Beiträge von Titus Pompeius Atticus

    Was für Pferde? “Ähm... weiße? Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob sie aus Gallia stammen oder von woanders. Wir können sie uns aber gerne ansehen, wenn das hilfreich ist.“ Atticus hatte keine Ahnung, was das für einen Unterschied machen sollte, woher die Pferde stammten. Solange sie gesund und schnell waren, sollte das doch egal sein?


    Mit der anderen Frage konnte er schon mehr anfangen. “Nein, daran haben wir nicht teilgenommen. Das letzte, große Rennen, an dem die Albata beteiligt war, waren die Ludi Victoria Augusti vor... vielen Jahren, fürchte ich. Aber genau das möchten wir ja ändern. Wie gesagt, sollen schon bald Trainingsrennen stattfinden, und danach auch wieder größere Rennen.“

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    Seine Schülerschaft hüllte sich in Schweigen. Kephalos wippte auf seinen Füßen vor und zurück, verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und wartete. Trotzdem gaben sich seine Schüler reichlich Mühe darin, möglichst unsichtbar zu sein und zu bleiben. Schließlich seufzte Kephalos und beantwortete seine eigene Frage.
    “Vitruvius beschreibt fünf verschiedene Verhältnisse des Intercolumniums:
    Das pyknostylos, wie wir es auch hier vorfinden. Man nennt es auch engsäulige Bauweise, weil hier die Säulen zueinander nur Abstand der eineinhalbfachen Säulendicke haben.
    Als nächstes das systylos mit dem doppelten Säulendurchmesser als Abstand zwischen den Säulen. Diese Art nennt man auch ein gedehntes Intercolumnium.
    Die gängige, schönsäulige Art mit einem Abstand von zweieinviertel Säulendicke nennt sich eustylos.
    Dann gibt es noch die weitsäulige Bauweise mit dreifachem Abstand, genannt diastylos, und schließlich noch den araeostylos mit dem dreieinhalbfachen Abstand.
    Noch weitere Abstände würden die Tragfähigkeit der Säulen bezüglich des Gewichtes des Architravs und des Daches übersteigen.


    Nun, warum also wurde bei diesem Bauwerk nun die engsäulige Bauweise gewählt und nicht etwa die als am schönsten befundene Bauweise des eustylos? Ganz einfach: Durch diesen engen Abstand erhält man hier im Pronaos stehend den Eindruck, sich bereits in einem geschlossenen Raum, also IM Tempelinneren zu befinden. Es ist geschützter, vertrauter... privater. Außerdem blendet es diese Monstrosität dort drüben besser aus.“ Eine wedelnde Handbewegung machte deutlich, dass das Marcellus-Theater gemeint war.


    “Nun, zum Abschluss begeben wir uns noch ins Tempelinnere.“

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    Nach einem Moment des Schweigens fuhr Kephalos fort.
    “Nun, von hier aus können wir jetzt das Tympanon – also das Flächenfeld im Dachgiebel – nicht sehen. Aber wie ihr vielleicht von außen bemerkt habt, sind dort auch nicht lediglich Muster, sondern viele, fein ausgearbeitete, plastische Figuren. Überhaupt wurde bei diesem Tempel jede mögliche Art der Verzierung auch wahrgenommen. Einzig die Sima besitzt außer den Löwenkopf-Wasserspeiern keine weiteren Verzierungen.
    Aber widmen wir uns nun weniger der Fülle an kleinen Details, die wir hier vorfinden, und kommen auf etwas anderes zu sprechen: Den Säulenabstand. Denn ein guter Architekt weiß: Man kann nicht nur einen Eindruck durch das vermitteln, was man baut, sondern auch durch das, was man weglässt.
    Kann mir jemand eine der gängigen Bauarten eines Intercolumnium nennen?“

    Auf die Bemerkung mit dem Namen hin grinste Atticus nur ein wenig unbeholfen. Was sollte er auch groß sagen? Dass seine Zunge fast einen Knoten bekommen hatte? Nein, lieber setzte er sich zu den beiden Galliern, nahm selber einen kleinen Schluck verdünnten Wein zur Beruhigung seiner Nerven, und versuchte, möglichst erwachsen und weltmännisch zu wirken.
    “Nun, im Moment haben wir zwei Fahrer. Naja, eigentlich drei, aber Publius Gutta ist schon lange nicht mehr in Rom gewesen und kann also nicht für uns fahren. Die anderen beiden sind Pigor Secundus und Perikles – aber alle nennen ihn Pepe.“ Warum auch immer. Atticus hatte sich nicht getraut, da nachzufragen, auch wenn er den Spitznamen irgendwie seltsam fand.
    “Aber beide haben schon etwas länger nicht mehr bei einem großen Rennen gewonnen, weshalb die Factio nun ihren Kader ausbauen und auch etwas verjüngen will, um für die Zukunft vorzusorgen. Auch ist eine Zusammenarbeit mit der Russata geplant, so dass schon bald zumindest einige Trainingsrennen stattfinden sollten. Und auf absehbare Zeit auch wieder regelmäßige Rennen vor großem Publikum.“

    “Der tut nix, der will nur... fressen“ kommentierte Atticus die Bemerkung zu seinem Hund schon recht gewohnt. Wenn man nicht aufpasste, fraß Pontus wirklich alles, was länger als eine Sekunde auf dem Boden lag. Manchmal auch Dinge, die kurzer auf dem Boden lagen. Oder unbeobachtet auf der Tischkante.


