als sie sie wieder freigelassen haben", erklärte er bereitwillig, was Axilla noch nicht wusste, "Da hat man sie im Lupanar aufgenommen, nur hatte der Helvetius ein Problem mit ihrer Vergangenheit und von ihr verlangt, dass sie sein Eigentum wurde, wenn sie nicht wieder auf der Straße landen wollte. Sie konnte gar nicht anders als einzuwilligen, und ich habe sie dann gekauft." Das war dann also das komplette Drama. Fast jedenfalls. Die Vorgeschichte hatte er bisher weggelassen und würde es vermutlich fürs erste dabei belassen. Er wusste, was er bisher erzählt hatte, könnte schon Stoff für ein Theaterstück sein, da musste er nicht unbedingt sofort noch einen drauflegen. War nur zu hoffen, dass Axilla alles weiterhin gelassen nahm, wobei er ohnehin schon unfassbar froh darüber war, dass sie ihm bisher keine Vorwürfe gemacht hatte.
    "Ich weiß, das alles ist ein wenig verworren, aber all diese Dinge … die sind einfach passiert. Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen, und ich hoffe zumindest, dass ihr Verständnis dafür aufbringen könnt, wenn sie bei mir bleibt, als Sklavin, Konkubine, was auch immer. Wenn sie das möchte jedenfalls. Ich weiß wie unrealistisch es ist, auf mehr zu hoffen, etwa darauf, dass sie einmal meine Frau sein könnte. Aber sie fallen lassen … das kann ich nicht. Die Dinge, über die du Bescheid weißt, sind nur ein Bruchteil dessen, was sie durchmachen musste. Sie hat einfach Angst ..." Den Gedanken, dass ihr noch mehr zustoßen könnte oder dass sie ich erneut etwas antat … das könnte er nicht ertragen. Über Axillas kleinen Scherz konnte er deshalb auch nicht lachen und setzte stattdessen nur ein dünnes Lächeln auf.
    "Das mit dem Patron ist eben so eine Sache. Bei euch kann ich da eher noch auf Verständnis hoffen, dachte ich. Aber was ein einflussreicher Senator dazu sagen würde, der mich im Grunde gar nicht kennt ...?"

    Avianus hörte zu wie ihre Stimme immer weinerlicher wurde und dann endlich ein Geständnis aus ihr herausbrach, das ihn innehalten ließ, und er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Na klar, es machte alles Sinn, ihr Verhalten und dass sie sich in letzter Zeit ständig schlecht fühlte. Hatte er nicht irgendwie etwas geahnt? Nein, nicht genug jedenfalls, denn er fühlte sich gerade vollkommen überrumpelt, obwohl er es hätte ahnen sollen. Er hatte sich ja schon gefragt, ob bei ihnen irgendetwas nicht stimmte, weil es bisher nie so weit gekommen war. Oder hatte sie ihm da nur nichts erzählt? Nein … nein, seine Gedanken machten sich gerade selbstständig. Außerdem sollte er etwas sagen. Irgendetwas.
    "Schwanger …? Ein … Kind?", brachte er noch irgendwie heraus. Krieg jetzt bloß keine weichen Knie, sagte er zu sich selbst, vor allem weil schon Sibel nicht richtig gerade stehen konnte. Er musste sich beruhigen. Sie musste sich auch beruhigen … Außerdem standen sie vor den Unterkünften und sie verkündete lautstark ihren Zustand – alles andere als günstig. Sanft zog er ihre Schultern hoch.
    "Wir sollten … wirklich nach drinnen gehen, Sibel", wiederholte Avianus. Sollte sie sich erneut übergeben müssen, könnte sie einen Eimer haben, aber hier draußen weiterzureden war eine denkbar schlechte Idee, egal wie spät nachts es auch sein mochte.
    "Komm …" Er schlang einen Arm um ihre Taille und schob sie neben sich her. Er hätte sie tragen können wie sonst so oft, stand aber selber merklich neben der Spur, und wenn er sich dabei blöd anstellte, passierte Sibel noch etwas. Ihr Geständnis hatte ihn gerade ein Vielfaches besorgter um sie werden lassen. Er dachte gar nicht daran, sie loszulassen, für den Fall das ihre Beine doch noch nachgaben. Außerdem stand sie mitten in der Nacht barfuß, nur in einer Tunika, vor den Baracken. Bestimmt fing sie noch an zu frieren, wenn sie länger hier draußen stand. Und einmal mehr standen ihr die Tränen in den Augen.
    Er brachte sie nach drinnen in den Wohnraum um sich dort mit ihr auf der Kline niederzulassen. Er setzte sich neben sie, während ihm immer noch die Worte fehlten. Sonst waren Schwangerschaften doch immer gut. Die meisten Leute freuten sich darüber. Er wusste, bei ihnen war es etwas anders als bei gewöhnlichen Paaren. Aber Sibel verunsicherte ihn noch mehr, als es ohnehin schon der Fall war. Sie hatte von Schuld gesprochen. Sie trüge Schuld daran … nicht nur, als würde sie sich nicht freuen. Es klang gerade so, als hielt sie es für einen großen Fehler.
    "Was meintest du mit … Schuld? Hättest du etwas … unternehmen wollen?" Ein wenig verpeilt fummelte er am Saum seiner Tunika herum. "Möchtest du es gar nicht?"

