Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Es gab spannenderes, als die Zeit damit totzuschlagen, das Treiben auf dem Forum zu beobachten. Andererseits war es nicht schlimmer, als sich vor dem Palast die Füße in den Bauch zu stehen, zumindest konnte man es als willkommene Abwechslung bezeichnen. Und obwohl rund um die Uhr beobachtet wurde, tat sich am ersten Tag rein gar nichts. Jedenfalls nichts, was die Aufmerksamkeit der Soldaten in nennenswertem Umfang auf sich gezogen hätte. Tags darauf hatte man allerdings beobachtet, wie sich nach Einbruch der Dunkelheit ein auf die (wenn auch recht vage) Beschreibung des Händlers passender Mann seinen Weg über das Forum bahnte und sich im Schatten der Curia herumtrieb.
    Noch beobachtete man lediglich, was sich natürlich wie geplant am nächsten Tag ändern sollte, sodass zwei Tage nach den Untersuchungen der kaiserfeindlichen Schriften nicht nur zwei Soldaten, sondern eine Truppe auf dem Forum bereitstand, selbstverständlich etwas abseits der Curia und möglichst unauffällig, auf ein Signal wartend, um sich des Verdächtigten anzunehmen, sollte sich erneut etwas regen.

    Wie sie bei seinen erfundenen Namen mitspielte, entlockte ihm doch ein flüchtiges amüsiertes Grinsen, bevor er sie wieder mit schmalen Augen musterte.
    "Warum ist dir das hier überhaupt so wichtig?" Am Ende benutzte sie seinen Namen wahrscheinlich, um sich irgendwelche Anschuldigungen gegen ihn aus den Fingern zu saugen. Natürlich traute er ihr nicht über den Weg, andererseits konnte er nicht das ganze Fest über mit ihr diskutieren und darauf würde es vermutlich hinauslaufen. Sein Blick glitt kurz hinauf zur Rostra. Der Kaiser war bereits eingezogen und der Decimus schwang seine Rede – Zeit, dass auch er wieder seine Arbeit machte, bevor wirklich noch etwas schief ging oder sein Centurio wieder aufkreuzte und ihn dabei erwischte, dass er immer noch am tratschen war, wenn auch unfreiwilliig.
    "Aulus Iunius Avianus", sagte er nüchtern und fühlte sich damit, als würde er sich der Patrizierin ergeben. "Und ich arbeite hier, falls es dir noch nicht aufgefallen ist." Jetzt hatte sie, was sie wollte. Oder? Nur zu gern wüsste er, was in der Tiberia wirklich vorging, ob ein Name wirklich alles war, und vor allem, warum sonst sie es auf ihn abgesehen haben könnte. Unterhalten fühlte sie sich also, hatte sie gesagt, und angedeutet, dass alles nur zu ihrem Vergnügen war. Für ihn machte es einfach keinen Sinn. Er war hier doch der, der sich normalerweise einen Spaß daraus machte, sie zu ärgern. Und jetzt hatte sie den Spieß umgedreht.

    "Also das war jetzt beleidigend", meinte der Iunius ungerührt.
    Noch immer hatte er nicht die geringste Ahnung was sie überhaupt hier machte. Sie könnte einfach ein bisschen da hinüber laufen, oder dort, oder nach hinten… wohin auch immer – hauptsache weg eben. Und sie wäre ihn los. Problem gelöst. Aber natürlich musste er hier diskutieren, versuchen, sie wegzuekeln, mit seinen vollkommen offensichtlich geheuchelten und überzogenen Schmeicheleien, da er sich leider nicht dazu in der Lage sah, jemanden wie sie dauerhaft zu ignorieren. Vor allem da es wirklich so aussah, als würde sie ihn penetrant verfolgen. Andererseits machte das weniger als gar keinen Sinn. Deshalb blieb wie immer nur die Frage, was ging da in ihrem Kopf vor sich?
    "Wie wäre es mit… Iunius Illecebrosus? Zu aufreizend? Iunius Audax? Such dir was aus …", meinte Avianus wieder mit unüberhörbarer Belustigung in der Stimme, nur um gleich darauf den Schalter auf vollkommen ernst umzulegen. "Nein, wirklich. Lassen wir den Blödsinn. Wenn ich dir meinen Namen nenne, habe ich dann eine Chance, dass du dich verziehst… werte Tiberia?" Bei aller Liebe für sinnloses Geblödel, du gehst mir auf den Sack, sagte er natürlich nicht laut, sondern warte nach außen hin zumindest den Anschein eines Ansatzes von Professionalität.
    Sein Nachbar dagegen hatte wiederum das Gefühl, sich bereits genug eingemischt zu haben und vermied jede Regung. Wenn hier am Ende jemand Ärger bekam, war es zumindest nicht er.