    Den zweiten Mann hatte Atticus erst gar nicht bemerkt, aber nach der ersten Überraschung bekam auch der ein jungenhaftes grinsen. Das wird schon werden! machte Atticus sich selbst in Gedanken Mut und bot den beiden Galliern einen Sitzplatz in dem recht spärlich möblierten Hauptquartier der Albata an. “Wein?“ fragte er auch höflich nach und deutete auf einen kleinen Krug und ein paar Becher. (Den Krug und den Wein hatte er von zuhause. Die Becher aber gehörten zum Factio-Inventar.) “O... bela...do...venix?“ Atticus war sich nicht sicher, alle Silben in der richtigen Reihenfolge aufgesagt zu haben. Aber vermutlich war der Gallier das Rückfragen gewohnt.
    “Ähm, ja... also... ihr könnt euch ja schon sicher denken, weshalb... also, weshalb ich dich... oder besser euch, eingeladen habe. Es wäre der Factio Albata eine große Freude, wenn du für sie fahren würdest. Also, Lusorix.“

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    “Du musst dir diese Scheußlichkeit da drüben wegdenken. Dann stellst du dort einige Baukräne auf und nimmst einige hundert Arbeiter zur Hand, entfernst die Teile vorsichtig, die du wiederverwenden willst, und haust die anderen kurz und klein, um dann weiter nördlich alles neu aufzubauen“, antwortete Kephalos etwas lapidar beim Aufstieg. Erst oben angekommen drehte er sich zu seinen Schülern um und beantwortete auch den zweiten Einwurf.
    “Natürlich war das teuer und aufwendig. Aber ihr müsst euch in diese Zeit hinein versetzen vor über hundert Jahren! Gaius Iulius Caesar hatte dieses Stückchen Land zwischen dem Tempel und dem Tiber gekauft, um dort ein Theater zu errichten, und sein Sohn, der göttliche Augustus, hat es dann nach seinem Triumph über Sextus Pompeius und Iunius Brutus und nach seinem Aufstieg zum Herrscher des weströmischen Reiches in Auftrag gegeben und nach seinem Schwiegersohn und gewünschtem Nachfolger Claudius Marcellus benennen lassen. Wie hoch war da wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ein Augur verkündet, Apollo wäre dagegen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Imperator Caesar Augustus sein gedachtes Theater absichtlich kleiner baut, weil auf der anderen Seite eben der Tiber ist, den man nicht verrücken kann?“
    Er wollte die kleinen Römer zwar nur ungern desillusionieren, was die Macht der Götter anging, aber vielleicht öffneten ihnen diese Fragen doch ein wenig die Augen für die Wirklichkeit. Apollo hätte schon höchstselbst vom Olymp herabsteigen und die Bauarbeiter mit Pfeilen beschießen müssen, um eine Verlegung dieses Tempels abzuwenden.


    “Gaius Sosius, der im übrigen ein Anhänger von Marcus Antonius war, nutzte allerdings dann die Gelegenheit, diesen Tempel hier wieder aufbauen zu lassen, und zwar nicht einfach nur als Kopie, sondern noch strahlender als alles bisher in Rom gesehene. Er war einer der Ersten, der Marmor aus Luna hierher einführen und in großem Stil verbauen ließ. Sämtliche Säulen, der Pronaos – oder Porticus, wie ihr sagen würdet – und der Eingangsbereich, all dieses wundervolle, strahlende Weiß, sind ihm zu verdanken. Insgesamt benötigte der Wiederaufbau des Tempels 14 Jahre, und man kann von Glück reden, dass Gaius Sosius nicht das Schicksal seines Freundes Antonius teilte, sondern begnadigt wurde. Ansonsten könnten wir diesen Tempel wohl nicht bewundern.
    Widmen wir uns nun zuerst den Säulen. Beginnen wir unten: Die Tori an den Säulenfüßen sind als Taue ausgearbeitet, die Trochilen zwischen ihnen sind mehrteilig und hier, wenn ihr genau hinseht, als Eierstab ausgearbeitet. Selbst dieser kleinste Raum wurde also genutzt, um ihn mit einem Muster zu verschönern!
    Die Kanneluren der Säulen wiederum sind abwechselnd breit und schmal. Normalerweise kommt so etwas nur an Innensäulen bei einem Tempel vor, doch hier auch bei den Außensäulen. Doch das besondere wartet, wenn wir unseren Blick bis ganz nach oben wandern lassen. Seht an die Unterseite des Architravs!“
    Kephalos deutete nach oben, wo jede noch so kleine Fläche der Decke des Porticus mit diversen Mustern verziert war. “Diese Muster nennt man Soffitte. Jedes dieser Bilder ist umrahmt von einem Kymation, also einem gemusterten Band. Dazwischen sehen wir auch Bukranien, also Stierköpfe, oder Palmetten.“
    Wieder ließ Kephalos seinen Schülern Zeit, über die Vielfalt der gebotenen Muster zu meditieren und ihre Schönheit und Kunstfertigkeit auf sich wirken zu lassen.