    Sibel reagierte exakt so wie Avianus es erwartet hatte, nein, sogar noch etwas heftiger. Dabei hatte er gar nicht gewollt, dass sie sich deswegen schlecht fühlte. Selbst er fühlte sich schon lange nicht mehr schlecht wegen seines Bruders. Es war ja nicht so als ob irgendjemand etwas dafür konnte oder man es hätte verhindern können. Es war eben einfach passiert, wie so vieles in seinem oder auch ihrem Leben.
    "Das braucht dir nicht Leid zu tun. Es ist in Ordnung, Sibel", entgegnete er und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.


    So recht wusste er dann nicht, ob Sibel von der Idee, mehr als ihre beiden Bücher mitzunehmen wirklich begeistert war. Vor dem Händler hatte sie zwar keine Einwände, als der aber abgezogen war sehr wohl.
    "Mach dir nur einmal keine Sorgen ums Geld, Sibel", fiel Avianus ihr beinahe ins Wort, keinesfalls schroff sondern eher schmunzelnd, "Wir sparen doch ständig ..." Er kaufte praktisch nie etwas teures, sie erst recht nicht und sein Sold verstaubte folglich in einer Truhe. Es sprach also wirklich nichts dagegen, es sich heute gut gehen zu lassen. "... Von dem Geld, das ich zur Seite gelegt habe, nur um dich zu kaufen, ist immer noch einiges übrig." Er legte ihr den Arm um die Taille, schob sie auf die Tür zu und redete derweil weiter:
    "Wir können es uns ja noch überlegen bis zum Abend. Außerdem wäre es eine gute Investition. Man kann nie genügend Bücher haben, musst du wissen. Erst recht nicht wenn man gerne liest. Und wer weiß, vielleicht les' ich selbst ja auch mal wieder was." Konnte sie da noch nein sagen? Hoffentlich nicht, denn ansonsten gingen ihm die Argumente aus. Doch selbst dann könnte er sie mit den Büchern immer noch überraschen. Inzwischen hatte er ohnehin das Gefühl, wenn er ihr eine Freude machen wollte, musste er sie fast überraschen. Mit dem völlig offenen Äußern von Wünschen hatte sie es bekanntermaßen nicht so.
    Draußen wurde er im ersten Moment wieder durch das im Gegensatz zum eher dämmrigen Buchladen helle Sonnenlicht geblendet. Ein wirklich schöner Tag. Einfach perfekt, dachte er. Wie gut, dass Sibel vorgeschlagen hatte, dass sie gemeinsam etwas unternahmen. Denn was gab es schöneres, als einen sonnigen Nachmittag mit ihr gemeinsam zu verbringen und später den Abend ebenfalls mit ihr ausklingen zu lassen, nach einem guten Essen und vielleicht nachdem sie einen Blick in die eben gekauften Schriftrollen geworfen hätten.
    "Also gut, wo möchtest du hin? Hast du Hunger? Durst? Sehen wir uns noch ein wenig um. Und am besten führst du uns an", meinte er fröhlich, "Ich bin sicher, du kennst dich hier inzwischen sehr viel besser aus als ich."

