Beiträge von Tiberia Lucia

    Er ergriff tatsächlich ihre Hand! Damit hatte Lucia nicht gerechnet und konnte ein Zucken nicht ganz unterdrücken. Ihr Herz pochte sofort ein paar Takte schneller und pumpte das Blut in ihre Wangen. Sie war wohl lange nicht so abgebrüht, wie sie glaubte. Nein, bei weitem nicht! Mit schönen Worten konnte sie inzwischen umgehen und auch Komplimente relativ geübt entgegennehmen. Aber Berührungen, die nicht von ihr ausgingen, waren Neuland. Sie musste sich arg zusammenreißen, als Commodus ihr dann auch noch so in die Augen sah. Doch sie schaffte es den eigenen Blick nicht abzuwenden. Er ging doch nur auf ihr Spiel ein, das war nichts Ernstes! Reiß dich zusammen, Lucia! Wenigstens das eingeübte nichtssagende Lächeln gelang ihr. Doch in Verbindung mit ihren geröteten Wangen war es wohl lange nicht so nichtssagend, wie sie es beabsichtigte.


    Die nun folgenden Worte gaben Lucia den Rest und sie musste tatsächlich Giggeln. Von sich selbst erschrocken brach sie das mädchenhafte Kichern abrupt ab und versuchte noch im gleichen Atemzug die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen: „Du Schmeichler! Der Händler sollte dir eine Provision geben!“ Sie entzog Commodus ihre Hand und strich sich damit eine nicht vorhandene Strähne aus dem Gesicht, ehe sie sich erst an Manlia und dann an Vera wandte. „Und wieder bekommst du deinen Willen. Jetzt muss ich das Armband ja einfach kaufen! Dein Bruder kann wirklich sehr gut mit Worten umgehen!“

    Sie schien die Olive nicht zu wollen, ihr Pech. Mit einem breiten zufriedenen Lächeln verspeiste Lucia also die letzte ihrer Oliven. In dem Moment kam auch der Sklave mit einem vollen Weinbecher und wurde mit der leeren Olivenschale entlohnt. Oiweh, der Weinbecher war wirklich ganz schön voll. Besser schnell einen großen Schluck abtrinken! „Ahhh!“, atmete Lucia zufrieden aus. „Ich tu’s zwar nicht gerne, aber ich muss dich loben: Du hast einen ausgezeichneten Wein!“, gab sie anschließend freimütig zu.


    Sergia schien sich ja wirklich für ihre Freundin einsetzen zu wollen! Doch erstmal musste Lucia die Tatsache kommentieren, dass es wohl nur bei versuchtem Spaß blieb: „Das muss frustrierend sein!“ Lucia nickte nachdrücklich. „Sehr frustrierend! Ein wunder, dass sie heute so gut drauf ist!“ Auch Lucia hörte schließlich die Gesänge der beiden Freundinnen von Sergia. Spontan hätte sie auch die eine oder andere Idee dazu, aber grade ging es um was wichtigeres. Sie senkte die Stimme. „Sag, kann man nicht Gladiatoren irgendwie… mieten oder so?“ Noch einen Schluck Wein und Lucia fügte inbrünstig hinzu: „Würde ich vollkommen verstehen!“ Zumindest nach dem was sie darüber gehört und gelesen hatte. Sie hatte sich da ihre ganz eigene Vorstellung zusammengezimmert. Wo sie so darüber nachdachte, wollte sie eigentlich gerne endlich mal herausfinden, wie das denn nun tatsächlich war… Hm… Sinnend blickte sie auf die Beinahe-Zwillinge bei der Weißdornfackel. Das war kein schlechter Anblick, dem sie hier folgen mussten!


    Nun aber wieder zu dem anderen Thema. „Also wegen diesem… Ehemann…“ Lucia hielt sich die Hand vor den Mund und unterdrückte wenig elegant einen Rülpser. Da es auch gut ihre Meinung zu dem Thema darstellen konnte, machte sie sich keine große Gedanken drum. Doch ihre gute Erziehung war natürlich wieder schneller: „Entschuldige.“ Aber zurück zum Thema, schon wieder: „Also wegen diesem Kerl. Eigentlich müsste ihn doch nur mal ein anderer auf frischer Tat ertappen, oder?“ Das waren Lucias zwei Sesterzen für den Augenblick. Nicht grade originell, aber es war ihr grade dazu eingefallen.