    Pontus bemerkte den Ankömmling schon, bevor es klopfte. Wo der große Hund gerade noch halb vor sich hindöste, ging plötzlich sein Kopf nach oben und die Ohren zuckten lauschend. Als es dann klopfte, kommentierte der große Molosser die Situation noch mit einem einzelnen, tiefen. “Rufff“, blieb aber ansonsten ruhig liegen.
    Atticus stand auf und öffnete sogleich die Tür. Vor ihm stand ein etwas dicker junger Mann, der, obwohl er älter war, kleiner war als Atticus. Allerdings schaffte dieser Umstand es nur kurz, Atticus aus seinem Konzept zu bringen. “Lusorix, nehme ich an? Ich bin Pompeius Atticus. Komm doch bitte rein. Keine Angst, Pontus tut nichts.“

    Atticus hatte seine Vorstellungsrunde bei den übrigen Factio-Mitgliedern erfolgreich hinter sich gebracht. Nun, es war eine recht kleine Runde gewesen, so dass das Vorstellen nicht wirklich Zeit gebraucht hatte. Und auch sonst schienen die übrigen Mitglieder reichlich unenthusiastisch zu sein, was das Wiederaufleben ihrer Factio anging.
    Allerdings hatten sie zugestimmt, dass Atticus sein Glück ruhig versuchen sollte, und ihm damit quasi freie Hand gegeben, zu tun und zu lassen, was auch immer er wollte – und finanzieren konnte. Denn die Factio war darüber hinaus auch nicht mit übergroßen Reserven gesegnet und die Bereitschaft der anderen Mitglieder, hieran etwas zu ändern, hielt sich noch mehr in Grenzen als ihre Bereitschaft, irgend etwas zu tun.


    Also hatte Atticus eben genau das getan: Seine eigenen Ressourcen gezählt und die Sache in die Hand genommen. Und als ersten Schritt wollte er ein wenig den Kader der Aurigae verjüngen, denn mit 26, 28 und 30 Jahren hatten diese nicht mehr allzu viel Zeit vor sich. Also musste ein junges Talent her, jemand vielversprechendes, der am besten schon ein paar Rennen tatsächlich gefahren hatte. Das war doch recht schwer, denn wo der Rennsport nicht so beliebt war, war auch der Beruf des Fahrers weniger beliebt. Dennoch gab es einen jungen Mann – immerhin war der trotz seiner Jugend immer noch älter als Atticus – der die genannten Kriterien ziemlich gut erfüllte. Also hatte Atticus gesucht und schließlich jemanden gefunden, der ihn kannte. Ein paar Sesterzen später sagte man ihm auch zu, die Nachricht zu überbringen.


    Und so wartete Atticus in Begleitung von Pontus also darauf, dass Wort gehalten wurde und am heutigen Vormittag tatsächlich Lusorix oder sein Lanista zum Haus der Factio Albata kommen würden, damit er mit ihm über einen Vertrag verhandeln konnte.

    “Vale, Patronus“, verabschiedete sich Atticus höflich und trat dann zurück. Schließlich warteten noch andere Menschen darauf, mit dem Purgitius zu sprechen. Außerdem wäre es wohl doch etwas sehr kindisch gewesen, sofort loszusprinten und auf dem Weg nach draußen vor Vorfreude rumzuhüpfen, auch wenn er sich danach fühlte. Stattdessen bekam Pontus noch ein kurzes Streicheln hinter den großen Ohren und ein grinsendes Herrchen verließ mit einem heute schon ordentlich durchgeknuddelten Hund dann angemessen langsam das Haus.

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    Nach einer Weile also war die Gruppe am Tempel des Apollo direkt neben dem Marcellus-Theater angekommen. Kephalos blieb stehen und ließ einen bewundernden Seufzer beim Blick auf den Tempel ertönen und begnügte sich damit, den Tempel einen Moment lang nur anzusehen. Erst nach einigen Augenblicken der stillen Bewunderung drehte sich Kephalos wieder zu seinen Schülern um.


    “Hier nun befinden wir uns am Tempel des Apollo Alexikakos, oder Apollo Medicus, wie die Römer ihn rufen. Im Gegensatz zum Tempel des Portunus haben wir hier einen Tempel der korinthischen Bauordnung vor uns, am einfachsten zu erkennen an den korinthischen Kapitellen. Wo zuvor die gedrehten Voluten den einzigen Schmuck dieser Kapitelle darstellten, sehen wir hier – sehr weit über uns, zugegeben – fein geschmückte Arkanthus-Blätter in zwei verschiedenen Größen. Dazwischen finden sich Darstellungen von Lorbeerbüscheln, bis schließlich die Kapitelle mit einer verschnörkelten Zierleiste unter dem Architrav abschließen.