    Sie hatte doch nicht …? Hatte sie? Sie hatte sein Kompliment ernst genommen …? Und wenn es anders war, überspielte sie es offenbar gekonnt. Nein, niemand konnte das ernst nehmen, nicht einmal jemand der so eingebildet war wie diese Patrizierin sprang auf so etwas an. Und diese Tiberia war vielleicht arrogant, aber doch sicher nicht blöd.
    "Tja, sieht wohl so aus", kommentierte Avianus nur trocken. "Was willst du überhaupt von mir? Du bist es doch, die mich verfolgt, ich steh immer nur auf meinem Posten rum …" Er warf vorsichtshalber einen flüchtigen Blick über die Schulter, dass sein Centurio ihn noch ihm Auge behielt, entging ihm dabei völlig.
    "Man könnte ja fast meinen…" Er schenkte der Tiberia ein Zwinkern, gepaart mit einem gespielt anzüglichen Lächeln. Vielleicht wurde die Situation peinlich genug für die Patrizierin, dass sie freiwillig ging. Darauf war er irgendwie auch angewiesen, denn er konnte sich hier schließlich nicht einfach davonmachen. Und wie wehrte man sich denn gegen ein lästiges Weib? Da sollte wirklich eine Lektion in die Grundausbildung mit rein, damit nie mehr jemand solches Leid ertragen musste.
    "Ehrlich, Iunius? Hier auf dem Fest?", murrte es unter dem Helm seines Nebenmanns. "Mach's wenigstens weniger auffällig."
    Kaum hatte sein Kamerad zu Ende gesprochen, verschwand das Lächeln wieder, seine Züge glätteten sich und seine Augen musterten Lucia in der hoffnungsvollen Erwartung, dass sie endlich kehrt machte und irgendwen anderen belästigte. Normalerweise waren es doch die Soldaten, die Frauen bedrängten. Diese schrägen Geschichten passierten wohl immer ihm. Avianus, du Glückspilz.

    Nichts mehr, keinen weiteren Grashalm wollte sie ihm reichen, an den er sich klammern könnte. Wieder stand er in Gedanken versunken da, um erneut sacken zu lassen, was er in den letzten Minuten erfahren hatte. Wie sie ihn dann an den Armen packte, brachte ihn in seiner eigenen Verzweiflung vollkommen aus dem Konzept, sodass er sie nur stumm anstarrte. Macht? Was für eine Macht? Ein kleiner Soldat war er, Garde hin oder her… Und was sollte er den Urbanern sagen? Dass er irgendetwas mit der Sache hier zu tun hatte? Er konnte froh sein, wenn er dazu in der Lage war, für Sibel wieder alles in Ordnung zu bringen und das würde auch seine erste Sorge bleiben. Er löste sich aus ihrem Griff und wich ein paar Schritte zurück.
    "Ich danke dir", sagte Avianus erst nur mit belegter Stimme. Die Münzen in seiner Hand zählte er nicht, sondern ließ sie nur auf einem der Tische liegen. Ihre Bitte ließ er unbeantwortet. Was sollte er auch sagen. Er konnte ihr nicht das Geringste versprechen, nicht einmal ob er es überhaupt versuchen würde. "Kauf dir was zu essen", waren die letzten Worte, die die Wirtin hören würde, bevor er wieder verschwand und die wirre Frau alleine zurückließ.