    Avianus fand es ein wenig seltsam, dass Seneca sich nicht direkt zu ihnen setzte, ließ es aber unkommentiert, und nahm sich einfach vor, sich Seiana gegenüber von seiner besten Seite zu zeigen. Etwas anderes blieb ihm auch nicht übrig, jetzt wo Seneca scheinbar nur noch mit halbem Ohr zuhörte und ihn nicht mit einem Stupser vor irgendwelchen Fettnäpfchen warnen könnte.
    Sein Lächeln wurde kurz zu einem Grinsen. Ausgerechnet Seiana tat so, als fände sie sein Leben als Centurio interessant, und konnte nicht anders, als sich ein kleines bisschen geschmeichelt zu fühlen. Selbst wenn sie es wohl nur sagte, um nicht unfreundlich zu sein. Sie, die Schwester eines gewesenen Gardepräfekten und Nichte des Praefectus Urbi. Er war wahnsinnig stolz auf seinen Posten, keine Frage, aber was waren die Geschichten eines kleinen Centurios gegen jene der mächtigsten Männer des Reiches. "Du kannst dich dessen ja gerne vergewissern", lud er sie ein, ihrerseits die eine oder andere Frage zu stellen.
    Überraschenderweise hatte sich sein Vetter bei der Frage nach der Hochzeitsfeier dennoch eingeklinkt, obwohl er seinen Sitzplatz ein wenig abseits gewählt hatte. Avianus nickte wissend und sein Grinsen ebbte wieder etwas ab. Er war keineswegs überrascht, dass die Feier kleiner ausfallen würde. Von den Iunii würde schon kaum einer dort aufkreuzen. Vom Bräutigam mal abgesehen vermutlich nur er. Wie es auf Seiten der Decimi aussah, konnte er nicht beurteilen, konnte sich aber gut vorstellen, dass dort auch nicht jeder vor Begeisterung Luftsprünge machte.
    "Ich verstehe. Die Albaner Berge … eine gute Alternative", stimmte er nickend zu, "Ruhig. Ein wenig außerhalb. Perfekt für eine kleine Feier im engen Kreise." Seianas Angebot würde er einerseits nur zu gerne annehmen, jedenfalls wenn eines noch geklärt würde: Was wäre solange mit Sibel? Auf gar keinen Fall würde er sie alleine in Rom lassen. Darüber, ob sie ihn begleiten könnte, wenn auch nur als Sklavin, oder es vor allem wollte, war er sich nicht sicher. Da würde er erst noch mit Sibel ein paar Worte wechseln müssen. "Dein Angebot ist wirklich verlockend, Seiana, und ich würde es wirklich gerne annehmen, falls es sich einrichten lässt. Ich sitze schon ewig hier in Rom fest. Allerdings bin ich in letzter Zeit schwer beschäftigt …" Seneca schenkte er unterdessen vielsagende Blicke. Der wusste vermutlich, wovon er sprach. "Ich werde sehen was sich machen lässt. Es sei denn natürlich, ich muss mich sofort entscheiden."

