Beiträge von Tiberia Lucia

    Lucia sah ihren Bruder überrascht an. „Aber natürlich!“ In ihrer Stimme schwang deutlich die Empörung darüber mit, dass Lepidus überhaupt an ihrer Bereitschaft zu Heiraten zweifelte. Sie hatte viel Zeit gehabt auch über dieses Thema nachzudenken und war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass sie mit jedem Mann zurechtkäme. Alles hatte seine Vor- und Nachteile: Ein junger Mann wäre etwas ästhetisch Angenehmeres, dafür müsste sie ihn aber - wenn es den Göttern gefiel - lange, lange Zeit mit all seinen Macken ertragen. Ein alter Mann würde sie bald als angesehene Witwe zurücklassen, da konnte man die wenigen Jahre doch auch über so manche Äußerlichkeit oder Charakterschwäche hinwegsehen, oder? Wenn sie die Wahl hätte glaubte Lucia, dass sie sich eher für den alten Mann entscheiden würde, als für den gutaussehenden – zumindest hatte sie sich das so überlegt. Sie würde ihrer Familie sicher keine Schande machen und die Heirat verweigern, was dachte sich Lucius nur!? Sie warf ihrem Bruder einen tadelnden Blick zu. „Das brauchst du doch nicht extra erwähnen!“


    Das mit dem ‚Freunde machen‘ unter den angesehenen Familien, sollte eigentlich die einfachste Aufgabe sein, zumindest in Lucias Augen. „Weißt du denn, wer von den anderen Adeligen noch in der Stadt ist? Vielleicht sind ja alte Bekannte darunter denen ich einen Besuch abstatten kann, wo ich grade frisch zurückgekommen bin.“, schlug Lucia auch gleich vor. Das würde ihr sicher auch Spaß bereiten und was gab es schöneres als die Pflicht mit dem Angenehmen verbinden zu können? Wie sie das mit Durus und der angeblichen Verschwörung wieder richtig stellen wollten, war ihr nicht so ganz klar, aber das war doch auch eher Lucius Aufgabe als die ihre. So lange es nicht brisant wurde wollte sie sich erst mal nur über diese Dinge Gedanken machen, die sie selbst beeinflussen konnte.

    Lucia wäre so viel lieber hier gewesen! Sie war sich sicher, dass sie einiges abhaben konnte. Hätten die anderen nur reden sollen! Sie hätte die Leute ignoriert, ihnen gezeigt dass sie einen Dreck auf deren Meinung gab! Sie war ja ohnehin etwas Besseres als die meisten: Sie war eine Tiberia und stolz darauf!
    Aber soetwas sagte sich ja immer leicht, wenn man ganz weit weg war… ob sie tatsächlich so gut damit zurechtgekommen wäre, würde sie wohl nie erfahren. Umso mehr war sie davon überzeugt, dass sie es durchgestanden hätte und gestärkt daraus hervorgegangen wäre.


    „Mein armer Bruder! Und das hast du alles alleine durchstehen müssen. Ich hätte dich dabei so gerne unterstützt!“, gab Lucia ihm zunächst einmal was dieser ganz offensichtlich wollte: Eine ordentliche Portion Mitleid. Sie legte ihm die Hand auf den Unterarm, um zu verdeutlichen, wie sehr sie doch mitfühlte. Ein paar Dinge änderten sich wohl nie…
    „Aber das Ganze hat dich nur stärker gemacht, das sehe ich dir doch an. Gemeinsam werden wir das schon schaffen!“, sie lächelte aufmunternd und drückte sanft seinen Unterarm, ehe sie ihre Hände wieder züchtig in ihren Schoß legte. Ihre Augen funkelten unternehmungslustig, sie konnte es kaum erwarten aktiv zu werden.
    „Wie denkst du denn, dass es nun weiter geht?“, fragte Lucia neugierig. „Was hast du vor? Und wo kann ich dir dabei helfen?“

    Lucia ließ bei Lepidus ironischen Worten ein feines Lachen hören. „Umso besser, ich wollte ohnehin mein ruhiges Leben der letzten fünf Jahre nur ungern aufgeben.“, erwiderte sie in ähnlichem Tonfall. Eigentlich war es ihr gar nicht so recht, dass in Rom jetzt wieder Normalität einkehrte, sie wünschte sich vielmehr eine spannende Zeit voller neuer Verwicklungen. Sie hatte die Unruhen ja auch nur vom Hörsagen mitbekommen und ein paar der Spuren in den Straßen gesehen, ansonsten hätte sie wohl auch eine ganz andere Meinung dazu. Da sie jedoch zu gut erzogen war, um ihrem Bruder so schnell schon zu widersprechen, nickte sie bestätigend.


    Mit einem Handzeichen und einem Lächeln machte Lucia klar, dass sich Sekunda entfernen durfte, ihre Leibsklavin würde das mit ihrem Gepäck schon in die Hand nehmen. Sie ließ sich nur zu gerne zu einem kleinen Gespräch überreden, sie war schon neugierig was ihr Bruder ihr so alles berichten würde. Nebenan ließ sie sich elegant auf die Bank nieder und strich sich das Kleid glatt.


