Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    War Avianus zu Beginn nervös gewesen, ihr zu begegnen, und hatten ihm im ersten Moment noch die Worte gefehlt, so war er inzwischen umso ruhiger und froh darüber, dass sie ihn in den Lagerraum gezerrt hatte, und nachdem sie ihm erneut vor Augen geführt hatte, was er andernfalls zu verlieren hätte, gleichzeitig noch mehr davon überzeugt, das Richtige zu tun, selbst wenn es Sibel nicht genauso ging. Das Lächeln in ihrem Gesicht hatte zwar den sorgenvollen Ausdruck aus ihren Augen verscheucht, ebendiese Sorge schwang aber noch immer in ihrer Stimme mit. Dabei musste sie selbst doch wissen, eine große Auswahl an Alternativen existierte nicht, ganz davon abgesehen, dass es zu spät war, es sich anders zu überlegen. Keinesfalls nahm er sein Vorhaben auf die leichte Schulter, und gerade er wusste nur zu gut, dass immer etwas schiefgehen konnte, aber davon würde er sich sicherlich nicht lähmen lassen.
    "Keine Angst, ich weiß schon genau, was ich tun werde", quittierte er Sibels Bedenken mit einer wenig aufschlussreichen Phrase, da er keinen Weg sah, sie vollends auszumerzen, und küsste ihre Hand, die seine hielt, was sie hoffentlich etwas beruhigen würde. Dabei fragte er sich, was Sibel denn glaubte, was er vorhatte. Zu gut erinnerte er sich an den letzten Abend mit ihr im Lupanar, als er die Möglichkeiten aufgezählt hatte, die ihm zur Verfügung standen, um Druck auf den Helvetius auszuüben. Allerdings hatte ihre Lage damals noch etwas anders ausgesehen, und härtere Geschütze aufzufahren beabsichtigte er heute keinesfalls, ganz im Gegenteil, wenn alles nach Plan lief, könnten vielleicht sowohl er als auch der Helvetier Gewinn aus der Situation ziehen.
    "Natürlich passe ich auf, aber du musst mir versprechen, dass du ruhig bleibst und mich machen lässt." – Selbst dann wenn Varus sie bei ihnen im Tablinum bleiben lassen würde, was durchaus keine Überraschung wäre, wo es doch bei ihrem Gespräch primär um Sibel gehen würde.

    Wortlos ließ er sich von Sibel ins Atrium führen. Avianus hatte nicht einmal die Zeit, sich stutzig zu fragen, weshalb sie plötzlich stehen blieb und sich umsah, denn gleich darauf wurde von ihr am Arm in einen Nebenraum gezogen. Sein überraschtes "Was?" blieb ihm im Hals stecken, als ihre Lippen bereits an seinen hingen. Sie ließ keine Zweifel daran in ihm zurück, dass sie in erster Linie glücklich war, ihn hier zu sehen. Einmal mehr hatte er nämlich vergessen, dass Sibel in manchen Belangen so anders war als er. Er hätte Fragen gestellt, versucht sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen ... und sie? Sie presste sich an ihn, genoss ihr Glück, vollkommen egal wie kurz es womöglich auch sein würde. Er legte seine Arme um seine Taille, drückte sie an sich und ein Lächeln stahl sich in seine Züge, dieses Mal ein ehrliches.
    "Wer mich loswerden will, muss sich schon ein wenig mehr anstrengen", sagte er leise, damit niemand ihn reden hörte. Sibel hatte indessen Tränen in den Augen, und selbst wenn es sicherlich Freudentränen waren, dämpfte es sein Lächeln ein wenig, zeigte es doch nur, wie sehr sie sich gesorgt und nach ihm gesehnt hatte. "Du hast mir auch gefehlt …" Er gab sich und ihr noch ein wenig Zeit, den Augenblick zu genießen, den Sibel ihnen verschafft hatte, bevor er die Gelegenheit nutzte, sie zumindest ansatzweise aufzuklären.
    "Ich hol dich hier raus, Sibel. Ich werde Helvetius Varus ein paar Vorschläge machen und ich bin sicher, wir finden eine passable Lösung", versuchte er sie zu ermutigen und blickte sie entschlossen an. Er war sich seiner Sache sicher. Immerhin hatte er nicht nur Vorschläge dabei, sondern auch ein paar gute Argumente. "Aber wenn dir bei meinem Anblick die Tränen runterlaufen, ist das nicht unbedingt ein Vorteil", sagte er noch leise lachend.

