Ad Tiberia Lucia
Casa Accia Ducciaque
Roma
A. Iunius Avianus Tiberiae Luciae s.p.d
Ach Lucia, verehrteste, ich habe deinen nächsten Brief sehnlichst erwartet, denn – ganz im Gegensatz zu dir – habe ich wieder neues zu berichten!
Zuerst möchte ich aber, aus reiner Höflichkeit, auf dein Schreiben zurückkommen und dazu sagen: Du hast dir zur Erklärung deiner Heirat zweifellos die langweiligste Geschichte ausgesucht. Eine leidenschaftliche Romanze oder auch eine langsam dem Wahnsinn verfallende Patrizierin hätten nicht nur weit mehr Gesprächsstoff hergegeben, sondern wären auch um Längen unterhaltsamer gewesen. Leider kann aber auch ich nur bestätigen, deine Briefe haben sich nicht verändert, du scheinst also noch bei Verstand zu sein. Aber sei's drum.
Und dann wären ja noch deine Fragen zu beantworten, soweit mir dies möglich ist.
Durchaus sind diese Christianer gefährlich. Sie verachten die römischen Götter, Bräuche und Traditionen, stellen sich gegen den Imperator als das Oberhaupt aller Bewohner des Reiches und indoktrinieren jeden, der naiv genug ist, sich mit ihnen einzulassen. Sie locken vor allem Arme, Mittellose und Verbrecher an, durch ihre Versprechungen von Vergebung, Milde und Sicherheit. Gleichzeitig hegen sie enormes Misstrauen gegenüber jedem, der nicht den ihren angehört oder leichtgläubig ihren Lehren verfällt. Damit schüren sie Unruhe und Konflikte. Und all das tun sie guten Gewissens, denn man lässt sie glauben, dass treue Sektenmitglieder nach ihrem Tod ein Paradies erwartet. Nur ob hinter alldem ein bestimmtes Ziel steckt, etwa den Einfluss Roms zu untergraben, vermag ich leider nicht zu beantworten.
Deine zweite Frage kann ich leider nicht direkt beantworten. Dieser Schläger war nicht einmal gesprächig genug, um uns seinen Namen zu verraten. Ich kann dir jedoch versichern, für gewöhnlich verlangen wir Urbaniciani bei Patrouillen in der Stadt bei niemandem eine Durchsuchung, es sei denn jemand zwingt uns dazu. Wir haben lediglich eine Taberna betreten, in welcher zuvor eine Schlägerei stattgefunden hatte, und zwischen deren Tischen zwei Bewusstlose lagen. Dort haben wir von dem einzigen Mann, der in der Nähe der beiden saß, eine Erklärung gefordert, und ehe wir uns versahen, ist er auf einen meiner Männer losgegangen, ohne zuvor auch nur ein Wort zu verlieren. Leider nicht mit einem Fächer. Er hat dem Miles die Nase gebrochen, und die anderen Soldaten, die versuchten, ihn aufzuhalten, mit dem Mobiliar Bekanntschaft machen lassen. Ein paar der Stühle haben es leider nicht überlebt.
Und zu guter Letzt ich kann nur sagen: Was ich dir in meinem letzten Schreiben über diese Messerstecherei berichtet habe, ist wahr. Alles weitere, was ich dir dazu sagen könnte, wäre allerdings lediglich Spekulation. Doch sollten meine Leute und ich etwas über den Vorfall in Erfahrung bringen, sei dir sicher, du wirst davon hören… oder zumindest lesen. Ganz offensichtlich war es jedoch das Ziel des Mordes, diesen Händler auszuschalten und möglichst niemanden zurückzulassen, der uns über die Gründe und die Leute dahinter berichten könnte.
Nun, da deine Fragen hoffentlich ansatzweise beantwortet sind, kann ich dir endlich berichten: Eine weitere Beförderung machte mich erst kürzlich zum Centurio, da ich wohl dazu in der Lage bin, als Vorbild eines guten, verlässlichen Soldaten Roms zu dienen. Bestimmt teilst auch du die Meinung meiner Vorgesetzten.
Außerdem brauchst du dir nun auch keine Sorgen um meine Schreibmaterialien mehr zu machen, denn ich weiß ohnehin nicht, wofür ich mit meinem neuen Sold ausgeben soll. Dennoch, ich danke für den Papyrus. Wobei ich mich letztens auch gefragt habe: Weshalb verwenden wir keine Tabulae?
Mich verwundert allerdings, dass wir uns bei all meinen Patrouillen und Einsätzen in der Urbs nicht ein einziges Mal gesehen haben, da wir doch sonst nie Schwierigkeiten hatten uns über den Weg zu laufen. Nun, ganz bestimmt planen die Götter bereits ein Wiedersehen, damit auch du meine neue Crista bestaunen kannst.
Aber was ist mit dir? Bestimmt hast auch du etwas zu erzählen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Leben einer römischen Frau zwischen Intrigen, Klatsch und Tratsch tatsächlich so eintönig und trist ist, dass du nicht eine einzige Geschichte zu erzählen hast.
Fac valeas
Avianus
PS: Ich habe diesen Quacksalber erst letztens mit meinen eigenen Augen gesehen! Selbstverständlich könnte ich dich zu seinem Marktstand führen, wenn genervte Bürger ihn und sein Gepansche noch nicht verscheucht haben. Solltest du dich selbst auf die Suche nach ihm machen, um von seinem Trank zu kosten, berichte mir unbedingt davon!
PPS: Meine ehemalige Einheit ist wohl ab nächster Woche vormittags eingeteilt, sich vor dem Palast zu langweilen.