Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    "Das kommt davon, wenn ihm zu lange fad ist", sagte Avianus mit einem versöhnlichen Lächeln. "Da kann niemand was dafür, der ist schon so auf die Welt gekommen", versuchte er sich noch an einem Scherz.
    "Ich bitte um Entschuldigung", kam es ernst von Proculus, der offenbar seinen Verstand wieder eingesammelt hatte und den Scherz wohl bewusst ignorierte.
    "Es ist Vorschrift, aber welche Wache das übernimmt ist mir völlig egal", meinte er noch, bevor der Iunier näher an die beiden herantrat. Während er die beiden nicht allzu gründlich und mit deutlicher Zurückhaltung abtastete (ganz wohl war ihm bei den beiden Damen nämlich inzwischen nicht mehr und er wollte immerhin nicht, dass sich am Ende noch irgendwer über die Palastwache beschwerte), stand sein Kollege daneben und starrte Löcher in die Luft.
    "Gut…" Er nickte und trat wieder zurück. "Ich werde euch ins Officium der Lotterie bringen", sagte er und ging bereits voraus.


    Als er zurückkehrte, stand Proculus noch immer am selben Fleck und presste die Lippen aufeinander. "Das was sowas von geplant, Avianus."
    "Du hast es dir doch selbst ruiniert", gab er mit einem verständnislosen Kopfschütteln zurück. "Aber Proculus..."
    "Hm?"
    "Du bist echt widerlich." Der Iunier grinste unwillkürlich breit.
    "Ich weiß."

    Na toll. Das lief ja wieder mal perfekt.
    "Ähem", räusperte sich Avianus, einerseits um Proculus zurückzupfeifen, andererseits um die etwas untersetztere Dame wieder zur Ruhe zu ermahnen. Nicht umsonst war er der, der redete, und nicht sein Mitsoldat. Kein Wunder, dass er nie eine Beförderung bekam. "Darf ich eure Namen erfahren?", fragte er betont freundlich, um nicht zu riskieren, dass auch er bedroht wurde... mit einem Fächer. "Äh... ja, und bitte nimm den Fächer runter."
    Etwas musste er allerdings den beiden Frauen gegenüber noch klarstellen.
    "Wir müssen euch tatsächlich auf eventuelle Waffen kontrollieren." Und noch mehr, wenn ihr euch dagegen wehrt. "Das ist nichts anderes als Vorschrift", erklärte er ruhig, in der Hoffnung, die Situation damit zu klären.

    "Du kriegst die dicke alte", murmelte Proculus.
    "Warum ich?", fragte Avianus verständnislos zurück. Auch er hatte die beiden Frauen bemerkt, die geradewegs auf sie zukamen.
    "Weil ich sonst nichts anständiges kriege", antwortete sein Kumpan sofort und fing plötzlich an zu kichern. "Nicht mal für Geld."
    "Den Scheiß werde ich nie mehr los, oder?" Er seufzte und verdrehte die Augen.
    Von Proculus kam keine Antwort, er kicherte nur weiter vor sich hin und fragte schließlich: "Darf ich heute reden?"
    Avianus grinste. "Nein."
    Sein Kamerad hatte nicht mehr die Möglichkeit zu erwidern, denn die beiden Frauen traten bereits zu ihnen vor. Mit einem Mal glätteten sich die Züge der beiden Wachen wieder, als hätte es ihr kurzes Gespräch nie gegeben.
    "Das seid ihr. Darf ich fragen wer Einlass begehrt?", fragte der Iunier höflich und hatte wieder ein angedeutetes Grinsen im Gesicht.
    "Und dann müssen wir euch noch durchsuchen", sagte Proculus hastig und trat einen Schritt an der jungen Tiberia heran.