    Oh weh, er kannte Catull‘s Liebesgedichte tatsächlich nicht! Lucia war eindeutig enttäuscht. Was lernten die Jungen nur heutzutage? Ohne die Frage ausgesprochen zu haben, wurde sie ihr auch gleich beantwortet. „Ach…“, gab sie abwertend von sich. „Dein Lehrer denkt wohl, dass junge Männer Liebesgedichte nicht benötigen, hm?“ Man konnte deutlich sehen, was sie von so einer Einstellung hielt. Sie konnte sich schon denken, dass dieser Lehrer meinte nur Mädchen sollten sich mit Liebesgedichten befassen. „Vielleicht solltest du es in deiner freien Zeit mal versuchen… Den einen oder anderen Vers rezitieren zu können, könnte für dich noch nützlich werden.“ Das hieß natürlich, wenn er sich schon für Mädchen interessierte… Das wäre doch mal äußerst spannend! Vergessen war das Rennen, sie hatte eindeutig eine andere, bessere Beschäftigung gefunden! Denn obwohl sie die roten Ohren nicht sehen konnte, war der Junge doch eindeutig verlegen. Endlich mal nicht in dieser Rolle, musste Lucia die Situation natürlich gleich ausnutzen. „Sag, wie alt bist du?“ Würde sie grad mit einem kleiner gewachsenen Jungen sprechen, hätte sie sich wohl zu ihm herunter gebeugt. So beäugte sie ihn nur mit einem neckenden Blick von der Seite her.



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    Der Händler, sofern er denn zuhörte, rieb sich wohl grade die Hände. Immerhin wurde hier ein ziemlich teures Armband ohne sein Zutun angepriesen. Tatsächlich wirkte es inzwischen so, dass die vorher so abgeneigte Patrizierin langsam aber sicher ebenfalls den Rubinen verfiel. Auf die indirekte Bitte des Helvetiers lächelte Lucia und nickte bereitwillig. Wer hätte auch diesen schmeichelnden Worten wiederstehen können? Sie wandte sich, das Armband schon auf den Unterarmgelegt, an ihre Freundin: „Manlia, wärst du so lieb?“ Diese hatte ihren Ärger inzwischen vollkommen überwunden und war wieder Feuer und Flamme für ihr eigentliches Vorhaben: Lucia zu dem Armband zu überzeugen. Da half sie doch gerne das Schloss des Kleinodes zu schließen. Das waren aber auch widerspenstige kleine Dinger!


    Diesmal fühlte sich das Armband schon ganz anders an. Vorhin war es Lucia noch fremd an ihrem Handgelenk vorgekommen, viel zu klobig und vor allem kalt. Jetzt schmiegte sich das Schmuckstück warm an ihre Haut. Vorsichtig strich sie mit den Fingerspitzen über einen der Rubine. Funkelte da nicht tatsächlich ein wenig Feuer darin? Das musste sie jetzt genauer wissen! Sie drehte den Verschluss nach untern und steckte Commodus elegant die Hand entgegen, wie als wenn sie ihm diese zu einem Handkuss reichte. „Und? Was sagst du? Hat deine Schwester recht mit ihren Worten?“ Die letzten Monate in Rom mussten Lucia wahrhaft verdorben haben, denn sie schaffte es tatschlich Commodus kokett zuzublinzeln – und das beinahe ohne rot zu werden!

    Immer noch kichernd wollte Lucia weiter an der Olive in ihrer Hand knabbern, doch da war keine mehr. Hatte sie die schon ganz gegessen, aber wo war dann der Kern? Hatte sie ihn verschluckt? Hastig griff sich Lucia an die Kehle. Oder hatte sie die halbe Olive verloren? Suchend drehte sich Lucia um die eigene Achse, ehe sie die Schultern zuckte und nach einer neuen Olive griff. Im Schälchen waren aber auch nicht mehr allzu viele, da hieß es jetzt eisern einteilen! Richtig rationieren. Passend planen. Lucia giggelte schon wieder und wurde dann gewahr, dass Sergia um einiges ernster zu sein schien.