    Mit einem schlichten "Danke" trat Avianus durch die Porta, als ihm der Ianitor Platz machte, nichtsahnend, welches Mädchen ihn auf der anderen Seite der Schwelle bereits erwartete. Damit, dass er sie eventuell sehen würde, vielleicht als jene Sklavin die dem Helvetier und ihm den Wein einschenken würde, hatte er bereits gerechnet. Doch als sie jetzt wirklich vor ihm stand, wusste er nicht recht, wie er reagieren sollte.
    Erst nickte er nur stumm. Unwillkürlich hatte er aber das Gefühl, etwas sagen zu müssen, nur was? Für sie musste sein Besuch vollkommen unterwartet sein, doch hier vor dem Ianitor würde er sich bestimmt nicht lang und breit erklären und wollte es auch gar nicht. Nur dass er wegen ihr hier war und genau wusste, was er tat, hätte er ihr gerne gesagt. So blieb ihm nur zu hoffen, dass sie darauf vertraute, dass er das richtige tat, denn nichts anderes war das, was er vorhatte, in seinen Augen.
    "Salve", grüßte er Sibel am Ende nur knapp und versuchte sich an einem Lächeln, um zu vertuschen, wie unangenehm ihm die Situation tatsächlich war.

    "Salve, mein Name ist Aulus Iunius Avianus", stellte Avianus sich knapp vor, wobei sein Blick bereits vorbei am Ianitor ins Innere der Villa wanderte, "Ich bin hier um Helvetius Varus zu sprechen. Er weiß Bescheid."
    Er erwartete nicht auf der anderen Seite der Porta, plötzlich Sibel zu erblicken, aber irgendwo da drinnen war sie, wusste wahrscheinlich noch nicht einmal, dass er direkt vor der Tür stand, und er ahnte gleichzeitig, dass es vielleicht sogar besser war, wenn sie nichts wusste. Immerhin wollte sie sein Geld gar nicht. Doch anders wusste er sich nicht zu helfen. Und sollte sie ihm Vorwürfe machen, dass er beschlossen hatte, über ihren Kopf hinweg über ihr Schicksal zu entscheiden, dann sollte sie ebendies tun, wenn es ein nötiges Übel war, welches er für ihre Freiheit und Sicherheit in Kauf nehmen musste. Selbst wenn es ihm natürlich lieber wäre, wenn sie ihm, sollte alles laufen wie geplant, glücklich und dankbar um den Hals fiel. All das war aber noch Zukunftsmusik, erst musste er eine Besprechung – hoffentlich erfolgreich – hinter sich bringen.

    Schon bei der nächsten Gelegenheit hatte sich Avianus auf den Weg zur Villa des Helvetius Varus gemacht, nachdem er dessen Antwort erhalten hatte. Ein großes Haus, ein Landgut, ein Lupanar … der Kerl war vielleicht kein Eques oder gar Senator, aber zumindest auch kein armer Schlucker. Und genau das machte den Iunier umso neugieriger, weshalb ausgerechnet so jemand noch 25 Aurei aus einer mittellosen Lupa herauspressen wollte, die ohnehin schon für ihn arbeitete. Allerdings hatte er sich vorgenommen, sich heute keine Feinde zu machen und die Meinung, die er sich vom Helvetier bereits gebildet hatte, vorerst hinter sich zu lassen, denn für beides war kein Platz. Seine eigenen Gefühle wären ihm nur im Weg. Es ging einzig und allein um Sibel und nicht um irgendwelche persönlichen Feindseligkeiten. Er wusste genau, was er erreichen wollte, selbst wenn er nicht sicher war, wie es im Anschluss weitergehen würde ... was Sibel sagen dazu würde, oder auch Seneca. Aber Rückzieher waren ebenfalls nicht drin. Anständig gekleidet, frisch rasiert, ein kleines bisschen nervös, aber vor allem entschlossen klopfte er also an der Porta.

