Was war in seinem Schädel? Wut, Zorn, Trauer, Angst, Mitgefühl und Hass - wollten seinen Verstand übermannen; ihn niederwerfen und sein Bewusstsein zu schlichter Existenz verdammen. Er war hier, verloren unter seinen Eindrücken und konnte nicht entfliehen. Es war alles in seinem Kopf. Der Krieg. Die Prätorianer und auch Rom, was mehr von ihm verlangte, als seine Seele ertragen konnte. Wahnsinn wäre eine Antwort aber selbst dieser versagte im Angesicht dieser blanken Realität. Sein Bruder verstand ihn nicht. Tat seine wirren Gedanken, die in einem Versuch der Bändigung, niedergeschrieben waren, als Witz ab. Dieser flappsige Spruch zerstörte die Hoffnung, dass seine Familie Zuflucht sein konnte. Ja, er hatte seinen Bruder eingeladen, um Familie zu sein. Das Haus mit Leben zu füllen und doch verstand sich sein Bruder wieder nur als Patrizier; als Römer, der strebsam Sitten und der Macht anhing. Verus verachtete sich selbst für seinen Zorn, denn er wollte Mitgefühl zeigen. Echte Liebe, nicht nur zu sich und seinen sterbenden Idealen, sondern auch zu seinem Bruder und Luna, deren Nähe ihm stets Zuflucht war. Wenn sie beieinander lagen, sich berührten und sich in die Augen blickten, war dort ein Zuhause; etwas, was für Verus so selten existierte und stets entrissen schien. "Ich werde mir gleich Zeit für dich nehmen, Bruder," antwortete Verus und blickte nicht von Luna auf. Sie brauchte ihn jetzt. Sein Bruder würde betreut werden. Als Soldat hatte Verus gelernt Prioritäten zu setzen. Und Luna war die oberste Priorität in seinem Leben. Was er ihr angetan hatte, trotz tiefer Bindung, schmerzte sein Herz noch immer. Insofern musste er jedes Leid von ihr abwenden. "Wir werden gleich das Essen reichen. Dann können wir sprechen," versicherte er seinem Bruder, der bereits Forderungen stellte und seinem Sklaven ein Zimmer bestellte. Verus ließ dies zu, obwohl er pater familias dieses Hauses war. Immerhin hatte er es - mit Lunas werktätiger Hilfe - erbauen lassen. Insgeheim war es ja auch Lunas Haus, was Nero nicht wissen konnte. Doch das germanische Schwert sprach von alter Hochzeit, fern von hier, nach germanischem Recht. Luna und Verus waren eine Ehe. Eine Liebe, die mehr ertragen hatte, als bloße Existenz. Leid und Hoffnung schmiedete untrennbare Ketten der Sehnsucht.
Der Medicus, ein alter Mann, deutlich über seine Lebenszeit hinweg, trat sehr langsam auf. Sein zotteliger Bart in grauer Mähne reichte fast bis zur Brust und die Tunika wirkte auch übergroß auf den alten Knochen. Die Altersflecken bedeckten bereits seine Stirn. Verus nahm bereits die Decke entgegen, deckte Luna sanft zu aber ließ ihren Oberkörper frei, damit der Medicus seine Untersuchung durchführen konnte. Verus trat besorgt zurück, indem er mit mühevoller Bewegung aufstand. Immer noch schmerzte seine Kriegsverletzung bei Bewegungen seines Beines. Der Arzt beugte sich über Luna, hauchte sie an und versuchte ihrem Odem zu riechen, wie es in der griechischen Medizin gebräuchlich war. Dann fühlte er ihren Arm, nach jenen Säften, wie Blut und drückte sanft in die Adern, um den Puls zu spüren. Lebensgeister hatte sie noch. Dann öffnete er mit seinen Fingern sanft ihre Augen, um die Pupillen zu betrachten. Ja, auch dort war Bewusstsein. Zumindest war etwas dort. Eine Reaktion erfolgte. Der Medicus handelte ohne Rückfragen, da er bereits störrisch war. Dann betrachtete er ihren Bauch, fühlte mit seiner Hand darüber und drückte sanft hinein. Er nickte und sprach dann mit der Sklavin. "Wie lange hat sie schon diesen Zustand?" - fragte der Medicus und blickte dann zu Verus. Dieser zog beide Schultern hoch. Er wusste von nichts, obwohl er bereits Befürchtungen hatte. "Habt ihr beieinander gelegen, Dominus Tiberius?" - eine konkrete Frage des erfahrenen Arztes, der die jungen Leute kannte und er war bereits öfters hier im Hause gewesen und wusste um den zärtlichen Umgang der beiden. Man war in letzter Zeit sehr aktiv gewesen, was gewisse Stunden anging, so dass Verus dies beauskunften konnte. Natürlich schloss Verus dies vorerst aus aber in seinem Hinterkopf schlug eine Alarmglocke. "Einige Wochen," meinte die Sklavin und versuchte Luna den Becher anzureichen. Verus selbst verschränkte wartend die Arme hinter dem Rücken und blickte nervös zu Luna herab, in deren Nähe er stand. "Ja," antwortete Verus nach einem Moment Bedenkzeit. Der Medicus spürte eine gewisse Verhärtung und seine geübten Finger stellten schnell etwas fest, was bei vielen Frauen in jungen Jahren eine Möglichkeit war. "Ich bin mir noch nicht sicher aber sie könnte schwanger sein. Ich muss noch einige Untersuchungen durchführen, wie die Geschmacksprobe des Urins," meinte der Arzt. Verus selbst weitete seine Augen und der Kiefer klappte herunter. Mist. Das gab jetzt Probleme. Natürlich wollte er immer Vater sein aber ... es war schwierig dies zu erklären.