    Wenn sie wüsste? „Hm?“, fragte Lucia also nach und bemühte sich um eine ernste Miene. Die gelang auch, ganze drei Sekunden lang. Dann kam das dämliche Grinsen schon wieder, das aber rigoros von Lucia weggewischt wurde, um die furchtbarernste Miene wieder aufzusetzen. „Paula und… und… die andere?“, hakte Lucia neugierig nach, ob auch wirklich die gemeint waren, auf die Sergia deutete. In Hoffnung auf ein wenig Klatsch neigte sich Lucia zu Sergia hin und sie wurde nicht enttäuscht. Mit Männern? „Naaaaain!“, brach Lucia schockiert und erfreut zugleich heraus. „Naaaain“, wiederholte sie sich und sah sich nach Paula um. Dann wandte sie sich wieder an Sergia und senkte ebenfalls die Stimme: „Die Arme!“ Solche Aussprüche halfen doch meist dazu, dass man noch mehr hörte. Und tatsächlich kam dann noch etwas nach. Er hütet das Bett… aber wohl nicht allein! „Brmmphf!“, brach ein kurzer Lacher aus Lucia heraus, der aber völlig in der fröhlichen Atmosphäre um sie herum unterging.


    „Ist…“, begann Lucia, nachdem sie sich wieder eingekriegt hatte. „…ist er denn Grieche?“ Wenn ja, dann hätte sie doch damit rechnen müssen, oder? Aber wer nahm schon einen Griechen, wenn er einen Römer haben konnte? Oh… da wurde Lucia an etwas erinnert, an das sie grad überhaupt nicht denken wollte. „Gibt’s hier noch irgendwo Wein?“ suchend sah sich Lucia um. Dann kam ihr noch eine andere Idee und ihre Neugierde hatte überhaupt keine Probleme damit eventuelle Verklemmtheit oder normale Konventionen zu überwinden: „Heißt das die Arme hat mit ihrem Mann überhaupt keinen Spaß?“ Lucia war in dem Gebiet komplett unerfahren und wäre normalerweise wohl fürchterlich rot geworden, doch jetzt wurde sie noch nicht mal zartrosa. Gebannt griff sich Lucia noch eine Olive und merkte, dass es die vorletzte war. „Olive?“, bot sie ganz ihrer guten Erziehung folgend also Sergia die Letzte an.

    Eigentlich hatte Lucia gedacht, dass erst ihr Bruder etwas sagen würde, doch so herum war es auch ganz amüsant. Lucia schmunzelte ob dem Gedanken, dass Commodus jetzt fast verpflichtet war seiner Schwester ebenfalls einen Rubin zu kaufen. Was Lucia gleichzeitig aber auch vor ein Problem stellte: Der Helvetia gefiel das Armband ebenfalls? So langsam kam ihre Ansicht bezüglich des Armands ins Wanken. Was schon zwei Frauen gut fanden, konnte so schlecht ja nicht sein. Sie nahm Manlia, die schon wieder etwas versöhnt aussah, das Armband ab und betrachtete es nochmal eingehend. Manlia zwinkerte indes Vera zu und flüsterte (was bei ihr so viel wie lautes, tonloses Sprechen bedeutete) vertraulich: „Da bist du nicht die Einzige.“ Lucia musste zugeben, dass die Rubine eindeutig ein Feuer in sich trugen, doch befürchtete sie immer noch, dass das Schmuckstück an ihr einfach nichts aussah. „Ich bin noch immer auf das Urteil des einzigen Mannes hier in der Runde gespannt.“, versuchte sich Lucia noch ein wenig vor der Entscheidung zu drücken und blickte den Helvetier beinahe ein wenig neckend an.

    Er fragte sie, er wollte es eindeutig genau wissen. Aber der Ton, die Art und Weise, wie er sie fragte, erweckten in ihr abermals den Wunsch nach ihm zu schlagen. Sie rieb sich noch immer die schmerzende Handkante und entschied, dass dieser Wunsch wohl unerfüllt bleiben müsste. Aber tödliche Blicke konnte sie noch wunderbar zuwerfen. Es war wirklich ein wunder, dass Lepidus nicht einfach umfiel, oder ihretwegen auch versteinerte. „Benutz doch mal deinen Verstand!“, fauchte sie und strampelte mit den Beinen, um ihre Füße aus der Decke zu befreien. „Du bist doch angeblich so ein helles Köpfchen!“ Die Füße endlich frei, stand Lucia auf und straffte die Schultern. Es hatte anscheinend überhaupt keinen Sinn hier mit Lepidus zu reden, überhaupt keinen! Sie warf ihm noch einen weiteren vernichtenden Blick und rang mit sich, ob sie nun gehen sollte, oder nicht.

    Na, ein Glück, dass Lucia das bisschen ‚Schmutz‘ auf der Oberlippe des Jungen nicht auffallen konnte, blonde Haare hatten doch irgendwo ihren Vorteil. Andere Jungs in dem Alter wurden wohl häufiger von älteren, weiblichen Verwandten beiseite gezogen, um mit einem angefeuchteten Tuch sauber gemacht zu werden. So, wie es war, freute sich Lucia einfach über die augenscheinliche Unterstützung des Jungen, auch wenn es sie ein wenig verwirrte.