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    Mamercus Cincius Serranus


    "Ausgezeichnet", meinte Serranus, als er anschließend die letzten Notizen in die Tabula eintrug. Damit war seine Arbeit vorerst getan. "Keine Ahnung, ob du hier groß Karriere machen wirst, aber zum Miles reicht's allemal." Zum Schluss reichte er dem Octavius die Wachstafel.
    "Bring' dem Offizier im Rekrutierungsbüro die Tabula zurück. Der sagt dir dann auch, wie es weitergeht."



    Tauglichkeitsprüfung von Marcus Octavius Maro.


    Alter: 25


    Vorerkrankungen: keine nennenswerten


    Körperlicher Zustand: gut


    Gehör: gut


    Augen: gut


    Sonstiges: Armbruch vor 5 Jahren, vollständig abgeheilt




    OPTIO VALETUDINARII - COHORTES URBANAE

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    Mamercus Cincius Serranus


    "Bei euch im Norden geht's ja zu …", kommentierte der Optio knapp.
    Man konnte zumindest nicht behaupten, dass der Bursche nicht zäh war. Und genug Puste um zu Reden hatte er trotz der Übungen auch noch. Nur eines verwirrte den Offizier ein wenig. "Du hattest mal Sumpffieber und andere haben sich Malaria eingefangen? Malaria und Sumpffieber ist doch ein und dasselbe", murmelte er deshalb in seinen Bart, nicht unbedingt, weil es eine große Rolle spielte – nach zehn Jahren interessierte ihn Fieber wohl kaum – sondern aus purem Interesse.
    "Na wie auch immer ... lauf auf der Stelle, und lies mir währenddessen die Tafel da hinten vor." Die Neulinge zu mustern war so schon fade genug, da konnte man sich selbst den Tag durchaus ein wenig damit versüßen, hilflosen Probati beim herumhüpfen zuzusehen, während sie ein paar Zahlen abzulesen versuchten. Denn so brummig der Cincius auch schien, er hatte durchaus einen gewissen Sinn für Humor.


    V XII II
    III VIII IX [SIZE=6]
    M VII I[/SIZE]




    OPTIO VALETUDINARII - COHORTES URBANAE

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    Mamercus Cincius Serranus


    "Hmhm ...", machte der Optio Valetudinarii erneut, "... gut." Von der Sorte, die einfach nur festen Sold und ein Dach über dem Kopf suchten und beides bei den Truppen zu finden gedachten, gab es ja bei weitem genug, sodass der Cincius über die ihm erzählte Geschichte nicht weiter verwundert war. Außerdem klang Lesen, Schreiben und Rechnen schonmal nicht übel, immerhin wollten auch die Schreibstuben der Cohortes Urbanae besetzt sein. Erst musste der Octavius aber durch seine Probatio, bevor man sich über irgendetwas anderes Gedanken zu machen brauchte, also fuhr Serranus fort:
    "20 Liegestütze, 20 Kniebeugen. Und erzähle mir derweil: Sind in deiner Familie schwere Erkrankungen bekannt? Warst du selbst schon einmal schwer krank oder hattest eine nennenswerte Verletzung?"




    OPTIO VALETUDINARII - COHORTES URBANAE

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    Mamercus Cincius Serranus


    "Absolut richtig, ganz ohne Zweifel ..."
    Zufrieden darüber, dass er selbst richtig gelegen und der Probatus doch noch sein Maul aufgemacht hatte, nahm der Optio Valetudinarii die Tabula entgegen. "Dann sehen wir uns mal an, ob du brauchbar bist." Sich den Bart kratzend las er die bereits eingetragenen Informationen:
    "Octavius Maro ... soso ... hmhmhm ... 25?" Jetzt schenkte Serranus dem Probatus fast schon neugierige Blicke. Dessen Alter brauchte zwar nicht zwangsläufig ein Problem zu sein, aber der Standard waren ja doch eher Rekruten um die 20, sodass er sich fragte, was den Mann doch noch in die Armee zog. "Was hast du denn bisher so gemacht? Bist du einem Beruf nachgegangen? Kannst du vielleicht sogar lesen, schreiben und rechnen?"




