Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Wieder blieben Avianus erst die Worte weg. Er schluckte, als er fühlte, wie er dabei war, sich selbst in die Ecke zu drängen.
    "Nein, es… es tut mir leid", brachte er hervor. "Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll, aber…" Er brach ab, stand auf und ging ein Stück durch das Zimmer. Einerseits um seine Nervosität wieder in den Griff zu bekommen, andererseits um etwas Abstand zu Seneca zu gewinnen. Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. "Ich kann mich hier nicht einsperren lassen, das musst du mir glauben. Ich verspreche dir auch, dass ich mir keinen Fehler mehr erlauben werde. Und frag' einfach nicht nach dem Warum", bat er seinen Centurio und sah ihn beinahe schon flehend an.
    Viel lieber hätte er Seneca von Sibel erzählt, als einfach nur irgendwelche unbegründeten Phrasen von sich zu geben und zu hoffen, dass sein Vetter sie schluckte, doch er konnte nicht wirklich daran glauben, dass er die ganze Wahrheit verstehen würde.

    Avianus starrte mit zusammengepressten Lippen den Becher an, der vor ihm auf dem Tisch stand, bis Senecas Stimme wieder ruhiger wurde, nur um kurz darauf umso mehr aufzuhorchen.
    "Optio? Ich? Das ist… ich weiß nicht was ich sagen soll", sagte er und zwang sich zu einem leichten Lächeln. Er freute sich, sogar sehr. Doch was Seneca von ihm verlangte, dämpfte seine Freude gewaltig, sodass er sich eigentlich nur um ein Lächeln bemühte, weil alles andere wahrscheinlich verdächtig wäre. Er wusste nicht, ob er das konnte. Ausgangssperre. Einige Tage? Was waren einige Tage? Was wenn Sibel seine Hilfe brauchte? Er wäre nicht da. Es war im Grunde das einzige Versprechen, dass er ihr gegeben hatte. Für sie da zu sein, wenn sie ihn wirklich brauchte. Dass er für einige Tage den Anhänger nicht würde hinterlegen können, war dabei gar nicht so wichtig, sie würde es mit Sicherheit verstehen. Doch falls ihr etwas zustoßen würde, wäre es vor allem er, der es sich nicht verzeihen könnte.
    "Aber ich bitte dich, du weißt ganz genau, wie viel mir die Garde bedeutet." Er blickte seinen Cousin einen Augenblick sprachlos an. "Ich… es ist… das ist lächerlich, Seneca", stammelte er. Noch während er es aussprach, spürte er, dass er wahrscheinlich das komplett falsche sagte. Dieser Tag hörte nicht auf, ihn mit Problemen zu konfrontieren, mit denen er sich zuvor noch nie hatte beschäftigen müssen. Am liebsten würde er sich einfach schlafen legen und auf ein besseres Morgen hoffen.

    Er konnte erzählen was er wollte, er hatte sich nicht voll und ganz aufs Exerzieren konzentriert. Der Grund dafür war aber wohl viel eher sein Kamerad gewesen als Sibel. Sie war eine vollkommen andere Geschichte. Trotzdem spürte Avianus, dass das Gespräch bereits jetzt in eine Richtung zu laufen drohte, die ihm nicht gefiel. Dass Seneca wieder diese Frau erwähnte, war dafür bereits Grund genug.
    Aber er glaubte zu wissen, was sein Verwandter meinte. Früher hatte es für ihn praktisch nur die Arbeit gegeben, seit er bei der Garde war noch mehr, weil er sich beweisen und zeigen wollte, dass man ihn nicht zu Unrecht zu den Prätorianern geholt hatte. Und jetzt, da es einmal anders war, suchte sich Seneca dafür den nächstbesten Grund, den er ihm bot. Und das war Sibel.
    "Ich weiß, ich habe mich nicht richtig konzentriert, aber ich war es nicht, der einen Fehler gemacht hat, Seneca", sagte er ernst und nahm einen Schluck aus dem Becher. "Und was ist immer mit der Frau? Ich habe dir doch schon von ihr erzählt. Alles was du zu wissen brauchst."
    Zumindest hatte er jetzt, da er sich eine gewisse Kontrolle über die Situation einbildete, seine Nervosität ein Stück weit im Griff.