    „Ja, wie nur die Metamorphosen?“, fragte Lucia mehr als verwundert nach. Sie registrierte zwar, dass der Junge den Gesang von Hectors Tod gut fand, doch das erschien ihr grad eher unwichtig. „Habt ihr dann wenigstens etwas von Catullus gelesen?“ Um es ihm leichter zu machen – oder vielleicht auch nur, weil sie die Verse so liebt, zitierte Lucia mit leicht verträumten Gesicht gleich eine ihrer Lieblingsstellen: „Da mi basia mille, deinde centum, dein mille altera, dein secunda centum, deinde usque altera mille, deinde centum. *“ Sie beendete den Vers indem sie seufzend eine Hand an die Wange legte und für einen Moment in die Ferne blickte. Dann wandte sie sich wieder an den Jungen und sah ihn erwartungsvoll an. „Das kennst du doch, oder?“ Lucia hatte jedoch die böse Vorahnung, dass ihre Frage gleich verneint werden würde.


    Sim-Off:

    *(Grob von mir übersetzt, da ich keine gescheite Quelle online finde) Gib mir tausend Küsse, dann hundert, dann weitere tausend und ein zweites hundert, dann wieder weitere tausend, dann hundert.




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    Irgendwie hatte Lucia ihren Bruder nach der Zeremonie aus den Augen verloren. Naja, man könnte auch meinen, dass sie ihm aus dem Weg gegangen war, doch das würde sie so gewiss nicht zugeben! Sie hatte ihn einfach nicht mehr gesehen –Punkt. Es mochte daran liegen, dass sie sich regelmäßig hinter ihrem Weinbecher versteckte, wenn sie ihres Bruders gewahr wurde. Der Wein war aber wirklich nicht übel! Süffig. Auch das Essen war sehr gut. Je später der Abend wurde, umso gezwungener sah sich Lucia zuzugeben, dass Sergia die Hochzeit gut geplant hatte. Obwohl sich Lucia viel in den Ecken herumdrückte und so wohl einiges verpasste – sie ahnte ja nicht WAS sie alles für Skandalgeschichten hier verpasste! – war ihr nicht langweilig. Die Vögel ließen sie eine Weile darüber sinnieren, wie schwierig es wohl war komplett weiße Raben zu finden. Sie wusste, dass es im Osten schwarzgraue Krähen geben sollte, aber woher weiße nehmen? Ob sie einfach angemalt waren? Das könnte natürlich sein, das würde sicher auch Geld sparen.


    Die Zeit verflog und plötzlich tauchte ein Sklave vor Lucia auf. Mit einem höflichen Diener bot er ihr ein exquisites Mittelchen aus Ägypten an. Nur kurz zögerte Lucia, heute war es doch ohnehin absolut egal! Sie gab nur ungern zu, komplett unerfahren mit so etwas zu sein, doch der Sklave war wirklich gut ausgebildet und erklärte ihr von sich aus, wie sie es am besten einnahm. Schon wieder etwas, wo sie zugeben musste, dass Sergia eine gute Hand mit hatte. Lucia verzog das Gesicht bei dieser Erkenntnis. Ein wenig ungeduldig wartete Lucia darauf irgendetwas von dem Genussmittelchen zu spüren, doch es wurde zum Brautzug gerufen und sie hatte das Gefühl nichts hätte sich verändert. Doch dann stand sie auf… Hatte jemand als Scherz Watte unter ihre Schuhsohlen geklebt? Lucia ließ sich wieder auf ihren Sitzplatz fallen und hob abwechselnd die Füße. Nein, da war nichts… Flatterteda oben noch ein weißer Rabe? Lucia konnte es nicht ganz erkennen. Aber es ging ja jetzt eh los… noch ein paar Oliven für den Weg, das wäre doch ganz nett! Und schon war Lucia wieder auf den Beinen und schnappte sich ein kleines Schälchen, das sie mit hinaus zum Brautzug nahm.


