Verus zählte jeden Atemzug in diesem furchtbaren Dunst, der ihn berauschte und vernebelte. Er war zu weit gegangen, so dass er langsam gehen musste. Seine Atmung war erschwert, kein Komfort lag in seiner Atmung, die ihn mehr behinderte. Der Mann ließ den Rausch wirken, gab seinen Widerstand kurzfristig auf, um die Seligkeit des Vergessens zu erreichen. Der Moment zog vorbei. Eine Erleichterung für seine gepeinigte Seele, die für diesen Augenblick ganz einer Sache verschrieben war und sich fallen lassen konnte. Verus schwamm in diesem Zustand, der sich inzwischen, wie Wasser anfühlte, das gegen seine Haut perlte. Alles, was er wusste, war bedeutungslos. Alles, was er war, war hier bedeutungslos. Die Last war ihm genommen, während die Luft sich mit leuchtenden Partikeln füllte, die im himmlischen Nebel aufblinkten und sich um die Leuchtfeuer scharten. Dieser Nebel schaffte eine kurzfristige Erlösung, indem er die Realität verbannte. Verbannung war der Schlüssel zur Erlösung an diesem Ort, welches dem Herzen Zeit verschaffte.
Verschwendete Jahre, verschwendeter Zorn und all die Dunkelheit, waren zerüttet und zerfallen mit jedem gezählten Atemzug des berauschenden Nebels, der hier Segen war. Verus - nicht mehr ganz in seinen düsteren und bösen Sinnen - folgte dem Weg, der ihm durch dieses Ritual bereitet war. Die Stimmen verschallten, ein dumpfer Musikton legte sich einem Chor gleich über sein Gehör, welches nur noch gedämpft aber intensiver jeden einzelnen Ton der Umgebung wahrnahm. Es schien fast so, als ob Verus die Stimme der Götter oder eines Gottes hören würde. Ein elegantes, nicht menschlich bekanntes und nicht ohne diesen Zustand zu imitierendes Geräusch war in die Umgebung geraten, durchfuhr den Körper und ließ den Menschen entblößt seiner Sorgen zurück. In Trance, umschlungen vom Licht, welches strahlte, in eine selige Ruhe bettete, ließ Verus die Waffe sinken. Dieser Nebel, so segensreich er war, kostete seinen Verstand, der nicht mehr fassen konnte, was geschah. Verus glaubte nicht an Götter oder göttliche Mächte und doch konnte er diese Erfahrung nicht leugnen.
Etwas war anders, während der Ton seine Gedanken erfasste und ihn um Sorgen erleichterte. Es war nicht mehr wichtig, was er war und was er getan hatte. An diesem Ort war alles zugleich verloren. Verus hörte seinen Herzschlag, lebensstark und pulsierend, dem widernatürlichen Ton folgend. Er spürte diese Macht. Diese eine Macht, die ihm stets verschlossen blieb. Erlösung war greifbar, zu nah und doch zu fern. Die Musik setzte ein, umzog den Ton aus der Ferne, der ihn durchfuhr. Eine Musik, die seinen Verstand an die Welt band und doch daran erinnerte, was mit ihm geschah. Er war zufrieden mit diesem Rausch. Keinerlei Verantwortung mehr, keinerlei Knechtschaft, sondern allein dieser Weg, der vor ihm lag. Er vergaß seinen Namen, sein Haus, und ließ sich erfüllen von diesem Nebel, den er lebensfroh einsaugte und dann ausstieß. Die Weihrauchschwenker zogen vorbei, immer wieder, ließen den Nebel immer dichter werden, so dass nur das Licht vom Altar den Weg wieß. Helfer entkleideten den Trecenarius aus seiner Rüstung. Auch sie waren benommen, entsonnen dieser Welt, welche ihnen ebenso fremd war. Die kalte Wirklichkeit wollten sie nicht mehr. Und Verus hatte sich für diesen Augenblick angeschlossen, um für wenige Atemzüge zu vergessen. Die Worte des Vorstehers drangen nicht mehr durch, so laut war diese dumpfe Musik, die schallend durch seinen Leib fuhr. Etwas war anders. Eine Göttlichkeit zeigte sich, die er nie gekannt hatte und auch nicht beschreiben konnte. Das Licht zeigte ihm einen Weg, als er nackt und entblößt seiner weltlichen Macht, zum Altar wankte. Schritt für Schritt, mit der Waffe in seiner schlaffen Hand.
Das Gewicht des Schwertes konnte er nicht mehr halten. Seine Sinne waren gefangen von diesem strahlenden Licht und dem Nebel, welcher sich inzwischen warm anfühlte. Schweiß rann über seinen Körper, während seine Augen sahen. Er sah, was er noch nie gesehen hatte und sein Wahnsinn verflüchtigte sich in einen Widersinn. Choräle setzten ein. Wunderschöne Gesänge, die durch den Tempel fielen, wie Schmetterlinge auf einer Wiese. Mit einer liebevollen Bewegung legte Verus das kunstvolle Gladius mit dem Elfenbeingriff auf den Altar. Eine Bewegung, die väterlich und fürsorglich war. Mit einem Finger strich er über die Klinge, bevor er vom Altar zurücktrat. Wieder zog der Weihrauchschwenker vorbei. Verus inhalierte behutsam. Die Sterne zeigten sich, während sich die Wände bogen und bebten. Es schien dem Tiberius fast so, als ob er auf Wasser lief, da der Boden aus Marmor nachzugeben schien. Das Gefühl von Wasser war etwas, was er wertschätzte. Verus war egal, was er sah, was er fühlte, denn dieser Moment war mehr Wahrheit, als er jemals in seiner Welt gespürt hatte. Nicht, dass er glauben wollte, etwas wissen wollte, sondern schlicht eine Erfahrung, die ihn veränderte, auch wenn ihn die kalte Welt, die alte Zeit, zurückgewinnen würde. Verus war ein Verdammter. Ein Fluch lastete auf ihm, den er sich auferlegt hatte. Gnade war ihm verwehrt und so konnte er nur diesen Moment kosten. Er spürte die dumpfen Schläge der Helfer mit ihren Ästen und dem Blattwerk, doch nahm es hin. Selbst diese Schläge, die seine Haut feuerrot werden ließen, fühlten sich erlösend an. Dieser segensreiche Nebel machte ihn taub aber empfänglich für andere Reize: Reize, die der eigentlichen Natur des Schmerzes widersprachen.
Schließlich traten die Helfer vor Verus, der sich auf seine Knie senkte, um den Segen zu erhalten. Ein langer Pinselstrich und eine Hand verteilten jene rote Farbe, gewonnen aus Blut und Ocker, über seine Stirn, seinen Nasenrücken und seine Brust. Ein blutroter Strich zeigte sich, der sich gewichtig auf seiner Haut anfühlte. Verus spürte die Farbe, sah sie, wie Feuer auf seiner Haut brennen, und doch fürchtete er sich nicht. Die Musik zog ihn erneut zum Altar, wo er sich verstört umblickte, entrissen eines jeden Zeitgefühls. Durch den Nebel schreitend, erreichte er sein Wolfsfell, auf das er sich mit einer fallenden Bewegung niederließ. "Mars Ultor," rief Verus dabei und fühlte sich zufrieden, als der Boden ihn in seine Arme nahm. Das Fell bot Schutz und Geborgenheit, während der Nebel nun seinen Körper bedeckte.