    Es musste ja grässlich um Rom gestanden haben, wenn dieser tumbe Leibwächter das Beste war, das man hier entbehren konnte! Lucia war kurz versucht einen spöttischen Kommentar abzugeben, besann sich dann aber. Für solcherlei Dinge musste sie Lepidus erst wieder besser kennenlernen, dann wüsste sie wie weit sie gehen konnte. Also schönte sie die Wahrheit ein wenig: „Pittacus hat deine Nachricht gewissenhaft überbracht und war ein zuverlässiger Leibwächter, du hast ihn gut gewählt.“ Sie lächelte als Bestätigung ihrer Worte. „Ich bin dir sehr dankbar, dass du so rasch nach mir geschickt hast. Ich glaube noch viel länger hätte ich es in der Villa Rustica nicht ausgehalten. Andauernd kamen Nachrichten, die schon Wochen alt und durch so viele Münder gegangen waren, dass man sich nicht sicher sein konnte, was nun wirklich war und was nicht!“

    Lucia wechselte einen amüsierten Blick mit ihrer Leibsklavin, als sich Lepidus‘ Eintreffen so lautstark ankündigte. Sie hatte sich kaum in Richtung der Stimme gedreht, als auch schon ihr Bruder und sein Begleiter das Atrium betraten. Entweder wollte er ihr zeigen wie wichtig er inzwischen war, oder Lepidus war momentan fürchterlich eingespannt. So müde wie er wirkte, tippte sie eher auf Letzteres. Der arme Kerl schien einen entspannenden Besuch in den Thermen, ähnlich dem ihren heute, dringend nötig zu haben! Seine Begrüßung war jedoch herzlicher als sie es von ihm, zumindest wie sie ihn zu kennen glaubte, erwarte hatte. Dachte sie zu viel über jede noch so kleine Einzelheit nach? Um die letzten langweiligen Jahre etwas spannender zu machen, hatte sie versucht die Beweggründe für Alles und Jedes zu ergründen. Ging sie damit nun zu weit? Ach, Mumpitz! Es war doch nicht verkehrt sich seine Gedanken zu machen! Lucia erwiderte den Druck seiner Hände und schenkte Lepidus ein freudiges Lächeln.


    „Um endlich nach Hause kommen zu können, hätte ich eine noch viel beschwerlichere Reise auf mich genommen, mein lieber Bruder! Ich freu mich so dich zu sehen! Auch du hast dich verändert… Bis auf diese Augenringe steht es dir sehr gut!“, sprach Lucia und legte für einen Moment sachte ihre kühle Hand an seine Wange. „Aber jetzt bin ich ja da und kann dir zumindest was die Villa angeht unter die Arme greifen.“ Zumindest wenn er dies zuließ.

    Es war immer wieder verblüffend was so eine kleine Aufmerksamkeit, die einen ja kaum Zeit und Mühe kostete, bewirken konnte. Das freudige Strahlen des Ianitor zeigte der jungen Tiberia, dass kleine Gesten einen großen Effekt haben konnten und es war nett das an Sklaven üben zu können. Außerdem war es ja nicht verkehrt, wenn derjenige der hier alle kommen und gehen sah, Lucia zugetan war. Vielleicht würde sie in nicht allzu ferner Zukunft gut darüber informiert sein, wenn wichtige Leute überraschend zu Besuch kamen, doch das blieb abzuwarten.


    Sie trat in das Atrium und erwartete dort eigentlich ihren Bruder, erblickte aber nur das Wasserbecken, leere Schemel und die bekannten Wandzeichnungen und Mosaike. Noch bevor sie einen bewussten Gedanken dazu fassen konnte, versuchte Stesichoros sie schon zu beschwichtigen. Der Tölpel machte klar, wieso er hier Ianitor war und nichts anderes. Mit ungewollt-amüsiert hochgezogenen Augenbrauen ließ sie den Sklaven ein wenig zappeln, ehe sie mit einer Handbewegung Sekunde bedeutete dem Mann Anweisungen zu geben. Während sich Lucia langsam auf- und abgehend fragte, was ihr Bruder damit bezweckte sie hier warten zu lassen, sprach Sekunda also leise aber deutliche: „Etwas Wein ist eine gute Idee. Lass auch eine Schale Wasser bringen, damit sich die junge Herrin von der Reise erfrischen kann. Und vergiss Tücher zum Trocknen nicht!“ Und als der Mann nicht sofort sprang, fügte Sekunda ein ungeduldiges „Schnell!“ an. Zwar kam die junge Tiberia grade erst aus der Therme, aber das wäre eine gute Beschäftigung, um diese Verspätung ihres Bruders zu rechtfertigen. Dankend nickte Lucia ihrer Leibsklavin zu, das war keine schlechte Idee.


    Wollte Lepidus deutlich machen, wer hier das sagen hatte? Oder war er tatsächlich so gedankenlos sie hier stehen zu lassen? Was sollte Lucia machen? Ihr blieb ja kaum etwas anderes übrig als zu warten, wenn sie nicht als ungehobelt erscheinen wollte. Sie konnte ja wohl kaum in das Cubiculum ihres Bruders stürmen, allein der Gedanke war absurd. Aber einen dieser Schemel setzen würde sie sich sicher auch nicht! So lange würde Lepidus sie schon nicht warten lassen, immerhin kam sie hier nach Hause! Trotzig schob sie das Kinn vor und runzelte die Stirn. Als die junge Frau bemerkte, was sie da tat glättete sie mit größter Willensanstrengung wieder ihre Züge und zauberte das Lächeln zurück auf ihre Lippen.


