Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Seine Freude über ihre Umarmung entlockte ihm tatsächlich ein leichtes Lächeln.
    "Ich könnte nie… ich würde dich nie alleine lassen, wenn du mich brauchst", sagte er leise und genoss es, sie einfach nur wieder bei sich zu haben, und zu wissen, dass es ihr zumindest den Umständen entsprechend gut ging. Am liebsten würde er sie nie wieder loslassen.
    Doch der Name Silanus aus ihrem Mund versetzte ihn bereits wieder in Alarmbereitschaft und jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Avianus schob sie ein Stück weit von sich, um ihr richtig in die Augen sehen zu können, während sie weitersprach.
    "Silanus? Ich dachte…", begann er und stockte, als sein Blick auf die blauen Flecken fiel. Er fuhr mit einer Hand vorsichtig über ihren Hals. "War… war er das?", fragte er und schluckte schwer, als er spürte, wie seine Angst endgültig zurückkehrte. Er wusste, derjenige, der ihr das angetan hatte, war mehr als nur ein wenig grob gewesen, und es machte ihm erneut klar, dass er sie nicht richtig beschützen konnte, egal wie sehr er es auch wollte.
    "Er weiß also nichts? Gut. Aber er würde nicht mich töten, er würde vor allem dich töten, erwiderte er verzweifelt und musste die drohende Übelkeit, die versuchte sich in ihm breitzumachen, mit aller Kraft unterdrücken, als ihm vollends bewusst wurde, was es für Sibel und ihn bedeutete, wenn Silanus sie wieder im Griff hatte. "Wo ist er?", fragte er, um festen Ton bemüht, was ihm nicht ganz gelingen wollte. Innerlich versuchte er gleichzeitig, sich bereits Worte zurechtzulegen, um ihr zu erklären, dass er ihre Treffen nicht hatte verheimlichen können.

    Seit Avianus den Brief erhalten hatte, war eine gefühlte Ewigkeit vergangen, dabei war es nur einige Stunden her. Es war ihm selbst ein Rätsel wie er den Dienst durchgestanden hatte, ohne dass jemandem etwas aufgefallen war, allen voran Seneca, der seit neuestem praktisch alles von Sibel und ihm wusste.
    Es dämmerte bereits, als der Iunier auf dem Weg zu den Gärten war. Sein Gladius trug er unter dem Mantel am Gürtel bei sich. Denn warum auch immer Sibel ihm den Brief geschickt hatte, er konnte nichts Gutes bedeuten und er wollte auf alles vorbereitet sein. In seinem Inneren wütete unterdessen vor allem ein Gefühl: Angst. Dagegen konnte auch die Vorfreude, Sibel wahrscheinlich gleich wiederzusehen, kaum etwas ausrichten. Wahrscheinlich, denn vielleicht war es bereits zu spät und sie wartete in diesem Moment gar nicht vor den Horti auf ihn. Oder er würde ihr nicht helfen können, und bei dem Gedanken hallten immer wieder Senecas Worte in seinem Kopf, wie viel er für sie würde riskieren wollen. Er hatte Angst. Um Sibel.
    Jedenfalls war er sich nur in einer Sache wirklich sicher: Er musste so schnell er konnte zu den Horti Lolliani. Er hatte nicht viel Zeit und auf keine Minute die er länger an ihrer Seite verbringen könnte, würde er verzichten wollen. Einen Teil des Weges legte er deshalb sogar im Laufschritt zurück.
    Vor den Gärten erkannte er allerdings nur eine mit einem Umhang verhüllte Gestalt. Doch es konnte sich eigentlich nur um sie handeln.
    "Sibel?", fragte er trotzdem schon aus einiger Entfernung und aus seiner Stimme war seine Sorge um die junge Frau deutlich herauszuhören. Als er näher an sie herantrat, erkannte er schließlich ihr Gesicht unter dem Umhang und mit einem Mal zeichnete sich in seinen Zügen pure Erleichterung ab. Er wartete nicht lange, sondern küsste sie und drückte sie an sich. "Geht es dir gut???", fragte er dann allerdings erneut besorgt.

    Avianus besah einen Moment lang das Schreiben und zog eine Augenbraue in die Höhe, während sein Kollege damit begann, den Neuankömmling zu kontrollieren.
    "Damit wäre wohl alles geklärt", sagte der Iunier, sah wieder auf und winkte den jungen Mann durch. "Viel Glück da drinnen."
    Sein Kamerad trat etwas zurück und begleitete den Matinier schließlich ins Officium des Primicerius.