    Während sich Axilla die Seele aus dem Leib lachte, saß er zunächst nicht weniger verlegen da als zuvor. Seneca hatte ihn mehr als einmal gewarnt, Axilla nichts zu erzählen, und die fasste sich ganz plötzlich kaum mehr. So langsam verstand er, dass seine Sorge vielleicht vollkommen überflüssig gewesen war. Womöglich auch gerade weil Seneca sie mit der Hiobsbotschaft seiner baldigen Hochzeit – für Axilla es das jedenfalls war es das – überrumpelt hatte, war sie jetzt derart erleichtert.
    "Freut mich, wenn du das so witzig findest", versuchte Avianus seine Verlegenheit zu überspielen und lächelte leicht. Zumindest hatte er durch ihre Reaktion das Gefühl, etwas offener darüber reden zu können.
    "Danke. Aber genau da ist der Haken … eine Ritterkarriere ist eigentlich genau das, auf was ich aus bin, und gleichzeitig würde ich sie auch gerne heiraten. Ich weiß nicht recht, was ich machen soll. Wir haben mit Seneca geredet und er wusste ebenfalls keinen Rat. Deshalb wollte sie sich ertränken, um mir nicht im Weg zu stehen. Ja, sie war es, die fast ertrunken wäre." Bedrückt schluckte er ein wenig, selbst wenn das schon wieder eine Weile her war. Wer wusste was passieren würde, wenn Sibel noch einmal dasselbe versuchte. Das nächste Mal war vielleicht niemand zur Stelle, um ihr zu Hilfe zu kommen. Aber das war noch lange nicht alles und es gab ja nicht nur Schlechtes zu berichten. Er und Sibel hatten in den Jahren ihrer Beziehung auch Fortschritte gemacht, wenn man so sagen wollte. Seit sie sich in Gewalt eines Mörders für ein paar Asse auf der Straße anbieten hatte müssen, hatte sich einiges verändert. So viel, dass sie jetzt Tag und Nacht bei ihm sein konnte und nicht mehr zu befürchten hatte erwürgt zu werden, wenn sie den kleinsten Fehler machte.
    "Ihr ursprünglicher Besitzer und dessen Familie sind dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen. Deshalb haben wir erst versucht, sie als Peregrina auszugeben. Erinnerst du dich daran, als Seneca, ich und ein paar weitere Prätorianer damals nach Germania reisen mussten?" Er war sich nicht sicher, ob er Axilla einmal davon erzählt hatte oder vielleicht auch Seneca, aber bestimmt war ihr nicht entgangen, dass ihre beiden Vettern wochenlang nicht in Rom gewesen waren. "Ich und sie, wir haben uns damals aus den Augen verloren, und ein Lupanarbesitzer hat sich währenddessen zu ihrem Dominus erklärt. Als ich davon erfuhr, habe ich sie ihm abgekauft. Mit Papieren und allem. Es ist nicht ganz legal, aber es wird reichen. Wer sollte da klagen und der Fehler liegt ja nicht bei mir sondern beim Helvetius."

    Schweigend hörte Avianus Axillas Vortrag zu. Natürlich war, was Seneca getan hatte, brandgefährlich. Aber er konnte von seinem Vetter wohl kaum verlangen, wozu er selbst nicht in der Lage war. Er hatte es bisher nicht geschafft, Sibel hinter sich zu lassen, ganz gleich was passiert war und solange nicht alles verloren war, würde es vermutlich auch so bleiben. Zweifellos war Senecas Situation schwieriger, doch im Grunde nicht ganz so anders, und der tat offenbar dasselbe wie er: An seinem Mädchen festhalten, solange der letzte Funke Hoffnung noch nicht erloschen war. Hin und wieder nickte er. Nein, die Welt interessierte sich definitiv nicht dafür, ob man verliebt war – eine Bemerkung die ihn ein wenig nachdenklich stimmte. Das hatte auch er schon lernen müssen. Aber wenn es einmal soweit war und man sich voll und ganz auf diesen anderen Menschen eingelassen hatte, schien es oft vollkommen unbedeutend, was der Rest der Welt davon hielt. Man vergaß es, verdrängte es, wollte nicht zulassen, dass dieser Gedanke das eigene Glück zerstörte. Blind vor Liebe traf es ganz gut.
    Am Ende blickte er, sowie sie sich auf dem Sessel niederließ, ein wenig betreten aus der Wäsche und hoffte, sie erwartete nicht, dass er noch etwas dazu sagte. Er verstand sie ... irgendwie. Nur verstand er auch Seneca, und damit sie begriff, müsste er vermutlich erst offenlegen, was es mit seiner Beziehung auf sich hatte.
    "Nein, es ist tatsächlich so … es gibt da eine Frau", begann Avianus eher vage, da er noch überlegte, wie viel er erzählen und was er lieber unter den Tisch fallen lassen sollte. "Sie ist Sklavin und als wir uns trafen, war sie noch dazu eine entlaufene. Inzwischen hat sich einiges geändert, sodass sie seit einiger Zeit mir gehört und bei mir lebt. Deshalb möchte ich, dass ihr es endlich wisst. Ich hätte euch, also dir und Silanus, früher davon erzählen sollen, und dass ich es nicht getan habe tut mir leid, aber ich wusste nicht wie. Anfangs habe ich auch gar nicht gedacht, dass etwas so ernstes daraus werden könnte." Das reichte für's erste, dachte er und wartete ab, was nun an Reaktionen folgen würde. Mit der kompletten Geschichte von vorne bis hinten könnte er ohne Probleme einen ganzen Nachmittag füllen, sodass er unwichtige (oder auch unangenehme) Details gekonnt wegließ. Wie etwa, dass Sibel lange Zeit Lupa gewesen war.