    OPTIO VALETUDINARII - COHORTES URBANAE

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    Mamercus Cincius Serranus


    Serranus sortierte penibel die Utensilien, Papiere und Tabulae auf seinem Schreibtisch, summte mit tiefer Stimme eine Melodie in seinen Bart und bemerkte irgendwann - wie lange auch immer der Kerl da schon herumstand - im Augenwinkel, dass er einen Gast hatte. Der Optio Valetudinarii blickte von seinem Schreibtisch auf.
    "Du da!", kam es von ihm zunächst wenig einfallsreich, als er den Neuankömmling aus schmalen Augen musterte (störte der Junge doch immerhin seine fast schon an Meditation grenzenden Aufräumarbeiten), und entdeckte die Tabula, die jeder Probatus im Rekrutierungsbüro erhielt. Na warum sagte er das denn nicht gleich! "Willst dich nur mal umschauen? Oder tatsächlich ein Soldat der Cohortes Urbanae werden?"




    OPTIO VALETUDINARII - COHORTES URBANAE

    Bereits am nächsten Tag landete ein Brief auf seinem Schreibtisch, der sofort seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Avianus erkannte schon als er ihn nur in der Hand hielt, dass er nicht von einem Vorgesetzten stammte, auch nicht von seiner Verwandtschaft, der Iulia oder anderen Bekanntschaften. Mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis setzte er sich hinter den Tisch, öffnete das Schreiben und lehnte sich schließlich beruhigt zurück, als er las, von wem er stammte. Die Frau, mit der er sich im Lupanar unterhalten hatte, Morrigan, hatte sich tatsächlich die Zeit genommen, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, die er nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals las. Wohlauf, hieß es in dem Brief, und es war im Prinzip alles, was er im Moment zu wissen brauchte – dass er Zeit hatte, sich um alles zu kümmern, was auch immer nötig war, um Sibel aus ihrer Lage zu befreien.
    Sein Schreiben hatte den Helvetius bereits erreicht, kein Meisterwerk, aber hoffentlich doch annehmbar. Jetzt brauchte er nur noch abzuwarten. Und dann? Dann würde man weitersehen. Aber vorerst konnte er sich zurücklehnen, mit dem Wissen, dass alles gut war … irgendwie. Oder es zumindest viel schlimmer hätte kommen können.

    "Vivat!", stimmte auch Avianus selbst in den Chor mit ein und war dank der guten Neuigkeiten selbstverständlich mindestens so positiv gestimmt wie seine Soldaten, nur mit dem kleinen Unterschied, dass er weiterhin mit fröhlicher Miene dastand, nachdem sein Optio wieder Ordnung in den Rest der Truppe gebracht hatte. Noch immer lächelnd nahm er also den Morgenrapport entgegen und überflog ihn kurz, während sich die Milites auf den Weg machten, ihrer Arbeit nachzugehen. So weit so gut.
    Als der Germanicus sich an in wandte, sah er auf und blickte seinen Optio dann doch stirnrunzelnd an.
    "Das wüsste ich auch gerne. Ich möchte, dass du das Exerzieren übernimmst, Optio. Ich werde unterdessen versuchen, ein paar Worte mit unserem Tribunus oder dem Praefectus selbst zu wechseln, um herauszufinden, wie es in den nächsten Tagen konkret weitergeht", antwortete er und blickte den Soldaten nach. Was noch? Eigentlich nur das offensichtliche. "Ich will die Truppe nachwievor in Bestform und mit tadelloser Ausrüstung sehen. Ein neuer Kaiser bedeutet vermutlich auch öffentliche Auftritte bei Festen und Aufmärschen ..." Er selbst hatte zwar stets ein Auge darauf, dass seine Leute akzeptabel aussahen, aber meist wurde doch nur die Ausrüstung kontrolliert, die beim täglichen Dienst zum Einsatz kam. Was, wie etwa die Crista der gewöhnlichen Milites, bis zu irgendeinem Aufmarsch in einer Truhe unter dem Bett verstaubte, wurde seltener geprüft. Desweiteren wusste er ja noch nicht, wie die Inspektion des Optios ausgefallen war, und außerdem sahen vier Augen mehr als zwei. "Wir werden also in den nächsten Tagen dafür Sorge tragen, dass die Soldaten auf derartige Auftritte vorbereitet sind. Hast du noch weitere Fragen, Optio?"