    Axilla ging nicht mehr weiter auf die Situation ihrer Kinder und den neuen Imperator ein und Avianus vermutete, dass ihr das Thema schlicht unangenehm war, war er durchaus verstehen würde. Er sah sie nur einen Augenblick lang abwartend an, bevor er als Zustimmung leicht nickte und entschied, es dabei zu belassen.
    Inzwischen ging es ohnehin wieder mehr um ihn. "Klar, so schlimm ist es nicht. Und Freunde hat man genügend um sich", meinte er nur und lachte ebenfalls. "Leider habe ich aber nicht ganz so sehr übertrieben, wie ich es mir wünschen würde. Ich glaube, dass ich den richtigen Dienst in der Garde noch immer nicht kennengelernt habe. Vor Vicetia hat dafür die Zeit gefehlt und Salinator hatte ja sowieso seine eigene Leibwache. Und jetzt unter Cornelius Palma haben wir noch immer keinen annehmbaren Kommandostab. Besonders viel ist also nicht los bei der Garde." Er seufzte leise. Die derzeitige Situation war inzwischen doch ein wenig lästig und natürlich wäre es ihm lieber, alle Spuren des Krieges wären inzwischen wieder beseitigt. Aber bei einem Bürgerkrieg war das alles eben nicht ganz so einfach.
    "Ich hätte gedacht, dass du davon bestimmt auch erfahren hast, wenn du sogar von der Sache mit meiner Nase weißt", lachte er und gönnte sich noch einmal einen Schluck Wein. "Aber ich hoffe natürlich, dass sich das möglichst bald ändert und die Prätorianergarde bald wieder das ist, was sie mal war.

    "Ich hoffe, das wird nicht nötig sein", entgegnete er, nickte allerdings, um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Er stand auf und ging zur Tür.
    "Vale Seneca, bis morgen", verabschiedete er sich noch, bevor er die Habitatio seines Cousins verließ. Auch wenn er es nur ungern zugab, war er froh, sein Geheimnis zumindest Seneca gegenüber losgeworden zu sein und seinem Verwandten fast schon ein wenig dankbar dafür.

    "Das hoffen wir hier wohl alle, aber es würde mich doch sehr wundern, wenn sich da nicht bald etwas tut", bemerkte er mit einem zustimmenden Nicken. Man konnte die Cohortes Praetoriae schließlich nicht ewig ohne richtigen Kommandostab belassen.
    "Was meinst du? Vielleicht kann ich ja so lange hier bleiben und Wein trinken, bis die anderen schon schlafen", scherzte er noch mit einem erneuten Lächeln. "Andererseits könnte ich nach dieser Sache Schlaf gut gebrauchen. Gibt es noch etwas zu besprechen, Centurio?"

    "Ja, Waffen", gab Avianus noch immer recht entspannt und in freundlichem Ton zurück, obwohl ihm der leicht perplexe Ausdruck im Gesicht des Senators nicht ganz geheuer war. War es etwas derart Erstaunliches, dass die Garde Wert auf die Sicherheit des Imperators legte?
    Er blickte zu seinem Kameraden, der die Toga eher mit mäßiger Motivation und der Form halber abtastete. "Reine Vorsichtsmaßnahme, Senator."
    Der Miles fand - wie bisher eigentlich immer - nichts. Deshalb trat der Iunier ein wenig beiseite und ließ seinen Kameraden den Senator in den Palastkomplex begleiten. Aber würden sie immer davon ausgehen, dass niemand dem Kaiser schaden wollte, bräuchte man wohl auch keine Wachen vor den Palast zu stellen.

    "Salve, Senator. Eine Audienz beim Imperator höchstpersönlich?" Der Iunier gab sich gelassen wie immer. "Irgendwelche Waffen?" Sein Kamerad trat vor, um den Mann vorsichtshalber zu durchsuchen. Einerseits, weil der Senator offenbar mit dem Cornelier selbst sprechen würde, andererseits weil der Eindruck, den er machte, alles andere als entspannt war, was natürlich auch auf ersteres zurückzuführen sein könnte. Aber lieber einmal zu viel als einmal zu wenig kontrolliert, daran konnte wohl niemand zweifeln.