    Es dauerte nicht lange, da kam auch schon das verlangte Wasser und wurde der jungen Tiberia angeboten. Sie legte ihre Hände in das angenehm kühle Nass, benetzte sich auch ein wenig die Unterarme und wusch sich vorsichtig den nicht mehr vorhandenen Staub von den Fingern. Auch mit dem Abtrocknen ließ sie sich Zeit und erwartete jede Sekunde das Auftauchen ihres Bruders.

    Es war in der Tat ungewöhnlich ruhig auf den Straßen Roms, doch man hätte Lucia wohl extra darauf hinweisen müssen, damit ihr das bewusst würde. Sie hatte nur Augen für das Gebäude, welches sie nun seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. So viele ihrer alten Schätze waren während ihrer Rundreise hiergeblieben, weil sie sich sicher war nach wenigen Monaten wieder hierher zu kommen. Die meisten der Kleider waren inzwischen nicht nur schrecklich aus der Mode, sie würden ihr auch kaum mehr passen. Und die Spiele und Schmuckstücke hatte sie in der Villa Rustica mit irgendwelchen anderen Dingen ersetzt. Nichts destotrotz hoffte Lucia, dass ihre alten Sachen gut verstaut lagen und sie später ein wenig darin wühlen konnte. Das würde sicherlich spaßig werden!


    Der Ianitor kam Lucia entgegen und sein Gesicht rief vage Erinnerungen wach, aber ein Name wollte der Tiberia nicht einfallen. Sie neigte nachdenklich den Kopf ein wenig zur Seite und hörte ein geflüstertes „Stesichoros“ von der knapp hinter ihr stehenden Sekunda. Die Serva hatte den Kopf gesenkt, so dass man ihre Lippen nicht sehen konnte und auch Lucia ließ sich nichts anmerken. Natürlich musste man als Patrizierin die Namen der Sklaven nicht kennen, aber in den letzten Jahren hatte Lucia gelernt, dass es seine Vorteile hat jeden direkt ansprechen zu können.


    Sie wurde unterwürfig begrüßt und nickte bestätigend. „Die Reise hätte angenehmer sein können, da hast du Recht, Stesichoros. Aber jetzt freue ich mich wieder Zuhause zu sein.“ Bei den letzten Worten wurde Lucias Lächeln noch breiter und sie ließ sich gerne in die Villa führen.

    Der Besuch in der Badeanstalt war eine wunderbare Idee gewesen! Lucia fühlte sich wieder frisch, ihre Kleidung war sauber und ihre Frisur war dort von einer angestellten Tonstrix wunderbar gelegt worden. Sekunda hatte ihr von einer angenehmen Maske gereinigtes Gesicht noch mit ein paar geübten Handgriffen, etwas Kohle und ein wenig Rouge verschönert, wodurch sie sich nun mehr als bereit fühlte ihrem Bruder nach so vielen Jahren wieder gegenüber zu treten. Der würde sich wundern was aus seiner kleinen, knabenhaften Schwester geworden war! Sie ließ sich von Pittacus vor der Badeanstalt in die Sänfte helfen und spähte auf dem Weg zur Villa Tiberia neugierig zwischen den Stoffen hindurch.


    Dass die Wände in Rom alles andere als blank waren, das wusste sie ja noch. Aber dieser Salinator musste nicht grade beliebt gewesen sein. Überall gab es Schmierereien gegen ihn, oder für Palma. Manche ließen sie kichern, andere waren einfach nur geschmacklos, doch sie waren ein netter Zeitvertreib. Außerdem lenkte sie ihre Aufmerksamkeit lieber auf solche Kleinigkeiten, als auf die Spuren der Eroberung, die hier und da doch noch zu erkennen waren. Sie näherten sich dem Esquilin und Lucia wurde langsam aber sicher nervös. Einer der Sklaven lief voraus, um ihr Eintreffen anzukündigen und sie strich wohl zum x-ten Mal den Stoff ihres Kleides glatt.


    Endlich kamen sie an der Villa an. Lucia atmete noch einmal tief durch, ihr Herz schlug ihr in der Kehle. Wie Lucius wohl sein würde? Ob er sich verändert hatte? Ob sie ihn überhaupt noch erkannte? Sie setzte ihr bestes Lächeln auf, überprüfte mit den Fingern nochmal vorsichtig den Sitz ihrer Frisur und ließ sich aus der Sänfte helfen. Auf den ersten Blick hatte sich zumindest von außen an der Villa nicht allzu viel verändert, seit sie zuletzt hier gewesen war. Das beruhigte sie auf eine eigentümliche Weise und ihr Lächeln wurde ehrlicher.

    Sie war eben erst in Rom angekommen, ihrem Bruder war sie noch nicht begegnet, denn Lucia wollte sich erst ein wenig frisch machen. Theoretisch hätten sie gestern Abend, wohl mehr in der frühen Nacht schon in der Villa Tiberia sein können, doch Lucia dachte ja nicht daran sich ihren großen Auftritt nehmen zu lassen. Sie würd ihrem Bruder frisch und munter gegenübertreten und nicht müde und schmutzig von der Reise. Er rechnete ja wahrscheinlich ohnehin noch nicht mit einer so frühen Ankunft ihrerseits. Hatte er diesen tumben Sklaven nicht sogar extra aufgetragen ihr auszurichten sie solle sich Zeit lassen? Nun, genau das tat sie ja jetzt auch! Sie hatten in einem Gasthaus vor den Toren Roms genächtigt. Am Morgen nach einem eher schlecht als rechtem Frühstück hatten ihre Sklaven Lucia eine Sänfte organisiert, denn die junge Tiberia glaubte nicht dass die Anarchie noch so sehr in Rom herrschte, dass Wägen am helllichten Tag erlaubt wären. Sekunda hatte was sie für einen Besuch der Thermen und das Ankleiden danach brauchen würden zusammen gepackt und somit war alles bereit. Das restliche Gepäck würde von den übrigen Sklaven wohl in der nächsten Nacht zur Villa gebracht werden. Nur mit ihrer Leibsklavin und zwei der vier Wachen brach Lucia nun vorfreudig zu den Badeanstalten auf.