    Heieiei, was alles zu so einem Brautzug gehörte! Spinnrocken und Spindel waren weniger interessant, aber die Träger dafür umso mehr! War das Absicht? Lucia musterte die jungen Männer eingehend und beschloss auch mal die vorderen Träger in Augenschein zu nehmen. Hatte Sergia die Sklaven absichtlich so ausgewählt? Auf halbem Weg zum besseren Blick, wurde Lucia aber doch tatsächlich von der Braut höchstpersönlich angesprochen. „Ach?“, erwiderte Lucia verblüfft und schob sich eine Olive in den Mund. Sie sah nicht mal so schrecklich aus? Ehh… klar… „Olive?“ Sie hielt Sergia in einer recht unkoordinierten Bewegung das Schälchen hin. Es war eindeutig einige Weine und dieses besondere Mittelchen zu spät, um sich über gute Sitten Gedanken zu machen, also spuckte Lucia den Kern ihrer letzten Olive in hohen Bogen in die Büsche. Sie giggelte. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich die Frau erst dort in der Therme kennenlernte?“, stöhnte sie dann, fest davon überzeug es schon tausend Mal erklärt zu haben. Sie rollte mit den Augen und knabberte an der nächsten Olive. Das nächste war eindeutig eine Aufforderung, oder? „Hm, ein Scherzgesang… lass mich nachdenken…“ Unbewusst erwiderte Lucia das dämliche Grinsen, ehe sie die Stirn runzelte in dem Versuch auf einen Scherzgesang zu kommen. Ihr fiel aber nur ein dummer Spruch ein, der ihr grade einfach zu perfekt zu passen schien. „Ah… Wie wäre es mit:“ Sie hob die Stimme. „Der Mann hat deshalb einen Kopf auf den Schultern, damit die Frau ihn verdrehen kann.“ Schon beim vorletzten Wort musste Lucia glucksen und wollte sich am liebsten selbst auf die Schulter klopfen.

    Lucia registrierte das Kichern im Rücken des Mannes und ordnete die zugehörige Frau in eine ihrer ganz persönlichen Schubladen ein: Entweder Verwandte, Geliebte oder Ehefrau, in jedem Fall aber äußerst vertraut. Doch das war für den Moment wohl eher weniger wichtig, da der Kerl unter Manlias forderndem Blick zu reden begann. Mit jedem Satz wanderten Lucias Augenbrauen weiter nach oben. Da sprach eindeutig eine Rhetorikausbildung aus diesem Helveticus Commodus. Er wusste sich genauso geschickt um eine eindeutige Antwort zu drücken, wie Lucias Bruder. Und da stellte er auch die junge Frau als seine Schwester vor. Schade, eine Geliebte wäre durchausinteressanter gewesen. Aber das war wohl nichts.
    „Wie könnten wir bei einer so eleganten Überleitung uns der Vorstellung verwehren?“, erwiderte Lucia amüsiert. „Mein Name ist Tiberia Lucia, Schwester von Lucius Tiberius Lepidus, und das hier ist meine liebe, wenn auch etwas aufdringliche, Freundin Manlia Laeva.“
    Manlia indes war von den Ausführungen Commodus‘ sichtlich wenig begeistert. Man mochte es bei ihrem Namen nicht erwarten, doch gehörte sie zu einem plebejischen Zweig der Familie. Vergessen war für den Moment, dass sie das Armand eigentlich für ihre Freundin wollte. Sie war eindeutig verärgert.
    Lucia indes hatte zumindest ansatzweise Interesse an der Unterhaltung gefunden. Sie wollte zumindest noch erfahren, ob sich der Helveticer jetzt zu einer eindeutigen Antwort hinreißen ließ. „Da wir jetzt unsere Namen ausgetauscht haben, bin ich doch äußerst gespannt, zu welchem Urteil du gekommen bist. Sollte es uns nicht gefallen, können wir uns ja zum Glück noch an deine reizende Schwester wenden. Sie scheint mir einen guten Geschmack zu haben.“ Zumindest gefiel Lucia das Bernsteinarmband, welches sich die junge Frau beiseitegelegt hatte ebenfalls.

    Wollte Lepidus sie einfach nicht verstehen? Lucia funkelte ihren Bruder böse an, hatte aber einfach keine Energie mehr, um noch weiteren Terz zu machen. Wieder steckte die Decke einen Tritt ein, denn irgendetwas musste sie tun. Doch ihr Fuß verhedderte sich dabei und sie stolperte nach hinten. Dort stand zum Glück immernoch das Bett, wodurch sie relativ sanft auf ihrem Hosenboden landete. Ein weiterer giftiger Blick wurde zu Lepidus geworfen, ehe Lucia schimpfte: „Du verstehst mich einfach nicht! Ich habe keine Wahl! Diesmal nicht! Er lässt mir keine! Da brauchst du es mir nicht auch noch schwerer machen, verflucht nochmal!“ Sie hieb mit der noch immer geballten Faust auf das Bett. Doch die Götter schienen endgültig genug von ihrer Wut zu haben, denn sie traf dabei die Kante. Es tat weh! „Stinkende Kuhscheiße!“, packte Lucia ihr gesamtes Fluchvokablular aus und rieb sich die betroffene Handkante. Hatte sich denn jetzt wirklich ALLES gegen sie verschworen?

