Beiträge von Tiberia Lucia

    Warum ihr das so wichtig war? Lucia konnte selbst nicht so genau den Finger darauf legen. "Ich find es einfach gerechter..., versuchte sie sich an einer Antwort. "Du kennst meinen Namen, also..." Sie lächelte schief und hoffte das dem Prätorianer das reichen würde.


    Er nannte ihr tatsächlich seinen Namen! Beinahe konnte Lucia es nicht glauben, immerhin hatte er sich so lange gesträubt. Aber der Name klang normal genug, als dass es sein echter war. Aulus Iunius Avianus also. Sie lächelte diesmal ehrlich. Zumindest so lange, bis der Soldat darauf hinweisen musste, dass er hier arbeitete. "Nun denn, Aulus Iunius Avianus, dann will ich dich nicht weiter stören!" Ihre Worte waren schnippisch und sie wandte sich in Richtung des eingezogenen Kaisers, um diesen neugierig zu mustern. Sie hatte ihn schon einmal aus der Ferne gesehen, hier war sie um einiges näher dran als beim letzten Mal. Das war schon irgendwo spannend mehr vom Kaiser zu sehen. Ihre Aufmerksamkeit wurde anschließend auf die Eröffnungsrede gelenkt. Das Opfer stand also unter einem guten Stern. Das war schön zu hören!


    Lucia tat ihr möglichstes Avianus zu ignorieren, auch wenn sie keinen Schritt von diesem weggetreten war. Irgendwie hoffte sie ihm damit zumindest ein wenig Unbehagen zu bereiten.

    Immernoch mehr als fröhlich betraten die beiden Damen das Officium der Lotterie.
    "Salvete, die Herren!", grüßte Lucia die Anwesenden und Manlia winkte ihnen vergnügt.
    "Tiberia Lucia, ich bin hier um meinen Gewinn aus der 9. Ziehung zu beanspruchen!" Lucias Strahlen reichte von einem Ohr zum anderen. Sie hatte gewonnen und sie freute sich wie ein kleines Kind darüber!

    Immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht und federleichten Schritten trat Lucia vor die Palastwache. Manlia wich nicht von ihrer Seite und konnte sich nur schwer zurückhalten, nicht jedem auf ihrem Weg zu verkünden, dass ihre Freundin die Lotterie gewonnen hatte.
    „Salvete!“, flötete Lucia den Wachen entgegen. „Tiberia Lucia und Manlia Laeva. Wir wollen zur staatlichen Lotterie!“ Beide Frauen standen strahlend vor der Wache.

    Lucia hatte ihren Bruder leider nicht gefunden, er war wohl grad in seinem Officium in der Stadt oder sonst irgendwo unterwegs. Bald würde sie platzen, da war sich Lucia sicher, wenn sie nicht endlich irgendwem von ihrem Gewinn erzählen konnte!
    Zum Glück riss Manlia sie aus ihrer Misere, indem die Frau strahlend in Lucias Zimmer kam. „Sag mir, dass ich mich richtig erinnere, meine Liebe!“, trällerte sie schon beim Eintreten. „Sag mir, dass deine Taktik ewig die gleiche Zahl zu nehmen, tatsächlich aufgegangen ist!“ Oh, natürlich wusste Manlia es schon… Sie war ja immerhin bei jeder Wettzahlabgabe dabei gewesen… Aber trotzdem sie war hier und sie schien sich schon jetzt riesig mit ihr zu freuen, also grinste Lucia über beide Backen und nickte schlicht. „Oh, das ist ja wunderbar! Ich freu mich so, meine Liebe! Lass uns gleich aufbrechen! Wir müssen deinen Gewinn abholen!“ Das ließ sich Lucia nicht zweimal sagen und ehe sie es sich versah war sie auch schon mit ihrer Freundin in einer Sänfte unterwegs zum Palatium Augusti, um dort die staatliche Lotterie zu stürmen.