    Avianus lehnte sich stumm zurück. Ein wenig eigen war er schon, der Decimus, und gerade eben hatte sich Avianus noch zurückhalten müssen, seinem Gegenüber nicht die eigene Meinung an den Kopf zu pfeffern, erst recht nachdem er nicht nur eine Standpauke kassiert hatte, sondern danach auch noch mehr oder weniger ignoriert wurde, als hätte er keine Ahnung, worum es bei der ganzen Sache ging. Dazu konnte er wohl kaum schweigen.
    Doch die Ausführungen des Decimers hatten all die Notizen, die sich wie in Stein gemeißelt in seinem Kopf festgesetzt hatten, zerbröckeln und sich neu zusammensetzen lassen, und er erkannte schließlich worauf der Decimus die ganze Zeit über hinauswollte. Er rieb sich das Gesicht, blickte einmal mehr von einem der anwesenden zum Nächsten. Vielleicht hatte er sich zu sehr in ihren Fall hineingesteigert, war durch Torquatas Briefe und die Freundschaft zu ihr zu voreingenommen und emotional an die Ermittlungen herangegangen. Hatte sich womöglich zu sehr vom Gerede des Iuliers einlullen lassen, der ihm deutlich gemacht hatte, die Iulier aus den Ermittlungen herauszuhalten, vor dem er praktisch hatte betteln müssen, um sich zumindest die Sache mit den Gerüchten genauer ansehen zu dürfen.
    "Wenn ich noch etwas dazu sagen darf ... Iulia Torquata persönlich hat mich darüber informiert, dass dieser Mord kein Zufall sein konnte und mich darum gebeten, den Fall zu untersuchen und herauszufinden, wer dabei die Fäden gezogen hat. Sie meinte, jemand wolle ihr schaden …" Entschuldigend blickte er seinen Miles an, der zum ersten Mal davon erfuhr, dass nicht jede Information auch ihn erreicht hatte. Aber den jungen Tiro in fast schon private Angelegenheiten einzuweihen, war ihm damals wenig vorteilhaft erschienen. Er hatte dem Soldat nachher wohl einiges zu erklären.
    "Der Mörder wusste was er tat – seine Stiche waren gezielt gesetzt – wirkte im Grunde aber wie ein armes Schwein, ein Niemand, ohne Geld, welcher nicht viel zu verlieren hatte, vermutlich verhältnismäßig leicht zu einer solchen Tat zu bewegen." Selbst wenn was auf der Tabula stand nicht der Wahrheit entsprach. Aber die Worte des Decimers ließen ihn ohnehin gerade alles anzweifeln. Ob der Täter wirklich nur ein armes Schwein gewesen war, oder ob dieser Eindruck ebenfalls nur zu der riesen Show gehörte, die jemand auf dem Markt veranstaltet hatte. Ob der Täter vielleicht ganz genau gewusst hatte, was er tat, und welche Wirkung es haben würde.
    "Wir haben also bisher vermutet, jemand wolle durch diesen Auftragsmord Iulia Torquata oder den Iuliern selbst schaden …", setzte er seine Reihe zumindest für Außenstehende bisher unzusammenhängender Aussagen fort, für ihn selbst gab jedoch erst jetzt annähernd Sinn, und was er sagte waren lediglich Bruchstücke dessen, was er dachte, "… indem derjenige das Volk dazu bringt zu glauben, die Iulier wären, als Warnung an jeden, der diese Gerüchte verbreitete, für den Mord verantwortlich. Möglich wäre auch gewesen, dass die Iulier selbst etwas damit zu tun haben, dass sie selbst für diese Warnung gesorgt haben ..." Nur hatte ihnen in all jener Zeit die Tabula gefehlt. Und die war, so sagte jedenfalls der Decimus so vorgefunden worden, wie sie ihnen jetzt vorlag. Verwischt? Ja. Gelöscht? Keinesfalls. Der Täter hatte nicht einfach nur vergessen, sie zu löschen. Ihm hatte nicht schlichtweg die Zeit dazu gefehlt. Er hatte sie verwischt, und das für jeden anderen unbefriedigende Ergebnis für ausreichend empfunden.
    Nicht nur der Mord war eine Botschaft, auch die Tabula. Eine Tabula, die nur auf den ersten Blick bestätigte, dass ein Gegner der Iulii dahintersteckte. Und vermutlich, wenn ein Blindfisch wie er einen Blick darauf warf.
    "Jemand, der den Iuliern schaden will, würde wohl dafür Sorge tragen, dass Informationen wie jene, die auf der Tabula stehen, nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Und der Täter war kein Amateur... und seine Familie wollte er ebenfalls nicht retten", schloss er, und obwohl er verstand, verstand er dennoch nicht ganz. "Aber ich kenne meinen Tribunus und dessen Tochter gut genug. Keiner der Familie, den ich kenne, würde eine solche Tat begehen, Decimus Serapio." Und dann stellte sich noch die Frage, ob Torquata ihn absichtlich einer falschen Fährte hinterhergeschickt hätte, den Feind ihrer Familie zu finden.