    Es dauerte länger als erwartet, bis sich die Tür öffnete. Zu hoffen, dass sein Vetter womöglich gar nicht da war, hätte Avianus dennoch nicht gewagt. Er wartete gezwungenermaßen geduldig ab, bis Seneca ihn eintreten ließ
    "Mich freut es auch", gab er zurück, selbstverständlich nicht ganz ehrlich. Um sich freuen zu können, brauchte er erst einmal zu wissen, weshalb er hier war.
    "Klar, gerne." Wein, genau das was er jetzt gebrauchen konnte, um seine Nerven zu beruhigen. Dass er ganz nebenbei wohl auch noch seine Zunge lockern würde, vergaß er dabei allerdings nicht. Doch er brauchte ja nicht den ganzen Krug alleine hinunterzukippen, bis er fröhlich alles ausplauderte, was Seneca nicht einmal hören wollte. Inzwischen hatte er sich auf einen der Stühle gesetzt und lehnte sich zurück, ein kläglicher Versuch, sich selbst vorzugaukeln, er wäre auch nur halbwegs entspannt.
    "Ich hoffe doch, dass kein ernsthaftes Problem der Grund ist, weswegen ich hier bin."

    Es gab keinen Grund nervös zu sein. Überhaupt keinen. Das war es zumindest, was Avianus sich einreden wollte. Es hatte nichts mit der Lupa zu tun, nichts mit seiner Sibel. Hatte er seinem Cousin etwa einen Grund gegeben skeptisch zu sein? Je länger er über diese Frage nachdachte, desto unsicherer wurde er. Vielleicht war es etwas vollkommen anderes, etwas, das gar nichts mit dem zu tun hatte, was heute auf dem Übungsplatz passiert war. Hoffen konnte man schließlich immer, selbst wenn er nicht wusste, auf was.
    Er stand einfach nur da vor der Tür zu Senecas Habitatio, und zögerte hinaus, was im Grunde unumgänglich war. Natürlich musste er mit Seneca reden, er hatte keine Wahl. Vor seinem Cousin hätt er sich vielleicht noch drücken können, jedoch nicht vor seinem Centurio. Er atmete einmal tief durch und sagte sich in Gedanken noch einmal, es ging nicht um Sibel, und wenn doch, musste er das Beste daraus machen. Sich irgendwie aus der Sache herauswinden und Halbwahrheiten erzählen.
    Er starrte noch einen Augenblick das Holz der Tür an. Ein Gedanke beruhigte ihn jedoch genug, um sich dazu überwinden, zu klopfen. Egal was Seneca wollte und vollkommen unabhängig davon, was er dann von sich gab, sie war sicher, auch vor Silanus, selbst wenn er sie nicht mehr treffen konnte, ob nur für eine Weile oder auch länger.
    "Miles Avianus, Centurio", sagte er durch die Tür hindurch deutlich hörbar. "Seneca?"

    Gerade hatte er damit begonnen, den Wein, die Stille und das angenehme Wetter zu genießen, als eine junge Frau zu ihm trat. Er hatte sie zuerst gar nicht bemerkt, erst als sie neben den Klinen stand und ihn grüßte, registrierte er wirklich, dass er nicht mehr alleine war. Etwas überrascht die Augenbrauen hochziehend musterte er die Frau, auch weil er schließlich nicht damit gerechnet hatte, noch andere Iunii in der Casa vorzufinden. Er nahm jedenfalls an, dass sie eine Iunia war, umso mehr interessierte es ihn natürlich wer genau sie war.


    "Salve …", grüßte er zurück und wusste erst einmal nicht weiter. Da sie offenbar seinen Namen kannte, kam er sich fast ein wenig blöd vor, überhaupt nicht einordnen zu können, wer da vor ihm stand. "Setz dich doch", sagte er deswegen, überspielte damit seine Ratlosigkeit und deutete auf die anderen Klinen. Jemanden zu haben, mit dem er ein nettes Gespräch führen konnte, wäre der angenehmen Atmosphäre mit Sicherheit nicht abträglich.
    "Entschuldige die Frage, aber kennen wir uns? Normalerweise merke ich mir Gesichter gut." Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte es einfach nicht länger zurückhalten können. Und Unterhaltungen waren doch um so vieles leichter, wenn man wusste, wen man vor sich hatte.