    „Verdammt!“, rutschte Lucia der Fluch heraus als Hamiris als Letzter die Runde beendete. Sie hätte wirklich nicht gedacht, dass das erste Wagenrennen so ein Desaster werden würde! Aber noch war das Rennen ja nicht vorbei. Sie musste einfach daran glauben, dass Hamiris noch eine Chance hatte! „Komm schon, du Faulpelz!“, murmelte sie drängend in ihren nichtvorhandenen Bart.


    Der Junge schien das Zitat zu kennen. Angenehm überrascht wandte sich Lucia vollständig zu ihm um. Das Gespräch hier war mit einem Mal um so viel interessanter als das vermurkste Rennen dort unten geworden. „Oh ja, sehr gerne sogar!“, bestätigte sie begeistert. „Ich mag vor allem die Amores, aber auch die Metamorphosen haben ihren Reiz. Magst du ihn auch? Hast du einen Lieblingsvers?“ Das wäre ja eine nette Abwechslung, wenn sie hier oben mit Gedichten von dem Rennen da unten abgelenkt werden würde.

    Die Leibsklaven durchbohrten den fremden jungen Mann regelrecht mit ihrem Blick. Doch aufgrund seiner Kleidung, seines Auftretens oder seiner Begleitung schätzten sie ihn wohl nicht als Gefahr für ihre Herrin ein und blieben bedrohlich im Hintergrund. Naja, so bedrohlich ein Mann eben wirken konnte, wenn er eine ganze Kaskade bunter Bänder über den Arm hängen hatte.
    So unvermittelt angesprochen sahen Lucia und Manlia kurz von ihrem Diskussionsstück auf. „Salve“, grüßte Lucia und wollte sich schon wieder dem Armband zuwenden, doch Manlia hatte andere Pläne. „Ah!“, rief sie aus, als ob sie einen riesen Fang gemacht hätte. „Eine unbeteiligte Meinung. Das ist es doch was wir hier brauchen, oder meine Liebe?“ Lucia musterte ihre Freundin, als ob diese übergeschnappt wäre, doch diese hatte schon einen Entschluss gefasst und schnappte sich das goldene Armband mit den Rubinen. „Junger Mann“, sprach sie als die ach so alte Mittedreißigjährige, die sie war. „Sie meinen doch auch, dass dieses Armband meiner Freundin hier außergewöhnlich gut steht, oder?“ Sie präsentierte das angesprochene Schmuckstück und blickte auffordernd. Lucia konnte im Hintergrund nur den Kopf schütteln.

    Grade frisch in der Lotterie gewonnen, hatte Lucia natürlich nichts Besseres zu tun, als das Geld gleich wieder auf den Kopf zu hauen. Mit ihrer Freundin Manlia Laeva an der Seite war sie schon eine ganze Weile durch die Stände getingelt. Zwei ihrer Sklaven waren bereits über und über mit Tiegelchen, Tütchen und sonstigem Krimskrams beladen. Sie wirkten wahrlich begeistert als eigentliche Leibsklaven so zu Packeseln gemacht zu werden. Zwei weitere Leibsklaven musterten jeden finster, der auch nur ansatzweise in die Nähe ihrer Herrin kam. Wäre nicht der Gewinn gewesen, hätte sich Lucia so schnell wohl nicht dazu überwinden können nach dem Überfall wieder über den Markt zu streifen. Doch sie war einfach viel zu begeistert von dem Gewinn, als dass sie still Zuhause auf den Besuch eines Händlers warten konnte. Sie musste zumindest einen Teil des Geldes sofort ausgeben!


    Manlia und Lucia waren schon eine Weile am Stand des Schmuckhändlers und versuchten grade sich zu entscheiden. „Ich finde die Rubine am schönsten!“, wiederholte Manlia nicht zum ersten Mal. „Ja, aber sie passen einfach besser zu dir, als zu mir. Guck doch mal…“ Lucia legte sich das Armband ums Handgelenk. „Es sieht aus, als würden die Steine meinen Arm erdrücken.“ Dann legte sie das gleiche Armband an das etwas speckigere Handgelenk ihrer Freundin und gab einen bestätigenden Laut von sich. „Da siehst du, viel besser! Rubine passen einfach besser zu brünetten als zu blonden Frauen!“ Manlia schüttelte vehement den Kopf und nahm ihrer Freundin das Armband ab, um es ihr wieder anzulegen. „Nein, nein, nein! Sie doch nur, wie die Steine auf deiner Haut funkeln! So ein herrlicher Kontrast!“ Lucia schüttelte den Kopf und seufzte.