    Doch nicht nur die Kapitelle zeichnen sich durch eine viel größere Detaildichte und Verspieltheit aus, jedes einzelne Bauelement des Tempels ist reicher, besonderer, schöner gestaltet. Natürlich, ist Apollo auch ein Gott der Schönheit!


    Beginnen wir also mit den offensichtlichen Dingen: Der Tempel steht erhöht auf einem Sockelbau aus Travertin an allen tragenden Stellen, aus Tuff und opus caementitium an den nicht-tragenden Stellen. Dieses Podium gehört zum ältesten Teil des Tempels, der insgesamt 3 Mal umgebaut wurde, zuletzt vor rund achtzig Jahren von Caius Sosius, weshalb der Tempel häufig auch der Tempel Apollo Sosianus genannt wird.
    Vor diesem Umbau besaß der Tempel an der Frontseite eine große Freitreppe, die hinaufführte. Da aber diese Abscheulichkeit genannt Marcellus-Theater hier den Platz beanspruchte, wurde die Fronttreppe aufgegeben, der Tempel bei diesem Umbau ein Stück gen Norden versetzt – was an und für sich schon ein Affront ist, werden geweihte Gebäude doch nicht einfach so 'versetzt' – und der Zugang zum Tempel durch zwei Seitentreppen gewährleistet.


    Begeben wir uns nach oben. Und wenn jemand Fragen hat, dann fragt.“

    Ein wenig verlegen schaute Atticus schon drein, dass ihm sein Tatendrang offensichtlich so sehr anzumerken war. Aber der Purgitius hatte ja recht. Er wollte ja los. Endlich etwas machen. Etwas, das ein tatsächliches Ergebnis bringen würde! Wenn er dann noch ein paar seiner Freunde überreden konnte, sich für die anderen Factiones zu begeistern, dann würde es bald jeden Monat ein neues Rennen geben! Oder zumindest einmal im Halbjahr eines, was auch schon viel wäre.


    Also kratzte er sich verlegen am Kopf und wollte schon etwas zum Abschied murmeln, als er ein wohlbekanntes Stimmchen hörte. Er hatte keine Ahnung, wie alt Purgitia Albina jetzt war. (Kleine Mädchen waren [/i]noch[i] uninteressanter als große.) Aber sie war mit Pontus so ziemlich perfekt auf Augenhöhe, was Hund wie Kind beide gekonnt auszunutzen wussten.


    Als Pontus das vertraute Stimmchen hörte, löste er sich sofort aus der streichelnden Zweisamkeit mit Purgitius Macer und trabte freudig mit dem Schwanz wedelnd auf das kleine Menschlein zu. Wie meistens bei diesen Zusammentreffen war der Schwung der beiden nicht optimal aufeinander abgestimmt, so dass Pontus das kleine Mädchen wie meistens halb umrannte, sich dann ausgiebig knuddeln ließ und schließlich mit seiner Zunge zur Gegenattacke ansetzte, bis Albina schließlich doch auf dem Boden lag und sich von ihm ablecken lassen musste.
    Auf das “Pontus!“ seines Herrchens reagierte er nur recht widerwillig. Es gab noch ein Brummeln und einen Stupser mit der Nase, ehe er sich wieder an die Seite von Atticus gesellte.

    Atticus klopfte am Haus der Factio Albata an. Allerdings öffnete ihm niemand, denn wie zu erwarten war, war hier alles doch sehr ruhig und das Haus nicht ständig besetzt. Das war einfach der Preis dafür, wenn man sich bei einer der unpopuläreren Factiones – wie sein Patron es ausdrückte – bewarb.
    Also hinterließ Atticus einfach eine Nachricht und hoffte auf baldige Antwort.



    Titus Pompeius Atticus s.d.


    Ihr kennt mich noch nicht, daher will ich mich kurz vorstellen. Ich bin der Sohn des ehemaligen Procurators Pompeius Imperiosus und der ehemaligen Lectrix der Acta, Iunia Axilla, und ein Klient des ehrwürdigen Consulars Purgitius Macer.
    Da ich mich für den Rennsport interessiere und dem Aufleben desselben meine Unterstützung zueignen will, würde ich mich sehr geehrt fühlen, wenn ich meine Energie und meine Ressourcen der Factio Albata als Sodalis zur Verfügung stellen dürfte. Ich bitte daher um Aufnahme in der Factio Albata.