    Lucia wollte nur leider nicht darüber, oder dahinter. Sie wollte hier schön nahe an der Prätorianerreihe bleiben, weil sie sich momentan keinen sichereren Ort vorstellen konnte. Bis jetzt hatte sie tatsächlich nicht genau gewusst, wie sie den Soldaten hier zumindest ein bisschen ärgern konnte. Dass allein ihre Anwesenheit reichte, war ihr nicht bewusst. Aber wo Iunius hier mit den ausgedachten Namen anfing, fiel auch Lucia eine Erwiderung ein, zwar eine relativ kindische, aber immerhin: „Wohl eher Iunius Derisor oder Iunius Congerro, immerhin fühle ich mich bei dir bestens unterhalten!“ Die Arme blieben verschränkt, aber in ihren Mundwinkeln zuckte es leicht.
    Die nun kommenden Worte fand Lucia dann aber doch ein wenig gemein. Warum sollte sie sich denn verziehen wollen? Pf… Sie hatte nicht vor auch nur im Ansatz von der Stelle zu weichen, bis das ganze hier rum war, oder bis sie bei ihrem Bruder stand. „Wenn du mir endlich deinen Namen nennst, hast du zumindest die Chance, dass ich wie jeder andere hier vor dieser Reihe stehe.“ Das würde zwar weniger Spaß machen und sie hatte keine Ahnung, wie lang sie das durchhalten würde, aber sie machte zumindest keine falschen Versprechungen.

    Das war doch einfach… das war doch! Lucia blieb beinahe die Luft weg. Eine Unverschämtheit! Wie konnte dieser freche Kerl es wagen? Dass sie daran so ziemlich selbst schuld war, übersah Lucia gerne. Und natürlich nahm sie jedes Kompliment ernst. So ernst wie es sein musste und wie sie es wollte. Erstens verdiente sie es und zweitens war es allemal besser so etwas anzunehmen, als sich die Wahrheit einzugestehen. Aber dass er ihr hier unterstellte, dass sie ihn… und sein Kollege hier schien das auch noch zu glauben! Also… das war… lächerlich! Lucia hatte nicht verhindern können, dass ihr vor Empörung der Mund offen stand, doch jetzt wandte sie sich an den Mann neben diesem Iunius: „Das ist doch lächerlich! Ich soll mit diesem … mit diesem unmöglichem…“
    Ihr Blick wanderte wieder zum Iunius. Wollte er sie etwa so aus dem Konzept bringen? Die Einsicht kühlte Lucias Temperament. Das Aufgebrachte in ihrem Gesicht schmolz dahin und machte Erkenntnis Platz.
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Das würde sie ihm garantiert nicht gönnen! Nochmal würde er sie nicht so aus dem Konzept bringen!
    „Mir fällt noch nicht einmal ein passender Titel für dich ein!“ Fast konnte man ihre letzte Aussage ebenfalls als trocken einstufen, aber nur fast. So ganz konnte sie ihre Empörung von eben noch nicht aus ihrer Stimme verbannen.

    Aufgeregt kam Arsinoe mit einer kleinen Wachstafel in Lucias Zimmer gestürmt. „Domina! Domina!“ Überrascht von dem für ihre sonst so schüchterne Sklavin ungewohnten Verhaltens blickte Lucia von ihrer Schriftrolle auf. „Hm?“ Ihr Kopf hatte sich noch nicht genug vom Text gelöst, um eine vollständige Frage aus Worten hervor zu bringen. „Hier, Domina, das musst du lesen! Unbedingt! Schnell!“ Mit fast schon skeptisch erhobenen Augenbrauen nahm Lucia das Wachstäfelchen ab und überflog rasch den Inhalt.




    IX. Ziehung
    Gewinnzahl:
    XXVIII


    Sie musste es noch ein zweites Mal lesen und ein drittes… langsam sickerte die Information ein und Lucia machte einen Luftsprung. Die Schriftrolle fiel unbeachtet zu Boden, während das Wachstäfelchen aufgeregt fester wurde. „Ich hab gewonnen!“, murmelte Lucia. Sie las nocheinmal die kurze Notiz und wiederholte lauter: „ICH HAB GEWONNEN!“ Jubelnd warf sie die Arme in die Luft und begann ein kleines Freudentänzchen aufzuführen. Dabei verfiel sie in einen äußerst einfallsreichen Singsang: „Ich hab gewonnen! Ich hab gewonnen!“ Mit einem breiten Grinsen umarmte sie die ebenfalls strahlende Arsinoe. „Schick einen Boten zu Manlia, sag ihr ich hab Neuigkeiten, aber verrat ihr nicht worum es geht!“ das würde ein Spaß werden! Sie hatte gewonnen! Das breite Grinsen wollte nicht weichen. Nicht dass sie irgendwelche Geldprobleme hatte, im Gegenteil, aber es war ein geniales Gefühl etwas zu gewinnen. Einfach so! Triumphierend tänzelte Lucia noch ein paar Schritte und fragte sich, ob sie eben rasch ihrem bruder davon erzählen sollte. Oder sonst irgendwem… irgendwem musste sie doch noch davon erzählen… SIE HATTE GEWONNEN!

