Avianus nickte lediglich. Er war absolut nicht auf dem neuesten Stand, was diverse Fehden zwischen den Iunii und anderen Familien betraf, das meiste bekam er nur am Rande mit und zu den Decimern hatte er ohnehin keinen Kontakt, deshalb ließ er die Antwort vorerst so stehen. Er erwartete einfach, Näheres zu erfahren, wenn es soweit war.
"Und bevor ich es vergesse… Sibel, also ihr Name. Da draußen kennt sie jeder als Beroe. Sibel nenne sie eigentlich nur ich. Ich weiß nicht was ihr lieber ist, aber…" Er brach ab, zuckte unschlüssig mit den Schultern und hielt einen Moment lang inne. "Danke für alles, Seneca. Gut… vielleicht krieg ich noch ein paar Minuten Schlaf, wenn ich mich beeile." Sein kleines Danke kam ihm fürchterlich wenig vor, wenn er bedachte, wie sehr ihm Seneca vielleicht helfen würde, falls Sibel tatsächlich einen Platz fand, wo sie sicher war. Er hoffte einfach auf die Möglichkeit, sich irgendwann gebührend revanchieren können.
Fürs Erste war dann wohl alles besprochen, deshalb stemmte er sich schließlich hoch, wartete aber kurz ab, ob sein Verwandter noch etwas zu sagen hatte, bevor er zu der Unterkunft seines Contuberniums zurückkehren würde.
Beiträge von Aulus Iunius Avianus
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"Bestimmt verirren sich die beiden."
"Aber sowas von", sagte Canus, während sie den Frauen noch hinterherblickten.
"Hm. Nicht mehr unser Problem", meinte Avianus, drehte sich um und nahm wieder Haltung an. "Du hast Recht. Mit dem Haken, meine ich. Ich habe das Gefühl, dass ich die beiden nie wieder einfach nur durchsuchen und reinlassen kann", sagte er ein wenig ratlos.
"Zum Glück sind wir nicht die einzigen Wachen. Stell dir vor, was das für ein Zufall wäre, wenn sie das nächste mal wieder bei deiner Schicht ankommen."
"Aber auf jeden Fall kommen sie heute irgendwann wieder raus." Nun grinste er doch wieder breit.
"Ich freu' mich schon drauf." -
"Mhm…", murmelte er, nicht allzu amüsiert über den Scherz seines Verwandten, eben nur mit dem angedeuteten Lächeln, dass er schon die ganze Zeit über im Gesicht hatte. Er war auch nicht sicher, inwiefern ihm ein Medicus helfen konnte, wenn dieser nicht vorhatte, ihm den halben Kopf einzuwickeln. Dennoch konnte ein kurzer Besuch im Lazarett wohl kaum schaden und er würde Seneca nicht widersprechen.
"Schon gut, den Rest krieg' ich alleine hin." Was sein Vetter für ihn tat und dessen erstaunlich geringer Ärger ihm gegenüber waren mit Sicherheit bereits Gefallen genug. Ihn noch mehr in seine Probleme zu verwickeln, wäre nicht richtig, und für ein paar Tage würden Sibel und er bestimmt auch alleine zurechtkommen.
"Ich schulde dir so viele Gefallen wie du willst, Seneca", seufzte er erst, noch immer müde lächelnd. "Ich könnte dir auch noch jeden Abend die Füße massieren", scherzte er dann zurück und konnte ein Grinsen nicht mehr verhindern. Er wandte den Blick wieder von den Wachstafeln und Papieren ab und fand schließlich doch noch ein ernsteres Thema.
"Ach ja, was soll ich ihr denn sagen? Ich meine, wer sind diese Bekannten?" Abgesehen davon, dass er natürlich wissen wollte, wo seine Sibel möglicherweise unterkam, machte es ihn zweifellos auch neugierig, dass Seneca noch kein einziges Mal angedeutet hatte, an wen genau er sich wenden wollte. -
"Mag' sein", sagte er schnell zwischen zwei Schlägen, wurde plötzlich von dem Fußfeger des anderen Soldaten überrascht und konnte gerade noch stolpernd zurückweichen. Er nutzte den Augenblick der kleinen Unterbrechung um richtig zu antworten.