    Er nickte nur langsam, hörte im Grunde gar nicht mehr, wie sich die Wirtin erneut in ein Loch tiefer Verzweiflung stürzte - irgendwas wegen ihrer Tochter... denn nicht nur sie stand völlig neben sich. Seit er aus Germania zurückgekehrt war, hatte er sich kaum etwas sehnlicher gewünscht, als Sibel wiederzusehen, doch hier hatte ihn nicht mehr erwartet, als eine bloße Fortsetzung dieser unerträglichen Ungewissheit, von welcher er gehofft hatte, sie heute endlich beenden zu können. Wenn es um Sibel ging, musste er von jetzt an wohl an wirklich alles denken, an jeden noch so abwegigen Zwischenfall, der ihr zustoßen könnte – zumindest falls er in der Lage war, sie wiederzufinden. Bisher waren die Urbaner sein einziger Ansatz und das behagte ihm ganz und gar nicht. Wo sollte er sonst anfangen, in einer Stadt wie Rom, wenn nicht einmal die Wirtin ihm mehr sagen konnte? Sein Blick wanderte wieder von leer in der Luft hängend zu der verwahrlosten Frau hinüber.
    "Sonst noch irgendetwas? War das alles, was du weißt?", fragte er etwas heiser und kramte bereits in seinem Geldbeutel, um der Wirtin zumindest ein paar Münzen zu hinterlassen. Selbst wenn sie ihm nicht gesagt hatte, was er hören wollte, hatte sie ihm gewissermaßen doch geholfen, so gut sie konnte jedenfalls.

    Endlich redete sie, weinend und schluchzend, doch sie redete. In einer anderen Situation hätte er es vermutlich als unangenehm empfunden, die verzweifelte Frau dazu zu bringen, ihm zu sagen, was er wissen musste. Doch kreisten seine Gedanken nicht um die Sorgen irgendeiner Wirtin. Genausowenig interessierte es ihn, ob sie oder ihr Mann wirklich schuldig waren oder nicht, es war weder seine Aufgabe, das zu beurteilen, noch war es im Augenblick in seinem Interesse, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Vielmehr verlor er sich in der Tatsache, dass kein Wort aus ihrem Mund in irgendeiner Weise Gutes für seine Geliebte verheißen wollte. Dass Urbaner und ausgerechnet Christen involviert waren ließ ihn alles andere als aufatmen und er kam zu dem Schluss, mit Sibel konnte von obdachlos über verhaftet bis hin zu tot alles passiert sein. Avianus fuhr sich erst verkrampft durch die Haare, dann übers Gesicht, nur um sich den Handrücken dann einen Moment lang vor den Mund zu halten, weil er befürchtete, dass es bald wieder Zeit für seine stressbedingte Übelkeit war. Die Anwesenheit der Wirtin brachte ihn dazu, sich weiterhin im Griff zu haben, obwohl es vermutlich keine Rolle spielte, was die wirre Frau dachte.
    "Aber Sib… Beroe … Sie hatte doch damit nichts zu tun?" Nein, sie konnte unmöglich eine Christin sein. Bestimmt hätte er davon gewusst, niemals hätte sie es ihm verschwiegen. Auch hatte sie versprochen, auf sich aufzupassen, und er wollte nichts mehr, als daran zu glauben, dass sie genau das versucht hatte, ganz egal was passiert war. Und Christen brachten Schwierigkeiten, dessen musste sich auch Sibel bewusst sein.