    Avianus fiel es schwer ein leichtes Grinsen zurückzuhalten. Nicht nur wegen des kleinen Scherzes des Aedils, sondern auch wegen dessen Begleiter, die doch einen leicht einfältigen Eindruck machten.
    "Gut. Ich hoffe doch, dass hier niemand einen Grund hat, irgendwen umzubringen zu wollen", bemerkte er nur kurz, bevor eine der Wachen den Senator in den Komplex und zum Officium des Procurators a memoria führte.

    Sein letzter Besuch in der Casa Iunia lag bereits eine ganze Weile zurück. Damals, bei seinem ersten kurzen Besuch in der Casa nach dem Bürgerkrieg, hatte Avianus außer den Sklaven niemanden vorgefunden, nicht einmal Diademata. Auch heute rechnete er eigentlich nicht damit, dass außer ihm noch jemand anwesend war. Tatsächlich hatte er nicht einmal nachgefragt. Im Grunde wollte er einfach nur ein wenig Ruhe und gutes Essen genießen, obwohl er ein wenig gute Gesellschaft bestimmt nicht abgewiesen hätte. Es war ihm natürlich schon mehrmals durch den Kopf gegangen, dass er in diesem Moment ebenso gut bei Sibel sein konnte. Zumindest theoretisch, denn es war nicht Abend und er wusste nicht, wie er sie untertags irgendwo in Rom hätte finden sollen. Und wenn sich die Möglichkeit nach der Casa zu sehen einmal ergab, wollte er sie nutzen.
    Er begab sich zu der Sitzecke im Hortus, ließ sich auf einer der Klinen nieder und entspannte sich. Er hatte einen Sklaven aufgefordert, ihm schon mal ein wenig verdünnten Wein zu bringen, dieser trat nun zu ihm, um ihm ein Glas einzuschenken. Er gönnte sich einen Schluck und ließ seinen Blick durch den Hortus schweifen.

    Senecas Befehl, zum Rest der Truppe zurückzukehren, waren die erlösenden Worte, auf die er gehofft hatte. Er hatte allerdings keine Zeit, sich in irgendeiner Weise zu beruhigen. Ein Gespräch unter vier Augen hieß selten etwas Gutes, außer er hatte mit einer Beförderung zu rechnen, was beim derzeitigen Zustand der Garde natürlich nicht in Frage kam.
    "Verstanden, Centurio", brachte er hervor. Seneca hatte dafür gesorgt, dass sich in seinem Inneren innerhalb weniger Minuten ein wirres Durcheinander aus Gefühlen ausgebreitet hatte. Angst – davor ob sein Verwandter tatsächlich etwas gemerkt hatte, Zweifel – ob das mit Sibel wirklich richtig war, Ärger – über sich selbst, weil er wohl wieder einmal auf die größtmögliche Scheiße zusteuerte. Und andererseits der Gedanke an Sibel, der ihm einreden wollte, dass alles andere vollkommen egal war, wenn er sie nur bald wiedersehen konnte. Nur zu gern würde er dem Glauben schenken.
    "Ja, Centurio", kam es von Canus. Der kleine Vortrag ihres Centurios hatte das dämliche Grinsen vorerst aus seinem Gesicht gefegt. Jedenfalls bis sie wieder in den Reihen der anderen standen und sich der Kamerad des Iuniers ein erneutes leichtes Grinsen nicht verkneifen konnte.
    "Fang noch einmal an zu reden und du kannst dir deinen Cassis aus dem Arsch ziehen", flüsterte Avianus ihm zu. Er konnte froh sein, wenn er nur irgendwie zu seiner Konzentration zurückfand. Das Gespräch mit Seneca, so kurz es auch gewesen war, hatte ihm jeden Nerv geraubt. Einen Nebenmann, der noch einmal irgendeinen Blödsinn anstellte, konnte er nicht mehr gebrauchen.
    Den Blicke der anderen Soldaten versuchte er so gut er konnte mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Spätestens in der Habitatio würden aber mit Sicherheit Fragen aufkommen, vor denen es ihn jetzt schon grauste.