    "Gratuliere …", beglückwünschte Avianus knapp, aber freundlich, die junge Quintilia, die im letzten Augenblick doch noch die Vestalin überboten und sich damit zweifellos ein Schnäppchen geangelt hatte. Dass ihm selbst dieses Schnäppchen durch die Lappen gegangen war, würde er verkraften. Die Mädchen hatten ihre Freude, er hatte sich ein paar Sesterzen gespart und der Sklave durfte Mann bleiben, keiner von ihnen hatte also einen Grund, sich zu beschweren.
    "Ich hoffe, du weißt dein Glück zu schätzen und gibst gut auf deine neuen Besitzer Acht", deutete er dem Sklaven gegenüber an, dass dieser es weit besser getroffen hatte, als viele andere, die täglich auf den Märkten verscherbelt wurden. Zwar noch immer recht wortkarg, machte der Sklave zumindest nicht den Eindruck auf Ärger aus zu sein. War auch besser für ihn. Ein einzelner Sklave, der ein Theater veranstaltete, hatte für gewöhnlich keine allzu guten Chancen. Aber man konnte ja nie wissen.
    "Gut... wenn ihr euch nun wieder auf den Weg macht, hat es mich gefreut euch hier begegnet zu sein", meinte er schließlich, da es keinen Grund mehr gab, sich weiter beim Sklavenhändler aufzuhalten, und es den Quintilierinnen wahrscheinlich genauso erging.


    Ad
    Tib. Helvetius Varus
    Villa Urbana Helvetii Vari
    Roma



    Aulus Iunius Avianus Helvetio Varo s.d.


    Ich werde mich nicht lange mit inhaltslosen Floskeln und unnötigem Geschreibe aufhalten. Sicherlich hast auch du noch anderes zu tun und störst dich nicht daran.
    Wir kennen uns aus deinem Lupanar, dem Aedes iste Laetitia, als du mit einer der dortigen Lupae ein Gespräch führen wolltest, und ich dich, wie du zuvor mich und das Mädchen, unterbrochen habe – an dieser Stelle noch eine Entschuldigung für mein unhöfliches Auftreten.


    Ich bitte wegen eines Anliegens, diese inzwischen ehemalige – wie mir kürzlich zu Ohren gekommen ist – Lupa betreffend, um ein persönliches Gespräch und hoffe, du kannst meinem Wunsch nachkommen.


    Aulus Iunius Avianus
    CENTURIO COHORTIUM URBANARUM
    COHORS XII · CENTURIA III


    "Es war perfekt", antwortete Avianus Sila mit einem Lächeln, aber nur knapp, denn er war nicht hier um in Gedanken an seine Geliebte zu versinken, die beim Anblick der Geschenke sogar Freudentränen geweint hatte. Er wieder zu dem Sklaven auf dem Podest hinauf und grübelte. Am Rande hatte er mitbekommen, dass das höchste Gebot inzwischen bei 500 Sesterzen lag. Er war unschlüssig, ob er noch weiter bieten sollte. Nicht direkt, weil es sich bei der neuen Interessierten um eine Vestalin handelte, sondern schlicht, weil mehr als 500 Sesterzen verdammt viel Geld waren, dafür, es einfach mal nebenbei auszugeben.
    "Ich dachte es könnte nicht schaden, in der Castra einen Sklaven zu haben, der mir zur Hand geht. Und bei Bedarf auch jemanden schützen kann." Er zwinkerte Sila flüchtig zu. "Aber so jemanden könntet ihr zweifellos auch gebrauchen." Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie und ihre Schwester schließlich darauf angesprochen, dass es besser für zwei kleine Mädchen war, ihre Ausflüge in die Stadt nicht alleine zu erledigen.
    Dann richtete völlig unerwartet Valentina eine Frage an ihn. Ausgerechnet ihn, wo er doch ein Meister darin war, nicht zu tun was andere von ihm erwarteten. "Kommt darauf an, ob es respektlos ist, jemanden zu überbieten. Ich denke nicht. Und falls es eine Vestalin für respektlos hält überboten zu werden, sollte sie Versteigerungen lieber meiden", antwortete er dünn lächelnd, "Aber wahrscheinlich fragst du da den falschen."