    Die Antwort ist bitte zu richten an Pompeius Atticus ad Domum Iuniam


    Damit war ein weiterer Schritt geschafft. Atticus konnte sich nun doch ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn alles klappte, wie er sich das vorstellte, dürfte es bald wieder vermehrt Wagenrennen geben. Vielleicht konnte er auch noch einen Freund überreden, bei der Purpurea dasselbe zu tun, was er bei der Albata plante, dann würde es noch besser werden. Dass niemand jemals erfahren würde, dass das alles seine Idee war und ihm daher niemand jemals dankbar sein würde, störte Atticus dabei nicht im geringsten. Ihm ging es hauptsächlich um den größeren Nutzen für alle. Und vielleicht traf er ja nochmal jemanden bei einem Wagenrennen, wie bei seinem letzten.


    “Ich danke dir. Ich werde gern alles ausrichten. Und, also... also falls du nicht noch etwas hast, das ich für dich tun kann, würde ich auch gleich damit loslegen.“ Bei so viel Aufregung ob seines Erfolges wollte er diese Energie gleich nutzen.

    Dass sein Patron nichts dagegen hatte, war schon einmal eine große Erleichterung für Atticus. Während Pontus also die Streicheleinheiten sichtlich genoss, versuchte Atticus, eine möglichst gute Begründung für seine Wahl zusammen zu bekommen.
    “Naja, wie du bereits gesagt hast, ist die Factio nicht so populär. Wenn man aber den größtmöglichen Effekt erzielen will bei der Wiederbelebung der Wagenrennen, dann ist es am logischsten, nicht dort zu Unterstützen, wo schon viele Unterstützer sind, sondern dort, wo am wenigsten sind. Und das ist Momentan so bei der Albata, der Purpurea, und vielleicht noch der Praesina, die auch seltener bei den letzten Rennen dabei war. Aber eben am auffallendsten bei Purpurea und Albata.“
    Soweit war das ganze noch logisch einwandfrei und nachvollziehbar. Wieso jetzt aber Albata und nicht Purpurea? “Und bei der Wahl zwischen diesen zweien dann... dann fand ich... weiß schöner als lila, weil... lila... eine Mädchenfarbe ist...“ Den letzten Teil murmelte Atticus sehr in den nicht-vorhandenen Bart, in der Hoffnung, dass weder sein Patron noch die umstehenden anderen Klienten wirklich hören würden, was er da gesagt hatte. Letztendlich war diese Entscheidung nun wirklich nicht auf irgendwelcher Logik begründet, sondern einfach aus dem Bauch heraus.
    Damit niemand zu lange über das Genuschelte grübeln konnte, machte Atticus also lieber schnell weiter. “Wenn du da also nichts dagegen hast, würde ich mich möglichst schnell um eine Mitgliedschaft bemühen, und dir dann davon berichten. Also, ob ich aufgenommen wurde. Und vielleicht könnte man dann ja auch bald ein Trainingsrennen oder so machen. Also, wenn man dafür in einem Hippodrom Platz bekommt. Oder falls die Factiones da sonst einen guten Platz für haben.“ Mit den weiterführenden Feinheiten seines Planes hatte Atticus sich noch nicht beschäftigt. Er war froh, überhaupt schonmal bis hier hin gekommen zu sein.

    “Salve, Senator Purgitius“ grüßte Atticus höflich. Er hatte nichts dagegen, dass der Senator ihn einfach beim Cognomen rief. Irgendwie hätte er es albern gefunden, wenn ein Mann, der ihn so lange jetzt schon kannte und dreimal so alt war wie er, ihn ganz feierlich mit Gentilnamen angesprochen hätte. Andersherum aber traute sich Atticus freilich nicht. Vielleicht war es derselbe Effekt, aus dem Lehrer ihre Schüler auch immer beim Cognomen nannten, diese aber den Lehrer im gegenzug doch feierlich ansprachen.


    Pontus hingegen war weniger feierlich. Als er merkte, dass sein Herrchen dran war, tapste der große, schwarze Molosser ganz selbstverständlich hinüber zum Hausherren und legte seinen großen Kopf diesem in den Schoß, gepaart mit dem bettelndsten aller Hundeblicke und in der Hoffnung, jetzt sofort eine Kleinigkeit abzubekommen – oder wenigstens hinter den Ohren gekrault zu werden.


    Atticus ließ sich davon nicht irritieren. Er kannte sowohl seinen Hund als auch den Senator ja inzwischen und wusste, dass der Purgitier auch selber in der Lage war, Pontus wegzuschicken, sollte es ihn stören. Vielmehr bereitete er sich auf seine kleine, vorbereitete rede vor.
    “Darf ich dich heute um deinen Rat und deine Meinung als Patron bitten? Es ist so... ich habe beobachtet, dass es in letzter Zeit, ja eigentlich schon längere Zeit, ziemlich wenig Wagenrennen gibt. Überhaupt scheint das Interessen am Wagenrennsport ziemlich abgeflaut zu sein in der höheren Gesellschaft, so dass einige Factiones nahezu verwaist sind. Natürlich nicht die Russata, die du ja sehr gewissenhaft führst und unterstützt. Aber bei anderen Factiones, die einmal auch sehr groß waren und einige Sieger hervorgebracht haben.
    Den einzigen Schluss, den dies für mich zulässt, ist, dass wenn es eine Änderung geben soll, jeder einzelne dazu beitragen muss. Also auch ich. Und wenn man dann noch weiter denkt, dann sollte diese Unterstützung gerade denjenigen Factiones zugute kommen, die jetzt wenig oder keine haben. Also nicht die Russata.