    Avianus versank für einen Augenblick schweigend in seinen Gedanken und Erinnerungen und bemerkte Axillas Unbehagen dabei gar nicht. Ihre Frage holte ihn schließlich wieder ins Hier und Jetzt zurück.
    "Hm? Hunde?", fragte er erst ein wenig unvorbereitet. "Nicht… wirklich. Wir hatten in Misenum mal einen, als ich noch ein Kind war. Aber der war ein furchtbarer Köter." Er musste sich davon abhalten, erneut in vergangene Zeiten abzudriften, und konzentrierte sich stattdessen wieder auf sein Gespräch mit Axilla.
    Natürlich fragte er sich, weshalb sie sich dafür interessierte und kam nicht umhin, danach zu fragen.
    "Gibt es einen speziellen Grund, warum du danach fragst?"

    Avianus konnte sich ein erneutes Grinsen nicht verkneifen.
    "Genau den Seneca meine ich. Er ist mein Centurio", antwortete er. Ihm wurde langsam bewusst, wie lange Silanus wirklich weg gewesen und wie viel in der Zwischenzeit passiert war.
    "Wir brauchen wohl dringend mal einen Anlass, die ganze Familie an einen Tisch zu bringen, was? Vale und viel Glück da drinnen."

    "Dann freut es mich, zu hören, dass es dir wieder besser geht. Du hast Recht, der Kaiserhof braucht dringend neue Leute und du kennst die Arbeit ja schon. Bestimmt lässt sich da was machen, auch wenn ich dich ohne Termin nicht besonders weit vorlassen kann." Er winkte seinen Kameraden zu sich, der Silanus vorschriftsmäßig auf Waffen kontrollierte. "Wenn jemand auf die Idee kommt, dass ich meine Verwandten einfach so reinlasse, gibt es Ärger", sagte Avianus mit einem schiefen Lächeln.
    "Mein Freund hier…", er nickte zu dem Soldaten, der mit der Kontrolle fertig war und nichts gefunden hatte, "…wird dich zum passenden Officium begleiten. Und bei deinem Glück triffst du auf dem Weg dorthin wahrscheinlich auch noch Seneca."

    Nichts, was er sagte oder tat, hatte die gewünschte Wirkung. Avianus bekam so langsam das Gefühl, dass Silanus sich nicht einfach verscheuchen ließ, sondern die Sache hier noch ein ganzes Stück länger dauern würde wenn er Pech hatte. Selbst die Tatsache, dass er ein Soldat der Garde war, trieb Silanus sein Grinsen nicht aus.
    Mit einem Gegenangriff hatte er eigentlich gerechnet, aber nicht auf die Art und Weise. Und was Sibels Peiniger an Masse fehlte, machte er offenbar mit Schnelligkeit wett. Der Iunier hatte keine Chance sein Gladius zu ziehen, bevor Silanus mit aller Kraft gegen ihn rammte, ihn damit zu Boden riss und gleichzeitig für einen Moment jegliche Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Nur mit Mühe konnte er ein Husten zurückhalten. Sibels Schrei im Hintergrund musste er widerwillig ignorieren.
    Ohne länger zu zögern umfasste er mit einem Arm Brust und Schulter seines Gegners und begann, seine Faust mit roher Gewalt in Silanus' Eingeweide zu rammen. Nein, er dachte nicht mehr nach. Er tat nur noch, was er gelernt hatte, vertraute auf seine Reflexe und versuchte eventuelle Schmerzen zu verdrängen. Etwas anderes blieb ihm ohnehin nicht übrig.

    Avianus konnte förmlich mitansehen, wie seinem Cousin ein Licht aufging, und dass er nicht weniger erstaunt über ihre Begegnung war als er selbst.
    "Ich wusste doch, du würdest mich nicht enttäuschen", lachte er, als Silanus bestätigte, dass auch er ihn nun erkannt hatte. "Ja, ich hatte einiges aufzuholen. Aber wir sind zum Glück mit guter Abstammung gesegnet. Ich hoffe, dir geht es auch gut?"
    Natürlich wusste er die Anerkennung seines Verwandten zu schätzen, irgendwie musste er seine Sache ja richtig gemacht haben, sonst wäre er nicht bei der Garde gelandet. "Danke." Er lächelte und nickte kurz zurück.
    "Irgendwer muss hier ja immer rumstehen. Aber ich besuche hin und wieder auch die Casa Iunia. Bestimmt findet sich einmal eine Möglichkeit", stimmte er Silanus zu. Hier war es leider auch ein wenig ungüstig, und er hätte nichts dagegen, mal auf neuerem Stand zu sein, was seine Verwandtschaft betraf. "Äh… und ich nehme an, du willst rein, oder? Oder ist dir einfach nur langweilig?", scherzte er dann und warf einen flüchtigen Blick auf das Tor hinter ihm.