"Aber du machst deine ganz Sache gut. Und gerade auf dem Exerzierplatz sind kleine Fehler keine Schande." Während er sprach, begann er, seinen Kontrahenten einige Schritte lang zu umrunden, setzte erneut zu mehreren Angriffen an und war mehr als gespannt, was sein Gegner dieses Mal zu bieten hatte. -
Seine Gegenseite registrierte die gewollte Schwachstelle schneller, als er erwartet hatte. Die Verteidigung war bewusst ein wenig zu langsam. Avianus wehrte den Angriff nicht rechtzeitig ab, sodass das Übungsschwert mühelos seine Schulter traf. Er ließ wiederum grinsend sein Schwert sinken.
"Also das war jetzt witzlos", lachte er. "Nochmal?" Da hob er sein Gladius aber bereits wieder und testete mit einer Reihe von Hieben die Abwehr und Schnelligkeit seines Gegners. -
Sein Übungspartner ließ sich offenbar nicht durch die von ihm gewollte geringere Distanz beirren, vielmehr versuchte er sie zu seinem Vorteil zu nutzen. Der andere Arm des Iuniers fuhr reflexartig in die Höhe, um den Ellbogen abzuwehren. Avianus ließ kurz von dem Urbaner ab. "Nicht ins Gesicht", warnte er seinen Gegner ernst, obwohl ein Lächeln seine Lippen umspielte. Dann wandte er sich wieder dem Übungskampf zu und ließ sein Gladius in Richtung Magengegend vorschnellen.
"Na los, finde meinen wunden Punkt", sagte er herausfordernd und würde absichtlich die linke Seite seines Oberkörpers ungeschützter lassen.
Der Übungskampf war ohnehin mehr ein Training für Reflexe und Koordination und für den Kampf in geschlossenen Formationen wohl weniger zu gebrauchen. -
"Junge, du stellst Fragen", brachte er hervor, noch während er zurückwich, um dem Gladius seines Gegners zu entgehen. Und diese eine Frage traf bei dem Iunier wiederum einen wunden Punkt. Er hätte Silanus töten sollen, auf der Stelle, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Denn war dieser Fehler nicht auch der Grund dafür, weshalb Sibel jetzt noch immer Angst um ihn und ihr eigenes Leben haben musste? Der Grund, weshalb sie ihn eigentlich nie wieder sehen wollte?
"Erst habe ich ihn unterschätzt und danach hatte ich keine Gelegenheit mehr." Und er hatte absolut nicht erwartet, dass Silanus sich überhaupt mit ihm anlegen würde.
Er machte einen größeren Schritt vor als er zurückgewichen war, nur um zu sehen, ob sein Kontrahent sich davon beeindrucken ließ. Dabei zielte ein Hieb auf den Hals, der ohnehin auch in voller Rüstung und mit Schild eine der verwundbarsten Stellen war.
Zumindest war es dieses Mal nicht nötig gewesen irgendwelche Lügen zu erzählen, selbst wenn ihm die neugierigen Fragen verständlicherweise unangenehm waren. Vermutlich war der Soldat lediglich einer dieser übermotivierten jungen Urbaner, wie er es schließlich selbst auch einmal gewesen war. -
Der Cohortler forderte ihn doppelt. Zum einen weil Avianus den Schlag parieren und sich gleichzeitig eine passende Antwort zurechtlegen musste. Ersteres meisterte er mit Leichtigkeit, sich immer wieder neue Ausreden für seine Eskapaden auszudenken, fiel ihm dagegen doch etwas schwerer. Um noch etwas Zeit zu gewinnen, holte er zu einem Seitenhieb aus.
"Ich würde sagen, als Soldat Roms macht man sich nicht nur Freunde, und schon gar nicht nach einem Bürgerkrieg, den man fast ausschließlich auf der falschen Seite verbracht hat", gab er als etwas schwammige Antwort zurück. Wobei durchaus etwas wahren dran war, selbst wenn es absolut nichts damit zu tun hatte, was ihm passiert war. -
Avianus konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Seiner Meinung nach waren die Stadtkohorten doch vergleichsweise selten in wirklich lebensbedrohliche Kämpfe verwickelt – wenn eben nicht gerade ein Bürgerkrieg das Reich heimsuchte. Dennoch war es zumindest auch immer seine Devise gewesen, dass es gut war, sich stets etwas mehr anzustrengen als alle anderen. Vielleicht war das auch unter anderem der Grund, weshalb er inzwischen als Prätorianer diente.
Dass der Mann ihn wiedererkannte, hinterließ bei ihm einen schalen Beigeschmack, doch es war wohl besser, einfach mitzuspielen.
"Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich immer in Form bin. Und wirklich gut zu wissen, dass die Cohortes Urbanae immer da sind, wenn man sie braucht", meinte er dann trocken. "Als Zeugen."
Wenn sie schon nicht einschreiten, fügte er in Gedanken sarkastisch hinzu.
"Warum nicht", meinte er dann wieder freundlicher. Er entfernte sich wieder und kehrte kurze Zeit später mit Ausrüstung zurück.
"Vielleicht lernst du sogar noch was dabei", sagte er, während er das Übungsschwert in der Hand wog. -
Avianus Blick fiel auf einen jungen Soldaten, der allem Anschein nach vorhatte, sich noch zusätzlich auf dem Übungsplatz zu betätigen. Offenbar kein absoluter Frischling mehr, so viel konnte er mit der Erfahrung, die er inzwischen gesammelt hatte, bereits aus dem Cohortler herauslesen.
"Hast wohl nicht genug vom Exerzieren, was?", fragte er scherzhaft und mehr oder weniger im Vorbeigehen.
Die letzten Tage hatte er, nach allem was zuvor passiert war, möglichst zur Normalität zurückzukehren, sich mehr auf seinen Dienst zu konzentrieren und vor allem nicht erneut mehr als nötig aufzufallen, was bisher tatsächlich funktioniert hatte. Seine Laune war deswegen auch entsprechend gut. -
Selbst wenn Lucia kein Wort mehr von sich gab, konnte der Iunier ihren ärgerlichen Blick förmlich spüren, was ihn allerdings herzlich wenig störte, solange sie bei der Durchsuchung nicht herumzickte. Andererseits war er wiederum ständig versucht sie anzustacheln, um herauszufinden, wie weit ihre Beherrschung ging. Dabei zu weit zu gehen, würde aber vermutlich seinem Dienst nicht gut tun.
Als hinter ihm wieder Lucias Stimme laut wurde und Manlia ihren Fächer aufschlug, konnte er gar nicht anders, als sich den anderen wieder zuzuwenden.
"Ihr könnt beide durch", sagte er schlicht. Canus hatte mehr oder weniger bereits von der Tiberia abgelassen, als sie ihm auf die Finger geschlagen hatte, schlicht und ergreifend, weil er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte.
"Ach ja, findet ihr alleine ins Officium?", fragte Avianus dann beinahe schon freundschaftlich, einen Hauch seiner noch anhaltenden Belustigung konnte er allerdings nicht verbergen. -
Avianus amüsierte sich köstlich über die Situation - vor allem da Canus mehr oder weniger bewusst perfekt mitspielte, schnalzte fröhlich während sein Kollege mit der Kontrolle begann und irgendwie schien ihm am Ende doch alles etwas zu einfach. Er wandte sich noch einmal an die Tiberia, noch immer mit einem Lächeln, aber doch etwas überrascht.
"Aber du bist schon die... naja die, die schonmal hier war? Oder?", fragte Avianus mit gespielter Verwirrung. "Canus, hat sie sich gerade irgendwie gewehrt? Oder dich bedroht?"
"Nene, ganz brav."
"Ach. Na dann", meinte er nickend. "Proculus hatte wohl wirklich Recht."
"Was? Proculus hatte Recht? Mit was? Der hat nie Recht, glaub mir. Irgendeinen Haken gibt es immer", erwiderte Canus und machte sich absolut vorschriftsmäßig an die Durchsuchung. Nicht wie der Iunier damals, als er sie nur noch loswerden hatte wollen.
"Hm. Habe ich auch immer gedacht", gab er mit einem Schulterzucken zurück. Avianus redete schon beinahe so, als wären die Frauen gar nicht mehr anwesend, bis er sich wieder mit recht gleichgültigem Blick an seinen Kameraden und die Tiberia wandte. "Ich glaube das reicht."
"Denkst du?"
"Jaja."
"Also ich weiß nicht..." -
"Hm? Was?" Kurz sah Avianus seinen Vetter mit fragendem Blick an, weil er dessen letzte Bemerkung nicht ganz verstanden hatte, fuhr dann aber fort. "Ja… ich meine, alles. Ich vertraue ihr und du brauchst ganz bestimmt nicht die Verantwortung dafür zu übernehmen. Und ich hatte eigentlich nie vor, irgendwem davon zu erzählen", versicherte er. Er wäre eigentlich mit praktisch jeder Bedingung einverstanden, die Seneca ihm stellte.