    "Dann werde ich bei unserem nächsten Treffen eine Tabula mitbringen", meinte er bevor sie sich voneinander verabschieden würden.
    Er kostete den Moment ihres letzten Kusses bis zu ihrem nächsten Treffen voll aus. "Ich sage dir immer dasselbe, jedes einzelne Mal", sagte er mit einem Lächeln und drückte noch einmal ihre Hand. "Und jedes Mal hast du das Amulett irgendwann wieder gefunden. Und noch nie hatte ich mehr Gründe, dich wiedersehen zu wollen, als jetzt." Er drückte sie noch ein letztes Mal an sich.
    "Vale, Sibel. Pass auf dich auf." Nie hatte er seine Abschiedsworte ernster gemeint als dieses Mal. Es hätte ihn früher schon geschmerzt, sie zu verlieren, doch jetzt befürchtete er, es könnte ihn noch weitaus schwerer treffen. Er wüsste nicht, was er tun sollte, falls ihr irgendetwas zustoßen würde.
    Es fiel ihm unendlich schwer, sich von ihr zu lösen, und als er sich schließlich von ihr abgewandt hatte, wagte er es nicht, sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Der Ausdruck, der sich in diesem Moment, in dem er langsam in der Dunkelheit verschwand, auf ihrem Gesicht abzeichnen musste, war mit Sicherheit nicht der, den er von diesem Abend als letztes in seinen Gedanken behalten wollte, so unglücklich wie sie gerade eben noch gewesen war. Ihre Stimme und der Kuss, das waren die letzten Dinge, an die sich seine Erinnerungen hängen sollten, wenn er schon in die Castra zurück musste. Und mit diesen Gedanken im Kopf würde er am Ende wahrscheinlich ruhiger schlafen als je zuvor, obwohl er sie jetzt bereits vermisste.

    Jetzt hatte er tatsächlich einen Grund ins Schwitzen zu kommen. Zunächst hatte er keine Ahnung was er darauf sagen sollte, zu sehr hatte er genau vor dieser Reaktion Senecas Angst gehabt. Ob es ihm wirklich nur noch um Bestrafung ging oder ob er inzwischen einfach nur neugierig war, konnte Avianus nicht einschätzen. Am liebsten hätte er seinen Cousin hinter die nächste Ecke geschleift und ihm alles erzählt, nur um ihm zu zeigen, was er ihm hier gerade antat.
    Er riss sich wieder zusammen und schüttelte den Kopf. "Nein, Centurio. Aber sie wäre wohl jeden Preis wert gewesen", antwortete er und zwang sich so etwas wie ein leichtes Lächeln auf die Lippen, das recht schnell wieder verschwand. Was machte er hier bloß.
    Dann stand er etwas ratlos da. Was wollte er denn noch wissen? Wie sie aussah? Was sie ihn genau gekostet hatte? Oder was sie getan hatten?
    "Sie war nur eine Lupa", sagte er und spürte wie er sich mit seinen eigenen Worten einen Stich versetzte. Er musste sich zusammennehmen, um seine unbeeindruckte Miene zu wahren. Sibel war so viel mehr. Für ihn war sie nicht einmal eine Lupa. Beroe war eine Lupa, Sibel war die Frau, die ihm an seinen freien Abenden das Gefühl gab, die Sorgen und Zweifel, die er sonst hatte, würden gar nicht existieren.
    Das einzige, was ihm jetzt wohl wirklich helfen konnte, war, einfach ohnmächtig umzukippen. Davon war er jedoch weit entfernt, obwohl er befürchtete, ihm könnte schlecht werden, wenn Seneca noch weiter nachbohrte. Davon konnte er allerdings auch nicht mehr erwarten, als Seneca nach den nächsten zwanzig Fragen irgendwann vor die Füße zu kotzen.
    Neben ihm stand noch immer Canus, der bereits wieder ziemlich fröhlich wirkte, vermutlich weil er sich freute, nicht mehr Teil des Mittelpunktes des Geschehens zu sein.