    Silanus Ausdruck minderte seinen Zorn natürlich nicht, er schürte ihn nur, mindestens so sehr wie seine Antwort. Sein Kiefer verkrampfte sich. Inzwischen war Avianus so ziemlich das genaue Gegenteil seines Gegenübers, in seinem Gesicht konnte man problemlos seine Gefühle erkennen. Nur seine Angst würde er Silanus gegenüber nicht zeigen. Denn die hatte sich an diesem Tag schon zu gut in ihm eingenistet. Und wenn er hier versagte, stand mehr als nur Sibel auf dem Spiel.
    "Waren meine Worte so missverständlich?", presste er hervor. "Sehe ich etwa so aus, als wüsste ich nicht, was ich tue?"
    Dann schwieg er wieder, die ganze Zeit über, während er auf Sibel einredete, presste die Lippen aufeinander, während sich alles in ihm anspannte und seine Hände sie etwas fester hielten, als könnten Silanus' Worte alleine sie ihm bereits nehmen. Er wusste, es bräuchte ein Wunder um ihm und Sibel dauerhaft eine Chance zu geben, Silanus hatte Recht. Doch darum ging es doch überhaupt nicht mehr, oder? Er spürte, wie es auch Sibel nicht kalt ließ, doch damit, dass es plötzlich derart aus ihr herausbrach, hatte er nicht gerechnet. Die ganze Zeit über war sie Silanus gegenüber so ängstlich und leise gewesen, sodass sie ihn einen Moment lang etwas aus dem Konzept brachte. Und als seine Fassung wieder zurückkehrte, wurde es ihm nur noch mehr bewusst, was er an ihr zu verlieren hatte. Gemeinsam mit Silanus darauf folgendem Spott, brachte es ihn dazu, Sibel vorsichtig loszulassen und ein wenig zur Seite zu schieben. Nein, es ging gar nicht darum, für immer mit ihr zusammen zu sein. Er trat vor, packte Silanus am Kragen und stieß ihn grob ein ganzes Stück von sich weg. "Sie weiß genau, wie weit ich gehe und noch setze ich nur mich selbst aufs Spiel. Traurig, wie hoffnungslos, düster und leer deine Welt doch ist, natürlich verstehst du es nicht. Denn selbst wenn ich sie wahrscheinlich nie haben kann, werde ich sie trotzdem beschützen", knurrte er. "Und ich bin mir sicher, du willst nicht das Blut eines Prätorianers an deinen hässlichen Fingern kleben haben."
    Der Mann musste verrückt sein. Der Iunius wollte sich gar nicht vorstellen, was einem Menschen widerfahren musste, um ihn schlussendlich derart zu verkorksen.