    Unterwegs konnte sie aus ihrer Sänfte heraus kaum eindeutige Spuren der Eroberung Roms entdecken. Sie wusste selbst nicht was sie erwartet hatte. Ob sie verkohlte Ruinen oder eingestürzte Häuser sehen wollte, oder am Ende noch tote Körper. Aber irgendetwas musste es doch geben, dass darauf hinwies, dass sich so einiges geändert hatte! Oder!? An ein paar Ecken schien ein wenig Unordnung zu herrschen und viele Wände waren noch stärker beschmiert als Lucia es im Gedächtnis hatte. Doch war das auf ihre verklärten Erinnerungen zurückzuführen oder auf tatsächliche Unruhen innerhalb der letzten Tage? Nach einer Weile gab sie es auf nach Hinweisen auf Vandalismus und Kampf Ausschau zu halten und übte sich lieber darin, ob sie vertraute Ecken wiedererkannte.


    So kam sie recht bald in der Thermae Agrippae an und die alte Sklavin Sekunda entrichtete mit gerunzelter Stirn und nur nach einigen bösen Worten den überteuerten Eintritt. Lucia ließ sich davon nicht weiter aufhalten und schlenderte derweil zu den Umkleiden. Sie freute sich schon tierisch darauf endlich all diesen Straßenstaub und dieses schlichte Reisegewand loszuwerden! Außerdem war sie wieder zurück! Sie war in Rom! Einer ihrer größten Wünsche während dieses vermaledeiten Bürgerkrieges war endlich in Erfüllung gegangen! Sie war zurück! Mit glänzender Laune und dementsprechend breitem ehrlichen Lächeln betrat sie die Umkleide. Sie blickte sich um und grüßte die andere(n) anwesende(n) Dame(n): "Salvete! Ist das nicht ein wunderbarer Tag?" Nur wenige Schritte hinter Lucia folgte Sekunda, bereit ihrer Herrin beim Entkleiden zu helfen.

    Die Zeit verging. Lucia brauchte nicht lange den Tod von Albina zu akzeptieren, so wirklich gekannt hatte sie ihre Base ja auch wieder nicht. Sie bedauerte es ein wenig sie nicht noch einmal als Erwachsene kennengelernt zu haben, doch dafür war es jetzt leider zu spät. Ihre Gedanken wanderten zur Familie Purgitia und sie kam zu dem Schluss, dass durch das Kind ihre Familien wohl doch noch recht nahe verbunden waren. Jetzt blieb noch die Frage, wie sie ihrem Bruder gegenüber reagieren sollte. Er hatte ihr wichtige Informationen vorenthalten. War das Absicht gewesen oder ein Versehen? Eine Weile kaute Lucia auf ihrer Lippe, während sie angestrengt nachdachte. Sie konnte sich nicht wirklich für einen Plan entscheiden, sie würde wohl abwarten und bei ihrem ‚erst mal keinen Vorwurf machen‘ bleiben. Vielleicht würde sie Lucius nach einer Weile direkt drauf ansprechen.


    Durch die Grübeleien verging die Zeit und an diesem Tag kam Lucia nicht mehr dazu ihre Lyra zu spielen. Doch die weiteren Reisetage klang immer mal wieder ein wenig Musik aus dem Wagen und die junge Tiberia versuchte noch ein weiteres Mal Informationen aus Pittacus herauszubekommen. Leicht entnervt gab sie es auf und vertröstete sich selbst auf später. Immerhin würden sie ja hoffentlich bald ankommen.

    Eine ganze Weile schon? Es war vielleicht nicht grade die Reaktion, die man bei einer solchen Nachricht bekommen sollte, doch Lucia verspürte Wut. Eine undefinierte Wut auf ihren Bruder. Albina war schon vor einer ganzen Weile im Kindbett gestorben? Warum hatte er ihr das nicht geschrieben? Wenn es Nachrichten gab, die immer wichtig waren, dann doch die von Geburt und Tod und hier lag ja wohl beides vor. Was hatte er ihr sonst noch alles verschwiegen? Wieder musste Lucia tief durchatmen. Im Kindbett zu sterben war wirklich nichts seltenes, auch wenn man als adelige Frau nur die besten Voraussetzungen hatte. Dennoch erschien es ihr so unnötig. Dazu kam eine ungewisse Angst vor der eigenen Zukunft. Immerhin würde sie vermutlich auch bald heiraten und dann doch hoffentlich auch Kinder bekommen.