    Seine Bemühungen, ihr vorzugaukeln, im Grunde wäre doch alles in Ordnung – der Griff nach ihrer Hand, der Kuss, den er ihr auf die Finger drückte und auch der klägliche Versuch eines Lächelns – all das half nicht. Und spätestens als sie den Namen des Optios aussprach, ließ Avianus seine Hand gemeinsam mit ihrer auch wieder sinken, das Lächeln verblasste und er nickte kaum merklich. "Ja …"
    Sibel wusste besser Bescheid, als er erwartet hätte, und als sie so schockiert reagierte, wünschte er, er hätte gar nicht erst davon angefangen. Genau das war es doch, was er hatte verhindern wollen! Sie sollte nicht beunruhigt sein. Sie sollte sich keine Sorgen machen müssen.
    Plötzlich ließ sie ihn dann am Schreibtisch zurück und stürmte nach draußen. Es mussten wohl seine Worte gewesen sein, die sie dazu brachten. Hätte er doch nur weiter geschwiegen. Sie hatte ihn ja nicht einmal dazu gedrängt, etwas zu erzählen.
    Auch er sprang gleich von seinem Stuhl auf. "Sibel?", fragte er besorgt und folgte ihr durch die Habitatio. Die Tür nach draußen stand weit offen. Im Türrahmen blieb er stehen, erspähte Sibels Silhouette in der Dunkelheit und konnte gar nicht anders, als seine Trauer vorerst beiseitezuschieben. Dass es ihr gut ging, konnte sie ihm so oft erzählen, wie sie wollte, da war etwas, dass sie ihm verschwieg. Ihm schlug nämlich bereits der Geruch von Erbrochenem entgegen, als er auf sie zutrat. Etwas unbeholfen nahm er sie bei den Schultern.
    Warum erzählte sie ihm nicht endlich was los war, war die Frage die ihm auf der Zunge brannte.
    "Sibel, gehen wir wieder rein … soll ich einen Medicus holen?", fragte er stattdessen. Dabei ahnte er, auf die Art und Weise würde er vermutlich nie erfahren, was los war. Er hatte doch so schon genügend Sorgen, seit heute Nacht erst recht, die Sache mit Sibel, eine seiner größten Sorgen, wollte er endlich einmal vom Tisch haben, sodass er sich doch einmal überwand, einen etwas ernsteren Ton anzuschlagen, wenn auch nur aus Angst um sie:
    "Und erzähl mir nicht, dir geht es gut. Das hier ist alles, aber sicher nicht gut."