    Der Mann war tatsächlich dreist genug, sein Leben zu bedrohen, ein absoluter niemand, bei dem es kein Aas interessieren würde, wenn er ihm hier auf der Stelle das letzte bisschen Verstand aus dem Schädel prügelte. Avianus war zu sehr damit beschäftigt, seine ungerührte Miene zu bewahren, als dass er Silanus hätte antworten können. Erst als Sibel auf ihn einredete, konnte er nicht länger schweigen.
    "Und warum bin ich dann hier, wenn ich dir nicht helfen soll?", fragte er sie ruhig. "Wenn ich es nicht tue, wird er dir in der nächsten Gasse die Kehle durchschneiden." Sie glaubte doch nicht im Ernst, dass er auf sie hören würde, eigentlich sollte sie ihn inzwischen kennen. Er konnte sich nicht einfach umdrehen, weggehen und so tun als hätte es sie nie gegeben, doch genau das war es, was sie offenbar von ihm erwartete. Er hätte gerne die Zeit gehabt ihr mehr zu sagen, ihr zu widersprechen, ihr klar zu machen, dass sie es wert war und er es eben doch tun musste, wenn er nicht sein restliches Leben mit dem Gedanken daran fristen wollte, die Frau, die er liebte, bei der erstbesten Möglichkeit im Stich gelassen zu haben. Aber er hatte keine Zeit ihr irgendetwas davon zu sagen. Nicht jetzt.
    "Ich rate dir, auf der Stelle zu verschwinden, dann hat sich die Sache erledigt. Oder aber du tust mir den Gefallen, bleibst hier und gibst mir hoffentlich einen Grund mehr, mir wegen dir die Hände schmutzig zu machen", sagte er zu Silanus noch immer um Kontrolle bemüht, aber schon alleine was er gesagt hatte zeugte davon, dass er nicht mehr richtig über seine Worte und Taten nachdachte. Noch dazu hatte er gerade entschlossener geklungen, als er es tatsächlich war. Denn er war vor allem eines. Wütend.

    Avianus musste ein Seufzen zurückhalten. Er würde sie überall finden. Von einer derart haltlosen Phrase wollte sie sich abhalten lassen? Entweder er war sich noch gar nicht dessen bewusst, wie sehr sie ihren Peiniger tatsächlich fürchtete, oder er schätzte Silanus und seinen Einfluss wirklich vollkommen falsch ein. Er konzentrierte sich derweil so sehr auf Sibel, dass er den Mann, der sich ihnen näherte, nur am Rande wahrnahm, erst als dieser nur noch wenige Schritte entfernt war, wurde er skeptisch. Da war es aber schon zu spät. Der blasse Kerl blieb direkt hinter Sibel stehen und für seinen Gruß hätte er die Worte noch so freundlich wählen können, es hätte sich wohl immer seltsam kalt angehört. Die ganze Situation ließ ihn erst ein wenig perplex zurück. Der eisige Blick des Mannes verpasste dem Iunier allerdings lediglich einen kurzen Schauer, denn sein Blut wollte bereits zu brodeln beginnen, als Sibel sich vor Silanus – nach allem was sie gesagt hatte, vermutete er, dass er Silanus war – auf den Boden warf, flehend und Erklärungen stammelnd. Ihre Reaktion hatte bei ihm einen Schalter umgelegt, der dafür sorgte, dass alle Sorgen und Ängste von zuvor unwichtig wurden. Sie und sich selbst, zu schützen, das war alles, was ihn diesem Moment von Bedeutung für ihn sein sollte.
    Er beugte sich zu ihr hinab, nahm sie bei den Schultern und zog sie sanft, aber bestimmt wieder hoch, von Silanus weg, den er nicht aus den Augen ließ, und hielt sie fest, damit sie sich nicht im nächsten Moment wieder vor ihm niederwarf. Endlich fand er auch seine Stimme wieder, war sich aber erst nicht sicher, ob er bei Sibels Ausreden mitspielen oder selbst handeln sollte. Hätte ihn vor ein paar Stunden jemand gefragt, hätte er sofort eine Antwort gefunden, nicht umsonst war er bewaffnet zu den Gärten gekommen.
    "Das… ist er also?", fragte er zögernd und mit einem Stirnrunzeln. Tatsächlich hatte er ihn sich ein wenig kräftiger vorgestellt, aber gut. Mit einem scharfen Dolch konnte sogar ein Kind jemanden abstechen, dachte er abschätzig. Er würde dennoch vorsichtig bleiben und behielt jede noch so kleine Regung des für ihn Fremden im Auge, um im Ernstfall rechtzeitig zu seiner Waffe greifen zu können. "Was willst du?"