    Der Procurator a libellis? Lucia horchte auf. Doch bevor sie sich wieder genug sammeln konnte, um sich selbst vorzustellen und vielleicht ein nettes kleines Gespräch in die Gänge zu bringen kam ihr der ursprüngliche Iunius zuvor. Der tat ja grade so, als ob sie die besten Freunde wären! Und dann gab er ihr auch noch ein Kompliment… Lucia musste arg an sich halten, um sich davon nicht zumindest ein wenig versöhnen zu lassen.
    „Ja es freut mich auch!“, bestätigte sie nach der Vorstellung in Richtung Silanus. Das hätte sich ja scheinbar alles noch in gute Bahnen lenken lassen, doch nun funkte auch noch das Schicksal dazwischen. So plötzlich wie er aufgetaucht war, verschwand Iunius Silanus fast auch wieder. Lucia lächelte ihn noch auf seine Abschiedsworte an und meinte: „Das würde mich sehr freuen!“ Da war er auch schon wieder weg.
    Lucia wollte sich an den offensichtlichen Centurio Iunius wenden, doch der schien die Worte seines Verwandten sehr ernst zu nehmen und war schon wieder auf seinen Posten verschwunden. Jetzt hatte Lucia freie Bahn und sie gedachte dieses freche Kompliment nicht einfach so auf sich sitzen zu lassen!
    „So!“, begann sie mit gespielter Überraschung. „Du hast also doch Manieren! Mehr oder weniger…“ Sie stemmte die Hände in die Hüfte. „Aber anscheinend nicht genug, um dich auch endlich selbst vorzustellen!“ Sie glaubte inzwischen den Namen eines jeden Iuniers außer dieses einen hier zu kennen.

    Lucia liebte ihre Perlen! Sie sahen auf der einen Seite so schlicht aus, passten zu fast allem und standen ihr hervorragend. Auf der anderen Seite schrien sie einem ‚teuer‘ ins Gesicht. Von Dives sogar vor seiner baldigen Frau mit so vielen schmeichelnden Worten und einem so netten Kompliment bezüglich eben dieser Perlen bedacht zu werden, ging runter wie Honig. Da konnte Sergia ihr giftige Blicke zuwerfen so viel sie wollte, sie verstärkte damit sogar noch eher Lucias Zufriedenheit ob ihrer Schmuckwahl. Auch Lepidus Worte ob Sergias bleibenden Eindrucks munterten Lucia auf. Sie bereute es immer weniger hergekommen zu sein, schon jetzt fühlte sie sich besser als in den letzten Tagen zusammen.


    Nach ihrem Bruder war sie an der Reihe mit ein paar netten Heucheleien. „Deshalb freue ich mich umso mehr zu deiner Hochzeit eingeladen worden zu sein, liebe Sergia.“ Das stimmte auf eine äußerst verdrehte Art und Weise sogar. „Dein Kleid ist übrigens zauberhaft! Du musst mir unbedingt verraten, wer es dir geschneidert hat!“ Fast kam sich Lucia plump vor, sich nur auf das grundlegende Einmaleins der Heuchelei zu beschränken. Was gab es denn bitte Einfacheres, als jemanden nicht wegen ihres Aussehens zu komplimentieren, sondern nur ihre Kleidung, oder ihren Schmuck? Aber alles andere was ihr auf den Lippen lag, war für den Moment zu direkt, das hätte Dives vielleicht durchschauen können und vor ihm wollte Lucia nicht schlecht dastehen. Dafür hätten sie später sicher noch genug Zeit.