"Und natürlich, irgendwann muss ich damit aufhören…" Mehr fiel ihm dazu leider nicht ein. Er wusste nicht, ob er es jetzt beenden sollte, bevor es nur immer noch schwerer wurde, oder ob er der Versuchung nachgeben sollte, es so lange zu genießen wie er nur irgendwie konnte. Aber irgendwie fand er sich hin und wieder in der Hoffnung, dass alles von selbst ein Ende fand, damit er sich darüber nicht den Kopf zerbrechen musste.
"Kann ich dir hierfür irgendwie genug danken?", fragte er wieder mit einem matten Lächeln in den Zügen. "Aber du kannst dir sicher sein, du kriegst den besten Optio, den du je gesehen hast."
Zumindest die Nervosität und Furcht, davor, was passieren würde, wenn er hier keine Hilfe fand, hatten sich wieder gelegt, die Müdigkeit allerdings blieb. -
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als Seneca nun wirklich durchsickern ließ, dass er versuchen würde, ihm zu helfen.
"Ich weiß nicht ob das alles ist, Seneca. Was könnten wir denn gebrauchen? Ich habe sie noch nie wirklich darüber ausgefragt, was sie alles kann … alles, was ich sonst noch weiß, ist, dass sie lesen und schreiben lernen will…", sagte Avianus mit einem Schulterzucken. "Aber ich meine, bei Bekannten wäre auch schon viel wert." Erneut konnte er ein angedeutetes Lächeln nicht ganz zurückhalten. Trotz allem hätte er sie lieber bei sich, näher als nur bei irgendwelchen Bekannten, aber vielleicht war es ohnehin die bessere Lösung, wenn er sich nicht noch mehr an ihre Nähe gewöhnte. Und es war auf jeden Fall mehr als er sich jemals hätte erwarten können.
"Ich vertraue ihr voll und ganz. Also ja." Sibel hatte sie beide in Gefahr gebracht, weil sie ihm wichtiges verschwiegen hatte. Doch er wollte ihr glauben, dass sie alles nur aus Angst getan hatte. Und wenn er ihr klar machte, dass er für sie bürgte, würde sie sich bestimmt keine Fehler leisten.
"Der, der sie und mich töten wollte? Ich weiß nicht, sie hat gemeint, er würde nicht einfach so aufgeben. Aber sie hat solche Angst, dass sie gar nicht mehr klar denken kann. Wenn du mich fragst: Er musste anständig was einstecken, und ich weiß, wer er ist, und wie ich ihn einzuschätzen habe. Er wäre verrückt, noch einmal auch nur einen Finger zu rühren." -
Dass Seneca ihn als Prätorianer infrage stellte, kränkte es Avianus doch ein wenig. Aber der kleine verbale Seitenhieb war wohl genau so gedacht gewesen, also schluckte er die Worte ohne jegliche eine weitere Reaktion.
"Klar bin ich an ihr interessiert, habe ich das nicht gesagt? Natürlich geht es mir nicht darum, irgendwelchen Obdachlosen ein nettes Heim zu bieten." Er hatte sogar gesagt, dass er sie liebte, viel mehr interessiert konnte er wohl gar nicht sein. "Sie ist mir wichtig und deswegen will ich nicht, dass ihr etwas zustößt", stellte er noch einmal klar. Er hätte zu Beginn nicht einmal erwartet für sie jemals so weit zu gehen, er hatte sich bereits für verrückt gehalten, weil er sich überhaupt mit ihr traf.
"Eine Insula? Und dann?" Er lachte einen Augenblick lang bitter auf. "Am Ende bietet sie sich trotzdem wieder auf der Straße an, weil sie Essen und Kleider braucht." Und er würde damit enden, von seinem doch recht bescheidenen Sold ihr komplettes Leben zu finanzieren. Wenn dann mal nicht seine Ausrüstung den Bach runter ging und er auch den Ersatz von seinem Geld würde abstottern müssen. Der Iunius atmete kräfitg durch und ließ sich wieder tief in den Stuhl sinken.
"Sie kann Hausarbeit machen… und kochen. Sie kocht gut. Finde ich." Dass sein Verwandter überhaupt erst danach fragte, wollte in ihm bereits ein wenig Hoffnung aufkeimen lassen. Er versuchte allerdings, sich nicht zu viel davon zu erwarten, damit er am Ende nicht umso mehr enttäuscht wurde. -
"Gerade du solltest wissen, was ich kann. Denkst du wirklich, irgendein Versager hätte es mir so schwer gemacht? Das war nicht irgendein dahergelaufener Wurm, der wusste genau, was er tut. Und was willst du noch wissen? Was soll ich dir erzählen? Dass es mir Leid tut?", gab Avianus ebenso ruhig zurück. Normalerweise hätte er sich dabei wohl im Ton zurücknehmen müssen, doch dieses Mal war er schlichtweg zu abgekämpft, um wütend zu werden.