    Doch das alles gehörte nicht hierher. Sie musste die Nachricht und all ihre Konsequenzen jetzt erst einmal verdauen also nickte sie Pittacus leicht abwesend zu und sprach: „Danke, das war für jetzt alles. Ruh dich aus, iss was. Wir werden bald weiterfahren.“ Mit einer Handbewegung scheuchte sie den Sklaven fast weg und starrte auf das Essen. Ihr hatte es gründlich den Appetit verdorben, wen wunderte es? Es dauerte nicht lange, ehe sie noch eine kleine Runde über die Wiese schlenderte und dann mit Sekundas Hilfe wieder in der Reisewagen stieg. Erst als dieser losfuhr, fiel ihr ein, dass sie Pittacus noch nach diesen heruntergekommenen gestalten, die er erwähnt hatte genauer ausfragen wollte. Doch dafür war auch morgen in einer Pause noch Zeit.

    So langsam erschöpfte sich aber ihre Geduld! Mit spitzen Fingern griff sich Lucia an die eigene Nasenwurzel und drückte leicht, als der Kerl herumzustottern begann und kaum noch ein richtiges Wort herausbrachte. Langsam glaubte sie Kopfschmerzen zu bekommen. Endlich hatte er einen Namen herausgebracht der auch Sinn machte und Lucia ließ von ihren Kopfschmerzen ab, senkte die Hand und dachte leicht beeindruckt an ihren Bruder. Purgitius. Das war vermutlich Spurius Purgitius Macer, von dem Pittacus da radebrechte, oder? Ihre entfernte Base Albina hatte den ehemaligen Consul geheiratet und Lucius pflegte die Verbindung der Familien anscheinend, gut so! Doch was der Sklave da zuletzt noch herausplatzte ließ Lucia den Mund offen stehen. „Albina – tot? Seit wann? Wie?“, brachte sie geschockt heraus und starrte den Sklaven ohne jede Grazie oder Eleganz einfach nur entsetzt an.


    Sie hatte Albina nicht besonders gut gekannt, zugegeben, aber ihr Tod bedrückte sie dann doch. Vor allem es auf diese… unsensible und tumbe Art zu erfahren. Warum hatte ihr Lucius nicht davon geschrieben? Außerdem war durch ihren Tod die Verbindung der Familien Tiberia und Purgitia geschwächt. Vermutlich war ihr Bruder deshalb zu dem Mann gegangen, oder? Einen ehemaligen Consul in der Verwandtschaft zu haben war wunderbar, jetzt musste man ihn sich zumindest als Freund erhalten! Kurz war Lucia über sich selbst geschockt. Sie hatte eben erfahren, dass Albina gestorben war und ihre nächsten Gedanken galten solcherlei Verwicklungen? Sie atmete tief durch und versuchte ihre Gefühle zu ergründen. Da war ein Bedauern und vielleicht sogar ein wenig Trauer um das Mädchen das sie mal gekannt hatte, aber sie stand keinesfalls kurz davor in Tränen auszubrechen. Dennoch wollte sie wissen, wie es geschah und wann. Sie starrte den Sklaven also weiterhin an und wartete auf eine Erklärung!

    Während der Sklave sprach biss Lucia endlich in die Pastete und kaute genüsslich. Innerlich seufzend kam Lucia zu dem Schluss, dass dieser Pittacus wohl nicht zu den Schlaueren seiner Art gehörte. Es wär aber auch zu schön gewesen, wenn ausgerechnet der Bote ihres Bruders ihr für längere Zeit Einblicke in dessen Pläne und Wünsche hätte geben können. Aber sie würde sicherlich noch jemanden finden. Zur Not würde sie einfach eine der Sklavinnen aus ihrem Tross darauf ansetzen sich einen gesprächigen Herren aus Lucius Gefolge zu suchen. Die Zeit in der Villa Rustica hatte zumindest ein Gutes gehabt. Lucia konnte allen, die mit ihr dort waren und ihr jetzt im Tross folgten, ihr Leben anvertrauen und den meisten von ihnen sogar Geheimnisse. Sie hatte jeden einzelnen mit seinen Stärken und Schwächen kennen gelernt und es bei den meisten geschafft sie irgendwie an sich zu binden. Sie hatte da ein Mädchen dabei, das es vielleicht sogar zu Lucius selbst schaffen könnte… Aber darüber konnte sie sich ja später noch Gedanken machen, jetzt musste sie diesem tumben Kerl erst mal die interessanten Einzelheiten aus der Nase ziehen.


    Sie hatte ja zumindest schon einmal etwas erfahren. Lucius war also Aedituus, das war doch mal ein Anfang, vielleicht erinnerte sich der Sklave ja noch an weitere ‚Kleinigkeiten‘. „Erzähl mir doch mehr darüber, mit wem er so ‚herumhängt‘.“, forderte Lucia den Mann auf. „Warst du mal dabei? - Weißt du was sie besprochen haben? - Kennst du einen Namen? - Weißt du wer diese … heruntergekommenen Typen waren? – Was wollte Lucius mit denen?“ Vielleicht half es dem Kerl ja, wenn sie wieder nach und nach einzelne Fragen stellte und ihn erst einmal antworten ließ, bevor sie weiter fragte. Das hier war grade eine ganz schöne Probe ihrer Geduld, aber noch schaffte sie es ruhig zu bleiben, vor allem wohl weil sie das Gefühl hatte dass der arme Kerl wirklich so dumm war wie er sich gab.

    ‚Ach, nett ist er also!?‘, schoss es Lucia sarkastisch durch den Kopf und ihre Augenbrauen zuckten in die Höhe. Sie legte langsam die Pastete, in welche sie grade beißen wollte wieder hin und faltete die Hände im Schoß. Hielt der Sklave sie für dumm oder war er es selbst? Wenigstens hatte er sich, wenn auch ein wenig steif, hingesetzt und so hatte Lucia jetzt die Möglichkeit sich leicht zu ihm hinüber zu beugen und ihn anzulächeln. „Sag, wie nennt man dich?“, fragte sie mit süßlicher Stimme. Der Sklave antwortete und Lucia war sich nicht sicher, ob er die Gefahr die in ihrem viel zu lieblichen Tonfall mitschwang überhaupt bemerkte.