    Zwei Tage. So lange war es her, dass er Sibel das letzte Mal gesehen hatte. Es war beinahe unerträglich, nicht zu wissen, wo sie war oder wie es ihr ging. Das Wissen, dass sie seinen Brief hatte, um ihn zu Hilfe rufen zu können, beruhigte ihn nämlich auch nur in geringem Maß. Im akuten Notfall würde ihr der leider auch nichts bringen, aber es war alles, was er ihr an Sicherheit bieten konnte und was sie, so hatte er das Gefühl, auch zulassen würde.
    In dem Moment, als ihm nach dem Exerzieren in der Habitatio eben diese eine Schriftrolle ausgehändigt wurde, hätte er schwören können, dass sein Herz einen Augenblick lang ausgesetzt hatte. Ein Sklave der Casa Iunia habe sie in der Castra für ihn abgegeben, hieß es, von einem gewissen Aurius Latro. Er brauchte sie nicht zu öffnen, er wusste genau, was darin geschrieben stand. Absolut gar nichts. Selbst wenn man ihm nicht gesagt hätte, vom wem sie angeblich kam und woher, diese eine Schriftrolle hätte er wohl immer wiedererkannt.
    Und mit einem Mal keimte in seinem Inneren Angst auf und wuchs zusehends, je mehr er darüber nachdachte, was der Grund sein könnte, dass Sibel seine Hilfe brauchte, sodass die Zeit quälend langsam verstrich, bis der Tag sich seinem Ende zuneigte. Und dann war da noch die Sache mit Seneca, von der er ihr würde erzählen müssen, und die am Ende genau eines bedeutete: Er würde sie wahrscheinlich nicht mehr so oft sehen können, wie zuvor. Alleine über die Tatsache, dass er heute keinen Nachdienst hatte, war er froh.

    "Das tut er, um einiges besser als das meiste, was man als Soldat sonst so bekommt", meinte er belustigt und wog den Becher Wein in der Hand, während Axilla weitersprach.
    "Ach das. Der Capsarius hat ganze Arbeit geleistet, das kannst du mir glauben. Vielleicht nicht ganz so viel, wie der Cassis, der davor auf mich zugerauscht ist. Aber ich hätte sowieso nicht erwartet, dass man überhaupt wen schickt."
    Er spürte daraufhin allerdings, dass er ihr besser andere Fragen gestellt hätte. Auch das Lächeln in Axillas Gesicht ließ ihre Antwort nämlich nicht glücklicher wirken.
    "Du hast zwei Kinder? Das freut mich. Glaubst du, Palma wäre eine Gefahr für die beiden? Bisher kommt er mir doch ziemlich gnädig vor", gab er nachdenklich zurück. "Aber man geht wohl lieber auf Nummer sicher." Dennoch, Palma hatte selbst die Mannschaften seiner Leibgarde beim alten belassen, die Vorstellung, dass der neue Kaiser eine Gefahr für im Grunde unschuldige Kinder war, machte für den Iunier wenig Sinn.
    Gleich darauf entlockte sie ihm allerdings wieder ein leichtes Grinsen.
    "Ich denke, du hast da ein ganz falsches Bild von mir. So viel Wein trinke ich gar nicht, jedenfalls nicht mehr als die meisten anderen… und das mit dem Centurio war eine ganz andere und einmalige Sache.", lachte er, obwohl er sich natürlich sicher war, dass seine Cousine nur einen Scherz gemacht hatte, "Was soll ich dir sonst noch erzählen? Exerzieren, Wachdienst und an freien Abenden sieht man eben zu, dass man aus der Castra rauskommt, nicht zu vergessen natürlich das Hoffen auf eine Beförderung."
    Die Geschichte mit Sibel vor ihr zu verschweigen fiel ihm wesentlich leichter als sonst. Bei Axilla hatte er nicht das Gefühl, sie würde es sofort bemerken, wenn er ihr nicht die Wahrheit erzählte, dafür kannte sie ihn nicht gut genug.

    Bei dem Kommentar seines Vetters musste Avianus leicht schmunzeln. "Was soll's. Aber sollte irgendetwas passieren, das für dich, die Iunii oder die Garde von Bedeutung sein könnte, wirst du es wohl sowieso erfahren."
    Er blickte in seinen leeren Becher. "Dacht ich's mir doch. Ich merk jetzt schon, wie der ganze Papierkram dann an mir hängen bleibt", sagte er mit gespielt gequälter Miene, während er sich ein letztes Mal am Wein bediente. Seneca meinte die Sache mit ihm als Optio offenbar wirklich ernst, aber jetzt hatte er wenigstens die Chance, sich darüber zu freuen. "Aber weißt du was? Für einen besseren Posten und den doppelten Sold nimmt man so einiges in Kauf. Ich werde also liebend gern die Drecksarbeit für dich machen", entgegnete er lachend. Er nahm seinen Becher und prostete grinsend zurück.