    Die beiden Mädchen meinten es wohl ernst. Und sicherlich hatten sie ihn ebenso erkannt wie er sie. Er konnte einfach nicht anders, und ging zwischen ein paar anderen Leuten, die die die Versteigerung mitverfolgten, ein Stück auf die beiden und ihre Begleiterin zu. Denn erstens fragte er sich, wofür die beiden einen solchen Sklaven brauchen könnten. Hoffentlich doch als Ianitor oder sowas, denn ihn in eine Küche zu stellen wäre zweifellos eine Verschwendung, und einen Beschützer brauchten die Mädchen nach eigener Aussage ja auch nicht.
    "180!", rief er unterdessen mit einem leichten Lächeln, welches er auch noch im Gesicht behielt, als er vor den Quintilierinnen stand. Die dritte musterte er genauer. Wie eine Sklavin oder Bedienstete sah sie nicht aus. Die Mutter? Eine Bekannte? Eine Verwandte? Vorerst unwichtig.
    "Salvete, die Damen", grüßte er gar nicht mal unfreundlich, "Sila und Pina … So trifft man sich wieder." Gleich darauf wandte er sich an die ihm Unbekannte. "Ich glaube nicht das wir uns kennen … Iunius Avianus", stellte er sich knapp vor. Irgendwie war er ja versucht, den drei Frauen den Sklaven zu überlassen, vielleicht als Dankeschön für die Hilfe der beiden jüngeren, selbst wenn der Sklave sicherlich zu einem absoluten Schnäppchen werden würde, bei dem Mangel an Interessenten, der gerade herrschte. "Was habt ihr denn mit dem Burschen vor?"

    Avianus nahm den Händedruck nickend entgegen.
    "Gut… wie auch immer", meinte er nachdenklich. Mehr als anbieten konnte er seine Hilfe ja nicht.
    "Vale", verabschiedete er sich dann ebenfalls und als er sich auf den Weg machte und das Lupanar verließ, arbeitete es in seinem Kopf bereits. Er verschwendete keine Zeit darüber nachzudenken, weshalb es so gekommen war, wie es gekommen war.
    Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als ein zweites Mal mit dem Helvetius zu sprechen, und er war fest entschlossen ebendies zu tun. Nur was er sagen würde, wenn er ihm tatsächlich gegenübersaß, machte ihm Sorgen. Dass er für die Freiheit einer seiner Sklavinnen bezahlen wollte? Wie bescheuert hörte sich das denn an. Außerdem wäre Sibel ihren Dominus im Anschluss immer noch nicht los, ganz im Gegenteil, sie würde zu seiner Klientin werden und es für immer bleiben. Schon jetzt wurde ihm bei dem Gedanken unwohl. Am liebsten wäre es ihm natürlich, wenn der Helvetius einem Verkauf zustimmen würde... er könnte sie eigenhändig freilassen, sie zu einem Teil seiner Gens machen. Und sie wäre nur noch von ihm abhängig – der so gut wie einzigen Person, der er vollkommen vertraute, wenn es um Sibel ging.