    „Also, Pittacus.“, hob Lucia nun an und ihre Stimme war die reine Wohltat, sanft und glatt und… vielleicht ein bisschen zu süß. „Wenn ich dich bitte etwas von meinem Bruder zu berichten, so musst du mir schon etwas mehr erzählen. Solche Dinge wie: War er immer gesund? Wie geht es ihm jetzt? Was hat er besonderes getan in letzter Zeit? Mit wem hat er sich getroffen, wenn du das weißt. Verstehst du?“ Sie blickte mit einem anmutigen Lächeln zu dem wohl etwas tumben Sklaven und ließ die freundliche Maske mit einem Mal fallen. Ihre nunmehr kalten Augen verengten sich und das Lächeln war vollständig verschwunden. „Und bedenke, Pittacus, ich kenne meinen Bruder und niemand würde im Traum darauf kommen ihn als ‚nett‘ zu bezeichnen! Also lüg mich nicht noch einmal an!“ Sie hielt seinen Blick fest, um sicher zu gehen, dass er verstand und erst als er zustimmte zauberte sie wieder die freundliche Maske hervor. „Nun, Pittacus, dann noch einmal von vorne: Was kannst du mir über meinen Bruder berichten?“ Sie griff wieder nach dem Pastetchen und blickte den Sklaven herausfordernd an.

    Der Reisewagen rumpelte von zwei Pferden gezogen über die Straße. Zunächst war Lucia noch recht frohgemut gestimmt gewesen, doch das legte sich bereits am zweiten Tag. Ihr Hintern tat ihr weh, egal wie viele Kissen sie unterlegte und das unregelmäßige Rumpeln ging ihr auf die Nerven. Mal war ihr zu warm und zu stickig, dann wand sie sich aus den Decken und öffnete das kleine Fensterchen. Das half dann wieder für ein paar Minuten, doch schon bald wurde ihr wieder zu kalt und das Spiel begann von vorne. Die Landschaft, welche ihr zumindest etwas Abwechslung bieten konnte, war ja auch nur mit geöffnetem Fenster zu sehen und egal in wie viele Decken sich Lucia wickelte, ihr wurde es rasch kühl und sie schloss das Fensterchen wieder. Es war bereits Mittag geworden und sie Sonne schien fahl aber doch verlockend und Lucia entschied, dass es Zeit für eine Pause wäre! Ihre vier Wachen und die anderen Sklaven sollten nach einem geeigneten Ort Ausschau halten.


    Es dauerte nicht lange und sie erreichten eine nette kleine Wiese, die zu ein paar entspannenden Schritten förmlich einlud. Sekunda legte ihrer Herrin sobald sie aus dem Reisewagen ausgestiegen war fürsorglich einen Mantel um die Schultern und Lucia nickte ihr dankend zu. „Lass meine Lyra vom Gepäckwagen holen, ich bin der Spiele überdrüssig.“ Eigentlich liebte Lucia Brettspiele und konnte sich ewig mit diesen beschäftigen, doch es geschah viel zu häufig, dass ein plötzliches Schlagloch die Spielsteine durcheinander würfelte. Wenn man sich nicht genau gemerkt hatte, wer wie stand konnte man das Spiel gleich nochmal von vorne beginnen, nicht sehr amüsant. Vielleicht konnte sie sich ja mit ein wenig musizieren die Zeit vertreiben. Der Gesprächsstoff war ihnen schon am vorherigen Abend ausgegangen. Sie hatten ja in dieser elendigen Villa Rustica nichts Neues erlebt und Klatsch und Tratsch war auch nur beim ersten Mal interessant. Ihre hochtrabenden Pläne wollte Lucia zwar gerne mit Sekunda besprechen, keinem traute sie so sehr wie ihrer Leibsklavin, doch sie wollte nicht, dass ihr Kutscher oder sonst wer zuhörte und somit fiel das natürlich auch flach. Doch jetzt lockte erst einmal die Wiese die Beine zu bewegen.


    Nach einer kleinen Runde in der Sonne erblickte Lucia den Botensklaven ihres Bruders und winkte diesen zu sich. Vielleicht hatte ja dieser etwas Interessantes zu erzählen, oder konnte ihr sonst irgendetwas, das ihr ein wenig die Zeit vertrieb. Die übrigen Sklaven hatten indes eine Decke in der Sonne ausgebreitet auf der sie nun alle möglichen Köstlichkeiten anrichteten. Direkt in der Sonne war es schön warm und Lucia ließ sich wieder etwas besser gelaunt zum Picknicken nieder. Als der Botensklave, jetzt wohl Wache, bei ihr ankam forderte sie ihn mit einer Handbewegung auf sich auf der anderen Seite der Decke niederzulassen. Das mochte nicht grad den normalen Gepflogenheiten entsprechen, doch Lucia hatte keine Lust die ganze Zeit den Kopf in den Nacken legen zu müssen, wenn sie mit dem Mann sprach. „Sag, was kannst du mir sonst so über meinen Bruder berichten?“, forderte sie den Mann auch gleich auf zu erzählen und griff selbst nach etwas zu Essen.