    Es war nicht so, dass er es ihr nicht erklären konnte oder wollte. Und vielleicht wäre es sogar gut, ihr davon zu erzählen, denn in der Vergangenheit hatte es ihm immer ein wenig die Last von den Schultern genommen, seine Sorgen mit ihr zu teilen. Doch eigentlich hatte Avianus einfach nur gewollt, dass sie sich ausruhte. Stattdessen dachte sie gar nicht daran, sich wieder ins Bett zu legen, kam auf ihn zu und spendete ihm Trost, wie seine Liebste es immer tat, wenn er es brauchte.
    Er lehnte sich etwas an sie, schloss zumindest einen Atemzug lang die Augen, gönnte sich die kleine Pause, die er sich schon gewünscht hatte, als er draußen durchs Lager gelaufen war. Natürlich genoss er ihre Nähe und Aufmerksamkeit, und suchte gleichzeitig nach einem Weg sich zu erklären, ohne ihr gleichzeitig dieselben Sorgen zu bereiten, die er gerade in sich trug.
    Als Offizier war es seine Aufgabe möglichst vor allen Eventualitäten gefeit zu sein. Doch immer wollte es ihm nicht gelingen, so wie heute eben. Und für den Fall, dass ihm etwas zustieß, hatte er ebenfalls keine Vorkehrungen getroffen. Nein, da musste erst sein Optio sterben, damit er aus seiner heilen Welt gerissen wurde, die er sich so gerne vorspielte seit Sibel bei ihm war, und darauf aufmerksam wurde, dass es einen als Soldat jederzeit erwischen konnte.
    "Ich hab' heute Nacht meinen besten Mann verloren", erklärte er schlicht, "Das ist alles." Und das war auch mehr als genug für eine Nacht. Er griff nach ihrer Hand, küsste sie flüchtig und zwang sich ein halbherziges Lächeln auf die Lippen.

    Die Reaktionen seines Cousins und dessen Verlobter auf seinen Scherz amüsierten ihn, vor allem Senecas etwas hilfloser Einwand.
    "Keine Angst Seneca, ich verrat' schon nicht zu viel", meinte Avianus zu seinem Vetter und musste sich ein Lachen verkneifen. Bestimmt wusste er, dass er nur Witze machte, wie immer eben. Alte Gewohnheiten wurde man eben nur schwer los und Seneca kannte ihn ja lange genug.
    Dann waren da noch die Worte, mit welchen sein Verwandter ihn beschrieb, und auf die ihm erst keine andere Reaktion einfiel als nach wie vor breit zu grinsen. Es bedeutete ihm wahnsinnig viel, dass Seneca so große Stücke auf ihn hielt. Das beruhte zweifellos auf Gegenseitigkeit. Was war besser als einen Freund zu haben, der auch dann noch da war, wenn man nicht immer nur alles richtig machte, und der Fehler nicht nur akzeptierte oder hinnahm, sondern einem dennoch treu zur Seite stand.
    "Und du könntest dafür so freundlich sein, mich nicht in Verlegenheit zu bringen", kommentierte er schlussendlich und wandte sich wieder an Seiana, "Gerne … setzen wir uns." Bevor sie hier noch ewig herumstanden.
    Er ließ sich mit den beiden in der Laube nieder und wusste nun nicht recht, was er fragen oder sagen sollte, obwohl Seiana ihm so offen angeboten hatte, seine Fragen zu beantworten, denn es war verdammt schwierig, nicht auf den Streit mit seiner Familie oder sonstige heikle Themen zu sprechen zu kommen. Schönes Wetter heute, sparte er sich ebenfalls.
    "Auf dieses Angebot komme ich später sicher gerne zurück und bitte dich, dasselbe zu tun, falls dich etwas interessiert. Obwohl es über mich nicht allzu viel zu wissen gibt", sagte er deshalb einfach mal freundlich, ohne schon in den ersten Minuten ihres Treffens damit anzufangen, in Seianas Vergangenheit und Privatleben abseits von der Sache mit seinem Cousin nachzubohren.
    "Seneca und ich haben schon so einiges zusammen erlebt. Nach den Jahren, die ich nun schon in Rom verbracht habe, ist er einer der wenigen Freunde, die mir immer treu geblieben sind, und ich dachte immer, ich wüsste über alles wichtige Bescheid …", griff er erneut auf, womit Seneca zuvor angefangen hatte, allerdings nicht in vorwurfsvollem Ton, sondern mit einem Lächeln. "Also ja … ich war überrascht …" Darüber, dass er zunächst nicht sonderlich begeistert reagiert hatte, als Seneca ihm das mit Seiana gebeichtet hatte, verlor er selbstverständlich kein Wort. Man musste unangenehme Situationen nicht herausfordern, außerdem wollte er darauf auch gar nicht hinaus: "Aber ich gönne ihm dieses Glück, das er mit dir so offensichtlich hat. Er hat es verdient." Knapp nickte er Seneca zu und lehnte sich etwas zurück.
    "Nun … genug davon. Ihr heiratet ja. Schon irgendwelche Pläne deswegen?"