    "Sind deine Sklaven immer so gesprächig?!", scherzte er mit einem Grinsen an den Händler gewandt. Na wenigstens verstand der Junge, was man ihm sagte. Das war schon viel wert. Und so wie er aussah, wären verschiedene Arbeiten, die in der Castra anfielen, auch kein großes Problem. Mit ein wenig Übung brachte es ja schließlich jeder zustande, Ausrüstung zu reparieren, sie zu säubern oder Vorräte vom Lager in die Unterkünfte zu schaffen.
    Während er noch nachdachte, kam bereits das erste Gebot – die läppischen 50 Sesterzen die der Herr Senator vorgeschlagen hatte, waren ja kaum der Rede wert. Er blickte zu der Frau hinüber, die Interesse zeigte, und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sie in Gesellschaft zweier Mädchen hier war. Und zwar derer zweier Mädchen, die er damals bei einem Marktbesuch schon einmal getroffen hatte. So blieb ihm sein eigenes Gebot erst einmal im Hals stecken und er dachte nach. Wie unpassend wäre es doch, den Preis in die Höhe zu treiben und seinen Helferinnen den Sklaven wegzuschnappen. Allerdings … 110 Sesterzen? Für einen jungen gesunden Sklaven? Und vielleicht könnte er auch eine Hilfe sein, was Sibel betraf, auf sie aufpassen, wenn er nicht da war, je nachdem was geschah, wenn er sie endlich ihre verdammte Freiheit hatte ... "150!"

    Ganz im Gegensatz zu seinem Optio konnte der Iunier dem größten Teil der Morgen nicht allzu viel abgewinnen. Während der Germanicus sich verträumt im Anblick der Centuria verlor, stellte er selbst nur an jedem einzelnen Sonnenaufgang fest, dass ihn tagtäglich fies grinsend die immer selben Sorgen begrüßten. Seit Jahren. Zudem musste der Morgenappell irgendwann zwangsläufig etwas von seiner Faszination einbüßen, wenn man ihn mit Urbanerrüstungen gesehen hatte, mit schwarzen Prätorianerrüstungen, dann wieder bei den Urbanern, unzählige Male von der Warte der einfachen Soldaten aus, von der des Optio und schließlich von der des Centurio.
    Heute allerdings war anders und gar nicht mal so schlecht, weil sich zumindest ein großes Problem vorerst gelöst hatte.
    "Guten Morgen, Milites!", grüßte er als erstes seine Soldaten alles andere als unglücklich und wartete auf die allmorgendliche synchrone Antwort: "Salve, Centurio!"
    "Sind wir vollzählig, Optio?", wandte er sich noch mit einer knappen Frage an den Germanicus, bevor er fortuhr. "Movemini!", erlaubte er den Soldaten erst, bequemer zu stehen, wodurch die Männer bereits erahnen konnten, dass eine längere Ansage folgte.
    "Ich darf euch eine gute Nachricht überbringen, auf die wir alle schon viel zu lange gewartet haben und die ein paar von euch vielleicht schon erreicht hat: Der Senat hat seine Wahl getroffen und fortan werdet ihr unter Imperator Caesar Augustus Tiberius Aquilius Severus dienen. Noch ist die Botschaft darüber nicht in alle Teile des Reiches vorgedrungen, wir werden also weiterhin wachsam sein, doch bisher verhält sich alles ruhig und an der Rechtmäßigkeit der Herrschaft unseres neuen Imperators kann es keine Zweifel geben" Er machte eine Pause, um die Reaktionen der Männer zu beobachten. Einige von ihnen sahen sich vermutlich jetzt schon feiern, andere wären wohl noch nicht vollends vom Frieden überzeugt, der von jetzt an im Inneren des Reiches herrschen sollte, und wiederum andere atmeten wahrscheinlich einfach nur auf.
    "Ich weiß, die letzten Wochen und Monate waren anstrengend, viele von euch hatten bereits den nächsten Bürgerkrieg vor Augen und bis neue Befehle von oben kommen, wird sich daran kaum etwas ändern. Dennoch habt ihr alle in diesen unsicheren Zeiten pflichtbewusst und mit unveränderter Tatkraft euren Dienst getan. Dafür hat sich jeder von euch eine Belohnung verdient. Ich werde meine Vorgesetzten darum bitten, uns allen den einen oder anderen freien Tag zu gönnen, und sollte dies nicht möglich sein, werden wir diese freien Tage jedem von uns über die Wacheinteilung verschaffen", endete er seine Ansprache vorerst mit einem Lächeln und blickte anschließend zum Germanicus, ob der ihm den Dienstplan reichen wollte oder ihn selbst verlesen würde.