    Seneca glaubte wohl, mit seiner Strafe gnädig zu sein, und ahnte gar nicht, in welche Art von Bedrängnis er seinen Verwandten damit brachte. Dabei konnte doch gar nichts passieren. Trotzdem, seine Geschichte mit den Horti Lolliani kaufte ihm schon lange niemand mehr ab. Außerdem würde er sich damit um einiges lächerlicher machen als mit der Wahrheit. Natürlich war die Wahrheit in diesem Fall das, was Canus wusste.
    "Also… der Avianus", begann Canus.
    Avianus schenkte seinem Kameraden einen warnenden Seitenblick.
    "… der hat gestern einen schönen Abend verbracht, denke ich… mit einer Frau", endete sein Kamerad zögerlich und blickte noch einmal zu dem Iunier, der langsam nickte, und doch deutlich schluckte.
    "Das war alles", kommentierte er knapp.
    "Äh... ja."
    Dabei sah er Seneca nicht in die Augen, viel eher starrte er in die Luft hinter seinem Cousin und Centurio. Er wollte gar nicht wissen, was Seneca jetzt dachte, aber auch weil er befürchtete, sein Verwandter könnte irgendeine verdächtige Regung in seinem Gesicht ausmachen. Jetzt wurde er schon paranoid. Und Canus wusste nichts, rein gar nichts. Diese Erkenntnis sollte genügen um ihn zumindest vorerst zu beruhigen. Sein Kollege konnte nichts erzählen, was Sibel und ihn gefährden könnte. Trotzdem wurde ihm vor Nervosität heiß unter seiner Rüstung. Wenn Seneca nur nicht weiter fragte.

    Ihre unschuldige Miene hatte wohl nichts geholfen, vielleicht auch aus dem Grund, weil man sie aus Senecas Blickwinkel dank Helmen und Schilden praktisch nicht sehen konnte. Das Durcheinander, das gerade eben passiert war, allerdings sehr wohl.
    "Wenn ich jetzt für deine Scheiße geradestehen muss, kannst du echt was erleben", murmelte er verärgert, so, dass es nur Canus hören konnte. Er merkte aber durchaus, wie unangenehm seinem Mitsoldaten die Sache war.
    "Es tut mir leid, echt", flüsterte Canus nur kaum hörbar, bevor sie vor Seneca traten.
    Dort nahmen die beiden Milites Haltung an und verzogen keine Miene. Ich kann nichts dafür, ich kenne die Kommandos in- und auswendig, verdammt nochmal, hätte er seinem Cousin am liebsten gesagt. Avianus hatte absolut keine Ahnung was er jetzt zu erwarten hatte. Er hoffte, dass Seneca mitbekommen hatte, wer in die falsche Richtung gelaufen war. Egal was passiert war, seinem Kameraden die Schuld in die Schuhe zu schieben, kam nämlich auch nicht in Frage, schon gar nicht vor der ganzen Centurie.

    "Du weißt genau, wie viel du mir bedeutest. Aber wenn das hier wenigstens halbwegs funktionieren soll, müssen wir uns an gewisse Regeln halten", sagte er und sah sie liebevoll an und behielt sie mit seinem Arm noch ein wenig bei sich, wenn sie schon glaubte, ihren wegziehen zu müssen. Er war mit seinen Worten zuvor zu grob gewesen. Aber hin und wieder konnte er nicht verhindern, dass sein Mund schneller war als sein Verstand, selbst wenn es ihm danach meistens Leid tat, so wie jetzt.
    Nach seiner anfänglichen Verwunderung, folgte jetzt allerdings Freude darüber, dass sie tatsächlich lesen und schreiben lernen wollte. Es würde alles so viel einfacher machen. "Was redest du da. Ich habe die Zeit, die ich eben für dich habe. Wenn du sagst, du möchtest sie nutzen, um lesen und schreiben zu lernen, dann können wir das versuchen", sagte er und schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. Er wusste nicht wie sie darauf kam, dass ihm die Zeit fehlte, er verbrachte ohnehin soviel Zeit mit ihr, wie er konnte. Wenn sie einen Teil davon investieren wollte, um zu lernen, würde er sie mit Sicherheit nicht abweisen. Es musste ja auch keine Scriba oder gar eine Poetin aus ihr werden.
    Er ließ sie vorsichtig los und setzte sich auf, um sich seine Tunika überzustreifen. Es wäre eine Lüge gewesen, zu sagen, dass es ihn inzwischen nicht auch schon leicht fröstelte. Während sie sich ebenfalls wieder anzog, stand er auf und legte noch den Gürtel an.
    Er konnte spüren wie es sie belastete Abschied nehmen zu müssen. Sie stand vor ihm und sah ihn nicht einmal an. Unglücklich zog er die Augenbrauen zusammen. Er konnte ihr nichts sagen, was sie nicht eigentlich schon wissen müsste. Dass der nächste Abend, an dem er es irgendwie einrichten konnte, wieder ihr gehören würde zum Beispiel. Er hatte es ihr schon oft genug gesagt und mehr als das und dass er sie liebte und für sie da war, wenn sie ihn brauchte, konnte er ihr nicht versprechen.
    Er nahm eine ihrer Hände in seine und strich ihr mit seiner anderen sanft ein paar Haarsträhnen zurück.
    "Was willst du von mir hören, Sibel?", fragte er. "Ich werde so bald wieder da sein, wie ich nur irgendwie kann."