    "Ich krieg das alles schon auf die Reihe. Und Sibel würde wahrscheinlich sowieso nie zulassen, dass ich mich für sie in ernsthafte Gefahr begebe, wenn dich das beruhigt." Erst jetzt fiel ihm wirklich auf, dass ihr Name noch kein einziges Mal gefallen war. Dabei musste er sich in ihrer Gegenwart stets zurückhalten, ihn nicht pausenlos auszusprechen. Was würde es schon schaden, wenn Seneca ihren Namen kannte, es spielte absolut keine Rolle.
    Das Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück, als er glaubte, die ernsten Themen endlich hinter sich gelassen zu haben. "Erinnere mich bloß nicht daran. Vor den Fragen graut's mir jetzt schon. Ich denke, du erlaubst mir nicht, Canus' Kopf mit der Wand Bekanntschaft machen zu lassen?", gab er belustigt zurück. "Und erwartest du ernsthaft, dass ich nach einer Nacht Wacheschieben ausgeschlafen und konzentrierter bei der Sache bin?" Natürlich machte er nur ein paar harmlose Scherze, und so sollte sie sein Verwandter auch auffassen.

    Avianus nickte. "Ich werde jedenfalls tun was ich kann", sagte er mit einem Lächeln.
    Doch er hatte noch nie darüber nachgedacht, was er gegen Silanus tun würde. Sibel hatte ihn angefleht, zumindest fürs erste nichts zu unternehmen, deshalb schürzte er einen Moment lang nachdenklich die Lippen. "Vorerst wohl gar nichts. Solange er nicht wieder auftaucht, ist alles in Ordnung. Und wenn doch, dann werde ich mir was überlegen müssen. Vielleicht reicht es ja schon, wenn ich in Uniform bei ihm aufkreuze, damit er sie in Ruhe lässt." Er konnte es nicht verhindern, bei dem Gedanken zu grinsen. Und selbst wenn die Prätorianerrüstung nicht reichte, würde sie wahrscheinlich dennoch dafür sorgen, dass sich dieser Silanus zweimal überlegte, ob er sich mit ihm anlegen wollte.
    "Ich habe mich ziemlich angestrengt, nicht noch blöder auszusehen, wirklich." Er lachte kurz auf. "Und klar konntest du das nicht ignorieren. Ich habe mich in der Situation aber vor allem selbst verrückt gemacht und du konntest es ja nicht wissen." Er nahm es Seneca nicht übel, sein Cousin trug immerhin keine Schuld an der Sache und hatte nur seine Arbeit gemacht. Obwohl ihm im ersten Moment eine Bestrafung mit dem Vitis lieber gewesen wäre.

    Avianus erwiderte Senecas Grinsen mit einem kurzen Lächeln und trank den letzten Rest Wein, der noch in seinem Becher war.
    "Eigentlich sind mir solche Männer egal, dafür bin ich nicht zuständig, aber ich werde nicht zulassen, dass er oder sonst wer ihr etwas antut, wenn ich es verhindern kann." Für ihn war dieses Thema damit gegessen, wenn Seneca nicht noch mehr wissen wollte, doch im Grunde hatte er ihm alles erzählt und seinen Standpunkt inzwischen mehr als klar definiert.
    "Naja, ich weiß nicht… glaubst du mir, wenn ich sage, dass ich weiß, wie weit ich gehen kann? Und dass ich dazu fähig bin, es zu beenden, wenn es sein muss? Das kann ich, Seneca", meinte er nur ernst. Es war ihm wichtig, was Seneca von ihm dachte, er war sein Vorgesetzter und Verwandter. Er war von ihm abhängig, es konnte ihm einfach nicht egal sein.
    Aber zumindest war er sein Geheimnis jetzt los geworden, wenn auch nur seinem Cousin gegenüber, dennoch hatte das Gespräch mit ihm einiges an Gewicht von seinen Schultern genommen. Mit einem Mal schlich ein leichtes Grinsen in seine Züge. "Das heute auf dem Exerzierplatz… du hast mich ganz schön ins Schwitzen gebracht."