    Er war es also doch! Innerlich triumphierte Lucia. Und er stand sogar wegen ihr auf. Gute Manieren hatte er also auch. So vom ersten Blick her gefiel Lucia ihr Verwandter. Doch sie hatte noch Lepidus Worte im Ohr. Vielleicht wollte er sie von hier vertreiben. Das war etwas, das sie absolut nicht haben wollte! Umso wichtiger war es wohl sich als die rechtmäßigen Bewohner der Villa zu geben. Lucia wollte dabei aber nicht unhöflich oder überheblich sein… Irgendwie würde sie das schon hinbekommen!
    „Aber das macht doch nichts, lieber Vetter!“, stellte sie ohne Probleme ihren Verwandtheitsgrad fest. Das heißt, so einfach war es ja eigentlich nicht. Allein von der Blutlinie her war Ahala tatsächlich ihr direkter Vetter, wenn man aber die Adoption bedachte… dann war das um einiges komplizierter. Lucia hatte lang genug Zeit gehabt sich damit zu befassen und sich letztendlich für die vertrautere Anrede entscheiden. „Wir hätten dich zwar ein wenig feierlicher empfangen, aber hier wird immer ein Platz für dich sein. Ob nun angekündigt oder als nette Überraschung.“ Das war doch nicht schlecht. Ihn ähnlich wie einen willkommenen Gast zu behandeln, war vermutlich nicht das schlechteste, was ihr hätte einfallen können. Sie legte federleicht eine Hand auf seinen Unterarm und lächelte ihn an. „Aber du siehst erschöpft aus, möchtest du eine Erfrischung haben? Wir können ins Triclinium gehen, während meine Leibsklavin Sekunda sich um deinen Bruder und seine Amme kümmert. Der Kleine hat ganz schön kräftige Lungen!“ Lucia machte eine einladende Geste.


    Die alte Leibsklavin Sekunda, war während Lucia sprach schon an die Amme herangetreten, musterte das Baby mit dem typischen weichen Muttergesicht, das fast jeder Frau zu eigen war, und fragte leise: „Hat er nur Hunger oder vielleicht eine nasse Windel? Oder ist das mehr? Das klingt fast so als hätte er Bauchschmerzen.“ Sie hatte keine Ahnung, wie erfahren die Frau als Amme war. Könnte ja sein, dass es ihr erstes ist und ganz dankbar für den einen oder anderen Rat war. Oder sie war schon ein alter Hase und würde sich beleidigt fühlen, wenn Sekunda gleich mit guten Tipps kam. Denn wenn der Kleine nur etwas zum Nuckeln brauchte, würde ihn sicher auch schon ein kleiner Finger beruhigen, bis die Amme ins Nachbarzimmer verschwinden und den Hosenmatz füttern konnte.

    Kaum hatte Vala genickt drehte sich Lucia auch schon auf dem Absatz um. Auf diesen Versuch von einem Scherz wollte sie nicht mal ansatzweise eingehen. Ein unangenehmes Prickeln im Nacken gab ihr das Gefühl, dass er jeden ihrer Schritte beobachtete. Deshalb versuchte sie auch so gemessen wie nur möglich zu Sekunda zurück zu schreiten. Das fehlte noch, dass sie jetzt abermals vor ihm floh. Jetzt hatte sie eh keine Chance mehr, da konnte sie wenigstens den Rest ihrer Würde versuchen zu bewahren. „Sieht er hierher?“, fragte Lucia ihre Sklavin leise, ohne den Kopf groß zu ihr zu drehen. Sekunda schüttelte den Kopf. „Dann nichts wie weg hier!“ Sekunda war schlau genug hier und jetzt keine Fragen darüber zu stellen, was geschehen war, dafür war auf dem Heimweg noch genug Zeit und ihre Herrin gehörte ins Warme!

    Lucia hätte gut und gerne auf die Feierlichkeit heute verzichten können. Zum einen wollte sie nicht mit ansehen wie jemand wie Iulius Dives an jemanden wie diese Sergia verschwendet wurde, zum anderen hatte sie grade ganz andere Sorgen. Da es sich aber leider nicht vermeiden ließ, hatte Lucia ihr Bestes getan um besonders gut auszusehen, aber gleichzeitig nicht so zu wirken, als ob sie der Braut die Show stehlen wollte… auch wenn ihr das im Grunde ganz recht gewesen wäre. In diesem Fall befand Lucia weniger als mehr – niemand konnte ihr vorwerfen ohne großen Aufwand schön zu sein. Schlichte Eleganz war das Zauberwort und ihre Sklaven hatten es hervorragend umgesetzt! Das nichtssagende, freundliche Lächeln wurde von ihr selbst beigesteuert et voilà stand eine hübsche Lucia in einem apricotfarbenen Kleid mit dezentem Perlenschmuck am Arm ihres Bruders inmitten der anderen Gäste.