    "Ganz genau, ein ausgesprochen angenehmer Zufall", stimmte er der Tiberia gelassen zu, als sich seine Verwunderung wieder gelegt hatte. Gerade als er noch etwas hinzufügen wollte, hörte er erneut den Namen Silanus, jedoch nicht aus seinem Mund, sondern, wie konnte es anders sein, fast direkt hinter sich aus Senecas.
    "Ach, du auch noch, Seneca…" Überrascht wanderte sein Blick zu seinem Vetter. "… Centurio ", hängte er noch an, man war schließlich im Dienst, selbst wenn man die halbe Familie um sich hatte. Die Tiberia wirkte inzwischen noch verwirrter als zuvor. Und während er noch überlegte, ob er sie über die Situation aufklären sollte oder in welche Richtung er das Gespräch ansonsten lenken könnte, blieb ihr scheinbar die Stimme weg. Herrlich. Irgendwann sollte er seinen Verwandten dafür danken. Und wenn sie nicht dazu fähig war sich vorzustellen, würde er das natürlich mit Freuden übernehmen.
    "Dann hat dein Vorstellungsgespräch im Palast also Früchte getragen, Silanus. Das freut mich." Und ob. Procurator libellis - das konnte sich durchaus sehen lassen. "Wenn ich euch beiden meine Bekannte, die überaus reizende Tiberia Lucia, vorstellen darf…" Er schenkte der jungen Frau ein flüchtiges, süffisantes Lächeln und fragte sich, wie weit er das Spiel wohl treiben konnte. "Du siehst heute übrigens wirklich hinreißend aus, Tiberia", kommentierte er glatt. Damit war aber Schluss, nicht dass jemand auf abwegige Gedanken kam. Eigentlich fast schon schade.

    Avianus nickte mit einem leichten Lächeln. "Verstanden, Centurio."
    Er freute sich im Grunde schlichtweg deswegen, weil endlich mal etwas anderes passierte, und wenn es dabei nur um einen Kleinkriminellen ging, der Nachts unerlaubt Wände bepinselte, war es eben doch wieder einmal ein wenig Abwechslung. Doch eines fehlte noch.
    "Er ist ungefähr so groß, dünn, helle Haare", wiederholte er die Merkmale, mit welchen der Händler ihm den Mann zuvor beschrieben hatte und zeigte mit einer kurzen Geste die Größe des Verdächtigen. "Er soll sich regelmäßig nach Einbruch der Dunkelheit hier in der Nähe der Basilica Aemilia und der Curia Iulia aufhalten." Er hatte die Worte nicht nur an seinen Vetter und Centurio gerichtet, sondern auch an seine umstehenden Kameraden. Wenn sie vorerst immer nur zu zweit unterwegs waren, konnte es bestimmt nicht schaden, wenn sich auch die anderen ein Bild von dem Gesuchten machen konnten.

    Was die Wirtin ihm erzählte, ließ nur immer mehr Fragen in ihm hochkommen. Nein, er hielt es nicht mehr aus, lehnte sich wieder etwas vor und stand schließlich auf und machte unruhig ein paar Schritte durch den Schankraum, noch während sie sprach. Er unterbrach die wirre Frau nicht. Zum einen, weil er wollte, dass sie ihm alles sagte, was sie wusste, zum anderen weil ihm alle Worte fehlten. Verhaftet. Ein Gast. Hat darauf bestanden. Auf was? Dumme Frage. Sibel war eine Lupa. Eine Hure. Erneut wurde ihm diese Tatsache schmerzlich klargemacht. Viel zu viel auf einmal, und doch nicht genug, berichtete sie ihm. Er zwang sich dazu, seine Gedanken zu ordnen, damit wenigstens noch ein Mensch im Raum einen ansatzweise klaren Kopf behielt. Dazu war die Wirtin wohl eher weniger in der Lage. So schob er die Sache mit dem anderen Mann widerwillig beiseite, bevor sie sich noch mehr in seine Gedanken brannte. Er musste sie finden.
    "Wer? Wer hat sie alle verhaftet?? Die Urbaner? Die Garde?", fragte er eindringlich. Musste er sie mühsam nach jedem Detail fragen? Wenn sie seine bereits zu genüge strapazierten Nerven auf eine Belastungsprobe stellen wollte, war jetzt ein denkbar schlechter Zeitpunkt. "Warum?"
    Und er war es auch noch gewesen, der Sibel eingeredet hatte, sie wäre hier sicher, sie bräuchte sich keine Sorgen zu machen. Er hatte ihr Dinge versprochen, von denen er hätte wissen müssen, dass er sie nicht halten konnte, wenn es darauf ankam. Aber selbst er hatte daran geglaubt. Alles wäre gut, hatte er gesagt. Schwachsinn.