    Am liebsten wäre Lucia noch am gleichen Tag aufgebrochen, doch das ging natürlich nicht. Die gesamte Villa Rustica war in heller Aufregung, denn kaum hatte der Bote das Zimmer der Herrin verlassen, begann diese auch schon Anweisungen zu geben. Der Reisewagen sollte hervorgeholt, überprüft und hergerichtet werden. Morgen hatte er abfahrbereit zu sein! Die Küchensklaven sollten alles Nötige für eine Reise nach Rom vorbereiten, aber doch bitte leicht verdaulich und wohlbekömmlich! Immerhin würden sie bis zu vier Tagen unterwegs sein. Nur ihre besten Kleider sollten eingepackt werden! Immerhin wollte sie auch in Rom zu den elegantesten Damen der Gesellschaft gehören. Den Schmuck durften sie keinesfalls vergessen und die Kosmetika genauso wenig! Lucias Lyra, welche sie in ihrer Zeit hier zu spielen gelernt hatte, sollte mit aller Vorsicht verpackt und mitgenommen werden. Die in letzter Zeit leicht melancholisch wirkende Frau war auf einmal voller Energie und Tatendrang. Sie scheuchte das ganze Haus mit fester Hand, aber freundlichen Worten und jeder konnte ihre Vorfreude spüren.


    Schuhe, Fächer, Bänder, Sonnenschirme, Spiele und Schriftrollen fanden ihren Platz neben Geldbörsen, Fibeln, Gürteln, Tüchern, noch mehr Schuhen und dem ganzen Rest an Kleinkram. Nichts von Lucias persönlichem Besitz wurde vergessen und alles aufs sorgfältigste in Reisetruhen verstaut. Es dauerte wohl nicht einmal bis Mittag, bis auch noch der Letzte mitbekommen hatte, dass es morgen losgehen sollte.


    Abends hatte Lucia zunächst vor freudiger Aufregung geglaubt nicht einschlafen zu können, doch der Tag war so ungewohnt aktiv gewesen, dass sie schon nach kurzer Zeit schlummerte. Am nächsten Morgen ließ sie sich von Sekunda reisefertig machen, doch es gab noch hier und dort Kleinigkeiten, welche noch geregelt werden mussten… Dadurch stand die Sonne fast schon auf ihrem höchsten Stand, als Lucia zusammen mit ihrer Leibsklavin in den Reisewagen einstieg. Dort waren zum Glück genügend Decken, denn obwohl man den Frühling erahnen konnte war es doch noch recht kühl. Doch Lucias Vorfreude war ungebrochen, sie schob den Laden des Fensterchens auf ihrer Seite auf, strahlte hinaus und rief: „Auf nach Rom!“

    Sie sollte sich also Zeitlassen? Lucia wäre fast ein verächtliches Schnauben entwichen, doch sie konnte sich beherrschen. Lediglich ihr Lächeln flackerte für einen Moment, was jedoch nicht unbedingt auffallen musste. Glaubte ihr Bruder denn sie würde auch nur eine Sekunde länger als nötig in dieser Verbannung ausharren? Aus seinem Brief konnte man nur allzu deutlich sein schlechtes Gewissen, ob dieser Entscheidung herauslesen, obwohl oder vielleicht gerade weil er sich so vehement rechtfertigte. Das würde Lucia noch wunderbar nutzen können. Doch nicht sofort. Sie würde verständnisvoll sein, in ihm nur einen winzigen fast zu vernachlässigenden Zweifel lassen und dann wenn es drauf ankam…
    Die Vorstellung erfüllte Lucia mit einer grimmigen Genugtuung und sie konnte es kaum erwarten endlich aufzubrechen. Doch Eile mit Weile! Wenn sie eine Sache hier gelernt hatte, dann war es sich geduldig zu geben. Also nickte sie auf die Worte des Sklaven und lauschte diesem weiter.


    „Na, die Reisevorbereitung lass mal die Sorge anderer sein!“, schmunzelte Lucia. Ohne es zu wollen, hatte sie das amüsante Bild im Kopf, wie dieser tumbe Kern versuchte all ihre Kleider so zu verstauen, dass sie möglichst knitterfrei am Ziel ankamen. Dass es bei Reisevorbereitungen nicht nur darum ging, war ihr natürlich bewusst doch das Bild war einfach zu herrlich. „Ich wäre dir dankbar, wenn du dich ganz auf die Sicherheit unserer Reise konzentrierst.“ Das wäre ja noch schöner, wenn sie nach all der Zeit endlich auf dem Heimweg wäre und dann Rom am Ende nie erreichte! „Sprich mit unseren Wachen und entscheide wie viele Begleiter für eine sichere Reise nötig sind und was sonst noch veranlasst werden muss.“ Eine Eigenschaft, die Lucia an sich selbst besonders schätzte, war zu wissen, was sie nicht konnte und diese Dinge gehörten eindeutig dazu. „Aber jetzt erhol dich erst einmal von der sicher beschwerlichen Reise!“ Sie entließ den Sklaven mit einer graziösen Handbewegung.