    Auch wenn man es ihr nicht ansah, Lucia fühlte sich mehr als unwohl direkt neben ihrem Bruder zu stehen. Sie hatte in den letzten Tagen häufiger versucht den Mut aufzubringen ihm etwas ganz bestimmtes zu beichten, doch sie hatte sich nie dazu überwinden können. Hier war natürlich der vollkommen falsche Ort dafür und doch konnte Lucia kein Wort mit ihrem Bruder wechseln, ohne dass ihr immer und immer wieder Formulierungen durch den Kopf gingen, wie sie es ihm endlich sagen könnte. Vielleicht war die Feierlichkeit doch nicht so schlecht. Sie würde Lucia zumindest ein wenig ablenken.

    „Das ist… nett“, Lucia war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Es würde trotzdem nach und nach durchsickern, das war gewiss. Eine Heirat war nichts was man geheim halten konnte. Aber wenigstens würden die Gerüchte dann erst nach und nach aufkommen. Es würde zwar noch die Frage gestellt werden, warum so ein Geheimnis daraus gemacht wurde… Vielleicht war es doch besser… Lucia schwirrte der Kopf. Sie konnte im Moment nicht geradeaus denken und ihr war kalt. Ihr war nicht ganz klar, ob diese Kälte von innen oder von außen kam, aber sie wollte eindeutig weg hier! „Ich würde jetzt gerne nachhause gehen…“ Solange es noch ihr Zuhause war! Sie hoffte, dass Vala nichts mehr weiter zu sagen hatte und sie – wie demütigend war das denn – aus dieser Situation hier entließ.

    Ihrem Bruder... Lucia schluckte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm das beibringen sollte. Doch diese Aufgabe schien unglaublich weit weg. Alles schien irgendwie weit weg. Ihr war das Zepter völlig aus der Hand genommen worden, sie hatte keine Chance irgendwas zu beeinflussen, wodurch das alles hier einen äußerst unwirklichen Touch bekam. Wäre da nicht die Kälte, Lucia würde fast glauben, dass sie träumte. Doch es war kühl und seit die Anspannung, was Vala wohl von ihr fordern würde, von Lucia abgefallen war spürte sie die Kälte ihr die Beine hochkriechen. Das war eindeutig kein Traum, leider.
    „Wann…“, Lucia räusperte sich unwohl. „Wann… und wie? Also der Öffentlichkeit…“ Hatte sie jetzt sogar noch die Fähigkeit verloren ganze Sätze zu bilden? Ihr wollte einfach keine zusammenhängende Frage gelingen. Wenn die Öffentlichkeit das erfuhr, dann würde das klatschen losgehen. Alle würden sich über sie das Maul zerreißen! Lucia hörte sie schon: Liebesheirat, würden die netteren sagen. Sie ist schwanger, die anderen. Und die Geschichten würden sich fortspinnen und sie würde einfach nur dastehen und nichts dazu sagen können. Grässlich!

    Lucia presste die Lippen zusammen. Ihr war die Lust irgendetwas zu sagen gründlich vergangen. Außerdem hatte es ihr trotz aller Furcht einen kleinen Stich versetzt, dass er ihr im Moment den Verstand absprach. Aber es war ja wahr. Lucia hatte sich noch nie in einer solchen Situation befunden. Zum Glück! Aber ihr war schon häufiger im Nachhinein aufgefallen, dass sie ihr logisches Denken in Angstsituationen einfach im Stich ließ. Woher sollte sie dann auch wissen, wie sie sich am besten verhalten sollte?
    Da sie sich nicht überwinden konnte ihm eindeutig die Heirat zuzugestehen, fragte sie als die Stille zu lang zu werden drohte: „Und wie soll es jetzt weitergehen?“ Ihr bitterer Blick versprach schonmal keine schöne Ehe.

