Die Einladung hatte mich etwas überrascht, konnte man sagen. Und eigentlich war ich sogar fast aus allen Wolken gefallen, als ich sie zum ersten Mal las. Ich war eingeladen in die Villa Aurelia von der reizenden Aurelia Prisca, die ich doch kürzlich erst bei den Totenspielen des Cornelius Palma vermisst hatte! (Wahrscheinlich hatte Aurelius Lupus ihr das gleich brühwarm weitergetratscht und ich hatte nur deshalb eine Einladung bekommen. Aber egal. Denn Einladung war Einladung, oder nicht?)
Ohne jeden Zweifel stand glasklar für mich fest, dass ich natürlich dem Ruf der edlen Patrizierin folgen würde! Nur ein einziges Problem bereitete mir ein wenig Sorge: Als welche Göttin sollte ich mich kleiden? Welche Göttin war meine Lieblingsgöttin? - Oder anders gefragt: Hatte ich überhaupt irgendeine Lieblingsgöttin? Eigentlich ja nicht. Denn ich nahm mein Leben in aller Regel lieber selbst in die Hand, anstatt darauf zu warten, dass vielleicht irgendeine Göttin oder irgendein Gott zum Dank für irgendein Opfer vielleicht irgendein kleines Vögelchen schickte, das mir bei meinen Problemen helfen sollte. (Selbst war die Frau!) Die Frage, die ich mir also stellen musste, lautete: Als welche Göttin könnte ich den meisten Eindruck schinden.. oder wenigstens ein bisschen Aufsehen erregen?
Iuno? Ich war am Festtag der Iuno Regina geboren und man konnte mein Wesen gelegentlich sicher auch als ein bisschen herrisch beschreiben. Aber viel Aufsehen konnte man als Iuno sicher nicht unbedingt erregen. Dann vielleicht Minerva? Die gehörte ja auch zur kapitolinischen Trias, war Weise, ein bisschen kriegerisch.. und für meinen Geschmack damit ein bisschen zu kriegerisch. Nein, das wollte ich nicht. Fortuna? Jede Frau verkleidete sich doch als Fortuna! In der Aufmachung würde ich also kaum auffallen. Vielleicht Vesta? Hilfe, NEIN! Wenn es eine Göttin gab, die so GAR nicht zu mir passte, dann war es die keusche, artige Vesta, die sich immer schön brav um Haus und Heim kümmerte. .... Und so ging ich noch eine lange Liste an Möglichkeiten durch, bis ich mich am Ende entschieden hatte: Venus sollte es sein! Denn als Venus wäre ich zwar bestimmt auch nicht die einzige, aber ich könnte alles in die Waagschale werfen, was ich hatte!
Der Perlenschmuck, den mir Commodus zur Hochzeit geschenkt hatte, kam zu diesem Zweck natürlich zum Einsatz: Die Kette, die Ohrringe, die Haarnadeln. Da geizte ich nicht. Denn mit Muscheln als Symbole der Venus konnte sich ja jede Dame schmücken; mit edlen Perlen aber nur die eine Venus! Im Kontrast dazu wählte ich mein übriges Ensemble eher schlicht: Ich verzichtete auf irgendwelche Farben, ließ mich stattdessen in einen weißen Fummel aus einem leichten Seidenstoff hüllen. (Wenn das nicht "In edelster Gewandung" war, dann wusste ich auch nicht!) Hier und dort zeigte ich dabei, was ich hatte (ich bildete mir ein, meine Oberweite war noch immer etwas größer als vor meiner Schwangerschaft), während ich andere Stellen ein bisschen kaschierte. (Ein Hoch auf den "Gürtel der Venus", der sich zum Kaschieren wirklich ganz ausgezeichnet machte!) Makeup zuletzt trug ich nur ganz dezent, während ein kleiner Handspiegel (im Sinne der Venus rechts und links flankiert von zwei Delfinen) mein ganzes Erscheinungsbild abrundete.
Und so erreichte ich also die Villa Aurelia: Ich, die vor kurzem erst 22 Jahre jung gewordene, jungendliche Venus, die in der Casa Iulia nur einen treudoofen Hephaistion zu warten hatte, der es im Bett selten (und niemals freiwillig) brachte, und die sich stattdessen also andernorts ihren Mars (im irdischen Leben also: Marcus) suchen musste. Aber weder auf den feschen Decimus Aquila, noch auf meinen Vetter Commodus würde ich hier wohl heute treffen. Also lenkte ich meine Gedanken gleich wieder weiter und konzentrierte mich darauf, was wirklich zählte: Zuerst einmal die Gastgeberin finden, sie begrüßen und ihr für die liebe Einladung danken.
Leichter gesagt als getan.. bei der Größe dieses prachtvollen Anwesens. (Ja, als Patrizierin lebte man hier bestimmt nicht schlecht.) Ich schaute mich ein bisschen um.. nur um zu sehen, dass mir kaum ein Gesicht hier großartig vertraut war. Nein, ich redete gerne mal davon, als Ritterin im Ordo Senatorius mit patrizischen Wurzeln bis zu einem Sergestus.. ein Teil der Oberschicht zu sein. Aber.. nunja. Trotzdem gewohnt selbstbewusst fing ich den einen oder anderen Blick fremder Frauen auf. Manche schauten auf mich herab. Manche wirkten neidisch. Manche sahen mich oberflächlich freundlich an. Und manche nahmen mich auch erstmal gar nicht wahr. Dann erblickte ich die gastgebende Aurelia, die offenbar gerade zu einer Art kleinen Rede angesetzt hatte. Also hielt ich mich erstmal zurück, ließ die schöne Musik auf mich wirken und nahm ein paar tiefe Atemzüge dieser angenehm befreienden und entspannenden Opiumschwaden.... nur um mich am Ende der aurelischen Worte dann doch an der Dikussion zu beteiligen: "Also wenn die geschätzte Iuno mir hier den Vortritt lassen würde?", fragte ich rhetorisch in den Raum hinein und trat noch einen Schritt auf die beiden zu. "Ich finde ja, dass unsere verehrte Gastgeberin ganz recht hat! Brauchen wir denn wirklich erst einen Grund, um Bekannte und Freundinnen zu treffen und uns hier einfach nur unseres Lebens zu freuen?" Ich lächelte in die Runde und fühlte mich gerade wirklich nicht unwohl in meiner Rolle als locker lebensfrohe (und vielleicht auch etwas lasterhafte) Venus. "Ich meine.." kein Wunder, dass sich Iuppiter notorisch andere Liebhaberinnen suchte, wenn seine Iuno selbst auf einer solchen Feier sich noch so kritisch, hinterfragend und fast schön nörglerisch zeigte! (Ich konnte mich gerade noch beherrschen, diese Worte zurückzuhalten.) "Ich meine, folgen wir unserer aurelischen Diana. Danken wir ihr dafür, dass sie uns heute zu sich eingeladen hat. Und feiern wir mit ihr." Jawohl! "..meinetwegen auch den neuen Kaiser.", endete ich eher halblaut. Denn natürlich hätte ich einige andere Kandidaten weitaus lieber auf dem Thron gesehen: Flaminius Cilo, den Schwager meines Onkels Kaeso Modestus; oder Decimus Livianus, meinen Patron; oder Vinicius Hungaricus, den Patron meines Mannes; oder auch einen Flavius Gracchus, den Verwandten des Patrons meines Großvaters Stephanus. Aber jetzt war es eben dieser ominöse Aquilius, über den ich kaum etwas wusste, den ich kaum einschätzen konnte, von dem ich also wirklich nicht wusste, was ich von ihm halten sollte....