    Sim-Off:

    Ähem ... ob ich meine Tirones mehrmals trete, ist immer noch meine Entscheidung. ;)


    "Gut, Tiro", lobte Avianus erst, nicht direkt, weil er an der Antwort absolut nichts auszusetzen hatte, sondern eher, weil der Tiro tatsächlich den Atem gefunden hatte, überhaupt etwas Brauchbares zu sagen. Der Centurio war also halbwegs zufrieden.
    "Wir sind aber nicht bei den Legionen. Folglich gibt es bei den Cohortes Urbanae keine Legionäre. Ihr werdet - hoffentlich - eines Tages zu Milites befördert werden. Milites gregarii, um genau zu sein", verbesserte er schließlich den Tiro und marschierte weiter zwischen den Tirones hindurch, die sich am Boden in voller Ausrüstung durch ihre Liegestütze quälten. Aber genau das war ja seine Aufgabe und der Grund weshalb er Fragen stellte: Um Wissenslücken seiner Rekruten aufzuspüren und sie möglichst erfolgreich zu füllen.
    "Außerdem sollt ihr wissen, dass die Immunes keinen höheren Rang in dem Sinne haben, sondern lediglich einfache Soldaten sind, denen Sonderaufgaben zugeteilt wurden. Sie erhalten weder höheren Sold noch haben sie zusätzliche Befehlsgewalt. Anders verhält es sich allerdings bei den restlichen Principales. Einer der wichtigsten Principales, den Optio, hast du bereits erwähnt, Tiro. Weitere wären etwa der Signifer, der Tesserarius oder der Imaginifer", erklärte er und versuchte dabei nicht zu ausschweifend zu werden, während seine Tirones sich weiter abmühten. Gerne hätte er noch etwas länger die verschiedenen Aufgaben erklärt, hätte dafür aber gut eine ganze Übungseinheit opfern können und war sich zudem sicher, es fand sich später ein geeigneterer Zeitpunkt, um die Tirones mit ein paar Fragen mehr zu löchern, was ohnehin unterhaltsamer für ihn wäre, als Monologe führend über den Platz zu schreiten.
    "Surgite*, Tirones. In agmen venite**! Für den rest des Tages werdet ihr marschieren!", befahl er, als er davon ausging, dass alle Tirones ihre Liegestütze abgearbeitet hatten, "Mit dem linken Fuss zuerst! Aequatis passibus***! Pergite****! Links! Links! Links!"


    Sim-Off:

    * Aufstehen
    ** In Kolonne antreten
    *** Im Gleichschritt
    **** Marsch

    Oh, und wie er sie geliebt hatte. Sie soll ja seine erste große Liebe gewesen sein. Bis sie sich ein paar Jahre später zerstritten haben, behielt er dabei einfach mal für sich. Darum ging es in den Büchern ja auch gar nicht, sondern nur um die schöne gemeinsame Zeit der beiden. Nicht um das Ende. So wie bei Sibel und ihm eben auch.
    Avianus hatte den richtigen Riecher gehabt, wie es sich herausstellte, denn kaum rollte er das Buch zusammen, wollte ihn Sibel bereits daran hindern, es wieder wegzulegen, was er ja ohnehin nicht vorgehabt hatte. "Ich wollte es auch gar nicht zurückzulegen", sagte er leicht belustigt, "Und ich sagte, wenn du etwas möchtest, sollst du es einfach sagen." Was dachte sie also, würde er jetzt tun? Sie glaubte doch nicht ernsthaft, er würde ihr ihren Wunsch ausschlagen, ausgerechnet nachdem er klargestellt hatte, dass sie haben könnte, was auch immer sie wollte.