    Sie waren noch nicht ganz mit ihrem Morgenritual fertig, als es sachte an der Tür klopfte. Sekunda unterbrach ihre recht ausschweifenden Ausführungen über die angebliche Geliebte des Nachbarn und dem seine dümmlichen Ausreden gegenüber seiner Frau und öffnete die Tür einen Spalt breit. Lucia spitzte die Ohren, konnte aber nur leises Flüstern vernehmen, ehe sich Sekunda mit einem Lächeln zu ihr wandte: „Da ist ein Bote mit einem Brief für dich, Herrin. Ein Sklave deines Bruders…“ Lucias eben noch leicht abwesender Blick hellte sich auf und sie sprach: „Bringt ihn zu mir! Den Brief möchte ich auf der Stelle lesen!“ Der Befehl wurde weiter gegeben und Sekunda vollendete rasch ihr Werk, ehe der Bote noch schmutzig vom Straßenstaub eintrat. Er fand sich einer anmutigen jungen Frau, welche auf das beste herausgeputzt war gegen über, die sogleich verlangend die Hand ausstreckte. Sie bekam den Brief ausgehändigt und sofort, ohne dem Sklaven zu erlauben sich zu entfernen, begann die junge Tiberia zu lesen.


    Ihre Lippen bewegten sich sachte, während sie den Brief sorgfältig studierte und je weiter sie kam, umso freudiger wurde ihr Gesichtsausdruck. Es sollte endlich zurückgehen! Am liebsten wäre Lucia sofort aufgesprungen und hätte befohlen zu packen, doch das musste alles sorgfältig geplant werden, wenn gleich von Anfang an alles richtig laufe sollte. Nach kurzem Überlegen hob sie ihren Blick und ihre Augen kamen auf dem Boten zu liegen. Mit einem freundlichen Lächeln begann sie zu diesem zu sprechen: „Ich danke dir, dass du diesen Brief so schnell und zuverlässig überbracht hast. Dafür kannst du dich in der Küche gleich aufs Beste versorgen lassen! Aber vorher beantworten mir doch bitte ein paar Fragen.“ Ihre Stimme war liebenswert auch wenn deutlich war, dass jede ihrer Bitten ohnehin als Befehl aufgenommen werden würde. „Was hat mein Bruder dir aufgetragen? Sollst du nur ein Antwortschreiben zurückbringen oder gleich mich und meinen Haushalt zurück begleiten?“ Sie wartete kurz auf eine Antwort und fuhr dann mit ihren Fragen fort: „Ist es schon sicher zu reisen? Keine herumziehenden, marodierenden Soldaten mehr? Die Belagerung Roms ist vorbei, aber was ist mit diesem unseligen Bürgerkrieg?“ Von den Antworten, die ihr der Sklave nun gab, würde sie wohl ihr weiteres Vorgehen abhängig machen müssen.

    Gelangweilt saß Lucia in ihrem Zimmer und ließ sich von ihrer Tonstrix die Haare richten. Ein Ritual, welches jeden Morgen gut und gerne eine Stunde in Anspruch nahm, obwohl kaum jemand zugegen war um das Ergebnis zu bewundern. Dennoch wollte sich Lucia auf keinen Fall gehen lassen, zum einen hatte sie sowieso hier auf dem Landsitz der Tiberier nicht viel anderes zu tun, zum anderen hasste sie es einfach nicht perfekt auszusehen. Wie hatte ihre Großtante es einmal so treffend ausgedrückt? „Das Aussehen einer Frau ist ihr Kapital, ihre Waffe und ihr bestes Argument.“ Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf Lucias Lippen, das jedoch kurz darauf von einem unnötig heftigen Ziepen hinfort gewischt wurde. „Pass doch auf!“, forderte sie die Sklavin mit leichter Schärfe in der Stimme auf, doch die alte Dame ließ sich schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen. „Wer schön sein will muss leiden!“, erwiderte sie mit einem findigen Schmunzeln und steckte die letzte Nadel fest. „So, wir sind fertig.“, verkündete sie zufrieden und holte rasch den kleinen Handspiegel, damit sich die Herrin darin bewundern konnte.


    „Sekunda, du bist eine Meisterin deines Faches!“, kommentierte Lucia nach kurzem kritischem Studium und lächelte die alte Dame zufrieden an. „Jetzt nur noch ein wenig die Augen betonen, du weißt wie ich es mag. Und erzähl mal, was du so Neues gehört hast!“ Auch das gehörte wohl zu ihrem Ritual: Während ihre Haare gemacht wurden mochte Lucia Stille lieber; Früh morgens brauchte sie einfach ein wenig, um sich zu sammeln und den Schlaf komplett abzuschütteln, doch sobald sie wirklich wach war wollte sie Beschäftigung! So gut es hier in der, wie sie fand, halben Verbannung denn ging. Der Bürgerkrieg dauerte einfach schon viel zu lange! Wann würde sie endlich nach Rom und damit ins Leben zurückkehren können? Sie wollte endlich mehr als immer nur den gleichen Dorfklatsch, als welchen sie die Geschichten die sie hier immer zu hören bekam empfand. Doch in letzter Zeit klang es fast so, als ob sich wirklich was tun würde in diesem vertrackten Krieg! Sie bekamen hier nur viel zu selten Nachricht und tagtäglich wartete Lucia auf einen neuen Brief ihres Bruders, der sie zumindest in unregelmäßigen Abständen auf dem Laufenden hielt. Doch so lange keine neuen Nachrichten kamen, musste sich Lucia wohl oder übel mit dem lokalen Klatsch zufrieden geben. Die alte Sekunda begann auch sogleich von der angeblichen Affäre des Nachbarn und Lucia hörte mit halben Ohr zu, während sie sich nicht zum ersten Mal zurück nach Rom träumte.