    Mit wohl verborgener Verwirrung beobachtete Lucia Silanus‘ Reaktion auf ihre kleine Geste. Hatte er etwa grade wegen ihr aus einem vagen Angebot eine sichere Zustimmung gemacht? War wirklich ein Lächeln und anerkennende Worte verbunden mit einer kurzen Berührung so wirkungsvoll? Bisher hatte Lucia wohl schon bemerkt, dass sie die Besucher wohlwollender stimmen, oder sie von einer unangenehmen Situation ablenken konnte. Aber so unmittelbar war ihr, zumindest ihrer Erfahrung nach, noch nie etwas gelungen. Ihr Herz schlug ob dieser Entdeckung für einige Sekunden schneller. Glücklicherweise wandte sich Silanus nun direkt wieder an Crispus, im Moment war sie eindeutig zu berauscht von dieser Einsicht. Auch sie griff nach ihrem Wein und trank einen großzügigen Schluck, während die Männer über Details redeten.


    Lucia nahm sich fest vor den Abend später nochmal mit Arsinoe, die unauffällig im Hintergrund stand und zuhörte, und Sekunda, die sich in Lucias Zimmer hoffentlich ausruhte, Revue passieren zu lassen. Jetzt wollte sie sich lieber weiter in diese Unterhaltung einbringen! „Entschuldige die wohl viel zu neugierige Frage, aber gibt es viele Standeserhebungen?“, wandte sie sich wieder an Silanus. Sie wollte es zum einen tatsächlich wissen und zum anderen fand sie, dass sich genug bedankt worden war.

    Wenn sie nicht unglaubliche Kräfte entwickeln und mit dem Bett weitermachen wollte, hatte Lucia keinen direkten Zugriff auf weitere brauchbare Dinge zum Werfen. Ihre Finger bewegten sich unruhig, sie brauchten irgendetwas zu tun. Sie griff noch eben nach der Bettdecke und zog es in einer sinnlosen Geste auf den Boden. Doch danach war sie zur relativen Ruhe gezwungen, auch wenn ihr Blick weiter suchend umherschweifte. In ihren Ohren rauschte es und sie brauchte eine Weile, um Lepidus Worte zu verstehen. „Wie, was heißt hier ich muss? Wer ist hier der Rhetoriker, du oder ich?! Müssen heißt keine andere Wahl haben!“ Lucias Tonfall konnte kaum mehr giftiger werden. „Das hat nichts mit Dummheit zu tun… oder Verantwortung! Wenn man muss, dann muss man. Nicht können, nicht dürfen, MÜSSEN!“ Sie trat nach der Decke und ballte die Hände zu Fäusten, doch ihr übersprudelnder Zorn flaute langsam ab. Ihre Wut ließ dabei kaum nach, sie wurde nur dumpfer und mehr nach innen gerichtet.

    Sie sollte sich zusammenreißen?! ZUSAMMENREIßEN?! „Zusammenreißen!?!“, giftete Lucia und griff nach dem nächstbesten Gegenstand: Ein Sitzkissen folgte dem Ovid. Sie gehörte geprügelt? Das war ja wohl unerhört! „Ausgeglichene Natur, HA!“ Lucia warf theatralisch die Hände in die Luft. Die hektischen, roten Flecken auf ihren Wangen breiteten sich aus und verliehen ihr einen äußerst ungesunden Teint. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so aufgeregt, eigentlich sogar nie. Um ehrlich zu sein hatte sie nicht den Hauch einer Ahnung, wie man sich bei so etwas verhielt, damit man nichts tat, was man nachher bereuen könnte. Es war beispielsweise unglaublich befriedigend Dinge nach ihrem blöden Bruder zu werfen. Ihre Hände griffen schon wie von selbst zu den vor dem Bett stehenden Schuhen. Und Lepidus verstand einfach überhaupt nichts! „Ich will NICHT!“ Sie warf den ersten Schuh. „Verflucht nochmal, ich MUSS!“ Der zweite Schuh folgte, auch wenn Lucia in ihrer Wut kaum mehr zum Zielen fähig war. „Du bist so ein Idiot!“ Sie brauchte etwas Neues! Aufgeregt wirbelte sie um die eigene Achse, um neue Wurfgeschosse zu finden.