"Sie hat nichts und niemanden außer mir. Und sie hat gesagt, wenn sie nicht sicher ist, will sie das alles beenden. Sie hat Angst, mir könnte wieder etwas passieren. Aber wenn ich sie im Stich lasse, gerät sie doch nur an das nächste Schwein, das sich da draußen findet. " Er musste sich zusammenreißen, nicht ins Stocken zu geraten, weil ihm der Gedanke selbstverständlich nach wie vor unfassbare Schmerzen bereitete, dazu kam noch Senecas eisiger Blick, der es ihm nicht einfacher machte.
"Und ich sagte doch, ich weiß es nicht. Ich hatte gehofft, du weißt irgendeinen Rat." Er wusste beim besten Willen nicht, was sein Cousin noch hören wollte. Machte er tatsächlich den Eindruck, als wüsste er, was er im Sinn hatte? "Aber wenn du schon so fragst: Ja, am liebsten würde ich genau das tun. Ihr einen Ort bieten, wo sie sicher ist, und wo sie sich erholen kann. Eigentlich völlig egal wo und wenn auch nur vorübergehend. Was soll ich denn machen, Seneca?" Er lehnte sich ein wenig zurück, blieb aber dennoch sichtlich angespannt. Natürlich hatte er gehofft, dass ihm irgendetwas einfiel, bevor er hierher kommen würde. Doch als einfacher Soldat stand er nun einmal mit praktisch leeren Händen da. -
Wie immer leuchtete es ihm nicht ganz ein, wie sein Verwandter stets seine Ruhe bewahren konnte, selbst wenn er doch in Senecas Augen so vollkommen falsch gehandelt haben musste. Auf den Schwall von Worten und Erklärungen kam von seinem Vetter nur eine simple und völlig berechtigte Frage. Avianus blickte dennoch erst ratlos zurück.
"Ja…", antwortete er dann heiser, beugte sich vor, um das Gesicht für einen Moment in den Händen zu vergraben, und sah wieder auf.
"Ich weiß nicht, wie es so weit kommen konnte…" Er wusste, wie Recht Seneca hatte, sie alle hatten Recht. Sogar Silanus. Und das verstärkte seine Verzweiflung nur noch weiter.
"Ich weiß es nicht… ich kann nicht mehr klar denken… sie musste einiges durchstehen in letzter Zeit, und selbst wenn sie es mir nicht sagt, weiß ich dass sie das alles nicht mehr lange durchgehalten hätte. Ich liebe sie, Seneca. Ich kann nicht einfach dabei zusehen, wie sie in der Gosse landet", versuchte er irgendeine Erklärung aus seinen Gedankenfetzen zusammenzuklauben. Es ahnte selbst, wie viel er von seinem Cousin erwartete. Aber Seneca musste verstehen, dass er vorerst der einzige war, den er um irgendetwas bitten konnte, wenn es seine Geliebte betraf. -
"Sei unbesorgt, deine Grüße erreichen ihn auch ohne dass ich dir seinen Namen verrate", gab der Iunier mit einem aalglatten Lächeln zurück. "Immerhin vertraust du deine Botschaft mir an."
"Proculus", sagte Canus noch während er die Falten des Kleides der Manlia durchforstete und die ihn recht seltsam anmutenden Blicke der Frau zu ignorieren versuchte. "Proculus heißt er."
Avianus blickte einen Augenblick lang seufzend zu Canus. Er hatte ihm gerade ein wenig die Luft aus seiner köstlichen Unterhaltung genommen.
"Danke", sagte er nur nüchtern.
"Bitteschön, ehrenwerter Iunius."
"Bist du dann mal fertig?", bemerkte er leicht ärgerlich und räusperte sich dann. "Die äußerst sympathischeTiberia will ja auch noch dran."
Sein Kamerad ließ wieder von Manlia ab, an der Dicken war ihm schlichtweg zu viel Stoff. Trotz allem grinste Canus noch immer, für ihn war alles zusammen schlicht eine willkommene Abwechslung, das versteckte Geplänkel der beiden schien er wohl nicht einmal zur Gänze zu verstehen.