    Es waren höchstens ein paar Minuten vergangen, doch es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis die Wirtin etwas von sich hören ließ. Es dauerte etwas, bis er sie in der Tür erkannte. Nur noch ein Schatten ihrer selbst war sie, leistete damit lediglich einen Beitrag zu der Verwirrung des Iuniers und bewies ihm aufs Neue, dass nichts mehr war, wie zuvor.
    Avianus lehnte sich zurück, als wollte er sich selbst beweisen, dass er vollkommen ruhig war, dabei spürte er regelrecht wie sich Angst in ihm breitmachte, und mehr als die Ruhe, die dazu nötig war sitzenzubleiben und keine Miene zu verziehen, könnte er vermutlich nicht einmal aufbringen.
    "Was ist hier passiert?", fragte er, anstatt der Wirtin eine Antwort zu geben und musterte sie mit durchdringendem Blick. "Die Lykierin, Beroe… die, die hier ein Zimmer hatte, … wo ist sie?"
    Sein Ton machte klar, dass er nicht ohne eine Erklärung gehen würde. Ihm war vollkommen egal, ob er einen für die Wirtin günstigen Zeitpunkt erwischt hatte oder nicht, so wie es hier aussah war wohl jeder Augenblick ungünstig. In erster Linie war er nur noch auf Antworten aus, um vielleicht das Schlimmste zu verhindern. Noch konnte er sich jedoch einbilden, dass die Dinge gar nicht so schlecht standen, doch derartige Illusionen schmolzen nur zu schnell dahin, meist ehe er sich versah.

    Irgendwann hatte er damals auf seiner Reise einen Punkt erreicht, an dem er sich vorgenommen hatte, den Gedanken an Sibel zu verdrängen. Nicht weil er sie nicht vermisste oder sich nicht mehr um sie sorgte, sondern weil genau diese Sorge ihn von innen zu zerfressen gedroht hatte. Sein Vorhaben war natürlich nur von mäßigem Erfolg gekrönt gewesen und seit ihrer Rückkehr fiel es ihm immer nur noch schwerer, klare Gedanken zu fassen.
    Mit gemischten Gefühlen näherte er sich der Taberna. Wie lange war es her? Viel zu lange. Das wüsste er auch wenn er nicht jeden einzelnen Tag gezählt hätte. Hatte er aber – selbst als er sich bereits dazu entschlossen hatte, nicht mehr immerzu an sie zu denken. Und ständig hatte er sich einzureden versucht, dass sie satt, gesund und in Sicherheit in ihrem kleinen Zimmer saß, so wie es geplant war. Aber seit wann lief auch nur das kleinste Detail wie geplant, wenn es um Sibel ging. Nichts von alldem, was zischen ihnen passiert war, war jemals geplant gewesen – von Anfang an ein Chaos, inmitten welchem er stets behauptet hatte, alles im Griff zu haben.
    Schon jetzt vor der Tür beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Diese Stille. War normalerweise nicht schon von Draußen die Geräuschkulisse der Taberna zumindest zu erahnen? Vielleicht war er auch einfach viel zu lange fort gewesen. Doch als er die Tür bereits auch nur einen Spalt weit geöffnet hatte, bestätigte sich seine Ahnung. Er starrte vollkommen perplex in einen leeren Schankraum. Der befremdliche Anblick hielt ihn allerdings nicht davon ab, langsam einzutreten. "Salve... ?" Irgendwer musste ja da sein, wenn schon offen war ... möglicherweise. Auf die Erkenntnis hin, dass wohl wirklich etwas gewaltig schief gelaufen war, musste er sich erst einmal auf den nächstbesten Stuhl setzen.

    "In Ordnung." Avianus nickte und machte sich umgehend daran aus den umstehenden Kameraden eine Handvoll herauszufischen. Mit Canus, Densus und Cato im Schlepptau machte er sich auch schon auf den Weg. Als erstes, wie könnte es anders sein, Richtung Basilica Aemilia. Sollte sich irgendwann irgendetwas Ungewöhnliches zugetragen haben – die Chancen standen gut, dass zumindest einer der unzähligen Ladenbesitzer darüber zu berichten wusste.
    Nachdem der erste Händler nur dürftige Informationen zu bieten hatte und stattdessen umso mehr seinen köstlichen Käse an den Mann bringen wollte, fand sich einige weitere ergebnislose Befragungen später der vielversprechende Krämer Casperius Verus, der bereitwillig etwas Zeit für den Iunier und seine Begleiter opferte.