    Also, darum habe ich überlegt, wäre es das einzig logische, wenn ich mich um eine Mitgliedschaft bei der Factio Albata bemühen würde, weil... ähm... dann, also vorausgesetzt, ich werde angenommen von der Factio und darf dort helfen, also...dann könnten die Russata und die Albata zumindest einmal ein paar Proberennen veranstalten. Und vielleicht hat das einen Effekt auf die anderen Factiones.
    Und deshalb... wollte ich dich da um deine Meinung bitten.“

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    Nachdem niemand eine Frage vorbrachte, ging Kephalos davon aus, dass die ionische Ordnung hinreichend geklärt war und schritt los in Richtung Norden zum Theatrum Marcellum und dem Apollinar. Der Weg war nicht allzu weit, aber weit genug, dass sich seine Schüler bis dahin kurz unterhalten konnten, wenn sie denn wollten.
    Für einen Mann seines Alters und seines Bauchansatzes war Kephalos nämlich noch recht flott unterwegs. So langsam füllten sich die Straßen, aber noch immer war es früh genug, dass es nicht völlig überfüllt war. Insbesondere wollten die meisten Menschen ja ohnehin eher in Richtung der Märkte und des Forum Romanum mit der Basilica und nicht daran vorbei, so dass sie doch ziemlich gut voran kamen.

    Normalerweise war Atticus einmal in der Woche bei der Salutatio seines Patrones. Normalerweise stand er auch nur rum, sagte kurz salve, nahm sich ein Stückchen Kuchen oder ähnliches, und ging dann wieder, denn eigentlich brauchte er nichts. Er war ja noch ein Niemand ohne Karriere oder ähnliches, aber seine Familie war gleichzeitig auch reich genug, dass er so wirklich gar keinen Beistand in irgendeiner Richtung brauchte. Was sollte er da also groß berichten oder erzählen? Das einzige, was er berichten konnte, war über seinen Hund, und der war stets neben ihm. Pontus freute sich immer auf die Salutatio, denn wann immer einer der anderen Klienten etwas fallen ließ, war es seins. Abgesehen davon, dass viele Leute auch so Hunde gern hatten, oder zumindest ihn, und ihm, wenn er sie nur gaaaaaaanz lange ansah und dabei gaaaaaaanz traurig guckte, auch so etwas zusteckten.


    Doch heute hatte Atticus einmal ein Anliegen. Er hatte schon Wochen überlegt und sich zunächst nicht wirklich getraut, es anzusprechen. Überhaupt war es nur eine Idee, eine geradezu mathematische Betrachtung, wenn man so wollte, die er erst in allen Einzelheiten durchrechnen wollte, ehe er seinem Patron ein Ergebnis präsentierte. Aber jetzt war er mit seinen Berechnungen und Schlussfolgerungen soweit fertig, war zu einem Ergebnis gekommen, daher fehlte nun nur noch der abschließende Schritt, seinen Patron um dessen Einschätzung zu bitten. Hierin lag natürlich ein gewisses Risiko, auch wenn Atticus sich sicher war, dass in seiner Logik an und für sich kein Fehler zu finden war. Aber nicht jeder Mensch folgte der gleichen Art von Logik, wie Atticus auch schon festgestellt hatte.


    So wartete er darauf, dass sein Patron ihn begrüßen und zu sich heranwinken würde, während Pontus neben ihm darauf spekulierte, wieder etwas abstauben zu können oder mit einem der mitgebrachten Kinder ein wenig spielen zu können. Kleine Kinder liebten Hunde!

    Wenn Atticus' Kommilitone recht hatte und die Voluten tatsächlich das ganze, angesprochene Problem darstellten, dann war die Lösung sehr simpel. Vor allen Dingen hatten sie sie direkt vor der Nase, denn bei eben diesem Tempel, vor dem sie standen, wurde es genau so gelöst: “Wenn man die Voluten an der betreffenden Ecke nach außen verdreht, im Winkel um fünfundvierzig Grad, sieht man die Volute von beiden Seiten gleich gut.“


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    “Richtig und richtig“ strich sich Kephalos zufrieden durch den Bart. “Indem die Eckvoluten herausgedreht werden, ist es optisch von beiden Seiten möglich, sie zu sehen. Allerdings sieht man so noch immer, dass diese Eckvoluten aus den übrigen herausstechen und somit ist keine echte Symmetrie gegeben. In vereinzelten Tempeln wird dies nun so gelöst, dass sämtliche Voluten um 45 Grad herausgedreht sind. Hierdurch ist es natürlich wieder symmetrisch, allerdings sehr auffällig. Ich bezweifle, dass sich diese Lösung durchsetzen wird.“ Kephalos konnte ja nicht wissen, dass in etwa 100 Jahren diese Lösung tatsächlich zum Standard werden würde.