"Ach, ich krieg beide? Das ist ja nett."
Der Iunier sah zu der Tiberia, presste mit einem breiten Lächeln die Lippen aufeinander und zuckte gespielt kokett mit den Augenbrauen. Er war gespannt, ob sie sich dieses Mal ebenso zieren würde. -
Ohne noch länger irgendetwas aufzuschieben schlüpfte er durch die Tür und schloss sie hinter sich wieder zügig. "Hör mir zuerst einfach zu...", sagte er, als er noch nicht einmal wirklich im Raum stand. Er wollte sich erklären, bevor Seneca eigene Schlüsse zog oder dazu kam ihm Fragen zu stellen. Und dass er seinen Vetter beim Essen stören könnte, war ihm natürlich erstmal völlig egal. Er setzte ohne langes Zögern fort.
"Sie war in Schwierigkeiten, dieser Mann, er ist wiedergekommen, er hat sie gewürgt … Seneca, wie sehr muss man jemanden Würgen, damit am Hals blaue Flecken zurückbleiben?" Er schluckte und nutzte die Pause, sich auf den nächstbesten Stuhl zu setzen, obwohl es ihn dort, so fahrig wie er gerade war, ohnehin nicht lange halten würde.
"Sie hat meine Hilfe gebraucht, also haben wir uns getroffen, aber er ist ihr gefolgt und ... Seneca, ich habe gar nicht viel gesagt, da hat er bereits damit gedroht, mich zu töten. Ihm war völlig egal, dass er einen Prätorianer vor sich hatte. Und Sibel hätte er wohl auch getötet", erklärte er. Bei dem Gedanken krampfte sich unwillkürlich sein Magen zusammen, glücklicherweise hatte er nichts gegessen. Senecas Blick mied er wiederum, er starrte erst irgendwo in den Raum hinein, dann auf den Boden, während er die Hände verkrampft auf die Knie stützte.
"Dann ist irgendwie ein Kampf draus geworden, ich hatte gar keine andere Wahl … ich habe ihn verprügelt und dann ist er geflohen ... aber darum geht es gar nicht. Ich brauche deine Hilfe, Seneca. Ich weiß nicht was ich machen soll…" , schloss er müde und ließ das gesagte erst einmal sacken. Er wusste nicht einmal, welche Art von Hilfe er brauchte. Irgendetwas, das Sibel Hoffnung geben würde, Sicherheit, einen Ort, wo sie bleiben konnte … irgendetwas. -
Avianus lehnte sich an die Wand neben der Tür zu Senecas Habitatio. Es war früh am Morgen, hoffentlich nicht zu früh, doch am Abend zuvor war es ihm bereits zu spät vorgekommen, um noch an der Tür zu klopfen. Natürlich zögerte er. Er hatte keine Ahnung, wie sein Cousin und Vorgesetzter reagieren würde. Aber in erster Linie wollte er heute eben nicht mit seinem Centurio sprechen, sondern mit seinem Verwandten. Der wäre vielleicht etwas nachsichtiger mit ihm.
Er konnte kaum klar denken, nicht annähernd zu vergleichen mit damals, als er sich zum ersten Mal mit Seneca über Sibel unterhalten hatte, dieses Mal war er mit seinen Nerven wirklich am Ende. Er hatte die ganze Nacht über wach gelegen und hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, welche Möglichkeiten Sibel und ihm blieben. Und natürlich hatte er die Zeit genutzt sein Gesicht zu kühlen. Am auffälligsten waren inzwischen wohl die dunklen Augenringe, wahrscheinlich aus dem Grund, weil sich in ihnen Schlafmangel und die Prügel auf seine Nase summierte.
Was noch dazukam war, dass der einzige, von dem er glaubte ihn um Rat und Hilfe bitten zu können, nicht einmal wirklich auf seiner Seite stand, sondern seine Beziehung zu Sibel mehr oder weniger duldete. Wenn er hier keine Hilfe fand, wohin sollte er dann gehen? Konnte er selbst etwas auf die Beine stellen? Weg damit. Positive Gedanken, schöne Gedanken. Nichts anderes. Er klopfte.
"Centurio Iunius Seneca? Miles Iunius Avianus meldet sich", sagte er. Noch konnte er sich nichts anmerken lassen, solange die Tür zwischen ihnen stand. "Es gibt etwas Wichtiges zu besprechen."