    "Ja was will er denn? Hat er nicht langsam gesagt? Hat er doch, oder?", raunte Canus neben dem Iunier, als sie nun doch etwas schneller ihrem imaginären Feind entgegensteuerten.
    "Hat er", kommentierte Avianus nur knapp.
    "Aber wenigstens machen wir nix kompliziertes", meinte sein Nebenmann und sah das vergleichsweise gemütliche Vorrücken deshalb als passende Möglichkeit, ein wenig zu plauschen. "Ach ja, was war eigentlich gestern Abend?"
    "Wovon redest du?" Avianus setzte ein gekonntes Pokerface auf.
    "Als wir uns schlafen gelegt haben, warst du nicht in der Habitatio", gab Canus unbeeindruckt zurück.
    "Ach das. Ich war in den Horti Lolliani. Spazieren", antwortete der Iunier fast schon automatisch.
    "Mitten in der Nacht? Ich bin dein Freund, du kannst mir alles erzählen."
    "Wie kommst du darauf?", fragte Avianus erst stirnrunzelnd und schürzte dann kurz die Lippen. "Ich… äh… ich hatte was mit einer Lupa." Das war ja auch irgendwie die Wahrheit. Er musste ja nicht erwähnen, dass er nicht bezahlt hatte.
    "Du machst dir einen schönen Abend und sagst mir nichts davon?" Canus klang merklich enttäuscht. "Aber egal. Und ich will ja auch nicht immer selbst Hand anle…" Sein Satz wurde vom nächsten Befehl unterbrochen, was den Prätorianer zu Avianus' Rechten vollkommen aus dem Konzept brachte. Während der Rest der Truppe nach rechts wendete, war der Kamerad des Iuniers der einzige, der ganz offenbar nach links wollte und dabei unweigerlich mit diesem zusammenprallte. Avianus konnte dabei kaum verhindern, in den nächsten Soldaten hineinzustolpern, von dem er ein grimmiges "Was zum…?" zu hören bekam, während er selbst ein entnervtes "Canus, du Flasche!" zischte.
    Seneca konnte unterdessen das kleine Durcheinander kaum übersehen haben, selbst wenn die beteiligten Milites wieder unschuldig wie eh und je weitermarschierten und dreinblickten, als wäre nichts gewesen.