    Er würgte jeden Kommentar hinunter und ließ Seneca zu Ende sprechen, zum einen weil er bei ihm dasselbe getan hatte, zum anderen weil er wusste wie Recht Seneca hatte.
    "Natürlich weiß ich das", bestätigte er dann ernst. "Ich weiß das alles, und sie weiß es auch. Ich habe es ihr schon mehr als nur einmal gesagt. Und ich bin mir dessen auch bewusst, dass es so nicht ewig funktionieren wird." Spätestens wenn er einmal zum Centurio würde, und er hoffte, dass er irgendwann so weit kam, müsste er sich von ihr trennen. Ob Sibel das auch klar war, konnte er aber nicht sagen. Sie brauchte sich um solche Probleme schließlich auch nicht zu kümmern. Für sie war die Welt in Ordnung, wenn sie ein paar Sesterzen in der Tasche und irgendein Dach über dem Kopf hatte, noch viel mehr, wenn es am Ende des Tages noch jemanden gab, der sich um sie kümmerte und Zeit mit ihr verbrachte. Um Ehre, Ansehen und einen guten Ruf brauchte sie sich nicht zu sorgen. Ein Gedanke, der ihn leise seufzen ließ.
    "Und es ist doch wohl auch klar, dass jemand wie sie nicht in den besten Kreisen verkehrt… es gab da mal einen Mann, er hat sie bedroht und benutzt wie eine Sklavin. Sie hat gesagt, er würde sie wahrscheinlich töten, wenn er von mir erfahren würde. Gestern meinte sie dann, sie wäre ihn los. Im Moment sieht es so aus als wäre sie sicher, aber sie bedeutet mir zuviel, als dass ich mich einfach darauf verlassen könnte, dass es auch so bleibt", sagte er unglücklich. Er hatte nie ein gutes Gefühl, wenn er daran dachte, dass eine junge Frau wie sie ganz alleine in einer Stadt wie Rom unterwegs war.
    "Meinst du, du kannst mir bei dieser Sache einfach vertrauen? Wenn du es so willst werde ich mich auch für eine Weile nicht mehr mit ihr treffen, es sei denn sie lässt mich wissen, dass sie mich braucht und meine Zeit es dann irgendwie zulässt." Er schluckte schwer, aber er wollte Seneca zeigen, dass er seine Gefühle im Griff hatte und wusste, was gut für ihn war. Und wenn Seneca in irgendeiner Weise Verständnis für seine Situation hatte, würde er auch den Nachtdienst nicht mehr erwähnen.

    Er hatte jeden Moment damit gerechnet, dass eine Welle von Vorwürfen und Worten über Verantwortung, gesellschaftliche Normen und Standesbewusstsein über ihn hereinbrach, die er kommentarlos hätte schlucken müssen. Doch sie kam nicht. Stattdessen folgten nur weitere Fragen. Avianus war einerseits irritiert andererseits aber auch froh darüber.
    "Sie ist... eine Lupa." Die Worte wollten ihm nur schwer über die Lippen kommen, hatte er sich selbst doch immer einzureden versucht, dass es einen Unterschied zwischen seiner Sibel und Beroe, der Lupa, gab, einfach um sein Gewissen zu beruhigen. "Aber es ging eigentlich nie darum, was sie ist." Er war wieder sichtlich und hörbar entspannter, denn das für ihn schlimmste hatte er bereits hinter sich, so glaubte er. "Sie hat mir einmal geholfen, und als Dank dafür habe ich ihrem Vorschlag zugestimmt, sie wieder zu treffen. Einfach so, um zu reden, weil sie sonst niemanden hatte", erklärte er ruhig. "Es war nie mehr, bis gestern. Aber ich habe nie auch nur ein As für sie bezahlt." Bestimmt gab es Lupae, die versuchten, ihre Kunden so um den Finger zu wickeln, dass sie auch sicher immer wieder kamen. Sibel würde er das allerdings nie zutrauen, jedenfalls nicht, wenn es um ihn ging. Und wüsste er nicht, dass Seneca Sibel nicht einmal das kleinste bisschen kannte, hätte es Avianus vielleicht sogar geärgert, dass sein Cousin als erstes in die Richtung dachte.