    “Nungut, widmen wir uns dem weiteren Aufbau. Auf den Kapitellen ruht der Architrav (5). Das ist der Stützbalken für den kompletten Dachaufbau. Dieser leitet das Gewicht der gesamten Dachkonstruktion auf die Säulen weiter und muss daher mit besonderer Sorgfalt ausgewählt werden. Wenn dieser das Gewicht nicht tragen und verteilen kann, wird früher oder später das gesamte Dach sonst einstürzen. Daher war man in den ältesten, noch dorischen Tempelkonstruktionen aus Holz hierbei auf die Länge und Tragfähigkeit entsprechender Bäume beschränkt, und die Suche nach passenden Stämmen und deren Transport konnte Monate dauern. Erst mit der Steinbauweise konnten die Bauten insgesamt vergrößert werden.
    Während im dorischen Stil der Architrav einfach nur glatt gehauener Stein – oder eben Holz – ist, sieht man hier sehr schön den Unterschied in der ionischen Ordnung: die drei Fascien, also die eingearbeiteten Rillen in den Stein, die der Verschönerung dienen.
    Darüber nun kommt der Fries (4), der allerdings auch entfallen kann. Doch macht dieses Fries die meisten Tempel erst zu wirklichen Augenweiden. Häufig ist er plastisch gestaltet, indem in den Stein entweder plastische Figuren gehauen werden, oder aber mit Stuck aufgebracht werden. In jedem Fall, auch bei glatten Friesen, wird es bunt bemalt. In unserem Fall nun sehen wir Fische und Ranken und – weil sie ein Zeichen des Portunus sind – Schlüssel. Bei anderen Tempeln sehen wir neben typischen Symbolen der Gottheit gerne auch Darstellungen von Sagen die Gottheit betreffend, oder aber auch Darstellungen desjenigen, der einen Tempel gestiftet hat, im Treffen mit der Gottheit.
    Über dem Fries nun ist eine kleine Zierleiste, das Kymation, das direkt an den Zahnschnitt, genannt Geisipodes, anschließt (3). Dieses Element wiederum ist rein ästhetischer Natur, um die Dachkonstruktion noch besser vom Architrav abzuheben, und als weitere Verzierung des Gebäudes.


    Darüber nun kommt die prismatische Konstruktion des Daches. Um den Eindruck des Prisma zu verstärken, sehen wir nun hier an der Stirnseite des Gebäudes das dreieckig umlaufende Geison (2) als dicken Balken, von dem das Hauptfries im Dachgiebel, das Tympanon, nach innen deutlich abgesetzt ist.
    Und erst darauf, noch einmal deutlich abgesetzt erkennend, kommt das eigentliche Dach mit der Rinnleiste, Sima genannt (1). Diese kann auch wiederum verziert sein, häufig beispielsweise mit Löwenköpfen oder Fischköpfen, die als Regenauslässe dienen.
    Teilweise sitzen auch kunstvolle Steinfiguren wie Sphingen, Vasen oder Palmetten auf der Sima zu dem Zweck, die Eckpunkte des Giebels besonders zu betonen. Diese nennt man dann im Fachjargon Akroter. Allerdings finden sich an diesem Tempel weder besonders gestaltete Regenauslässe, noch Akroteria.“


    Kephalos machte kurz eine Verschnaufpause. So viele Fachworte in so kurzer Zeit unters Volk zu bringen, das tat man dann ja auch nicht alle Tage.


    “Gut, wenn jemand noch Fragen zur ionischen Tempelordnung hat, kann er diese gerne jetzt stellen, ansonsten machen wir uns auf zum Tempel des Apollo Sosianus, um den Vergleich mit einem korinthischen Tempel uns vor Augen zu führen.“

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    Und wieder bewiesen seine Schüler, dass sie nicht ganz so ungebildete Tölpel waren, wie Kephalos zunächst befürchtet hatte. Der erste Schüler wusste sogar von verschiedenen Unterordnungen innerhalb einer Ordnung, wobei deren Unterscheidungsfeinheiten zuviel für einen ersten Überblick wären. Und der zweite bekam sogar ziemlich brauchbare Erläuterungen zustande, woran man die einzelnen Ordnungen unterscheiden konnte.
    “Die 'senkrechten Streifen' heißen Kanneluren. Und es stimmt, am Einfachsten lassen sich die Ordnungen an ihren Säulen unterscheiden, insbesondere an deren oberen Ende: Den Kapitellen.


    Schnörkellose Kapitelle deuten auf die dorische Ordnung hin, wobei auch die Etrusker auf ausgeprägte Kapitelle verzichten. Allerdings sind deren Tempel insgesamt nur schlechte Kopien des griechischen Originals.“ Nunja, zumindest war das die Überzeugung dieses einen Griechen.
    “Korintische Kapitelle sind mit Arcanthusblättern kunstvoll ausgestaltet. Später werden wir zum Tempel des Apollo Sosianus gehen, dann werdet ihr diesen Unterschied deutlich sehen.