    "Wir sind auf der Suche nach dem Verantwortlichen für die kaiserfeindlichen Schriften, die unter anderem an der Curia Iulia aufgetaucht sind, kannst du uns etwas dazu sagen?"
    "Is' ja schon 'ne Weile her…", entgegntete der Händler nachdenklich. "Aber hin und wieder lungert da so'n seltsamer Kerl rum … abends, wenn ich den Laden zumach'. Geht schon länger so." Der Krämer kratzte sich am Kopf.
    "Der hält sich nur hier auf? Oder verhält er sich anderweitig auffällig?", fragte Avianus, der natürlich hellhörig geworden war.
    "Sieht immer so aus, als würde er drauf warten, dass die Leute heimgehen. Vielleicht klaut der hier auch nachts. Hab ma' mit 'nem Bekannten drüber geredet … meinte der wär auch schon besoffen gewesen. Hat da anscheinend auch schon so Sachen rumgegröhlt. Würd' mich nicht wundern, wenn er auch was mit dem Gesudel zu tun hat", erzählte der Krämer weiter.
    "Sachen? Was für Sachen?" Konnte ja alles mögliche sein, wenn sich der Mann so unbestimmt ausdrückte.
    "Ich war nich' dabei… aber auch über den Kaiser, hat er gesagt."
    "Sonst noch was? Vielleicht wie der Mann aussieht?", bohrte Avianus weiter nach. Zumindest hatten sie mit den Hinweisen des Krämers schon einmal etwas ansatzweise hilfreiches gefunden.
    "Er ist etwa so groß …" Der Krämer deutete kurz die Größe des Mannes an, einen ganzen Kopf kleiner, als es der Iunier selbst war. "… und dünn, helle Haare. Sitzt dann meistens irgendwo zwischen der Basilica Aemilia und der Curia Iulia rum. Ich geh' da nich' näher ran und dunkel ist es dann meistens auch schon. Mehr weiß ich wirklich nicht."
    "Gut, ich bedanke mich. Vale." Der Iunier gab den anderen Milites, die sich in der Zwischenzeit ebenfalls umgehört hatten, ein Zeichen, dass sie zur Curia zurückkehren würden. "Wir haben, was wir brauchen."


    Nicht unmerklich erfreut über seinen Erfolg marschierte er mit den anderen zu der verunstalteten Mauer zurück. Mit den Casperius Verus' Aussagen ließ sich mit Sicherheit einiges mehr anfangen als mit den paar Pinselstrichen, die der Täter hinterlassen hatte. Und selbstverständlich hatte er vor, dafür ein kleines Lob zu kassieren.
    "Einer der Händler behauptet, hier gelegentlich spätabends einen verdächtigen Mann beobachtet zu haben, Centurio", fasste er kurz die Schilderungen des Krämers zusammen. "Allem Anschein nach ist er Cornelius Palma nicht unbedingt wohlgesonnen."