    Seine Ahnung hatte sich erstaunlicherweise bestätigt und er hatte hier offenbar tatsächlich seinen Cousin vor sich. Der ihn aber kein bisschen erkannte. Übel nehmen konnte er es ihm allerdings nicht, ihm war es genauso ergangen, stattdessen empfand er es als ziemlich amüsant.
    "Ha! Noch mehr Zufall wäre es wohl nur gewesen, wenn ich der Wachposten hier gewesen wäre", meinte er erst mit einem überraschten Lächeln. Obwohl es mit Sicherheit köstlich gewesen wäre, seinen Verwandten noch ein wenig im Dunkeln tappen zu lassen, beschloss er, Silanus aufzuklären.
    "Axilla ist auch meine Cousine, meine nächste. Mein Name ist Aulus Iunius Avianus", sagte er. "Schön dich zu sehen, Silanus. Ist lange her. Wie geht's?"

    "Ist irgendwie verständlich", stimmte er ihr zu und nickte leicht. "Mir würde es wahrscheinlich ähnlich gehen." Er konnte sich auch vorstellen, dass sie hier zurzeit einfach mehr enge Vertraute fand als in der Casa ihres Mannes. Avianus selbst konnte von sich aber leider nicht behaupten, sich in der Casa Iunia richtig Zuhause zu fühlen. Er war gerne hier, keine Frage, aber wohl einfach viel zu selten. Die Erkenntnis, dass er in der Castra irgendwie mehr Zuhause war, als im Haus seiner Gens fühlte sich für ihn dennoch seltsam an.
    Er wagte es jedoch nicht zu fragen, was mit ihrem Mann passiert war. Es war mehr als offensichtlich, dass es etwas mit dem Krieg zu tun hatte und die Antwort wohl eher nicht fröhlich ausfallen würde.
    "Hmhmhm…", lachte er nach einer Weile leise und leerte mit einem amüsierten Grinsen seinen Becher, "… die Pompeier." Der Name hatte ihm die vage Erinnerung an eine Begegnung mit einem Pompeius vor dem Tor der Castra wieder ins Gedächtnis gerufen, damals als er noch Tiro bei den Cohortes Urbanae gewesen war. Er hatte die Situation zu jener Zeit als recht unterhaltsam empfunden. Ganz im Gegensatz zu dem Pompeier, irgendein Procurator soweit er sich erinnern konnte. Und was wohl mit seinem damaligen Kameraden passiert war?

    Er schämte sich, sie angeherrscht zu haben. Es war nicht ihre Schuld. Doch auch bei ihm lagen die Nerven blank, praktisch schon den ganzen Tag, doch jetzt noch mehr, da er wusste, weshalb sie ihm den Brief geschickt hatte. Und wenn nicht einmal sie Silanus einschätzen konnte, wie sollte er dann entscheiden, was als nächstes am besten zu tun war? Er half ihr etwas ratlos die Tränen wegzuwischen, selbst wenn es ein sinnloses Unterfangen zu sein schien, weil ständig wieder welche nachkamen. Dass sie beinahe die ganze Zeit über weinte, machte ihm das Denken nicht leichter und auch, dass sie eine ganze Weile gar nichts mehr sagte verunsicherte ihn. Selbst als sie wieder zu reden begann, ging sie nur darauf ein, dass er Seneca gegenüber nicht dicht gehalten hatte und ließ seinen kurzen Anfall von Frustration unbeantwortet. Vermutlich war es aber ohnehin besser so.
    Er nickte. "Ja... Es war eine dumme Geschichte… aber ich musste es ihm erklären. Er hätte es bestimmt gemerkt, wenn ich gelogen hätte …" Er zögerte, weil er nicht wusste, wie er das folgende formulieren sollte, ohne sie zu verletzen. "Weißt du noch wie ich gesagt habe, dass das hier nicht das ist, was man von mir erwartet? Das war so ziemlich genau das, was er mir erklärt hat. Und ich soll gut darüber nachdenken, wie weit ich gehen will. Und vorläufig bedeutet, solange ich nur Miles bin und es meinen Dienst und den Ruf unserer Familie nicht beeinträchtigt." Nicht zu vergessen, er hatte Seneca mehr oder weniger das Versprechen gegeben, dass es keinen Ärger geben würde und er alles im Griff hatte. Zu dem damaligen Zeitpunkt hatte es jedenfalls auch danach ausgesehen. Wie hätte er auch ahnen sollen, dass Silanus gleich darauf wieder bei Sibel in der Tür stand. "Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde tun, was ich kann, damit du in Sicherheit bist. Das habe ich ihm gesagt. Und ganz bestimmt werde ich nie einfach so wieder verschwinden."
    Er könnte jedenfalls nicht gehen, sie einfach so zurücklassen, bevor sie nicht zumindest eine vorübergehende Lösung gefunden hatten. "Meinst du, ich könnte dich einfach fortbringen? Dich irgendwo in Rom verstecken? Rom ist groß, er wird dich nicht finden…" Er sah sie verzweifelt an. "Oder was soll ich sonst tun? Ich weiß es nicht", gestand er.