    Ob sie eine lange Leitung hatte? Vielleicht. Wahrscheinlicher wollte irgendein Teil ihres Unterbewusstseins die eigentlich offensichtliche Erklärung nicht wahrhaben. Zusätzlich wollte sie ihn durch wildes Herumraten nicht noch auf zusätzliche Ideen bringen. Als es dann offensichtlich doch wieder auf die Heirat hinauslief, spürte Lucia keine Überraschung, eher Resignation. Mit einem undeutbaren Seufzen schloss sie die Augen, während ihre Schultern sichtbar herabsanken. „Also doch.“ Sie schlug die Augen wieder auf und musterte ihren Gegenüber – wie hatte er es ausgedrückt – mit neuen Augen, jetzt wo die Kette vollständig war. „Diesmal fällt die Frage, ob das ein Witz ist, wohl weg…“ Hatte sie grad tatsächlich versucht einen lächerlichen, kleinen Scherz zu machen? Lucia hatte keine Ahnung wo das herkam. Sie fühlte sich hin und her gerissen zwischen dem abermaligen Bedürfnis einfach wegzulaufen und sich förmlich auszuschütten vor, vermutlich hysterischem, Lachen.

    Da war die Erpressung, auf die sie gewartet hatte. Irgendwie fühlte sich Lucia fast erleichtert es jetzt endlich zu hören. Auch wenn sie immer noch nicht wusste, was genau Vala wollte, so war sie sich jetzt zumindest sicher woran sie war. Ihr Magen krampfte sich zusammen. So schön war das Gefühl doch nicht… Was wollte er? Sie als Spionin? Mit ihr da Lager teilen? Hätte sie doch bloß nicht so frech kokettiert auf der Insel! Mit verschränkten Armen formuliert Lucia langsam und vorsichtig: „Und was genau bedarf es dich nicht zum Feind zu haben?“

    Valas Reaktion war so… unerwartet, dass Lucia überrascht blinzelnd den Blick wieder auf ihn legte. Sie hätte jetzt eher mit einem Eingeständnis gerechnet und dann mit irgendwelchen Forderungen. Das hier war zwar keineswegs beruhigend, aber es war… unerwartet eben. Ihr Bedeutung für ihn? Ihrem Bauch gefiel das gar nicht, er zog sich unwohl zusammen. Gerne hätte Lucia über die Schulter gelinst, ob Sekunda noch da war. Sie war zwar nur eine alte Frau aber vertraut, beruhigend und sicher. Doch Lucia wagte es nicht. Mit trockenem Mund versuchte Lucia zu schlucken, ehe sie zögerlich erwiderte: „Und das soll mir keine Angst machen?“ Fast könnte man meinen eine winzig kleine Spur Spott in den Worten zu hören, doch eigentlich waren sie doch wieder nur ängstlich verwundert. „Und wofür?“, stellte Lucia nun endlich die Frage, die sie schon die ganze Zeit umtrieb, wegen der sie überhaupt gekommen war. Was wollte Vala von ihr?

    Es war einfacher die Wut aufrecht zu erhalten, als Lucia gedacht hatte. Aber Vala machte es ihr auch leicht. Sollte sie hier tatsächlich ihre Vermutungen aufzählen, anstatt dass er mal klipp und klar sagte was hier vor ich ging? Sie hatte viele, viel zu viele und sie hatte nicht die Absicht ihm diese mitzuteilen. Doch so genau wusste sie auch nicht, was sie sonst sagen sollten. Ihr Puls beschleunigte sich und ihr Blick schweifte hinüber zu den momentan kahlen Beeten. Im Frühling musste es hier herrlich romantisch sein…
    „Weil du ein unverbesserlicher Romantiker bist?“, murmelte sie leise. Doch es tat gut dem Ganzen mit Sarkasmus zu begegnen und da sie über dem Rauschen ihres Blutes ohnehin nicht hören konnte, was ihr Gehirn dachte, wollte Lucia weiter machen. „Oder weil…“ Doch sobald ihr Blick wieder auf Vala fiel blieben ihr die Worte im Hals stecken. Unwohl bewegte sie die Schultern und schüttelte den Kopf. „Du... du wolltest mir A...angst machen.“ Jetzt flüsterte sie fast und schaute sich lieber die Statue im Hintergrund an.