    "Sibel, das kann ich nicht", gab er direkt unglücklich zurück. "Das kann ich auf keinen Fall. Ich habe morgen Dienst. Und was soll ich den anderen in der Castra erzählen, wo ich war? Und was soll ich Se… meinem Centurio erzählen, wenn ich beim Wachdienst fast einschlafe?" Während er sprach war seine Stimme zusehends ernster und sein Ausdruck härter geworden als beabsichtigt. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Ob Seneca etwas merken würde. Ob er ihn so im Auge behielt, dass er es ihm ansehen würde, wenn er nicht voll bei der Sache war.
    "Ich bin ein Teil der kaiserlichen Leibwache, ich kann mir keine Fehler erlauben", sagte er zusammenfassend, wieder ruhiger und mit weicherem Blick. Vor allem aber wollte er sich keine Fehler erlauben. Er wollte gut sein, in dem was er tat, seine Gens stolz machen, und vielleicht irgendwann mehr sein als nur ein kleiner Miles. Dennoch kam es ihm so vor, sie würde nicht wirklich verstehen, was er meinte und was es ihm bedeutete, oder aber sie wollte es nicht. Die Prätorianer hatten einen Ruf, dem er gerecht werden musste, selbst wenn er nach dem Krieg ein wenig angekratzt war.
    Doch sie klammerte sich fast schon an ihn, sodass er das Gefühl hatte, nicht einfach aufstehen zu können. Sie ahnte wohl gar nicht, wie schwer sie es ihm gerade machte, das Richtige zu tun. Er liebte sie und würde ihr nur allzu gerne sagen können, dass sie so viel Zeit hatten, wie sie nur wollte. Dass er wieder fort musste, hatte nicht direkt mit ihr zu tun, es wäre bei jeder Frau so gewesen, es wäre selbst bei einem Besuch in einer Taberna so gewesen. Und selbst wenn ihr kühl wurde. Neben ihr lag eine Tunika auf dem Boden. So herzlos, ihr das zu sagen, war er allerdings nicht. Er hatte schließlich beschlossen, ihnen noch ein wenig gemeinsame Zeit zu gewähren. "Ich kann ein bisschen bleiben, aber nicht die ganze Nacht."


    Nach einer kleinen Weile, in der es wieder stiller geworden war, fing sie ein vollkommen anderes Thema an, welches Avianus dann doch ein wenig verwunderte. "Hm? Klar würde es vieles einfacher machen, aber worauf willst du hinaus? Soll ich es dir etwa beibringen?" Er blickte sie einen Moment lang fragend an. Seine Hand griff derweil in Richtung Tunika und Gürtel, beides lag noch neben ihnen im Gras.

    Natürlich wäre es auch ihm lieber, sie würde ihr Geld auf eine andere Weise verdienen. Aber wenn sie keine andere Wahl hatte, musste es eben so funktionieren. Er versuchte einfach, sich nicht zu viele Gedanken darüber zu machen.
    "Irgendwann findet sich vielleicht eine Möglichkeit, dich da rauszuholen." Er lächelte sie aufmunternd an, selbst wenn er noch nicht den geringsten Schimmer hatte wie er das jemals anstellen sollte. Er sah sie einfach nur nicht gerne unglücklich.


    Auf seine kleine Bemerkung, sagte sie genau das, was er sich in seinem tiefsten Inneren erhofft hatte. Ihre Bitte an ihn zu bleiben war für ihn nur ein Zeichen dafür, wie gerne sie ihn bei sich hatte und wie sehr sie ihn vermissen würde. Aber ein paar Minuten würde er noch für sie erübrigen können.
    "Mhm", murmelte er zustimmend, legte sein Gesicht an ihre Haare, deren Duft er so gerne genoss, und schloss die Augen, als sie ihn umarmte als ob sie ihn festhalten wollte. Ihr ein bisschen hörte sich in seinen Ohren allerdings viel mehr nach eine ganze Weile an. "Aber du weißt, dass ich nicht ewig hier bleiben kann… ?" Er musste daran denken, wie er zwischen ihren gegenseitigen Küssen und Liebkosungen daran gedacht hatte, für sie auch die ganze Nacht hierzubleiben, und fragte sich wie sie es schaffte, ihm derart den Kopf zu verdrehen, weil er eigentlich ganz genau wusste, dass er es sich nicht leisten konnte, am nächsten Tag müde und unkonzentriert zum Dienst anzutreten. Und je später er in die Castra zurückkehrte, desto mehr würde es auffallen, denn wer ging schon mitten in der Nacht im Stockdunkeln alleine im Park spazieren? Er würde sich wohl dieses Mal sowieso einen anderen Vorwand ausdenken müssen, mit dem er seine Kameraden abspeisen konnte.