    Edit: Täterbeschreibung editiert

    Sie hatte ihn bemerkt, wie hatte er auch denken können, dass es anders war. Für einen Moment hatte er zu hoffen gewagt, sie würde die Sache dabei belassen. Als hätte er jemals derartiges Glück gehabt. Glück. Ein absolutes Fremdwort. Genervt schloss er kurz die Augen, als die Tiberia einmal mehr deutlich machte, dass man sie so einfach nicht loswurde. Einzig und allein was sie damit bezwecken wollte, war Avianus vollkommen schleierhaft. Hatte sie vor, ihn hier in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht zu rücken, oder wollte sie sich einfach nur aufführen, als wäre sie Teil des Pöbels? Gerade sie, die wundervolle und überaus wichtige Tiberia? Wenn sie wirklich so viel von sich hielt, wie er annahm, stellte sich ohnehin die Frage, weshalb sie überhaupt so scharf darauf war, sich mit ihm abzugeben.
    "Was hast du… ", setzte er gezwungenermaßen zu einer Antwort an und verzog noch immer keine Miene, nur um gleich darauf wiederum unterbrochen zu werden. Sein Blick wandterte in die Richtung aus der die Stimme gekommen war und entdeckte... "Silanus??" - niemanden geringeres als seinen werten Verwandten. Diesen gerade hier und jetzt anzutreffen, führte dazu dass er seinen Verwandten mit ehrlicher Überraschung musterte, die Situation war inzwischen allerdings derart seltsam, dass ihm vorerst nicht sehr viel mehr einfallen wollte. Fehlte ja nur noch, dass im nächsten Moment Seneca um die Ecke kam.

    Unschlüssig beobachtete er seinen gerade seltsam wortkargen Cousin, der auf die geschätzte Hälfte des Gesagten nicht einmal wirklich reagierte.
    "Ein paar von uns könnten sich derweil ja mal umhören", versuchte er erneut seine Idee, Zeugen zu finden, an den Mann zu bringen, ohne dabei allzu lästig zu wirken. Was sollten sie auch sonst tun? Noch immer betrachtete er die beiden Sätze, die vor ihnen auf der Mauer prangten und leider nicht viel hergaben – es war kein Geheimnis, dass Palma Feinde hatte und sich unter ihnen auch Leute befanden, die Cornelius Palma für den Mord an Valerianus verantwortlich machten. Ein anderer Anhaltspunkt musste her.

    Nichts tat sich. Bisher. Natürlich, er musste den Aufmerksamen spielen, selbst wenn im Grunde absolut nichts los war. Nichts Besorgnis erregendes jedenfalls. Vermutlich weil ohnehin jeder wusste, dass die Prätorianer nicht bloß zur festlichen Dekoration zählten. Wer auf irgendwelche Dummheiten kam, hatte wahrscheinlich ein halbes Dutzend Prätorianer an sich kleben, noch ehe er sich überhaupt versah.
    Das war auch der Grund, weshalb Avianus eigentlich nichts Böses ahnte. Bis sich eine junge Frau näherte und eine nur zu bekannte Stimme den restlichen Lärm auf dem Forum übertönte. Wenn er jetzt genau eines nicht gebrauchen konnte, war es die lästige Patrizierin. Er starrte mit versteinerter Miene zu der spielsüchtigen Tiberia hinüber, bis er endlich seine Konzentration wiederfand, seinen Blick von ihr löste und noch immer recht hölzern schlichtweg an ihr vorbeistarrte. Vermutlich hatte sie ihn nicht gesehen, er trug einen Helm, stand zwischen seinen Kameraden, die in ihren Uniformen wohl so ziemlich gleich aussahen … am besten tat er so, als hätte er gar nichts bemerkt.
    Der Soldat neben ihm stieß ihn leicht an. "He, hast du was gesehen?", fragte er, da er anscheinend den starren Blick seines Nebenmanns bemerkt hatte.
    "Hm… ? Nein, nichts", gab er nur zurück und bemühte sich nach wie vor, nicht in eine ganz bestimmte Richtung zu sehen.