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    Hier am Tempel des Portunus haben wir einen ionischen Tempel, am einfachsten zu erkennen an den bereits erwähnten Voluten am Kapitell (6).


    Aber wenn wir uns den einzelnen Bauelementen widmen, beginnen wir von unten.“ Aus den Weiten seines Gewandes zauberte Kephalos einen langen Rohrstock hervor. Ohne irgendwie auf seine Jünglinge zu warten, marschierte er auch schon schnurstracks zur Vorderseite des Portunus-Tempels und begann, zu zeigen.


    “Den untersten Teil eines Tempels, das Fundament, nennt man Stereobat. Bei Häusern oder anderen Bauwerken wird üblicherweise nur dort ein Fundament gemauert oder gegossen, wo später einmal tragendes Mauerwerk stehen soll. Bei einem Tempel jedoch wird das Stereobat nicht immer, aber doch häufig, unter dem kompletten, späteren Bauwerk aus behauenen Steinen verlegt, so dass quasi ein geschaffener, gerader Steinboden so entsteht. Die oberste Schicht des Stereobats, die Euthyntherie, ist das einzige, was aus dem Erdboden herausschaut. Daher ist sie üblicherweise aus fein behauenen Steinen und besonders sauber gearbeitet. Und sie bildet die unterste Stufe der üblicherweise dreistufigen Krepis (11).
    Die oberste Stufe wiederum nennt sich Stylobat. (10). Auf ihr ruhen die Säulen und das Mauerwerk des Tempels. Wenn es einen Rundgang um den Tempel gibt, dann ist dieser auch auf dem Stylobat. Hier bei diesem Tempel erübrigt sich das natürlich.


    Wie ihr weiter seht, stehen die Säulen hier auf Plinthen. (9) Diese sind quadratisch, wie meistens in der ionischen Ordnung. In seltenen Fällen kann sie auch rund sein, bei den ältesten ionischen Tempeln oder in dorischen Tempeln entfällt sie ganz.
    Das untere Ende der Säulen besteht hier aus einem ausladenden unteren Torus – das ist diese dicke Wulst hier -, gefolgt von einer Hohlkehle, dem Trochilus, und einem etwas kleineren Torus. (8 ) Erst jetzt kommt die eigentliche Säule mit ihren senkrechten Kanneluren. (7)
    Und an ihrem oberen Ende nun befindet sich das bereits erwähnte Kapitell mit den für einen ionischen Tempel typischen Voluten.(6) Für die unwissenden unter euch, das sind diese eingedrehten Schnecken an den Ecken, während das feine Muster zwischen den Voluten Echinus genannt wird.“


    Erst hier machte Kephalos wieder eine kleine Pause und sah nach, ob seine Schüler denn noch da waren. “Soweit, so gut, also. Aber genau hier, bei diesen Voluten, ergibt sich ein Problem für die Ästhetik. Wer kann sich vorstellen, warum gerade diese Elemente, die ja der Ästhetik wegen überhaupt erst angefügt wurden, ein Problem darstellen könnten? Und weiß jemand vielleicht sogar, wie man es lösen könnte?“

    Mit einem Mal gab es einen Ruck, und Atticus verlor den Boden unter den Füßen. Ein wenig erinnerte ihn die Szene an seinen ersten Versuch, ein Pferd zu besteigen, denn halb stützte sich Atticus auf Callistus Rücken, halb klammerte er sich dabei fest, und keines von beiden schien irgendwie zu helfen, als Callistus ein paar Schritte vorwärts taumelte und ihn schließlich abwarf. Auch das erinnerte irgendwie an den ersten Reitversuch.
    So aber kam Atticus wieder auf den Boden und war für eine Sekunde tatsächlich frei. Lange daran erfreuen konnte er sich aber nicht. Er hatte gerade genug Zeit, kurz sein Gleichgewicht wieder zu finden, als Callistus auch schon nach seinem Hals griff und zudrückte. Ein recht unmännliches “Chchchrrr“ entfuhr Atticus. Gerne hätte er einen ausgeklügelten Plan gehabt, den er verfolgen hätte können, gerne hätte er einen tollen Kniff oder irgendeinen geschickten Tritt oder ähnliches gekannt, um sich daraus zu befreien oder seinen Gegner umzuwerfen. Irgendwas, das ihm in dieser Situation geholfen hätte. Aber sein Kopf war leer, absolut leer, und nur eine bis dato unbekannte Panik stieg instinktiv in ihm auf, als er auf einmal kaum mehr Luft bekam. Und ganz von allein reagierte sein Körper darauf, ohne dass Atticus irgendwie darauf hätte Einfluss nehmen können. Wie im Reflex stieß er Callistus vor die Brust so stark er konnte. Alles, was sein Körper in dem Moment wollte, war Luft.