    Sibel ließ sich Zeit, bevor sie ihm antwortete. Hoffentlich war ihr seine Frage nicht unangenehm, die aber bestimmt nicht völlig unerwartet kam. Es beruhigte ihn innerlich, als sie bestätigte, was er im Grunde nur hatte vermuten können. Natürlich könnte sie ihn dabei nur zu leicht belügen, doch er vertraute ihr voll und ganz, und war sich sicher, dafür hatte sie keinen Grund. Und das Lächeln, das sie ihm immer wieder schenkte, ließ irgendwelche Zweifel ohnehin gar nicht erst aufkommen.
    Über ihre Gegenfrage musste er wie sie zuvor erst einen Moment nachdenken.
    "Eine Frau? Ich hatte bisher nicht die Möglichkeit, die eine Frau zu finden", sagte er, ahnte aber, dass das keine ganze Antwort auf ihre Frage war. "Und eine Frau, die du dafür bezahlst, ist nicht dasselbe. Es ist ein Geschäft, das ist ihr klar, und das ist dir klar. Es ist keine Liebe."
    Mit ihr war alles so vollkommen anders. Was er für Sibel empfand, war groß genug gewesen, um sich trotz aller Widrigkeiten auf sie einzulassen, und es beherrschte ihn genug, dass er es wieder tun würde, obwohl es ihm nicht leicht gefallen war, sie so nah an sich heranzulassen. Was er für sie empfand würde weit über diesen Abend hinausgehen. Und tatsächlich war es ihm egal wohin es führen würde, obwohl er sie das gerade an diesem Abend noch gefragt hatte, für jetzt spielte es nicht die geringste Rolle.
    Sein Blick richtete sich in den Himmel und starrte nun doch etwas unglücklich in die Sterne. Vielleicht konnte er sie dazu bringen, wieder zu verschwinden, wenn er sie nur lange genug anstarrte. Er wusste, dass er gehen musste, doch er fand keine Möglichkeit, die diesen Moment nicht zerstören würde.
    "Ich muss bald wieder zurück", flüsterte er kaum hörbar. Vielleicht hörte sie es überhaupt nicht oder würde ihn bitten, zu bleiben. Irgendwie wünschte er es sich, auch wenn er selbst nicht sicher war, welchen Sinn das hätte. Genausowenig machte er Anstalten sie von sich zu schieben und aufzustehen.

    Er sah ihr an, wie glücklich sie war und auch er hätte sein Glück nicht in Worte fassen können, hätte er es gewollt. Avianus genoss einen weiteren ihrer Küsse und dann einfach nur noch, sie bei sich zu haben und ihren Atem dicht an sich zu spüren. Er hatte es geschafft, seine Sorgen und Zweifel abzulegen und er würde sie nicht zurückkehren lassen, solange sie heute bei ihm war. Und sie half ihm dabei, jeglichen schlechten und bedrückenden Gedanken fernzuhalten, das Glück, das er in ihrer Nähe empfand, war einfach größer.
    "Du hast für mich dasselbe getan", sagte er leise, lächelte zurück und strich ihr mit seiner freien Hand über die Haare. "Und ich werde diesen Abend nie vergessen."
    Es würde immer der eine magische Abend bleiben, der alles in ihm verändert hatte. Der Abend der ihm gezeigt hatte, was es bedeutete, wirklich zu leben und zu lieben. Und die Frau, die sich jetzt an seine Seite schmiegte, würde immer der Mittelpunkt, das Herz dieses Abends bleiben.
    Er wollte nicht zurück in die Castra, sich seinen Kameraden erklären müssen und dabei alle belügen, um dann alleine in seinem harten Bett wach zu liegen. Er wollte bei ihr bleiben, mit ihr würde es ihn auch nicht stören wach zu bleiben, er würde auch mit ihr einschlafen, solange er einfach nur nicht von ihr weg musste. Denn wer wusste schon, wann sie sich das nächste Mal treffen würden. Die Zeit würde sich bis dahin wie eine Ewigkeit anfühlen. Das war schon so gewesen, als er seine Gefühle gekonnt verdrängt hatte.
    "Hast du so etwas wie das hier schon einmal erlebt?", fragte er sie nach einer Weile. Sie war, nach allem, was er für sie empfand, noch immer eine Lupa. Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie das, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, jeden Tag erlebte. Für ihn war es etwas so besonderes gewesen, und alles an ihr sagte ihm, dass sie dasselbe fühlte.