    Die wachhabenden Soldaten schenkten der sich nähernden Gruppe recht unschlüssige Blicke.
    "Salvete", grüßte Avianus die Männer kollektiv, als der Iulius sich selbst und Anhang vorgestellt hatte. Die Einladung kontrollierte er nur kurz, es war nicht die erste, die er für die heutige Audienz in der Aula Regia zu Gesicht bekam, dann blickte er an dem Iulius vorbei zu der restlichen Gesandtschaft. "In Ordnung. Ich hoffe ihr habt Zeit."
    Tatsächlich dauerte die Kontrolle aber gar nicht so lange, jedenfalls nicht so lange wie er erwartet hätte, vielleicht auch, weil er noch einen weiteren Soldaten, der in der Nähe war, dazuwinkte.
    Schließlich wurde die ostiensische Gesandtschaft, wie sie der Iulier vorgestellt hatte, doch noch in die Aula Regia geführt.

    Avianus hatte seinen Posten an diesem Tag ein wenig abseits, unweit seiner Kollegen, die wohl gerade mit einem Neuankömmling beschäftigt waren. Nichts Besonderes, wenn man daran dachte, wie viele Leute gerade in letzter Zeit in den Palast gelassen werden wollten. Mehr oder weniger die Worte des Mannes mithörend, ließ ihn allerdings dessen Name neugierig werden. Er musterte den vermeintlich Fremden noch einmal, bevor er erst ein wenig zögerlich auf seine Kameraden zuging, weil er sich nicht einmal sicher war, ob er den Namen richtig verstanden hatte, nur um seine Schritte schließlich doch noch zu beschleunigen.
    Das Gesicht des anderen Iuniers kannte er nicht, was aber nichts heißen musste. Er hatte immerhin nicht einmal seine nächste Cousine wiedererkannt.
    "Salve… Iunius Silanus? Oder habe ich mich verhört?", fragte Avianus mit einem angedeuteten Grinsen und nickte einem der beiden Kameraden zu, der ihn erst fragend ansah, den Wink aber doch noch verstand und sich solange auf seinen Posten stellen würde. Er erinnerte sich tatsächlich an einen Vetter namens Silanus. Die sich stellende Frage war nur, ob er den richtigen Silanus vor sich hatte. "Doch nicht etwa ein Verwandter der hier in Rom lebenden Iunia Axilla… ?"