    Kurz überlegte er, wie viel er von seinem Bruder erzählen sollte, sowie sie nach Regulus fragte. Sie sollte sich keine Sorgen machen. Das logischste wäre natürlich einfach zu erzählen, was da auch immer zu wissen war oder sie wissen wollte, um zu signalisieren, dass er darüber hinweg war. Immerhin war sein Bruder schon ein gutes Jahrzehnt tot. Er hatte schon lange damit aufgehört, sich darüber allzu viele Gedanken zu machen.
    "Ja … wir sind zusammen in Misenum aufgewachsen", antwortete er also bereitwillig, "Er ist ein paar Jahre vor mir den Cohortes Urbanae beigetreten, aber während der Grundausbildung an einer Krankheit gestorben." Und das obwohl er immer das Gefühl gehabt hatte, Regulus wäre von ihnen beiden mehr Soldat. Dennoch hatte er sich nicht gegen die Tradition seiner Familie wehren können. Der Vater bei der Legion, der Bruder bei den Urbanern, da war ihm kaum etwas anderes übriggeblieben, auch wenn es seiner Mutter vermutlich anders lieber gewesen wäre, nachdem sie schon zwei Männer an den Exercitus verloren hatte.
    Währenddessen ging er wieder auf den Alten zu.
    "Das hier nehmen wir auch noch mit", sagte er und hielt dem Mann die Schriftrolle hin, der sich kurz das Etikett besah. Die Züge des Alten erhellten sich.
    "Ah, Propertius und eine sehr hübsche Abschrift noch dazu … 16 Sesterze."
    Avianus zählte die Münzen aus seinem Beutel und warf noch einmal einen Blick über die Schulter, hinüber zu dem Regal mit der Argonautica. Glücklicherweise schleppte er gar nicht seine halben Ersparnisse mit sich herum, sodass er gar nicht erst in Versuchung geriet. Nicht direkt jedenfalls.
    "Was meinst du, Sibel? Die Argonautica des Valerius da hinten … die könnten wir später abholen lassen", meinte er, als er dem Mann eine Handvoll Münzen reichte.
    "Ihr zwei habt ja doch ein wenig Geschmack. Ich kann sie bis heute Abend zur Seite legen und dir einen guten Preis machen, wenn du willst."
    "Tatsächlich?", kommentierte Avianus, sah amüsiert zu Sibel und wartete ab, was sie davon hielt. Dass er die Bücher ebenso gerne lesen würde, ließ er erst einmal außen vor. Ein derartiges Epos wäre kein Schnäppchen, und für sich allein würde er es ganz bestimmt nicht kaufen.

    Noch bevor er die Gelegenheit bekam, auf Axillas letzte Worte zu reagieren, brach Seneca die Diskussion ab. Vermutlich war es wirklich besser so, aber er beendete nicht nur die Unterhaltung, nein, er wandte sich ab. Avianus blickte ihm leicht angefressen nach. Zwei gegen zwei hatten sie gesagt. Und plötzlich machte sich Seneca aus dem Staub, nachdem sein Geständnis draußen war, und ließ ihn mit seinem allein zurück.
    "Klar, später … du lässt mich jetzt allein hier stehen oder was?", rutschte es ihm heraus, als Seneca sich schon zum Gehen gewandt hatte. Obwohl ihm irgendwie auch klar war, solange Seneca und Axilla gemeinsam im Raum standen, wäre es schwierig auf andere Themen als Senecas bevorstehende Eheschließung zu sprechen zu kommen, erst recht in ruhigem Ton. Dennoch, es war ein wenig enttäuschend, nachdem er gehofft hatte, sich Axilla und Silanus nicht allein stellen zu müssen.
    "Das lief ja richtig toll."
    Er ließ sich wieder in den Sessel fallen, blickte leicht verstimmt in die Runde und harrte dessen, was auch immer nun kommen mochte.

    Griechische Schriftzeichen unterstützt das Board leider nicht, soweit ich informiert bin. Habe ich selbst auch schon versucht und bin furios gescheitert. ;)
    Bleibt nur das Übertragen des griechischen Textes ins lateinische Alphabet, wenn's wirklich griechisch sein soll. Oder du nimmst den Weg über Grafiken, um griechische Schrift in deinen Beitrag zu bringen.


    LG