    „Ja, DU!“ Lucia schlug in ihrer Wut blind Richtung Lepidus. Dieser war zum Glück etwas zurückgewichen, so dass ihre Hand nur sinnlos durch die Luft wischte. „Du verstehst aber auch gar nichts!“ Jetzt wollten Lucia tatsächlich schon wieder die Tränen kommen, doch diesmal waren es bittere Zornestränen, die sie störten – mehr als störten. Sie machten sie zusätzlich noch wütend auf sich selbst. Wieso musste sie nur immer weinen!? Ungeduldig wischte sie sich mit dem Unterarm über die Augen und versuchte in der gleichen Bewegung nochmal ihren Bruder irgendwie mit einer nur halb zur Faust geschlossenen Hand zu erwischen. Dass sie ihn wieder verfehlte und sie ihrer verzweifelten Wut dadurch keine Luft machen konnte, trieb sie fast in den Wahnsinn. Warum mussten Männer in solchen Situationen nur immer so … so… Ihr Bruder war so… Er verstand einfach nicht… Sie bekam noch nicht mal ganze Sätze in ihren Gedanken hin geschweige denn gesprochen. Ein unartikulierter, frustrierter Laut entrang sich ihren Lippen, den man am besten mit „Waarrrgh!“ umschreiben konnte. Lucia blieb unvermittelt stehen und stampfte mit dem Fuß auf. Sie musste diesen verfluchten Duccius heiraten, warum verstand Lepidus das nicht und warum machte er es ihr so schwer!? Tobend griff sie nach dem erstbesten, was sie in die Finger bekam, und warf Ovids Metamorphosen nach ihrem Bruder.

    Es wurde immer unwahrscheinlicher, dass der Junge seinen Wetteinsatz einlösen musste. Lucia sah wenig begeistert, wie Hamiris nun mehr auf dem vorletzten Platz fuhr. Von ihrem Geld hatte sich Lucia schon längst verabschiedet… Wenn der Fahrer der Factio Veneta nur nicht letzter würde, das wäre vielleicht eine Schmach! Proteneas hingegen schien seiner Favoritenrolle mehr als gerecht werden zu wollen. Naja, vielleicht würde es ja noch dieser unbekannte Fahrer schaffen. Der Junge erinnerte sich auch nicht an dessen Namen… Schade! Doch auf sein verschmitztes Quak fiel Lucia tatsächlich ein Zitat ein:
    „Vox quoque iam rauca est, inflataque colla tumescunt, Ipsaque dilatant patulos convicia rictus. *“
    Sie fand das passte auch ausgezeichnet zu all den Anfeuerungsrufen hier um sie herum. So mancher enttäuschter Anhänger machte seinem Ärger lauthals Luft und rief den Fahrern Schmähungen hinterher.


    [SIM-OFF]* Schon ist auch die Stimme heiser, die aufgeblähten Hälse schwellen an und die Schimpfworte selbst machen die offen stehenden Mäuler breiter.[/SIM-OFF]

    Jetzt kam sie endlich, die Reaktion mit der Lucia schon von Anfang an gerechnet hatte. Was sie nicht erwartet hatte war, dass sie selbst wütend wurde. Auf ihren blassen Wangen bildeten sich hektische, rote Flecken und sie erhob sich von ihrem Hocker. Bei dieser schnellen Bewegung schwindelte es ihr, doch sie wollte verdammt sein, wenn sie jetzt wieder auf den Hocker zurückfiel! Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie die tanzenden Sterne zu vertreiben und wahrte grade so ihre Balance.
    „Ich weiß genau wer Duccius Vala ist!“, zischte sie giftig zurück. „Du bist so ein Idiot!“, die liebe geschwisterliche Rhetorik beherrschte sie auch noch ganz gut. Mit verstellter Stimme höhnte sie: „Oh, ich bin der große Lucius Lepidus, seht mich an! Ich bin blind und blöd und ohnehin an allem schuld!“ Jetzt hatte Lucia tatsächlich noch einen Sündenbock für ihre prekäre Lage gefunden und das tat unglaublich gut. Sie trat einen Schritt auf ihren Bruder zu und wollte ihn am liebsten mit den Fäusten gegen die Brust trommeln. Gewalt war halt doch der nächste Weg, wenn einem keine Worte mehr einfallen wollten.