Irgendwie hatte Lucia ihren Bruder nach der Zeremonie aus den Augen verloren. Naja, man könnte auch meinen, dass sie ihm aus dem Weg gegangen war, doch das würde sie so gewiss nicht zugeben! Sie hatte ihn einfach nicht mehr gesehen –Punkt. Es mochte daran liegen, dass sie sich regelmäßig hinter ihrem Weinbecher versteckte, wenn sie ihres Bruders gewahr wurde. Der Wein war aber wirklich nicht übel! Süffig. Auch das Essen war sehr gut. Je später der Abend wurde, umso gezwungener sah sich Lucia zuzugeben, dass Sergia die Hochzeit gut geplant hatte. Obwohl sich Lucia viel in den Ecken herumdrückte und so wohl einiges verpasste – sie ahnte ja nicht WAS sie alles für Skandalgeschichten hier verpasste! – war ihr nicht langweilig. Die Vögel ließen sie eine Weile darüber sinnieren, wie schwierig es wohl war komplett weiße Raben zu finden. Sie wusste, dass es im Osten schwarzgraue Krähen geben sollte, aber woher weiße nehmen? Ob sie einfach angemalt waren? Das könnte natürlich sein, das würde sicher auch Geld sparen.
Die Zeit verflog und plötzlich tauchte ein Sklave vor Lucia auf. Mit einem höflichen Diener bot er ihr ein exquisites Mittelchen aus Ägypten an. Nur kurz zögerte Lucia, heute war es doch ohnehin absolut egal! Sie gab nur ungern zu, komplett unerfahren mit so etwas zu sein, doch der Sklave war wirklich gut ausgebildet und erklärte ihr von sich aus, wie sie es am besten einnahm. Schon wieder etwas, wo sie zugeben musste, dass Sergia eine gute Hand mit hatte. Lucia verzog das Gesicht bei dieser Erkenntnis. Ein wenig ungeduldig wartete Lucia darauf irgendetwas von dem Genussmittelchen zu spüren, doch es wurde zum Brautzug gerufen und sie hatte das Gefühl nichts hätte sich verändert. Doch dann stand sie auf… Hatte jemand als Scherz Watte unter ihre Schuhsohlen geklebt? Lucia ließ sich wieder auf ihren Sitzplatz fallen und hob abwechselnd die Füße. Nein, da war nichts… Flatterteda oben noch ein weißer Rabe? Lucia konnte es nicht ganz erkennen. Aber es ging ja jetzt eh los… noch ein paar Oliven für den Weg, das wäre doch ganz nett! Und schon war Lucia wieder auf den Beinen und schnappte sich ein kleines Schälchen, das sie mit hinaus zum Brautzug nahm.
Heieiei, was alles zu so einem Brautzug gehörte! Spinnrocken und Spindel waren weniger interessant, aber die Träger dafür umso mehr! War das Absicht? Lucia musterte die jungen Männer eingehend und beschloss auch mal die vorderen Träger in Augenschein zu nehmen. Hatte Sergia die Sklaven absichtlich so ausgewählt? Auf halbem Weg zum besseren Blick, wurde Lucia aber doch tatsächlich von der Braut höchstpersönlich angesprochen. „Ach?“, erwiderte Lucia verblüfft und schob sich eine Olive in den Mund. Sie sah nicht mal so schrecklich aus? Ehh… klar… „Olive?“ Sie hielt Sergia in einer recht unkoordinierten Bewegung das Schälchen hin. Es war eindeutig einige Weine und dieses besondere Mittelchen zu spät, um sich über gute Sitten Gedanken zu machen, also spuckte Lucia den Kern ihrer letzten Olive in hohen Bogen in die Büsche. Sie giggelte. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich die Frau erst dort in der Therme kennenlernte?“, stöhnte sie dann, fest davon überzeug es schon tausend Mal erklärt zu haben. Sie rollte mit den Augen und knabberte an der nächsten Olive. Das nächste war eindeutig eine Aufforderung, oder? „Hm, ein Scherzgesang… lass mich nachdenken…“ Unbewusst erwiderte Lucia das dämliche Grinsen, ehe sie die Stirn runzelte in dem Versuch auf einen Scherzgesang zu kommen. Ihr fiel aber nur ein dummer Spruch ein, der ihr grade einfach zu perfekt zu passen schien. „Ah… Wie wäre es mit:“ Sie hob die Stimme. „Der Mann hat deshalb einen Kopf auf den Schultern, damit die Frau ihn verdrehen kann.“ Schon beim vorletzten Wort musste Lucia glucksen und wollte sich am liebsten selbst auf die Schulter klopfen.