    Wo der Kaiser in der Öffentlichkeit auftrat, fehlte natürlich auch seine Leibgarde nicht. So oblag auch am heutigen Festtag die Sicherung des Platzes und insbesondere der Tribüne den Prätorianern.
    Avianus nutzte eine letzte Gelegenheit sich noch etwas umzusehen, bevor in absehbarer Zeit der Kaiser eintreffen würde.
    Zwar hätte er von seinem Posten aus einen recht guten Blick auf die Tribüne, doch natürlich stand er nicht in voller Montur auf dem Forum, um irgendwelchen Reden zu horchen - stattdessen hatte er seine Konzentration auf das Volk zu richten. Angesichts des etwas unglücklichen Umstandes, dass er später nur den Kopf zu wenden hätte, um einen recht ungehinderten Blick auf den Kaiser persönlich zu werfen, aber dazu verdammt war, das gemeine Volk zu begutachten, damit auch niemand aus der Reihe tanzte (oder besser durch), verzog er allerdings keine Miene. Auch zu dem im gewöhnlichen Dienst hin und wieder üblichen Wortwechsel mit umstehenden Kameraden ließ der Iunier sich nicht hinreißen. Man versuchte schlichtweg, den Anforderungen, die bei derartigen Anlässen an die Garde gestellt wurden, gerecht zu werden und wenn man gelegentlich von einem respektvollen Blick gestreift wurde, selbstverständlich auch ein gewisser Stolz nicht aus. Denn schlussendlich war es doch immer eine Ehre, sich mit glänzend schwarzer Rüstung präsentieren zu dürfen.

    Nachdem ein Antwortschreiben eines gewissen Iuniers bezüglich einer Erbschaft bereits lange genug auf sich warten ließ, erreichte es nun endlich das Officium des Decemvirs Iulius Dives:


    Ad
    Decemvir stl. iud.
    Marcus Iulius Dives
    Basilica Ulpia


    A. Iunius Avianus Marco Iulio Diviti s.d.


    Ich danke für die Benachrichtigung über den Tod meines Verwandten sowie dein Beileid.
    Selbstverständlich erkläre ich mich bereit, das Erbe meines Vetters Iunius Merula anzutreten, sofern mir die Annahme der Erbschaft als Mitglied des Exercitus möglich ist. Auf die Übernahme jeglicher Unternehmen würde ich daher natürlich verzichten müssen.


    Vale bene.

    Völlig unerwartet hatte vor kurzem ein Brief den Iunier erreicht, und ihn vom Tod eines seiner Verwandten in Kenntnis gesetzt. Es ging um seinen Cousin Merula, um genauer zu sein. Erst recht verwunderte es Avianus aber, als der Brief von ihm als Erben sprach - wobei er sich natürlich selbst fragte, was er denn sonst erwartet hatte. Weshalb sonst sollte er von einem Decemvirn vom Tod eines Verwandten benachrichtigt werden. Und irgendwie fühlte er sich schlecht dabei, da er vielmehr verwundert als in Trauer war. Und irgendwie auch neugierig. Dabei war es doch immer ein Verlust, wenn ein Mitglied der Iunii verstarb.
    Gänzlich ungeachtet seiner gemischten Gefühle hatte er jedoch ein kurzes Antwortschreiben zu verfassen, denn natürlich würde er das Erbe annehmen.
    Ohne weiter unnötig zu zögern, nahm er Schreibzeug zur Hand und begann, eine Nachricht zu verfassen.


    Ad
    Decemvir stl. iud.
    Marcus Iulius Dives
    Basilica Ulpia


    A. Iunius Avianus Marco Iulio Diviti s.d.


    Ich danke für die Benachrichtigung über den Tod meines Verwandten sowie dein Beileid.
    Selbstverständlich erkläre ich mich bereit, das Erbe meines Vetters Iunius Merula anzutreten, sofern mir die Annahme der Erbschaft als Mitglied des Exercitus möglich ist. Auf die Übernahme jeglicher Unternehmen würde ich daher natürlich verzichten müssen.


    Vale bene.


    Edit: Linkadresse korrigiert

    Als man am Ort des Geschehens ankam, waren die Reinigungsarbeiten zwar bereits im Gange, wurden jedoch sofort eingestellt, als die Arbeiter begriffen, wer da gerade eingetroffen war.
    Avianus besah sich die verunstaltete Wand der Curia Iulia erst aus einigem Abstand und trat letzten Endes näher heran. Man wollte sich schließlich einbringen können.
    "Haben wir bereits eine Abschrift des genauen Wortlauts, Centurio?", fragte er noch ein wenig ratlos, den besonders viel schien die Schrift selbst nicht preiszugeben. Am besten wäre es natürlich, Zeugen zu finden. "Vielleicht hat ja irgendwer etwas beobachtet. Wäre nicht unwahrscheinlich hier am Forum."