    Bei dem Gedanken daran, was sie hatte ertragen müssen, schnürte es auch ihm die Luft ab. Was wenn Silanus sie beim nächsten Mal nicht mehr losließ? Was wenn er noch ein wenig länger zudrückte? Sie wäre einfach weg und er würde nicht einmal erfahren, was passiert war. Sie würde einfach nicht mehr kommen, wenn er das Amulett ablegte. Dass er sie liebte und ihr helfen wollte, würde ihr rein gar nichts nützen.
    "Wenn es nötig ist, erzählst du es ihm, verstanden? Bevor er dich umbringt, wirst du es ihm sagen." Sein Ton war ernst, doch sie in seinen Augen würde sie die Angst erkennen, die er fühlte, seit sie Silanus' Rückkehr erwähnt hatte. "Mir wird nichts passieren." Er versprach ihr Dinge, von denen er absolut nicht wusste, ob er sie auch halten könnte. Es konnte schließlich immer irgendetwas passieren, selbst wenn man es nicht im Geringsten erwartete. Manchmal waren solche Versprechen allerdings einfach nötig, so glaubte er.
    "Denkst du, er hat irgendwie Verdacht geschöpft?" Er könnte es verstehen, wenn sie sich nur einbildete, jemand wäre ihr gefolgt, auch er war nervös und hatte Angst, es dabei zu belassen, kam für ihn jedoch vorerst nicht in Frage. Allerdings konnte er die Situation nur schwer einschätzen, er musste ich also auf das verlassen, was Sibel davon hielt.
    "Was soll das heißen?", fragte er und schüttelte leicht den Kopf, als sie sich plötzlich so anhörte, als wäre sie dabei, die Hoffnung zu verlieren. "Du wirst jetzt nicht aufgeben, verdammt nochmal. Das kannst du mir nicht antun, nicht nach allem, was letztes Mal war." Er bemerkte, wie seine Stimme mit jedem Wort härter geworden war, nahm sich deshalb wieder zurück und strich ihr sanft über die Haare. "Am liebsten würde ich sagen, bring mich zu ihm, damit dieser Mann endlich bekommt was er verdient, um ihm dasselbe anzutun, was er mit dir gemacht hat. Aber ich darf nicht unüberlegt handeln, das habe ich Seneca versprochen, meinem Vetter und Centurio. Er weiß von uns, ich musste es ihm erzählen, aber er hat es… akzeptiert… vorläufig", erklärte er wieder kontrolliert. "Aber ich vertraue ihm, du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen."

    Axilla sprach haargenau seine Gedanken und Hoffnungen aus.
    "Natürlich wird er das. So wie es jetzt ist, kann es schließlich nicht bleiben. Und du hast Recht, der Krieg hat so einiges an Spuren hinterlassen", stimmte Avianus ihr zu, blickte nachdenklich durch den Garten und sah dann wieder lächelnd zu seiner Verwandten. "Nach allem, was in letzter Zeit passiert ist, sollte ich vielleicht sowieso froh über etwas Langeweile sein. Aber ehrlich gesagt geht mir das auf die Nerven", lachte er dann. Und wenn er noch ehrlicher wäre, hätte er gesagt, dass er vor allem eines wollte und brauchte: Ablenkung von den Dingen, die sich zurzeit außerhalb seines Dienstes abspielten.
    Doch erneut beschlich ihn das Gefühl, dass es bei ihrer Unterhaltung nur um ihn ging, und obwohl es seiner Cousine offenbar unangenehm gewesen war, allzu viel von sich zu erzählen, war er dennoch neugierig etwas über sie zu erfahren. Axilla war schließlich eine nahe Verwandte und dennoch wusste er kaum etwas von ihr.
    "Hältst du dich eigentlich oft hier in der Casa Iunia auf?", fragte er deshalb vergleichsweise vorsichtig. Allerdings empfand er seine Frage durchaus als berechtigt, denn wie es schien war sie einerseits verheiratet, andererseits gehörte ihr die Casa. Und es war immer gut zu wissen, mit wessen Anwesenheit er rechnen konnte, sollte er wieder einmal einen Besuch in der Casa Iunia planen.

    Der andere Soldat gab dem Sklaven den Brief zurück.
    "Gut, denn ich kenne angenehmeres als eine Toga zu durchforsten", meinte Avianus, wahrte allerdings eine ernste Miene. "Und der Sklave wird es mir vermutlich auch danken." Dem würde nämlich anschließend die lästige Aufgabe zufallen, die Falten wieder in Position zu bringen. "Ihr könnt durch."
    Daraufhin wurden der Senator und sein Begleiter zu ihrer Audienz begleitet.