    Es hatte ihn einiges an Überwindung gekostet, sich dazu zu entscheiden, das von Sibel und ihm zu beichten und er war tatsächlich froh darüber, dass es danach erst einmal eine Weile still blieb. Avianus rieb sich nur mit der Hand den Nacken und wartete ab.
    "Danke", kam es von ihm tonlos, nachdem Seneca ihm Wein nachgeschenkt hatte. Er trank mehrere Schlucke, bis sein Verwandter die Stille brach und er daraufhin seinen Becher wieder sinken ließ.
    Sein Vetter schien seine Situation noch immer nicht zu verstehen. Avianus schüttelte den Kopf, nicht als Antwort auf irgendeine von Senecas Fragen, sondern aus der puren Verzweiflung heraus, die noch immer anhielt.
    "Seneca… nichts was ich dir jemals über sie erzählt habe, war gelogen. Das ist es ja, was mir so große Sorgen bereitet", entgegnete er und ahnte, dass Seneca spätestens jetzt die gesamte Problematik der Angelegenheit erkennen würde.
    Er hatte immer versucht seinem Cousin gegenüber ehrlich zu bleiben, doch ob er das positiv sehen sollte war eine andere Frage, in diesem Fall war die Wahrheit nämlich auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.

    "Ich habe es zumindest gehofft. Und für dich ist das alles nur deswegen absurd, weil du es nicht verstehst", meinte Avianus ernst und dennoch mit deutlich hörbarer Verzweiflung in der Stimme. Wie sollte er es auch verstehen? Vermutlich waren Männer wie er oder auch Seneca normalerweise nicht einmal dumm genug, sich derartige Geschichten auch nur auszudenken, wie die, in die er da hineingeraten war. Aber es hatte sich gut angefühlt und das tat es noch immer. Er bereute es nicht, sich auf Sibel eingelassen zu haben. Und er brauchte nicht einmal derart viele Gründe für sein Verhalten, ihm genügte genau ein einziger. Er liebte sie.
    Er setzte sich wieder hin und vergrub das Gesicht für einen Moment in seinen Händen, bevor er Seneca resigniert in die Augen sah.
    "Was wenn ich dir sage, dass es eine Frau gibt, der nicht jeder da draußen nur Gutes will? Und ich ihr versprochen habe, da zu sein, wenn sie mich braucht?", fragte er abwesend und wendete seinen Blick wieder von seinem Verwandten ab, um ihn auf die Tischplatte zu richten. Nicht, dass die Holzplatte derart interessant war, aber er erwartete auf seine Worte nicht unbedingt eine Reaktion, die er sehen wollte. "Ich verstehe dich, wenn du sagst, ich darf mich nicht mehr mit ihr treffen, aber ich will nur die Gewissheit, dass es ihr gut geht", setzte er fort, als er sich wieder gefasst hatte. "Und das letzte, was ich will, ist, dass sich das hier auf meinen Dienst bei der Garde auswirkt oder ein schlechtes Licht auf unsere Gens wirft, da hast du mein Wort."
    Es tat weh, und wie. Er stellte seine Gens und die Garde über Sibel. Doch etwas anderes blieb ihm in diesem Moment nicht übrig. Sie hatte ihm gesagt, er wäre alles für sie, und er wusste genau, weshalb er ihr nie dasselbe gesagt hatte und es auch nie würde tun können. Es gab so viele Dinge, die unglaublich wichtig waren, wie eben die Iunii und die Garde. Zwischen all den anderen Dingen konnte ihm Sibel nicht alles bedeuten. Doch sie bedeutete ihm alles, was er für sie nur irgendwie erübrigen konnte.

    Avianus war erneut überrascht, dieses Mal jedoch wegen ihrer Antwort. Dass sie sich zu ihm setzte und damit andeutete, ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten, entlockte ihm schließlich ein freundliches Lächeln.
    "Meine nächste Cousine? Na dann bedanke ich mich für den Wein, der gehört wohl auch dir", scherzte er noch immer lächelnd. Er hatte durch seine Familie hin und wieder etwas über seine Cousine gehört und auch gewusst, dass sie sich in Rom aufhielt, doch sie heute hier anzutreffen, hatte er wirklich nicht erwartet. Ihre letzte Begegnung lag wohl weit zurück, zu weit, um sich daran zu erinnern, wenn es denn jemals eine gegeben hatte. "Da bin auch ich überfragt, es müsste schon ewig her sein." Er setzte sich auf, um sich besser mit ihr unterhalten zu können.
    "Ja, schon… eine Weile. Ich diene unter ihm bei den Prätorianern und bin eigentlich fast nie hier in der Casa Iunia. Was hast du denn sonst noch so gehört?", fragte er mit einem Lachen. Viel mehr gab es über ihn allerdings wohl nicht zu wissen. Er war Soldat und deren Leben war wohl immer in etwa dasselbe. "Aber wie geht es dir? Wie sieht dein Leben so aus?", wandte er sich mit ernsthaftem Interesse an sie.